Kreditinferno - Stefan Frank - E-Book

Kreditinferno E-Book

Stefan Frank

4,6

Beschreibung

Europa im 21. Jahrhundert: Staaten und Banken bilden ein Syndikat. Sie sind beide bankrott, aber sie tun so, als hätte einer von ihnen Geld, das er dem anderen leihen kann - damit die Bürger nicht rebellieren. Immer wieder werden Euros nachgedruckt, immer mehr. Warum ist es trotzdem niemals genug? Wie hängen Boom und Krise, Inflation und Deflation zusammen? Ist das Geldsystem bloß eine Fata Morgana? Stefan Frank beantwortet die Frage, ob der Euro schon jetzt am Ende ist.

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Für meine Mutter Ursula (1942 – 2009)

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Tragik der Allmende: Warum die Banken »gierig« sind und der Euro nicht funktioniert

Zockende Wölfe: Das Reden über die Krise

Der Mythos des »Kaputtsparens«

Wie das Banksystem Boom und Krise produziert

Das Teilreservesystem

Die Bankgeldschöpfung

Moneyness: Die große Fata Morgana

DerBank Run, gestern und heute

Deflation, Inflation und Reflation

Exkurs: Club der toten Ökonomen – was wir von Kopernikus über Inflation lernen können

Zins und Konjunkturzyklus

Auslandsverschuldung – der geborgte Boom

Die Schuldenkrise und ihre Ära

Das Schuldenprivileg

Woher kommt das Geld? Und wer sind die Gläubiger?

Das Zeitalter der Schuldenkrisen

»Wandernde Blasen« und »Ansteckung«

Wie viele Schulden sind zu viel?

Währungsunionen und Währungsanker: Warum sie oft scheitern

Feste Wechselkurse und Krise

Argentinien: Erst feste Wechselkurse, dann Staatsbankrott

Die Lehren des argentinischen Experiments

Die Euroblase

Liquidität ohne Grenzen: Die Eurokrise

Griechenland

Spanien

Italien

Frankreich

Handel, Währung, Wettbewerb: Wo ist das Problem?

Abwertung durch Inflation fördert nicht die Konkurrenzfähigkeit

Warum man Abwertungen aber nicht um jeden Preis vermeiden soll

Unterproduktion: Nicht zu teuer, sondern zu wenig

Der Konsument, das unbekannte Wesen. Ein Märchen aus der neueren Zeit

Big Oil

Der Staat und seine Banken

Ponzi und sein Bruder: Wie Staaten Zahlungsfähigkeit vorgaukeln

Basel-II-Syndrom: Das eingebildete Eigenkapital der Banken

Antiautoritäre Bankenerziehung

Hat Basel III die Staatsschuldenkrise begünstigt?

200 Jahre Keynesianismus

Was kann noch schlimmer werden?

»Währungsmanipulation«

Staatsschuld und Preiskontrollen

Der »Europäische Stabilitätsmechanismus«

Das Zeitungsorakel warnt: Warum Sie auf keinen Fall Ihr Papiergeld gegen Gold tauschen sollten

Schlusswort

Bildnachweis

Impressum

Einleitung

Vorweg gesagt, es gibt keinen Grund zur Sorge, denn: »Spanien ist nicht Griechenland« (Elena Salgado, Spaniens Finanzministerin, Februar 2010); »Portugal ist nicht Griechenland« (»The Economist«, April 2010); »Griechenland ist nicht Irland« (George Papaconstantinou, Griechenlands Finanzminister, November 2010); »Spanien ist weder Irland noch Portugal« (Elena Salgado, November 2010); »Irland befindet sich nicht auf griechischem Territorium« (Irlands Finanzminister Brian Lenihan, November 2010); »Weder Spanien noch Portugal sind Irland« (Angel Gurria, Generalsekretär der OECD, November 2010); »Italien ist nicht Spanien« (Ed Parker, Direktor der Ratingagentur Fitch, Juni 2012); »Spanien ist nicht Uganda« (Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy, Juni 2012) und »Uganda will nicht Spanien sein« (Ugandas Außenminister Henry Okello Oryem, Juni 2012). Diese Zitate, die der Investmentbanker Alex Banbury von Hamilton Capital zusammengestellt und an die Presse geschickt hat, zeigen, wie die Hauptakteure der Eurokomödie denken: »Meine Finanzlage ist schlimm, aber verwechseln Sie das bitte nicht mit der Krise der anderen.«

