Dr. Stefan Frank 2469 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2469 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Im falschen Leben - Bei der Geburt waren die beiden Freundinnen vertauscht worden


Wann immer Krankenschwester Heike an den August vor vier Jahren zurückdenkt, beschleicht sie ein fürchterlich schlechtes Gewissen. Damals hat sie in einer Kurzschlussreaktion eine furchtbare Tat begangen: Sie hat zwei neugeborene Mädchen miteinander vertauscht. Bis heute wissen die betroffenen Familien nicht, dass sie statt ihrer leiblichen Töchter ein "fremdes" Kind großziehen.

Dabei war es keinesfalls böse Absicht, die Heike seinerzeit zu dieser Tat getrieben hat. Nein, sie wollte tatsächlich etwas Gutes bewirken. Als sie dann ihren Fehler einsah, war es in ihren Augen zu spät, um alles wiedergutzumachen. Als Preis dafür sind ihr große Schuldgefühle geblieben, die schwer auf ihrem Leben lasten.

Als Schwester Heike vor ihrem Hausarzt Dr. Stefan Frank sitzt, erfasst dieser auf einen Blick, dass seine Patientin unter einem großen Kummer leidet. Behutsam versucht er, nachzuforschen, was sie bedrückt - leider vergebens. Die Frau bleibt verschlossen.
Bei einem weiteren Besuch in seiner Praxis bricht dann plötzlich doch alles aus Heike heraus. Dr. Frank ist zunächst fassungslos, als die Krankenschwester ihr Geständnis abgelegt hat. Aber er weiß auch: Es gibt nur eines, was man jetzt tun kann ...

***

Dr. Stefan Frank - dieser Name bürgt für Arztromane der Sonderklasse: authentischer Praxis-Alltag, dramatische Operationen, Menschenschicksale um Liebe, Leid und Hoffnung. Dabei ist Dr. Stefan Frank nicht nur praktizierender Arzt und Geburtshelfer, sondern vor allem ein sozial engagierter Mensch. Mit großem Einfühlungsvermögen stellt er die Interessen und Bedürfnisse seiner Patienten stets höher als seine eigenen Wünsche - und das schon seit Jahrzehnten!

Eine eigene TV-Serie, über 2000 veröffentlichte Romane und Taschenbücher in über 11 Sprachen und eine Gesamtauflage von weit über 85 Millionen verkauften Exemplaren sprechen für sich:

Dr. Stefan Frank - Hier sind Sie in guten Händen!

Jede Woche erscheint eine neue Folge.
Alle Folgen sind in sich abgeschlossen und können unabhängig von den anderen Folgen der Serie gelesen werden.


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Seitenzahl: 124

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Inhalt

Cover

Impressum

Im falschen Leben

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Petrenko Andriy/shutterstock

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7153-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Im falschen Leben

Bei der Geburt waren die beiden Freundinnen vertauscht worden

Wann immer Krankenschwester Heike an den August vor vier Jahren zurückdenkt, beschleicht sie ein fürchterlich schlechtes Gewissen. Damals hat sie in einer Kurzschlussreaktion eine furchtbare Tat begangen: Sie hat zwei neugeborene Mädchen miteinander vertauscht. Bis heute wissen die betroffenen Familien nicht, dass sie statt ihrer leiblichen Töchter ein „fremdes“ Kind großziehen.

Dabei war es keinesfalls böse Absicht, die Heike seinerzeit zu dieser Tat getrieben hat. Nein, sie wollte tatsächlich etwas Gutes bewirken. Als sie dann ihren Fehler einsah, war es in ihren Augen zu spät, um alles wiedergutzumachen. Als Preis dafür sind ihr große Schuldgefühle geblieben, die schwer auf ihrem Leben lasten.

Als Schwester Heike vor ihrem Hausarzt Dr. Stefan Frank sitzt, erfasst dieser auf einen Blick, dass seine Patientin unter einem großen Kummer leidet. Behutsam versucht er, nachzuforschen, was sie bedrückt – leider vergebens. Die Frau bleibt verschlossen.

Bei einem weiteren Besuch in seiner Praxis bricht dann plötzlich doch alles aus Heike heraus. Dr. Frank ist zunächst fassungslos, als die Krankenschwester ihr Geständnis abgelegt hat. Aber er weiß auch: Es gibt nur eines, was man jetzt tun kann …

4 Jahre zuvor

Jessica Krawitz war inzwischen sogar zu erschöpft, um zu weinen. Die junge Frau lag teilnahmslos da und zuckte nur noch benommen unter den wellenartigen Schmerzen zusammen. Ihr Gesicht war sonderbar glänzend und fahl.

