Dorian Hunter 105 - Earl Warren - E-Book

Dorian Hunter 105 E-Book

Earl Warren

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Beschreibung

Ibara Koschiro sah in den Spiegel und erblickte einen Fleischkoloss mit zerfetztem Gewand und langen blutenden Schnittwunden. Das Gesicht dieses fremden Mannes im Spiegel zerfloss. Ibara spürte ein Saugen und Stechen, unbeschreiblich widerwärtig, und dann ... sah ihn aus dem Spiegel sein eigenes Gesicht an!
Er selbst aber besaß keines mehr, da war nur noch eine glatte Fläche!
Das Spiegelbild verhöhnte ihn: »Jämmerlicher Hund, wo ist dein Oicho-mage?« Ein hämisches Lachen folgte. »Keinen Zopf und kein Gesicht hast du mehr, Ibara Koschiro! Deine Ahnen im Jenseits werden dich verstoßen, und für die Menschen wirst du weniger sein als Hundekot.«
Mit einem Schrei der Verzweiflung riss Ibara das Schwert empor, das ihm der Samurai gelassen hatte. Er setzte die Spitze auf den Hara, den Mittelpunkt seines Körpers, eine Handbreit unter dem Nabel - und stieß zu!


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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DIE GOTTESANBETERIN

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.

Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.

Als Rückzugsort in seinem Kampf bleibt Dorian neben der Jugendstilvilla in der Baring Road in London noch das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt – darunter die ehemalige Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu Dorian die Seiten gewechselt hat. Kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Martin versteckt Coco diesen zum Schutz vor den Dämonen an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält.

Bald darauf veranlassen die Erinnerungen an seine Existenz als Michele da Mosto Dorian, nach der Mumie des Dreimalgrößten Hermes Trismegistos zu forschen. Er stößt auf die versunkene Stadt Ys und birgt aus ihr einen Handspiegel. Dieser stellt offenbar die einzig wirksame Waffe gegen Hermons einstigen Erzgegner Luguri dar, der sich zum neuen Oberhaupt aufgeschwungen hat.

Auf Island gewinnt Dorian den Kampf um das Erbe des Hermes Trismegistos und richtet sich in dessen Tempel ein. Wie es sein Vorgänger Grettir prophezeit hat, verspürt Dorian schon bald keinen Drang mehr, in sein altes Leben zurückzukehren, zumal er von seinen Freunden seit Monaten für tot gehalten wird: Nur Coco, die einen Doppelgänger von Dorian vernichtet hat und seitdem als seine Mörderin gilt, weiß, dass Dorian, ausgestattet mit den Kräften des Hermes Trismegistos, die Gestalt des harmlosen Richard Steiner angenommen hat.

Kurz darauf erwachen in Dorian Erinnerungen an sein fünftes Leben als Tomotada: Wie es aussieht, ist der »Samurai des Teufels« in der Gegenwart auf einmal wieder aktiv und trachtet danach, sein Schwert Tomokirimaru zurückzuerlangen. Dorian alias Steiner sowie Coco reisen nach Japan, wo sich das Schwert befindet. Begleitet werden sie von ihren Freunden Hideyoshi Hojo und Abi Flindt, die nicht wissen, dass Dorian noch lebt. In Tokyo angekommen, können die vier jedoch nicht verhindern, dass Tomotada das Tomokirimaru zurückerlangt und damit ein Blutbad anrichtet ...

DIE GOTTESANBETERIN

von Earl Warren

Ibara Koschiro lag auf dem bequemen Mattenlager hingestreckt. Er fühlte sich so wohl wie noch nie in seinem Leben. Der Hundertvierzig-Kilo-Koloss versuchte, ein Lied mitzusummen, das aus dem Radio ertönte. Der Text handelte von Kirschblüten und Liebe. Er hörte sich so an, als hätte ein zwölfjähriger Hilfsschüler ihn geschrieben.

