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Drei Tote in Greetsiel Ein Ostfriesland-Krimi von Nele Nordmann Greetsiel im Herbst – der Himmel ist schwer, das Wasser dunkel und der Wind schneidend. In dieser trügerischen Ruhe taucht ein Zettel auf: "Drei sollen sterben. Niemand wird sie retten." Kurz darauf liegt der erste Tote in der Sakristei von Pilsum. Kommissarin Mareike Lottmann und ihr erfahrener Kollege Hennje van Aken stehen vor einem Fall, der das idyllische Fischerdorf in Angst versetzt. Der Mörder kündigt jede Tat an und er zieht seinen Plan unerbittlich durch. Die Ermittler folgen Spuren zwischen Hafen, Deich und den engen Gassen Greetsiels. Alte Geheimnisse kommen ans Licht, und bald wird klar: Die Wahrheit ist gefährlicher, als sie ahnen. Drei Tote sind angekündigt. Zwei sind schon gefallen. Und der letzte Name auf der Liste könnte näher sein, als Mareike lieb ist … Ein packender Kriminalroman mit echtem Ostfriesland-Flair – atmosphärisch, spannend und voller überraschender Wendungen. Die Greetsiel-Krimis – Zwischen Deich, Hafen und historischen Gassen ermitteln Kommissarin Mareike Lottmann und Hennje van Aken in mörderischen Fällen. Atmosphärisch, spannend und voller Ostfriesland-Flair.
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Seitenzahl: 102
Veröffentlichungsjahr: 2025
Greetsiel hat für mich einen ganz besonderen Zauber.Vielleicht liegt es an den schmalen Gassen, in denen die Häuser dicht beieinanderstehen, als wollten sie einander Geschichten zuflüstern. Vielleicht an den stillen Momenten am Hafen, wenn die Krabbenkutter fest vertäut sind und das Wasser sanft gegen die Kaimauer schwappt.
Für mich ist Greetsiel nicht nur ein malerischer Ort an der Nordsee – es ist ein Schauplatz voller Kontraste. Hinter der idyllischen Fassade aus roten Backsteinmauern und blühenden Vorgärten verbergen sich Schicksale, alte Konflikte und manchmal auch Geheimnisse, die besser unentdeckt blieben.
MitDrei Tote für Greetsiellade ich Sie ein, diesen Ort aus einer anderen Perspektive kennenzulernen – durch die Augen von Kommissarin Mareike Lottmann und Hennje van Aken, die in ihrem ersten gemeinsamen Fall den Spuren eines Mörders folgen, der keine Gnade kennt.
Vielleicht werden Sie beim nächsten Besuch in Greetsiel die kleinen Details anders betrachten – und sich fragen, welche Geschichten die Mauern wohl für sich behalten.
Nele Nordmann
Der Nebel kam früh an diesem Herbstmorgen.Er zog sich vom Sieltief durch die Gassen, schob sich über die Backsteindächer und senkte sich wie ein nasses Tuch auf Fensterläden und Fahrradsättel. Die Krabbenkutter im Hafen lagen still da, das Wasser bewegte sich kaum.Der Wind wehte salzig und kühl aus Nordwest und trieb welke Blätter über das feuchte Pflaster.Der Sommer war endgültig fort und Greetsiel begann, sich zurückzuziehen.
In der kleinen Polizeistation, einem schiefen Backsteinhaus mit weiß gestrichenen Holzfenstern, brannte Licht.Nicht viel. Nur der matte Schein einer Schreibtischlampe, der sich über einen Notizblock, einen Stapel Formulare und eine dampfende Tasse Tee legte.
Hennje van Aken saß an seinem Platz.Mitte fünfzig, hager, mit schmalen Schultern und einem Gesicht, das viel gesehen hatte, aber nur wenig preisgab.Seine Haare waren graublond und zurückgestrichen, er hatte eine hohe Stirn und ein kantiges Kinn. Er trug ein grobes Hemd und darunter einen alten Pullover mit durchgescheuerten Ellenbogen.Sein Blick war ruhig – nicht müde, nur tief.Als würde er Dinge eher zulassen als beurteilen.Er war kein Mann für schnelle Urteile und schon gar kein Freund von Lärm.Sein Schweigen war kein Mangel an Worten, sondern eine Entscheidung.Seit dem Tod seiner Frau wohnte er allein in einem kleinen Haus hinter dem Deich.Er kochte einfach, sprach wenig, rauchte heimlich auf der Terrasse und liebte seinen Tee stark, fast bitter.Und dann war da noch Bolle.
