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Mhairi McFarlane

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Beschreibung

Zwei Herzensbrecher sind (k)einer zu viel: Im 7. humorvollen Liebesroman von Bestseller-Autorin Mhairi McFarlane haben ein Pub-Quiz-Abend und ein Roadtrip nach Edinburgh ungeahnte Folgen. Seit Studienzeiten sind Eve, Susie, Ed und Justin beste Freunde – genauso lange ist Eve mehr oder weniger heimlich in Ed verliebt. Die Katastrophe nimmt ihren Anfang, als Eds Freundin ihm ausgerechnet während eines gemeinsamen Pub-Quiz-Abends einen Heiratsantrag macht. Dann ruft ein Unfall Susies älteren Bruder Finlay auf den Plan, und das schwarze Schaf der Familie sorgt für jede Menge Chaos. Als Eve feststellt, dass sich unter Finlays rauer Schale ein gar nicht so unattraktiver Kern verbirgt, spielt Ed plötzlich mit dem Gedanken, die Hochzeit abzusagen. Was für Eve ein Grund zur Freude sein sollte, hat ihr jetzt gerade noch gefehlt … Mhairi McFarlane schreibt hinreißend humorvolle und moderne Liebesromane für alle Frauen, die ihr Glück nicht von einem Mann abhängig machen – und trotzdem gern von der Liebe träumen. Entdecke auch die anderen humorvollen Liebesromane der britischen Bestseller-Autorin Mhairi McFarlane: • Wir in drei Worten • Vielleicht mag ich dich morgen • Es muss wohl an dir liegen • Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt • Sowas kann auch nur mir passieren • Aller guten Dinge sind zwei

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Mhairi McFarlane

Du hast mir gerade noch gefehlt

Roman

Aus dem Englischen von Maria Hochsieder

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Seit Studienzeiten sind Eve, Susie, Ed und Justin beste Freunde – genauso lange ist Eve mehr oder weniger heimlich in Ed verliebt. Die Katastrophe nimmt ihren Anfang, als Eds Freundin ihm ausgerechnet während eines gemeinsamen Pubquiz-Abends einen Heiratsantrag macht. Dann ruft ein Unfall Susies älteren Bruder Finlay auf den Plan, und das schwarze Schaf der Familie sorgt für jede Menge Chaos. Als Eve feststellt, dass sich unter Finlays rauer Schale ein gar nicht so unattraktiver Kern verbirgt, spielt Ed plötzlich mit dem Gedanken, die Hochzeit abzusagen. Was für Eve ein Grund zur Freude sein sollte, hat ihr jetzt gerade noch gefehlt …

Mhairi McFarlane schreibt hinreißend humorvolle und moderne Liebesromane für alle Frauen, die ihr Glück nicht von einem Mann abhängig machen – und trotzdem gern von der Liebe träumen.

 

Entdecke auch die anderen humorvollen Liebesromane der britischen Bestseller-Autorin Mhairi McFarlane:• Wir in drei Worten• Vielleicht mag ich dich morgen• Es muss wohl an dir liegen• Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt• Sowas kann auch nur mir passieren• Aller guten Dinge sind zwei

Inhaltsübersicht

Widmung

Danach

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

Danksagung

Leseprobe »Fang jetzt bloß nicht an zu lieben«

Für Kristy, die sich genau wie ich für Gothic-Kleider und drollige Katzen begeistert.

Danach

Heute Nacht warst du wieder lebendig.

Jäh schrecke ich auf und liege still im Dunkeln, während mein Gehirn versucht, die Wirklichkeit wieder zusammenzusetzen. Es war kein Albtraum – auch die habe ich zur Genüge –, es war einfach nur eine andere Welt, ganz genau wie diese hier, mit einem entscheidenden Unterschied: Du warst da. Und ich hielt deine Anwesenheit für selbstverständlich.

Wir waren dabei, einen Skiurlaub zu planen, vergnügt saßen wir an einem Schreibpult am Rande einer viel befahrenen Schnellstraße. Die vorbeidonnernden Autos brachten den Tisch zum Beben, doch wir ließen uns davon nicht stören. »Was hältst du von der Schweiz?«, hast du gefragt. Wir hatten Pläne.

Ich stelle mir vor, dass ich dir am Morgen eine Nachricht schreibe, um dich auf deiner Fahrt ins Büro zu unterhalten. Deine Antworten kamen immer innerhalb von Minuten.