Ein geleerter Kasten Asahi-Bier stand neben Ibara. Gerade hatte er mit dem zweiten begonnen. Ibara hatte schon einmal viereinhalb Kästen und eine Flasche Whisky getrunken, bevor ihn seine Sumoringer-Kollegen auf sein Mattenlager trugen. Ein Sumoringer musste ein gewaltiger Esser und Trinker sein, sonst konnte er sein Gewicht nicht halten, das nicht unter einhundertdreißig Kilo betragen durfte.

Die Blase drückte Ibara. Er erhob sich, und der Kimono klaffte über seinem unbehaarten Bauch auf.

Ibara war ein wandelnder Fleischberg, knapp ein Meter achtzig groß, aber er bewegte sich überraschend leicht und geschmeidig.

1. Kapitel

Er öffnete die Tür und ging zur Gemeinschaftstoilette der niederen Sumoränge. Ibara befand sich allein in der Sumoschule des Isogai Taketsura. Isogai und die übrigen Sumotori weilten im Hakone-Nationalpark, wo sie an wichtigen Schaukämpfen teilnehmen wollten. Ibara hielt in der Sumoschule in Tokio die Stellung.

Als er sich erleichtert hatte, überlegte er sich, dass er genauso gut jetzt seine fällige Runde durch das Haus machen konnte; später würde er dazu vielleicht nicht mehr imstande sein.

Isogai Taketsura würde mit den andern Sumotori erst in einer Woche zurückkommen. Bis dahin gedachte Ibara, wie im Paradies zu leben. Er brauchte nicht zu trainieren und würde jeden Tag essen und vor allem trinken, bis er sich nicht mehr rühren konnte.

Wenn Ibara noch zehn, zwanzig Kilo zunahm, konnte das nur gut sein für ihn.

Der Koloss rülpste, als er die steile Holztreppe des dreistöckigen Steinhauses in einem der südlichen Stadtteile von Tokio hinunterstieg. Er sang immer noch den Liedertext nach, sang aber von Bier und Liebe, denn von Kirschblüten hielt er nichts.

Im zweiten Stock, in dem sich die Schlafräume der Sumotori höheren Ranges befanden sowie die Ess- und Aufenthaltsräume, war alles in Ordnung.

Ibara stieg in den ersten Stock hinunter. Hier befanden sich im rechten Trakt des Hauses die Wohnräume des Isogai Taketsura, des Leiters und Besitzers der Schule. Isogai hatte Ibara eingeschärft, er sollte sie besonders im Auge behalten, denn es befanden sich wertvolle Kostbarkeiten in diesen Räumen.

Ibara wollte die Tür aufsperren, die zu Isogai Taketsuras Räumen führte. Alle andern Türen im Haus waren unversperrt und bestanden aus leichtem Material. Ein Sumotori konnte, wenn es sein musste, hindurchspazieren, ohne sie zu öffnen.

Ibara konnte den Sicherheitsschlüssel im Schloss der massiven Feuerschutztür nicht umdrehen. Er hantierte mit dem runden Türknopf herum. Die Tür war unversperrt. Als Ibara sie einen Spalt öffnete, sah er Licht.

Jemand befand sich in Isogai Taketsuras Räumen. Einbrecher, dachte Ibara sofort. Er überlegte sich, ob er die Polizei anrufen sollte, aber dann dachte er: Selbst ist der Mann. Als ausgebildeter Sumotori fürchtete der Koloss sich vor nichts und niemandem auf der Welt. Diesen Einbrechern würde er es zeigen. Er konnte sie in der Luft zerreißen, wenn sie sich nicht gleich ergaben, oder mit seinem Gewicht platt walzen.

Wie immer, wenn er getrunken hatte, fühlte Ibara sich sehr stark. Er schlüpfte durch die Tür und schlich leise über den breiten Gang mit den Rollenbildern an der Wand. Tuschezeichnungen stellten Kirschbäume und Gebirgslandschaften dar.

Ibara hörte ein Geräusch aus dem Raum, der Isogai Taketsuras Heiligtum war: aus dem Raum der Erbauung. Noch nie hatte Isogai Taketsura einen der Sumotori diesen Raum betreten lassen, nicht einmal einen der beiden Maegashira, die er in seiner Schule hatte.

