Drei romantische Ann Murdoch Thriller - Ann Murdoch - E-Book

Drei romantische Ann Murdoch Thriller E-Book

Ann Murdoch

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Beschreibung

Drei romantische Ann Murdoch Thriller von Ann Murdoch Der Umfang dieses Buchs entspricht 328 Taschenbuchseiten. Drei romantische Thriller von Ann Murdoch in einem Buch: Dunkle Geheimnisse und eine Liebe, die dem Grauen widersteht. Diese Buch enthält folgende Romane: Vermächtnis aus dem Totenreich Das verhängnisvolle Tagebuch Pakt mit dem Bösen

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Drei romantische Ann Murdoch Thriller

von Ann Murdoch

Diese Buch enthält folgende Romane:

Vermächtnis aus dem Totenreich

Das verhängnisvolle Tagebuch

Pakt mit dem Bösen

Cover: Firuz Askin

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

1. digitale Auflage 2016 Zeilenwert GmbH

ISBN 9783956175374

Der Umfang dieses Buchs entspricht 328 Taschenbuchseiten.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vermächtnis aus dem Totenreich

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Das verhängnisvolle Tagebuch

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Pakt mit dem Bösen

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Vermächtnis aus dem Totenreich

von Ann Murdoch

Ein Vermächtnis aus dem Jenseits und Liebe, die dem Grauen trotzt - das sind die Zutaten dieses packenden übersinnlichen Romantic Thrillers von Ann Murdoch.

1

Es war der Eingang in eine völlig andere Welt. Direkt am Burgtor standen zwei Wachen in Habachtstellung und Kleidung in den Burgfarben, Blau und Silber, sowie jeweils einer Hellebarde in der rechten Hand.

Im Burghof selbst tummelte sich munteres Volk. Stände mit Getränken und Esswaren verbreiteten einen anregenden Duft nach frischem Brot, gebratenem Fleisch und seltenen Gewürzen. Ein Seiler und ein Korbmacher wetteiferten um Kundschaft, ein Töpfer zeigte den Interessierten an einer transportablen Drehscheibe die Herstellung von Tonwaren, und eine Frau pries Kleider und Tücher aus Seide und Samt an. Ein Täschner bot Lederwaren feil, die von hohem handwerklichen Geschick zeugten, allerdings auch nicht ganz billig waren.

Eine große Bühne, grob aus Holz gezimmert, war an einer Mauer der Burgumrandung aufgebaut, dort trieben bunt gekleidete Jongleure und Artisten, wie auch Musikanten ein lustiges Programm voran, während zahlreiche Zuschauer sich auf der Wiese niedergelassen hatten und begeistert dem Programm applaudierten. Gaukler liefen durch die Menge, zeigten ihre Kunststücke, und erwarteten anschließend einen geringen, aber wohlberechtigten Obolus. Kurzum, es war ein gelungenes Fest, wie es vor dreihundert oder vierhundert Jahren auch nicht besser abgelaufen sein konnte.

Heute, in der modernen, aufgeklärten Zeit, hatten sich neue Zünfte gebildet, die den alten Traditionen huldigten und immer wohlwollende Burg- und Schlossherren fanden, die sich bereit erklärten, mittelalterliche Jahrmärkte zu veranstalten. Das Publikum nahm diese Art von Veranstaltungen größtenteils begeistert hin. Es war schon etwas Besonders, einzutauchen in eine Welt, die eigentlich der Geschichte angehörte, und sich für kurze Zeit selbst zu fühlen wie in der Vergangenheit.

Zu den Besuchern dieses Jahrmarktes gehörten auch Jennifer Wheelan, die junge engagierte Historikerin, und ihr Freund, Christopher Morgan, der als Chemiker für ein großes Unternehmen arbeitete.

Jenny hatte sich dem Anlass entsprechend gekleidet, sie trug einen weiten, bodenlangen blauen Rock aus Leinen und eine Bluse aus naturweißer Baumwolle mit einem weiten Halsausschnitt. Chris hatte es abgelehnt sich zu verkleiden, wie er es nannte, Jeans und Hemd fand er nicht unpassend, er war schließlich nur als Besucher hier.

Das Paar schlenderte durch die Menge und hielt ab und zu an, wenn Jenny etwas begutachten wollte. Ein Kerzenmacher weckte ihr Interesse, der die langen Dochte durch das heiße Wachs zog, und das mit einer Geschicklichkeit, die auf lange Übung schließen ließ. Ein Mönch kreuzte den Weg der beiden jungen Leute, sein Wanderstab erweckte den Eindruck, als sei er lange und oft benutzt worden. Alles an diesem Jahrmarkt wirkte zum großen Teil authentisch, und Jenny, die nun wirklich genug Ahnung davon hatte, freute sich, dass hier die Traditionen so gut gepflegt wurden.

Der verlockende Duft gebackener Apfelküchlein mit Zimt ließ der jungen Frau das Wasser im Mund zusammenlaufen, zielstrebig schlug sie den Weg zur Quelle dieses wunderbaren Geruchs ein, und Christopher folgte ihr.

Doch dann wurden die beiden plötzlich aufgehalten. Eine ältere Frau mit klugen, wachen Augen stellte sich ihnen in den Weg. Sie trug einen verblichenen braunen Rock und eine fadenscheinige Bluse, die irgendwann einmal weiß gewesen sein mochte. Ein graues Tuch um die Schultern und zwei große baumelnde Ohrringe vervollständigten den Aufzug, der entfernt an eine Zigeunerin denken ließ.

„Kommt her zu mir, edle Leute“, sagte sie mit beschwörender Stimme. „Ich sage Euch die Zukunft voraus. Aus Euren eigenen Händen könnt Ihr die Wahrheit erfahren, und meine Kristallkugel wird das Verborgene offenbaren.“

Jenny grinste. Kein Jahrmarkt ohne Wahrsagerin, das musste einfach sein. Aus einem Impuls heraus folgte sie der Frau und verschob die Apfelküchlein auf später.

Christopher zog eine Flunsch, lachte dann aber auf. „Du wirst erfahren, dass du einen guten Mann heiraten, sechs Kinder haben und sehr alt und glücklich werden wirst“, prophezeite er.

„Na, dann kann sie mir ja vielleicht auch noch sagen, wie der Mann und die Kinder heißen werden“, stimmte Jenny lachend zu. Für sie war das einfach ein großer Spaß.

Die Frau führte die beiden in ein Zelt, in dem es schummrig war, und als der Vorhang fiel, spendete nur noch eine einzelne Kerze ein schwaches Licht. Diese Kerze stand auf einem polierten Totenkopf, und das Licht der Flamme brach sich glitzernd in einer Kristallkugel, die auf einem mitternachtsblauen Samtkissen lag.

Schlagartig war die Atmosphäre anders als gerade noch draußen im hellen Sonnenschein auf dem Burghof.

Ein wenig befangen setzten sich die beiden jungen Leute auf zwei unbequeme Klappstühle, die Wahrsagerin glitt mit einer fließenden Bewegung auf ihren Platz und streckte dann den Arm aus, zögernd reichte Jenny ihr die Hand. Eigentlich gefiel ihr dieser Spaß gar nicht mehr. Vielleicht lag es auch daran, dass hier irgendwo Räucherstäbchen glimmten und einen seltsamen Duft verbreiteten.

Doch es war zu spät, die junge Frau fühlte die Berührung von harten, schwieligen Fingern, ihre Hand wurde auseinandergezogen. Durch das dämmrige Licht sah Jenny die dunklen Augen der Frau aufblitzen.