Der Dackel lag zusammengerollt auf seiner Decke neben dem Schreibtisch, den Kopf auf den Pfoten, die Ohren leicht gespitzt.Er war alt, genau wie Hennje.Eigenwillig, wachsam, mit grauer Schnauze und einem Blick, der Dinge erfasste, bevor man sie ausgesprochen hatte.Bolle war kein Haustier, er war ein Begleiter. Und der Einzige, der blieb, ohne etwas zu verlangen.
Auf dem Tisch lag ein Zettel - kein Umschlag, kein Absender.Er war einfach zwischen der Reklame und der Tageszeitung auf dem Tresen aufgetaucht, als wäre er schon immer da gewesen.Das Papier war grob gefaltet, die Worte darauf mechanisch getippt, vermutlich mit einer alten Schreibmaschine. Es waren nur zwei Zeilen und die waren knapp und nüchtern:
Drei sollen sterben.Niemand wird sie retten.
Keine Drohung, kein Pathos.Einfach nur diese beiden Sätze - still, klar, beinahe gleichgültig.Hennje hatte sie gelesen und dann noch einmal.Und danach hatte er sich erst einmal Tee gemacht.
Die Tür ging auf.Ein feuchter Windstoß wirbelte Blätter über den Dielenboden, bevor die Tür wieder ins Schloss fiel.
Mareike Lottmann trat ein.Anfang dreißig, groß, mit langen, schnellen Schritten und einer Ausstrahlung, die sich schwer einordnen ließ. Sie war eine Spur zu direkt für die Küste und beinahe schon zu wach für die Routine hier im Dorf.Sie zog die Kapuze ihrer Regenjacke zurück, der rotblonde Pferdeschwanz darunter war vom Nebel feucht und die Wangen waren dank der Fahrt durch den Ort, gerötet.Unter der Jacke trug sie einen dunkelblauen Wollpullover, den sie ‚unverzichtbar‘ nannte, aber nie zugeben würde, dass er ihr Glücksbringer war.
Sie hatte sich aus Überzeugung nach Greetsiel versetzen lassen und nicht wegen der Karriere.Oldenburg war ihr zu laut und zu viel geworden.Hier war alles langsamer, aber nicht stumpfer und genau das gefiel ihr.
„Moin“, sagte sie und stellte zwei Becher auf den Tisch. „Kaffee für mich, Tee für dich. Ich weiß ja inzwischen, dass daran nicht zu rütteln ist.“
„Ist zu spät im Leben für Kaffee“, murmelte Hennje, ohne den Blick vom Fenster zu nehmen.
„Zu spät wofür? Für das Wachsein oder für Neuanfänge?“Sie lachte leise, streifte sich die Jacke ab und trat näher.Dann sah sie den Zettel.„Was ist das?“
„Ein Gruß vom Morgen“, sagte er.
Sie hob das Papier vorsichtig auf und las sich die Zeilen laut durch.
„Drei sollen sterben. Niemand wird sie retten.“Sie runzelte die Stirn.
„Klingt wie was aus ’nem schlechten Fernsehkrimi.“
„Oder aus dem echten Leben.“
„Und was denkst du?“
„Ich denke, wir nehmen ihn ernst.“
„Und der lag einfach so da?“
„Ja. Auf dem Tresen, ohne Umschlag.“
Sie wendete das Papier, hielt es kurz an die Nase und schnupperte.„Das Papier ist alt und riecht seltsam, die Worte wurden ganz klar mit einer Schreibmaschine geschrieben. Die Buchstaben sind alle leicht versetzt.“
Hennje nickte wortlos.
„Möglich.“
„Da will jemand entweder auffallen oder uns was sagen.“
„Oder dieser jemand will was tun.“
Der Tag schob sich langsam voran.Draußen lag der Ort still unter dem Nebel, der wie ein milchiges Tuch über den Dächern hing.Das Wasser im Hafen stand hoch, kein Wind kräuselte die Oberfläche und auch die Möwen hielten sich zurück.
