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"Die einmalige Slow-Burn Dark Romantasy-Trilogie mit einer starken Protagonistin, einem gebrochenen König und dem uralten Krieg zwischen Drachen und Nachtmahren." Das Tosen der Wellen peitscht an mein Ohr. Es versucht mich zu warnen, doch es ist bereits zu spät. Die talentierte Heilerin Elara gilt als Magielose. Wertlos in einem Reich, das von Drachenwandlern und Magiebegabten regiert wird. Als Opfergabe für den Gott Dawn wird sie vom Schattenrat an den Hof des attraktiven, aber sterbenskranken Königs verschleppt. Würde sie fliehen, wäre ihre Schwester die erste, die der Rat zur Rechenschaft zieht. Ergeben stellt sich Elara ihrem Schicksal - das jedoch eine unerwartete Wendung nimmt. Eine, die sie weit tiefer in die finsteren Machenschaften des Rates zieht und die ihre gesamte Existenz infrage stellt. Ein Opfer, mehr war sie nicht für den jungen König. Ein Opfer, das das Reich in den Grundfesten erschüttern wird. Ein Opfer, das selbst sein tiefschwarzes Herz zu heilen vermag.
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Seitenzahl: 428
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Contentnote:
Die folgende Geschichte enthält Themen wie psychische und physische Gewalt, sowie Tod.
Achtet gut auf euch, denn wir wünschen uns für euch das beste Leseerlebnis.
WREADERS E-BOOK
Dieser Titel ist auch als Taschenbuch erschienen
Copyright © 2025 by Wreaders Verlag, Sassenberg
Verlagsleitung: Lena Weinert
Umschlaggestaltung: Jasmin Kreilmann (unter Verwendung von Grafiken von Adobe Stock: © willyam © Roman Studio und Freepik.de)
Zierden: Grafiken von Adobe Stock und Freepik.de
Illustrationen: Martith_Art
Lektorat: Lektorat Berg
Korrektorat: Lektorat Seitensturm
Satz: Ryvie Fux
www.wreaders.de
Egal, wo du gerade stehst,
Aufgeben ist keine Option.
»Vor nunmehr dreihundert Wintern wurde der Kontinent Blackfire vom Flammenglanz und finsteren Schatten der grossen Schlacht zerrissen - einem blutgetränkten Tanz des Lichts und der Dunkelheit, der das Schicksal aller Magie auf ewig wandelte.«
Auszug aus
»Die klagenden Schatten –
Chroniken der Nachtmahre«
1
Elara sog die kühle Herbstluft ein, doch das Zittern in ihrer Brust wollte nicht weichen. Heute endete ihr zwanzigster Winter. Ein weiterer, in dem es nicht geschehen war.
Ihre Finger verkrampften sich fester um das gesammelte Kräuterbündel. Flüchtig sah sie zurück zu den düsteren Bäumen am Rand des kleinen Dorfes.
Der Everfall Forest war eine Aneinanderreihung von dichten Baumriesen, deren Stämme wie knorrige Säulen in den Himmel ragten. Flechten und Moos überzogen die Wurzeln, die sich wie Krallen in die feuchte Erde gruben. Ein leises Rascheln durchzog das Blätterdach und vereinzelte Sonnenstrahlen kämpften sich durch die dichten Kronen.
Mit einem tiefen Atemzug nahm Elara den vertrauten Geruch ihres Zuhauses auf.
Der Duft von Harz und verwelktem Laub lag schwer in der Luft, gemischt mit dem würzigen Aroma der Kräuter, die sie heute früh mühsam gesammelt hatte. Sie kannte diese Wälder ihr Leben lang. Jedes Mal, wenn sie durch den Everfall Forest ging, fühlte sie sich geborgen. Wenngleich er heute das ungute Gefühl in ihrem Inneren nicht überdecken konnte.
Mit einer fahrigen Bewegung wischte Elara sich die kaltschweißige Hand an ihrem abgewetzten Umhang ab. Dann griff sie nach dem alten Messer an ihrem Gürtel, als hätte das Metall die Fähigkeit, die Unruhe in ihrem Inneren zu besänftigen. Es war lächerlich. Kräutersammeln gehörte zu ihren täglichen Aufgaben und nie zuvor hatte sie das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden.
Elara schüttelte den Kopf und schob die düsteren Gedanken beiseite. Ihre Mutter hatte Recht, so spät abends im Feuermagiebuch ihrer Schwester zu schmökern, war töricht. Das brachte ihren Verstand auf schlechte Ideen.
Die Luft um sie herum veränderte sich. Der Geruch des nahen Waldes vermischte sich mit dem Rauch der Feuerstelle vom Dorfplatz und Elara fröstelte. Sie zog den grauen Umhang enger um sich und ließ ihren Blick ziellos umherschweifen. Schnell hellte sich ihre Miene auf, als ihre Schwester Lilli auf sie zurannte. Das Mädchen, in dessen Neugierde sich Elara stets wiedererkannte, war ihr ein und alles. Als sie die ängstliche Miene der Kleinen bemerkte, wurde ihr flau im Magen.
»Elara!«, rief Lilli aufgebracht. »Du musst mitkommen! Einer der Ziegenböcke hat wieder zugestoßen. Etan blutet, und es sieht schlimm aus.« Ihre Schwester war völlig außer Atem und kam stolpernd vor ihr zum Stehen.
Einen Moment hielt Elara inne, die Hand ruhte kurz auf dem Lederband ihres Kräuterbündels. In Gedanken ging sie alle Heilpflanzen durch, die sie brauchte.
»Beruhig dich, Lilli«, sagte sie sanft. »Ist er beim Stall?«
Die Kleine nickte hastig. »Es hört nicht auf zu bluten. Bitte, schnell!«
Ohne weitere Fragen eilte Elara hinter ihrer Schwester her. Den festgetretenen Erdboden, der vom Wald zum Dorf führte, war sie schon unzählige Male entlang gegangen und das Haus des Viehhalters war nicht mehr weit. Gerade Etan war einer ihrer Dauerpatienten.
In Gedanken verfluchte sie seine Starrköpfigkeit. Der alte Mann war der einzige Milchbauer im Dorf, und es war nicht das erste Mal, dass der Viehhalter Hilfe brauchte – seine Böcke schienen genauso stur und unberechenbar wie er selbst.
Hoffentlich hatte dieser verdammte Bock keine inneren Organe verletzt.
Sie spürte den wachsenden Knoten in ihrer Brust.
Atemlos kam sie in Etans Küche an, wo sie ein Bild des Elends empfing. Ihre ledernen Schuhe schmatzten, als sie in etwas Nasses trat.
Verdammt. Das Loch in seinem Oberkörper war tief und das herausquellende Blut sammelte sich in einer besorgniserregend großen Pfütze am Boden. Der Viehhalter krümmte sich auf einem Schemel nahe der Feuerstelle, die linke Hand umklammerte sein blutüberströmtes Hosenbein, während seine Stirn vor Schweiß glänzte. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und dennoch war sein Blick hart, fast abweisend.
»Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht«, knurrte er, als Elara nähertrat. Sie atmete tief durch. Nicht so schlimm, dass sie nicht lachte. Wie immer war es dem alten Kauz unangenehm, dass er auf die Hilfe von jemandem wie ihr angewiesen war. Einer Unvollkommenen. Sie schluckte einen Kommentar dazu herunter. »Etan, du kennst die Prozedur. Lass dir helfen, bevor sich die Wunde entzündet«, erwiderte sie ruhig. Seinen harschen Tonfall ignorierte sie. Elara wusste, dass Etan sie brauchte.
Ohne auf seine Antwort zu warten, ließ sie sich neben ihm auf die Knie fallen. Still verharrte Lilli hinter ihr. Ihre kleine Schwester wusste, dass sich Elara konzentrieren musste.
Argwöhnisch musterte sie die Verletzung. Das Loch, das das Horn hinterlassen hatte, war tief und an den Rändern bereits angeschwollen. Der beißende Geruch von Eisen und Schmutz stieg ihr in die Nase.
»Ich brauche keine Hilfe«, brummte er, wich aber nicht zurück, als sie ihr Bündel öffnete und die Kräuter hervorholte.
»Das sagst du jedes Mal«, entgegnete Elara trocken, während sie mit geübten Bewegungen die Wunde an der Wade abtastete. Das Etan noch bei Bewusstsein war, glich einem Wunder.