„Ihr müsst keine Angst haben, edle Frau, ich sage nur, was ich sehe, für Euer Schicksal seid Ihr letztendlich selbst verantwortlich.“ Diese Worte nicht unbedingt dazu angetan Jenny zu beruhigen, die ein immer stärker werdendes, ängstliches Gefühl verspürte. Und doch lächelte die alte Frau sie an.

Sie strich über die Handfläche, starrte einige Zeit auf die Linien und warf dann einen raschen Blick auf Christopher, der sich ebenfalls äußerst unbehaglich fühlte.

„Ihr habt ein Leben, das sich mit der Vergangenheit beschäftigt“, verkündete die Wahrsagerin, und Jenny war verblüfft. „Ein langes Leben könnt Ihr haben, wenn Ihr es vermeidet, Euch mit sehr alten Dingen zu beschäftigen. Doch ich sehe auch, dass Euer Leben von Gefahr gezeichnet sein wird, wenn Ihr der Neugier nachgebt. Zwei Männer, nein, drei Männer, werden in Eurem Leben eine wichtige Rolle spielen. Und das alles hängt mit einem Gegenstand aus sehr alter Zeit zusammen.“

Jenny lief ein kalter Schauder über den Rücken, unwillkürlich zog sie ihre Hand zurück, die Frau aber strich jetzt einmal kurz über die Kristallkugel. Der erstickende Geruch in dem Zelt schien noch dichter zu werden, er nahm Jenny fast den Atem. Und doch starrte sie wie gebannt auf die Kugel, die jetzt milchig zu werden schien; aus dem Dunst, der den Kristall plötzlich erfüllte, bildeten sich Schemen, und Jenny zwinkerte verwirrt mit den Augen. Erlebte sie das gerade wirklich?

Die Wahrsagerin sprach weiter, ihre Stimme hatte sich verändert, so als käme sie jetzt aus weiter Entfernung und gehörte gar nicht mehr ihr selbst.

„Ihr befindet Euch in großer Gefahr. Ein Buch – oder ist es eine Erzählung – aus der Vergangenheit wird Euer Leben verändern. Gebt nicht nach, der Wahrheit treu zu bleiben, aber hütet Euch vor denen, die Euch nur vermeintlich wohlwollen. Sie führen Euch ins Verderben.“

„Jetzt reicht es aber!“ Christopher schlug auf den Tisch, wütend und aufgeregt. Der Kristall kullerte von seinem Platz, der Bann war gebrochen. „Ich lasse nicht zu, dass Sie weiterhin solchen Unsinn verbreiten“, donnerte der Mann. „Komm, Jenny, jetzt ist es genug mit dem Unfug. Wenn du ein Orakel brauchst, um düstere Vorhersagen zu bekommen, kannst du auch gleich die Zeitung lesen.“

Die Wahrsagerin schien von dem Ausbruch nicht sonderlich überrascht. Milde schaute sie auf Jenny, fast schon mitleidig, dann richtete sich ihr Blick auf Christopher. „Ihr könnt die Wahrheit leugnen solange Ihr wollt, Mann, aber damit macht Ihr sie nicht unwahr. Ihr werdet sehen, dass es Euer Verhalten ist, das die edle Frau ins Verderben treiben wird.“

„Unsinn!“, wehrte Christopher ab. „Genug jetzt, Jenny. Ich liebe dich, ich würde dir nie etwas zuleide tun. Und jetzt gehen wir.“

Er zog seine Freundin aus dem Zelt.

Draußen im hellen Sonnenschein schüttelte sich Jenny unwillkürlich und schaute dann mit einem ungläubigen Blick zurück. „So eine Verrücktheit“, sagte sie schaudernd. „Himmel, das war ja richtig gruselig.“

Noch immer malte sich der Zorn auf Christophers Gesicht, doch er zwang sich zu einem Lächeln, um Jenny nicht noch mehr zu beunruhigen.

„Komm, ich kaufe uns jetzt einige von diesen köstlich duftenden Apfelküchlein, und dann lass uns diesen Vorfall ganz schnell vergessen. Glaube mir, ich will dir nichts Böses.

„Das weiß ich doch.“

Die beiden setzten ihren Rundgang fort. Als sie später rein zufällig noch einmal an diese Stelle zurückkamen, war das Zelt der Wahrsagerin spurlos verschwunden, als habe es nie hier gestanden.

2

Jennys Vater, William Wheelan, war mit Leidenschaft Archäologe gewesen. Sein besonderes Interesse galt den Inka, eine Vorliebe, die niemand so recht hatte verstehen können. Drei große Expeditionen hatte er nach Südamerika geführt, und er war in der Lage gewesen, den größten Teil der Kosten selbst zu tragen und damit von einem Sponsor oder einem wissenschaftlichen Institut unabhängig zu sein. Er konnte auf ererbtes großes Vermögen zurückgreifen, und Jenny besaß nach seinem Tod das Erbrecht. Doch es gab eine Klausel, die verhinderte, dass ihr bereits alles ausgezahlt wurde. Das Geld war treuhänderisch festgelegt, und erst im Alter von fünfunddreißig Jahren würde es ihr voll und ganz zur Verfügung stehen. William Wheelan hatte damit verhindern wollen, dass Erbschleicher sich um seine Tochter bemühten. Ihm war dabei entgangen, dass seine Tochter einen sicheren Instinkt und ein gesundes Selbstbewusstsein besaß, sie würde nicht so einfach auf einen Mann hereinfallen, mochte er auch noch so treue Augen und schöne Worte machen.

Im Übrigen war Jenny nicht einmal auf das Geld angewiesen, sie arbeitete für ein Museum und verdiente ihr eigenes Geld, so dass sie die regelmäßigen monatlichen Zahlungen meist selbst noch anlegen ließ, weil sie gar nicht so recht wusste, was sie mit all dem Geld anfangen sollte.

Sie selbst träumte allerdings davon, eine längere Forschungsreise nach Frankreich und Italien zu machen, denn ihr Fachgebiet war das Mittelalter, und zahllose Kirchen und Museen hatte sie schon besichtigt oder auch gründlich erforscht.

Nun, vielleicht würde sie wirklich eine ausgedehnte Reise unternehmen, wenn sie über all das Geld verfügte, das ihr mit dem fünfunddreißigsten Geburtstag zustand, doch bis dahin waren es noch rund neun Jahre, Jenny hatte gerade erst ihren sechsundzwanzigsten Geburtstag gefeiert.

An diesem Tag war ihr aus dem Nachlass ihres Vaters ein ganz besonderes Geschenk zuteil geworden – ein Kipu.

Es handelte sich dabei um eine Überlieferung der Inka, eine Art Buch, allerdings anders, als wir modernen Menschen uns ein Buch vorstellen.

Ein Kipu besteht aus bunten Bändern mit unzähligen Knoten. Jeder dieser Knoten hat eine besondere Bedeutung, alles zusammen erzählt eine Geschichte, eine Tatsache, die uns heute unglaublich erscheint. Es bedurfte vieler Jahre und ungeheurer Erfahrung, um diese Knoten zu lesen, und selbst unter den weisen Männern der Inka hatte es nur wenige gegeben, die in der Lage waren, diese Bänder zu knüpfen und zu entschlüsseln.