Auch was die Strategien angeht, kann man, wenn man alle Aussagen auswertet, die europäische Spitzenpolitiker in den letzten Jahren gemacht haben, bestimmte Muster erkennen. Eine Lösung der Probleme erhoffen sie sich von:

a) Visionen und Ehrgeiz

b) mutigen Reformen

c) der Zeit (denn sie heilt alle Wunden)

d) Deutschland

e) China

f) mehr Europa

g) Wachstum und Innovation

h) einem Wunder

Da alle europäischen Krisenstaaten mit Ausnahme Griechenlands katholisch sind und in Anbetracht der bemerkenswerten Marienerscheinungen, die sich in solchen Ländern immer wieder ereignen, hat Antwort h) wohl am meisten für sich. Die oft zu hörenden psychologisch-esoterischen Anleitungen andererseits zeugen davon, dass der Bankrott von Europas Staaten und Banken vor allem als Glaubenskrise wahrgenommen wird, als eine Insolvenz der Hoffnung.

Während die erste Grundweisheit des Rheinischen Buddhismus – »Et kütt, wie et kütt« – auch in Zukunft ihre Gültigkeit behalten wird, scheint dies für die zweite – »Et hätt noch immer joot jejange« – nicht mehr uneingeschränkt zu gelten. Viele erhoffen sich Rettung von mehr blindem Vertrauen: Man solle doch jetzt endlich große Schritte machen, in welche Richtung auch immer. Diese Reaktion ist ein antrainierter Reflex: Während des schuldenfinanzierten Booms in Südeuropa schien Naivität der Garant des Glücks zu sein. Hätte das nicht so weitergehen können? War es das Obst vom Baum der Erkenntnis, das uns die Plagen eingebrockt hat? Muss man das Reich des ewigen Kredits empfangen wie ein Kind, wenn man hineinkommen will?

»Warum haben wir davon nichts gewusst?«, fragten viele in aller Unschuld, als sich 2008 nicht mehr leugnen ließ, dass die Bankenkrise, mit der man es zu tun hatte, die Folge einer gigantischen Kreditblase war. Die Antwort muss der so Fragende in sich selbst suchen: vielleicht aus Gleichgültigkeit oder aus blindem Glauben an den Staat. Würde es Probleme geben, würden die Regierung und die Notenbank es uns wissen lassen, war die vorherrschende Denkungsart. Sagen diese Institutionen, dass alles in Ordnung sei, glauben es die, die glauben wollen. Sagen sie, dass sie weiter Geld ausgeben sollen, tun sie es. Sagen sie, dass »Rezessionen« durch »schlechte Stimmung« und »mangelndes Verbrauchervertrauen« entstehen, sollten sie also lieber gut gelaunt sein und keine Fragen stellen. Solange die Zinsen niedrig bleiben und die Regierung für sie ihr Geld ausgibt, kann nichts anbrennen.

So weit die verbreitete Einstellung. Natürlich waren bei weitem nicht alle naiv. Darum entstand in den letzten Jahren eine Kassandra-Theorie: Es wurde der Eindruck erweckt, als wäre das Wissen über die Krise, zu der der von Politikern und Notenbanken eingeschlagene Weg notwendigerweise führen musste, eine Geheimlehre, in die nur wenige Auserwählte (sogenannte Crash-Propheten) eingeweiht gewesen wären. Die Wahrheit ist, dass man mit Zeitungs- und Internetartikeln (vor allem englischsprachigen) aus den Jahren 1999 bis 2006, in denen die Kreditblase analysiert wurde, mehrere Alben füllen könnte, und sogar auf T-Shirts wurde vor ihr gewarnt. Im August 2005 berichtete die Nachrichtenagentur Reuters über das sich am besten verkaufende Witz-T-Shirt der Firma T-shirtHumor.com:

