Dr. Tod - Owen Parker - E-Book

Dr. Tod E-Book

Owen Parker

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  • Herausgeber: 110th
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

In weniger als 48 Stunden ereignen sich mysteriöse Entführungen und Morde in Guben, und das während einem Jahrhunderthochwasser. Für das Ermittlerteam um Kommissar Schmittinger beginnt ein strapaziöser Wettlauf um die Zeit. Nachdem Gunther von Hagens, auch bekannt als Dr. Tod, entführt und sein Plastinarium in die Luft gejagt wird, ist schnell klar, dass die Täter aus den Reihen des Aktionsbündnisses kommen, welches diese Art der menschlichen Konservierung verwerflich findet. Doch wer steckt dahinter? Das Bündnis hat viele Mitglieder. Und die Entführer sind der Polizei immer eine Nasenlänge voraus. Gerade als man denkt, einen Teil des Falls gelöst zu haben, wendet sich das Blatt. "Ein temporeicher, actiongeladener Kriminalroman mit unerwarteten Wendungen und mysteriösen Ereignissen bei dem die Wahrheit erst auf der letzten Seite ans Licht kommt."

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Ähnliche


Owen Parker

Dr. Tod

Kriminalroman

Impressum:

Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency

Foto: fotolia

© 110th / Chichili Agency 2015

EPUB ISBN 978-3-95865-714-4

MOBI ISBN 978-3-95865-715-1

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur Chichili Agency reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

KURZINHALT

In weniger als 48 Stunden ereignen sich mysteriöse Entführungen und Morde in Guben, und das während einem Jahrhunderthochwasser. Für das Ermittlerteam um Kommissar Schmittinger beginnt ein strapaziöser Wettlauf um die Zeit. Nachdem Gunther von Hagens, auch bekannt als Dr. Tod, entführt und sein Plastinarium in die Luft gejagt wird, ist schnell klar, dass die Täter aus den Reihen des Aktionsbündnisses kommen, welches diese Art der menschlichen Konservierung verwerflich findet. Doch wer steckt dahinter? Das Bündnis hat viele Mitglieder. Und die Entführer sind der Polizei immer eine Nasenlänge voraus. Gerade als man denkt, einen Teil des Falls gelöst zu haben, wendet sich das Blatt.

„Ein temporeicher, actiongeladener Kriminalroman mit unerwarteten Wendungen und mysteriösen Ereignissen bei dem die Wahrheit erst auf der letzten Seite ans Licht kommt.“

DER AUTOR

Owen Parker ist das Pseudonym eines deutschen Autors. 2012 landete er mit seinem Debütroman einen E-Book-Bestseller, welcher bei allen großen Buchhändlern mehrere Wochen auf Platz 1 der Gesamtbestsellerliste rangierte und über Monate unter den Top-Ten platziert war. Auch das zweite Werk, ein Jugendbuch, war knapp ein ganzes Jahr in den Top-Ten der Jugendbuchcharts in der Sparte E-Book zu finden. Nach langer kreativer Pause, in welcher der Autor mehrere Werke entwickelt hat, erscheint nun der Krimi „Dr. Tod“.

VORWORT

Inspiriert von dem Lebenswerk Gunther von Hagens entstand dieser Kriminalroman. Auch wenn der Ort Guben, das Plastinarium und insbesondere die Person, Gunther von Hagens, als auch das Aktionsbündnis genannt werden, sind alle Handlungen und Charakterbeschreibungen frei erfunden, somit reine Fiktion. Sie entsprechen in keiner Weise dem realen Leben oder Tatsachen.

Als großer Verehrer und Befürworter des Schaffens Gunther von Hagens, war es mir zudem ein Anliegen, in vorliegendem Werk – und dies auch rein fiktiv – Moralapostel (also die Gegner seiner Arbeiten) als selbst höchst unmoralisch darzustellen.

Man möge mir diese dichterische Freiheit verzeihen.

Owen Parker, 12.05.2015

PROLOG

Oft sind es die alltäglichen Dinge, denen man keine oder kaum Beachtung schenkt. Das Knacken im Haus, wenn alles still ist. Ein Windhauch, der plötzlich an den Beinen vorbei streicht. Eine Tür, die sich wie von Geisterhand alleine öffnet. Man schaut genauer hin, prüft, denkt kurz darüber nach und findet eine gewöhnliche Erklärung.