William Wheelan war zu seiner Zeit einer der wenigen Menschen auf der Welt gewesen, der wenigstens noch einen Teil des Kipus hatte entschlüsseln können, oder vielmehr deuten.

Für Jennys Geschenk lag eine Übersetzung der Geschichte dabei, und sie hatte das Ganze wie ein Märchen gelesen. Immerhin ging es um einen verborgenen Schatz. Doch das alles war lange her, und ganz bestimmt gab es diesen Schatz schon ebenso lange nicht mehr. Doch ein Anhang in ihres Vaters Handschrift hatte sie dann stutzig werden lassen. Demnach war der Schatz von einem europäischen Eroberer gefunden und seltsamerweise nach Schottland gebracht worden, dann jedoch durch eine Reihe von Zufällen und unvorhergesehenen Ereignissen in Vergessenheit geraten.

Chris hatte gescherzt und ihr vorgeschlagen, gemeinsam mit ihm eine Expedition in die Highlands zu unternehmen und Höhlenforschung zu betreiben. Sie hatte lachend abgewehrt. Doch der Gedanke spukte mit schöner Regelmäßigkeit durch den Kopf des jungen Mannes. Zu konkret waren seiner Meinung nach die Hinweise, die Wheelan hinterlassen hatte. Und dass Jenny dieses Geschenk bekam, quasi noch aus dem Grab heraus, deutete doch einfach darauf hin, dass Wheelan von seiner Tochter erwartete, gewissermaßen als Vermächtnis, dass sie dieses Unternehmen in die Wege leitete.

Aber Jenny blieb hartnäckig bei ihrer Weigerung, sie wollte nichts von einer Expedition in die Highlands wissen.

Doch als die beiden nach diesem Ausflug in die Vergangenheit zurück nach Hause fuhren, kam Chris noch einmal darauf zu sprechen.

„Es macht mich stutzig“, begann er. „Diese Frau sprach von deinem Kipu, als würde sie ganz genau wissen, um was es geht.“

„Unsinn. Vielleicht hat sie mich einmal im Museum gesehen und hielt das jetzt einfach für einen guten Einfall, als wüsste sie wirklich etwas über mich. Du weißt doch, wie diese Leute arbeiten. Neunzig Prozent ihrer Vorhersagen sind Psychologie. Sie beobachten die Menschen und achten auf kleinste Anzeichen, der Rest ist einfach Erfindung, die sich aus dem Gesehenen ergibt. Und im Museum gibt es schließlich eine ganze Menge alter Dinge, auf die sie sich beziehen konnte. Ich bin sicher, so lässt sich das alles aufklären. Mach also bitte keine Staatsaffäre daraus. Ich bin dafür, dass wir die ganze Sache schnell wieder vergessen, wahrscheinlich haben wir auch einfach zuviel dahinein gedacht. Es war sicher nicht mehr als ein Scherz.“ Jenny wollte den Vorfall vergessen, allein schon deswegen, weil ihr auch bei der Erinnerung daran noch nicht wohl zumute war.

„Aber Jenny, Liebes, ich bin sicher, dein Vater wollte, dass …“

„Lass meinen Vater und diesen verflixten Kipu aus dem Spiel“, unterbrach sie ihn scharf. „Daddy hatte seine Welt, ich habe die meine. Und es liegt mir nichts daran, mich auf die Suche nach einem imaginären Schatz zu machen, den ich nicht einmal brauche.“

Chris lenkte ein. Wenn Jenny in dieser Stimmung war, würde er tauben Ohren predigen. Er legte ihr eine Hand auf den Arm und lächelte sie reumütig an.

„Sorry, Liebes, es geht einfach manchmal mit mir durch.“

„Schon gut“, grinste sie zurück, längst wieder versöhnt. „Ich habe deine Leidenschaft für diese unnütze Suche registriert. Aber wenn du unbedingt losziehen willst, musst du das schon allein tun.“

Als Jenny den Wagen über die weiße Kiesauffahrt zu Winters Tale Manors fuhr, entdeckte sie den großen schwarzen Jaguar vor dem Eingang. „Onkel Daniel ist da“, bemerkte sie überrascht.

Daniel Thornton war Anwalt von Beruf, einst der beste Freund von William Wheelan, dann Testamentsvollstrecker, heute Verwalter des Treuhandfonts. Er liebte Jenny wie ein Vater, hatte sie aufwachsen sehen und ihre großen und kleinen Sorgen geteilt. Sie hatte volles Vertrauen zu ihm, auch wenn er, wie schon William, grundsätzlich der Meinung war, dass es keinen Mann gab, der gut genug für seine kleine Jenny wäre. Auch Christopher mochte er nicht besonders, obwohl er ihm wenigstens nicht unterstellte, hinter Jennys Geld her zu sein. Doch jeder Mann, der sich für Jennifer interessierte, war in seinen Augen suspekt. Vermutlich wäre nicht einmal der Kronprinz in seinen Augen gut genug.

Thornton saß im großen Arbeitszimmer, das einst William Wheelan benutzt hatte, und das heute Jenny belegte. Er hatte einige Papiere auf dem Schreibtisch vor sich liegen, stand aber mit einem fröhlichen Lächeln auf, als er die junge Frau erblickte. Chris ignorierte er großzügig. Er zog Jenny an sich und küsste sie auf beide Wangen, eine zärtliche, vertraute Begrüßung, die sie ebenso erwiderte.

„Was machst du hier?“, erkundigte sie sich erstaunt. „Ich habe dich nicht vor Ende des Monats erwartet. Gibt es etwas Wichtiges, oder kommst du einfach mal so vorbei?“

Thornton lebte und praktizierte in Edinburgh, und er kam für gewöhnlich einmal im Monat zum Herrenhaus hinaus, um Jenny den Scheck zu bringen, der ihr zustand, und den sie ihm meistens wieder mitgab, damit er das Geld weiter anlegte. Und dieses Geld wurde selbst schon aus den Zinsen des angelegten Vermögens erwirtschaftet.

„Ich habe hier die jährliche Aufstellung der Anlagewerte“, sagte der Anwalt und deutete auf die Papiere auf dem Schreibtisch. Jenny machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Das interessiert mich nicht. Du machst das schon. Warum soll ich mir den Kopf darüber zerbrechen, ob du alles richtig angelegt hast? Ich bin sicher, du hast nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Lass es also da liegen.“

„Du gehst sehr leichtsinnig damit um“, rügte Daniel, und doch klang ein liebevoller Unterton aus seiner Stimme.

„Ich bitte dich, Onkel Daniel, ich habe nicht die geringste Ahnung von Geldgeschäften. Das alles könnte ich sowieso nicht nachprüfen. Soll ich jetzt noch jemanden beauftragen, der dich überprüft? Das kann doch nicht dein Ernst sein“, lachte sie. Eine Diskussion dieser oder ähnlicher Art führten die beiden mindestens einmal jährlich, immer dann, wenn die Abrechnung fällig war.

„Dein blindes Vertrauen in allen Ehren“, warf jetzt Chris ein. „Aber wenn es um Geld geht, und hier sind es doch wohl bedeutende Summen, spielt absolute Korrektheit eine Rolle. Du solltest wirklich überprüfen, oder überprüfen lassen, ob alles seine Richtigkeit hat.“

Ein verärgerter Ausdruck erschien in Thorntons Gesicht. „Ich glaube nicht, dass Ihr Rat hier gefragt ist, junger Mann“, stellte er abweisend fest.