»Das neueste Motiv ›Mr. Housing Bubble‹scheint die Stimmung besorgter amerikanischer Immobilieninvestoren zu treffen und ist in weniger als einer Woche zum Bestseller der Firma geworden. Die Parodie auf die jahrzehntealte Verpackung des Mr.-Bubble-Schaumbads offeriert einen ›kostenlosen Hypothekenballon in jeder Packung‹. Aber die grinsende hausförmige Blase warnt auch: ›Wenn ich platze, bist du geliefert.‹«1

Alan Greenspan, dem Vorsitzenden des Offenmarktausschusses der Federal Reserve, fiel es schwer, dem T-Shirt zu widersprechen: »Nein«, zitierte ihn der Fernsehsender CBS im Sommer 2005, »es sei definitiv keine Blase. Jedoch bedeute dies nicht unbedingt, dass es nicht blasenartig sei: ›Obwohl eine Blase der Immobilienpreise für die Nation als ganze nicht wahrscheinlich erscheint, gibt es zumindest in einigen lokalen Märkten Anzeichen von Schaum.‹«2

Wenn die Ökonomen ihre Arbeit nicht tun, muss eben die Polizei sie erledigen. Schon im Jahr 2002 warnte das FBI vor großflächigem Schwindel mit Hypothekenkrediten. Zwei Jahre später, im Jahr 2004, sah die polizeiliche Ermittlungsbehörde den Crash kommen: »›Es besteht das Potenzial einer Epidemie‹, sagte Chris Swecker, der die Kriminalabteilung des FBI in Washington leitet. ›Wir meinen, dass wir ein Problem verhindern können, das ebenso gravierende Konsequenzen haben könnte wie die S&L-Krise [die große amerikanische Sparkassenkrise der achtziger Jahre, die dem Staat Verluste in zweistelliger Milliardenhöhe zufügte; S. F.].‹«3 Wenn sogar das FBI in einer offiziellen Erklärung vor der Finanzkrise gewarnt hat, dann muss man wohl sagen: Notenbanker sind dümmer, als die Polizei erlaubt.

Der Erfolg derer, die vor der Notenbankpolitik warnen, ist aber heute genauso gering wie damals. Nicht etwa, weil die Entscheidungsträger die dissidente Meinung nicht zur Kenntnis nähmen; erst recht nicht, weil sie irgendwelche Argumente vorbringen würden, sie zu widerlegen. Das Prinzip von Ursache und Wirkung funktioniert andersherum: Entscheidungen über die Geldpolitik, die Einführung einer neuen Währung oder Maßnahmen, die eingeleitet werden, um die durch die falsche Politik verursachten Probleme zu »lösen« (d.h. zu verschleppen), werden nicht auf der Basis ökonomischer Analysen oder einer Theorie des Konjunkturzyklus getroffen. Dass auf jedes ökonomische Problem mit einer Ausweitung der Kredite geantwortet wird, steht von Anfang an fest. Die akademische Maschinerie wird nur angeworfen, um die Begründung zu liefern. Sie produziert die »Erkenntnisse« (etwa über »Produktivitätswunder«, »neue Paradigmen«, »fehlende Nachfrage« oder die »Stabilität der gemeinsamen Währung«), mit denen der bereits eingeschlagene Kurs legitimiert wird. Notenbanker sind keine Denker, sondern Cheerleader. Dass die Opposition gegen die Greenspans, Bernankes, Trichets und Draghis der Welt in der Vergangenheit marginal war, verglichen mit ihren Fans, hat auch handfeste Gründe – die Notenbanken sind für Experten der Geldpolitik die mit Abstand größten Arbeitgeber.4 Überhaupt gibt es nur wenige publizierende Ökonomen, die nicht Angestellte des Staates sind. Das heißt nicht, dass Professoren bei der Bewertung der Notenbanken nicht objektiv sein können; ihre Kritik würde aber den Mut verlangen, auf eine Karriere in den staatlichen Institutionen zu verzichten.