Manchmal häufen sich solche Ereignisse und Zweifel kommen auf. Zweifel am eigenen Verstand, an seinem Gedächtnis. Hatte ich das Buch wirklich auf den Tisch gelegt? Lag es nicht vorhin noch auf der Anrichte?

Die Gedanken darüber trieben mit mir Schabernack. So auch an diesem Abend. Ich war allein. Allein in diesem großen Haus, dass ich ungefragt geerbt hatte. Eigentlich wollte ich nie wieder einen Fuß hineinsetzen. Zu tief saß der Schmerz, die alten Wunden, jeden Tag aufs Neue, wenn ich aufstand und mich durch den Flur ins Bad bewegte oder zur Küche ging, um Kaffee zu machen. Mit diesem Haus verband ich nichts Positives. Meine Kindheit war streng und ohne Freiräume. „Sitz gerade!“ und „Es wird gegessen was auf den Tisch kommt“, Mutters Drill schallte immer noch in meinen Ohren. Auf ihrer Beerdigung verspürte ich Erleichterung, fühlte mich von einer alten Last befreit. Man muss es mir angesehen haben. Erntete hassvolle Blicke meiner verlogenen Verwandtschaft dafür. Nur um sie zu ärgern, trat ich die Erbschaft trotzdem an. Nicht gegönnt hatte ich es ihnen, das Elternhaus.

Ich wollte nie dort einziehen. Doch es fand sich niemand, der es mieten oder kaufen mochte. Es war zu alt, zu verwinkelt. Mit der Zeit fraßen mich die Kosten auf, es zu erhalten. So zog ich kurzerhand ein.

Schon mit dem ersten Schritt, den ich in das Haus setzte, zog es mir den Hals zu, dass ich kaum mehr Luft bekam. Das gab sich nach einer Weile, jedoch ein mulmiges Gefühl blieb. Meiner Tochter Anna hatte es gefallen. Für sie war das alles „obercool“. Nach meiner Scheidung vor zwei Jahren eine gelungene Abwechslung.

Nun sind wir schon seit 8 Wochen hier und immer noch sind die meisten Umzugskisten nicht ausgepackt. Zu sehr glaubte ich im tiefsten Inneren an eine glückliche Wendung, dass sich doch noch jemand finden ließe, der hier wohnen mochte.

Wenn Anna abends schlief wurde es ruhig. Zu ruhig für meinen Geschmack. Egal wohin ich mich auch bewegte, überall allgegenwärtig meine Mutter. Es wurde auch nicht besser, als ich beschloss alles, was mich unmittelbar an sie erinnerte, in den Keller zu verbannen - den ich im Übrigen auch nie mochte. Dunkel, nass, kalt, ich hielt mich nur so lange ich musste dort auf.

Die Couch war meine Rettungsinsel. Auf ihr konnte ich mich zurückziehen. Bloß die Beine hoch, niemals Kontakt zum Boden haben, die Lampe an, ein gutes Buch. Zuflucht. Doch irgendetwas lenkte mich in unregelmäßigen Abständen ab. Ich wusste nicht genau was es war und schob diesen Gedanken stets beiseite. Doch irgendwann, fast zwanghaft, fing ich an, mit dem Lesen innezuhalten, schaute mich um, alles wie immer. Lauschte. Alles ruhig.

Gerade als ich weiterlesen wollte, knackste das Gebälk. Nichts Außergewöhnliches, es ist ein altes Haus. Ich las weiter. Ein sanfter Windhauch streifte mein Genick. Hatte ich vergessen ein Fenster zu schließen? Quatsch. Doch dieses Gefühl kam wieder und wieder, wie eine Meeresbrise, unstet. Es nervte. Und es nervte noch viel mehr, nicht zu wissen, ob irgendwo nicht doch ein Fenster offen sein könnte, mitten in der Nacht. Ich schlüpfte in die Puschen und drehte meine „Kontrollrunde“, wie ich es zu sagen pflegte. Küchenmaschinen aus, Türen fest verschlossen und Fenster alle zu. Und tatsächlich, das Badezimmerfenster im Obergeschoss war noch einen Spalt weit geöffnet. Mich fröstelte. Sorgsam verschloss ich die Ursache hierfür. Drehte mich herum, zog meinen Bademantel fester zu und stockte an der Tür. Ein Blick zurück machte mich unsicher. Wieso war die Klobrille ganz nach oben geklappt? Es gab schließlich keine Männer im Haus. Oder hatte Anna vielleicht noch einen Klassenkameraden zu Besuch?

