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Kyra Groh

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Beschreibung

Verliebt, verlobt, verheiratet? Max ist ein Romantiker. Nela nicht. Als sie sich ausgerechnet in einem Brautmodenladen begegnen, schlägt jedoch bei beiden unwiderruflich der Blitz ein. Das Problem: Nela trägt bei dieser Begegnung ein Hochzeitskleid. Und Max hilft einer Frau mit ihrer Corsage. Für beide ist klar, dass der jeweils andere bald heiratet – und damit tabu ist. Doch als der Zufall Max und Nela erneut zusammenführt, werden die guten Vorsätze auf die Probe gestellt. Möge die Hochzeitssaison beginnen! Romantisch, humorvoll und voller Figuren, mit denen man befreundet sein möchte: Wer auf der Suche nach einem Roman ist, der für ein paar Stunden alles andere verschwinden lässt, wird hier fündig!  *** »Niemand verbindet Herzklopfen mit Humor wie Kyra Groh!« Lilly Lucas

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Seitenzahl: 524

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Du bist mein Lieblingsgefühl

Die Autorin

KYRA GROH wurde 1990 in Seligenstadt am Main geboren. Sie schreibt Geschichten direkt aus dem Leben – immer mit Humor, Tiefgang und authentischen Figuren. Mit ihrem Freund und dem gemeinsamen Sohn wohnt sie in Frankfurt, liebt Bücher, Serien und Live-Konzerte und gibt zu viel Geld für Kaffee aus.

Von Kyra Groh sind in unserem Hause erschienen: Mitfahrer gesucht – Traummann gefunden Gar kein Plan ist auch keine Lösung Halb drei bei den Elefanten Tage zum Sternepflücken Pinguine leben nur einmal 

Das Buch

Verliebt, verlobt, verheiratet?Max ist ein Romantiker. Nela nicht. Als sie sich ausgerechnet in einem Brautmodenladen begegnen, schlägt jedoch bei beiden unwiderruflich der Blitz ein. Das Problem: Nela trägt bei dieser Begegnung ein Hochzeitskleid. Und Max hilft einer Frau mit ihrer Corsage. Für beide ist klar, dass der jeweils andere bald heiratet – und damit tabu ist. Doch als der Zufall Max und Nela erneut zusammenführt, werden die guten Vorsätze auf die Probe gestellt. Möge die Hochzeitssaison beginnen!»Niemand verbindet Herzklopfen mit Humor wie Kyra Groh!«Lilly Lucas

Kyra Groh

Du bist mein Lieblingsgefühl

Roman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Februar 2023© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023Umschlaggestaltung: Favoritbuero, MünchenTitelabbildung:  Paar: Shutterstock / © AJP; Ring:  Shutterstock / © Anastasia_B; Kuchen: Shutterstock / © elenafoxly Autorinnenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus

ISBN 978-3-8437-2806-5

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

A-Seite

Track 1: Silly Little Moment

Track 2: Friday I'm Alone

Track 3: This Could Be Fate

Track 4: This Morning, this Morning

Track 5: She Was a Punk, He Did IT

Track 6: Old-fashioned Rhapsody

B-Seite

Track 7: … But Not Like This

Track 8: From the Very First Second

Track 9: No Longer Longing

Track 10: Stay

Track 11: I Do, I Do, I Don’t

Track 12: Hold Me 

Hidden Bonus Track

Anhang

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

A-Seite

A-Seite

Track 1: Silly Little Moment

Nela

Mir ist klar, dass die Gesellschaft jetzt, wo ich fast dreißig bin, gewisse Erwartungen an mich hat. Ich sollte mich niederlassen. Oder vielmehr: mich schon vor längerer Zeit niedergelassen haben. Denn streng genommen habe ich in meinem Alter das Singlemindesthaltbarkeitsdatum längst überschritten. Ich sollte schon verheiratet sein und Kinder wenigstens wollen. Mit Inbrunst. Und Traummann. Und Pferdekutsche. Ich bin schließlich eine Frau, heterosexuell, und mit meiner Gebärmutter ist auch alles tutti. Nun ja. Bis auf die Tatsache, dass sie sich seit meinem dreizehnten Lebensjahr jeden Monat einmal grundreinigen durfte, ohne dass ihr je eine befruchtete Eizelle dazwischengekommen ist.

Das Problem ist nur: Ich will das alles nicht.

Und trotzdem trete ich gerade in einem Haufen elfenbeinfarbener Spitze aus der Umkleidekabine einer hippen Brautmodenboutique für hippe heiratswillige Damen in der Frankfurter Innenstadt.

Mona, die Inhaberin vom Something New, führt mich zu einem stoffbezogenen Podest in der Raummitte und reicht mir die Hand, damit ich selbiges besteigen kann, ohne mich in Stoffbahnen mit vierstelligem Gegenwert zu verheddern. Mona trägt einen perfekten blonden Bob mit Pony und Highlights, ein Kostüm mit Blazer und Bleistiftrock und hat ein Lächeln mit der Strahlkraft einer atomaren Waffe. Meine Hand liegt in ihrer geöffneten Faust, als wäre ich eine alte Oma, die Hilfe dabei braucht, die Straße zu überqueren. Nur warten keine ungeduldig hupenden Autos auf uns, sondern meine besten Freunde, die mich ergriffen anstarren und alle drei kurzzeitig vergessen zu haben scheinen, dass das hier ein einziger großer Witz ist.

Ich, in einem Hochzeitskleid. Das ist ein Witz! Also wortwörtlich: Das hier sollte ein Scherz werden. Ein Scherz, den sich die drei ausgedacht haben, die gerade auf dem cremefarbenen Sofa Sekt und Orangensaft schlürfen und sich Trauben von einer silbernen Servierplatte reinziehen.

»Neeeeeela!« Meine beste Freundin Laura schlägt eine Hand vor ihre bedrohlich zitternde Unterlippe, bevor sie sie gerührt auf die Höhe ihres Herzens sinken lässt. Oder vielleicht legt sie sie schlicht auf der Schwangerschaftskugel ab, die sich unter ihrer Brust nach vorn wölbt. Je runder Laura wird, desto schwerer fällt es mir, ihre Körpersprache zu lesen.

»Hammer«, lobt Alijah knapp und formt mit Daumen und Zeigefinger eine Geste der Zustimmung. Würde Mona nicht bei uns stehen und jede einzelne Reaktion gierig aufsaugen, würde ich mir Alijah jetzt vorknöpfen. Sie ist schließlich schuld an dieser ganzen Charade. Hätten sie und ihre Verlobte Maren uns vor zwei Wochen nicht zu Drinks eingeladen, wäre ich niemals so betrunken gewesen, dass mir der Satz, der all das hier ausgelöst hat, über die Lippen gekommen wäre: »Ich muss zugeben: So ein Kleid ist schon nett. Schade, dass ich niemals heiraten werde.« Das habe ich gesagt. Nach mindestens vier Gin Tonic und zwei Portionen von Johanns legendärem Tiramisu, das sich hauptsächlich dadurch auszeichnet, dass er die Löffelbiskuits bis zur vollendeten Matschigkeit in selbst angesetztem, vierzigprozentigem Kahlúa einweicht. Keine Person, die sich diese tödliche Mischung reingepfiffen hat, sollte mehr ernst genommen werden. Und schon gar nicht sollte man hinter ihrem Rücken einen Termin in der Boutique ausmachen, in der man gerade selbst ein Kleid gekauft hat, und besagte Person unter dem Vorwand, eben jenes abzuholen, dorthin locken.

»Ist es nicht wunderschön?«, fragt Mona an Johann gewandt, der sich bisher nicht geäußert hat. Ich muss mir so heftig ein Kichern verkneifen, dass ein unelegantes Grunzen aus meinem Mund kommt. Dass sie das ausgerechnet von Johann wissen will, ist einfach zu absurd. »Du als Mann siehst das ja noch mal durch ganz andere Augen.«

Auch wenn ich mir sicher bin, dass der Aufbau männlicher und weiblicher Augen sich nicht grundlegend unterscheidet, muss ich Mona für ihre Motivation bewundern. Unter ihrer Aufsicht findet bestimmt jede Frau genau den Traum in Weiß, den sie sich schon mit sechzehn auf ihrer Pinterest-Pinnwand mit dem Titel »Ja, ich will« markiert hat.

Wenn Mona wüsste, dass wir ihre Zeit beanspruchen, obwohl niemand von uns vorhat, auch nur einen Cent für dieses Kleid auszugeben, würde sie uns wahrscheinlich im hohen Bogen rauswerfen. Dann könnte ich endlich meine Gesichtsmuskulatur entspannen, die seit einer halben Stunde die glücklich grinsende Bride-to-be mimt, obwohl ich am liebsten vor Lachen zusammenbrechen würde. Ich in einem Hochzeitskleid – das kann ich einfach nicht glauben.

