Drei Tage in New York - Anne Lux - E-Book
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Drei Tage in New York E-Book

Anne Lux

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Beschreibung

+++ Ein kleiner Roman über große Lieben, große Gefühle, große Erinnerungen – und die tollste Stadt der Welt+++ Marlene ist Lektorin für Romane, die alle ein gewisses Maß an Wohlfühlfaktor haben, aber in ihrem eigenen Leben ist es gerade nicht behaglich: Der viel zu frühe Tod ihrer Mutter hat sie, aber vor allem ihren Vater, der seine große Liebe verloren hat, wochenlang völlig aus der Bahn geworfen. Als sie beide endlich wieder Licht am Ende des Tunnels sehen, macht Marlene eine Entdeckung, die alles in Frage stellt, was sie – und auch ihr Vater? – über ihre Mutter zu wissen schien. Die Antwort auf ihre Fragen scheinen jenseits des Atlantiks zu liegen, in New York, wo ihre Eltern zuletzt vor über 30 Jahren waren. Marlene muss abwägen, welche Erinnerungen an ihre Mutter sie sich bewahren möchte ¬ und wie sie selbst eigentlich leben und lieben will. +++"Für immer New York", die Fortsetzung des Buches, erscheint im Juni 2025!+++

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Anne Lux

Drei Tage

in New York

Roman

 

 

Spuren in New York: Teil 1

 

Dezember 2023

© 2023 by Anne Lux

Franziskanerstraße 43

81669 München

 

Umschlaggestaltung: Victoria Keller, München

www.victoriakeller.com

 

Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mithilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, sind ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten.

 

 

 

Über das Buch

 

Marlene ist Lektorin für Romane, die alle ein gewisses Maß an Wohlfühlfaktor haben, aber in ihrem eigenen Leben ist es gerade nicht behaglich: Der viel zu frühe Tod ihrer Mutter hat sie, aber vor allem ihren Vater, der seine große Liebe verloren hat, wochenlang völlig aus der Bahn geworfen. Als sie beide endlich wieder Licht am Ende des Tunnels sehen, macht Marlene eine Entdeckung, die alles in Frage stellt, was sie – und auch ihr Vater? – über ihre Mutter zu wissen schien. Die Antwort auf ihre Fragen scheinen jenseits des Atlantiks zu liegen, in New York, wo ihre Eltern zuletzt vor über 30 Jahren waren. Marlene muss abwägen, welche Erinnerungen an ihre Mutter sie sich bewahren möchte und wie selbst eigentlich leben und lieben will.

 

Ein sehr berühmter Autor hat einmal gesagt, dass die Leserinnen und Leser bei einem erzählenden Werk »stillschweigend einen Fiktionsvertrag mit dem Autor« schließen. Dass sie stillschweigend akzeptieren, dass sie bei ihrer Lektüre nicht auf die Realität stoßen, sondern auf etwas, was der Fantasie der Autorin oder des Autors entspringt.

 

Auch dieser Roman ist reine Fiktion. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Örtliche Begebenheiten und Ereignisse der Zeitgeschichte wurden, selbst wenn es sie gibt oder sie tatsächlich stattgefunden haben, den dramaturgischen Begebenheiten angepasst.

 

 

Die bisherigen Romane von Anne Lux in chronologischer Reihenfolge:

 

Alles auf Liebe (Trilogie)

Mitten im Sommer, mitten ins Herz (Bd. 1)

Alles auf Anfang, alles auf Glück (Bd. 2)

Sehnsucht nach Insel & Mehr (Bd. 3)

Alles auf Liebe (Sammelband, Bd. 1–3)

 

Cornwall-Trilogie

Tausche Alltag gegen Insel (Bd. 1)

Tausche Alltag gegen Glück (Bd. 2)

Tausche Alltag gegen Horizont (Bd. 3)

Tausche Alltag gegen Cornwall (Sammelband, B. 1–3)

 

New York, New York (Reihe)

Drei Tage in New York (Band 1: Wie alles begann)

Für immer New York (Band 2: Spurensuche)

 

Weitere Romane

Glück ist wie das Meer

Acht Wochen im August

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In der New Yorker Luft liegt etwas,

das den Schlaf unbrauchbar macht.