Ha, du würdest doch nie und nimmer zum Skifahren gehen, Eve. Warum sollte ich freiwillig irgendwo hinfahren, wo es sehr kalt ist, Sport treiben und das Ganze dann Urlaub nennen? Wer ist so doof, sich an einen steilen vereisten Abhang zu stellen und zu denken, jetzt ziehe ich mir diese Dinger an, damit es mit dem Runterfallen noch ein bisschen schneller geht? usw.

Ja, ja, du hast recht! Anscheinend haben Trolle mein Unterbewusstsein infiltriert. Überhaupt: Warum sind Träume für den Träumenden so spannend und für alle anderen so öde? Wahrscheinlich sind wir wahnsinnig beeindruckt von uns selbst, weil wir uns eine Geschichte ausgedacht haben, dabei ist sie für andere Leute völlig bedeutungslos.

Genau. Und die Typen, die meinen, der Traum ist besonders erstaunlich, weil er surreal ist, kriegen doppelte Langweilerpunkte. Als wären Träume logisch. Da stand ich und starrte die Ziege an, und plötzlich, o Schreck, wurde mir klar, dass ICH SELBST die Ziege war!

Das klingt doch ehrlich gesagt ziemlich cool. Die Transmogrifikation zur Ziege toppt das Skifahren eindeutig.

Mann, warum bin ich so eine faule Socke? Wäre ich bloß die zwei Minuten länger zu Caffè Nero gegangen! Sogar der Flat White von Starbucks ist eklig süß wie ein Kindermilkshake. Treffen wir uns nach der Arbeit auf ein Bier?

Bier nach der Arbeit!

Ich vermisse dich.

Ich hasse es, mir in Ermangelung des Originals deine Sprüche auszudenken. Ich bin, was meine Mutter eine geborene Imitatorin nennt – wobei das bei ihr etwas angenervt rüberkommt, weil ich ihren zweiten Mann immer ziemlich gut nachgeahmt habe.

Die Leichtigkeit aber, mit der ich dich heraufbeschwören kann, fühlt sich an wie ein Fluch. Ein Taschenspielertrick, doch das Ganze ist eine makabre Parodie. Als würde man mit einer Schaufensterpuppe Walzer tanzen.

Ich rutsche tiefer unter die warme Bettdecke und lausche dem Regen, der draußen aufs Dach prasselt. Ich bin Grufti und kann einen Wolkenbruch genießen, solange ich nicht hinausmuss, und der hier hat’s wirklich in sich: Er ist heftig, tränkt die Erde, und man hört sogar, wie das Wasser auf die Blätter spritzt. Nur Schlaflose, der Milchmann, die Nachtschwärmer und Schichtarbeiter werden ihn überhaupt mitkriegen. Er ist unser Geheimnis, während der Rest der Stadt vor sich hin schnarcht.

Kurz setzt mein Herz aus, als sich der Vorhang bewegt. Roger gleitet durchs Fenster herein und miaut empört. Irgendjemand hat kaltes Wasser vom Himmel auf ihn geschüttet, gerade, als er damit beschäftigt war, Ratten zu observieren und sich zu amüsieren.

Im Licht der Nachttischlampe, die du mir geschenkt hast – sie ist aus Keramik und hat die Form eines Fliegenpilzes im Disney-Stil mit weißem Stamm und gepunktetem rotem Hut (»Es handelt sich um einen Giftpilz. Mit deinen putzigen Wohnaccessoires kannst du jede Hoffnung auf einen Mann begraben«) –, sehe ich, wie Roger es sich am Fußende des Betts gemütlich macht; sein Fell ist feucht und steht ab.

Jemand hat mir mal erzählt, dass eine Geburt gleichzeitig das gewöhnlichste und außergewöhnlichste Erlebnis ist, das man haben kann. Beim Tod ist es genauso. Dein Tod ist eine unumstößliche Tatsache, unerbittlich und gleichzeitig so banal und überwältigend befremdlich.

Mir ist klar geworden, dass es immer so bleiben wird. Der Schmerz ist dauerhaft, ich muss einen Platz für ihn finden. Er ist jetzt ein Teil meines Körpers.

Dauernd warte ich darauf, dass es vergeht. Dass ich nach vorne schauen kann, es verkraften, beiseitelegen, verstehen und verarbeiten kann. Dass ich das Ganze irgendwie hinter mich bringe. Wie geht es weiter?, denke ich ständig, während der Schmerz in meinem Bauch sich so anfühlt, als habe man ihn aufgeschlitzt. Es gibt kein Weiter, Dummerchen. Genau das ist der Punkt. Ein Mensch ist fort, für immer, und du musst aufhören, auf die Rückkehr dieses Menschen zu warten. Ohne dass du es merkst, steckst du in einer Warteschleife fest, als könnte sich daran, dass dieser Mensch weg ist, etwas ändern.