Ich hätte vor dem Laden kehrtmachen sollen. Bevor Johann mich mit seinen hundert Kilo in den Schwitzkasten nehmen und durch die Tür bugsieren konnte. Und natürlich bevor Alijah mich ermahnen konnte, dass ich mitspielen müsse, weil sie sich sonst nicht mehr zu ihrer letzten Anprobe hier blicken lassen könne. Ich habe einfach nicht rechtzeitig reagiert, und plötzlich gab es kein Zurück mehr. Ali hatte schneller »Hallo, wir sind hier wegen der Anprobe für Nela Sturm!« gesagt, als ich meinen eigenen Namen hätte denken können.

»Also ich als Mann …«, sagt Johann mit einem Tonfall, der verdeutlicht, dass auch ihm das Rollenklischee hinter dieser Frage aufgefallen ist, »bin da ja nicht so der Experte.« Er sieht mir ein wenig zu lange in die Augen. Johann sitzt der Schalk so fest im Nacken, dass es schon unter normalen Umständen unmöglich ist, Blickkontakt zu ihm zu halten, ohne in Gelächter auszubrechen.

Jetzt knackse ich mir vor Anstrengung fast die ein oder andere Rippe an – was ihn mindestens ein Essen bei unserem Lieblingsvietnamesen kosten wird.

»Als frisch geschiedener Mann, der momentan von Hochzeiten eigentlich nichts wissen will, kann ich jedoch sagen, dass ich dich so zum Altar führen würde. Und das soll etwas heißen.«

Mona wedelt sich mit der Hand Luft zu, um diese gefühlvollen Worte zu verarbeiten.

»Danke, Johann«, sage ich mit verkniffenen Mundwinkeln.

»Jetzt schau dich doch mal richtig an!« Mona deutet begeistert auf die Spiegelwand, die mindestens 180 Grad des kreisförmigen Anproberaums ausmacht. Sich hier drin aufzuhalten, ohne sich richtig anzusehen, ist praktisch unmöglich. Aber ich muss dieses Spiel jetzt durchziehen, ohne meiner zynischen Seite die Oberhand zu lassen. Alijah zuliebe.

Ich lächle der Verkäuferin zu und mustere mich demonstrativ im Spiegel. Das Kleid ist am Oberkörper eng geschnitten und fällt etwa auf Höhe der Taille locker herunter. Dort verwandelt sich die Spitze in einen Rock aus Tüll und Seide, der so lang ist, dass ich wahrscheinlich auch dann noch reinpassen würde, wenn ich mich selbst auf den Schultern balancieren würde.

»Haut dich nicht um, oder?«, sagt Mona mit fachmännischem Nicken. »Ich sehe das. Ich sehe das immer sofort. Da entwickelt man ein Auge für. Wenn du DAS KLEID gefunden hast, merkt man es auf den ersten Blick.« Sie wendet sich zu meinen Freunden um. »Die Bräute haben dann einfach dieses Strahlen. So von innen heraus.« Sie klopft sich auf die Seite ihrer Brust, auf der ihr Herz schlägt, und verzieht vor Wonne das Gesicht. Ich freue mich für Mona, dass sie ihren Beruf so liebt. Wirklich. Ich bin weitaus schlechter darin, Begeisterung vorzutäuschen, wenn der x-te Kunde mit einer alten Beatles-Scheibe in meinen Plattenladen kommt und glaubt, dass ich sie ihm für ein Vermögen abkaufen werde.

»Ich hab’s bei meinem Kleid auch sofort gewusst«, wirft Alijah ein, »beziehungsweise bei meinem Jumpsuit.« Die Verkäuferin stürzt sich auf die Tatsache, dass Ali auch demnächst heiraten wird, und schwelgt mit ihr in Erinnerung an ihre eigene Anprobe vor einigen Monaten. Auch heiraten – pff! Kurz muss ich mich selbst daran erinnern, dass Mona ja nur glaubt, dass mein großer Tag ebenfalls bald ansteht. Alijah musste ihr ein falsches Datum nennen, um den heutigen Termin zu ergattern: Soweit Mona weiß, trete ich schon im September in den Bund der Ehe ein – was Mona ein erschüttertes »In fünf Monaten?« abgerungen hat. Tja. Heute Morgen dachte ich noch, dass ich unverheiratet sterben werde, jetzt gebe ich schon diesen Herbst meinem Traummann das Jawort. So schnell kann’s gehen.

Ich strecke resigniert meine Hand aus und verdeutliche Johann, dass er mir was von dem Alkohol einschenken soll. Mit seinem fiesesten Grinsen leistet er Folge und reicht mir eine bis zum Rand gefüllte Sektflöte. Ich leere das Glas in einem einzigen Zug, wobei der separate Anproberaum, den man nur betreten darf, wenn man plant, mehrere sehr große Scheine für ein Kleid auszugeben, kurz vor meinen Augen verschwimmt.

Laura hievt sich aus ihrer sitzenden Position hoch und kommt mit tadelnder Miene zu mir gewatschelt. In dieser zweiten Schwangerschaft ist ihr Bauch gefühlt doppelt so schnell gewachsen wie in ihrer ersten mit Mila. Sie ist im siebten Monat und bewegt sich jetzt schon in demselben Pinguinschritt fort, den sie sich bei Mila erst kurz vor dem Geburtstermin angeeignet hat. Schwerfällig stützt sie sich mit einem Fuß auf meinem Podest ab, stemmt eine Hand ins Kreuz und zieht schmerzerfüllt Luft durch die Mundwinkel ein.

»Du musst an deinem Pokerface arbeiten«, sagt sie schließlich atemlos zu mir.

»Und du erst! Wie viele hast du dadrin?« Ich nicke zu ihrem Bauch. »Drei?«

Laura feuert mir den »Hör mir auf mit dem Bullshit«-Blick zu, den sie über die Jahre perfektioniert hat. Ich kenne Laura seit der Pubertät. Oder sogar davor schon – das kommt wahrscheinlich drauf an, wie man Pubertät definiert. Wir wurden in der siebten Klasse durch Zufall Sitznachbarinnen in Latein und sind seither unzertrennlich. Wir führen die Art von Freundschaft, die man nur erreichen kann, wenn man gemeinsam an der e-Deklination verzweifelt ist, sich in der großen Pause gegenseitig mit Puma Jamaica eingedieselt und einander davon überzeugt hat, dass das Maybelline Matte Mousse in der Farbe Sand o-ri-gi-nal zum eigenen Hautton passt. Zum Glück hat sich seither aber eine Menge geändert. Nicht nur unser Urteilsvermögen in Sachen Kosmetik hat sich gebessert, wir sind mittlerweile auch schonungslos ehrlich zueinander. Nur die Unfähigkeit, das Wort res zu deklinieren, ist geblieben.

»Ich meine, du kannst einfach mal aufhören, die Coole zu spielen, und diesen Nachmittag genießen!« Laura verzieht tadelnd das Gesicht.

»Genießen?« Das Wort kommt wie ein Schlangenzischen durch meine Zähne.

»Ja! Lass es einfach zu. Sei gerührt von deinem Traum in Weiß.«

Meine Pupillen wandern einmal fassungslos von rechts nach links. »Laura? Ich habe diesen Traum nie geträumt. Das hier«, zische ich eilig, weil Mona sich uns nähert, »ist doch nur ein Witz.«

»Du hast gesagt, du willst ein Kleid anprobieren«, knurrt Laura durch die Zähne.

»JA! Als ich ’ne halbe Flasche Gin intus hatte.« Ich fuchtele mit den Händen, was aufregende Dinge mit den langen Spitzenärmeln meines Kleids in Gang setzt. »Hättest du mich in dem Zustand gefragt, was meine liebste LP ist, hätte ich wahrscheinlich mit The Dome Volume 7 geantwortet.«

Laura blinzelt ein paarmal. »Du weißt genau, dass ich deine Musikmetaphern nicht verstehe.«

»Du kennst ja wohl The Dome! Diese Compilation-CDs. Laura, die haben wir früher immer …«

»Darf ich kurz stören«, Mona steckt flüsternd den Kopf zwischen uns. Offensichtlich will sie das Gespräch der (vermeintlichen) Braut mit ihrer (vermeintlichen) Trauzeugin nur ungern unterbrechen. Wir könnten immerhin gerade die Farbe der Einladungen, die Sitzordnung oder die Songauswahl der Hochzeitsband planen. Welcher immense Planungsaufwand für eine Hochzeit anfällt, haben wir in unserem Freundeskreis ja in den letzten Monaten erfahren. Alijah und Maren konnten zeitweise kaum einen geraden Satz sagen, ohne dass ihnen dabei siedend heiß eingefallen ist, welchen Punkt sie noch auf ihre Wedding-To-do-Liste setzen müssen. Das wiederum ist für mich ein weiterer Punkt auf meiner Heiraten-ist-ein-No-Go-Liste. Denn ich hasse Planung.

