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Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »Sind wir jetzt fertig, Loni?«, fragte Dr. Norden seine rechte Hand und wandelndes Notizbuch, wie er Loni gern bezeichnete. »Frau Röttgen wartet noch«, erwiderte Loni. »Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?«, fragte Dr. Norden erstaunt. »Weil sie wieder gehen wollte, wenn Sie keine Zeit haben. Ich sollte Ihnen nur sagen, dass sie da ist, wenn die Sprechstunde nicht zu lange dauert.« »Herein mit ihr«, sagte er, »sie soll nicht noch mehr Ducker bekommen. Ich habe Zeit.« An Schicksalsschlägen hatte Gisela Röttgen in den letzten Monaten mehr als genug hinnehmen müssen. Sie war eine tapfere Frau, sechsundvierzig Jahre, und jetzt, drei Monate nach dem tragischen Tod ihres Mannes bereit, es mit allen Widrigkeiten des Lebens aufzunehmen. »Wo fehlt es, Frau Röttgen?«, fragte Dr. Norden besonders freundlich, als er in ihr schmales blasses Gesicht blickte. Da kam etwas Farbe in ihre Wangen. »Ich komme mit einer ganz persönlichen Bitte, Herr Dr.
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Seitenzahl: 154
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»Sind wir jetzt fertig, Loni?«, fragte Dr. Norden seine rechte Hand und wandelndes Notizbuch, wie er Loni gern bezeichnete.
»Frau Röttgen wartet noch«, erwiderte Loni.
»Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?«, fragte Dr. Norden erstaunt.
»Weil sie wieder gehen wollte, wenn Sie keine Zeit haben. Ich sollte Ihnen nur sagen, dass sie da ist, wenn die Sprechstunde nicht zu lange dauert.«
»Herein mit ihr«, sagte er, »sie soll nicht noch mehr Ducker bekommen. Ich habe Zeit.«
An Schicksalsschlägen hatte Gisela Röttgen in den letzten Monaten mehr als genug hinnehmen müssen. Sie war eine tapfere Frau, sechsundvierzig Jahre, und jetzt, drei Monate nach dem tragischen Tod ihres Mannes bereit, es mit allen Widrigkeiten des Lebens aufzunehmen.
»Wo fehlt es, Frau Röttgen?«, fragte Dr. Norden besonders freundlich, als er in ihr schmales blasses Gesicht blickte. Da kam etwas Farbe in ihre Wangen.
»Ich komme mit einer ganz persönlichen Bitte, Herr Dr. Norden«, sagte sie leise. »Eigentlich sogar mit zweien, wenn ich Sie nicht zu sehr belästige.«
»Sie belästigen mich nicht. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich immer für Sie da bin, Frau Röttgen. Also, wo drückt der Schuh, oder die Schuhe?«
»Ich könnte eine Stellung bekommen, aber ich bräuchte Referenzen, und wer soll mir die geben? Wenn Sie mir wenigstens ein Attest geben könnten, dass ich gesund bin, Herr Doktor.«
»Dem steht nichts im Wege, wenn ich weiß, dass Sie der Tätigkeit auch wirklich gewachsen sind«, erwiderte Dr. Norden. »Worum handelt es sich?«
»Der Bankier Thomasson sucht eine Hausdame. Gewachsen wäre ich dieser Tätigkeit bestimmt. Es sind ja auch noch Hausangestellte da. Und gut bezahlt wäre es auch. Aber er hat anscheinend schlechte Erfahrungen gemacht und will ganz sicher gehen, weil die vorige Hausdame eine ansteckende Hepatitis hatte.«
»Hepatitis epidemica«, sagte er gedankenvoll, »sie verbreitet sich leider durch die häufigen Auslandsreisen in Länder, die nicht die gleichen Lebensumstände haben wie wir, bezüglich der Hygiene, aber auch der Abwehrstoffe. Ich will Ihnen keinen Vortrag halten, aber uns macht diese Krankheit sehr zu schaffen. Doch Ihnen kann ich bestätigen, dass keine Bedenken vorliegen.«