 

Simone de Beauvoir

 

Für Lieselotte

 

 

 

New York: September 1989

Tag 1

 

When Betty met Jon

(New York: September 1989

Tag 1)

 

 

Sie hatte noch nie einen Himmel von einem so makellosen Blau gesehen: kräftig, aber nicht zu dunkel, klar und strahlend. Als hätte jemand mit einem riesigen Poliertuch über den Wolkenkratzern alles Diesige, alle Wolken, jede Schliere weggewischt. Extra für sie, damit in den zweiundsiebzig Stunden, in denen sie hier waren, zumindest schon einmal der Himmel perfekt sein würde.

Aber so vieles war beeindruckend hier, und in ihre Freude mischte sich bald schon die Frage, wie sie es schaffen sollte, all die Eindrücke zu verarbeiten und zu speichern. Wie sie all die Bilder lebendig halten und zu Hause wieder abrufen könnte, wenn es einmal wieder langweilig und gewöhnlich war. Wenn der Himmel wieder grau war oder sein bayerisches Blau, das an guten Tagen durchaus prachtvoll sein konnte, es einfach nicht schaffte, so zu strahlen wie hier in New York.

In Washington, Boston oder Philadelphia hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, ob sie sich später an den Aufenthalt erinnern könnte. Sie hatte das, was sie sah, routiniert aufgenommen – gesehen, gelocht, abgeheftet, Ordner zurück in den Schrank gestellt. Große Städte ließen sie manchmal ein wenig ratlos und enttäuscht zurück.

Aber hier war es anders, davon war sie schon nach zwei Stunden überzeugt. Die Stadt war anders. Die Farben waren anders. Die Menschen, Einheimische wie Touristen, waren anders. Die Luft war anders, nicht reiner oder besser als anderswo, aber besonders. Etwas schien in ihr zu sein, das die Sinne in einen Zustand der angenehmen Alarmbereitschaft versetzte.

Bettina atmete tief durch. Die Erinnerungen von hier musste sie behalten, sie musste versuchen, die Euphorie zu konservieren, die sich kurz nach dem Verlassen des Hotels eingestellt und ihre anfängliche Nervosität verdrängt hatte.

Ja, sie war ein wenig nervös gewesen, weil sie die Stadt allein erkunden musste, die Stadt, die niemals schläft, die schubst und drängt und ängstigt und provoziert. Die, das war ihnen vor der Reise mehrfach gesagt worden, Grenzen hat, die man auf keinen Fall überschreiten sollte, wollte man mit seinem Portemonnaie ins Hotel zurückkehren. Oder überhaupt in einem Stück ins Hotel zurückkehren. Und das wollte sie unbedingt, denn ihre Unterkunft in New York war die einzige, die etwas gehobener war, einfach, weil sie es sich in den letzten Tagen ihrer zweiwöchigen US-Reise noch einmal richtig schön machen wollten.

Doch die Sorgen um bestimmte Straßen im Norden, Osten oder Westen Manhattans, auf denen sie angeblich nicht sicher sei, hatten sich mittlerweile verzogen. Bettina fühlte sich gut und beschwingt. Nach zehn Tagen, in denen sie, außer im Badezimmer, keine Minute allein verbracht hatte, war es angenehm, ohne Begleitung durch die Straßen zu laufen. Nur umgeben von Fremden und im eigenen Tempo.

Sie fühlte einen Stich schlechtes Gewissen bei dem Gedanken. Es tat ihr leid, dass Konrad jetzt allein im Hotel das Bett hütete, aber er hatte ihr Angebot, bei ihm zu bleiben, den ganzen Tag US-Fernsehen zu gucken und hin und wieder einen Hot Dog oder eine Pretzel von draußen zu holen, vehement abgelehnt. So vehement, wie es eben ging in seinem Zustand.

Zumindest einer von ihnen beiden sollte etwas von New York haben, hatte er gesagt. Sie solle eben viele Fotos machen, die sie sich später gemeinsam ansehen könnten.

 

Bettina hatte das Hotel und die Häuserschluchten schon lange hinter sich gelassen, die Gebäude waren viel niedriger geworden, die rasch gehenden Menschen weniger. Die Morgensonne tauchte die obersten Stockwerke der Brownstones zu ihrer Rechten in ein warmes Gelb. Der Himmel, nun nicht mehr zum Großteil von Stahl, Beton und Glas verdeckt, spannte seine unglaubliche Farbe über ihr.

Sie verlangsamte den Schritt und legte den Kopf in den Nacken, und in diesem Moment passierte es und sie rannte in diesen Mann, der wie sie den Blick nicht nach vorne, sondern nach oben richtete, weil er es auch sah, dieses perfekte Blau.