»Wollen wir das nächste probieren?«, fragt Mona. »Wir haben auch ganz wunderbare Two-Pieces. Das könnte ich mir bei dir so toll vorstellen.« Sie deutet so etwas wie Jazz Hands rund um meinen Oberkörper an. »Die sind richtig edgy.« Mona zwinkert mir zu, was mir panische Angst vor den edgy Two-Pieces macht. Welche Bedeutung hat das Wort edgy für jemanden, der ein ganz in Beige- und Rosatönen gehaltenes Brautmodengeschäft führt?

Ich erhasche einen Blick auf meine Trauzeugin – ich meine: auf Laura, die hinter Monas Rücken mit beiden Zeigefingern ihre Apfelbäckchen nach oben schiebt, um mich zu einem sanften Lächeln anzuhalten. Irgendwo zwischen hysterischem Lachanfall und Ermüdung tue ich, wozu sie mich zwingt, und schwöre mir – noch bevor mein Lächeln in dem träumerischen »Hachhhhh«-Zustand eingerastet ist –, dass meine Freunde für diesen Nachmittag bitter bezahlen werden. Ich habe extra den Laden geschlossen, um Ali bei ihrer vermeintlichen Hochzeitsbesorgung beizustehen, und jetzt muss ich einen edgy Zweiteiler anprobieren.

An Monas Hand gehe ich auf Zehenspitzen zurück in die Umkleidekabine, die so groß ist, dass hier drin locker auch ein Elefant etwas anprobieren könnte. Während meine kindische Vorstellungskraft sich noch ausmalt, welche Hochzeitsmode ein Elefant wohl tragen würde, ob seine Vorderläufe eher die Funktion menschlicher Arme übernehmen oder er ein Kleid über alle vier Beinen ziehen würde, reicht mir Mona auch schon einen Rock und ein Oberteil. Sie hilft mir mit sicheren Griffen beim Umziehen, und das Spektakel beginnt von Neuem.

Johann liebt das edgy Two-Piece. Noch mehr als das erste Kleid, obwohl er auch bei dieser Kombination aus Tüllrock und leicht bauchfreiem Seidentop nicht ganz verschleiern kann, dass Heiraten auf seiner Prioritätenliste gerade ganz weit unten steht. Damit ist er mir momentan von meiner gesamten Clique am sympathischsten. Aber leid tut er mir natürlich trotzdem. Seine Scheidung von Katharina war eine Schlammschlacht. Und das, obwohl sie weder Wohneigentum noch Nachwuchs haben. Allerdings haben sie wie wild um den gemeinsam angeschafften Hund gefochten, und so ist das Umgangsrecht für einen Dackel nun dezidierter ausgehandelt als das von so manchem menschlichen Scheidungskind.

Ali kneift ein Auge zusammen und neigt den Kopf in einem abschätzenden Rhythmus von links nach rechts. »Irgendwas daran stört mich«, urteilt sie und zupft in der Luft herum, wie um die Aura des Kleides zu reinigen. Ihre dichten schwarzen Korkenzieherlocken hüpfen bei jeder Bewegung, bis sie schließlich den Schopf nach hinten wirft und verkündet: »Nope. Sorry. Das ist es nicht.«

»Ich find’s gar nicht so schlecht.« Laura tippt sich gedankenverloren gegen die Lippe.

»Ich gebe zu«, flötet Mona, als würde sie uns in ein Geheimnis einweihen, »ich habe es mir mit deinen Tattoos irgendwie aufregender vorgestellt.« Wieder macht sie die Jazz Hands, und dieses Mal begreife ich, wieso sie mich zunächst des Zweiteilers würdig erachtet hatte. Schuld sind also die vielen kleinen Tätowierungen auf meinen Armen: unter anderem der Bialetti-Espressokocher – kaum größer als zwei Fingerglieder – auf meinem linken Bizeps, die Lyric-Zeile »Friday I’m in Love« daneben, der filigrane Schmetterling auf meinem rechten Unterarm oder der Pfirsich, der ein bisschen aussieht wie ein Hintern, auf meinem Handgelenk.

»Also ich«, sie greift sich wieder ans Herz, »finde tätowierte Bräute ja toll, aber viele Kolleginnen sagen aus genau diesem Grund, dass es … nun ja, schwieriger ist, das perfekte Kleid zu finden.«

Alles in mir schreit: Wann sind wir endlich fertig? Wir haben gelacht, wir haben mich durch den Kakao gezogen und gelernt, dass man in dem Moment, wo man einen Hochzeitsladen betritt, aufhört, Mensch zu sein, sondern nur noch »Die Braut« ist. Selbst wenn man gar nicht heiratet.

»Was wird denn dein Verlobter tragen?«

»Mein Verlobter?« Ich schnaube so sehr über diese Frage, dass meine Stimme auf der letzten Silbe kippt. Dass mich jemand nach einem Verlobten fragt, wäre für jeden, der mich kennt, so absurd, dass ich für einen Moment aus der Rolle falle. Eine Rolle, die ich zugegebenermaßen bis zu diesem Moment auch nicht gerade auf Oscar-Niveau gespielt habe. Aber ich habe ja nicht mal einen Freund. Und es gab in den vergangenen Jahren auch keinen aussichtsreichen Kandidaten. Ich hatte … Gott, es gab nicht mal jemanden, mit dem ich länger als zwei Monate auf Dates gegangen bin. Zuletzt gab es da Fabian. Mit dem habe ich mich gut acht Wochen getroffen, weil er unfassbar leidenschaftlich über Musik reden konnte. Eigentlich war alles gut und entspannt mit ihm, bis eines Morgens seine Eltern vor der Tür standen und mit uns Kaffee trinken wollten. Was er toll fand. Und ich nicht. Ich lerne keine Eltern kennen. Ich kenne meine eigenen. Das reicht vollkommen.

»Oh, den müsstest du sehen!« Ali lupft mit lüsternem Blick ihr blau gestreiftes Hemd, wie um sich Luft zuzufächern. »Ein Bild von einem Mann! Eins neunzig groß, Schwimmer-Statur. Wird einen Designeranzug von Boss tragen. Den würde nicht mal ich vorm Traualtar stehen lassen.« Sie zwinkert Mona wissend zu, und diese beginnt, verschwörerisch zu kichern. Dabei entgeht ihr mindestens die Hälfte des Jokes. Denn erstens ist dieses Bild von einem Mann eher ein Trugbild, und zweitens ist der Kerl noch nicht geboren, den Alijah heiraten würde. Sie bezeichnet sich selbst als »so lesbisch, wie man nur sein kann«.

»Eins neunzig? Das heißt, wir können uns bei der Höhe der Schuhe austoben!« Mona klatscht begeistert in die Hände und wirft einen Blick auf meine unter dem Tüllrock versteckten Füße. Ich trage so gut wie nie hohe Schuhe und werde es ganz sicher nicht auf meiner fiktiven Hochzeit tun.

»Nela auf Absätzen – das ist einfach ein Traum!« Typisch Ali. Sie muss immer noch einen draufsetzen. Aber dafür werde ich mich so was von revanchieren. Ich werde an ihrer Hochzeit eine Rede darüber halten, dass sie sich 2013 auf einem Festival ganz sicher war, Scarlett Johansson in der Menge entdeckt zu haben. Und erst als sie bereits eine halbe Stunde mit ihr rumgeknutscht hat, hat Scarlett ihr gebeichtet, dass sie eigentlich Sabrina heißt und streng genommen nicht auf Frauen steht.

Ein plötzliches Geräusch – halb Hustenanfall, halb unterdrücktes Wiehern – lenkt mich von Ali ab. Es kommt von Johann, der noch immer versucht, nicht vor Lachen zu platzen. Ich sehe ihn mit hochgezogenen Brauen an und nicke heftig zu Mona. Ein eindeutiges: Wehe du lachst, sonst fliegen wir beide auf! Er hält sich die Hände vor den Mund und räuspert sich ausgiebig, bevor die Ladenbesitzerin Verdacht schöpfen kann. Das Lachen, das sich in meiner eigenen Kehle zusammenbraut, wird von Laura verhindert. Die hat derweil nämlich eine Stange mit Kleidern am anderen Ende des Raums erkundet, von denen sie eines gerade am Rockzipfel he­rauszieht und fragt: »Wie wäre es mit dem?«

Monas Augen leuchten auf. »Oh, das ist unsere neue Kollektion. Wirklich ganz tolle Stücke.«

»Ich glaube, ich würde vielleicht …« Würde vielleicht was, Nela? Mich kaputtlachen? Vor Scham sterben? Neue Freunde finden? Egal, aber erst mal muss ich hier weg. Das ganze Hochzeitsthema schnürt mir die Brust zu. Nur wie soll ich jetzt noch den Rückzug antreten? Schließlich wurden gut achtzig Prozent des Geschäfts extra für mich gesperrt, und ich hatte gerade einmal zwei Outfits an? Ist es legitim zu sagen, dass man noch mal woanders schauen möchte? Ich fühle mich schon genötigt, etwas zu kaufen, wenn ich mir im Schuhladen die richtige Größe aus dem Lager bringen lassen muss. Wie gehen Frauen – Pardon: Bräute – ein Hochzeitskleid kaufen, ohne aus Verlegenheit direkt im ersten Geschäft zuzuschlagen?