Und wieso war mir das nicht vorhin schon beim Duschen aufgefallen? Am liebsten hätte ich Anna direkt aufgeweckt und gefragt, doch ich hatte mir geschworen, niemals so wie meine Mutter zu werden. Sie musste jemand hier gehabt haben, beruhigte ich mich und schlenderte Gedankenversunken in Richtung Wohnzimmer. Auf dem Weg dorthin begann ich mir immer und immer wieder die gleiche Frage zu stellen. Was, wenn sie überhaupt niemanden zu Besuch hatte und sich gerade in diesem Moment jemand Wildfremdes im Haus umhertrieb? „Hätte ich hören müssen!“, beschwichtigte ich mich selbst, blieb stehen und horchte im Haus herum. Tropfen. Irgendwo tropfte womöglich ein Wasserhahn. Donnern, ein Gewitter. Das erklärte wohl die Tropfgeräusche, die sich mittlerweile in ein lautes Prasseln verwandelt hatten. Dies wiederum hatte zur Folge, dass andere Geräusche gedämpft wurden. Ich hörte nichts anderes mehr. Unsicher, von meinen Gedanken hin und her gerissen, bewegte ich mich zielstrebig zu Annas Zimmer. Nur um sicher zu gehen, dass es ihr gut ging. Was hatte meine Mutter bloß aus mir gemacht? Ich bin zu einem Kontrollfreak mutiert. Doch die Erkenntnis darüber half mir in diesem Augenblick auch nicht weiter. Bei ihr musste alles immer an seinem vorgesehenen Platz liegen. Wie in einem Möbelhaus, einer Ausstellung. Decken auf den Sofas, sie könnten sich sonst abnutzen. Alles klinisch rein, akkurat. Man traute sich kaum zu bewegen. Als ich zuhause auszog, meinen ersten Job hatte, versuchte ich lange Jahre krampfhaft dagegen anzukämpfen, alles anders zu machen. Unordentlich, wild und frei wollte ich sein. Doch mit den Jahren…. Völlig unbemerkt schlich es sich nach und nach ein. Das Erlernte, das Eintrainierte. Ehe ich mich versah, war ich das Abbild meiner Mutter geworden. Kein Mann, mein Vater ausgenommen, konnte das auf Dauer aushalten.

Vor Annas Tür holte ich tief Luft. Leise drückte ich die Türklinke nach unten, öffnete die Tür einen Spalt und vergewisserte mich, dass sie noch im Bett lag. Peinlich, wenn sie mitbekäme, wie oft ich das tat. Der Türspalt ließ etwas Flurlicht auf das Bett scheinen. Gleichmäßig hob und senkte sich die Bettdecke mit Annas Atmen. Ruhe stieg in mir auf, doch irgendwie wirkte das wohlbekannte Zimmer fremd an diesem Abend. Alles war an seinem Platz. Doch meine innere Unruhe verursachte ein mulmiges Gefühl. Wieder horchte ich. Der Regen hatte etwas nachgelassen, Donner und Blitze folgten jedoch in kürzeren Abständen. Das Gewitter kam näher.

Ich blieb einige Minuten im Türrahmen stehen und versuchte etwas zu hören, irgendein Geräusch, das nicht ins Haus gehörte. Doch es gab nichts. Ich schloss die Tür. Beruhigt wollte ich das weitermachen, was ich so abrupt aufgehört hatte, einfach lesen. Und einfach müde werden, einschlafen. Was mir nicht leicht fiel. Früher, zuhause, musste abends alles zugeschlossen sein. Fenster zu, die Rollläden herunter, die Türen geschlossen und alles noch mal kontrollieren. Was eigentlich der Sicherheit und einem tiefen und erholsamen Schlaf dienen sollte, machte mir als Kind schon Angst. Vor wem musste man sich so verbarrikadieren? Und vor allem nachts…

Lesen half mir meine Umgebung zu vergessen.