Der Mann zuckte zusammen, biss jedoch die Zähne zusammen.
»Und jedes Mal bist du danach froh, dass ich nicht auf dich höre.« Sie schmunzelte leicht, als Etan daraufhin schnaubte. Der Griesgram würde sich nie ändern.
Er wehrte sich nicht gegen ihre Behandlung und sie wusste, wie es ablaufen würde. Der Milchbauer tat so, als bräuchte er sie nicht, dann ließ er es gezwungenermaßen und augenrollend über sich ergehen und am Ende bekamen sie als Dank sogar frische Milch. Womöglich verhielt er sich so, weil sie eine Unvollkommene war. Ziemlich sicher sogar deshalb. Allerdings war sie die einzige Magielose, die es geschafft hatte, sich im Dorf unentbehrlich zu machen und darauf war sie stolz.
»Ich hole noch mehr Wasser. Das hier im Eimer neben dem Stuhl ist ebenfalls frisch«, meldete sich eine sanfte Stimme aus der geöffneten Küchentür.
Dankbar nickte Elara und drehte sich um. Sie hatte die Stimme sofort erkannt. Die Frau des Viehhalters hatte ein müdes Lächeln auf den Lippen, das ihre eingefallenen Wangen kaum bewegte. Der Anblick ihres verletzten Mannes erschreckte sie nicht und wenn doch, verbarg sie es gut. Ihre schwarzen, flammenartigen Tätowierungen, die sich um ihren Hals schlängelten, zeigten, dass sie eine Feuerbegabte war. Sie war Elara gegenüber stets freundlich und im Gegensatz zu Etan deutlich dankbarer für ihre Anwesenheit.
Elara drehte sich wieder zu ihrem Patienten und griff nach dem Feuerhaken, der an der Wand neben der Feuerstelle lehnte. Mit einer geschickten Bewegung drückte sie das Eisen in die leuchtende Glut. »Lilli, geh zu Linda und bring mir saubere Tücher und ein paar Schüsseln. Kannst du das für mich tun, bitte?« Anders als heute Morgen waren ihre Gedanken klar.
Elaras Blick glitt konzentriert über die Kräuter, die sie vor sich ausgebreitet hatte. Sie wusste genau, was als nächstes zu tun war. Das prickelnde Gefühl von Selbstvertrauen schob sich durch ihren Körper. Das war ihre Arbeit, die Tätigkeit, die sie im Schlaf beherrschte und so sehr liebte.
Flink huschte Lilli aus dem Haus und Elara wartete, bis das Metall des Feuerhakens rot glühte.
Ein kurzer Blick zu Etan, der sie weiterhin finster anstierte. Dann zog sie ihren Umhang aus, verknotete ihn und legte ihn dem Viehhalter in die Hand.
»Draufbeißen. Jetzt«, befahl sie.
Seine Augenbrauen zogen sich weiter zusammen, aber er gehorchte, was sie als stille Zustimmung wertete. Bevor Etan es sich anders überlegen konnte, schüttete sie den Eimer Wasser über seine Wade und schwemmte den Schmutz vom Bein. Dann drückte sie den Haken mit einem schnellen, entschlossenen Ruck auf die Wunde. Augenblicklich stieg der scharfe Geruch von verbranntem Fleisch auf.
Der Viehhalter fluchte laut, doch Elara hielt ihn mit einem eindringlichen Blick und einer festen Hand auf seiner Schulter davon ab, sich zu bewegen.
»Das muss sein«, erklärte sie ruhig, während sie den Haken wieder ins Feuer legte. »Wir müssen die Blutung so schnell wie möglich stoppen.«
Er murmelte etwas Unverständliches in seinen grauen, langen Bart, aber gehorchte, woraufhin Elara die Prozedur wiederholte. Fürs Erste drückten sich nur noch kleine Tropfen Blut durch das verkrustete und verkohlte Fleisch.
Gut. Erleichtert atmete sie auf.
Als die Frau und Lilli zurückkehrten, nahm Elara die Schüssel mit Wasser entgegen und zerdrückte die zuvor sorgsam ausgewählten Kräuter in der Schale. Der Saft war grünlich und zäh. Genau so, wie sie es für einen sauberen Wundverschluss benötigte.
Zufrieden wand sie sich an ihre Schwester. »Kleine, hast du die Tücher?«,
»Ja, hier.« Diese kniete sich neben Elara und übergab sie ihr mit zittrigen Händen. Obwohl Lilli schnell übel wurde, wich sie ihrer großen Schwester nicht von der Seite.
Kurz drückte Elara dankbar die Schulter der Kleinen, bevor sie ein sauberes Tuch in dem Kräutersud tränkte und die Wunde säuberte.
Linda war neben ihren Mann getreten und tupfte schweigend den Schweiß von seiner Stirn.
»Halte still«, sagte Elara, ohne aufzusehen, als der Mann erneut zischte.
»Das mit dem Feuer hätte Linda auch geschafft«, keifte Etan bissig. Wie konnte dieser Mann trotz der Verletzung so stur sein?
»Lass mich weiterarbeiten, wenn du morgen noch laufen willst. Wir sind gleich fertig«, versuchte Elara ihn zu besänftigen.
Die Frau des Viehhalters trat vor und ihre Augen wurden glasig, als sie sie anblickte. »Danke«, sagte sie leise. »Ich weiß nicht, was wir ohne dich machen würden.« Mit gesenktem Blick spielte Linda nervös mit dem Tuch in ihrer Hand.
»Das ist selbstverständlich«, entgegnete Elara und schenkte der Frau ein ehrliches Lächeln. Ihre Hände banden saubere Tücher aneinander und wickelten sie um sein Bein. Dann setzte sie sich zurück und begutachtete ihr Werk. Der Knoten in ihrer Brust war längst einer wohligen Wärme gewichen, die sie bei ihrer Arbeit immer verspürte.
»So, das sollte halten.« Zufrieden sammelte sie ihre restlichen Kräuter zusammen, erhob sie sich und räusperte sich. »Aber du solltest trotzdem ein paar Tage lang nicht zu viel laufen. Und vielleicht solltest du darüber nachdenken, diesen Bock zu verkaufen.«
Der Viehhalter brummte erneut etwas Unverständliches, was Elara nicht weiter beachtete. Das Gefühl von Kontrolle milderte jeden bösen Blick, den Etan ihr zuwarf.
»Komm Lilli, lass uns nach Hause gehen«, sagte sie zu ihrer kleinen Schwester und half ihr aufzustehen.
»Vergesst eure Milchkanne nicht.« Linda nahm ein großes Gefäß vom Tisch und überreichte es Elara. »Deswegen war deine Schwester eigentlich hier«, erklärte sie und blickte verschämt weg. »Nehmt sie als Bezahlung für deine Hilfe.«
Vor Freude schwoll Elaras Herz an. Sie hatte es wieder geschafft. Ein weiterer Tag, an dem sie ihrer Mutter zeigen konnte, dass sie nicht nur eine Magielose war. Ein weiterer Tag, an dem ihre Familie etwas Nahrhaftes zu Essen bekamen. Beim Gedanken an den sahnigen Milchbrei lief ihr das Wasser im Mund zusammen.
»Vielen Dank, Linda«, erwiderte sie und schenkte ihr ein weiteres Mal ein Lächeln.
»Danke Linda«, wiederholte Lilli. »Bis zum nächsten Mal.« Und schon war das kleine Mädchen aus der Tür gelaufen. Ihre Schwester schien es eilig zu haben. Hoffentlich war ihr nicht wieder schlecht geworden. Sie hatte ihr schon so oft gesagt, dass sie ihr bei der Wundversorgung nicht zusehen musste, aber Lilli hatte immer darauf bestanden. Was auch irgendwie süß war, das musste Elara zugeben.
Sie verabschiedete sich ebenfalls und folgte ihrer Schwester nach draußen.
Diese hielt sich, genau wie vermutet, den Bauch und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Ihre Gesichtsfarbe hatte ein besorgniserregendes Grau-Grün angenommen.