»Ich weiß, es ist überwältigend!«, sagt Mona einfühlsam. »Es soll immerhin der schönste Tag in deinem Leben werden. Aber ich verspreche es dir! Probier nur noch dieses eine Kleid an. Mit Schuhen!«

»Na gut«, lenke ich ein und nehme mir fest vor, diese ganze »Ich bin eine von Hormonen überwältigte Braut«-Geschichte als Ausweg zu nehmen, sobald ich den dritten Fummel anprobiert habe. Gott! Wie anstrengend muss es erst sein, wirklich zu heiraten, wenn es mich schon nervlich an meine Grenzen bringt, eine Dreiviertelstunde lang so zu tun? Noch weitere dreißig Minuten im Something New, und ich fange wahrscheinlich an, mir Gedanken darüber zu machen, was mein Something old, borrowed und blue sein könnten.

Ich bin wieder in der Umkleidekabine und habe mir das Seidentop über den Kopf gestülpt, bevor Mona mich fragen kann, was meine Schuhgröße ist. Doch zum Glück habe ich meine Würde ja am Ladeneingang abgelegt wie einen nassen Regenschirm, und so tritt sie einfach, ohne zu fragen, ein und bittet mich, ihr zu folgen. Perplex stehe ich in nichts als schwarzen Unterhosen vor ihr und nicke nur.

»Zauberhaft«, sagt sie. »Dann probieren wir schnell einen Beispielschuh.«

Johann, Ali und Laura kringeln sich hinter uns vor Lachen. Kein Wunder. Die beiden Nicht-Schwangeren haben immerhin schon eine komplette Sektflasche leer gesüffelt, und Laura kann sich auch sehr gut ohne Pegel über mich lustig machen.

Jede andere Person würde hochkant rausfliegen, wenn sie mich in Unterwäsche in der Umkleide überraschen würde. Doch Mona scheine ich einfach kein Widerwort geben zu können. Ich schlüpfe kurzerhand in meinen Jeansrock, das lockere graue Shirt und die schwarzen Converse und tapse auf die rosa Schwingtür zum Verkaufsraum zu. Ehe ich hindurchtrete, taxiere ich meine Freunde ein letztes Mal. Ich fahre mit dem ausgestreckten Zeigefinger über meine Kehle und schwöre mir, die nächsten zehn Jahre in all ihre Drinks zu spucken.

Max

Zugegeben: Ich wirke wie genau der Mann, den man beim Kauf eines Hochzeitskleides an seiner Seite wissen möchte. Ich habe noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich in meiner Zukunft eine Ehefrau und Kinder sehe, und mache ebenfalls keinen daraus, dass es mich manchmal verzweifelt stimmt, diesen Zustand mit 33 noch nicht erreicht zu haben. Dass ich in der Lage bin, dies zuzugeben, macht mich jedoch zu einer Art Einhorn – denn allem Anschein nach muss man als heterosexueller Mann zumindest so tun, als fände man die Vorstellung von einer dauerhaften monogamen Verbindung schrecklich. An jedem Fußballabend muss man die Ehe mindestens einmal mit einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe vergleichen, auf die man sich nur eingelassen hat, weil die »Frau es halt so wollte«. Ich weiß das, weil ich schon auf vielen solcher Fußballabende war. Und früher oder später beugt sich immer jemand zu mir, rempelt meine Schulter an und sagt: »Ist doch so, Max, oder? Kannste froh sein, dass du single bist.« Froh bin ich dann nicht. Ich bin meist einfach nur still, was keinen wirklich wundert, denn ich bin oft still.

Auch das macht mich wohl zu einem guten Shoppingbegleiter. Ich weiß, wann meine Meinung erwünscht ist – vor allem bei Inga. Ich war schon ihr Berater, als sie sich in der elften Klasse zwischen dem Musik- und Kunstgrundkurs entscheiden musste und so getan hat, als wäre ihr Leben in jedem Fall zu Ende. »Mit Kunst drücke ich mich aus, aber Musik ist mein Leben, Max!« Diese theatralischen Worte zitiere ich auch heute noch regelmäßig und sehe dabei in Gedanken die damalige Inga mit ihrem schwarz gefärbten Pony und der gestreiften Krawatte.

Unfassbare achtzehn Jahre später könnte Inga nicht weiter von ihrem damaligen Look entfernt ein. Sie ist eine Blazer-und-Stoffhosen-Frau geworden, was ihr früheres Ich ihr nie verzeihen würde. Ihr gegenwärtiges Ich kann ich mir hingegen gar nicht mehr anders vorstellen. Sie hat diese Kombination derart verinnerlicht, dass sie sie auch an ihrem Hochzeitstag nicht missen will.

Deswegen hat sie einer übereifrigen Verkäuferin, kaum dass wir den Brautladen Something New betreten haben, auch eine Abfuhr erteilt und sie darauf hingewiesen, dass es ihr »schnurzegal« sei, dass der pompöse Ankleideraum, in dem man in privater Atmosphäre seinen Traum in Weiß anprobieren kann, derzeit belegt sei. »Es ist nur fürs Standesamt« war von Anfang an Ingas Leitmotiv in sämtlichen Hochzeitsbelangen. Ein Motto, das die türkische Familie ihres Mannes Kerim nicht wirklich zu akzeptieren bereit ist. Seit Inga mich gefragt hat, ob ich ihr Trauzeuge sein möchte, hängt sie den »Ist ja nur Standesamt«-Nachsatz an so ziemlich jeden Aspekt der Hochzeitsplanung an. Nur um größeren Locations, längeren Gästelisten und opulenteren Buffets dann doch um des lieben Friedens willen zuzustimmen.

Beim Kleid will sie sich jedoch durchsetzen. Was in erster Linie bedeutet, dass das Kleid kein Kleid sein wird. Deshalb macht es Inga nichts aus, dass wir den hinteren Bereich des Something New derzeit nicht betreten dürfen. Sie hat mit ihrer typischen Effizienz bereits eine Kleiderstange angesteuert, auf der Jacken und Blazer in allen Schattierungen von Weiß hängen, die man mit bloßem Auge kaum unterscheiden kann.

»Ich bin eher für Creme, was meinst du?«

Ich habe keine dezidierte Meinung zu cremefarbener Kleidung, nicke aber pflichtschuldig. Ehrlich gesagt bin ich ein bisschen enttäuscht, dass wir uns nicht das volle Hochzeitskleidprogramm geben. Und ja, ich weiß, mit diesem Statement könnte ich auf dem nächsten Fußballabend richtig was lostreten. Die quietschrosa Schwingtür, die den Anproberaum von der übrigen Ladenfläche abgrenzt, ist aber auch zu verlockend. Sie erinnert mich an alte Videotheken oder zwielichtige Kneipen, in denen Insider nach dem »harten Kram« unter dem Tresen fragen.

Ich will mich gerade zu Inga umdrehen, um einen schlechten Witz über die pinke Saloon-Tür zu machen, da bemerke ich, dass ich sie an ein deckenhohes Schuhregal verloren habe. In den gläsernen Schaukästen stapeln sich mindestens hundert Paar Schuhe in allen Passformen, von flach bis Wolkenkratzer, jeder eine Möglichkeit, den Prinzen vor Mitternacht zu verzaubern. Sie nimmt einen Schuh hoch, der eher die Bezeichnung Stelze verdient hätte, und hält sich den Absatz zum Größenvergleich gegen den Kopf. Ich verziehe den Mundwinkel zu einem leisen Lächeln.

»Kerim ist eh schon kleiner als du. Auf dreißig Zentimeter mehr kommt es also nicht an.«

»Er sagt doch immer, er macht das durch Breite wett«, sagt Inga. Ihr Verlobter ist leidenschaftlicher Bodybuilder und hat einen Körperbau, der ihm gut und gerne eine Nebenrolle in Game of Thrones einbringen könnte.

»Wollen wir?« Inga legt den Stelzenschuh zurück und geht zurück zur Kleiderstange. »Ich will irgendetwas, was man danach noch mal anziehen kann.«

Das ist vermutlich ein Satz, der in diesen heiligen Hallen nicht allzu oft fällt. Immerhin kauft man hier für gewöhnlich ein Kleid, in dem man der Partnerin oder dem Partner verspricht, für immer zusammenzubleiben. Und selbst bei einer zweiten Eheschließung würde man wohl kaum den Fummel noch einmal anziehen, in dem das erste, nunmehr gescheiterte Gelübde abgelegt wurde.