Zurück im Wohnzimmer fiel mein Blick auf den Tisch auf dem ich mein Buch vermutete. Doch da war es nicht. Hatte ich es in Gedanken mitgenommen? Und irgendwo anders abgelegt? Ich wusste es gerade nicht und begann alles systematisch abzusuchen. Ich war mir sicher, es dorthin gelegt zu haben. Ich, Mia Sommers, war das Paradebeispiel eines „Verlegers“. Nichts, was ich nicht irgendwo unbewusst an einen anderen Platz räumte. Umgekehrt war ich jeden Tag aufs Neue um Ordnung bemüht. Es half nichts. Ich konnte es nicht finden. In Gedanken lief ich noch einmal die Wege ab, die ich seitdem gegangen war. Und blieb in Gedanken immer wieder im Bad hängen, an der hochgeklappten Klobrille. Es schepperte. Das Geräusch kam eindeutig aus der Küche. Instinktiv ergriff ich den nächstbesten Gegenstand, mit dem ich glaubte, welchen Eindringling auch immer, niederstrecken zu können. Wie lächerlich, ich hatte eine Plastikflasche in der Hand. Schnell suchte ich das Zimmer nach etwas Effizienterem ab. Ein Kerzenständer schien mir die geeignete Wahl der Mittel zu sein. Angespannt stand ich neben dem Türrahmen zur Küche, zu allem bereit, mit aller Kraft zuzuschlagen. Das Licht der Stehlampe erhellte den Eingangsbereich und ich wagte einen flüchtigen Blick. Nichts. Schnell zog ich den Kopf zurück. Ich war mir sicher, dass ich nur mit einem Überraschungsmoment eine Chance haben würde. Ich brachte mich wie ein Baseballspieler, der auf den ersten Ball wartete, in Position. Meine Anspannung konnte man an den Adern erkennen, die sich wie dunkelblau gefärbte Spaghetti unter der obersten Hautschicht ihren Weg bahnten. Mein Puls raste und der erste Schweißtropfen machte sich bemerkbar, als ein Schatten die Wand entlang huschte. Schnell holte ich aus und schlug blindlings zu. Der Schlag ging ins Leere, woraufhin ich taumelte und im gleichen Moment über unsere Katze stolperte, die zwischen meinen Beinen hindurch huschte und das Weite suchte. Vom Boden aus konnte ich sie gerade noch in den Flur flüchten sehen und kam mir im gleichen Augenblick relativ dämlich vor, als mich von hinten irgendetwas packte. Ein schmerzhafter Schlag auf den Hinterkopf nahm mir fast das Bewusstsein. Schwarz, blind. Ich fühlte, wie ich fiel, schneller, immer schneller, Panik kroch in mir hoch, unter mir die Erde. Mit aller Wucht knallte ich auf und wurde wach. Zu meiner Überraschung lag ich auf der Couch. Was für ein Traum, dachte ich nach der ersten Schrecksekunde und rieb mir instinktiv den Schädel. Die Schmerzen im Genick kamen von der gekrümmten Stellung, in der ich über dem Lesen eingeschlafen sein musste. Das Buch lag auf dem Boden und im Haus war es ruhig.

KAPITEL 1

Mia hatte Gänsehaut. Sie schrieb es diesem abartigen Traum zu. Es wurde auch nicht besser, denn sie hatte immer noch dieses Gefühl, dass ein kühler Wind durch die Wohnung bis zum Sofa zog. Hatte sie das Fenster nun vorhin geschlossen oder hatte sie das nur geträumt? Unsicherheit löste in ihr wieder diese Mechanik aus, es kontrollieren zu müssen. Noch unter dem Eindruck ihrer Schlaferlebnisse griff sie, ohne zu überlegen, zum Kerzenständer. Das Kinderzimmer zuerst, dachte sie sich und wiederholte es innerlich wie eine Schleife. Von weitem sah sie die Tür, halb geöffnet. Alles war ruhig und Mia lauschte in den dunklen Flur. Licht? Am Lichtschalter war sie bereits vorbei und es waren nur noch wenige Meter. Die alten Dielen krächzten, je nachdem auf welche Stelle man trat. Vorsichtig versuchte sie krampfhaft diese Geräusche zu vermeiden, indem sie jeden Schritt vom Fußballen bis zu den Zehen abrollte. Doch es half nicht wirklich. Der große Flur transportierte jeden Knacks mit Hall durch das Haus. Teilweise so, dass man nicht mehr zuordnen konnte, ob es direkt von der eigenen Stelle ausging. Immer wieder drehte sie sich um, mit dem Gedanken, ein Dritter könnte der Verursacher gewesen sein. Ihr wurde immer kälter, je mehr sie sich vom Wohnzimmer fortbewegte, gleichwohl als stünden Dunkelheit und Temperatur in Proportion zueinander. Sie zog den Bademantelgürtel etwas enger zu und schlug den Kragen hoch. Hierbei wurde ihr der Gegenstand, den sie in den Händen hielt, bewusst. Er störte. Leise stellte sie ihn auf dem Boden ab und ging in die Hocke. Sie war gerade mal eine Armlänge von der Kinderzimmertür entfernt, als diese mit einem lauten Knall zufiel. Das Schloss drehte sich hörbar im gleichen Augenblick und Mia lief es eiskalt den Rücken hinunter. Sie schluckte und als ob sie begriff, kündigten sich in ihren Augen Tränen an. Nach der ersten Schrecksekunde sprang sie zur Tür, ihr Herz pochte bis zum Hals. Mit beiden Händen ergriff sie die Türklinke und drückte. Doch die ließ sich keinen Millimeter bewegen, dann mit dem Oberkörper gegen die Tür. Sie versuchte beides gleichzeitig, doch das Holz zeigte sich unbarmherzig. Immer und immer wieder, mit aller Kraft.