Dass der Glaube an die magische Kraft von Krediten nicht nachlassen würde, war abzusehen. »Eine Lehre gezogen haben die Verantwortlichen aus dem Debakel nicht«, schrieb ich im April 2009. »Dieselben Maßnahmen, die die Probleme verursacht haben, sollen sie nun lösen. Eine neue Blase ist entstanden, die Blase der Rettungspakete und Konjunkturprogramme. Überall auf der Welt eskalieren die Staatsdefizite. Sinkenden Steuereinnahmen stehen rasant wachsende Ausgaben zur Aufrechterhaltung der Rettungsblase gegenüber. Wie der Börsenhype 2000 und der folgende Immobilienwahn könnte auch diese Blase länger halten, als man es vernünftigerweise für möglich halten sollte – doch gibt es bereits Anzeichen, dass den ersten Staaten die Luft ausgeht (…) Man wirft den Banken vor, sie hätten Risiken übernommen, die ihre Finanzkraft weit überstiegen – und nun machen die Staaten genau das Gleiche (…) Wenn es überhaupt möglich sein sollte, diese Korrektur durch staatliche Intervention noch einmal zu verschieben, dann nur durch eine noch größere Schuldenblase, die zu einer noch gewaltigeren Krise in der Zukunft führen würde, und zum Preis einer Geldentwertung und eines drohenden Staatsbankrotts.«5

Das ist leider eingetroffen. Die Weltwirtschaft ist heute fragiler als 2009, da in der Zwischenzeit viele Billionen an neuen Schulden geschaffen wurden, statt die Schuldenlast zu reduzieren, wie es geboten gewesen wäre. Der Trend hält an. Inflation ist das wichtigste Phänomen unserer Zeit, der Schlüssel zum Verständnis aller ökonomischen Probleme, von ihr vor allem handelt dieses Buch. Gemeint ist nicht das, was Nachrichtensprecher mit dem Wort bezeichnen, die eigentlich von der Teuerung sprechen, wenn sie »Inflation« sagen. Inflation ist der Vorgang der Geldvermehrung aus dem Nichts, sie erzeugt die Zyklen von Boom und Krise. Für den Staat ist Inflation eine Arznei, die er der Wirtschaft so konsequent verabreicht wie mittelalterliche Quacksalber den Aderlass. Das tut er in immer höheren Dosen, auch wenn sich längst gezeigt hat, dass sie keine erwünschte Wirkung zeitigt, sondern nur viele giftige Nebenwirkungen. Dabei wird immer wieder der Bock zum Gärtner gemacht. Dem Staat wird seltsamerweise zugetraut, die Krise zu lindern, obwohl er sie selbst verursacht hat.

Mit der völligen Abschaffung der Goldbindung des US-Dollars und der Freigabe der Wechselkurse Anfang der siebziger Jahre wurden die Notenbanken zu zentralen Wirtschaftsplanungsbüros. Sie legen die Refinanzierungsbedingungen der Geschäftsbanken fest, regulieren über den An- und Verkauf von Staatsanleihen die am Markt verfügbare Liquidität und steuern so die Konjunktur. Hinge der Zins von Angebot und Nachfrage ab, würde eine stärkere Kreditvergabe zu tendenziell steigenden Zinsen führen und Schuldenexzesse wie in Spanien und Griechenland im Keim ersticken. Doch in einem System, in dem der Staat nach Gutdünken den Zins festsetzt und damit auch das Volumen der vergebenen Kredite lenkt, hängt alles von politischen Entscheidungen ab. In den letzten zehn Jahren machten die Notenbanken Kredite extrem billig und schufen so die Basis für den Immobilienboom, der zur jetzigen Krise führte. Hätten die Banken denn aber nicht aus Angst vor Verlusten auf exzessive Kreditvergabe verzichten müssen? Nein, denn Staatsgarantien und -hilfen schützen sie vor den Folgen riskanten Handelns, befördern so den Leichtsinn und ermöglichen eine ungezügelte Kreditexpansion.