Aber ich verstehe Inga. Sie ist eine Blazer-Person, und es ist ja nur fürs Standesamt. Ich bin schon lange aus der Kirche ausgetreten. Schuld daran waren mein erster Steuerbescheid und die Tatsache, dass ich längst aufgehört hatte, an so etwas wie göttliche Gerechtigkeit zu glauben. Für mich und meine Zukünftige in spe kämen also ebenfalls nur eine standesamtliche oder eine Freie Trauung infrage. Der heiratswillige Teil in mir fragt sich unwillkürlich, ob sie das doof finden wird. Also sie – die Frau, die ich noch nicht kennengelernt habe und die ich, basierend auf aktuellen Statistiken, wohl auch niemals treffen werde. Aber rein theoretisch … Würde ich jemandem begegnen, der auf Pferdekutschen, Gottessegen, Weihrauch und ein Kleid aus dem hinteren Bereich von Something New nicht verzichten wollen würde – ich würde mitspielen. Ihr zuliebe. Jemanden an meiner Seite zu haben, der mir beteuert, dass es zumindest für immer sein könnte … Das ist ein Gefühl, nach dem ich mich sehne seit … nun ja, seit meine Mutter nicht mehr lebt.

»Max?« Ingas Stimme dringt durch die ungesunde Mischung aus Erinnerungen und Zukunftsvisionen in meinem Kopf und holt mich zurück in den Brautmodeladen. Sie hält sich einen Blazer aus hellem mintfarbenen Stoff vor die Brust und sagt: »Oder vielleicht doch so was. Mit einem Rock?«

»Nicht schlecht«, antworte ich diplomatisch, weil ich weiß, dass sie das hören will. Ich kenne Inga. Sie trägt als Ärztin, weiß Gott, schon genug Weiß.

»Nicht schlecht«, imitiert sie und verdreht die Augen. »Schon mal überlegt, Motivationsredner zu werden?«

»Hey! Ich hab fast zwei Dutzend Angestellte«, sage ich, lehne mich ein wenig unbeholfen gegen das gläserne Schuhregal und strecke meine langen Beine von mir. »Ich kann hervorragend Menschen motivieren.«

»Menschen, denen einer abgeht, wenn sie zwei Tage am Stück in dunklen Räumen Codes schreiben dürfen.«

Ich verenge die Lider und werfe Inga einen gespielt verletzten Blick zu. Wir lieben es, uns gegenseitig mit unseren Berufen aufzuziehen. Oder: mit allem aufzuziehen, streng genommen. Das bleibt nicht aus, wenn man einander schon das halbe Leben kennt. Oder zwei Drittel des Lebens, streng genommen.

»Dabei sind Menschen, denen einer abgeht, doch eher dein Metier.« Inga, ihres Zeichens Frauenärztin in einem Kinderwunschzentrum, holt mit dem Blazer nach mir aus. Und während ich mich breit grinsend unter ihrem Schwinger wegducke, öffnen sich die rosa Saloon-Türen so dramatisch wie in einem Italowestern. Heraus tritt jedoch kein o-beiniger Cowboy, sondern eine elegante blonde Frau im Kostüm, die auf hohen Hacken geradewegs auf uns zukommt.

Als mir klar wird, dass sie das Schuhregal hinter mir ins Visier genommen hat, stoße ich mich ab und komme federnd auf meinen Fersen zum Stehen. Inga umklammert zwar ihren Blazer, als hätte sie ihm bereits das Jawort gegeben, wirft aber doch einen recht neugierigen Blick auf die schwingende Pforte. Die blonde Frau lächelt uns beide herzlich, aber professionell an und reckt sich dann nach einem Schuh, der sich in einem Regalfach gut eine Armeslänge über meinen Schultern befindet. Ich setze meine eins neunzig sinnvoll ein und komme ihr zu Hilfe.

»Den hier?«, frage ich und hebe etwas aus dem Regalfach, das ich aus blanker Unwissenheit heraus mal eine hochhackige Sandale nennen würde.

»Genau der«, flötet die Blonde und zwinkert mir – nicht mehr ganz so professionell – zu.

»Gibt’s den in 48?«, frage ich, finde meinen eigenen Witz aber in dem Moment, in dem ich ihn ausgesprochen habe, schon furchtbar unoriginell. Doch die Verkäuferin kichert ausgelassen, was mich kurz glauben lässt, dass ich flirten kann. Es gibt mir einen kleinen, aber bedeutenden Hormonstoß, der dafür sorgt, dass ich meine Position am Regal wieder einnehme – bewusster dieses Mal und mit verschränkten Armen, in der Hoffnung, dass es das Maximum aus meiner Statur herausholt. Aber da ich mit Krafttraining nichts am Hut habe und von gelegentlichem Joggen und Fahrradfahren noch niemand einen Bizeps wie Kerim bekommen hat, sehe ich wahrscheinlich weiterhin aus wie der schlaksige Computernerd, der ich auch bin. Nur eben gegen ein Regal gelehnt.

»Mann, war der schlecht«, raunt Inga mir zu, sobald die Verkäuferin aus unserem Sichtfeld verschwunden ist.

»Sei still, und geh deinen Blazer anprobieren.« Ich zwinkere meiner Freundin zu, die daraufhin wirklich eine andere Angestellte bittet, den Blazer mit passendem Unterteil Probe tragen zu dürfen. Ich sehe erst ihr, dann der Frau mit dem Bob hinterher, nur um festzustellen, dass sie hinter einem Vorhang verschwunden ist. Als würde auch ich etwas anprobieren, verpasse ich der Unbekannten in meiner Hochzeitsfantasie kurz einen blonden, kinnlangen Haarschnitt. Aber die Vision will sich nicht aufbauen. Natürlich hat das wenig mit der Frisur meiner nicht vorhandenen Braut zu tun, das weiß ich selbst, doch …

Aus dem Augenwinkel bemerke ich, dass jemand neben mir die Schuhauswahl betrachtet. Weil ich nicht unhöflich sein will und es keinen Grund mehr gibt, meine nicht vorhandenen Schwarzenegger-Arme anzuspannen, rappele ich mich auf und mache der Frau neben mir Platz. Dabei fällt mein Blick auf sie, und mein Körper versteift sich. Ich erstarre so plötzlich, dass ich mir vorkomme, als wäre mein Gehirn gehackt geworden.

Zwei Schritte neben mir steht eine zierliche Frau mit verschränkten Armen, die mit beinahe zornigem Gesichtsausdruck die Schuhe mustert. Sie legt den Kopf dabei ein wenig schief, sodass ihr die nicht ganz schulterlangen Haare in die Augen fallen. Der dunkelbraune Vorhang verschleiert ihre kritische Miene und trägt gleichzeitig dazu bei, dass ich mich noch deplatzierter fühle. Ich werde mir meines unrasierten Kinns bewusst und meiner eigenen Frisur, die dringend einen Schnitt vertragen könnte. Beides sind Begleiterscheinungen des zeitfressenden Umzugs, den wir gerade für die Firma planen, und die mich bisher nicht gestört haben. Doch jetzt fahre ich mir unsicher erst durchs Haar und dann über die Wangen und wünschte, ich hätte meine Arme ein bisschen besser im Griff. Aber ich wusste noch nie, wohin mit meinen Händen, wenn ich keine Tastatur vor mir habe. Oder wenigstens einen Stressball.

Gott, was gäbe ich jetzt für einen Stressball.

Als ich das nächste Mal auf meine Hände hinabsehe, befinden sich darin ein Paar silberner High Heels, die ich am Absatz gepackt habe wie ein Fleischerbeil. Was tue ich hier? Gott, Max, hast du noch nie eine attraktive Frau gesehen?

Ich beginne, mir mit der Sohle des Schuhs auf die freie Handfläche zu klopfen, als wolle ich ein Wiener Schnitzel für die Pfanne vorbereiten. Die schöne Frau gibt sich einen Moment erkennbar Mühe, meine trotteligen Gebärden zu ignorieren, doch dann lenkt sie ein und dreht sich mit einem Schwung auf ihren ausgetretenen Converse zu mir.

»Wurdest du auch gezwungen, hier zu sein?«

Wo nehmen andere Menschen die soziale Intelligenz her, einfach so ein Gespräch mit einem Fremden anzufangen? Woher kommt das Selbstvertrauen? Was haben ihre Eltern so grundlegend richtig gemacht?

»Ähm.« Ich räuspere mich und schaue auf den Boden, bemerke dabei aber die vielen kleinen Tattoos auf ihrer sanft gebräunten Haut. Eine Art Falter auf ihrem Unterarm, ein Kaffeekocher, ein pfeildurchbohrtes Herz, über dem linken Knie eine Sonne, der Mond über dem rechten, Worte in Großbuchstaben, die zur Hälfte in ihren geringelten Sportsocken verschwinden. Würde ich mir alle ansehen, müsste ich sie vermutlich die nächsten zehn Minuten anstarren. Und das kann nicht gesund wirken.