»Ach Kleine«, flüsterte sie einfühlsam und legte ihr sanft einen Arm auf den Rücken. »Langsam, tief ein und wieder ausatmen.«
Seufzend befolgte Lilli ihren Rat. Dann blickte sie ihre große Schwester mit runden Augen an. »Ich … Ich wollte es dieses Mal unbedingt schaffen, dabei zu bleiben. «
Besorgt ging Elara in die Hocke und wischte Lilli mit dem Daumen etwas Ruß von der Wange. »Das musst du nicht. Du bist mir auch so eine große Hilfe. Gehts wieder?«
Schniefend nickte Lilli. Nur langsam kehrte die Farbe zurück auf ihre Wangen. »Tut mir leid«, murmelte sie kleinlaut.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, es ist ganz normal, dass der Körper so reagiert«, erklärte Elara tröstend. Dann stand sie auf und überreichte Lilli ihr Kräuterbündel. »Würdest du für mich auf sie aufpassen, bis wir wieder bei Mutter sind?« Sie wollte ihrer kleinen Schwester das Gefühl geben, ebenfalls gebraucht zu werden. Auch wenn es nur eine kleine Geste war.
Wie erhofft strahlte Lilli sofort. »Ja, das mach ich!«
Lächelnd stemmte Elara eine Hand in die Hüfte. Mit der anderen hielt sie noch immer die Milchkanne fest. Nebel hatte sich inzwischen dicht über die Straßen gelegt und die Kälte biss ihr in die Finger.
»Hör mal«, begann Elara noch einmal. »Es ist mir wichtig, dass du das weißt. Dir muss gar nichts leidtun. Du hast richtig gehandelt und ziemlich sicher sogar sein Leben gerettet. Du kannst stolz auf dich sein.« Sie lächelte schief.
Lilli atmete geräuschvoll aus. »Irgendwann will ich auch so mutig und talentiert sein wie du.« Ihre zarte, kindliche Stimme brach bei den letzten Worten. Sie trafen Elara wie ein Schlag ins Gesicht. »Wie du ihm geholfen hast – das war unglaublich!«
Elara strich ihr liebevoll durch das goldene Haar und sah ihr in die leuchtenden Augen. »Es war nichts Besonderes«, wiegelte sie ab. »Du wirst einmal eine große Magierin, das ist viel besser als das bisschen Kräuterkunde, das ich beherrsche.« Sie senkte ihren Blick, und ohne dass sie es wollte, klangen ihre Worte traurig. Niemals würde sie im Dorf dieselbe Position einnehmen wie eine Magiebegabte. Egal wie wichtig sie für die Dorfbewohner war.
»Doch«, beharrte Lilli und wurde lauter. »Du bist so gut darin, anderen zu helfen.« Sie lief einen Schritt auf Elara zu und umarmte sie, wobei sie ihrer Schwester nur bis zur Hüfte reichte.
Wärme flutete Elaras Körper und sie merkte, wie sie sich merklich entspannte.
»Du hast ein Talent. Ich wünschte, ich könnte so sein wie du«, murmelte Lilli in Elaras Kleidung hinein.
Ein bitteres Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie wollte etwas sagen, eine Antwort finden, die der Bewunderung ihrer kleinen Schwester gerecht wurde. Es nagte an ihr, dass es wieder einmal Lilli war, die sie tröstete. Und das, wo sie für ihre kleine Schwester da sein wollte.
Lilli durfte niemals so werden wie sie.
Sie drückte ihre kleine Schwester fester an sich und schloss einen Moment lang die Augen. Nein, Lilli würde keine Unvollkommene werden und wenn doch, würde sie sie mit ihrem Leben beschützen.
2
Das Wiehern von Pferden zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, als sie sich ihrem Haus näherten. Elara kniff die Augen zusammen, als könnte sie dadurch mehr erkennen. In Momenten wie diesen verfluchte sie es besonders, dass sie keine Magie besaß, um den Schutzwall ihrer Familie aufrechtzuerhalten. Dann hätten zumindest einfache Eindringlinge keine Chance.
Als sie näher kamen, traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag. Waren das nicht die Rappen der schwarzen Wächter?
Hastig nahm sie Lillis Hand und beschleunigte ihre Schritte.
»Warte, nicht so schnell«, beschwerte diese sich und stolperte hinterher.
Wenige Augenblicke später kamen sie völlig außer Atem vor der hölzernen Tür ihres Zuhauses an.
Tatsächlich. Da standen drei gepanzerte, schwarze Pferde vor ihrem Haus. Vor Übelkeit zog sich Elaras Magen krampfhaft zusammen. Waren sie wegen ihr hier? Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust.
»Du bleibst hinter mir, verstanden?«, befahl sie ihrer Schwester und wartete, bis sich Lilli hinter ihrem Rücken versteckt hatte.
Mit einem tiefen Atemzug drückte Elara die alte Tür zögerlich auf.
Ein Schrei, dicht gefolgt von einem dumpfen Schlag.
Laute Stimmen polterten Elara entgegen.
»Was bei allen Göttern?«, entwich es ihr. Die Milchkanne, die sie eben noch in der Hand gehalten hatte, fiel mit einem dumpfen Klappern auf die vom Regen durchnässte Erde. Kostbare weiße Flüssigkeit ergoss sich auf den Boden und bildete eine Pfütze.
Lilli quietschte erschrocken, aber Elara reagierte nicht.
Stocksteif hielt sie in ihrer Bewegung inne und lauschte. Sie hatten ihren Tribut an den König von Nightscale gezahlt, da war sie sich sicher! Wurde er nicht weitergegeben? Oder gar gestohlen?
Einen Moment lang verharrte Elara in der Starre, dann riss die aufkeimende Sorge um ihre Familie sie aus der Bewegungslosigkeit.
Ihr Griff um das Messer verstärkte sich und sie zwang sich zu einem gleichmäßigen Atem. Mit einem zaghaften, zögerlichen Stoß drückte sie die Tür weiter auf und sah sich sogleich zwei Kronwachen des Nightscale Imperiums gegenüber.
In einer fließenden Bewegung packte der Größere Elara unsanft am Arm und zog sie hinein.
»He! Was soll das?«, protestierte sie wütend.
Dennoch blieb der Griff der Wache eisenhart.
Während sie schrie und um sich schlug, flog das Messer aus ihrer Hand und fiel klirrend auf den Holzboden.
Daraufhin registrierte sie eine Bewegung unweit von ihr. Ihre Mutter krümmte sich und stützte sich mit einer Hand am Tisch ab. Rote Schwellungen zierten ihr Gesicht und sie ächzte.
Was war hier geschehen?
Auch Lilli wurde von einem heraneilenden, untersetzten Wächter in das Haus gezogen.
»Lasst sie in Ruhe«, kreischte Elara und wand sich im Griff des Mannes.
»Da ist sie ja«, zischte der Beleibte. Der Brustpanzer, den er trug, wölbte sich ausladend. Im Vergleich zu den anderen wirkte dieser Wächter überhaupt nicht angsteinflößend. Elaras Meinung nach hatte dieser Gardist schon länger keinen Trainingsplatz mehr gesehen.
»Elara Stormhold?« Er hob fragend eine seiner wulstigen Augenbrauen und riss sie aus ihren Gedanken. Trotz seines durchschnittlichen Erscheinungsbildes zuckte Elara beim Klang der rauen Stimme zusammen.
»Nein!« Bevor Elara antwortete, hallte ihr ein weiterer Schrei entgegen. Verdammt, sie hatten Lilli.
Der dicke Gardist drückte das kleine Mädchen mit einem einzigen Stoß zurück an die Wand.
»Dich hat niemand gefragt«, schnauzte er.
Ein leises Schluchzen entwich der Kleinen und eine Träne rann ihre Wange hinunter.
Die Angst in Lillis Augen schnitt Elara tief ins Herz. Alles, wofür sie lebte – Kräuterkunde erlernen, um tagsüber das Haus verlassen zu dürfen, den Ruf ihrer Familie zu wahren – all das war bedeutungslos, wenn sie selbst ihre kleine Schwester in Gefahr brachte.
Mit weit aufgerissenen Augen fixierte Elara Lilli und schüttelte vehement den Kopf. Die Leute von König Dragonscale verstanden keinen Spaß, dafür waren sie bis über die Grenzen des Königreiches hinaus bekannt. Kinder, Frauen, Neugeborene, das war ihnen egal. Die schwarzen Wächter waren allerorts als hirnlose, brutale Hüllen ihrer selbst gefürchtet. Nicht sehr intelligent, aber äußerst loyal. Und zu allem Überfluss beherrschte jeder von ihnen die Magie der Drachen.