Schwester Heike sah sorgenvoll zu der diensthabenden Hebamme hinüber. Heike hatte schon vor einer halben Stunde behutsam vorgeschlagen, endlich den Arzt zu informieren, doch die Hebamme hatte gezögert – aus verständlichen Gründen. Der Chirurg, mit dem sie üblicherweise zusammenarbeiteten, war krank. Statt seiner hatte heute der unerfahrene und blutjunge Dr. Fäustle die Hoheit über die OP-Säle.

Es würde sein erster eigenständiger Kaiserschnitt sein. Aber besser ein Noteingriff durch einen Anfänger als eine Frau, die im Kreißsaal ihr Baby verlor. Der Geburtsvorgang dauerte inzwischen einfach zu lange an, und die junge Frau war am Ende ihrer Kräfte.

„Schwester Heike?“ Die Hebamme wischte sich über die schweißnasse Stirn. Offenbar war sie zu dem gleichen Schluss gekommen wie die Krankenschwester. „Informieren Sie bitte den Chirurgen? Und lassen Sie den OP-Saal vorbereiten. Es ist bislang noch kein Notfall. Aber wenn wir noch länger warten, könnte es bald einer sein.“

In fliegender Hast rannte Schwester Heike über die Krankenhausflure. OP 1 war belegt, hier fand in nicht einmal einer halben Stunde ein angemeldeter Kaiserschnitt statt. Es war eine der teuren Chefarztbehandlungen, und schon deshalb würden die Kollegen den Eingriff nicht verschieben. Dabei konnte man dieses Kind eigentlich auch später holen.

Anders sah es bei ihrer Patientin Jessica Krawitz aus. Es bestand Gefahr für das Leben des Kindes und das der Mutter. Das Baby musste endlich geholt werden, und zwar bald. Dass für die Kassenpatienten nur der linkische und chronisch überforderte Dr. Fäustle zur Verfügung stand, der noch nie alleine einen Kaiserschnitt ausgeführt hatte, machte das Ganze nicht besser.

Was für eine traurige Ankunft in dieser Welt! Das kleine Mädchen wurde von einer Mutter empfangen, die augenscheinlich gänzlich außerstande war, ein Kind zu erziehen.

Diese Jessica Krawitz hatte mit ihren gerade mal einundzwanzig Jahren schon den dritten Drogenentzug hinter sich. Sie wohnte in einer schäbigen Sozialwohnung am äußersten Stadtrand Münchens. Nichts hatte sie aus ihrem Realschulabschluss gemacht, sondern war arbeitslos, arm und ohne Perspektive geblieben.

Und nun bekam sie ein Kind, ohne einen Vater dazu präsentieren zu können. Gut, sie hatte ihren älteren Bruder Henri als moralische Unterstützung dabei. Aber auch er stammte aus dem gleichen Elternhaus wie seine Schwester.

Beide Geschwister waren vom Vater geschlagen und von der Mutter vernachlässigt worden. Soweit Schwester Heike informiert war, war auch Henri zurzeit arbeitslos und schlief in Obdachlosenunterkünften. Weil er kein Blut sehen konnte, tigerte er seit Stunden unruhig auf dem Raucherbalkon herum und war keine besonders große Hilfe.

Heike hatte inzwischen den nötigen Anruf getätigt. OP 2 wurde vorbereitet. Sie hastete zurück in den Kreißsaal.

Auf dem Weg kam sie an dem Bett der anderen Mutter vorbei. Die Privatpatientin Viktoria von Bodenstett lag mit pfirsichfarbenen Bäckchen strahlend in ihrer weißen Bettwäsche und wartete darauf, ihr Traumkind endlich an ihren Busen drücken zu dürfen. Auch sie erwartete – wie die verlorene Seele Jessica Krawitz – ein kleines Mädchen. Aber wie unterschiedlich sahen die Startbedingungen der zwei Kinder aus!

Während Jessica Krawitz vermutlich noch nicht einmal einen Kinderwagen besaß, wartete auf Viktorias Tochter eine riesige Villa in einem der vornehmsten Viertel von München. Ein liebevoller Kindsvater stand treu am Bett seiner Frau, und wahrscheinlich gab es auch schon den Kindergartenplatz und die Zusage einer mehrsprachigen Eliteschule.

