Dr. Norden Bestseller 182 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 182 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Als Daniela Bernreiter an diesem kühlen, regnerischen Herbsttag aus dem Büro heimkehrte, sah sie gerade noch einen ihr wohlbekannten Wagen davonfahren. Er gehörte Dr. Daniel Norden. Daniela lief eilends den Gartenweg zu der hübschen kleinen Villa hinauf, die an einem leichten Hang lag, und ihre Hand zitterte, als sie die Tür aufschloß. »Tante Winni«, rief sie ängstlich, »wo bist du?« Die alte Dame erschien in der Küchentür. »Hier bin ich, warum regst du dich auf, Kindchen?« »Weil ich Dr. Nordens Wagen gesehen habe. Ich dachte, dir fehlt etwas.« »Beruhige dich, Kleines«, erwiderte Winni Bernreiter gütig. »Er wird nebenan gewesen sein, bei Möbius. Die junge Frau ist wieder mal zu Hause.« Daniela wohnte erst zwei Wochen bei ihrer Großtante und kannte die Nachbarn noch nicht. Winni Bernreiter sprach auch nicht von ihnen. Daniela war jung, hübsch und gesund, die alte Dame glücklich, sie jetzt bei sich zu haben. Sie war nie verheiratet gewesen, und sie hatte schon ihr ganzes Herz an ihren einzigen Neffen, Danielas Vater, gehängt gehabt, doch der war vor zehn Jahren mit seiner Frau und der damals dreizehnjährigen Daniela ins Ausland gegangen, als ihm eine glänzende Stellung als Chefingenieur geboten wurde. Briefe waren getauscht worden, der Kontakt war nie abgerissen, und vor allem Daniela, die an der lieben Großtante hing, hatte eifrig geschrieben. Ein paarmal hatte Winni Bernreiter auch die einzigen Verwandten, die ihr noch geblieben waren besucht. In Stockholm, dann in Amerika, doch dann war Danielas Mutter gestorben und Heinz Bernreiter hatte sich schnell entschlossen, den Ruf an ein Forschungszentrum in Japan anzunehmen.

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Dr. Norden Bestseller – 182 –

Kann unsere Liebe Sünde sein?

Patricia Vandenberg

Als Daniela Bernreiter an diesem kühlen, regnerischen Herbsttag aus dem Büro heimkehrte, sah sie gerade noch einen ihr wohlbekannten Wagen davonfahren. Er gehörte Dr. Daniel Norden.

Daniela lief eilends den Gartenweg zu der hübschen kleinen Villa hinauf, die an einem leichten Hang lag, und ihre Hand zitterte, als sie die Tür aufschloß.

»Tante Winni«, rief sie ängstlich, »wo bist du?«

Die alte Dame erschien in der Küchentür. »Hier bin ich, warum regst du dich auf, Kindchen?«

»Weil ich Dr. Nordens Wagen gesehen habe. Ich dachte, dir fehlt etwas.«

»Beruhige dich, Kleines«, erwiderte Winni Bernreiter gütig. »Er wird nebenan gewesen sein, bei Möbius. Die junge Frau ist wieder mal zu Hause.«

Daniela wohnte erst zwei Wochen bei ihrer Großtante und kannte die Nachbarn noch nicht. Winni Bernreiter sprach auch nicht von ihnen. Daniela war jung, hübsch und gesund, die alte Dame glücklich, sie jetzt bei sich zu haben. Sie war nie verheiratet gewesen, und sie hatte schon ihr ganzes Herz an ihren einzigen Neffen, Danielas Vater, gehängt gehabt, doch der war vor zehn Jahren mit seiner Frau und der damals dreizehnjährigen Daniela ins Ausland gegangen, als ihm eine glänzende Stellung als Chefingenieur geboten wurde. Briefe waren getauscht worden, der Kontakt war nie abgerissen, und vor allem Daniela, die an der lieben Großtante hing, hatte eifrig geschrieben. Ein paarmal hatte Winni Bernreiter auch die einzigen Verwandten, die ihr noch geblieben waren besucht. In Stockholm, dann in Amerika, doch dann war Danielas Mutter gestorben und Heinz Bernreiter hatte sich schnell entschlossen, den Ruf an ein Forschungszentrum in Japan anzunehmen. Dorthin aber wollte Daniela nicht gehen. Winni war überaus glücklich gewesen, als das Mädchen bei ihr anfragte, ob sie bei ihr wohnen könne, wenn sie eine Stellung in München bekäme.