Niedrige Zinsen führten nicht nur zu einer immer weiter wachsenden Verschuldung; sie machten es der Bevölkerung auch immer schwerer, Ersparnisse zu bilden. Die Notenbanken drücken die Zinsen auf ein so niedriges Niveau, dass Sparer, die größere Risiken meiden wollen, nicht einmal mehr ihr Kapital erhalten können. So liegen die Renditen aller Bundesanleihen (ehemals die bevorzugten Papiere der »Witwen und Waisen« und offiziell »mündelsicher«) unter der offiziellen Inflationsrate. Auf diese Art angelegtes Geld verliert Jahr für Jahr an Kaufkraft, es handelt sich also um eine versteckte und nicht gesetzlich beschlossene Steuer. Wer nicht möchte, dass seine Ersparnisse von der Geldentwertung aufgefressen werden, muss ein höheres Kreditrisiko eingehen; die toxic assets der amerikanischen Hypothekenblase fanden nicht zuletzt deshalb in Europa reißenden Absatz, weil Fondsmanager von Lebensversicherungen für ihre Kunden eine gesetzliche Garantieverzinsung erzielen müssen6, die mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr zu erreichen ist.

Auch sonst hat der Staat alles in seiner Macht Liegende getan, um die jetzige Krise zu ermöglichen. Die beiden vom US-Kongress geschaffenen und im staatlichen Auftrag handelnden Baufinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac, die sogenannten GSEs (government-sponsored enterprise), waren der Turbo des Immobilienbooms. Versehen mit staatlichen Privilegien – darunter vor allem die Möglichkeit, sich zu ähnlich günstigen Konditionen Geld zu leihen wie der Staat – kauften sie Hypotheken im Volumen von fünf Billionen Dollar auf. Ein großer Teil davon wurde überhaupt nur geschaffen, weil klar war, dass die beiden GSEs sie aufkaufen würden. Zwei Ereignisse im Leben der GSEs korrespondieren nicht zufällig mit wichtigen Wegmarken der Weltwirtschaft. Im Herbst 1999 forderte die Regierung unter Präsident Bill Clinton die GSEs auf, ihre Ansprüche beim Aufkauf von Hypothekenkrediten weiter zu senken, um noch mehr Menschen mit niedrigen Einkommen in den – zweifelhaften – Genuss des Immobilienbesitzes zu bringen (subprime loans).7 Den Republikanern unter ihrem Präsidentschaftskandidaten George W. Bush war das noch zu wenig; in Erfüllung seines im Wahlkampf 2000 gegebenen Versprechens billiger Hypothekenkredite verabschiedete der Kongress 2004 den American Dream Downpayment Act, der Hypothekenkredite ohne jegliche Anzahlung (zero downpayment) staatlich förderte. Die Begründung, dass die von der Regierung angeordnete Kreditausweitung zu »erschwinglichen« Immobilien führe, hätte nicht weiter entfernt von der Wahrheit sein können. Je mehr Kredite die GSEs in den Hypothekenmarkt pumpten, desto höher stiegen die Immobilienpreise, desto weiter also entfernten sich die Preise von dem, was Durchschnittsverdiener sich mit ihrem Gehalt leisten konnten. Das Einzige, was die Regierung erreichte, war, eine Blase zu erzeugen und die Bevölkerung massenhaft in Überschuldung zu treiben. Zwischen 1999 und 2008 explodierte das Volumen der Hypothekenkredite von 4,4 Billionen US-Dollar auf 10,5 Billionen. Im Spätsommer 2008 stand die Regierung vor dem von ihr angerichteten Scherbenhaufen: Fannie Mae und Freddie Mac, auf die mehr als die Hälfte dieser ausstehenden Hypothekenkredite entfielen, waren pleite und mussten in vollständigen Staatsbesitz überführt werden. Sie waren ein vom Staat ins Leben gerufener Golem, über den am Ende niemand mehr die Kontrolle hatte.