Abgehetzt erreichte Schwester Heike die Hebamme.

„Wir können Frau Krawitz fertig machen. Dr. Fäustle bereitet sich auf den Eingriff vor!“, stieß sie atemlos hervor.

Die übermüdete Hebamme nickte verbissen. Überhaupt war die Stimmung im Kreißsaal angespannt und leicht aggressiv. Es machte keinen Spaß, Kindern ohne Perspektive den Weg hinaus ins Freie zu bahnen.

„Sind Sie im OP-Saal dabei, Schwester Heike?“, fragte die Hebamme. Sie würde ab sofort an den Arzt übergeben.

Schwester Heike nickte. Sie fühlte sich persönlich verantwortlich für das ungeborene Kind von Jessica Krawitz. Das Schicksal des kleinen Mädchens erinnerte sie an ihr eigenes Schicksal.

Auch Schwester Heike war in einer Familie aufgewachsen, in der eigentlich kein Platz für Kinder gewesen war. Die Mutter war ständig betrunken gewesen. Der Vater hatte das Geld bei Fußballwetten auf den Kopf gehauen und seinen Zorn an der Familie ausgelassen. Nie hatte jemand Schwester Heike in den Arm genommen. Nie hatte jemand sie ermutigt, etwas aus ihrem Leben zu machen.

Wie gerne wäre sie Psychologin oder Sozialpädagogin geworden! Wie gerne hätte sie anderen Menschen beruflich geholfen. Aber nein, nein, nein! Die Mutter hatte sie früh aus der Schule genommen, und so war Schwester Heike nur eine unterbezahlte Arzthelferin geworden. Sie hatte es ihrem eigenen Fleiß zu verdanken, dass sie es schlussendlich bis zur OP-Schwester geschafft hatte.

Aber damit war das Ende der Fahnenstange auch schon erreicht. Beruflich gab es nichts mehr, was sie ansteuern konnte. Hätten ihre Eltern sich nur ein bisschen um sie gekümmert, dann wäre Heike jetzt die Chirurgin auf der Station. Dann müsste sie nicht die Assistentin dieses jungen und unfähigen Dr. Fäustle spielen, dem die Angst ins Gesicht geschrieben stand.

Als Jessica Krawitz kurz darauf in den OP-Saal geschoben wurde, wurde Viktoria von Bodenstett just in den OP-Saal nebenan gerollt. Für eine winzige Sekunde sahen sich die zwei ungleichen Mütter in die Augen. Der Moment war zu kurz, um ein müdes „Hallo“ zu murmeln. Schon waren die Patientinnen mit ihren jeweiligen Ärzten verschwunden.

Als Schwester Heike nur einen gefühlten Wimpernschlag später das Neugeborene von Jessica Krawitz nach nebenan brachte, um das Baby zu wiegen, zu waschen und anzukleiden, war ihre Kollegin Britta bereits dort. Sie hielt das Baby von Viktoria von Bodenstett im Arm und legte das Kind gerade sachte auf die Waage.

Verblüfft ließ Schwester Heike die Luft aus ihren Lungen entweichen. Offenbar fiel es aber auch Schwester Britta sofort auf.

„Die sehen ja aus wie Zwillinge!“, sagte sie verdutzt, und ihr Blick wanderte fasziniert von dem einen kleinen Mädchen zum anderen.

Schwester Heike biss sich auf die Unterlippe. Das Baby in ihrem Arm sah sie mit zusammengekniffenem Mündchen an. Vermutlich ahnte es, was für schlechte Karten das Leben für es vorbereitet hatte.

„Du Glückspilz!“, murmelte Schwester Britta und streichelte dem Mädchen, das vor ihr lag, zärtlich über den Flaum seines Kopfes. „Du wirst von deinen reichen Eltern auf Rosen gebettet. Aber ich bin nicht neidisch. Ich hatte auch eine herrliche Kindheit!“

Der Kommentar versetzte Schwester Heike einen Stich. Wie ungerecht das Schicksal doch war! Zwei Mädchen waren hier in diesem Raum, die beide auf die gleiche Art und Weise das Licht der Welt erblickt hatten. Beide waren im selben Moment auf diese Erde geschlüpft. Und doch schien bereits alles vorgezeichnet.

Die Tochter der von Bodenstetts würde ein glückliches und sorgloses Leben führen. Sie würde nie ahnen, was es bedeutete, nicht gewollt oder gar lästig zu sein. Sie würde mit Liebe und Zuneigung überschüttet werden. Nie würde es ihr an irgendetwas fehlen.