»Es geht um alle Infektionskrankheiten«, sagte sie leise. »Es sind ja drei Kinder da, fünfzehn, dreizehn und zehn. Und wenn Sie mir vielleicht auch noch bestätigen, wie lange Sie mich kennen, würde mich Herr Thomasson sicher nehmen. Er braucht ja nicht Gefahr zu laufen, dass ich es auf ihn abgesehen habe«, fügte sie mit bitterem Spott hinzu. »Als ob mir danach zumute wäre! Aber ich mag niemanden bitten, mir sozusagen einen Garantieschein zu geben. Wir haben keine Freunde mehr.«
Er kannte alle ihre Sorgen, ihre Nöte, ihre Enttäuschungen. »Ich gebe Ihnen keinen Blankoscheck, weil Ihre Gesundheit mir auch am Herzen liegt, Frau Röttgen«, sagte er. »Ich werde Sie gründlich untersuchen, und wenn es bei Thomasson nicht klappt, wo Sie es bestimmt nicht leicht haben werden, finden wir etwas anderes, wenn Sie unbedingt arbeiten wollen.«
»Ich muss Geld verdienen, Herr Doktor. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig. Hans-Peter muss doch sein Studium vollenden, und Carolin ist mit der Ausbildung auch noch nicht fertig.«
»Zuerst kommen Sie an die Reihe«, sagte er. »Wir machen einige Tests. Den Befund bekommen Sie morgen oder Herr Thomasson direkt, wenn Sie es wünschen.«
»Ich habe ihm gesagt, dass ich mich von Ihnen gründlichst untersuchen lasse«, gestand sie verlegen ein. »Es war ihm sehr willkommen.«
»Ist in Ordnung, Frau Röttgen. Ich kenne ihn. Er ist schwierig. Ist ja auch nicht anders zu erwarten, wenn die Frau ihn mit drei Kindern alleinlässt und ihn ausnutzt nach Strich und Faden. Das pfeifen ja die Spatzen von den Dächern, und peinlich ist das für ihn auch. Die Kinder haben auch darunter zu leiden. Ich möchte Ihnen damit zu verstehen geben, dass Sie keine leichte Aufgabe zu erfüllen hätten.«
»Davor fürchte ich mich nicht. Mit meinen beiden Kindern habe ich ja auch manche Sorgen. Wegen Hans-Peter wollte ich auch mit Ihnen sprechen. Er kann in der Behnisch-Klinik in den Semesterferien als Krankenpfleger arbeiten, aber er hat nicht den richtigen Mumm. Sie sind doch gut bekannt mit Dr. Behnisch. Er will Hans-Peter nehmen, aber man müsste ihm doch sagen, wie schwierig der Junge ist. Er braucht einen Motor, der ihn anspornt.«
»Dann ist er bei Dr. Behnisch gut aufgehoben, Frau Röttgen. Er wird viel lernen in der Klinik, was er später gut verwerten kann. Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Hans-Peter ist jetzt dreiundzwanzig und hat sich für das Medizinstudium entschieden. Da muss er sich schon auch selbst einsetzen.«
»Aber damals ging es uns blendend. Die Finanzen stimmten. Er ist keine Kämpfernatur.«
»Dann wird er es werden müssen, für sein Lebensziel«, sagte Dr. Norden.
»Und Carolin ist jetzt nur noch darauf aus, eine reiche Partie zu machen«, sagte Gisela Röttgen leise. »Um sie habe ich Angst. Wenn ich nichts verdiene, können wir die Wohnung nicht halten. Ich habe mir genau ausgerechnet, wie lange wir auskommen würden, wenn wir von der Lebensversicherung leben. Fünf Jahre bei den derzeitigen Kosten, und die steigen. Und wenn die Rente für die Kinder wegfällt …, aber damit will ich Ihnen nicht auch noch kommen. Sie brauchen jetzt Ihre Mittagspause.«
Er hatte ihr Blut abgenommen und sie reden lassen. Und er drückte ihr warm die Hand, als sie sich verabschiedete.
»Morgen um die gleiche Zeit, Frau Röttgen. Dann bekommen Sie Bescheid. Aber ich möchte Ihnen raten, nicht immer nur an die Kinder zu denken, sondern auch an sich selbst.«
»Ich habe ja nur noch die Kinder«, erwiderte sie leise.