Was ist mit den Ratingagenturen? Niemand bestreitet ihre Mitverantwortung für die Immobilienfinanzierungsblase. Ihre Bewertungen sollten Risiken quantifizieren, Vergleiche ermöglichen zwischen individuellen Wertpapieren, verschiedenen Klassen von Wertpapieren und zwischen den wechselnden Risiken eines Investments im Lauf der Zeit. Verbriefte Hypotheken, die mit einem AAA-Rating versehen wurden, sollten ebenso sicher sein wie eine Unternehmensanleihe mit derselben Bewertung. Die Ratingagenturen waren wesentlich für das reibungslose Funktionieren des Marktes für hypothekenbesicherte Wertpapiere. Die Emittenten benötigten ihre Genehmigung für das Strukturieren ihrer Geschäfte; Banken brauchten sie, um die Menge des Kapitals zu bestimmen, das sie halten mussten; die Urteile der Ratingagenturen wurden in Sicherungsvereinbarungen und andere Finanzkontrakte eingearbeitet. Zwischen 2000 und 2007 vervierfachten sich die Einkünfte aus der Bewertung solcher Finanzinstrumente.8 Zwar erklärten die Ratingagenturen standardmäßig, dass ihre Ratings bloße Meinungsäußerungen seien und keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren darstellten; doch in Wirklichkeit waren sie in der Rolle des Schiedsrichters, legten fest, was erlaubt war und was verboten. Den späteren toxic assets erteilten sie gegen gute Bezahlung ihren Segen. Wer aber gab ihnen eigentlich dieses Privileg und dazu ein bequemes Oligopol, weitgehend vor Marktkonkurrenz geschützt? Es war und ist der Staat, der mit allerlei Vorschriften, in denen auf die Ratings Bezug genommen wird, ihre »Meinungsäußerungen« zu Gold macht. Alles, was man den Ratingagenturen – mit Recht – vorwirft, muss man dem Staat vorwerfen, der ihnen überhaupt erst die Macht gab.

In Europa war alles noch schlimmer. Die Gründung der europäischen Währungsunion – ein politisch motiviertes Projekt, dessen Ziel die Vorbereitung einer politischen Union war – führte zu einem einheitlichen Zinsniveau, das sich an Ländern wie Deutschland und Frankreich orientierte und die Blasen in Südeuropa erzeugte. Die niedrigsten Zinsen in der Geschichte dieser Länder zogen die höchste gesamtgesellschaftliche Verschuldung und die tiefste Wirtschaftskrise nach sich.

Die Idee, dass mehr Wohlstand entstünde, wenn die Zahlen im Computersystem, die wir als »Geld« bezeichnen, immer größer werden, ist kennzeichnend für die Ära, in der wir leben, und die ideologische Ursache der Krise. Es wäre völlig falsch anzunehmen, dass das Desaster in irgendeiner Weise unvermeidlich gewesen wäre. Hätten die Notenbanken in den Jahren 2001 und 2002 die Rezession ihren Gang gehen lassen, statt absichtlich eine Immobilienblase zu erzeugen, gäbe es diese Krise nicht. Aber aus Fehlern lernen können Notenbanker nicht. Warum nicht? Weil sie es nicht nötig haben. Denn das ist die tragische Absurdität: Die Notenbanken, deren Handeln so großen Einfluss auf das Leben von Milliarden Menschen hat, brauchen sich nicht zu verantworten oder zu erklären. Sie können nach Belieben schalten und walten, ohne unter irgendeinem Druck zu stehen, Erfolge vorweisen zu müssen. Ihre Inflationspolitik hat zu einer historischen Kata­strophe geführt, und statt ihr Scheitern einzuräumen, weisen sie jegliche Verantwortung von sich9 und machen genauso weiter wie bisher.