„Es ist schon komisch. Ihr seid beide einer Meinung, und trotzdem kommt ihr nicht auf einen gemeinsamen Punkt“, seufzte Jenny. „Was ist nur los mit euch?“

„Nichts, ich mag nur keine Einmischung“, brummte Thornton, noch immer verärgert.

Chris zuckte die Schultern und schwieg.

„Lasst uns über etwas anderes reden“, schlug die junge Frau diplomatisch vor. „Ich verspreche auch, dass ich mir die Unterlagen ansehe. Aber ich will dir erzählen von dem Jahrmarkt heute. Es war wirklich ein Erlebnis.“

Sie berichtete in glühenden Farben, ihre Schilderungen waren mitreißend und ließen das ganze Geschehen vor dem geistigen Auge noch einmal lebendig werden. Bis sie dann plötzlich zu dem Vorfall mit der Wahrsagerin kam. Eigentlich hatte sie darüber hinweggehen wollen, doch dann entschied sie sich, es als lächerliche Episode darzustellen.

Aber das ging nicht so einfach. Ein Gefühl, eine Vorahnung, was auch immer, hinderte sie daran. Und so klang die Sache plötzlich irgendwie bedrohlich, und Jennys Stimme wurde unsicher.

Thornton, der schon von Berufs wegen ein aufmerksamer Zuhörer war, entging diese Veränderung natürlich nicht.

„Was war da wirklich?“, hakte er nach. Und dieses Mal schaute er Chris an, als sei dieser schuld daran, dass Jenny etwas Unschönes widerfahren war.

„Ich weiß nicht, Onkel Daniel, es war nur so, dass diese Frau mehr über mich zu wissen schien, als sie es eigentlich konnte. Selbst wenn ich in Betracht ziehe, wie solche Leute arbeiten. Und ihre Vorhersagen – puh, wenn ich nicht ein durch und durch solider Mensch wäre, könnte mir Angst und Bange werden. Sie sprach von Gefahren, die von einem Ding aus der Vergangenheit ausgehen. Nun ja, wenn ich im Museum über einen Knochen unseres Diplodokus stolpere, kann ich mir vermutlich den Hals brechen. Aber das hat sie nicht gemeint, da bin ich mir sicher.“

„Meinte sie den Kipu?“, fragte Thornton verblüfft, und Jenny wunderte sich, dass auch er automatisch auf diese Überlieferung kam, ebenso wie Chris. „Aber wie sollte sie davon wissen. Das hat schließlich niemand an die große Glocke gehängt. Und außerdem denke ich, dass eigentlich nur Fachleute etwas damit anzufangen wissen.“

„Ach, nein, das kann ich mir auch nicht vorstellen“, wehrte Jenny ab. „Aber merkwürdig ist das alles schon. Und ich habe so ein komisches Gefühl dabei.“

„Sie war komisch, das stimmt“, sagte jetzt auch Christopher. „Aber du hast doch selbst schon eine einleuchtende Erklärung gefunden. Sie wird dich im Museum gesehen haben und hielt es für einen gelungenen Scherz, dich aufs Glatteis zu führen.“

Thornton drehte sich um und ging zu dem großen hölzernen Globus, in dessen Inneren sich eine ganze Reihe von Flaschen mit Hochprozentigem verbarg. Er schenkte sich einen Whisky ein.

„Ich habe auch lange über dieses ungewöhnliche Geschenk deines Vaters nachgedacht, Jenny. Und ich bin wohl zum erstenmal einer Meinung mit deinem jungen Mann. Ich halte es ebenfalls für eine Aufforderung, eine Bitte oder ein Vermächtnis von William an dich, dass du dich auf die Suche machst.“

„Ich bitte dich, fang du nicht auch noch damit an“, reagierte sie unwirsch. „Ich habe kein Interesse an diesem Schatz, selbst wenn ich die Erbschaft nicht hätte, bräuchte ich ihn nicht. Ich habe meinen Beruf, der mir Spaß macht und bei dem ich gut genug verdiene. Warum sollte ich mich auf vage Hinweise hin einer verrückten Expedition unterziehen? Nein, keine Lust“, beharrte sie.

Thornton schaute sie aus seinen grauen Augen an. „Du willst den allerletzten Wunsch deines Vaters ignorieren?“

Jenny stand jetzt mit blitzenden Augen vor den beiden Männern, sie fühlte sich in die Ecke gedrängt und hatte nicht vor nachzugeben, versuchte aber dennoch, das Ganze etwas ins Lächerliche zu ziehen.

„Wollt ihr mich wirklich hinausjagen in die kalten Highlands, um irgendwelche Höhlen zu erforschen, in denen außer Fledermäusen, Spinnen und einer ganzen Menge Dreck nichts weiter zu finden ist? Alles auf ein paar Andeutungen hin, die außer euch niemand ernst nimmt?“

„Ja“, kam es von beiden gleichzeitig, und diese Gemeinsamkeit, die Jenny noch nie vorher erlebt hatte, reizte sie zum Lachen.

„Na gut, ihr nervtötenden Besserwisser, ich werde darüber nachdenken. Aber dass mir in diesem Zusammenhang ja keiner mehr ein Wort über diese Wahrsagerin verliert. Davon will ich nichts mehr hören.“

„Musst du auch nicht. Aber ich kenne da jemanden, der in Punkto Höhlenforschung einen besonders guten Ruf besitzt. Du solltest mit ihm reden, bevor du eine Entscheidung fällst. Außerdem denke, wenn du dich endlich für eine Expedition entscheidest, solltest du ihn engagieren. Dann kann ich wenigstens ruhig schlafen.“ Die Bemerkung von Thornton kam fast beiläufig, und doch lag ihm eine Menge daran, dass Jenny sich diesem Abenteuer aussetzte. Dennoch waren seine Worte eindringlich, offensichtlich hatte er sich schon länger mit diesem Thema beschäftigt.

„So habe ich es gern“, schimpfte Jenny gutmütig. „Mich in die Wildnis jagen und selbst gemütlich zuhause bleiben. – Es bleibt dabei, ich denke darüber nach. Und jetzt will ich kein Wort mehr darüber hören. Gibt es denn wirklich keine anderen Themen, mit denen wir uns beschäftigen können?“

3

Winter Tales Manors war eine Wortschöpfung von Jennys lange verstorbener Mutter gewesen. Als sie dieses stattliche Herrenhaus zum ersten Mal sah, war es in einem strengen Winter mit viel Schnee und Eis gewesen. Doch Mützen aus Schnee hatten auf den vielen Türmchen und den schräg abfallenden Dächern gelegen, warmes, gelbes Licht war aus den Fenstern gefallen, und der nahe Tannenwald sah ebenfalls wie verzaubert aus, und so war aus Harriston Mansions ganz einfach Winter Tales Manors geworden.

William und Mary Wheelan hatten dieses Haus gekauft, und Mary hatte viel Energie und Liebe – und noch mehr Geld – hineingesteckt, um ihm ein persönliches Flair zu geben. Was Jenny auch bis heute so bewahrte. Auch sie liebte diesen Herrensitz, der großartig und großzügig gebaut war, und dessen Innenräume geschmackvoll eingerichtet worden waren.

Hier, im großen Arbeitszimmer, das nach ihren eigenen Wohnräumen der liebste Ort für Jenny war, empfing sie John McDermott, den angeblich besten Höhlenforscher des Vereinigten Königreichs.