*
Und das war ihr Schicksal: Gisela Werner heiratete im Alter von zweiundzwanzig Jahren den Bankkaufmann Klaus Röttgen. Sie hatte Lehrerin werden wollen, aber das erste Kind war bald unterwegs, und sie hatte einen ehrgeizigen Mann geheiratet. Klaus Röttgen machte sich bald selbstständig, wurde Immobilien- und Finanzmakler. Er verdiente sehr gut. Man führte ein recht aufwendiges Leben, mit dem Gisela nie so recht Schritt halten konnte. Nach Hans-Peter wurde vier Jahre später Carolin geboren, der vergötterte Liebling ihres Vaters. Aber dann gingen die Geschäfte nicht immer gleich gut. Klaus Röttgen musste Schulden machen. Die Ehe geriet in eine Krise und mit Röttgens Gesundheit ging es bergab. Dann zog er sich einen Sturz zu. Es war ein Unfall, aber die Unfallversicherung machte Schwierigkeiten, weil sich bald herausstellte, dass Klaus Röttgen einen Gehirntumor hatte.
Man berief sich darauf, dass der Gehirntumor Schwächezustände herbeigeführt hätte und diese wiederum die Ursache des Sturzes wären.
Der Rechtsstreit zermürbte Klaus Röttgen vollends, weil er ja dadurch frühzeitig Kenntnis von seinem schweren Leiden bekam. Ein sanfter Tod war ihm nicht beschieden. Sicher war man bemüht, sein Leben zu retten, aber die Familie wurde immer mehr größten Belastungen ausgesetzt. Das vorhandene Vermögen war bald aufgebraucht. Das komfortable Haus wurde verkauft, dafür eine Wohnung gemietet. Immer wieder versuchte Gisela ihrem Mann Mut zu machen, aber schließlich war sie selbst fast am Ende.
In ihren früheren Beruf konnte sie nicht mehr zurück. Da gehörte sie zum alten Eisen, und ihr Studium war ja nicht mal abgeschlossen gewesen. Sonst hatte sie nichts gelernt, als einen Haushalt zu führen und Kinder aufzuziehen, einen aufwendigen Haushalt und verwöhnte Kinder! Als dann ihr Mann starb, hatte sie alle Fehler, die sie in der Vergangenheit gemacht hatte, eingesehen. Sie war eine Frau gewesen, die das Leben ihres Mannes geteilt hatte, wie er dieses Leben begriff und aufbaute. Sie gelangte doch rasch auf den Boden der nackten, unabänderlichen Tatsachen, als sie mit ihren Kindern allein war, die sich mit den Tatsachen jedoch nicht so schnell abfinden konnten.
Und auch an diesem Abend hatte Gisela allerlei auszuhalten, als sie ihren beiden Kindern sagte, dass sie entschlossen sei, die Stellung bei Bankier Thomasson anzunehmen, wenn er sie nehmen würde.
»Bist du total übergeschnappt?«, reagierte Carolin, ein hübsches Mädchen. Eben noch hatte sie davon gesprochen, dass sie gern mit Freundinnen nach Griechenland fliegen würde. Das hatte dann die Debatte ausgelöst, weil endlich einmal alle Karten auf den Tisch gelegt werden mussten.
»Ich sehe die Realitäten«, sagte Gisela ruhig, obgleich es ihr schwerfiel, Ruhe zu bewahren. »Wir müssen sparen. Und da ihr nichts verdient, muss ich eben verdienen.«
»Papa ist vor drei Monaten gestorben, und wir haben hunderttausend Euro aus der Lebensversicherung bekommen«, sagte Carolin schnippisch. »Rechtlich stehen dir fünfzig Prozent zu und uns die anderen fünfzig.«
Solche Worte hatte Gisela von ihrer Tochter nicht erwartet. Es schmerzte, und wie es schmerzte, aber sie wollte reinen Tisch machen.
»Gut, das siehst du so. Dann werde ich dir die Gegenrechnung aufstellen, Carolin. Es blieben nämlich fast fünfzigtausend Euro Schulden, die beglichen werden mussten. Hier ist die Aufstellung. Also bleiben noch fünfzigtausend. Davon stehen jedem von euch zwölftausendfünfhundert zu, mir fünfundzwanzigtausend. Von diesen entfallen auf die Jahresmiete allein zwölftausend Euro, dazu kommen die Lebenshaltungskosten. Ich wollte die Wohnung halten, damit ihr ein Zuhause habt, aber das kann ich nicht. Ihr könnt euer Geld nehmen und damit machen, was ihr wollt, wenn ihr darauf besteht. Ich mache, was ich will. Ich möchte nämlich von niemandem etwas geschenkt haben. Wo unsere lieben Freunde geblieben sind, wissen wir ja.«
»Carolin meint es nicht so, Mutti«, sagte Hans-Peter.