„Anna! Anna, hörst du mich?“, schrie sie und trommelte dabei mit ihren Fäusten gegen die Tür. Keine Antwort.

„Anna! Komm, Mensch mach die Tür auf!“, rief sie barsch und lauschte anschließend mit einem Ohr, ob sie irgendetwas, ein Lebenszeichen von ihr wahrnehmen konnte. Nichts.

Sie nahm Anlauf und sprang mit ihrem gesamten Gewicht gegen das Türblatt. Einmal, zweimal….ein drittes Mal.

„Mensch Anna! Lass den Blödsinn, und mach jetzt endlich diese vermaledeite Tür auf… was soll der Scheiß? Anna!!!“ Mia traktierte dabei die Tür mit ihren Füßen.

„Anna?“ Mia wurde nervös. Sie kannte ihre Tochter. Spätestens jetzt hätte sie kapituliert. Mia griff nach dem Kerzenständer, der immer noch auf dem Boden stand und hieb auf die Klinke ein. Funken flogen und der Griff verbog sich stetig weiter nach unten. Wie von Sinnen schlug Mia darauf ein, bis sie das Metall nach unten geklopft hatte. Mit einem beherzten Tritt gegen das Türschloss splitterte das Holz des Türrahmens und gab die Tür frei.

Mia fiel halb hinterher und stürzte sich auf das Bett. Das Bett war leer. Irritiert blickte sie sich um: „Anna?“

Es war zu dunkel, um irgendetwas außer Schemen zu erkennen. Verzweifelt suchte sie nach dem Lichtschalter. Tastete die Wand ab. Doch an der gewohnten Stelle war er nicht. Irgendetwas polterte von einer Kommode, die unmittelbar vor ihr stand und es klirrte. Plötzlich knallten Türen und das Licht im Flur ging an. Angewurzelt blieb Mia stehen. Ihr Verstand konnte das alles nicht mehr einordnen. Der Schein der Flurlampe spendete nun ausreichend Licht durch die offene Tür. Das war nicht Annas Zimmer. Und die Möbel darin gehörten da nicht hin. Alles war anders und sah unheimlich alt aus. Vor ihr lag eine Porzellanpuppe, die bei der Schaltersuche zerbrochen war. Ein Blick durchs Zimmer verriet, dass Anna nicht hier war. Vielleicht unter dem Bett. Mia warf sich auf den Boden, um nachzusehen. Nichts, außer etwas Seltsamen, einem Gegenstand, der mittig unter dem Bett lag. Irgendwo im Haus erschreckte sie ein gellender Hilfeschrei. Sie schlug sich den Kopf am Bettkasten an und ihr wurde unmittelbar bewusst, es war ihre Tochter, sie war in Gefahr.