Noch immer war die junge Frau nicht davon überzeugt, dass sie unbedingt eine Expedition unternehmen sollte, wie Onkel Daniel und auch Christopher es ihr vorschlugen. Doch niemand sollte ihr nachsagen können, sie wäre stur, oder sie würde sich dagegen sperren, den allerletzten Wunsch ihres Vaters zu erfüllen.

Also hatte sie den Mann angerufen, sich auf seine Bekanntschaft mit Daniel Thornton berufen und um ein Gespräch gebeten, um überhaupt erst einmal festzustellen, ob eine Möglichkeit bestand, den legendären, schon nahezu sagenhaften Schatz zu finden, von dem ihr Vater geschrieben hatte, und den sie selbst nur noch für ein Märchen hielt.

Jenny hatte erwartet, in McDermott einen möglicherweise etwas rauen, vielleicht sogar ungehobelten älteren Mann zu sehen, der in einem fort von den Entdeckungen reden würde, die er bereits gemacht hatte. Doch ihre Überraschung war groß, als ein Mann Mitte dreißig aus einem Rover stieg, korrekt und relativ teuer gekleidet, der mit einer lässigen Geste dem Butler Johnston den Schlüssel in die Hand gab und einfach ins Haus hineinmarschierte.

Jenny hatte etwas neugierig am Fenster gestanden und mit Erstaunen, aber auch einem leichten Lächeln den Vorgang beobachtet.

Unruhig schaute sie zur Uhr, Daniel Thornton hätte längst auch hier sein sollen, doch aus irgendeinem Grund verspätete er sich. Nun musste Jenny dem Mann allein gegenübertreten, was sie etwas befangen machte. Doch was sollte schon sein? Sie würde ihm von dem seltsamen Geschenk erzählen, einschließlich des Nachtrags ihres Vaters, und wahrscheinlich würde dieser Mann dann herzhaft über das Ansinnen lachen, eine Expedition zu unternehmen. Er würde sich verabschieden, und das war es dann.

Es klopfte einmal kurz an der Tür, aber noch bevor Jenny den Besucher hereinbitten konnte, öffnete sich die Tür, und McDermott trat ein.

Das erste, was Jenny fesselte, waren die Augen des Mannes, braun waren sie, mit einem grünen Schimmer, sie verliehen dem Mann etwas Geheimnisvolles, Unnahbares.

Er war hochgewachsen, mindestens einen Meter achtzig, schlank, und wirkte durchtrainiert. Seine Haare waren kurz und braun und schienen sich energisch zu weigern in Reih und Glied zu liegen. Jenny bemerkte kurz darauf, dass McDermott sich häufig mit der Hand hindurchfuhr und so für noch mehr Unordnung sorgte, was ihn aber eher sympathisch machte, statt abstoßend zu wirken.

Das Lächeln aber wirkte kühl und zurückhaltend, als er ihr die Hand entgegenstreckte.

„McDermott, John McDermott. Und Sie sind Jenny Wheelan? Freut mich, Sie zu sehen. Wo ist Daniel?“

Offensichtlich kannte er Thornton, und noch offensichtlicher hielt er nichts davon, mit einer Frau allein zu reden.

Das hätte Jenny vielleicht aufmerksam machen sollen, doch seine Worte fielen ihr nicht näher auf. Aber sie fand sein Benehmen ein wenig ungebührlich, immerhin war sie diejenige, um die es hier ging, die vor allen Dingen im Zweifelsfall über das notwendige Geld verfügte, um eine Expedition auszustatten..

„Schön, dass Sie die Zeit für ein Gespräch aufbringen konnten“, erklärte sie also mit leiser Ironie. „Onkel Daniel ist leider noch nicht da. Sie werden mit mir vorlieb nehmen müssen“, setzte sie leicht süffisant hinzu. Die Enttäuschung McDermotts war ihr jedenfalls nicht entgangen.

Jetzt schaute er sie offen an, ihm schien aufzugehen, wie er sich daneben benommen hatte, er lächelte reumütig. „Einverstanden“, erwidert er knapp.

Nachdem der Besucher mit einem Sitzplatz und einem Whisky statt des vorgesehenen Tees versorgt war, nahm Jenny die Abschrift des Kipu, wie auch den persönlichen Nachsatz ihres Vaters aus dem Schreibtisch.

„Mr. Thornton scheint Sie ja in groben Zügen bereits informiert zu haben“, stellte Jenny fest. „Und Ihnen ist sicher klar, dass ich dieses Gespräch mit ihnen führe, um festzustellen, ob es sich überhaupt lohnt, ein relativ kostspieliges Unternehmen auf die Beine zu stellen. Ich möchte daher, dass Sie sich diese Unterlagen ansehen und mir dann offen und ehrlich sagen, wie Sie darüber denken.“

McDermott nahm die Abschrift des Kipu zur Hand und vertiefte sich aufmerksam darin. Er sagte kein Wort, und seiner Miene war nicht anzusehen, wie er darüber dachte. Etwas zögernd reichte Jenny ihm dann den Zusatz, den Wheelan mit doch sehr persönlichen Worten an seine Tochter versehen hatte.

„Meine geliebte kleine Jenny. Wenn du dies hier zu lesen bekommst, werde ich leider schon tot sein. Und ich hoffe, dass du nicht zu sehr um mich getrauert hast. Aber ich werde wieder mit deiner Mutter, meiner Mary vereint sein, so dass mir der Tod nicht allzu schwer gefallen sein dürfte. Du hast also an deinem Geburtstag diesen fast unersetzlichen Kipu zum Geschenk bekommen. Allein, um ihn zu erlangen, habe ich viel auf mich nehmen müssen, was aber jetzt nicht hierher gehört. Doch er ist mir lieb und teuer, auch weil es schwer war, eine korrekte Abschrift der Geschichte zu bekommen. Doch damit allein ist diese Geschichte noch nicht zuende. Denn als ich nach dieser letzten großen Expedition zurückkehrte nach Hause, war es ein schon fast unglaublicher Zufall, der mich auf eine weitere Spur brachte. Denn einer der „großen“ Eroberer und Seefahrer, in meinen Augen eher ein Freibeuter und Plünderer, fand den verborgenen Schatz und brachte ihn nach Schottland. Er verbarg ihn in einer der Höhlen des Highlands, doch die Beschreibung der Höhle, die ich weiter unten anführe, klingt schon fast absurd und kaum glaublich. Die einzige bekannte Höhle mit ähnlichen Anomalien liegt nach Kenntnis der Wissenschaftler irgendwo in Mexiko, und wer sie betritt, muss mit dem Tod rechnen. Und doch, liebste Jenny, wäre ich gerne noch zu Lebzeiten aufgebrochen, um diesen sagenhaften Schatz wenigstens einmal zu sehen. Er soll, den Erzählungen des Kipu nach, das größte Geheimnis der Inka beinhalten. Natürlich haben sich hier die Relationen verschoben, was damals als das größte Geheimnis galt, kann heute vielleicht ein Edelstein sein, der von besonderer Farbe oder Größe ist. Das vermag ich jedoch nicht zu sagen. Dennoch gibt es eine Reihe von Sagen und Legenden, die alle mit diesem Schatz verknüpft sind, und deren Überprüfung mir nicht mehr möglich ist. Sollte es dir gelingen, dieses Geheimnis zu lösen und den Schatz zu finden, meine liebe Jenny, dann wäre es noch im Nachhinein die Erfüllung meines Lebenstraumes.