Die Tür des Raums der Erbauung war nur angelehnt. Ibara leckte sich über die Lippen. Wieder hörte er ein Geräusch, dann einen Fluch. Es schien nur ein Mann in dem Raum zu sein. Der Sumotori riss die Tür auf.

Der Schrei, den er hatte ausstoßen wollen, blieb ihm in der Kehle stecken. Eine fantastische und zugleich schreckeinflößende Gestalt stand vor ihm. Ein zwei Meter großer Mann, riesig für japanische Begriffe, mit einem schwarzen, über die Knie reichenden Gewand. Er trug eine schwarze Eisenmaske mit einer aufgemalten roten Fratze. Die Maske bedeckte sein ganzes Gesicht bis über die Stirn. Auf dem kahl geschorenen Schädel stand am Hinterkopf der Samuraizopf, kunstvoll verschlungen. Die Eisenmaske hatte nach oben gedrehte Spitzohren, die wie Helmflügel wirkten. In der roten Schärpe um die Leibesmitte trug der geheimnisvolle Samurai zwei Langschwerter und einen Dolch.

Das eine Schwert musste sehr wertvoll sein, das sah der Sumotori Ibara schon an dem mit Gold verzierten langen Griff und dem breiten Stichblatt.

Der Samurai stand vor einem Schrein aus Edelholz, dessen Deckel er geöffnet hatte. Der Schrein war auf ein niedriges Tischchen gestellt.

Der Samurai wandte sich dem Sumotori zu.

»Wer bist du?«, fragte Ibara. »Was machst du hier?« Er räusperte sich. »Elender Dieb, ich werde dich der Polizei übergeben!«

Der Samurai lachte. Mit einer blitzschnellen, geschmeidigen Bewegung zog er seine beiden Schwerter.

Jetzt sah Ibara, dass das eine an der Unterseite des Schwertstichblatts ein Krabbenmuster hatte. Es musste eines jener berühmten Samuraischwerter sein, die eine besondere Geschichte hatten und von denen Wunderdinge erzählt wurden.

Sein Schwert war die Seele eines Samurai, sein Stolz und sein Karma. Wenn er es verlor, musste er alles daransetzen, es zurückzugewinnen. Sonst blieb ihm als letzter Ausweg nur, Harakiri zu begehen.

Der Samurai schwang seine beiden Schwerter und ließ sie gegeneinander blitzende Kreise beschreiben. Ibara sah nur zwei stählerne Kreise, so schnell wirbelten die Klingen durch die Luft. Es entstand ein surrendes, zischendes Geräusch. Schnell wie eine große Raubkatze kam der Samurai auf Ibara zu.

Der Koloss musste vor den wirbelnden Schwertern zurückweichen. Er flüchtete auf den Gang hinaus.

Der Samurai folgte ihm.

Der Sumotori stieß Angstschreie aus. Immer wieder rasten die Schwertklingen auf ihn zu, immer wieder glaubte er, diesmal würde er den tödlichen Hieb empfangen. Doch jedes Mal lenkte der Samurai mit der Eisenmaske den Hieb oder Stich ab.

Millimeterdicht zischten die Klingen an Ibaras feistem Körper vorbei. Sein Gewand wurde in Fetzen zerschnitten. Die Schwertspitzen zeichneten blutige Muster auf seine feiste Brust, den Bauch und die Arme; sie ritzten aber immer nur die Haut.

Ibara hatte keine Chance gegen den Fechter. Er war jetzt stocknüchtern und schwitzte vor Angst.

Ibara stand mit dem Rücken zur Wand am Ende des breiten Flurs. Es gab keinen Ausweg mehr für den Hundertvierzig-Kilo-Koloss. Seine gewaltige Kraft und seine Sumoausbildung halfen Ibara Koschiro nichts.

Er blieb stehen, die Arme an der Wand. »Wollt Ihr meinen Tod?«, fragte er den Samurai, den er jetzt respektvoller anredete.