Mareike schrieb Berichte, Bolle schlief und Hennje las einen alten Fall aus dem Archiv und das eher aus Gewohnheit als aus Notwendigkeit.Der Zettel lag die ganze Zeit über unverändert neben ihm, doch das Gefühl, das er auslöste, wurde immer stärker.
Am frühen Nachmittag ging er zur Teestube, Insa Wreesmann stand wie immer hinter dem Tresen.Sie war eine Frau um die sechzig, mit schmalem Gesicht und ruhiger Stimme.Sie kannte die Menschen im Ort ohne über sie zu sprechen.Und wenn sie etwas sagte, hörte man ihr stets zu.
„Du siehst aus, als hättest du was gelesen, dass dir den Magen verdreht hat“, sagte sie, während sie den Tee einschenkte.
„So ähnlich.“
„Dann brauchst du das hier“, sagte sie und stellte ihm die Tasse hin.
Er nickte.
Mehr musste nicht gesagt werden.
Am späten Nachmittag kehrte er in die Polizeistation zurück.Bolle lag noch an seinem Platz und Mareike blätterte sich durch eine Akte während sie auf dem Ende eines Kugelschreibers herumkaute.Draußen wurde es dunkler und die Luft schwerer.
Dann klingelte das Telefon.Es war ein einziger, heller Ton.
Hennje nahm ab.Der Pilsumer Pfarrer Jansen meldete sich aufgeregt. Er klang fahrig, aber mit fester Stimme.Ein Mädchen, eine Konfirmandin, habe in der Sakristei den Küster tot aufgefunden und es gäbe viel Blut und einen Zettel, mit einer Eins darauf.
Er sei selbst gerade vor Ort.
„Wir kommen“, sagte Hennje ruhig.
Damit legte er auf, erhob sich von seinem Stuhl und griff nach seiner Jacke.
„Was ist passiert?“ fragte Mareike.
„Der Küster in Pilsum ist tot.“
„Heie?“
Er nickte.
„War es ein Unfall?“
„Nicht, wie’s klingt.“
„Gab es einen Zettel?“
„Ja“, sagte er. „Wie unserer, nur mit einer Eins darunter.“
Draußen war es feucht und nass.Der Nebel hing noch immer dicht zwischen den Giebeln, die Luft war schwer vom Herbst und voller feiner Feuchtigkeit. Kein Windhauch regte sich. Da war nur Stille und das leise Tropfen irgendwo vom Dach.Bolle stand bereits an der Tür, den Kopf leicht geneigt, als hätte er geahnt, dass etwas passieren würde. Hennje trat hinaus.Der Oktober lag kühl über den Gassen und dieser Donnerstag wirkte zunächst so unauffällig wie jeder andere. Doch das war er nicht, zumindest nicht mehr.
Pilsum lag nur ein paar Kilometer westlich von Greetsiel, keine fünf Minuten mit dem Wagen, wenn man die schmale Landstraße nahm, die sich schnurgerade durch die Felder zog.Zu dieser Jahreszeit lagen die Weiden leer und grau unter dem Himmel.Die Kühe waren längst im Stall, das Gras zerdrückt und der Wind trug den Geruch von Erde, Salz und Gülle mit sich, als hätte der Herbst sich alle Düfte der Gegend zusammengesucht.
Am Ortseingang stand ein grünes Schild mit weißer Schrift:Pilsum - Gemeinde Krummhörn - Landkreis Aurich.Es gab ein paar verstreute Häuser, fast alle waren aus rotem Klinker und viele von ihnen hatten ein Reetdach.Es gab zwei Bauernhöfe, ein Café, eine alte Schmiede und ein Gasthaus, das nur noch freitags öffnete und mittendrin stand die Kirche.
Die Pilsumer Kreuzkirche stand an diesem klaren Herbstmorgen wie ein stiller Wächter über dem kleinen Warfendorf, als hätte sie jedes Flüstern des Windes und jedes Wispern der Gezeiten seit Jahrhunderten in sich aufgenommen. Das rötliche Mauerwerk, von Jahrhunderten salziger Luft und Nordseestürmen gezeichnet, wirkte lebendig, als hielten sich die Steine selbst Erinnerungen, an Gebeten und an Geheimnisse fest, über die über die Jahre besser geschwiegen wurde.