Mias Kopf dröhnte und sie versuchte einzuordnen, woher genau der Schrei kam und rannte auf den Flur, der sich auch total verändert hatte. Eine alte rot- silberfarbene Tapete mit Rauten – und Lilienmustern kleideten den Flur in ein fast barockes Ambiente. Links und rechts hingen in regelmäßigen Abständen Hirschgeweihe. Alte verstaubte Lampen mit bekordelten Lampenschirmen setzten diesen skurrilen Anblick in Szene. Mia spurtete los, sie war sich sicher, dass es vom Obergeschoss kam. Doch je mehr sie lief, umso länger zog sich der Flur. Er schien nicht enden zu wollen. Tür reihte sich an Tür. Jede, die sie passierte, erzeugte eine neue Tür am Horizont des Flurs. Immer schneller rannte sie dagegen an, bis sie außer Atem kam. Keuchend musste sie anhalten, nach Luft schnappen, um den nächsten Versuch zu starten. Sie gab alles, doch am Ergebnis änderte das nichts. Sie schien auf der Stelle zu treten. Mia kam das alles wie ein böser Alptraum vor und erinnerte sich, als sie das letzte Mal eingenickt war. Das alles hier konnte nicht real sein, sie war sich sicher wieder in einem Traum zu sein.

Erneut schrie Anna um Hilfe und ein widerwärtiges Lachen war zu hören. Das Licht flackerte und Mia überlegte, wie sie am Schnellsten aufwachen könnte, um das hier zu beenden. Sie kniff sich in den Oberarm. Es schmerzte und die traktierte Stelle färbte sich knallrot. Immer noch stand sie in diesem verfluchten Flur. Für was war das jetzt der Beweis? Dass sie wach war oder dass sie schlief? So kam sie keinen Deut weiter, dachte sie sich, und blickte hilflos umher, in der Hoffnung etwas zu entdecken, was ihr weiterhalf. Immer noch hielt sie den Kerzenständer fest mit den Fingern umklammert. Sie überlegte kurz, ob sie sich damit ausknocken sollte. Ihr Blick schien förmlich auf dem Fuß des Ständers zu kleben. Mia kniete sich ab und brachte ihren rechten Unterarm in Position. Wieder und wieder, als würde sie es für ihre Finger zurecht formen wollen, knetete sie das Metall und schnappte nach Luft, um den finalen Schlag auszuführen. Doch je mehr sie es ihrem Arm befehlen wollte, umso mehr sperrte ihr Gehirn den Vorgang. In ihrer Wut warf sie den Ständer durch den Flur, der im dunklen Teil verschwand bis er dumpf auf dem Boden aufschlug, von wo aus er noch mehrfach versprang, bis er zum Erliegen kam und mit seiner letzten Energie noch ein Stück weit über den Boden rollte. Dann war es ruhig. Das Licht ging aus. Mia kniete in ihrem schwärzesten Alptraum. Und in dieser Dunkelheit hörte sie ihren eigenen Atem, ihren eigenen Pulsschlag. Langsam tastete sie sich auf allen Vieren kriechend voran und versuchte, sich zu orientieren. Wohin? Zurück in Annas Zimmer, das überhaupt nicht mehr Annas Zimmer war? Sie musste dort hin und drehte sich auf ihren Knien um. Ein stechender Schmerz ließ sie zusammen zucken. Doch Mia ignorierte diese Kleinigkeit. Mit ihrer Hand rieb sie über die Stelle und stieß auf Widerstand. Ein Holzsplitter aus der Diele hatte sich spitz in ihre Haut gebohrt. Schnell zog sie diesen heraus und schleuderte den Span in ihrer Wut von sich.

„Scheiße!“, fluchte Mia laut und beeilte sich, in Annas Zimmer zu kriechen.

„Ich will hier sofort raus, aus diesem Mist!“, schrie sie in ihrer Verzweiflung. Und als hätte dies Einfluss auf das Geschehen, ging das Licht wieder mit einem Flackern an. Sie befand sich immer noch im Flur und war bereits auf Höhe der Zimmertür. Das Knie schmerzte leicht und ein Blick verriet, dass sie blutete. Nicht viel, aber es rann deutlich an ihrem Bein hinunter und Blutschlieren auf dem Fußboden verrieten, welchen Weg sie mit dieser Verletzung zurückgelegt hatte. Mia wischte das Blut weg, um die Stelle zu sehen, aus der es kam. Aus einem kleinen Loch pulsierte es noch leicht. Nichts Bedenkliches. Wie sie es von ihrer Mutter kannte, tat sie etwas Spucke darauf, rappelte sich auf und zog ihren Bademantel glatt. Konnte man so intensiv träumen?