In einem medizinischen Verlag hatte sie diese schnell gefunden. Für Medizin hatte sich Daniela immer interessiert, ohne sich befähigt gefühlt zu haben, den Arztberuf zu ergreifen. Sie war vielseitig begabt, sprach mehrere Sprachen fließend und hatte schon als Volontärin in einem amerikanischen Verlag ihre Begabung und ihr Wissen unter Beweis gestellt.

Jetzt war Daniela erst einmal froh, ihre geliebte Tante Winni gesund vorzufinden, und auch einen einladend gedeckten Tisch fand sie vor.

»Was fehlt denn dieser jungen Frau, Tante Winni?« fragte sie, als der erste Hunger gestillt war, und da sie, wie schon gesagt, jung und gesund war, kam sie immer hungrig nach Hause.

»Das ist kein Thema beim Essen, Dani«, erwiderte Tante Winni. »Es ist eine traurige Geschichte.«

»Es gibt viele traurige Schicksale«, sagte Daniela leise. »Wir hätten auch nicht gedacht, daß Mama an einem Wespenstich sterben würde.«

Ihr reizvolles Gesicht hatte sich überschattet, und Winni bedauerte, daß nun wieder traurige Erinnerungen geweckt wurden.

»Die junge Frau Möbius ist schon lange krank«, sagte sie. »Schon, seit sie hierhergezogen sind. Das ist jetzt fünf Jahre her. Zeitweise war sie in Kliniken und Sanatorien. Es ist schlimm für Dr. Möbius. Er ist ja auch noch jung. Aber es muß wohl eine große Liebe gewesen sein, daß er sie geheiratet hat, obgleich sie damals schon nicht mehr gesund war.«

Daniela dachte flüchtig an den großen schlanken Mann, der so jung gar nicht mehr aussah, dem sie einige Male begegnet war, wenn sie das Haus verließ.

»Und was fehlt ihr?« fragte sie.

»Es ist wohl ein Gehirntumor. Sie soll jetzt operiert worden sein.«

»Man kann heute viel tun«, sagte Daniela. »Vielleicht wird sie doch wieder gesund, und Liebe soll ja Wunder vollbringen. Gerade heute habe ich wieder eine wissenschaftliche Abhandlung lektoriert, in der sehr ausführlich über Gehirnchirurgie berichtet wurde. Es ist phantastisch, was auf dem Gebiet geleistet werden kann, aber es ist traurig, daß bei solchem medizinischen Fortschritt ein bisher gesunder Mensch an einem Wespenstich sterben muß. Papa wird nie darüber hinwegkommen. Ist immer noch kein Brief von ihm gekommen?«

»Leider nicht, Dani«, erwiderte Winni.

»Vielleicht ist er zu sehr enttäuscht, daß ich ihn nicht begleitet habe«, meinte Daniela. »Aber ich konnte es nicht, Tante Winni. Ich kann nicht in einem Land leben, in dem die Menschen eine so ganz andere Mentalität haben, und viel Zeit hätte Papa doch nicht für mich gehabt. Und dann hätte er doch nur von Mama gesprochen. Ich habe sie geliebt, aber ich kann sie nicht lebendig machen. Alles Grübeln nützt nichts. Ich muß mit meinem Leben allein fertigwerden.«

»Und ich bin sehr glücklich, daß du bei mir bist, mein Liebes. Ich war auch sehr viel allein, ein langes Leben. Jetzt bin ich bald siebzig und…«, sie geriet ins Stocken und versank in Schweigen.