Vergiss nie, dass ich dich liebe, Jenny, auch über den Tod hinaus bin und bleibe ich dein Vater, dem dein Leben und dein Glück am Herzen liegen. Behalte mich in guter Erinnerung, führe dein Leben so, dass es dir ein Höchstmaß an Glück und Zufriedenheit verschafft, vermeide meine Fehler und denke ab und zu an mich. Dein dich liebender Vater – William Wheelan.“

Das waren nun wirklich sehr persönliche Worte, und Jenny hätte sie diesem Fremden gegenüber gern verschleiert, doch da das hier ein Blatt war, auf dem sich auch die relevanten Hinweise auf die ominöse Höhle befanden, war es einigermaßen unmöglich.

McDermott hatte Anstand genug, diese privaten Zeilen mehr oder weniger zu überlesen, seine Aufmerksamkeit richtete sich jetzt jedoch voll und ganz auf die Koordinaten, wie auch auf die Anhaltspunkte zur Höhle selbst. Dann ließ er das Blatt verblüfft sinken und schaute Jenny ungläubig an.

„Der Punkt, an dem ich mit Ihrem Vater übereinstimme, ist der, dass die einzige bekannte „Gift-Höhle“ sich in Mexiko befindet. Das Vorhandensein einer solchen Anomalie ist in Schottland allerdings unmöglich. Die hier angegebene Position ist mir in etwa bekannt, und da gibt es keine Höhle, weder eine bekannte, noch eine von der Art, wie sie hier geschildert wird. Nein, Miss Wheelan, ich glaube, da muss ich Sie von vornherein enttäuschen. Diese ganze Geschichte hier ist nicht mehr als ein Märchen.“

Er war überrascht, als Jenny lächelte. Sie nahm ihm das Blatt aus der Hand und wirkte sehr zufrieden.

„Es war nie mein Wunsch, eine solche Expedition zu starten. Und ich bin sehr froh darüber, dass Sie jetzt dieses Urteil abgeben, Onkel Daniel und auch mein Freund Christopher sind davon überzeugt, dass mein Vater mich mit diesem Brief auffordert, eine Suche zu starten. Da Sie jetzt jedoch erklären, dass sich an besagter Stelle keine Höhle befindet – befinden kann – ist die ganze Sache für mich erledigt. Es tut mir leid, dass ich Ihre und meine Zeit verschwendet habe. Aber so habe ich wenigstens …“

„Ein Vermächtnis?“ McDermott runzelte die Stirn. „Nun ja, man kann das daraus lesen, es klingt schon so, als erwarte Ihr Vater, dass Sie alles stehen und liegen lassen und sich auf den Weg machen. Aber dort gibt es meiner, bis jetzt oberflächlichen, Meinung nach nichts, obwohl all diese Hinweise den Eindruck machen, als seien sie mit großem Sachverstand geschrieben.“

„Wir müssen darüber jetzt kein Wort mehr verlieren, Mr. McDermott.“ Jenny stand auf, es war eine Verabschiedung, und sie war froh darüber, dass sie keinen weiteren Gedanken mehr an diese Sache verschwenden musste.

Die Tür öffnete sich ohne Anklopfen, Daniel Thornton trat ein. „Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, Jenny. Hallo, John, schön, dass Sie die Zeit erübrigen konnten. Haben Sie sich mittlerweile mit dem Problem vertraut gemacht?“

„Onkel Daniel, da gibt es kein Problem, ganz einfach, weil es da keine Höhle gibt. Und Mr. McDermott hat mir sehr glaubhaft versichert, dass sich eine Expedition nicht lohnt.

„Halt, so habe ich das nicht gesagt“, warf der Forscher ein. „Aber es ist schon so, dass niemand dort eine Höhle gefunden hat – schon gar keine, die solch merkwürdige Eigenheiten aufzuweisen hat.“

„Wenn jemand sie gefunden hätte, dann wäre es ja auch kein Geheimnis mehr“, warf Thornton sehr logisch ein. „Wie gut kennen Sie die Gegend dort, John?“

„Onkel, bitte, für mich ist die Sache abgeschlossen.“ Jenny hatte genug, auch wenn sich plötzlich tief in ihr so etwas wie Enttäuschung und Widerspruch regte. Ihr Vater hätte niemals Aufzeichnungen gemacht, die nicht der Wahrheit entsprachen.

Thornton nahm die junge Frau in die Arme. „Ich glaube, mein Liebes, du wirst jetzt etwas voreilig. Willst du wirklich gleich aufgeben? – Also, John?“

McDermott musste zugeben, die Gegend selbst nicht so gut zu kennen, dass er sagen konnte, ob sich nicht vielleicht doch irgendwo ein verborgener Zugang befand.

„Dann ist doch alles klar. Wann hätten Sie Zeit, um die Expedition zu starten?“

„He, solltest du mich nicht erst einmal fragen, ob ich das überhaupt will? Nur so auf einen vagen Verdacht hin?“, protestierte Jenny.

Thorntons Blick war voll von liebevollem Erstaunen. „Ich dachte eigentlich, das wäre doch nun endlich klar. Du willst doch nicht wirklich den Willen deines Vaters ignorieren?“

„Vielleicht doch“, meinte Jenny. „Bis jetzt halte ich das noch für einen zeit- und kostenaufwendigen Unsinn.“

„Selbst, wenn da nichts sein sollte, was ich einfach nicht glauben will, dann hast du wenigstens ein paar Tage Urlaub in freier Natur. Es würde dir gut tun.“

„Willst du mich loswerden?“, fragte sie jetzt unverblümt.

Er lachte auf. „Mir liegt dein Wohlergehen am Herzen. Sieh das Ganze doch einfach als Abenteuerurlaub an. Oder was meinen Sie, John. Sehen Sie da irgendwo eine Gefahr?“

McDermott grinste. „Nein, die sehe ich wirklich nicht, denn ich bin überzeugt davon, dass wir keine Höhle finden werden. Es ist also auf jeden Fall zunächst einmal eine Kostenfrage. Können Sie es sich leisten, für eine vielleicht nicht erfolgreiche Expedition Geld aufzubringen?“

Irgendwie hatte sich ein kleiner Kobold in Jennys Kopf festgesetzt, der ihr beharrlich etwas ins Ohr flüsterte, und dem sie einfach nicht mehr entgehen konnte. Sie begann an der ganzen verrückten Idee Gefallen zu finden.

„Geld ist nun wirklich das Letzte, was hier eine Rolle spielt“, bemerkte sie also wegwerfend.

„Nun, wenn das so ist, spricht nichts dagegen, dass wir uns auf die Suche begeben. Ich lasse mich gern vom Gegenteil überzeugen. Aber dennoch sage ich Ihnen offen, Miss Wheelan, dass die Chancen auf einen Erfolg minimal sind. Wenn Sie trotzdem das Geld aufbringen können, gebe ich Ihnen gerne eine Aufstellung über die benötigten Materialien für Sie und mich, sowie noch zwei weitere Leute.“

„Chris, mein Freund, kommt auch mit.“

Der Blick in McDermotts Augen wurde abweisend. „Es wird schon nicht ganz einfach werden, jemand so Unerfahrenen wie Sie mitzunehmen. Ich habe keine Lust auch noch Kindermädchen für Ihren Freund zu spielen.“

Das war mehr als deutlich, und Jenny wurde rot. Aber nur für einen Augenblick, dann blitzten ihre Augen den Mann an. „Dann vergessen Sie das Ganze. Entweder kommt er mit, oder wir lassen es.“

Der Forscher warf einen Blick zu Thornton hinüber, seufzte dann und schaute Jenny entsagungsvoll an. „Also gut, wenn Sie darauf bestehen. Sie zahlen immerhin“, stimmte er zu, und man vermeinte das Zähneknirschen zu hören, mit dem er es tat. „Aber ich warne Sie“, fuhr er fort. „Ich bin der Leiter der Expedition, und ich erwarte, dass meinen Anweisungen Folge geleistet wird.“

„Ich denke, da sollten wir uns wohl einigen. Sie haben mehr Ahnung davon“, erklärte Jenny.

