Drei Ärzte,  drei Methoden - Patricia Vandenberg - E-Book

Drei Ärzte, drei Methoden E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »Aufstehen!« Tatjana Bohde stand neben dem Bett und blickte auf ihren Freund hinab. Schon vor einer Stunde hatte ihr alter blecherner Wecker geklingelt, der imstande war, sogar Tote aufzuwecken. Doch Dr. Danny Norden schlief immer noch tief und fest. »Heute ist dein großer Tag!« Danny kroch tiefer unter die Decke. Er sah die Dinge völlig anders als Tatjana und kniff die Augenlider fest zu. »Wendy ist bestimmt schon in der Praxis. Sie lüftet die Zimmer, gießt die Blumen und ordnet die Zeitschriften im Wartezimmer, während du, ihr Chef, noch faul im Bett herumliegst.« Er ließ ein demonstratives Schnarchen verlauten, um Tiefschlaf vorzutäuschen. Tatjana sollte nur nicht denken, dass ihr perfider Plan – ihn mit einem schlechten Gewissen aus dem Bett zu treiben – aufgehen würde. »Wenn sie damit fertig ist, geht sie in die Küche und setzt Kaffee auf«, fuhr Tatjana unbeeindruckt fort. »Auf dem Tresen steht ein großer Blumenstrauß. Alles soll perfekt sein an diesem denkwürdigen Tag.« Am liebsten hätte sich Danny ganz unter die Bettdecke verkrochen. Aber er durfte sich nicht bewegen. Schon die kleinste Bewegung hätte ihn verraten. Tatjanas untrügliches Gespür für ihre Umwelt war legendär und manchmal sogar unheimlich.

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Dr. Norden – 1 –

Drei Ärzte, drei Methoden

An erster Stelle steht das Patientenwohl

Patricia Vandenberg

»Aufstehen!« Tatjana Bohde stand neben dem Bett und blickte auf ihren Freund hinab. Schon vor einer Stunde hatte ihr alter blecherner Wecker geklingelt, der imstande war, sogar Tote aufzuwecken. Doch Dr. Danny Norden schlief immer noch tief und fest. »Heute ist dein großer Tag!«

Danny kroch tiefer unter die Decke. Er sah die Dinge völlig anders als Tatjana und kniff die Augenlider fest zu.

»Wendy ist bestimmt schon in der Praxis. Sie lüftet die Zimmer, gießt die Blumen und ordnet die Zeitschriften im Wartezimmer, während du, ihr Chef, noch faul im Bett herumliegst.«

Er ließ ein demonstratives Schnarchen verlauten, um Tiefschlaf vorzutäuschen. Tatjana sollte nur nicht denken, dass ihr perfider Plan – ihn mit einem schlechten Gewissen aus dem Bett zu treiben – aufgehen würde.

»Wenn sie damit fertig ist, geht sie in die Küche und setzt Kaffee auf«, fuhr Tatjana unbeeindruckt fort. »Auf dem Tresen steht ein großer Blumenstrauß. Alles soll perfekt sein an diesem denkwürdigen Tag.«

Am liebsten hätte sich Danny ganz unter die Bettdecke verkrochen. Aber er durfte sich nicht bewegen. Schon die kleinste Bewegung hätte ihn verraten. Tatjanas untrügliches Gespür für ihre Umwelt war legendär und manchmal sogar unheimlich.

Doch es war zu spät. Dannys unregelmäßige Atemzüge hatten ihn verraten. Tatjana holte zum ultimativen Schlag aus.

»Janine bereitet inzwischen die Überraschung vor, die wir uns für dich ausgedacht haben.«

In diesem Moment konnte Danny nicht länger an sich halten.

»Überraschung?« Er setzte sich kerzengerade im Bett auf und starrte Tatjana an. »Sag bloß, du hast deine sagenumwobene Prinzregententorte für mich gebacken?« Allein beim Gedanken an diese Köstlichkeit, die nur zu ganz besonderen Anlässen auf den Tisch kam, lief ihm das Wasser im Mund zusammen.

»Ach, sieh mal einer an.« Sie lächelte maliziös auf ihn hinab. »Du bist ja doch wach!«

»Gerade erst aufgewacht«, versprach Danny und hob die Hand zum Schwur, nicht ohne die Zehen zu überkreuzen.