»Warum hast du nie geheiratet, Tante Winni?« fragte Daniela. »Darf ich das fragen?«

»Warum nicht. Der Mann, den ich liebte, war verheiratet. Zu meiner Zeit ließ man sich nicht scheiden, wenn einem jemand anderes besser gefiel. Und dann ist er aus dem Krieg nicht zurückgekommen. Ein Schicksal von unendlich vielen. Ja, wenn es damals schon wie jetzt gewesen wäre, hatte ich ein Kind adoptiert, aber einer alleinstehenden Frau gab man kein Kind. Vielleicht ist auch das gut, denn ich habe ja dich. Als Heinz klein war, hatte ich nicht viel von ihm. Seine Mutter war eifersüchtig.« Sie seufzte. »Du lieber Himmel, wir wollen diese alten Geschichten doch nicht wieder aufwühlen.«

»Ich höre das ganz gern«, sagte Daniela. »Wer weiß, was ich noch alles erleben werde. Papa hat doch immer viel mehr von dir erzählt, als von seiner Mutter.«

Winni ließ ihren Blick in die Ferne schweifen. Sie hatte sich mit ihrer Schwägerin nie besonders gut verstanden. Sie waren zu verschieden gewesen. Aber den Bruder hatte sie sehr geliebt.

»Großpapa kam mir immer vor wie der Nikolaus«, sagte Daniela gedankenverloren, »und deshalb war ich auch gar nicht erstaunt, als Papa sagte, daß er im Himmel sei.« Sie schenkte Winni einen zärtlichen Blick. »Aber ich habe gesagt, daß ich ihm sehr böse sein würde, wenn der Großpapa auch meine liebe Tante Winni mitgenommen hatte.«

»Ich genieße es, dich bei mir zu haben, mein Liebling«, sagte Winni zärtlich. »Ich war nie so glücklich.«

Da kamen Daniela fast die Tränen. »Ich liebe dich auch, Tante Winni«, flüsterte sie.

*

Im Nachbarhaus brannte nur noch in einem Zimmer Licht. Dort saß Dr. Jürgen Möbius mit seinem Schwiegervater. Der Ältere starrte zu Boden.

»Auch das war vergeblich, Jürgen«, murmelte er. »Es ist jetzt noch schlimmer.«

»Dr. Norden sagte, daß man jetzt noch gar nichts sagen kann«, erklärte Jürgen heiser. »Die Operation ist gut verlaufen.«

»Aber wie sieht Carla aus«, sagte Hartmut Steindle leise. »Ich ahnte nicht, daß es so kommen würde, das mußt du mir glauben, Jürgen. Es tut mir in der Seele leid, daß du Carla die besten Jahre deines Lebens opferst.«

Auch für die beiden Männer schien sich die Zeit zurückzudrehen. Vor fünf Jahren hatten sie auch so beisammengesessen, damals in Hartmut Steindles Haus.

»Du kennst Carla jetzt zwei Jahre, Jürgen«, hatte der Ältere gesagt, »würdest du sie heiraten?«

»Ich bin noch nicht mal mit dem Studium fertig«, erwiderte Jürgen an jenem Tag, »und viel bieten könnte ich Carla auch nicht.«

»Liebst du sie?«

»Ich habe sie sehr gern. Sie ist ein sehr nettes Mädchen, sie müßte nur ein bißchen lebensbejahender sein.«

»Wie kann sie das sein. Sie wird nicht mehr lange leben, Jürgen. Drei Ärzte haben es mir bestätigt. Aber für sie wäre es das größte Glück, deine Frau zu werden. Sie liebt dich über alles.«