Gerade noch rechtzeitig erinnere ich mich an ihre Frage und antworte: »Ja. Kann man so sagen.« Jetzt bloß nicht noch einen Witz über diesen Schuh in deiner Größe machen.

»Sieht man dir an«, sagt sie mit einem kleinen Lächeln, das etwas in mir unwiderruflich zum Bersten bringt. »Oder suchst du den in 46?« Sie nickt zu dem Schuh in meiner Hand und haut sich dann lachend gegen die Stirn. »Woooow, war das ein mieser Joke. Entschuldige. Dieser Laden …« Mit tanzenden Fingern durchfährt sie ihr Haar und schüttelt ungläubig den Kopf. »Der macht etwas mit mir.«

Sie sieht mit der Hand im Nacken zu mir auf, zeigt mir ein kleines Gänseblümchen an der Innenseite ihres Handgelenks und das vielleicht schönste Lachen, das ich je gesehen habe. Ich spüre, wie mein Magen sich verkrampft, und ringe mit dem Drang, jetzt sofort auch etwas Sympathisches zu sagen, und der Gewissheit, dass ich das in Gegenwart einer solchen Frau niemals schaffen werde.

»Sie sollten hier Bildschirme anbringen«, ich deute einmal quer durch den Raum der Boutique und frage mich, worauf zum Teufel ich hinauswill. »Und Filme zeigen oder so. Vielleicht Naturdokus.« Ich zwinge mich, sie anzusehen, um abschätzen zu können, ob sie meinen Vorschlag versteht. Denn ich selbst tue es nicht. Was rede ich da?

Sie wirkt etwas verblüfft, aber ich habe zweifellos ihr Interesse geweckt. Wieder legt sie den Kopf schief, und ihre Nase, die mit zarten Sommersprossen betupft ist, kräuselt sich unter einem Lächeln.

»Bei meinem Zahnarzt gibt es das«, erkläre ich ihr – und auch dem Teil von mir, der bisher keine Ahnung hatte, was ich mit diesem Gesprächsthema bezwecke.

»Du meinst, man guckt an die Decke, und da läuft dann Planet Erde?« Sie schaut, höchstwahrscheinlich unterbewusst, nach oben und wippt auf den Fußsohlen. Ihre Oberschenkel spannen sich dabei unter dem schwarzen Jeansrock an.

»Genau«, sage ich leise und schlucke, um meine staubtrockene Kehle zu befeuchten. Es ist nicht der Gedanke an den nächsten Zahnarztbesuch, der das mit mir anstellt …

»Ich mag den Vorschlag«, gesteht sie. »Und ich mag Naturdokus. Aber ist es nicht unangenehm, wenn dann so eine …«, sie bringt das Wort nur unter Lachen heraus, »Fortpflanzungsszene kommt, während der Zahnarzt gerade«, sie gestikuliert wild, »in deinem Mund eine Füllung glatt fräst?«

Durch all meine selbstkritischen Gedanken und meine Unsicherheit hindurch bricht sich ein lautes Lachen Bahn. Nach zwei oder drei Sekunden hält sich die Unbekannte atemlos die Hand aufs Herz: »Echt mal. Ich bin fast dreißig und verhalte mich immer noch wie ein Kind, wenn zwei Tiger rummachen.« Ein letztes, tiefes Goofy-Glucksen kommt aus ihrem Mund, was meine eh schon überbordenden Sympathien für sie vollkommen außer Kontrolle geraten lässt.

»Ich kann dir versichern: Auch mit dreiunddreißig ist man noch nicht weiter.«

Sie nickt bedächtig, sieht mir genau in die Augen. »Verstehe. Gut zu wissen.«

»Sooooooo«, der lang gezogene, singende Laut dringt durch den gesamten Laden. Die Verkäuferin ist mit einem Schuhkarton hinter dem Vorhang zurückgekehrt und schreitet nun wieder auf die Schwingtür zu. »Dann wollen wir maaaaal.«

»Ich fürchte, da muss ich mit.« Die Hand mit dem tätowierten schwarzen Gänseblümchen zeigt hinter dem blonden Bob her.

»Viel … äh … Durchhaltevermögen noch«, wünscht die Unbekannte mir. »Und nicht zu sehr an Tiger beim Sex denken.«

Mit einem letzten Zwinkern eilt sie der Verkäuferin hinterher. Und eines kann ich ihr garantieren: Ich denke nicht an Tiger. Aber ich denke an das Wort Sex aus ihrem Mund.

Nela

Ich habe in den letzten Jahren nicht viele Gespräche mit fremden Kerlen geführt, die in mir den Drang ausgelöst haben, mich im Weggehen noch einmal nach ihnen umzusehen. Doch jetzt tue ich es. Mit einer Hand auf der Schwingtür werfe ich einen letzten Blick zurück. Er starrt mich an. Seine Lippen sind leicht, die Augen weit geöffnet, und das dunkelbraune kurze Haar imitiert auf niedliche Weise sein verdutztes Aussehen. Es fällt unordentlich in einen wahrscheinlich ungewollten Scheitel, der eine hohe Stirn offenbart. Nicht die Art Stirn, die darauf schließen lässt, dass sein Haaransatz vor zehn Jahren noch fünf Zentimeter tiefer begonnen hat. Einfach eine von Natur aus hohe Stirn. Zusammen mit den ungezähmten Brauen und einem dunklen Bartschatten, der schlichten Jeans und dem schwarzen Shirt lässt es ihn auf gute Weise nachlässig aussehen. Wie jemanden, der viel nachdenkt – allerdings nicht über sein Aussehen.

Als sich unsere Blicke begegnen, hebt er verlegen die Hand und winkt mir zum Abschied. Ich grüße zurück, beiße mir dabei auf die Unterlippe und trete durch die Schwingtür. Zu spät wird mir bewusst, dass ich das gerade mit Absicht gemacht habe. Weil ich wollte, dass er noch an meine Lippen denkt, wenn wir beide den Laden längst verlassen haben. Wieso flirte ich mit ihm? Das eben – das war doch nichts! Ja, ich habe ihn angesprochen, aber ich bin nun mal ein extrovertierter Mensch. Bei meiner Arbeit im Train Wreckord rede ich praktisch den ganzen Tag mit Leuten, denen ich nie zuvor begegnet bin. Mein inneres Plappermaul kommt einfach immer zum Vorschein. Vor allem, wenn ich mich neben einer Person wiederfinde, die offenbar gerade meine Gefühlslage teilt. Und der Mann mit den lustig-störrischen Augenbrauen dort drüben fühlt sich definitiv genauso fehl am Platz in dieser Brautboutique wie ich.

Scheiße, denke ich, genau in dem Moment, in dem mich eine der schwingenden Türhälften am Hintern trifft und mich wieder in den Ankleideraum bugsiert. Ich habe mit einem Mann geflirtet, der sich in einer Brautboutique aufhält. Dabei gibt es genau einen Grund für Männer, ein solches Etablissement zu betreten …

»Ich habe dir das Kleid schon reingehängt.«

Ach, stimmt. Da war ja was. Das Kleid aus der neuen Collection samt Schuhwerk wartet auf mich. Was für mich immer mehr zur Geduldsprobe wird, scheint für meine Freunde ein nicht enden wollender Spaß zu sein. Sie haben angefangen, meinen Namen zu skandieren, und Mona klatscht dazu im Takt. Ich ergebe mich meinem Schicksal.

Wie in Trance entkleide ich mich in der Kabine und schlüpfe in das bereitgelegte Outfit. Das Hochzeitskleid hat halblange Ärmel im Boho-Stil, einen weich fließenden Rock mit Applikationen und einen spitz zulaufenden Rückenausschnitt, der bis zum Steiß reicht. Würde ich wirklich heiraten, müsste ich mir jetzt Gedanken darüber machen, welche Unterwäsche ich dazu anziehen soll. Tu ich aber nicht. Nichtheiraten hat wirklich so viele ungeahnte Vorteile.

Bis auf … Beim ersten Blick in den Spiegel weiß ich sofort, dass das hier mein Wow-Moment wäre. Mein ganz persönlicher »Das hier ist es!«-Augenblick, genau wie Mona es gesagt hat. Würde ich im September also wirklich den eins neunzig großen Schwimmer heiraten, bekäme ich genau jetzt die Mischung aus Gänsehaut, Bauchkribbeln und Zukunftsvisionen, die nötig ist, um guten Gewissens 2000 Kröten für ein Kleid auf den Tisch zu legen. Mich durchflutet eine derartig irrationale Entschlossenheit, dass ich der gesamten Hochzeitsindustrie eine Ohrfeige verpassen möchte. Wie bekommen sie das hin, dass selbst ich im richtigen Fummel weiche Knie bekomme?