„Dann darf ich mich für heute verabschieden. Ich lasse Ihnen morgen eine Liste für die Ausrüstung zukommen, sowie eine Aufstellung der voraussichtlichen Kosten, außerdem die Zeiten, zu denen ich mich für diesen Zweck freimachen kann. Sie können sich dann melden.“ McDermott klang noch immer verstimmt. Er reichte Jenny kurz die Hand, nickte Thornton zu, dann verließ er Winter Tales Manors.

Jenny ließ sich in ihren Arbeitssessel fallen. „Puh, das ist ein ganz schön von sich eingenommener Typ. Er leidet jedenfalls nicht an Selbstbewusstseinsstörungen“, stellte sie fest.

„Aber glaube mir, er ist der Beste, den du für diese Zwecke bekommen kannst“, setzte Daniel hinzu. „Ich bin froh, dass du dich doch endlich durchgerungen hast.“

„Noch ist nichts endgültig entschieden. Und den Worten McDermotts nach mag das ja alles im Sande verlaufen. Und mir ist immer noch nicht klar, warum du so hartnäckig darauf bestehst, dass ich dieses Abenteuer suche.“

„Ich denke“, sagte Thornton langsam, „weil du dir später vielleicht eine Menge Selbstvorwürfe machen wirst, wenn du es nicht tust. Du wirst vielleicht irgendwann einmal den verlorenen Chancen nachtrauern.“

„Oh, wie bist du doch edelmütig, Onkel Daniel“, spottete Jenny sanft. „Und weiter hast du keine Gründe?“

Er grinste sie plötzlich schelmisch an. „Doch natürlich, mein Liebes, reine Neugier. Und da ich nun mal ein paar Tage zu alt bin, um selbst mit auf diese Wanderschaft zu gehen, muss ich dich überreden. Sonst werde ich ja nie erfahren, woraus dieser sagenhafte Schatz besteht.“

Sie lachte hell auf. „Das ist eine faule Ausrede. Außerdem wirst du es vermutlich auch so nicht erfahren, denn es gibt sicher keinen Schatz. Aber nun sollte ich Chris anrufen und ihm die große Neuigkeit verkünden.“

„Du bist sicher, dass er dabei sein soll?“

„Ich weiß wirklich nicht, was du gegen ihn hast“, seufzte die junge Frau. „Er ist intelligent, gebildet, liebevoll und ganz bestimmt nicht hinter meinem Geld her.“

„Na ja, vielleicht ist wirklich kein Mann gut genug für dich – in meinen Augen. Auf jeden Fall denke ich, wirst du ihn bei diesem Abenteuer besser kennenlernen. Unter Stress zeigen die Menschen ihr wahres Gesicht.“

„Na, dann bin ich ja mal gespannt, wie ich reagieren werde. Aber ich sage dir, Onkel Daniel, wenn mir die ganze Sache zu dumm wird, dann breche ich ab, mag da kommen, was will.“

„Das ist dein gutes Recht“, stimmte Thornton zu.

4

„Das kostet ja alles ein Vermögen“, stöhnte Jenny, als sie eine Aufstellung der Kosten für die Ausrüstung sah. Die Summe würde noch immer nicht das fest angelegte Kapital des Erbes angreifen, das alles ließ sich mühelos noch von dem bezahlen, was Jenny immer wieder beiseite gelegt hatte. Und doch war ein erklecklicher Betrag, der da zusammenkam.

„Eine Expedition zum Nordpol oder auf den Himalaja kann nicht schlimmer sein. Brauchen wir das alles wirklich? Handliche Sauerstoffgeräte, eine ganzes Chemielabor, säurefeste Überkleidung – ich denke, wir wollen nur eine Höhle aufsuchen.“

Christopher studierte zusammen mit seiner Freundin die lange Liste, die McDermott aufgestellt hatte. Er hatte an nichts gespart und scheinbar an alles gedacht. Vielleicht sogar an etwas zu viel?

„Nun, du hast gelesen, was dein Vater schrieb. Wenn das alles der Wahrheit entspricht, dann ist das nicht einfach nur eine Höhle, sondern ein ganzes Labyrinth, in dem gefährliche Zustände herrschen“, gab er zu bedenken. „Und was das Labor angeht, so hat unser famoser Leiter wirklich an die grundlegenden Dinge gedacht.“

„Wenn alles so gefährlich und unnatürlich ist, dann frage ich mich, wie die Menschen damals wieder hinausgekommen sind. Die hatten jedenfalls keine solche Ausrüstung. Ich halte das alles für stark übertrieben und glaube, das sollte den Beschreibungen nach nur potentielle Nachfolger abschrecken“, stellte Jenny mit Bestimmtheit fest.

„Ich weiß es nicht. Aber die Beschreibungen lassen darauf schließen, dass wirklich etwas daran sein muss“, widersprach Chris sanft.

„Na gut, es ist wohl ohnehin besser, auf alles vorbereitet zu sein, statt auch nur ein Teil zu vergessen.“

Überraschend schnell hatte man sich auf einen gemeinsamen Termin geeinigt, und schon in knapp vier Wochen würde es losgehen.

Jenny und Chris würden ihren Jahresurlaub opfern, und McDermott lebte von den Expeditionen, die er im Auftrag unternahm und hielt im Anschluss daran Vorträge. Er war noch einmal nach Winter Tales Manors gekommen – um Christopher kennenzulernen, und um Jenny die beiden anderen Begleiter vorzustellen, die ebenfalls an der Expedition teilnehmen würden. McDermott hatte schon mit ihnen zusammen gearbeitet und wusste, dass er sich auf sie verlassen konnte, sie waren erfahren genug. Steve O’Neill und Jerry Piper waren zwei stille, kräftige Männer, die Freude daran hatten, ins Unbekannte vorzustoßen. Sie machten einen zuverlässigen Eindruck, wirkten im Ganzen aber etwas farblos. Nun gut, wichtig war nur, dass man sich auf sie verlassen konnte, sollte es brenzlig werden, gewissermaßen der Ausgleich für Jenny und Chris, die beide keine große Ahnung von Höhlenforschung hatten.

Wenn es denn in diesem Fall überhaupt eine Höhle gab, die man erkunden konnte.

5

Trotz des Sommers, den der Kalender anzeigte, war es hier oben in den Highlands nicht wirklich warm. Dabei meinte die Sonne es ausgesprochen gut. Überhaupt, hier direkt an der Nordküste Schottlands, nur wenige Meilen von Durness entfernt, gab es durchaus eine große und gut bekannte Höhle, die als Touristenattraktion galt, Smoo Cave. Sie bestand aus drei riesigen Kammern und einem Wasserfall mitten im Kalksandstein. Der Eingang zur ersten Kammer ähnelte einem gotischen Bogen, eine Laune der Natur.