»Überleg dir gut, was du tust!« Mit einem Ruck zog Tatjana die Bettdecke weg. Streng deutete sie auf seine Zehen. »Du bist gerade dabei, deine Überraschung zu verspielen.«

»O bitte, Jana, es ist so früh.« Verzweifelt flehte Danny um Gnade. »Da kann noch kein vernünftiger Mensch solche Diskussionen führen.«

Er stopfte sich das Kissen in den Rücken und lehnte sich zurück. »Warum hast du mich überhaupt schon aufgeweckt?«

»Weil das vermutlich das letzte Mal in unserer Beziehung ist, dass wir gemeinsam frühstücken werden.«

Danny fiel von einem Schrecken in den nächsten.

»Verlässt du mich? Schon wieder? Was habe ich denn diesmal getan?«, stellte er panisch eine Frage nach der anderen.

»Du bist ab heute alleiniger Chef der Praxis Dr. Norden. Realistisch, wie ich bin, weiß ich, dass deine Zeit in Zukunft knapp bemessen sein wird.« Mit verschränkten Armen stand sie vor dem Bett und sah zu ihm hinunter. »Deshalb wollte ich noch einmal die Ruhe mit dir genießen. Komm!« Sie wollte sich umdrehen, als sie fühlte, wie sie an der Hand gepackt wurde. Wenige Augenblicke später fand sie sich rücklings auf der Matratze wieder. Danny kniete über ihr und funkelte sie belustigt an.

»Realistisch, wie du bist, hättest du wissen müssen, dass ich deinen Plan vereiteln werde.« Er beugte sich über sie und küsste sie, dass ihr Widerstand schmolz wie Schnee in der Sonne. Als er sich von Tatjana gelöst hatte, betrachtete er sie nachdenklich. »Du machst dir doch nicht wirklich Sorgen?«, stellte er die naheliegende Frage.

Das übermütige Blitzen in Tatjanas Augen verschwand.

»Ehrlich gesagt schon ein bisschen.« Sie versetzte Danny einen Schubs und rollte sich zur Seite.

»Aber das musst du nicht. Dad ist doch schon seit ein paar Wochen nicht mehr in der Praxis. Hat sich deshalb etwas an meinen Arbeitszeiten geändert?«

»Bis jetzt nicht«, räumte Tatjana ein. »Aber erstens war es eine ruhige Zeit. Und zweitens ist er immer in die Praxis gekommen, um dich zu unterstützen, wenn Not am Mann war. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein.«

Danny unterdrückte ein Seufzen. Auf keinen Fall sollte Tatjana denken, dass er sie nicht ernst nahm.

»Du darfst nicht vergessen, dass ich immer mehr Routine bekomme. Und außerdem: Schau dir Mum und Dad an. Jahrelang war mein Vater der einzige Arzt in der Praxis. Und trotzdem ist es ihnen gelungen, ihre Beziehung zu pflegen.«

»Aber deine Mutter hat viele Jahre nicht gearbeitet. Ich dagegen habe einen Job mit unmöglichen Arbeitszeiten.«

»Und meine Mutter hatte fünf Kinder mit unmöglichen Schlafgewohnheiten«, konterte Danny und streckte die Hand aus, um Tatjana über die Wange zu streicheln.

In einem Anfall von Zärtlichkeit hielt sie sie fest und küsste sie, nur um sie im nächsten Moment fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel.

»Was machst du da mit mir, Danny Norden junior?«, fragte sie in gespielter Empörung und stand endgültig auf. »Ich bin viel zu nett. So hält man auf Dauer keinen Mann.«

»Mann nicht. Du schon«, witzelte er und rollte sich aus dem Bett. »Komm, lass uns frühstücken. Wenn du depressiv wirst, ist meist der Hunger daran schuld.« Gut gelaunt nahm er sie an der Hand und zog sie mit sich in die Küche, wo sie schon ein fürstliches Frühstück vorbereitet hatte. Auch wenn sie kein zärtlicher Mensch war, bewies sie Danny mit diesen Gesten immer wieder, wie wichtig er ihr war. Wie unerschütterlich sie zu ihm stand und an ihn glaubte. Niemals würde er sie enttäuschen. Auch nicht als alleiniger Chef der Praxis Dr. Norden. Und falls es doch einmal zu Problemen kommen sollte, wusste er, an wen er sich wenden konnte. Solange Danny denken konnte, waren ihm seine Eltern als leuchtendes Beispiel vorangegangen, und er wollte nichts weniger, als in ihre Fußstapfen zu treten.