Blanke Panik stieg in Elara auf. Die Familie zu beschützen war ihre Aufgabe.
Und sie hatte versagt.
Die dritte Wache stand mit dem Rücken zur Tür. Ihre schwarze Lederrüstung, auf der ein silberner Drache prangte, glänzte im Licht der einfallenden Sonnenstrahlen. Er hatte ein reich verziertes Langschwert gezogen und hielt es drohend vor Elaras kleine Schwester.
Drei Gardisten für eine arme, schwache Familie?
Das war lächerlich.
»Lasst meine Tochter in Ruhe!«, fauchte ihre Mutter und drehte sich zu Lilli.
Da trat der bauchige Wächter einen Schritt zurück und hob beschwichtigend die Arme. Mit seiner linken Hand holte er ein vergilbtes Pergament aus der Tasche an seinem Ledergürtel. »Wir werden niemandem etwas antun.«
Schnaubend presste Elara gleich darauf die Lippen fest aufeinander. Was für eine Lüge. Sie hatten ihre Mutter so geschlagen, dass diese sich kaum noch aufrecht halten konnte. Verstanden sie das etwa unter »niemandem etwas tun«? Sie sah auf das Pergament und kniff die Augen zusammen. Ein Drache auf schwarzem Wachs. Das war das Siegel des Schattenrats des Königs. Sie waren nicht wegen des Tributs hier.
Augenblicklich versteifte sie sich.
»Nein«, hauchte Elara. Mehr brachte sie nicht heraus.
Nur beiläufig bemerkte sie, dass die Wache neben ihr auch ihre zweite Hand nahm und hinter Elaras Rücken mit einem dicken Seil fest verknotete. Die groben, kräftigen Hanffasern schnitten ihr ins Fleisch. Ihr Körper weigerte sich, aus der Starre zu erwachen.
»Ich habe den Befehl, das magielose Mädchen Elara Stormhold mitzunehmen«, fuhr der untersetzte Wächter fort und richtete seine Aufmerksamkeit von ihrer Mutter und Schwester auf Elara. »Ihr wird die ehrenvolle Aufgabe zuteil, für unseren Kontinent einzustehen.«
»Das ist ein Fehler! Sie ist keine Magielose«, schrie Lilli. Blanke Furcht lag in ihrer Stimme. »Schaut sie euch an. Ihre Augenfarbe ist Grün. Sie sieht überhaupt nicht aus wie die anderen Unvollkommenen. Elara ist unsere Heilerin. Wenn hier jemand magische Fähigkeiten hat, dann ist es sie! Bitte, Ihr müsst mir glauben«, flehte Lilli und lief einen Schritt auf den Wächter zu.
Es war ein kindlich naiver Versuch, ihre geliebte große Schwester zu beschützen. Dass Unvollkommene keine grüne Augenfarbe haben können, hatte sie irgendwo aufgeschnappt. Ein Gerücht. Und nichts weiter als das war es.
»Lilli, hör auf«, zischte ihre Mutter und schaute abwechselnd zwischen ihren Töchtern hin und her. »Mach es nicht schlimmer.«
Der füllige Wächter wandte sich zur Tür und gab dem zweiten Gardisten, der Elara noch immer festhielt, ein Zeichen, ihm zu folgen.
Endlich erwachte sie wieder aus ihrer Erstarrung. »Lasst mich los. Ich habe nichts Falsches getan«, protestierte sie und wand sich in ihren Fesseln, welche sich dadurch fester in die Haut drückten.
Mit zusammengebissenen Zähnen überlegte Elara fieberhaft, was sie tun sollte.
Erneut hörte sie Lillis Schluchzen, das ihr durch Mark und Bein ging. Verdammt, sie würde diesen Wachen am liebsten in die Weichteile treten. Aber das würde ihre aktuelle Situation mit Sicherheit nicht verbessern.
»Es wird alles gut«, wisperte ihre Mutter und lief zu Lilli herüber.
Die Wache, die das Schwert gezogen hatte, ließ sie diesmal gewähren.
»Ferrin, los jetzt«, bellte der Dicke zu dem, der ihr die Fesseln angelegt hatte.
Elara japste nach Luft, als ein Ruck durch ihren Körper ging. Erneut schnitt das Tau in ihre Handgelenke.
»Bei den Göttern, verdammt«, presste sie schmerzerfüllt hervor.
Für den Bruchteil eines Augenblicks hielt Ferrin inne und wartete, bis Elara aufschloss.
Sie sah zu ihm auf und bemerkte, dass er sie direkt ansah. Seine blau-grauen Augen flackerten – oder bildete sie sich das nur ein? Doch ehe sie etwas sagen konnte, hatte er den Blick schon abgewandt. Überraschenderweise war Ferrin daraufhin mit den Fesseln vorsichtiger, was ihr allerdings nicht sonderlich Linderung verschaffte.
Dass ihre Mutter nicht an ihr hing, war nichts Neues. Aber dass sie sie keines Blickes würdigte, das hätte Elara nicht erwartet. Wenngleich sie bisher auch die einzige Tochter war, bei der die Magie nicht erwachte, so hatte sie stets alles in ihrer Macht Stehende getan, kein Ballast für die Familie zu sein. Außerdem – war Blut nicht dicker als Wasser?
»Warum tut ihr das?«, fragte Elara und schluckte ihre aufsteigende Panik hinunter. »Ich habe meinen Tribut gezahlt, wie jeder andere Bürger auch. Außerdem verfüge ich über ausgeprägte Heilfähigkeiten.« Ob sie sich noch herausreden konnte? Elara hatte keine Ahnung, was sie erwartete. Jeder und jede Unvollkommene, die bisher von den königlichen Gardisten geholt wurde, kehrte nicht zurück. Und dem Kontinent dienen konnte alles Mögliche bedeuten.
»Es ist ein Befehl des Schattenrats«, erwiderte der Wächter und öffnete die Tür. Sein Blick streifte erneut ihr Gesicht und er hob eine Augenbraue. »Und deine Heilfähigkeiten gehen auf die Kräuterkunde zurück, das ist keine Magie.«
»Und was hält der König davon?« Elara ließ nicht locker. Ihre Finger ballten sich zu einer Faust. Wenn die Wächter sie fortbrachten, wer würde dann auf Lilli aufpassen? Wer sollte sicherstellen, dass ihr nichts geschah, wenn auch bei ihr keine Magie erwachte? Abermals verkrampfte sich Elaras Magen bei dem Gedanken an die Hilflosigkeit ihrer kleinen Schwester. Triss war schon immer die Lieblingstochter ihrer Mutter gewesen. Kein Wunder, sie war genau wie sie eine Feuerbegabte. Die unfehlbare Tochter, die die Ehre der Familie wiederherstellte.
Zögernd hielt Ferrin einen Moment inne, bevor er antwortete. »Der König hat seine Gründe. Mehr musst du nicht wissen«, wich er ihrer Frage aus.
Elara runzelte die Stirn, hielt aber ausnahmsweise den Mund.
»Schluss jetzt«, herrschte der untersetzte Gardist, der scheinbar der Anführer der Dreien war. Er hatte das Pergament wieder zusammengerollt und wandte sich ein letztes Mal an Elaras Mutter. »Eure zweite Tochter ist eine Feuerbegabte, richtig?«
»Sie ist bei der Mentorin.« Ihre Mutter nickte eifrig.
»Einen schönen Lichtlauf«, brummte der Anführer, und Elara wurde von Ferrin nach draußen geschoben. Auch der Gardist mit dem gezogenen Langschwert verstaute seine Waffe und folgte ihnen.
Das verräterische Klirren von Goldstücken zerriss die Stille wie ein Messer.
Noch einmal hielt Elara in ihrer Bewegung inne. Sie drehte ihren Hals, soweit sie konnte und ihre Augen verengten sich. Sie wollte in die Richtung sehen, aus der sie das Geräusch vernommen hatte. Keine Chance. Der Wächter drängte sie weiter.
Das leise Klappern von Metall ertönte ein weiteres Mal, diesmal deutlicher. Jemand hob einen Beutel voller Münzen an oder täuschte sie sich?
Elaras Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie dadurch das beklemmende Gefühl in ihrem Inneren unterdrücken. Nein, das konnte nicht sein. Ihre Mutter würde sie nicht verraten und erst recht nicht für Geld. Sie war noch immer ihre Tochter.