Und die kleine Tochter von Jessica Krawitz? Wahrscheinlich würden Besuche des Jugendamts zu ihren frühesten Kindheitserinnerungen gehören. Schläge und Desinteresse würde normal für sie sein. Nie würde sie erfahren, was es hieß, bedingungslos geliebt zu werden.

Das linke Augenlid von Schwester Britta begann gefährlich zu zittern. Das war ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie jeden Moment einen ihrer berühmt-berüchtigten Niesanfälle bekommen würde. Eilig entfernte sie sich von dem Tisch mit dem Baby in der Waage und verzog sich in die Ecke des Raums. Sie drehte ihrer Kollegin Heike den Rücken zu, und im nächsten Moment durchbrach ihr lautes Hatschi! die Stille.

Viermal wiederholte sich das altbekannte Spiel. Und jedes Mal schnappte Schwester Britta hörbar nach Luft und rang nach Atem.

Schwester Heike wusste gar nicht, wie ihr geschah. Es war, als würde eine fremde Macht sie leiten. In diesem winzigen Augenblick kam ihr das ganze Elend von Jessica Krawitz’ unschuldigem Baby einfach nur völlig gemein und herzlos vor. Sie dachte also gar nicht darüber nach.

Wie ferngesteuert nahm sie das Mädchen aus der Waage und legte es rasch auf den Tisch. Dann bettete sie Jessica Krawitz’ zierliches Kind in die Schale. Noch bevor Schwester Britta das letzte Mal laut geniest hatte, hatte Heike das andere Kind schon in ein Tuch gewickelt. Sie wiegte es, schockiert über sich selbst, stumm im Arm.

Ganz sicher würde Schwester Britta den Tausch sofort bemerken. Aber zu Schwester Heikes großer Überraschung passierte – nichts. Britta zog lediglich verblüfft die Augenbrauen zusammen, weil sie ein falsches Gewicht in den Unterlagen notiert hatte. Wie es schien, war das Baby ein paar Gramm leichter.

„Du süße Maus!“, summte sie dann, während sie den Platz frei machte für Heike und das vermeintliche Kind von Jessica Krawitz. „Es muss schön sein, als Prinzessin geboren zu sein!“

Britta werkelte noch ein paar Minuten im Raum herum und befestigte das rosarote Namensetikett am Babybettchen.

„Grazia-Patrizia? Na, wenn das mal nicht ein vielversprechender Name ist! Aus solchen Frauen werden Filmstars, Schönheitsköniginnen oder Models. Oder was meinst du, Heike?“

Die Kollegin zwinkerte Heike schelmisch zu. Sie machten sich manchmal lustig über die hochtrabenden Namen der Kinder.

Heike hatte Mühe, ein Lächeln vorzutäuschen. Schon jetzt bereute sie, was sie getan hatte. Ja, für das Kind von Jessica Krawitz öffnete sich jetzt eine Tür. Es war die Tür in eine vielversprechende, glorreiche Zukunft. Aber was hatte sie dem anderen Kind damit angetan?

Die leibliche Tochter der von Bodenstetts war nun dazu verdammt, ein liebloses, ärmliches Leben zu fristen. Ein dicker Kloß entstand in Schwester Heikes Hals. Wie hatte sie nur so kopflos handeln können?

„Britta?“ Heikes Stimme klang brüchig und klein. Die Tränen stiegen ihr in die Augen.

„Gleich!“, sagte Britta. „Ich bringe unsere zukünftige Miss Germany nur rasch zu ihren Eltern. Bestimmt hat der stolze Vater längst sein neues Smartphone für die ersten Babybilder gezückt!“ Mit diesen Worten entschwand sie eilig nach draußen.

Stumm starrte Heike das kleine Bündel in ihren Armen an. Sie wusch das Kind, wog es und maß seine Größe. Sorgfältig trug sie die Daten ein. Dann legte sie das Mädchen vorsichtig in das fahrbare Babybett. Es wurde Zeit, die Kleine endlich der Mutter zu bringen.

„Minnie“, stand auf dem Etikett. Seit wann war es erlaubt, Kinder nach Disneyfiguren zu benennen? Minnie. Das klang klein und maushaft und nicht nach einem großen Schatz. Schon mit dem Namen schien sich das Schicksal des Kindes erfüllt zu haben.