Ich steige in die beigen Riemchensandalen, die Mona mir in meiner Größe aus dem Lager besorgt hat, und setze ein Pokerface auf. Sobald ich den Vorhang der Umkleide aufgezogen habe, trotte ich in die Raummitte, klettere auf das Podest und drehe mich mit einer »Haben wir es endlich hinter uns«-Attitude im Kreis. Ich rechne damit, dass Laura und Alijah wie beim ersten Kleid reagieren, dass sie Oooohs und Aaaaaahs von sich geben werden wie bei einem gelungenen Silvesterfeuerwerk. Johanns sarkastischen Kommentar, hinter dem sich ein ehrliches Kompliment versteckt, kann ich ebenfalls schon in meinem Kopf hören. Immerhin sehe ich zugegebenermaßen echt ganz okay aus. Doch nichts dergleichen geschieht. Es herrscht eine derart erdrückende Stille, dass mein Pokerface herunterrutscht wie eine Sonnenbrille auf einem verschwitzten Nasenrücken.

»Was stimmt nicht mit euch? Ich sehe total gut aus!«, blaffe ich und stampfe beleidigt mit dem Fuß auf. Aua. Memo an mich: Nicht auf Zehn-Zentimeter-Absätzen aufstampfen.

»Es ist …. Wow.« Alijahs sonst so draufgängerischer Tonfall ist andächtig und rau geworden.

»Es ist atemberaubend.« Natürlich hat Mona für solche »Say yes to the dress«-Momente das richtige Vokabular auf Lager. Atemberaubend. Ich kann mich nicht erinnern, dieses Wort je unironisch gebraucht zu haben.

»Du siehst krass aus.« Johanns Kiefer ist ein wenig nach unten geklappt, was der Grund dafür sein muss, dass ihm keine ironische Erwiderung über die Lippen kommt.

Okay, auch ich fand mich recht ansehnlich in diesem Traum aus Spitze, aber dass es ihnen die Sprache verschlägt, übersteigt meine Erwartungen. Ich sehe sie der Reihe nach skeptisch an, bis ich bei Laura ankomme. Die hält sich beide Hände über den Mund, der so stark zittert, dass ihr halbes Gesicht vibriert. Oh nein. Jetzt macht sie es kaputt! Wir sind so weit gekommen, ohne aufzufliegen, und jetzt bekommt Laura hier ernsthaft einen Lachanfall, weil ich bei meiner Fake-Brautkleidanprobe ein Dress gefunden habe, zu dem ich ganz un-fake Yes sagen würde?

»’tschuldigung«, bringt Laura hinter ihren Fingern hervor.

Moment mal, sie … sie wird doch nicht …?

Ich steige, so schnell es Robe und Treter erlauben, von meinem Podest herunter und steuere auf meine beste Freundin zu.

»Lauraaaa«, zische ich durch die Zähne. »Ich bin es, schon vergessen?«

Doch diese Erinnerung kommt zu spät. Laura fängt an, aus vollstem Herzen zu … weinen. Wie ein Kleinkind streckt sie beide Arme nach mir aus, also greife ich nach ihnen, zerre sie zu mir hoch und drücke sie an mich. Markerschütternde Schluchzer bringen ihren Körper an meiner Brust zum Erbeben.

»Hach«, über Lauras Schulter hinweg sehe ich, wie Mona sich zum 180. Mal ans Herz greift. »Es ist so schön, wenn die Trauzeugin mitfühlt. Wenn man die richtige Maid of honor an seiner Seite hat, dann weiß sie es ebenfalls sofort.«

»Weiß was sofort?«, frage ich mit wachsender Skepsis.

»Wenn die Braut DAS Kleid gefunden hat. Darauf müssen wir anstoßen!« Ohne Anstalten zu machen oder es unverschämt zu finden, dass die erste Flasche bereits geleert ist, marschiert Mona los, um Nachschub zu besorgen.

»Laura«, blaffe ich meine längste Freundin an. »Bist du verrückt geworden? Du bist doch sonst nicht so!« Ich mag Laura, gerade weil sie keine Heulboje ist, sondern von uns vieren am rationalsten und lösungsorientiertesten. Laura ist die Frau, die dich vor allen wichtigen Lebensentscheidungen eine Pro- und Kontraliste schreiben lässt. Sie ist nicht die Frau, die hemmungslos losflennt, weil ein Kleid hübsch ist.

»Es ist seine Schuld«, schluchzt sie mindestens eine Oktave höher als sonst.

»Wessen?«

»Na, seine!« Sie deutet auf ihren prallen Bauch.

»Seine? Es wird ein … Es wird ein Junge?« Ich breite überrascht die Hände aus. »Ich dachte, ihr habt bisher keinen Ultraschall gehabt, auf dem man etwas erkennen konnte.«

»Ich weiß es seit letzter Woche«, schnieft sie. »Ich wollte es euch auf eine lustige Art erzählen, aber mir ist nichts eingefallen, und jetzt ist es mir rausgerutscht. Und das nur weil … weil … weil du so schön aussiehst in diesem Kleid.« Bei dem Wort Kleid ist ihre Stimme so hoch, dass nur noch Hunde sie hören können. »Dabei wirst du niemals so ein Kleid tragen. Und das scheinen meine Schwangerschaftshormone sehr traurig zu finden.« Laura lässt sich in Tränen aufgelöst zurück aufs Sofa plumpsen. Das bisschen Mascara, das sie jeden Tag aufträgt, hat sich im gesamten Gesicht verteilt. Gut, dass sie kein Maybelline Matte Mousse mehr trägt. Die Tränen hätten weiße Gräben in die sandfarbene Masse gepflügt.

»Endlich Verstärkung.« Johann ist ums Sofa herumgekommen, um Laura zu gratulieren und um ihre bebenden Schultern zu massieren.

»Ich wette, Bene ist ganz aus dem Häuschen«, sagt Ali, während sie Laura mit den Daumen Schminke aus dem Gesicht zu reiben versucht.

»Er hat schon eine Carrerabahn gekauft.«

»Cool«, sagt Alijah zynisch. »Geschlechterklischees, so lob ich mir das.«

»Halt’s Maul«, quietscht Laura.

Mona kommt mit einer neuen Flasche Schampus in den Raum und schüttelt sie, als hätte sie gerade den Großen Preis von Monaco gewonnen.

»Nachschuuuuuub«, flötet sie, doch als sie Lauras Zustand völliger Auflösung bemerkt, ergänzt sie: »Herrje, ich wollte doch Taschentücher mitbringen.«

Sie will kehrtmachen, doch ich halte sie auf. »Die brauchen Sekt.« Ich deute auf die beiden Nichtschwangeren. »Ich hole die Taschentücher.«

Mona will ablehnen, erklärt mir dann aber, dass sie eine Box mit Kosmetiktüchern versehentlich im Vorraum ins Schuhregal gestellt habe. Also bausche ich meine Röcke und begebe mich auf die Suche.

Max

»So«, sagt Inga in dem Tonfall zielstrebiger Entschlossenheit, der so typisch für sie ist. Ich stelle mir vor, dass sie genau den auch benutzt, wenn sie den Paaren in der Kinderwunschklinik den Unterschied zwischen Hormonbehandlung und künstlicher Befruchtung erklärt. »Rock oder Hose? Und: Satin-Top oder Korsage?« Sie präsentiert die verfügbaren Alternativen mit der ausgestreckten Hand, als würde sie eine Power-Point halten.

Bei der Gruppe, zu der die Frau von eben gehört, scheint die Stimmung wesentlich ausgelassener zu sein.Aus dem angrenzenden Anproberaum dröhnt permanent eine Mischung aus Ekstase und Gelächter, woraus ich schließe, dass die Braut, in deren Begleitung sie hier ist, wesentlich emotionaler auf ihre Outfits reagiert. Ein paar Emotionen mehr würden es auch mir leichter machen, Inga genau die Antwort zu geben, die sie sich erwünscht. Ich erkenne keinerlei Tendenz bei ihr. Rock oder Hose, woher soll ich das wissen? Mein noch immer von einer Schadsoftware befallener Kopf kann nur an einen Rock denken. Und der ist schwarz, aus Jeans und viel zu kurz, um meine Fantasien jugendfrei zu halten.

»Also, Kerim«, wage ich einen Versuch, »würde nie mehr mit mir reden, wenn ich mich nicht für die Korsage ausspreche.«

Inga legt den Kopf schief und mustert besagtes Kleidungsstück. »Guter Punkt.« Sie nickt. »Also Korsage. Und die ist besser zur Hose.«

»Also die Hose. Oder wir schauen noch mal woanders.«

Es soll ein Vorschlag zur Güte sein, aber so ist Inga nicht.