»Was habe ich von deinem Tod, du Wurm?«, fragte der andere mit sonorer Stimme zurück. »Beuge den Nacken vor mir, dann will ich dich verschonen!«

Ibara gehorchte. Er war am Ende seiner Nerven. Dieser hünenhafte Samurai war einfach zu unheimlich. Wie konnte er sprechen und sehen, wo doch die Eisenmaske sein Gesicht völlig bedeckte?

Der Sumotori neigte den Kopf. Eine Schwertklinge pfiff durch die Luft, und er spürte eine leichte Berührung.

Ibara griff an seinen Hinterkopf und erstarrte. Sein Oicho-mage, der Zopf an der Sumotorifrisur, die etwas Ähnlichkeit mit einem Hahnenkamm hatte, war abgeschnitten. Das war der größte Schimpf, der einem Sumotori widerfahren konnte. Das Abschneiden des Zopfes bedeutete das Ende der aktiven Laufbahn und den Ausschluss aus der Sumogilde. Wenn ein Fremder gegen den Willen des kampffähigen Sumotori den Zopf abschnitt, war es eine tödliche Schande.

Mit einem Schrei richtete Ibara sich auf. Er wollte sich auf den Samurai werfen. Aber der Schwarzgekleidete hielt ihm nur die Spitze seines kostbaren Schwertes vor den fetten Leib; Ibara hätte sich selbst aufgespießt bei einem Angriff.

Der Sumotori starrte die eiserne Maske mit dem roten Fratzengesicht an. Dann sah er auf seinen abgeschnittenen Zopf, der auf der Erde lag.

Der Samurai hielt das zweite Schwert so mit der Klinge nach oben, dass sie eine Linie mit der Nase seines Maskengesichtes bildete.

Ibara kam zu einem Entschluss. Er wollte sterben. Er zog den Tod einem Leben in Ehrlosigkeit vor. Mit einem Schrei warf er sich in das Schwert; das heißt, er wollte sich hineinwerfen. Schnell zog der Samurai es weg. Ibara plumpste auf seinen fetten Bauch. Der Koloss lag auf dem Boden. Höhnisch lachte der Samurai.

Diese neue Schande und Demütigung waren zu viel für Ibara. Er schluchzte und bedeckte die Augen mit den dicken Händen. Tränen tropften zwischen den Fingern hervor.

»Tötet mich!«, rief er. »Gewährt mir wenigstens diese Gnade! Ich will nicht mehr leben!«

»Sieh mich an!«, befahl der Samurai.

»Tötet mich, Herr! Ich will zu meinen Ahnen gehen. Mein Leben auf dieser Welt hat keinen Zweck mehr.«

»Du sollst mich ansehen!«

Etwas Zwingendes war in der Stimme des riesigen Samurais. Der Sumotori hob das tränenüberströmte Gesicht. Über ihm stand der Samurai, riesengroß. Mit der Linken nahm er nun die Eisenmaske ab.

Ibara erwartete, ein scharf geschnittenes grausames Gesicht zu sehen, aber er sah nichts. Wo ein Gesicht hätte sein sollen, war nur eine rosige, glatte Fläche.

Ibara schrie auf. Er begriff, dass er den Abkömmling einer Mujina vor sich hatte, den Sohn eines weiblichen Dämons, der den Menschen die Gesichter raubte und sie einem jämmerlichen Tod überließ. Seine Opfer hatten weder Augen noch Ohren, Nase oder Mund. Sie konnten nicht mehr sehen, hören oder schmecken und auch nicht essen. Sie starben erbärmlich.

Um Ibara wurde es dunkel. Er nahm nichts mehr wahr.

Der Samurai drehte die eiserne Maske mit der aufgemalten Fratze um. An der Innenseite der Maske sah man ein Gesicht, das Gesicht des Samurais. Scharf geschnitten, mit grausamen Schlitzaugen und einem dünnlippigen Mund. Dieses Gesicht konnte sehen, hören, fühlen, schmecken und auch sprechen und essen.