»Zum Schluss wird die Frage aufgeworfen, was eigentlich noch schlimmer werden kann. So viel sei verraten: Schlimmer geht immer.«

Dieses Buch soll den Leser in die Lage versetzen, die Bedingungen besser zu verstehen, unter denen Banken, Notenbanken und Regierungen handeln und Katastrophen erzeugen. Am Anfang stehen Betrachtungen über Psychologie und Demagogie: Wie staatliche Fehlanreize zu immer größeren Risiken und Schulden geführt haben und wie die politisch Verantwortlichen versuchen, sich nun als Opfer von »Spekulanten« zu präsentieren. Dann geht es um die ökonomischen Ursachen der Krise. Das Teilreservesystem ermöglicht es den Banken, Geld aus dem Nichts zu schöpfen, und erzeugt so den Zyklus von Inflation und Deflation, Boom und Krise. Der Bank Run, den Regierungen und Notenbanken für ausgerottet hielten, ist nach Europa zurückgekehrt, als Ansturm auf das gesamte Banksystem einiger Länder. Ein Ausflug in die frühe Geschichte des monetären Diskurses zeigt, dass schon Kopernikus mehr von den Gefahren der Inflation verstand als heutige Notenbanker. Der nächste Abschnitt befasst sich mit Auslandsschulden: Was unterscheidet sie von inländischer Kreditexpansion, und in welchen Fällen erzeugen sie Krisen? Danach werden einige historische Währungsunionen vorgestellt und die besonderen ökonomischen Probleme behandelt, die aus Währungsankern und -unionen entstehen können. Es wird gezeigt, wie schon im Vorfeld der Euroeinführung der Grundstein für die spätere Krise gelegt wurde und wie diese sich entwickelt hat. Ähnlichkeiten zu früheren Krisen in Lateinamerika und Asien werden herausgestellt. Die Frage wird diskutiert, inwiefern »mangelnde Wettbewerbsfähigkeit« die Ursache der Probleme Südeuropas ist und ob Währungsabwertung ein probates Mittel zur Lösung dieses Problems darstellt. Im Folgenden steht das Verhältnis von Staat und Banken im Mittelpunkt: wie die Banken die Staatsschuld finanzieren und vom Staat dabei unterstützt werden. Es wird die Frage gestellt, ob die Eigenkapitalvorschriften (Basel II und III) für die Krise mitverantwortlich gemacht werden können. Da der Keynesianismus in seiner heutigen Erscheinungsform, dem Turbokeynesianismus, die unangefochten hegemoniale Lehre ist, werfen wir einen Blick auf seine Ursprünge und Vorläufer und diskutieren den vom Nobelpreisträger Paul Krugman vorgelegten Plan einer Rettung der Weltwirtschaft durch eine vorgetäuschte Invasion aus dem Weltall. Zum Schluss wird die Frage aufgeworfen, was eigentlich noch schlimmer werden kann. So viel sei verraten: Schlimmer geht immer.

1 http://www.usatoday.com/money/perfi/housing/2005-08-16-housing-bubble_x.htm (alle Übersetzungen sind, sofern nichts anderes angegeben, Übersetzungen des Verfassers)

2 CBS News Transcripts, 10.6.2005.

3»FBI warns of mortgage fraud ›epidemic‹« – CNN News Transcript, 17.9.2004.

4 Im Jahr 2002 beschäftigte die US-Notenbank etwa 495 vollzeitangestellte Ökonomen, engagierte 120 führende akademische Ökonomen als Berater und Gastwissenschaftler und hielt über 30 Konferenzen ab, die zusätzlich zu ihrem eigenen Stab mehr als 300 Akademiker aufs Podium brachten. Etwa 74 Prozent aller in den USA von dort ansässigen Ökonomen veröffentlichten Artikel über Geldpolitik erscheinen in Zeitschriften, die von der FED herausgegeben werden oder an denen sie mitarbeitet. Die Redaktionen der maßgeblichen Periodika »Journal of Monetary Economics« und »Journal of Money Credit and Banking« sind zu 90 Prozent mit der FED nahestehenden Ökonomen besetzt. Vgl. Lawrence H. White: »The Federal Reserve System`s Influence on Research in Monetary Economics«. »Econ Journal Watch«, Volume 2, Number 2, August 2005, S. 325-354.