Annas Tür stand noch immer offen und es roch muffig feucht. Das Zimmer sah aus, als wäre es in zwei Hälften geteilt. Auf der linken Seite war alles wie immer, ein freundlich aussehendes Jugendzimmer mit modernen Möbeln und den üblichen Gegenständen, die man bei einem Teenager vermuten durfte. Zur rechten Seite hin ging dies jedoch nahtlos in einen Teil über, der so antik aussah, wie man sich ein Zimmer vor über hundert Jahren vorstellen mochte. Auch das Licht schien von leuchtend warm in ein diffuses, kaltes Licht überzugehen. An der rechten Wand ein altes Metallbett auf dem weiße Spitzenkissen wie unter Schwarzlicht leuchteten. Das Fenster hatte keine Läden und fahles Mondlicht verstärkte diesen Effekt. Es schien, als hätte man einen seltsamen Scheinwerfer zentral auf die Mitte des Betts ausgerichtet. Mia befand sich in einem Zustand, in dem sie nicht mehr sagen könnte, was ist real und was nicht. Traum oder Realität, egal, sie befand sich gerade darin und es änderte sich auch nichts. Sie beschloss, sich darauf einzulassen, was auch immer die Ursache für das alles hier sein sollte.

Mia konnte zwischen den Zimmerhälften hin und her wechseln, ohne dass sich etwas veränderte, das hatte sie schnell herausgefunden. Sie ging um das alte Bett herum und strich mit den Händen über das Laken, was sich ebenso feucht anfühlte wie es roch. Auf dem Nachttisch stand ein schwarz-weißes Foto eines Mädchens, davor etwas, was wie ein Tagebuch aussah. Mia betrachtete das Bild, sie konnte das Portrait gerade so erkennen. Niemand, der ihr auf den ersten Blick bekannt vorkam. Um mehr zu sehen, hielt sie es gegen das Mondlicht. Das Bild zeigte nunmehr eine hässlich verzerrte Fratze. Mia erschrak so, dass sie den Bilderrahmen fallen ließ. Er zersplittert und auch das Glas zerbrach. Mia konnte es nicht fassen und fingerte das Foto vorsichtig aus den Glasscherben. Erneut hielt sie es gegen das Mondlicht und die Fratze riss ihr Maul auf. Im gleichen Augenblick fing das Foto Feuer und Mia ließ es los. Es landete auf dem Bett und als wäre es mit Benzin getränkt, brannte es mit einer Stichflamme lichterloh. Hitze schlug Mia entgegen. Es war so heiß, dass sie sich die Armhaare versengte. Erschrocken sprang sie zurück. Zurück in den Teil des Zimmers, welches immer noch wie das von Anna aussah. Es roch verbrannt. Der Rauch, der entstand, blieb erstaunlicherweise auf der anderen Seite und zog durch ein Loch in der Ecke ab, welches Mia bisher noch nicht bemerkt hatte. Alles geschah so schnell, dass innerhalb weniger Sekunden nur noch der Metallrahmen des Betts dastand. Es war voller Ruß und teilweise weiß von der Gluthitze, die auf das Bett eingewirkt hatte. Schwarz verkohlte Fetzen hingen an den Gitterstäben herab und Aschereste verteilten sich auf dem Boden. Die Wand hinter dem Bett war ebenfalls schwarz eingerußt und von einem alten Gemälde zierte nur noch ein verkohlter Rahmen die Wand. Neugierig trat Mia einen Schritt näher. Immer noch schien der Mond wie Flutlicht auf eine Stelle des zerstörten Bettrahmens. Sie beugte sich über den Fußteil und stützte sich dabei mit den Händen an dem Metallbogen ab, zog diese aber wieder reflexartig zurück. Heiß. Ein pochender Schmerz strömte durch ihre Finger und ihre Handfläche. Die Metallstäbe waren glühend heiß. Erschrocken betrachte Mia ihre Hände auf denen sich die ersten Brandblasen abzeichneten. Kühlen, sofort kühlen, war ihr erster Gedanke. Wasser, der Nächste. Doch woher? Über den nie enden wollenden Flur mit den verschlossenen Türen? Sie brauchte sofort etwas zur Kühlung. Sie blickte sich um. Das Fenster, dachte sie und lief um das Bett herum, drückte ihre Handflächen auf die kühle Fensterscheibe und verspürte Linderung. Mia wechselte die Position und nutzte jeden Quadratzentimeter der kühlenden Scheibe. Und trotzdem brannte der Schmerz immer heftiger.