Der mächtige Vierungsturm ragte wie ein stummer Mahner in den Himmel.
Es war ein Bau, der nicht nur für Gott errichtet worden war, sondern auch für Zeiten, in denen die Menschen Schutz suchten. Schutz vor dem Wasser, den Feinden oder vielleicht auch vor der Wahrheit. Unter dem Dach mit seinen wettergegerbten Ziegeln roch es im Inneren nach altem Holz, kaltem Stein und einem Hauch von Moder.
Der Friedhof, der die Kirche eng umschloss, lag in einer merkwürdigen Stille.
Der kühle Wind spielte mit den verblassten Bändern alter Grabsträuße und er schob sich zwischen schiefen Steinen hindurch, deren Inschriften vom Salz und den Jahren fast ausgelöscht waren. Wer hier stand, spürte, dass manche Geschichten nicht den Weg ins Licht finden sollten und dass dieser Ort sie alle kannte.
Bolle bellte einmal kurz, als sie aus dem Wagen stiegen, dann verstummte er und blieb dicht an Hennjes Seite.
Vor der Kirche standen zwei Menschen.
Pfarrer Jansen war ein Mann Mitte fünfzig, mit diesem wetterfesten Gesicht, das weniger von der Sonne als von den Jahren geformt wurde. Das dunkelbraune Haar war an den Schläfen ergraut, die Stirn von feinen Linien durchzogen und in seinen graugrünen Augen lag ein Ausdruck, der andeutete, dass er mehr gesehen - und geschwiegen - hatte, als gut für ihn war. Seine Bewegungen waren bedächtig, beinahe kontrolliert, als hielte er stets etwas zurück, das besser verborgen blieb.
Er trug ein zerknittertes Hemd unter der Jacke.
Neben ihm stand ein Mädchen, das in eine viel zu große Jacke gewickelt war, ihre Mütze hatte sie sich tief ins Gesicht gezogen.Sie hielt die Arme um den eigenen Körper geschlungen und schaute stur auf den Boden.
„Pfarrer Jansen?“ fragte Hennje, als sie näherkamen.
„Ja. Guten Tag. Ich bin… also… ich habe sie gerufen.“Seine Stimme zitterte ein wenig, nicht vor Kälte, sondern vor dem Versuch, Haltung zu bewahren.
„Wer hat sie gefunden?“
„Sie.“ Er deutete auf das Mädchen. „Lina Freese. Sie macht gerade Konfirmandenunterricht bei mir.“
Hennje trat einen Schritt näher.
„Lina?“
Sie nickte kaum merklich.
„Du hast den Küster gefunden?“
„Er … er lag einfach da“, murmelte sie. „Ich habe die Tür aufgemacht. Es war … ich habe ihn zuerst gar nicht erkannt. Da war so viel Blut.“
„Hast du irgendwen gesehen? Jemanden, der aus der Kirche kam?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Es war niemand da. Nur ich und er.“
„Du hast alles richtig gemacht, Lina“, sagte Mareike leise. „Du bist rausgegangen und hast Hilfe geholt.“
Das Mädchen nickte, ihre Augen waren rot vom Weinen und sie sagte nichts mehr.
In der Sakristei roch es nach kaltem Stein, altem Holz, Wachs und etwas, das wie Eisen schmeckte.Das Fenster war gekippt, der Wind zog langsam durch den Raum und ließ eine weiße Altardecke am Haken flattern.
Heie Dirksen lag auf dem Rücken.Der Küster war Ende sechzig gewesen, gedrungen und mit breiten Schultern, aber in den letzten Monaten hatte er abgebaut - das war selbst Hennje aufgefallen.Jetzt lag er da, den Blick zur Holzdecke gerichtet und seine Augen standen weit offen, fast so als hätte ihn der Tod überrascht.
Blut hatte sich unter seinem Kopf gesammelt.Es war so viel, das es ausreichte, den grauen Boden rot zum Leuchten zu bringen.
Auf seinem Hemd lag ein Zettel, der sauber und exakt in der Mitte gefaltet war.Die Buchstaben darauf stammten von einer Schreibmaschine:
Niemand wird ihn retten!
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