Wüste Beschimpfungen aus der Vergangenheit drangen aus ihren Erinnerungen an die Oberfläche, und Elara sah sie genau vor sich. Die Bitterkeit in den Augen ihrer Mutter, der sie sich bei jedem ihrer Blicke stellen musste. Aber Gold – für das Leben ihrer Tochter eintauschen?
Unschlüssig biss sie sich auf die Unterlippe. In ihren Gedanken suchte sie verzweifelt nach einer Erklärung, die nicht in Verrat endete. Doch in der Totenstille, die auf das Klimpern folgte, fand sie nur das Donnern ihres eigenen Herzschlages.
Hinter ihr fiel die Tür mit einem lauten Krachen ins Schloss und sie zuckte erschrocken zusammen.
Keine Worte des Abschieds. Keine Möglichkeit, Triss, ihrer zweiten Schwester, auf Wiedersehen zu sagen. Oder Lilli noch einmal in die Arme zu nehmen.
Tränen rannen an Elaras Wangen hinunter.
Passend zum Sturm der Gefühle in ihrem Inneren frischte der Wind auf. Er zog und zerrte an Elaras dunklen Locken, die sich aus ihrem unordentlichen Zopf gelöst hatten.
Ferrin wickelte sich das andere Ende vom Seil um die eigene Hand und stieg auf sein Tier. Der Wächter trug die typische Rüstung der königlichen Wachen von Nightscale: schwarze Lederschuppen, die sich eng an seinen Körper schmiegten und bei jeder Bewegung leise knirschten und darüber das Wappen eines Drachen. Sie schätzte ihn auf etwas über zwanzig Winter und fragte sich unweigerlich, wie man sein Leben einer solch grausamen Pflicht widmen konnte. Sich der obersten Armee des Königs anzuschließen.
Die schwarzen, großen Pferde der Kronwachen waren imposant und nicht annähernd mit den Tieren aus dem Dorf zu vergleichen. Nicht nur, weil sie gepanzert waren. Jeder Körperteil wirkte einschüchternd überproportional.
Wenige Herzschläge später saß Elara auf eben jenem Ross direkt vor ihm und warf einen letzten Blick auf das einsame Haus am Rand des Dorfes, das so lange ihr Zuhause gewesen war.
Ein heißer Schmerz durchfuhr ihre Brust, als sie sich in Bewegung setzten.
Bilder von Lilli zogen vor ihrem inneren Auge vorbei. Ihre kleine Schwester, die ihr vor nicht allzu langer Zeit ein wildes Blumenbündel geschenkt hatte, um ihre Tränen zu trocknen. Elara schwor sich, dass sie nicht ruhen würde, bis sie Lilli in Sicherheit wusste.
***
Der Wald, durch den sie seit dem Morgengrauen ritten, wurde immer dichter. Obwohl Elara die Bäume von Everfall liebte, waren sie in diesem Moment nichts als stumme Zeugen ihrer Gefangenschaft. Die Schatten tanzten unruhig im spärlichen Licht der Sonne, dass zwischen den unzähligen Astgabeln hindurchdrang. Wenigstens der Nebel hatte sich verzogen. Trotz der enormen Artenvielfalt in diesem Teil von Blackfire waren sie bisher keinem Tier begegnet. Es war, als flohen diese vor den donnernden Hufschlägen der großen Rappen.
Der Anführer ritt an ihnen vorbei und warf ihr einen finsteren Blick zu.
Elara straffte ihre Schultern. Dieser alte Sack schüchterte sie nicht ein. Zumindest versuchte sie das zu glauben, denn das verräterische Drücken in ihrer Magengegend sagte etwas anderes. Sie zwang sich gleichmäßig zu atmen. Sie würde sich nicht brechen lassen.
Nicht hier. Nicht jetzt.
Sie bemerkte die bohrenden Blicke der beiden Wächter in ihrem Rücken. Sie schabten an ihren Nerven, wie stumpfe Messer.
Seit ihrer Festnahme hatte sich Ferrin überraschend zivilisiert verhalten. Er blieb die meiste Zeit über still. Sie war ihm dankbar, dass er nach der Abreise ihre Fesseln ein wenig gelockert hatte. Auch wenn das völlig gegen ihr Bild vom grausamen schwarzen Wächter verstieß.
Noch immer jagte ein kalter Wind durch die Bäume, und Elara konnte es nicht vermeiden, dass ihre Zähne vor Kälte klapperten. Vielleicht hätte sie die letzten Opfergaben besser der Elementargöttin Eletta erbringen sollen und nicht Fey. Sehnsüchtig blickte sie auf den Mantel des schwarzen Wächters, der vor ihr ritt.
»Für eine Unvollkommene bist du ziemlich schweigsam«, durchbrach Ferrin die Stille zwischen ihnen.
Elara drehte den Kopf und funkelte ihn an. »Soll ich deiner Meinung nach um Gnade winseln?« Ihre Stimme war ruhig, doch der Biss darin war nicht zu überhören.
Er wich ihrem Blick aus und schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Nun ja«, er fuhr sich mit Zeigefinger und Daumen über seine Bartstoppeln, die sich rund um sein markantes Kinn und die scharfe Wangenpartie befanden. »Die meisten tun das tatsächlich. Du aber hast dich erstaunlich schnell mit deinem Schicksal abgefunden.«
Blanke Wut brachte auch den Rest ihres Körpers zum Zittern. Der Wächter verurteilte sie, aber nichts anderes hätte sie von jemandem wie ihm erwartet.
»Still zu sein heißt nicht aufzugeben«, entgegnete sie scharf und kniff die Augen zusammen. »Ich habe gelernt, dass es klüger ist, eine Situation zuerst zu beobachten, bevor man vorschnell urteilt. Vielleicht solltest du das auch versuchen.«
Seine Mundwinkel zuckten verräterisch. »Ich beobachte mehr, als du glaubst.«
Schnaubend drehte sich Elara wieder nach vorn. »Und was habt ihr vor?«, warf sie ihm mit ihrem neu gewonnenen Mut entgegen. »Willst du mich etwa zu Tode quatschen?«
Ferrin hustete geräuschvoll, wenngleich sie das unterdrückte Lachen hörte.
Elara traute ihm nicht. Wie konnte sie auch? Er hatte sie mitgenommen, fortgerissen von allem, was sie liebte.
»Du hast gesagt, du kennst dich mit Kräutern aus. Warst du so etwas wie die Dorfheilerin?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Was kümmert dich das?«
Ein Ruck ging durch ihren Körper, als Ferrin das Pferd abrupt anhielt.
»Wir werden eine ganze Weile unterwegs sein, entschuldige also, wenn ich versuche -«
»W-wenn du was versuchst? Mir die R-reise so angenehm wie möglich zu gestalten?« Sie hob ihre gefesselten Hände an. »Das k-kann nicht dein Ernst sein«, warf sie ihm bibbernd entgegen.
Ferrin murmelte etwas, das sie nicht verstand.
Seufzend atmete sie einmal tief durch. Er wollte reden? Das konnte er haben! »I-ich habe die Kranken und Verletzten gepflegt. Ja. Und dank euch werden sie vermutlich sterben. V-vielen Dank an dieser Stelle noch mal.«
Sie hörte, wie er scharf die Luft einzog. »Warum hast du ihnen geholfen? Dir sollte klar gewesen sein, dass dich früher oder später jemand an den König verkaufen würde.«
Die Frage kam unerwartet und für einen Moment wusste sie nicht, was sie entgegnen sollte. Sie hatte eben nicht mit einem Verrat gerechnet, gerade weil sie so lange daran gearbeitet hatte, für das Dorf unverzichtbar zu sein.
»W-weil es das Richtige war. Jemand m-musste es tun. Und im Gegensatz zu euch besitze ich noch einen Funken Hoffnung in die Menschheit. S-selbst jetzt noch.« Ihre klappernden Zähne unterbrachen ihre Worte immer wieder und sie wunderte sich selbst über das, was sie sagte. Dennoch war es die Wahrheit. Ferrin war das beste Beispiel dafür: Ein Wächter, der so etwas wie Menschlichkeit und Emotionen zeigte.
Ferrin schwieg lange, ehe er leise murmelte: »Manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt richtig handeln können.« Ein Hauch von Bedauern lag in seinen Worten.