 

Anders als Bettina hatte der Mann, in den sie gerade gerannt war, den New Yorker Himmel schon oft bewundert, das erzählte er ihr, nachdem sie sich gegenseitig mit Entschuldigungen überhäuft hatten. Sein perfektes Blau, gerade an manchen Herbsttagen, sei der Grund, warum er die Stadt nie verlassen hätte. Einer der Gründe, fügte er rasch hinzu. Es sei eine großartige Stadt, ob man nun den Kopf in den Nacken lege oder geradeaus schaue – es gebe überall etwas zu entdecken, auch für ihn, und er lebe seit seiner Geburt hier.

Bettina und er waren schon dabei, sich voneinander zu verabschieden und einen schönen Tag zu wünschen, als ihr einfiel, dass so ein native New Yorker ihr sicher helfen könnte in ihrer aktuellen Situation.

»Wissen Sie vielleicht, wo man hier in der Nähe einfach einen schnellen Kaffee trinken kann?«, fragte sie. »Und vielleicht etwas Günstiges frühstücken? Ich brauche sehr dringend was im Bauch für meine Touristen-Tour.«

Eigentlich war es so, dass sie sehr dringend auf die Toilette musste, was sie einem Deutschen vermutlich auch klar zu verstehen gegeben hätte. Doch der Amerikaner vor ihr, kaum älter als sie, aber im karierten Jackett über einem dunkelblauen Wollpulli, schien ihr nicht aus dem richtigen Holz geschnitzt, um mit so privaten Informationen einer fremden Frau umgehen zu können.

»Schnellen schlechten amerikanischen Kaffee?«, fragte er. »Von dem Sie so oft Nachschlag haben können, wie Sie wollen?«

»Das klingt perfekt«, sagte sie und trat, unbemerkt, wie sie hoffte, von einem Bein auf das andere. Seitdem sie stehen geblieben war, forderte ihre Blase, die sich bis jetzt gnädig dezent verhalten hatte, lautstark ihr Recht auf Entleerung.

»Ich bin auf dem Weg in mein Stammcafé zwei Blocks weiter«, sagte der Mann. »Schauen Sie sich das doch mal an. Ich gehe da oft vor der Arbeit hin für einen schnellen schlechten amerikanischen Kaffee.«

Sie nickte. Wie weit waren zwei Blocks? Zwanzig Hausnummern? Dreißig? Mehr als fünfzig?

»Keine zehn Minuten«, erklärte er, als habe er ihre Gedanken erraten.

»Okay, gerne«, sagte sie und hörte, dass ihre Stimme etwas gepresst klang.

Bettinas Bedürfnisanstalts-Stimme, nannte Konrad das. Wenn diese Stimme ertönte, war schnelles Handeln gefragt, durfte keine Zeit ungenutzt verstreichen.

»Gehen wir«, sagte sie also.

Nach ein paar Metern blieb der Mann wieder stehen.

»Ich bin übrigens Jonathan.«

»Bettina«, sagte sie und fühlte den festen Druck seiner Finger.

 

Sein Stammcafé trug den unpassend opulenten Namen »Mansion Restaurant« und war ein klassischer Diner wie aus dem Bilderbuch, mit blau gepolsterten Sitzbänken und einer langgestreckten Theke, vor der sich Hochstühle mit runder Sitzfläche reihten. Auf jedem der Tische standen eine Ketchup- und eine Senfflasche, dazu ein Spender aus Edelstahl mit Plastikservietten und ein mit Zuckertütchen gefülltes Kästchen.

Bettina war unsicher, ob Jonathan erwartete, dass sie sich zu ihm setzte oder sie einfach nur hierhergeführt hatte, aber die Frage erübrigte sich, weil nur noch ein Tisch an der Rückwand des Raums unbesetzt war.

»Wollen wir?«, fragte er. »Oder willst du lieber für dich sein?«

»Wo würdest du denn dann hin?«

»Mich an die Bar quetschen.«

»Das wäre ja fies. Du zeigst mir dein Stammcafé und ich nehme dir den letzten richtigen Platz weg.«

»Der dazu noch mein Stammplatz ist.«

Die Tür hinter ihnen öffnete sich, ein Schwall frische Luft und Stimmen drangen herein.

Sie fasste Jonathan kurz am Ärmel. »Komm. Beleg den Platz. Schnell.«

»Zu Befehl«, sagte er auf Deutsch.