»O doch, sie meint es so«, sagte Gisela. »Ich verschließe Augen und Ohren davor nicht. Ebenso gut weiß ich, dass ich für meinen eigenen Lebensunterhalt sorgen muss.«
»So brauchst du es auch nicht zu dramatisieren«, sagte Carolin. »Du hast auch noch deine Rente. Ich heirate einen reichen Mann, und Hans-Peter sollte sich auch nach einer lukrativen Partie umschauen.«
So spricht meine Tochter, dachte Gisela gequält, ohne sich jedoch etwas anmerken zu lassen. Sie wollte keinen Streit heraufbeschwören, sie wollte sich auch nicht provozieren lassen. Sie wollte ganz vernünftig mit den Kindern sprechen, die doch schon erwachsene Menschen geworden waren, oder es wenigstens sein sollten.
»Ich kann doch nichts dafür, dass ich noch nicht mit dem Studium fertig bin«, sagte Hans-Peter, »und erst recht nichts dafür, dass Vater so früh sterben musste.«
»Dafür kann niemand etwas, aber wir wollen die Tatsachen sehen«, erklärte Gisela. »Auch wenn euer Vater leben würde, müssten wir uns einschränken. Wir haben schon in den letzten Jahren viel zurückstecken müssen. Ihr habt davon nicht allzu viel gemerkt, aber wenn man vom Restbestand lebt, ist das Geld schnell zu Ende. Du, Hans-Peter, wirst in den Semesterferien in der Behnisch-Klinik genug verdienen, um deinen Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. Für die Miete komme ich auf, auch für das, was Carolin braucht. Das Taschengeld kannst du dir nebenbei verdienen.«
»Womit denn?«, fragte Carolin aufsässig
»Vielleicht mit Babysitting.«
Carolin kniff die Augen zusammen. »Na, danke, dann gehe ich lieber als Komparsin zum Film. Da komme ich schon unter.«
Man sah ihr an, dass sie einen Widerspruch erwartete, aber Gisela war bereits entschlossen, den Dingen ihren Lauf zu lassen. »Wie du meinst«, erwiderte sie. »Ich mische mich nicht ein. Wir müssen sehen, wie wir über die Runden kommen. Ihr habt ein Dach über dem Kopf, und verhungern lasse ich euch auch nicht. Ihr müsst euch jetzt eben nur selbst versorgen und mit dem auskommen, was da ist. Anders geht es nicht.«
»Du willst dich lieber mit fremden Kindern herumplagen«, sagte Carolin gereizt.
»Dafür bekomme ich gutes Geld, was wiederum auch euch zugutekommt«, sagte Gisela ruhig.
»Du siehst doch noch ganz propper aus«, meinte Carolin, »such dir doch auch einen Mann, damit du versorgt bist.«
»Möglichst einen Millionär«, sagte Gisela spöttisch. »Ich denke nicht daran. Ich verlasse mich lieber auf mich selbst.«
»Du bist richtig verbiestert«, sagte Carolin.
»Nein, das stimmt nicht«, widersprach ihr Hans-Peter heftig. »Sei nicht so ungerecht, Carolin. Mutti geht uns mit gutem Beispiel voran.«
»Ist die Debatte beendet?«, fragte Carolin gereizt. »Ich gehe noch aus.«
»Na, siehst du«, sagte Gisela ironisch. »Da werde ich auch nicht gefragt.«
»Ich bin mündig«, konterte Carolin.
»Beweis es«, sagte Gisela mit letzter Kraft.
Sie wusste schon, dass sie wieder eine schlaflose Nacht vor sich hatte mit den immer wiederkehrenden Fragen, was sie falsch gemacht haben könnte.
*
Organisch war Gisela Röttgen gesund, das konnte Dr. Norden ihr reinen Gewissens bescheinigen. Und da er sie so gut persönlich kannte, sprach er persönlich mit Robert Thomasson.