Was meinte er damit? Ihre Finger schlossen sich unwillkürlich um die locker sitzenden Fesseln. Elara wusste nicht, was sie daraufhin erwidern sollte, also schwieg sie. Das Gewicht eines schweren Stoffes legte sich auf ihre Schultern und augenblicklich umfing sie der Geruch von Asche und Minze. Sie zuckte überrascht zusammen und musste an sich halten, um nicht verzückt zu stöhnen, denn die Körperwärme, die von dem Umhang ausging, hüllte sie in eine trügerische Geborgenheit. Aus ihren Augenwinkeln heraus erkannte sie, dass es der schwarze Stoff des Wächters war, der sich um ihren Hals und die Arme schmiegte. Vielleicht war der redselige Wächter der Schlüssel zu ihrer Freilassung. Sie betete, dass es so war.
Den Rest des Tages stellte sie sich schlafend. Das rhythmische Klappern von Rüstungen und das Rascheln des Waldbodens trug ihre Gedanken davon. Und immer wieder dachte sie über Ferrins Worte nach. Sie rüttelten an einer Tür in ihrem Inneren, die sie nicht öffnen wollte. Noch nicht.
***
Es waren drei Lichtläufe vergangen, seit die schwarzen Wächter sie mitgenommen hatten. Drei Lichtläufe ohne ihre Schwestern, ihre Freunde, ihr Zuhause. Sorgenvoll dachte Elara an die Kranken, die sie in letzter Zeit regelmäßig besucht hatte. Wer würde ihnen jetzt helfen, wo sie nicht mehr da war?
Sie ritten in Richtung Westen und je näher sie der Grenze von Everfall kamen, desto hügeliger wurde es. Die unwirtliche, karge Landschaft, die sich von den schneebedeckten Gipfeln des Nordens bis hin zu den dichten, nebligen Wäldern im Süden erstreckte, war Elara bisher nur aus den Büchern ihrer Schwester bekannt. Das ständige Dämmerlicht, das sie seit einem Lichtlauf begleitete, forderte so langsam seinen Tribut. Immer wieder nickte sie ein, nur um kurz darauf verwirrt hochzuschrecken.
Die Sonne brach hier kaum durch die dichte Wolkenschicht und noch immer peitschte Elara der kalte Wind ins Gesicht. Ihre Wangen brannten und sie zitterte. Nicht einmal Kleidung hatte sie mitnehmen dürfen. Und auch wenn es von Ferrin überraschend nett gewesen war, ihr seinen Mantel zu geben, konnte er die Knochenkälte nicht gänzlich abweisen.
»Wir rasten hier«, sagte der Anführer aus dem Nichts heraus und kurz darauf hielten sie an.
»Ist das klug, so nah am Düstermal?«, hakte Elara nach und ließ ihren Blick misstrauisch umherwandern.
Aus der Ferne sah sie, wie sich die dunklen Berge von Nightscale aus den tiefen Wolken erhoben. Links von ihr ritten sie am Düstermal vorbei, dem letzten bewaldeten Teil von Everfall. Die Bäume dort waren doppelt so hoch wie die, die Elara von zu Hause kannte. Von Triss wusste sie, dass dieser Wald seit hundert Wintern von niemandem mehr betreten wurde. Dunkle Wesen trieben hier angeblich ihr Unwesen. Selbst wenn es sich dabei nur um alte Geschichten für kleine Kinder handelte, so war sie froh, dass die Wachen um ihn herumritten. Gleichzeitig wurde ihr mulmig zumute, wenn sie daran dachte, dass sie in seiner Nähe ihr Lager aufschlagen sollten.
Der Anführer gab ihr mit einem strengen Blick zu verstehen, dass sie zu schweigen hatte. Also biss sie sich auf die Zunge und hielt die Klappe.
Erst als Ferrin sie vom Pferd hob und ihre Beine wieder festen Boden unter den Füßen hatten, kroch ein stechender Schmerz durch ihr Gesäß. Sie hatte das Gefühl, dass sie kaum mehr laufen konnte.
Ein gleichmäßiges Rauschen erweckte ihre Aufmerksamkeit. Die Wachen führten die Pferde mit sich und kurz darauf erkannte Elara, woher das Geräusch kam.
Sie waren am Fluss Mournfall angekommen, der sich zwischen den Grenzen der zwei Reiche und dem Düstermal entlang schlängelte. Unzählige Legenden von Geistern und gefallenen Kriegern, die noch immer ihre ewige Ruhe suchten, rankten sich um ihn. Kein Ort, an dem sie freiwillig verweilen würde.
In diesem Augenblick registrierte Elara, wie staubig sich ihr Mund anfühlte. Seit mehreren Lichtläufen hatte sie kein frisches Wasser getrunken und ihre trockenen, aufgeplatzten Lippen sehnten sich nach dem kühlen Nass. An keinem Fluss hatten sie Halt gemacht, als wäre es ihnen wichtig gewesen, so schnell wie möglich aus Everfall herauszukommen. Den abgestandenen Limbabeerenwein, den die Gardisten mit sich führten, konnte sie nicht mehr sehen.
»Los, binde sie fest«, befahl der Anführer, als sie das Flussufer erreichten.
Ferrin zuckte unvermittelt zusammen und räusperte sich, woraufhin der andere Gardist die Augenbrauen krauszog.
»Gibt es ein Problem?«, hakte der Anführer nach.
Schnaubend drehte der Wächter sich zu ihm. »Können wir später sprechen, Hauptmann?«
Elara legte den Kopf schief und beobachtete die Szene argwöhnisch. Was ging hier vor sich?
»Sicher«, murmelte dieser zögernd.
Der schwarze Wächter führte Elara zu einem Baum nahe dem Wasser. Ferrins Hände waren stark, aber nicht so grob wie die des anderen Gardisten. Er band das andere Ende des Seils um den knorrigen Stamm und seufzte. »Der Fluss Mournfall …«, murmelte Ferrin leise. »Wir sollten nicht zu lange hierbleiben.« Seine Gesichtszüge spannten sich an. Die Nostalgie in seiner Stimme verriet Elara, dass dieser Ort für ihn eine tiefere Bedeutung haben musste. Unter anderen Umständen hätte ihre Neugierde sie dazu gebracht, nachzufragen. So hoffte sie nur, dass ihre Peiniger bald ein wärmendes Feuer anschürten. Denn laut den Geschichtsbüchern ihrer älteren Schwester vertrugen Geister keine Hitze. Sie lösten sich aufgrund ihrer instabilen Zusammensetzung bei zu hohen Temperaturen auf.
»Ganz meine Rede, aber dein Vorgesetzter sieht das wohl anders.« Sie zuckte mit den Schultern. Wenngleich ihre Stimme ruhig klang, ließ sie die Nähe zum verfluchten Wald unruhig herumrutschen.
Er warf ihr einen kurzen, prüfenden Blick zu. Wollte er sich vergewissern, dass sie nicht zu fliehen versuchte? Als hätte sie dazu die Möglichkeit. Jedes Kind wusste, dass die Pferde der schwarzen Wächter auf niemand anderen hörten. Und sie würde einen Teufel tun und allein zu Fuß nach Hause laufen. Das kam einem Todesurteil gleich. Ganz davon abgesehen, was ihre Peiniger ihrer Familie antun würden, sollte sie entwischen. Vielleicht ergab sich ja vor Ort eine Möglichkeit, ihre Kräuterkunde Fähigkeiten gewinnbringend einzusetzen. Tief in ihrem Inneren hoffte Elara, dass sie so doch noch zu ihren Schwestern zurückkehrte.
»Wir werden Feuerholz suchen«, sagte der Anführer der Wachen und nickte einem der anderen zu. »Komm mit, wir sehen uns die Gegend an. Ferrin, bleib bei ihr.«
»Jawohl Sir«, entgegnete dieser und verengte die Augen dabei.
Ohne ein weiteres Wort zogen die beiden ab und ließen sie und Ferrin allein zurück. Von da an würdigte er sie keines Blickes mehr.
Das leise Rauschen des Flusses und das Rascheln der Blätter im Wind erfüllte die Lichtung. Es wirkte beinahe friedlich.
Elara zitterte noch immer, obwohl sie dankenswerterweise Ferrins schwarzen Umhang bekommen hatte.
Nachdenklich sah sie in den Himmel hinauf. Vereinzelte Strahlen der Sonne hatten sich durch die Wolken gekämpft und tauchten den Wald um sie herum in ein warmes orangefarbenes Licht.