»Ich geh mich in der Zwischenzeit frisch machen.«

 

Sie saßen gegenüber. An der Wand hinter ihr hingen Schwarzweißporträts, manche schon ein wenig verblichen. Die Fotos zeigten offensichtlich Gäste des Diners, einige saßen hinter großen Geburtstagstorten, andere standen lässig am langen Tresen gelehnt. Darunter hingen Bilder von New Yorker Straßenszenen. Hot-Dog-Stände vor dem Guggenheim Museum, über eine Kreuzung jagende Taxis, elegant gekleidete Menschen vor der New Yorker Met, das Empire State Building schemenhaft im dichten Schneetreiben, dick vermummte Personen auf der Eislauffläche vor dem Rockefeller Center.

Zur ihrer Linken, auf der anderen Seite der bodentiefen Fensterfront, zogen Menschen vorbei, viele in Trenchcoats, einige mit Schirmen.

»Soll es heute noch regnen?«, fragte sie und sah zum Himmel, dessen sattes Blau tatsächlich mit jeder Minute etwas blasser zu werden schien.

»Vielleicht am Abend«, sagte Jonathan und schob ihr das Menü entgegen. »Süß oder pikant?«

»Hm. Ich müsste erst schauen, was es gibt.«

»Budget begrenzt oder unbegrenzt?«

»Heute unbegrenzt.« Sie schlug die Karte auf. »Ich kann für zwei essen, weil mein Freund krank im Hotel liegt.«

»Das tut mir leid.«

»Nichts Schlimmes, morgen ist er sicher wieder fit.« Sie überflog das Angebot. »Was würden Sie mir denn empfehlen.«

»Erst Rührei mit Speck und dann Pancakes? Beides ist hier wirklich gut.«

»Danach kann ich mich ja nicht mehr bewegen«, sagte sie und sah kurz zu den vorbeieilenden Passanten auf der Straße. »Ich möchte heute noch einiges anschauen, wir sind nur drei Tage hier.«

»Vielleicht nur Rührei? Nur Pancakes? Vielleicht einen Frühstücksmuffin?«

Wie er sämtliche Frühstücksoptionen herunterratterte, sank Bettinas Lust, hier zu sitzen. Sie wollte möglichst schnell weiterziehen, alles erkunden, sie hatte das Gefühl, als treibe die Stadt nicht nur die Menschen schneller vor ihr her, sondern auch die Sekunden, Minuten und Stunden. Während sie hier in der Wärme des Diners saß, im behaglichen Duft von Kaffee und Waffeln, verrann unablässig, tick-tick-tick, die kostbare Zeit, und wenn die einmal vorbei war, stand nichts mehr an, worauf sie sich so freute, wie sie sich auf diese Reise gefreut hatte.

Was in München anstand, war: Bald Bewerbungen schreiben, einen Job finden, Geld verdienen, vielleicht in eine größere Wohnung ziehen.

War das schlecht? Nein. Das war eben das »richtige, das wahre Leben«. Aber was war dann das, was sie bis jetzt geführt hatte? Nur ein Provisorium, eine Spielwiese voller Optionen und Möglichkeiten und Träume, die man aber nach einigen Jahren bitteschön wieder verlassen sollte, um den geradlinigen Weg einzuschlagen, der nun mal von einem erwartet wurde? Ein paar Jahre strikt geradeaus auf der Berufs-Landstraße (aber nicht auf der Autobahn, das war den Herren vorbehalten), dann abfahren auf den Rastplatz, Kinder kriegen und es sich möglichst gut auf dem Ratsplatz einrichten, weil man nie wieder davon abfahren und im eigenen Tempo weiterfahren würde?

Wenn sie mit Konrad über ihre Befürchtungen und ihre gemeinsame Zukunft sprach, dann lachte er und wiegelte ab. Sie würden es nicht so machen wie ihre Eltern. Er würde nicht den ganzen Tag arbeiten und sie würde nicht ab dem ersten Kind für immer zu Hause bleiben, es sei denn, das war das, was sie dann wollte. Bettina wusste, dass Freundinnen von ihr diese Art Gespräche auch mit ihren Partnern geführt hatten und jetzt auf dem Rastplatz festsaßen. Gerne, beteuerten die einen, nur für eine gewisse Zeit, versicherten die anderen, aber Bettina glaubte weder den einen noch den anderen.

Mit einem zischenden Seufzer klappte sie die Karte zu. Als sie aufsah, beobachtete Jonathan sie schweigend und mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Sorry«, sagte sie, aber mehr auch nicht.