Jürgen hatte nicht gleich begriffen, was Hartmut Steindle damit sagen wollte. Doch er fuhr schnell fort. »Ich bin ein vermögender Mann. Ich würde dich zu meinem Teilhaber machen. Selbstverständlich beendest du erst dein Studium, aber das wäre kein Hinderungsgrund für eine baldige Heirat. Versteh mich, Jürgen, ich möchte, daß mein einziges Kind noch ein paar Wochen glücklich ist. Dafür wäre mir kein Preis zu hoch. Es ist doch schlimm genug, daß sie ohne Mutter aufwachsen mußte. Mein Gott, wie habe ich gebetet, daß mir wenigstens das Kind erhalten bleibt. Und dann muß ich das auch noch erleben. Ein Gehirntumor, wie bei Renate. Dabei sagt man, daß es nicht erblich sei. Ich weiß, daß ich ein Opfer von dir fordere, aber es wird ein Opfer für kurze Zeit sein und mir dann ein Sohn bleiben, den ich schätze, dem ich alles in die Hände legen kann, wenn auch ich gehen muß, und ich werde dies dann in guten Händen wissen.«

Damals hatte Jürgen ein tiefes Mitgefühl mit der Verzweiflung dieses Mannes gehabt, aber wirklich nur Mitgefühl? An diesem Abend kamen ihm auch andere Gedanken. Ihm war viel geboten worden, sehr viel. Soviel, wie er nur in Jahren harter Arbeit erreichen könnte. Und Carla war ja ein liebenswertes Geschöpf in ihrer Hilflosigkeit. Er hatte immer Mitleid mit ihr gehabt, immer gemeint, sie beschützen zu müssen. Liebe war es nicht gewesen, gewiß nicht. Aber er hatte sie geheiratet und sich der unendlichen Dankbarkeit seines Schwiegervaters sicher fühlen können, die ihm mehr und mehr erwiesen wurde, als Carlas Leben dann doch länger währte. Und im Anfang der Ehe hatte sogar Hoffnung bestanden, daß sie genesen würde. Sie war aufgeblüht, sie wünschte sich ein Kind.

Hartmut Steindle bemühte die ersten Kapazitäten, und einer von diesen meinte, daß eine Schwangerschaft möglicherweise Genesung bringen könnte.

Vor einem Jahr hatte Carla eine Fehlgeburt gehabt, und danach verschlechterte sich ihr Zustand zusehends.

»Ich verstehe nicht, daß man sie nicht früher operiert hat, Papa«, sagte Jürgen. Er schätzte seinen Schwiegervater, er mochte ihm nicht mit Vorwürfen kommen. Er hatte viel Vorteile durch ihn genossen, daß solche verwerflich gewesen wären.

»Ich verstehe es auch nicht, Jürgen, aber jetzt sind sie wohl doch soweit gewesen, daß sie meinten, es sei nichts mehr zu verlieren, nicht mal zu riskieren. Dr. Norden ist diesbezüglich ja sehr zurückhaltend, und man kann es ihm auch nicht verdenken, daß er die Herren Professoren nicht kritisieren will.«

»Er hat mir heute gesagt, daß er von Anfang an keine Hoffnung gehabt hätte«, erklärte Jürgen tonlos. »Aber Carla wollte die Operation. Sie hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, Papa. Was erwartest du von mir?«

»Ich will dich doch nicht erpressen, Jürgen. Du bist zweiunddreißig Jahre. Du hast ein Recht auf dein Leben, auf ein normales Eheleben. Ich werde dafür sorgen, daß Carla in ein gutes Sanatorium kommt.«