Das Klirren einer Klinge riss Elara aus ihren Beobachtungen. Ferrin hatte sein Schwert gezogen und sah sich hektisch um.
Zweige knackten und Elara hielt den Atem an. Was war das? Instinktiv zog sie die Beine an und drückte sie fester in den Boden.. Wieder einmal wurde ihr bewusst, wie hilflos und ausgeliefert sie jedem Angreifer war. Ein drückendes Gefühl, dass ihre Kehle zuschnürte. Ein dunkler Schatten huschte am Waldrand des Düstermals entlang. So groß und flink, dass sie mehrmals blinzelte, um sicherzugehen, dass ihr Verstand sie nicht an der Nase herumführte. Elaras Herz schlug schneller. Gab es hier Bären? Mit Sicherheit. Aber die würden noch die geringste Gefahr für sie darstellen.
»Bei der Göttin Fey, was war das?«, keuchte sie.
Nervös drehte Ferrin den Griff seiner Waffe. Sein Körper bebte vor Anspannung.
»Sei still«, befahl er, während er mit schmalen Augen den Wald absuchte.
Der Wächter hatte gut reden. Sie war völlig hilflos an einen Baum gekettet und konnte sich nicht einmal verteidigen.
»Es könnte ein Bär gewesen sein«, warnte sie ihren Peiniger und gleichzeitig einzigen Beschützer.
»Bären sind nicht so schnell«, zischte er und trat näher an den Baum heran. Überraschenderweise positionierte er sich direkt vor ihr.
Wollte er sie beschützen? Verwundert sah sie zu ihm auf und legte den Kopf schief. Bisher war ihr nicht aufgefallen, wie groß Ferrin war. Die gesamte Statur des schwarzen Wächters war zugegebenermaßen äußerst eindrucksvoll. Vermutlich würde er es sogar mit einem Bären aufnehmen können, überlegte Elara.
Seine Hand umklammerte den Griff des Schwertes so fest, dass seine Finger zitterten. Auch wenn er es nicht zeigen wollte, Elara hatte die Angst in seiner Stimme gehört. Ferrin sah über die Schulter und einen Moment lang trafen sich ihre Blicke. »Bleib ruhig«, wiederholte er eindrücklich. Seine Worte waren sachlich, doch sein Blick verweilte einen Moment länger als nötig auf ihrem Gesicht.
»Ich bin ruhig«, protestierte sie. Mit pochendem Herzen schaute sie sich um. Ihre Haut prickelte unangenehm und sie konnte kaum noch atmen.
Einen Moment lang herrschte Stille.
Dann ertönte ein lautes Krachen hinter den Bäumen des Waldrandes, als eine große, schwarze Gestalt durch die Kronen brach.
Ein gepresster Laut entwich Elara und ihre Augen weiteten sich.
Das Ding war riesig. Es ragte über die Baumwipfel hinaus und war von tiefschwarzen Schuppen bedeckt. Seine gewaltigen Schwingen verdunkelten innerhalb weniger Wimpernschläge die letzten Strahlen der untergehenden Sonne.
Ein verdammter Drache.
»Die Nachtmahre, jene düsteren Wesen, deren gewaltige Gestalten selbst den Sternen das Leuchten nahmen, stürmten über das Land. Ihre rot glühenden Augen und die Reisszähne, geschärft wie die Klingen der Götter selbst, waren die Schrecken der Düsternis. Diese Dämonenpferde waren unsterblich und getrieben von einem unauslöschlichen Hass. Sie kannten keine Gnade, kein Mitleid und keine Erlösung – denn einst waren sie selbst im goldenen Lichte geboren und wandelten im Glanz des Lebens.«
Auszug aus
»Die klagenden Schatten –
Chroniken der Nachtmahre«
3
Augenblicklich entspannte sich Ferrin wieder. Er steckte sein Schwert zurück in die Scheide, als wäre die Bedrohung vorüber.
War er von allen guten Göttern verlassen? Elara starrte ihn fassungslos an.
»Keine Gefahr«, murmelte die Wache unbeeindruckt und wandte sich wieder von ihr ab.
Keine Gefahr? Da erhob sich eine riesige Echse unweit von ihnen aus dem Wald. Die Bestie könnte sie locker mit einem Happs verspeisen! Sie presste sich so fest gegen den Baumstamm, dass die Rinde Abdrücke auf ihrer Haut hinterlassen musste. Es kam nicht häufig vor, dass sich die geflügelten Echsen in der Nähe ihres Dorfes in Everfall sehen ließen und sie war der Göttin Fey dankbar dafür.
Der grün-goldene Drache brüllte und scheuchte eine Schar dunkelblauer Dämmersänger auf. Deren grauenvolles Geschrei war schlimmer als die Laute der geflügelten Echse selbst.
Unsicher sah Elara zwischen dem aufsteigenden Drachen und Ferrin hin und her.
Das mächtige Tier erhob sich in die Lüfte und sie staunte mit einer Mischung aus Angst und Ehrfurcht über die im Zwielicht schimmernden Schuppen. Die Bäume erzitterten unter der Wucht seiner Bewegung. Ein letzter, dröhnender Aufschrei ertönte, als der Drache seinen gewaltigen, stachelbesetzten Schwanz peitschen ließ. Dann drehte er ab und verschwand in Richtung der Berge.
Normalerweise drangen die großen Echsen nicht so weit Richtung Everfall vor. Nie zuvor hatte Elara einen Drachen von nächster Nähe gesehen. Und wenn sie ehrlich war, konnte sie in Zukunft auch darauf verzichten.
Sie atmete einmal tief durch und ein Teil der Anspannung wich aus ihrem Körper. Noch nicht tot, das war schon mal ein guter Anfang.
Ferrin stand vor ihr und zeigte auf den ledernen Beutel.
»Durst?« Sein Gesicht war wieder verschlossen. Vorhin hatte Elara die Angst anhand seiner verkrampften Haltung erkannt, da war sie sich sicher. Jetzt wirkte er wieder kontrolliert.
Angewidert schaute sie auf den Trinkschlauch und hob eine Augenbraue.
»Da ist frisches Wasser drin«, erklärte er überraschend freundlich, als er ihren Blick bemerkte.
Elara hatte gar nicht mitbekommen, dass Ferrin frisches Wasser eingefüllt hatte. Trotzdem nickte sie und lies sich, wie die Lichtläufe zuvor, die Flüssigkeit einflößen. Es war ein unangenehmes Gefühl, so auf jemanden angewiesen zu sein. Glücklicherweise verschwendete Ferrin nicht viele Worte und stellte sie auch nicht bloß. Sie konnte sich nicht erklären wieso, aber weder der Anführer noch die andere Wache wirkten so, als könnten sie das Gleiche von ihnen erhoffen. Darum war sie froh, dass Ferrin bei ihr geblieben war.
Nicht, dass sie seine Gesellschaft genoss, so weit würde sie nicht gehen. Aber er war definitiv der Erträglichste von den dreien.
»Kann ich dich etwas fragen?«
Ferrin stand auf und verstaute den Wasserschlauch wieder in seinem Gürtel. Dann zog er beide Augenbrauen nach oben. »Kommt drauf an was.«
Mit gesenktem Blick schaute Elara auf den laubbedeckten Boden. »Die Unvollkommenen, bisher ist keiner von ihnen wieder zurückgekehrt. Wieso?«
Er drehte sich um. »Es ist zugunsten unseres Kontinents. Mehr wirst du früh genug erfahren.«
Elara seufzte und sah auf. »Was würde es für Blackfire ändern, wenn du es mir jetzt sagst? Ist es nicht das Mindeste, dass man mir sagt, was passiert, wenn ich schon wie eine Verbrecherin abgeführt werde?«
Sie sah, wie er die Hände zu Fäusten ballte. Verdammt, war sie zu weit gegangen?
Etwas Unverständliches brummend stapfte er in Richtung der Pferde, die nicht weit von ihnen entfernt am Ufer des Flusses tranken. Ferrin würde ihr die Antwort schuldig bleiben, so viel war klar.
Kurz darauf kündigten schwere Schritte und das Rascheln von Blättern die beiden anderen Wachen an.
Der Anführer war der erste, der in Elaras Sichtfeld kam. Dicht gefolgt von dem zweiten Gardisten, der das gesamte Feuerholz trug. Die Äste waren so hoch gestapelt, dass er kaum darüber hinweg sehen konnte.