Wie und warum sollte sie einem Fremden davon erzählen, was sie in letzter Zeit so stark beschäftigte, dass sie nachts oft nicht schlafen konnte?

Jonathan antwortete nicht. Er stand auf, ging zur Theke, beugte sich zu dem Mann in weißer Schürze dahinter, sprach kurz mit ihm und kam dann zurück.

»Ich habe dafür gesorgt, dass du möglichst schnell weiterziehen kannst.«

 

Der Kaffee war so heiß, dass sie seine Wässrigkeit kaum schmeckte, das Rührei aber cremig und lecker, nicht zu schlapp und nicht zu trocken.

Während sie aßen, stellte Jonathan einige höfliche Fragen zu ihrer Herkunft und ihre Reise, aber sie lenkte das Gespräch immer wieder auf Konrad, wie um einen unsichtbaren Rahmen zu bilden für ihr Zusammensitzen auf den blauen Polstern an der Fensterfront. Einen Rahmen, den man genauso wenig überschritt wie manche der Straßen im Norden, Westen und Osten der Stadt. Sie kannte das aus Deutschland, wenn sie sich aus irgendeinem Grund urplötzlich allein mit einem Mann vorfand, dem sie keine Hoffnungen machen wollte, und es schien eine internationale Sitte zu sein. Zumindest erzählte Jonathan ebenso bereitwillig von seiner Frau Annie, die auf ihren Durchbruch als Schauspielerin hinarbeitete und nebenbei im Strand Book Store aushalf.

»Im sehr berühmten Strand Book Store«, fügte er hinzu. »Am Broadway.«

»Dann ist sie ja dem Theater zumindest körperlich schon mal ganz nah«, antwortete Bettina und dachte, dass die Antwort auch von Konrad hätte stammen können, der wie sein Vater eigentlich an alles irgendeinen lustigen Spruch oder Flachwitz anpinnen musste.

Aber Jonathan seufzte nur, rührte in seinem Kaffee und sagte, dass der Broadway eine sehr, sehr lange Straße sei, im tatsächlichen und übertragenen Sinn. Und überhaupt sei alles sehr schwer mit dem Traum vom Künstlerdasein, das habe er leidvoll erfahren müssen. Bettina fragte nicht nach, auch, wenn das etwas unhöflich war, aber sie wollte kein neues großes Thema angehen. Stattdessen erzählte sie schnell noch ein bisschen weiter von Konrad. Konrad, der kurz vor dem Referendariat stand, Konrad, dem selbst die wildesten Gruppen und größten Klassen nichts anhaben konnten und der jetzt im Hotelzimmer lag, ausgeknockt von einem kleinen Teller Fischsuppe aus einem Restaurant im Bostoner Hafen.

»Hat er eine richtige Lebensmittelvergiftung?«, fragte Jonathan.

»Zumindest Magenverstimmung. Und Erkältung obendrauf«, erklärte sie. »Eure Klima-Anlagen sind Gift für uns Europäer.« Sie schob den Ärmel ihres Pullovers ein paar Zentimeter nach oben und sah auf die Uhr. »Ich sollte jetzt allmählich zu ihm.«

Er sah sie an, einige Sekunden lang, und nickte.

»Was wirst du denn, Betty?«, fragte er, und die Abkürzung gefiel ihr. »Auch Lehrerin?«

Sie hatte ihm erzählt, dass sie Deutsch und Geschichte studierte, aber ihm den Unterschied zwischen Magister und Lehramt zu erzählen, erschien ihr jetzt zu kompliziert. Also zuckte sie mit den Schultern und trank ihren Kaffee aus.

»Ich weiß noch nicht, was ich werde«, sagte sie dann. »Oder wie.«

 

Sie teilten die Kosten und legten abwechselnd Dollarscheine auf das briefumschlaggroße silberne Tablett und die Rechnung, die darin steckte. Das ältere Paar am Nebentisch, beide mit eisgrauen Kurzhaarschnitten, beobachtete sie milde lächelnd.

»Wie viel Trinkgeld gibt man hier am besten?«, fragte Bettina und hielt inne, einen letzten Dollarschein in der Hand.

Jonathan winkte ab. »Du studierst doch noch.«

»Ja, aber …«

»Ich übernehme den Rest.«

»Aber bist du nicht auch armer Künstler?«

»Ich bin in erster Linie Gentleman.«

Als die Bedienung wieder an ihren Tisch kam, bat Jonathan um einen Zettel ihres Notizblocks und holte einen Füllfederhalter aus seiner schmalen Ledermappe, die neben ihm auf der Bank lag.