Der Bankier war fünfundfünfzig, sah aber älter aus. Er war achtunddreißig gewesen, als er die um fünfzehn Jahre jüngere Nina geheiratet hatte, ein Mädchen vom Ballett, das seine Talente überschätzte und hochfliegende Pläne zurückstecken musste. Aber bei Thomasson hatte sie dann Erfolg gehabt, und bei ihm hatte sie das erreicht, was sie beruflich nicht erreichen konnte. Sie hatte ihn weidlich ausgenutzt, und es hatte lange gedauert, bis er sich dessen bewusst wurde. Solange die Kinder noch klein waren, hatte sie ihr schauspielerisches Talent, das man ihr im Privatleben nicht absprechen konnte, ausgespielt. Dann hatte sie mehr und mehr ihren Neigungen gelebt, bis es ihm zu viel wurde. Und schließlich, vor sechs Jahren, hatte sie ihn und die Kinder verlassen und war mit einem andern auf und davon gegangen.
In diesen sechs Jahren hatte Robert Thomasson es auf vierzehn Hausdamen gebracht, und manche war nicht länger als sechs Wochen geblieben. Seine Mutter war eingesprungen, aber jetzt wurde sie bald achtzig. Sie war noch gut in Form, aber schwierig. Und die Kinder waren auch in schwierige Lebensjahre gekommen.
Dr. Daniel Norden wusste das alles. Er kannte die Verhältnisse im Hause des Bankiers. Er betreute Frau Thomasson, obgleich sie nur selten einen Arzt brauchte. Er betreute auch die Kinder, wenn sie an den üblichen Erkrankungen litten.
»Ich brauche eine zuverlässige Person, die meinen Haushalt und meine Kinder betreut und nicht danach schielt, selbst versorgt zu werden«, sagte Robert Thomasson. »Und ich muss endlich auch zur Ruhe kommen. Meine Ehe hat mich geschafft.«
»Frau Röttgen wäre bestimmt die Richtige«, sagte Dr. Norden. »Sie können unbesorgt sein. Sie schielt nicht nach einer Zweitehe. Sie hat ihre Rente, und wenn ihre eigenen Kinder versorgt sind, kommt sie damit über die Runden. Aber sie braucht eine Aufgabe, die sie ein wenig über das hinwegbringt, was sie selbst an Schicksalsschlägen hinnehmen musste.«
»Der verstorbene Ehemann war einmal ein ganz schönes Schlitzohr«, bemerkte der Bankier. »Nehmen Sie es mir nicht übel, dass ich das sage.«
»Davon wusste sie nichts, und dafür konnte sie nichts. Sie hat nur die Lasten davonzutragen«, sagte Dr. Norden. »Ich kann nur sagen, dass Sie bestimmt keine bessere Hausdame finden werden.«
»Gut«, sagte Robert Thomasson, »ich nehme Sie beim Wort.«
Und so war Gisela Röttgen engagiert. Der Bankier machte sie mit seiner Familie bekannt. Zuerst natürlich mit seiner Mutter. Helena Thomasson war eine große hagere Frau, nur leicht gebückt, obgleich sie doch viele Lebensjahre auf den Rücken trug. Sie sah streng aus, und Gisela musste durchdringenden Blicken standhalten.
»Einverstanden«, sagte Frau Thomasson kurz. »Hoffentlich kommen Sie mit den Kindern zurecht, Frau Röttgen.«
Da begegnete Gisela gleich drei misstrauischen Augenpaaren. Dirk war fünfzehn, hoch aufgeschossen, mager und hohlwangig. Viele Sommersprossen zierten sein Gesicht, und sein brandrotes struppiges Haar hätte einen guten Schnitt vertragen können. Aber Gisela wusste aus Erfahrung, wie schwierig Jungen in diesem Alter waren. Dann kam Deborah, die Debbie genannt wurde. Nina hatte den Namen schick gefunden und durchgesetzt, dass die Tochter so genannt wurde. Damals hatte ihr Robert Thomasson noch keinen Widerstand entgegengesetzt. Der Name Debbie passte zu dem Mädchen. Sie war zierlich, ziemlich schüchtern, hatte ein herzförmiges, apartes Gesicht, große grüngraue Augen, und versprach einmal sehr hübsch zu werden, wie Gisela feststellte.
Jörg, der Zehnjährige, war ein Pummelchen, pausbäckig, pfiffig, aber er gewann Giselas Herz sofort, weil er ihr so treuherzig zublinzelte, als wollte er sagen, dass er einverstanden sei.