»Aber über die Anzahl der Kinder müssen wir uns noch unterhalten«, unterbrach Tatjana seinen Gedankengang.

Danny stutzte einen Moment.

»Kannst du Gedanken lesen?« Da war sie wieder, ihre unheimliche Sensibilität.

»Hab ich von deiner Mum gelernt.« Sie zwinkerte ihm zu. Gleichzeitig griff sie nach einem Croissant, bestrich es mit Butter und schob es ihm in den Mund.

*

»Halt, warte! So kannst du unmöglich in die Klinik gehen!« Als Daniel Norden Anstalten machte, das Esszimmer zu verlassen, sprang seine Frau Felicitas vom Stuhl auf und lief ihm nach.

Sie erwischte ihn an der Hand und drehte ihn zu sich herum. »Was hast du denn mit der Krawatte angestellt?« Kopfschüttelnd nestelte sie am Knoten und schob ihn zurecht.

»Schlimm genug, dass ich überhaupt so ein Ding tragen muss.« Dr. Norden versteckte seine Nervosität hinter einer gehörigen Portion Unwillen. »Dabei bin ich nur deshalb Arzt geworden, damit ich keine Krawatte tragen muss.«

»Pech gehabt, mein Lieber. Daran wirst du dich als Direktor einer Klinik gewöhnen müssen.« Fee schob ihn ein Stück von sich und betrachtete zufrieden ihr Werk.

»Wieso? Jenny hat doch auch keine getragen«, witzelte er.

Spontan stellte sich Felicitas auf die Zehenspitzen und küsste ihren Mann.

»Keine Angst, mein Schatz. Das heute ist doch nur noch eine Formalität. Faktisch bist du doch schon seit Wochen Chef der Behnisch-Klinik.«

»Trotzdem ist es etwas anderes. Du als Psychologin müsstest das doch eigentlich wissen.«

»Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Und das nur halb«, korrigierte sie ihn. »Wartest du auf mich? Dann fahre ich gleich mit dir mit.«

»Wolltest du nicht unterwegs noch bei Tatjana vorbei schauen? Dafür habe ich keine Zeit.«

»Nicht nötig. Sie unterstützt Lenni heute im Klinikkiosk und bringt mir die Sachen gleich mit.«

»Welche Sachen?« Daniel betrachtete seine Frau mit schief gelegtem Kopf.

»Seit wann bist du so neugierieg? Das war doch bisher keine deiner hervorstechenden Eigenschaften.«

Er zwinkerte ihr zu.

»Schön, dass ich dich immer noch überraschen kann.«

»Auch das ist ein Grund, warum ich dich so liebe.« Fees zärtlicher Blick ruhte auf ihrem Mann, ehe er sie sehr unromantisch daran erinnerte, dass es höchste Zeit wurde, sich endlich auf den Weg zu machen.

»Schließlich will ich nicht gleich an meinem ersten Tag zu spät kommen.« Er schlüpfte in den Mantel, griff nach den Autoschlüsseln und trat hinaus in den noch jungen Morgen. Vor der Tür blieb er stehen und atmete tief ein. Die Luft war frisch und kühl. Die Eiseskälte der vergangenen Wochen hatte den Widerstand endlich aufgegeben und sich in höhere Lagen verzogen. Fröhlich zwitschernd begrüßten die Vögel die Ahnung von Frühling. War der Himmel an den vergangenen Tagen noch trüb und grau gewesen, war er an diesem Morgen klar und wolkenlos.

»Sieh mal einer an. Hast du Petrus bestochen?«, fragte Fee, als sie neben ihrem Mann nach draußen trat. Aus Gewohnheit hatte sie die Mütze tief ins Gesicht ziehen wollen. Beim Anblick des herrlichen Wetters beschloss sie aber, sie zu Hause zu lassen.

»Bestechung ist ein Fremdwort für mich«, brummte Daniel unwillig. Seine Verstimmung lag beileibe nicht an dem neuen Posten, den er an diesem Tag hochoffiziell übernehmen sollte. Es ging vielmehr um seinen Unwillen, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Dabei hatte die Chefin Jenny Behnisch auf eine große Übergabezeremonie verzichtet. Eine kleine Veranstaltung war auch ganz in ihrem Sinne.