5 Stefan Frank: Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise, Saarbrücken 2009, S. 200.

6 Sie wurde vom Gesetzgeber ebenfalls Jahr für Jahr gesenkt und liegt derzeit bei 1,75 Prozent p.a.

7 Die »New York Times« warnte seinerzeit: »Indem es sich, wenn auch zögerlich, in dieses neue Gebiet der Kreditvergabe bewegt, geht Fannie Mae deutlich höhere Risiken ein, die in wirtschaftlich guten Zeiten keine Probleme verursachen mögen. Aber in einem Abschwung könnte das von der Regierung subventionierte Unternehmen in Schwierigkeiten geraten und eine Rettung durch die Regierung erforderlich machen, ähnlich der der Sparkassen in den 1980er Jahren.« – »Fannie Mae Eases Credit To Aid Mortgage Lending«, »New York Times«, 30.9.1999.

8The Financial Crisis Inquiry Report. Final Report of the National Commission on the Causes of the Financial and Economic Crisis in the United States, New York 2011, S. 118.

9 »Einige behaupten, die Niedrigzinspolitik der FED in den frühen 2000ern habe zur Immobilienblase beigetragen und so die Krise ausgelöst«, sagte Bernanke Anfang 2012 vor Studenten der George Washington University. »Die meisten Beweise sprechen dagegen«, zitiert ihn die Nachrichtenagentur Bloomberg. »Zur Verteidigung der FED wies Bernanke auf Immobilienbooms in anderen Ländern hin« (Bloomberg, 22.3.2012). – Das ist offensichtlich die Notenbankversion von »Lukas und Oliver haben auch mit Stöcken geworfen«.

Die Tragik der Allmende: Warum die Banken »gierig« sind und der Euro nicht funktioniert

Wenn über die Ursachen der Finanzkrise gesprochen wird, fällt häufig das Schlagwort von der »Gier der Banken«. Warum aber sollten Banker eigentlich gieriger sein als andere Leute? Weil sie sonst nicht Banker geworden wären? Na gut, stellen wir die Frage anders: Warum waren sie früher weniger gierig, als sie es seit Ende der neunziger Jahre (dem Zeitpunkt, wo die Debatte über die »Gier der Banken« begann) angeblich sind? Gier hängt von der Gelegenheit ab. Sie tritt vor allem dann auf, wenn ein begehrtes Gut zu einem ungewöhnlich niedrigen Preis feilgeboten wird. Wenn z.B. ein Elektromarkt mit Superschnäppchen wirbt. Oder wenn der Staat, wie in den vergangenen 15 Jahren, Kredite so billig macht, dass er denen, die sie nehmen, Profitmöglichkeiten schafft, die es vorher nicht gab. Die Chips, mit denen man mit etwas Glück große Gewinne machen kann, sind fast umsonst. Staatliche Garantien und Haftungen für Banken bedeuten: Wenn ein Spieler auf die falsche Farbe gesetzt hat, übernimmt der Staat den Verlust. Wer wäre da nicht »gierig«? In einigen Fällen stand es von vornherein fest, dass der Staat in der Not beistehen würde. Da hat er den größten Schaden angerichtet. In Deutschland wurden die schlimmsten Verstöße gegen Verstand und Sorgfaltspflicht von staatlichen und halbstaatlichen Banken verübt. Es gibt keine Landesbank, die nicht Milliarden in den Sand gesetzt hat. Das Management der HSH Nordbank entfaltete dabei sogar ausgesprochen kriminelle Energie, was Richter und Staatsanwälte noch jahrelang beschäftigen wird. Die WestLB und die SachsenLB waren schon ruiniert, bevor die Krise überhaupt richtig angefangen hatte. Gleiches gilt für die Düsseldorfer IKB, die in den Jahren vor 2007 eine für ein relativ kleines Institut erstaunliche Bekanntheit an den Finanzplätzen in aller Welt erlangte: als eine Bank, die sich darum riss, Schundkredite zu kaufen, die sonst keiner haben wollte. 2007 war sie bankrott, ein Jahr früher als Lehman Brothers. Der größte Aktionär der IKB: die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), welche sich wiederum einen Namen als »dümmste Bank Deutschlands« (»Bild«) machte, als sie im September 2008 300 Millionen Euro an Lehman Brothers überwies, nachdem die Investmentbank bereits Bankrott angemeldet hatte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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