Im letzten Moment hielt sich Elara davon ab, laut aufzulachen. Ein Wunder, dass der Anführer überhaupt das Nachtlager verlassen hatte. Es wirkte nicht so, als würde er sich sonst körperlich viel betätigen.
Die zweite Wache ließ das Feuerholz in der Nähe von Elara auf den Boden fallen.
»Wir haben mit einem Abgesandten des inneren Zirkels gesprochen. Auf dem Weg nach Nightscale werden wir einen weiteren Unvollkommenen einsammeln. Das wird den Schattenrat freuen«, sagte er zu Ferrin.
Dieser nickte nur und bereitete, zusammen mit der zweiten Wache, den Boden für das Feuer vor.
»Also war es ein Drache?«, wollte Elara wissen und kassierte sofort einen warnenden Blick von Ferrin.
Daraufhin zuckte sie mit den Schultern. Hätten die schwarzen Wächter sie umbringen wollen, hätten sie dies schon längst getan. Die fliegende Echse hatte sie ebenfalls verschont und offensichtlich war Ferrin nicht daran interessiert, ihr mehr Informationen zu geben. Also würde sie sie sich selbst besorgen.
»Ja, auch wenn es dich nichts angeht«, blaffte der Anführer. »Sei froh, dass wir dich lebend brauchen und nicht an ihn verfüttert haben.«
Sie kniff die Augen zusammen, aber die Wachen wandten sich von ihr ab. Von den Männern würde sie heute nichts mehr erfahren. Vielleicht hatte der Unvollkommene, der bald zu ihnen stoßen würde, eine Idee, was auf sie zukam.
Ferrin brach kurz darauf auf und ließ sie mit den beiden unsympathischeren Gardisten allein. Da er Pfeil und Bogen aus dem Gepäck mit sich nahm, vermutete sie, dass er jagen ging.
Die letzten Lichtläufe hatte sie kaum etwas zwischen die Zähne bekommen. Gestern gab es für sie ein Stück trockenes Brot, das sie mit dem vermaledeiten Limbabeerenwein hinuntergespült hatte. Wie auf ein Stichwort knurrte ihr Magen.
Sie legte ihren Kopf so weit in den Nacken, wie es der Baum zuließ, und schloss einen Moment lang die brennenden Augen.
***
»Waidmannsheil.« Die Stimmen der Wachen rissen Elara aus ihrem kurzen Schlaf.
»Waidmannsdank«, sagte Ferrin und sie sah, wie er eine Dreihornziege auf den Boden nahe dem Feuer warf.
Der Anführer lief zu ihm herüber und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Kommandant Hessing tat gut daran, dich für die Mission zu empfehlen.«
Ferrin zuckte kurz zusammen, nickte dann jedoch und senkte leicht den Kopf. »Es war durchaus großzügig von ihm«, erwiderte er mit einem Ton, den Elara sonderbar fand.
War das Sarkasmus? Seine Stimme klang fast amüsiert. Als würde er die Worte des Anführers auf eine Weise kommentieren, die ihm nicht gestattet sein sollte. Der Anführer runzelte die Stirn, sagte aber nichts weiter.
Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis die Männer der Ziege das Fell abgezogen und sie zerteilt hatten. Wenigstens das Feuer brannte und spendete Elara die Wärme, die sie seit Lichtläufen vermisste.
Niemals wären sie zu Hause auf die Idee gekommen, eine Dreihornziege zu schlachten. Viel zu wertvoll war ihre Milch für die Dorfbewohner. Anders war es hier in der Wildnis, in der Elara keine andere Wahl hatte, als es zu essen. Sofern sie überhaupt etwas von dem Fleisch des Tieres abbekam.
Immer wieder sah sie gierig in die Richtung der Feuerstelle und beobachtete die Wachen dabei, wie sie genussvoll die übrig gebliebenen Knochen des Tieres abnagten. Lag dort nicht noch ein Stück? Elaras Magen knurrte so laut, dass man es selbst im weit entfernten Nightscale hören musste.
Sie hatte bemerkt, dass Ferrin immer mal wieder zu ihr herüberschaute. Hoffnungsvoll war sie seinem Blick begegnet, doch erfolglos.
Irgendwann, als der Schmerz schon zu so etwas wie einem Bekannten wurde, hörte sie, wie ein Knochen nicht weit von ihr auf den Boden fiel.
Sie setzte sich aufrechter hin und blinzelte einige Male. Es war spät in der Nacht und Elara musste eingeknickt sein.
»Viel Spaß«, zischte der Anführer und lachte dabei höhnisch. Er hatte ihr ein Stück Fleisch, das an einem Knochen hing, hingeworfen. Allerdings lag es so weit von ihr entfernt, dass sie es kaum erreichte.
So gut es ging, rutschte Elara auf dem Boden nach vorn und streckte ihren Fuß nach dem Beinknochen aus. Das Seil schnitt ihr wieder in die noch immer wunde Stelle am Handgelenk und sie zog scharf die Luft ein.
Nach einigen Versuchen hatte sie es endlich geschafft. Mit dem Fuß schob sie das Stück Fleisch zu ihr heran. Dreck, Erde und Laub klebte daran, doch das war ihr egal.
Nun war die Frage, wie bei allen Göttern sie das essen sollte, ohne ihre Hände zu benutzen?
Hilfesuchend schaute sie sich um und entdeckte Ferrin, der sie erneut ansah.
»Die Natur ruft. Du bewachst sie. Rurik und ich verschwinden eben«, rief der Anführer an ihn gewandt und verschwand kurz darauf mit der anderen Wache in den naheliegenden Büschen.
»Alles klar, Darek«, erwiderte Ferrin.
Das war ihre Chance. Elara seufzte. Sie musste ihn fragen, auch wenn es ihr zuwider war. Er war der Einzige, der ihr vielleicht helfen würde.
Sie räusperte sich. »Entschuldigung, würdest du?« Hoffnungsvoll blickte sie ihn an.
Hektisch suchte Ferrin darauf die Umgebung nach seinen Kollegen ab. Als er entdeckte, dass die beiden nicht mehr zu sehen waren, nickte er kaum merklich.
So war das. Er wollte nicht, dass die anderen sahen, wenn er sich menschlich gab? Elara würde diese Dragonscale niemals verstehen.
Der schwarze Wächter kam zu ihr gelaufen, ging vor ihr in die Hocke und hielt ihr das Fleisch an den Mund.
Es fühlte sich deutlich intimer an, als es sollte. Die Härte in seinen Augen wurde einen Herzschlag lang weicher. Augenblicke später war sein Gesicht wieder die steinerne Maske eines Wächters.
Elara betrachtete Ferrins markantes Gesicht, das vom flackernden Licht des Feuers sanft beleuchtet wurde. Seine Gesichtszüge wirkten ungewöhnlich edel und seine Haltung strahlte eine stille Autorität aus, die so gar nicht zu einer einfachen Wache passte. Was verbarg er nur?
»Schmeckt es nicht?«
Sie funkelte ihn an, während sie auf einem Stück Erde herumkaute. »Danke, vorzüglich.«
Ein spielerisches Grinsen zupfte an seinen Mundwinkeln, aber Elara konnte sich auch getäuscht haben. Das Feuer war die einzige Lichtquelle und die Schatten bildeten Muster auf seinem Antlitz. Erst jetzt bemerkte Elara, dass Ferrin durchaus attraktiv war. Zumindest für einen Dragonscale.
Seine Haut war von tiefen Furchen durchzogen, als hätte der Krieg seine Spuren in ihm hinterlassen. Dunkles, kurzes Haar umschmeichelte sein Gesicht und seine blassgrauen Augen waren kalt und unergründlich wie ein gefrorener See.
Erneut bis sie von dem Stück Fleisch ab und musterte während des Kauens seine Mimik. Vielleicht war da ein Hauch von Mitleid in seinen Zügen, oder aber es war nur die Routine eines Mannes, der seinen Willen schon lange hinter einer Maske aus Stein verborgen hatte. Aber aus irgendeinem Grund glaubte Elara nicht, dass dieser schwarze Wächter ein hirnloser Schlächter war.
»Du sollst die Unvollkommene bewachen, nicht mit ihr herumflirten«, schnauzte der Anführer. Seine Stimme war scharf und lauter als nötig.