Der Samurai presste es gegen die glatte Fläche am Kopf des Sumotori. Als er die Eisenmaske wegnahm, hatte Ibara sein eigenes Gesicht wieder, aber er war jetzt zu einem Sklaven des dämonischen Samurais geworden.

Ehrerbietig kniete er nieder und legte die Stirn auf den Boden, als der Samurai seine eiserne Maske wieder aufsetzte.

»Ihr befehlt, Herr?«

»Sag mir, wo ich Isogai Taketsura finde!«

»Er weilt im Hakone-Nationalpark, bei der Stadt Hakone. Die ganze Sumotruppe ist bei ihm. Es finden Meisterschaften und Schaukämpfe statt.«

»Ich werde dorthin gehen. Dir lasse ich mein zweites Schwert zurück.«

»Was soll ich tun, Herr?«

»Sieh in den Spiegel, dann wirst du es erfahren!«

Der Samurai zog sein zweites Schwert aus der Scheide und legte es vor Ibara hin. Dann verschwand er, lautlos wie ein Schatten. Seine in Sandalen steckenden Füße schienen kaum den Boden zu berühren.

Ibara hob erst den Kopf, als der Samurai fort war. Der Koloss mit dem in Fetzen niederhängenden Kimono erhob sich und nahm das Schwert an sich.

Zu Beginn des Flures hing ein großer Spiegel an der Wand. Ibara näherte sich ihm. Sein Herz pochte heftig, und eine nie gekannte Angst erfüllte ihn. Vor einer halben Stunde noch hatte er sich wie im Himmel gefühlt und nichts und niemanden auf der ganzen Welt gefürchtet. Jetzt bebte er vor Furcht und war in die tiefste Hölle der Verzweiflung gestürzt.

Zu viel war Ibara widerfahren. Doch noch waren seine Qualen nicht zu Ende.

Er sah in den Spiegel und erblickte einen Fleischkoloss mit zerfetztem Gewand und langen blutenden Schnittwunden. Dann zerfloss das Gesicht dieses Mannes. Ibara spürte ein Saugen und Stechen, unbeschreiblich widerwärtig, dann schaute er sich selbst aus dem Spiegel heraus an.

Sein Spiegelbild hatte sein Gesicht, er selbst aber besaß keines mehr. Da war nur noch eine glatte Fläche. Ibaras Gesicht aber beobachtete ihn, verhöhnte ihn.

»Hund! Jämmerlicher Hund, wo ist dein Oicho-mage?« Ein Lachen kam aus dem Spiegel. »Keinen Zopf und kein Gesicht hast du mehr, Ibara Koschiro! Deine Ahnen im Jenseits werden dich verstoßen, und für die Menschen wirst du weniger sein als Hundekot.«

Mit einem Schrei der Verzweiflung riss Ibara das Schwert empor, das ihm der Samurai gelassen hatte. Er setzte die Spitze auf den Hara, den Mittelpunkt des Körpers, eine Handbreit unter dem Nabel.

»Tu das!«, stachelte ihn sein Gesicht im Spiegel an. »Begehe Harakiri, Hund Ibara! Vielleicht haben die Götter ein Einsehen und lassen dich für immer vergehen.«

Ibara stieß zu. Die Klinge drang in seinen fetten Leib ein.

»Gesichtsloser Sumotori begeht Harakiri«, las Dorian Hunter eine Schlagzeile der englischsprachigen Tokio News laut vor.

Er saß mit Coco im Doppelzimmer des Ryokan Sapporo im Tokioer Stadtteil Ginza.

Dorian, der jetzt das Vermächtnis des dreimalgrößten Hermes verwaltete, hatte die Gestalt Richard Steiners angenommen, eines alten Bekannten von Coco. Er war lang, dürr und rothaarig. Eine Nickelbrille mit kreisrunden Gläsern gab ihm das Image eines weltfremden und ein wenig tollpatschigen Gelehrten.