Natürlich gab es in dieser Gegend auch noch weitere kleine Höhlen, die aber alle erforscht waren und keine Überraschungen boten, ihre Lage war bekannt, und keine von ihnen ähnelte auch nur entfernt derjenigen, die Wheelan beschrieben hatte.

Im Allgemeinen waren die Temperaturen hier im Norden gemäßigter, als man zunächst annehmen mochte. Das lag am Golfstrom, der es ermöglichte, dass hier in geschützten Lagen sogar Palmen zu gedeihen vermochten. Für Jenny und Chris war das ein ungewohnter Anblick, den sie jedoch bald als normal hinnahmen.

In Durness hatte sich die Gruppe nur so lange aufgehalten, wie es dauerte, sich mit frischem Proviant zu versorgen, dann ging es mit zwei Landrovern weiter in das etwas unwirtliche, meist kahle Land hinein, wo man in einem Tal die Überreste einer uralten Siedlung fand, die vor Jahrhunderten schon aufgegeben worden war.

Hier wurde ein Lager errichtet, Zelte wurden rasch aufgebaut, und es dauerte gar nicht lange, bis es eine provisorische Küche gab. Es zeigte sich, dass die Hilfe von Steve und Jerry unschätzbar war, denn weder Jenny noch Chris hatten bisher jemals ein Zelt aufgebaut oder ein Lager organisiert. Doch sie fassten mit an, so gut es ihnen möglich war.

Das Chemie-Labor, mit dem Chris natürlich vertraut war, blieb vorerst unangetastet.

McDermott holte einige Karten hervor, die bis ins Kleinste die Gegend hier zeigten. Gemeinsam saßen die fünf Personen da und folgten eifrig den Erklärungen des Forschers, der sich nicht zum erstenmal in dieser Gegend aufhielt, jedoch noch nie hier auf Forschungsreise gewesen war.

Jenny bemerkte jetzt zum ersten Mal, dass McDermott in aller Seelenruhe eine Pfeife aus der Tasche zog, sie bedächtig stopfte und in Brand setzte. Der Duft von gutem Tabak breitete sich aus, doch Chris rümpfte die Nase. „Muss das sein?“, maulte er.

McDermott blickte ihn milde erstaunt an. „Das ist eine meiner Eigenheiten, und ein Genuss, den ich mir ab und zu gönne. Ich bin sicher, Mr. Morgan, auch Sie haben Angewohnheiten, die nicht jedem von uns zusagen, doch wird niemand ein Wort darüber verlieren. Also üben Sie sich in Toleranz.“

Die Blicke der beiden Männer kreuzten sich, und die Spannung war für einen Moment greifbar. Doch es war Chris, der in diesem Duell zurückwich, er entspannte sich ein wenig und schlug die Augen nieder.

„Wahrscheinlich haben Sie recht“, murmelte er lahm.

McDermott ging ohne weitere Bemerkung darüber hinweg. Sein Zeigefinger fuhr auf der Landkarte eine Linie entlang. „Das hier ist die Hügelkette, an der wir uns befinden. Und irgendwo hier, im Umkreis von etwa fünf Meilen soll sich der fragliche Eingang befinden. Ich gehe davon aus, dass es sich nicht um eine auffällige Öffnung handelt, sonst wäre schon längst eine Entdeckung erfolgt. Wir werden also in zwei Gruppen ausschwärmen und aufmerksam auch scheinbar unscheinbare Büsche und Steinhaufen untersuchen. Daher schlage ich vor, dass Steve und Jerry mit Christopher gehen, und Jenny mit mir mitkommt.“

Das war eigentlich eine logische Aufteilung, denn Chris und John hatten eine derartige gegenseitige Abneigung, dass es besser war, wenn sie nicht den ganzen Tag zusammen herumliefen. Doch Chris, der sich natürlich nicht so lange von Jenny trennen wollte, zog eine Flunsch. Aber er sah ein, dass es wenig Sinn machte, wenn sie zusammen blieben, beide hatten einfach keine Erfahrung in diesem Bereich.

Die Sonne ging unter, und es entstand doch noch ein wenig Romantik, als ein Lagerfeuer entzündet wurde. Die Geräusche der Nacht bildeten ein harmonisches Konzert, und es herrschte eine entspannte Stimmung, als John von seinen früheren Forschungen berichtete und dann einige Anekdoten hervorkramte.

Frühzeitig zogen die fünf sich zurück in die Zelte, kuschelten sich in die warmen Daunenschlafsäcke und verbrachten die erste Nacht im Freien, nur geschützt durch die Hülle der Zelte.

6

Es nieselte, kalter Wind war aufgekommen, und der heiße starke Tee, den John McDermott schon am frühen Morgen als erster gekocht hatte, wärmte auf angenehme Weise. Jenny hatte einen dicken Pullover angezogen, und zum Aufbruch lag ein warmer Anorak bereit.

John überprüfte bei allen noch einmal die Grundausrüstung, die jeder bei sich tragen sollte: Proviantpäckchen, Thermosflasche, Streichhölzer, Taschenmesser, Kerze, Taschenlampe, Nylonseil. So musste jeder für jeden Notfall gerüstet sein. Selbstverständlich trug auch jeder ein kleines Verbandpäckchen bei sich, eine Karte und einen Kompass.

„Ich sage es noch einmal, wenn ihr irgendetwas findet, meldet euch über Sprechfunk. Unternehmt nichts allein. Wir halten es genauso. Wenn eine Höhle gefunden wird, dann untersuchen wir sie alle gemeinsam. Ist das klar?“

Steve und Jerry nickten einmütig, von ihnen war auch kaum ein Alleingang zu erwarten, dafür besaßen sie nicht genug Ehrgeiz. Aber auch Chris, der wusste, dass er auf das Wissen und die Erfahrung des Forschers angewiesen war, gab seine Zustimmung. Dann trottete er neben den beiden anderen Männern her.

McDermott lächelte Jenny aufmunternd zu. „Der erste Tag. Wir wollen es nicht übertreiben. Ich habe einen relativ kleinen Radius für uns alle vorgesehen, um niemanden zu überanstrengen.“

Jennys Augen blitzten spöttisch auf. „Ich bin zwar nicht unbedingt eine Hochleistungssportlerin, aber ich halte meinen Körper fit“, erwiderte sie trocken.

McDermott grinste. „Heute Abend werden wir sehen, wie fit Sie sind. In den Highlands haben schon ganz andere Leute ihre Grenzen kennengelernt. Und es macht keinen Sinn, wenn Sie und Chris sich überanstrengen. Diese Tour wird im günstigsten Fall drei bis vier Wochen dauern, aber ich lasse mich natürlich gern positiv überraschen.“

Jenny zuckte die Schultern. Sollte er ruhig glauben, sie sei ein verwöhntes, verweichlichtes Mädchen, sie würde ihm schon beweisen, dass sie zäh und ausdauernd war.

Zwei Stunden später dachte sie schon ein wenig anders. Die Strecke hatte fast ständig bergauf geführt, über unwegsames Gelände, vorbei an schroffen Felsen und über Steine und unebenen Boden. John hatte ab und zu ungewöhnliche Formationen untersucht und dabei auf Unregelmäßigkeiten hingewiesen, die andeuteten, dass sich dort ein Höhleneingang verbergen konnte. McDermott verstand es ausgezeichnet, kurzweilig zu berichten, nie glitt sein Tonfall ab ins Belehrende oder Besserwisserische. Und Jenny stellte fest, dass sie bei diesem Ausflug etwas lernte. Und außerdem machte es ihr Spaß.