Auch wenn er es nicht laut aussprach, wusste Felicitas um seine Gedanken.

»Sag bloß, du gönnst den Kollegen den Sekt nicht«, scherzte sie gut gelaunt. Sie sah der Zukunft optimistisch entgegen und freute sich auf die Zusammenarbeit mit ihrem Mann.

»Nur einem nicht«, erwiderte Daniel auf dem Weg zum Wagen. »Aber diese Missgunst beruht auf Gegenseitigkeit.« Er ließ die Schlösser des Wagens aufschnappen und hielt seiner Frau die Tür auf.

Fee dankte ihm mit einem Lächeln und nahm auf dem Beifahrersitz Platz.

»Kein Wunder. Schließlich hast du Lammers‘ ehrgeizige Pläne durchkreuzt«, bemerkte sie und schnallte sich an.

Daniel startete den Motor, legte den Rückwärtsgang ein und lenkte den Wagen aus dem Carport.

»Ich dachte, er hat es auf deinen Posten abgesehen.«

»Das ist sein Nahziel. Aber wenn sich die Chance geboten hätte, hätte er bestimmt auch nicht nein zur Klinikleitung gesagt«, unkte Fee.

Sie wusste nicht, dass Volker Lammers seine Fühler tatsächlich ausgestreckt, sie aber schnell beleidigt wieder eingezogen hatte, als Jenny Behnischs Entscheidung die Runde in der Klinik machte.

»Damit könntest du durchaus recht haben.«

Dr. Norden ahnte schon jetzt, dass ihm keine leichten Zeiten bevorstanden.

Nichtsdestoweniger überwog inzwischen die Freude über die neue Herausforderung. Er war sich der Ehre wohl bewusst, die seine langjährige Freundin Jenny Behnisch ihm zuteil werden ließ. Nicht viele Menschen in seinem Alter bekamen die Chance, noch einmal beruflich derart durchzustarten. Diese Gedanken beschäftigten ihn, bis er den Wagen auf dem Klinikparkplatz abstellte.

»Wir sehen uns später bei Jennys Feier«, raunte Fee ihm zu, als sie gemeinsam durch die Türen der Behnisch-Klinik traten.

Wie immer herrschte dort lebhaftes Treiben. Angehörige und Patienten bevölkerten die Lobby ebenso wie Schwestern, Pfleger und Ärzte. Daniel Norden war dankbar dafür, dass niemand von ihm Notiz nahm, als er durch die Lobby dem Aufzug entgegenstrebte. Oben angekommen, schlug er wie in den vergangenen Wochen auch den Weg Richtung Jennys Büro ein.

Nach einem Magengeschwür und einer schicksalhaften Operation, die sie um ein Haar das Leben gekostet hatte, war die Klinikchefin eine andere geworden. Zur großen Überraschung ihrer Freunde hatte sie die langjährige Bitte ihres Lebensgefährten endlich erhört und Daniel die Klinikleitung angeboten. Trotz der Ehre hatte er sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Zu groß war seine Sorge, in einen ähnlichen Sog zu geraten wie Jenny viele Jahre lang. Erst die Versicherung seiner Familie, das nicht zuzulassen, hatte ihn endlich überzeugt.

»Ich tue das Richtige!«, sprach er sich selbst Mut zu, als er vor der Tür zum Vorzimmer stand. Er gab sich einen Ruck, klopfte an und trat ein. »Einen wunderschönen guten Morgen, Andrea«, begrüßte er die Assistentin, die schon an ihrem Platz saß.

»Das können Sie laut sagen. Sie haben herrliches Wetter mitgebracht«, erwiderte Andrea Sander seinen Gruß gut gelaunt. »Wenn das kein gutes Zeichen ist …« Sie zwinkerte ihm zu und deutete auf die angelehnte Tür, aus der leises Summen klang. Ein verstörend fremdes Geräusch aus Jenny Behnischs Büro. »Gehen Sie nur rein. Sie werden erwartet.«

»Danke!« Er nickte ihr zu, zögerte einen winzigen Augenblick und schob die Tür auf.

Jenny war gerade dabei, ihr persönliches Hab und gut aus Regalen und Schränken in einen Umzugskarton zu packen. Einen Bildband in den Händen – das Geschenk eines angesehenen Kollegen – drehte sie sich zu ihm um.