Coco wusste, dass sie es mit Dorian Hunter zu tun hatte. Die beiden anderen Gefährten, Hideyoshi Hojo und Abi Flindt, die ebenfalls im Ryokan wohnten, waren nicht eingeweiht. Luguri, die Dämonen der Schwarzen Familie und andere böse Mächte sollten getäuscht werden.

Der Dämonenkiller wollte als tot gelten.

Dabei war er lebendiger und mächtiger denn je. Denn jetzt besaß er das Vermächtnis des Hermes Trismegistos. Er war selbst in die Rolle des Dreimalgrößten geschlüpft.

Zwar meldeten sich bei Dorians Freunden und Feinden Zweifel an seinem Tod. Es wurde viel herumgerätselt; aber Genaues wusste außer ein paar Eingeweihten niemand, und denen waren die Lippen versiegelt.

Coco, die eine Zigarette rauchte und in einem japanischen Modemagazin blätterte, hatte gespannt aufgehorcht, als Dorian ihr die Schlagzeile vorlas.

»Das ist interessant«, sagte sie. »Sicher hat das etwas mit den Dämonen zu tun, die wir bekämpfen. Wie sollte der Sumotori sonst sein Gesicht verloren haben, wenn nicht durch den Schwarzen Samurai oder eine Mujina?«

»Es war Tomotada«, sagte Dorian überzeugt. »Höre selbst!«

Er las Coco nun den ganzen Abschnitt vor. Der Leichnam des Sumotori Ibara Koschiro war in der Sumoschule des Isogai Taketsura vor einem zersprungenen Spiegel gefunden worden. Mit seinem Blut hatte er in den letzten Minuten seines Lebens auf den Boden gekritzelt: Isogai, hüte dich vor dem Samurai!

Man hatte den Gesichtslosen zunächst nicht identifizieren können. Nachfragen der Polizei ergaben aber, dass nur ein Sumotori namens Ibara Koschiro in der Sumoschule zurückgeblieben war. Es konnte also kein anderer sein.

Isogai Taketsura, der mit seiner Sumotruppe im Hakone-Nationalpark an Schau- und Meisterschaftskämpfen teilnahm, war von Reportern befragt worden. Er hatte keine Auskunft zum Tod des Ibara Koschiro geben können oder wollen.

In der Zeitung stand noch, dass es so aussähe, als wäre in der Sumoschule des Isogai Taketsura ein Einbruch verübt worden. Jemand hatte Taketsuras Privaträume durchstöbert.

»Wir müssen zum Hakone-Nationalpark«, sagte Coco. »Wenn der Schwarze Samurai etwas bei Isogai Taketsura gesucht hat und wenn dieser sich vor ihm hüten soll, müssen wir uns an ihn halten.«

»Du hast recht.« Coco hatte einen scharfen Verstand, was Dorian zu würdigen wusste. »Aber du musst mit Abi und Yoshi zunächst allein hingehen. Ich habe im Tempel des Hermes Trismegistos ein paar Vorbereitungen zu treffen. Ich werde Unga mitbringen, denn wenn Tomotada auftaucht, will ich eine Waffe gegen ihn haben.«

»Wie sollen wir Abi und Yoshi beibringen, dass du nicht mitkommst?«

»Sie halten nicht viel von Richard Steiner«, sagte Dorian. »Sag ihnen einfach, es sei zu gefährlich für ihn! Dann werden sie den guten Richard mit ein paar spöttischen Bemerkungen ziehen lassen.« Er sprach von seiner gegenwärtigen Verkörperung in der dritten Person.

»Das stimmt«, sagte Coco. »Also müssen wir uns schon wieder trennen?«

»Es lässt sich nicht vermeiden. Ich werde im Hakone-Nationalpark in einer anderen Gestalt auftreten als dieser. Vielleicht können wir zusammentreffen.«

»Wenn es möglich ist, wähle einmal eine attraktive Gestalt. Abi Flindt macht ständig spöttische Bemerkungen, was ich an einem Klappergestell wie dir wohl finde. Er geht dabei manchmal sehr ins Detail.«