»Wir werden uns kennenlernen und hoffentlich verstehen«, sagte Gisela.
»Können Sie wenigstens anständig kochen?«, fragte Dirk.
»Wir werden es bald ausprobieren«, erwiderte Gisela mutig. »Was wünschen die Herrschaften?«
»Papi soll sagen, was er essen möchte«, warf Jörg rasch ein.
»Ich bin mittags nicht da«, erwiderte der Hausherr. »Die Kinder essen am liebsten Schnitzel, Kartoffelsalat und verschiedene Salate dazu. Meine Mutter äußert ihre Wünsche selbst. Sie wird Ihnen auch die Telefonnummern unserer Lieferanten geben, Frau Röttgen. Sie brauchen nur anzurufen. Es wird ins Haus geliefert.«
»Wenn es erlaubt ist, kaufe ich das Fleisch lieber selbst ein«, sagte Gisela.
»Wir wohnen ziemlich abgelegen«, sagte er, »aber Sie haben ja einen Führerschein. Ein Wagen steht zu Ihrer Verfügung.«
»Die olle Karre«, warf Dirk ein.
»Er ist in Ordnung«, sagte Robert Thomasson streng.
»Hauptsache er fährt«, sagte Gisela. »Wer zeigt mir den Metzger?«
»Ich«, erbot sich Debbie sofort.
»Ich auch«, schloss Jörg sich an.
Robert Thomasson legte ein Bündel Geldscheine auf den Tisch. »Der Kühlschrank muss aufgefüllt werden. Was sonst alles fehlt, weiß ich nicht. Sie werden es schon herausfinden. Ich lasse Ihnen freie Hand, Frau Röttgen.«
»Ich rechne dann wohl am besten wöchentlich ab«, sagte sie.
»Sagen wir monatlich. Der häusliche Kram liegt mir nicht. Ich habe im Beruf nur mit Zahlen zu tun. Hier ist der Wagenschlüssel.« Er verabschiedete sich, nachdem er seine Kinder ermahnt hatte, sich anständig zu benehmen und Frau Röttgen zu zeigen, was notwendig sei.
Die »olle Karre«, wie sie von Dirk bezeichnet worden war, stellte sich als sehr ansehnlicher Mittelklassewagen heraus, wenngleich älteren Modells.
»Unsere letzte Hausdame, die doofe Ziegler, hat den neuen Wagen zu Schrott gefahren«, erklärte Dirk. »Sie war auch eine doofe Ziege. Da hat der Name gestimmt.« Er warf ihr einen schrägen Blick zu. »Hoffentlich sind Sie so, wie Sie aussehen.«
Gisela lächelte. »Ich werde mir Mühe geben. Dann werden wir mal fahren, damit das Essen rechtzeitig auf den Tisch kommt.«
Zu ihrer Überraschung fuhr auch Dirk mit, obgleich er zuerst eine so reservierte Haltung eingenommen hatte.
»Na, Sie können wenigstens Auto fahren. Sie sind keine so hysterische Ziege«, fuhr er gleich in seinen Betrachtungen fort.
»Du sollst nicht dauernd solche Ausdrücke sagen, Dirk«, wurde er von Debbie ermahnt. »Du vergraulst Frau Röttgen ja gleich wieder.«
»So schnell lasse ich mich nicht vergraulen«, sagte Gisela. »Gebt mir vier Wochen Zeit. Wenn ihr dann nicht einverstanden mit mir seid, gehe ich freiwillig. Ich will euch ja nicht auf die Nerven fallen.«
Die Kinder schwiegen staunend. Beim Metzger schauten sie dann ebenso staunend zu, welches Fleisch Gisela verlangte. Und im Feinkostgeschäft wurden Kartoffeln, Gemüse und Obst auch kritisch ausgewählt.
»Die andern haben nie selber eingekauft«, sagte Debbie. »Die waren bequem.«
»Und ich will vorher sehen, was ich auf den Tisch bringe«, sagte Gisela, »außerdem muss man die Preise vergleichen. Und wenn euch mein erstes Essen geschmeckt hat, machen wir einen Plan für die nächste Woche. Einverstanden?«
»Zuerst fragen wir Großmama«, sagte Jörg kleinlaut. »Sie meckert sonst.«
*