Jürgen stand auf. »Nein, das will ich nicht. Sie soll hierbleiben. Sie ist so unendlich tapfer, daß es mich tief erschüttert. Sie hat mich nie gequält, Papa, sie quält nur sich selbst. Ich werde mit Dr. Norden sprechen, daß sie einen Menschen zur Gesellschaft bekommt, der sie aufmuntert. Ich gestehe offen ein, daß es über meine Kraft gehen würde, ständig um sie zu sein, aber sie soll nichts vermissen, was ihr lieb und teuer ist. Maria sorgt für ihr leibliches Wohl, aber damit hat sich’s. Für mehr reicht ihre Kraft auch nicht.«

»Du meinst, daß du durchhalten wirst?« fragte Hartmut Steindle. »Ich schäme mich. Ich bin ein Drückeberger.«

Auch mit ihm hatte Jürgen Mitgefühl. Er wußte, wie dieser Vater litt, der nur in seiner Arbeit noch Vergessen suchte und dem Zusammenbruch schon so oft nahe gewesen war.

»Carla macht es mir leicht, Papa«, sagte Jürgen. »Sie ist liebenswert in ihrem Leid. Ich sage das nicht so hin, um dich zu trösten. Sie hat mir schon mehrmals gesagt, daß ich doch gehen solle, und das gerade bindet mich.«

Hartmut Steindle schluchzte trokken auf. »Du ahnst ja nicht, was du mir damit sagst, mein Junge«, flüsterte er mit erstickter Stimme. »Wie soll ich dir nur danken. Und was immer auch geschieht, Jürgen, ich werde es dir nie vergessen. Ich kann nur noch hoffen, daß du einmal ein wirkliches Glück erleben kannst.«

»Hast du es je erlebt, Papa?« fragte Jürgen dumpf. »Es gibt mehr Menschen auf dieser Welt, denen es nicht beschieden ist, aber deine Freundschaft bedeutet mir sehr viel. Auch ich habe Grund genug, dir dankbar zu sein.«

»Du hättest deinen Weg immer gemacht, Jürgen«, sagte Hartmut Steindle leise.

*

»Ich kann diesen Möbius nur bewundern«, sagte Dr. Norden zu seiner Frau. »Er will seine Frau tatsächlich zu Hause behalten. Es dürfte nur einige Schwierigkeiten bereiten, die richtige Pflegerin zu finden.«

»Ich werde mich umhören«, sagte Fee sofort. »Aber frag doch auch mal Frau Bernreiter. Sie hat doch einige Jahre freie Schwestern vermittelt.«

»Jetzt lebt sie nur für ihre Großnichte«, sagte Daniel. »Und es ist ihr zu gönnen.«

»Aber fragen kostet nichts, Daniel. Und du bist doch nun sowieso jeden Tag im Nachbarhaus.«

»Was nicht gerade leicht ist, Fee«, sagte er leise. »Es ist ein Jammer. Sie ist ein so liebes Menschenkind und er ist ein so netter Mann. Da kann ich wirklich nur sagen, möge Gott ihr einen noch längeren und schmerzhaften Leidensweg ersparen. Steindle wird es auch nicht mehr lange machen, wenn es so weitergeht. Man muß sich das mal vorstellen. Seine einzige Tochter heiratet mit zwanzig Jahren und schon beginnt das Kreuz.«

»Hat es nicht schon vorher begonnen, Daniel?« fragte Fee

»Du denkst doch nicht etwa, daß Steindle wußte, daß seine Tochter krank ist?«

Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht wußte es Möbius auch. So was kommt doch nicht von heute auf morgen.«

»Möbius ist nicht der Mann, der sich nur Vorteile verschaffen wollte«, sagte Daniel ruhig. »Dem Mann kann man nichts nachsagen. Fünf Jahre hat er das durchgehalten, Fee, und in welcher Haltung.«

»Ich sage ja nichts gegen ihn, aber er wäre nicht der erste Mann, der eine Frau aus Mitleid geheiratet hat. Das bringen nur charakterlose Männer fertig, aber immerhin wurde er auch zum Teilhaber eines reichen Schwiegervaters.«

»Es wird also geklatscht«, sagte Daniel ironisch.