»Drei Tage in New York, sagtest du?«, fragte er.

Sie nickte.

»Dann würde ich …« Er begann zu schreiben, und eine Strähne seines dunklen Haars fiel ihm in die Stirn. »Dann würde ich mir an deiner Stelle das hier alles anschauen.«

Er schob ihr den Zettel zu, und sie runzelte die Stirn.

»Pete’s Pizza, Rob’s Diner, Katz Delicatessen …«

»Ja, alle von hier fußläufig zu erreichen. Sorry, hier kenn ich mich einfach am allerbesten aus.«

»Aber das sind das ja alles Restaurants.«

»Glaub mir, es gibt keine besseren Plätze, als die New Yorker zu beobachten. Und glaub mir, du wirst Ruhepausen und solides Essen brauchen, wenn du den ganzen Tag herumläufst und die Sehenswürdigkeiten ansiehst.«

»Und was ist das für eine Nummer am Schluss?«

»Meine Telefonnummer. Für alle Fälle.«

»Aha. Was für ein Fall soll das sein?«

»Der Fall, dass du Rettung vor einem Taschendieb brauchst.«

Sie hatte ihm, kurz bevor ihr Essen serviert worden war, von den Warnungen vor den unsicheren Straßen erzählt, und jetzt verwendete er das Thema, um den festgelegten, internationalen Rahmen einfach mal zu dehnen: Er flirtete. Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, das internationale Zeichen für Ich will nichts von dir und deine Sprüche sind wirklich etwas lahm, aber meine weibliche Höflichkeit, die mir von Kindesbeinen an eingetrichtert wurde, verbietet es mir, dir das direkt ins Gesicht zu sagen, also spiele ich das Spiel kurz mit und versuche, dir durch sarkastische Bemerkungen subtil, aber dennoch deutlich zu verstehen zu geben, dass ich nicht interessiert bin – was übrigens durch Erwähnung meines Freundes eigentlich schon prägnant genug erfolgt war, aber bei Männern oft nicht funktioniert, weil sie der Nabel der Welt sind und ein Nabel keine Ohren braucht, weil er einfach nur den ganzen Tag, sein ganzes Leben, der Weltenmittelpunkt sein muss.

»Alles klar«, sagte sie. »Wenn der Taschendieb mich von hinten gepackt hat und mir ein Messer an die Kehle drückt, dann werde ich erst mal sagen: Alles fein, mein Guter, wir werden uns sicher handelseinig, aber könnte ich bitte, bevor du mich ausraubst, erst einmal eine Telefonzelle aufsuchen und meinen guten Freund Jonathan anrufen?«

Sie war überrascht, wie leicht ihr das Englische über die Lippen ging und wie fremd sie sich gleichzeitig anhörte in der anderen Sprache, in der sie automatisch tiefer sprach. Im Jahr nach dem Abitur hatte sie drei Monate an einer Sprachschule in London verbracht, und anscheinend wirkte das immer noch nach.

»Es schadet nie, in New York die Telefonnummer eines Einheimischen zu haben.« Jonathan schob den Stift der Bedienung an den Rand des Tisches. »Aber mal im Ernst. Ich wohne hier mein ganzes Leben und mir ist noch nie etwas passiert. Und ja, ich war oberhalb der 80. Straße, weit oberhalb, ich war in Harlem, der Bronx. Ah, und auf Staten Island. Nie etwas passiert, nie.«

»Du bist ein Mann«, sagte Bettina, zog den Stift an sich und steckte ihn ihre Tasche.

»Und mir scheint, du bist ein Taschendieb.«

»Wie auch immer.« Sie faltete den Zettel zweimal und steckte ihn in ihre Hosentasche. »Verhungern werde ich heute jedenfalls nicht, und wenn Gefahr in Verzug ist, dann bist du zur Stelle, gut zu wissen.«

»Absolut. Bitte versuche nur, dich heute nicht weiter als 500 Meter entfernt von der 43. Straße ausrauben zu lassen, am besten im westlichen Teil, um die Hausnummer 229 herum. Sonst kann ich nicht garantieren, dass ich innerhalb von zehn Minuten am Schauplatz sein kann.«

»Wohnst du da?«

Er lachte kurz auf. »Schön wäre es.«

Sie war sicher, dass er gerne mehr erzählt und ihr erklärt hätte, warum er sich genau an dieser Adresse befand, aber sie fragte nicht nach.

---ENDE DER LESEPROBE---