»Ich heirate in zehn Wochen, ich will bis dahin nicht jeden Freitag freinehmen müssen, um Boutiquen abzuklappern.« Sie wirft mir im Spiegel vor sich einen scharfen Blick zu. »Und du ja wohl auch nicht.«

»Mein Chef hat kein Problem damit.«

»Max, wir haben es alle verstanden, du bist dein eigener Chef.« Sie verdreht die Augen. »Aber Chris und Steph würden das sicher anders sehen.«

Ich lache glucksend. Allerdings. Meine Schwester Stephanie und mein bester Kumpel Christopher fänden es nicht allzu witzig, wenn ich mitten im Umzug unserer gemeinsamen Firma regelmäßig blaumachen würde, um Satin-Tops gegen Korsagen abzuwägen. Chris macht unsere Finanzen, Steph managt das Personal – somit sind sie für mich ziemlich unersetzbar, denn für beide Felder habe ich nicht das geringste Talent. Da Die Butze jedoch hauptsächlich auf App-Programmierung spezialisiert ist, stehen die beiden ohne mich und mein Techie-Team auch recht allein da.

»Ich ziehe die Korsage und die Hose noch einmal an. Kannst du jemanden holen, der mich einschnürt?«

»Wird gemacht«, sage ich, während sie erneut hinter einem Umkleidevorhang verschwindet. »Es wär wirklich ’ne gute Idee, hier ein paar Tierdokus laufen zu lassen.«

Ingas Kopf taucht zwischen den Vorhang-Hälften auf. »Hä?«

»Oh«, sage ich und berichte ihr in kurzen Sätzen von meiner Unterhaltung.

»Max, wir sind nicht zum Flirten hier!«

»Ich hab nicht …«

»Natürlich hast du«, brummt sie. Ihre Hand stößt nun ebenfalls durch den Vorhang und gestikuliert vorwurfsvoll an mir auf und ab. »Du stehst immer so da, wenn du flirtest, weil du glaubst, dass du dann einen Bizeps hast.«

Selbstkritisch werde ich mir wieder meiner Pose bewusst: angelehnt, Beine gestreckt, Arme angewinkelt. Verdammt. Ich richte mich hüstelnd auf. Man sollte seine Freunde wirklich alle paar Jahre austauschen. Bleibt man für immer an denen aus der Jugendzeit hängen, kennen sie einen einfach zu gut. Sagt der Mann, dessen engste Freunde seine Schwester, seine Schulfreundin und der Typ sind, den er seit dem ersten Semester kennt.

»Außerdem wäre ich an deiner Stelle vorsichtig, mich in einer Brautboutique in jemanden zu verknallen«, kommt es aus der Kabine.

»Verknallen?«, frage ich und will es klingen lassen wie den schlechtesten Scherz aller Zeiten.

»Jap!« Inga ist aus der Kabine herausgetreten und hat sich mit dem Rücken zu mir positioniert. Vor mir sind ihre nackte, helle Haut, zwei Seiten einer offen stehenden Korsage und ein Wirrwarr aus Ösen und losen Fäden.

»Und jetzt?«, frage ich irritiert.

»Na, zumachen, du Vogel, wenn du schon niemanden zu Hilfe geholt hast.«

Ich nehme ratlos die Enden von zwei Bändern in die Hand und weiß nicht mal annähernd, wo ich beginnen soll. Muss man das einfädeln? Überkreuzen? Hasenohr, schieß ein Tor? »Inga, ich krieg’s kaum hin, mir die Schuhe zu binden, ohne einen Unfall zu bauen, wie soll ich denn …«

Inga stöhnt und wirft den Kopf mit den hellblonden kurzen Haaren in den Nacken. »Halt bloß fest«, mahnt sie mich und beginnt dann, sich auf Trippelschrittchen um die eigene Achse zu drehen. Ich tippele synchron mit und halte dabei die Schnüre der Korsage fest.

»Also?«, fragt sie, während sie sich nach einer Verkäuferin mit mehr Erfahrung im Wäscheschnüren umsieht.

»Also was?«

»Na, hast du dich eben mal wieder auf den ersten Blick verknallt, gedanklich deine Hochzeit geplant und dir überlegt, wie eure Kinder heißen werden?«

»So was hab ich noch nie gemacht«, sage ich stur und lasse aus Protest ihre Kleidung los.

»Max«, gellt Inga und hält sich im letzten Moment die Korsage vor die Blöße.

»Oh, Scheiße«, fluche ich, umschlinge sie und halte das aufreizende weiße Oberteil zu beiden Seiten von Ingas Brustkorb an Ort und Stelle. »Wo ist denn diese Verkäu…«

Doch als ich – die Hände an die Korsage gekrallt, als hinge mein Leben davon ab, dass Inga hier jetzt nicht blankzieht – den Raum absuche, sehe ich keine Verkäuferin. Ich sehe nur sie. Die Frau, die sich auch mit fast dreißig noch geniert, Tigern beim Sex zuzusehen.

Sie steht erneut vor dem Schuhregal. Und plötzlich ist Ingas mieser Scherz kein Scherz mehr, denn jetzt stelle ich sie mir wirklich bei einer Hochzeit vor. Was bei ihrem derzeitigen Outfit kein Wunder ist: Sie trägt ein bodenlanges, spitzenbesetztes Kleid, das sich auf ihrer gebräunten Haut absetzt, die am Rücken einen schmalen weißen Bräunungstreifen aufweist. Ich schlucke schwer beim Anblick dieses weißen Flecks auf ihrem Rücken. Beim Anblick ihrer nackten Haut, die bis zum Steiß freiliegt und nur von einem einzigen kleinen Tattoo recht weit oben am Nacken bedeckt ist. Es ist eine Zahl oder ein Buchstabe, den ich von hier nicht lesen kann.

Natürlich male ich sie mir bei einer Hochzeit aus.

Nur eben nicht auf meiner.

Sondern auf ihrer.

Track 2: Friday I'm Alone

Nela

»Ich glaube, ich habe letzte Woche jemandem Californication abgekauft, kannst du da mal nachschauen.« Ich zeige auf die Kiste mit noch nicht einsortierter Secondhandware, die ich immer in dem Regalfach unter der Kasse aufbewahre. Nun steht sie neben Johann auf dem Tresen und wird von seinem Dackelrüden Guzmán, der auf seinem Schoß sitzt, argwöhnisch beschnuppert.

»Das Red-Hot-Chili-Peppers-Album oder die Serie mit David Duchovny?«

Verdattert lasse ich von dem Regalfach Rock R – Z ab und drehe mich ganz zu Johann um. »Sag mal, sieht das hier aus wie ’ne Videothek oder wie ein Plattenladen?« Ich mache eine ausladende Geste durch das Train Wreckord und stemme anschließend die Hand in die Hüfte. Doch es bräuchte nicht mal die gut 5 000 Vinyls, die in Regalboxen alphabetisch und nach Genre sortiert sind, um Johanns Gedächtnis aufzufrischen. Er kennt sich hier fast so gut aus wie ich – in der Hip-Hop-Abteilung wahrscheinlich sogar besser. Er war dabei, als ich in diese Räumlichkeiten eingezogen bin, hat mit mir die Anlage neben der Kasse aufgebaut und die Poster von Konzerten aus vergangenen Zeiten aufgehängt. Ein Großteil der unzähligen Aufkleber, die jede freie Fläche meines Geschäfts zieren, hat Johann selbst angeklebt – und sollte ich je hier ausziehen, werde ich ihn dazu verdonnern, sie alle abzupulen. Seit er nach seiner schlimmen Scheidung ein Sabbatical eingereicht hat, hilft er obendrein regelmäßig hier aus. Nicht, weil ich eine Aushilfe bräuchte, und schon gar nicht, weil ich mir eine leisten könnte. Sondern weil er nach gut drei Wochen ohne seinen Lehrerjob gemerkt hat, dass ein Mensch nur eine gewisse Anzahl an käselastigen italienischen Hauptgerichten kochen kann, ehe er vor Langeweile stirbt. Oder an Arterienverfettung.

»Jaja, ich weiß«, sagt er, lässt sich vom Tresen gleiten und setzt Guzmán auf dem Boden ab. Der Glatthaardackel tapst sofort zu dem Körbchen in der Ecke des Ladens, das wir dort aufgestellt haben, nachdem Johann mit der dritten Lasagne binnen vier Tagen bei mir aufgetaucht ist und um Beschäftigung gebettelt hat. »Aber die Serie könnte ich auch mal wieder schauen.«

»Wag nicht, zu einem zweiten David Duchovny aus Californication zu werden, nur weil du jetzt geschieden bist.« Ich beuge mich über die prall gefüllten Plattenboxen zwischen uns und nehme die entsprechende Platte von Johann entgegen. »Dann darfst du hier keinen Fuß mehr reinsetzen.«

»Jetzt streich du mich nicht auch noch aus deinem Leben.«

»Du weißt, dass ich das gar nicht kann. Immerhin bist du der Einzige, der hier ab und an die Dusche putzt, die keine Sau benutzt.« Ich zwinkere Johann zu.

»Und außerdem bin ich ein fantastischer Freund, wolltest du sagen.«