Mit schuldbewusster Miene sah Schwester Heike das Mädchen an. So schnell wurde man von einer zukünftigen Diva zur Maus herabgesetzt. So schnell wurde einem der goldene Löffel aus dem Mund gerissen.

Das schlechte Gewissen lastete schwer und drückend auf Heikes Schultern. Aber was sie getan hatte, war geschehen. Längst hielten die von Bodenstetts ihre vermeintliche Tochter in ihren Händen.

Also wischte sie sämtliche unangenehmen Gedanken grob beiseite. Es war, wie es nun mal war. Jetzt war es zu spät, es rückgängig zu machen. Würde sie jetzt Alarm schlagen, dann würde sie ihre Stelle verlieren. Denn wie sollte sie den Tausch schlüssig erklären?

Also schob sie das Bett endlich in Jessica Krawitz’ Zimmer hinein. Das Gesicht der jungen Frau war verquollen und rot. Sie schien bis zur Erschöpfung geweint zu haben. Ihr Bruder Henri stand verloren am Fenster. Im Zimmer roch es nach kaltem Rauch.

Als Schwester Heike Jessica Krawitz das Baby überreichte, passierte etwas Sonderbares mit ihrem Gesicht. Tiefe Liebe und Zärtlichkeit schienen sich darin zu spiegeln. Die Hoffnungslosigkeit wich sichtlichem Stolz. Jessica Krawitz begann zu lächeln.

„Ach, Minnie!“, murmelte die junge Mutter beglückt. „Ich verspreche dir hoch und heilig, mein Leben zu ändern!“

***

4 Jahre später

Schwester Martha klopfte und streckte den Kopf zur Tür herein. Fragend sah Dr. Frank zu ihr hinüber.

„Die Frau wäre dann da!“, flüsterte Martha Giesecke bedeutungsschwanger. „Ick habe Ihnen doch gesagt, det kurzfristig eine Mutter mit ihrer Tochter vorbeischauen wollte.“

Stefan Frank runzelte die Stirn. Für einen Moment stand er auf der Leitung. Schwester Martha seufzte gequält angesichts seiner Begriffsstutzigkeit. Sie betrat das Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.

„Es geht um det Gutachten, Dr. Frank!“, erinnerte ihn die gebürtige Berlinerin. „Die Kindergärtnerin hat den Verdacht geäußert, det die Mutter ihre Tochter schlägt. Und jetzt müssten Sie det bestätigen oder det Gegenteil beweisen.“

Der Hausarzt seufzte. Nun erinnerte er sich. Die Mutter hatte ziemlich aufgelöst bei ihm angerufen. Offenbar hatten die blauen Flecken auf dem Oberarm ihrer Tochter im Kindergarten für Misstrauen gesorgt. Eine der Kindergärtnerinnen hatte ihr unterstellt, ihre Tochter zu schlagen.

Nun war es an Dr. Frank, den Sachverhalt zu begutachten und eine Entscheidung zu fällen. So oder so war es ein unangenehmer Termin. Er hoffte nur, dass es falscher Alarm war. Es war nicht schön, eine Kindsmisshandlung zur Anzeige zu bringen. Wenn das der Fall war, war er verpflichtet, das Jugendamt zu informieren.

„Bringen Sie die beiden zu mir!“, bat Stefan. „Ist auch der Vater des Kindes dabei?“

Martha Giesecke schüttelte bedrückt den Kopf.

„Ick glaube, die Frau ist alleinerziehend.“ Sie verschwand, und kurz darauf betrat eine blasse, unglücklich wirkende Frau das Zimmer. Ihre Haare waren strähnig und ungekämmt. Der Farbton ihrer Haut wirkte blässlich. Sie hatte graublaue Augenringe. Allein der Anblick löste Mitleid bei Dr. Frank aus.

Direkt hinter ihr trippelte ein etwa vierjähriges bezauberndes Mädchen ins Zimmer. Das Kind war bildhübsch und niedlich. Sofort schloss Dr. Frank die Kleine ins Herz.

Er schüttelte der müden Mutter die Hand und beugte sich zu dem Kind hinunter.

„Na, meine Kleine? Wie heißt du denn?“

Das Mädchen lächelte.

„Grazia-Patrizia!“, sagte sie mit unverkennbarem Stolz in der Stimme. „Ich bin nämlich schon vier!“

„Dann müssen Sie Frau von Bodenstett sein? Willkommen in meiner Praxis!“, wandte sich Dr. Frank an die junge Frau.