»Manches kann man nicht überhören, mein Schatz. Vor allem dann nicht, wenn die Gröbel ihren armen Chef Dr. Möbius so bedauert, daß der ganze Friseursalon es hören muß. Und eine gewisse Frau Jackscha tutet mit in ihr Horn, und die bedauert Herrn Steindle ebenso. Zwei begehrte Männer, wie mir scheint.«

»Aber doch sehr peinlich, wenn sie es ausposaunen«, meinte Daniel.

»Wenn man sich das Mäntelchen der Nächstenliebe umhängt, findet man Gehör. Aber auf solche Nächstenliebe kann man pfeifen. Ich war stocksauer.«

»Aber du mischst dich doch da nicht ein, Fee?«

»Ich koche und schweige, selbst wenn man andeutet, daß der Dr. Norden da doch informiert sein müßte, wo er doch im Haus ein und aus geht.«

»Ja, dann kann ich dir nur empfehlen, mal nicht mehr zum Friseur zu gehen, oder in die Stadt zu fahren«, sagte Daniel.

»Worauf du dich verlassen kannst. Aber die beiden Männer können einem auch noch zusätzlich leid tun.«

Doch diesbezüglich wußten sich beide ihrer Haut zu wehren. Dr. Jürgen Möbius sah anderntags seine Sekretärin Ruth Gröbel konsterniert an, als sie ihm im sanftesten Ton ihr tiefes Bedauern ausdrückte, daß der Zustand seiner Frau sich nicht gebessert hatte.

»Woher wollen Sie das wissen, Frau Gröbel?« fragte er so schokkiert, daß es ihr zu denken geben müßte.

»Zufällig ist meine Schwester Assistenzärztin in der Neurochirurgischen Klinik«, erwiderte sie.

Seine Augenbrauen schoben sich zusammen.

»Würden Sie bitte Ihre Schwester an ihre Schweigepflicht erinnern«, entgegnete er unwillig.

Dann hatte er ein kurzes Gespräch mit seinem Schwiegervater, und am Nachmittag bekam Ruth Gröbel den Bescheid, daß sie in ein anderes Büro versetzt worden sei. Sie konnte nachdenken, was der Grund sei. Sie erklärte beleidigt, daß sie dann kündigen würde.

»Das steht Ihnen frei«, sagte Jürgen Möbius kühl. Für ihn war diese Angelegenheit erledigt.

*

Dr. Norden fuhr am Abend zu Carla Möbius, um ihr die Injektion zu geben, die ihr wenigstens zu einer halbwegs ruhigen Nacht verhelfen sollte.

Sie ließ geduldig alles über sich ergehen. Sie bot einen so jammervollen Anblick, daß Dr. Norden sie kaum anschauen konnte. Er war ein mitfühlender Arzt, er konnte nicht alles abschütteln, wie so mancher andere.

Carla klagte nicht. Sie sagte überhaupt nicht viel. Das Augenlid an der linken Seite, an der sie operiert worden war, hing herunter, das andere erschien übergroß. Als Dr. Norden sie kennengelernt hatte, war sie zumindest noch schattenhaft als einstmals hübsches Mädchen zu erkennen gewesen. Er hatte ein zartes Gesicht, umgeben von kastanienbraunem Haar in Erinnerung. Jetzt bedeckte nur noch ein Haarflaum ihren winzig gewordenen Kopf. Man sah die lange Narbe, die sich durch ihren Schädel zog, die das ganze Gesicht schief erscheinen ließ.

»Dauert es noch lange?« fragte sie, und Dr. Norden erschrak.

»Was meinen Sie, Frau Möbius?« fragte er.

»Es ist doch alles vergeblich. Wozu die teuren Spritzen!«

»Es wird noch dauern, bis sich ein Erfolg einstellt«, sagte er.

»Meinen Sie nicht, daß fünf Jahre schon zuviel sind?« fragte sie stokkend.