Was ich früher nicht wusste: Wenn du etwas verlierst, bekommst du gleichzeitig auch etwas. Du schleppst ein Gewicht mit dir herum, das du vorher nicht hattest. Es liegt nie hinter dir. Es ist immer an deiner Seite.

In ihren Eheversprechen reden die Leute dauernd von für immer, als wüssten sie, was das bedeutet, aber das wirkliche für immer ist verdammt lange.

1

Davor

Heute Abend gewinnen wir«, sagt Ed, »das habe ich einfach im Gefühl. Ich kann es riechen. Ich könnte es wie ein Omelett zerteilen. Der Geruch unseres bevorstehenden Sieges liegt in der Luft. Inhaliert ihn, Homies.«

Schnuppernd reckt er die Nase.

»Bist du sicher, dass der Geruch nicht von Leonard kommt?«, fragt Justin. »Der hatte heute Chili con Carne zum Abendessen. Der Trottel war auf dem Küchentresen und hatte die Schnauze schneller im Topf, als ich gucken konnte. Seitdem lässt er einen pikanten Furz mit Rinderaroma nach dem anderen fahren.«

»Vielleicht riecht Siegen ja genau wie Hackfleisch und Kidneybohnen, die sich durch den Verdauungsapparat eines sehr kleinen Hundes arbeiten«, sage ich, und Susie grunzt.

»Woher sollen wir auch wissen, wie es riecht? Keiner von uns war jemals erfolgreich«, füge ich an Ed gewandt hinzu.

»Schließ nicht von dir auf andere. Mein Hausarzt hat gesagt, dass er in dreißig Jahren als praktizierender Mediziner keine so markanten Hämorrhoiden wie meine gesehen hat.«

Ich lache laut. (Diese Art Witz ist typisch für Ed; ich gehe davon aus, dass in seinem Hintern alles okay ist.)

Automatisch strecke ich die Hand aus und streichle Leonard, der einen eigenen Stuhl hat und auf Justins Jacke sitzt, um das Polster zu schonen.

Leonard ist ein Chorkie, eine Mischung aus Chihuahua und Yorkshire Terrier. Unter dem komischen Pony aus grauweißen Haaren, die weiter oben abstehen wie bei Paul Weller zu seinen besten Mod-Zeiten, schauen Knopfaugen hervor, er hat Fledermausohren, ein schiefes Grinsen und Zähnchen spitz wie Zahnstocher.

Ed hat recht, Leonard sieht aus wie eine abenteuerlustige Comic-Ratte, die sich als Hund verkleidet hat. Wir wurden von einem kriminellen Nagetier unterwandert.

Der allesfressende und leider spontanpinkelnde Leonard ist eine der großen Lieben meines Lebens. (Die anderen sitzen hier um diesen Tisch oder manchmal auch darunter.)

»Ed, du sagst jede Woche, dass wir das Quiz gewinnen«, wirft Susie ein, die mit einem Bierdeckel spielt und ihn in einen Haufen weicher Pappfetzen zerlegt. »Und jedes Mal werden wir von denselben fünf entschlossenen Männern in praktischen Lands’-End-Anoraks gefickt.«

»Das ist eine prägnante Beschreibung meines schönsten Wales-Urlaubs«, meint Justin. Er bezeichnet sich selbst als großkotzige Nervensäge und performatives Sandwichkind und ist zweifellos einer der lustigsten Menschen, die es gibt, aber in Fragen des guten Geschmacks wendet man sich ganz sicher nicht an ihn.

Wie die Stimme Gottes unterbricht das dröhnende Organ des Quizmasters alle Gespräche.

»Frage Nummer zehn: Wer ist Michael Owuo? Wer ist Michael Owuo?«

Wie nach jeder Frage legt sich sekundenlang Schweigen über den Raum.

»Ist das nicht … der Labour Abgeordnete des östlichen Bezirks von Kingston upon Hull?«, flüstert Ed mit gespieltem Ernst.

»Echt?«, fragt Susie.

»Nein«, sage ich und verdrehe die Augen, während sich Ed mit dem Bic-Kugelschreiber auf die Lippen tippt und mir zuzwinkert.

»Ihr drei wisst schon, wer das ist, oder?«, sagt Justin und mustert uns. »Mann. Sind wir etwa die Millennial-Besetzung dieser Rentner-Sitcom aus den Siebzigern Last of the Summer Wine?«

»War er der Bösewicht im letzten James Bond?«, frage ich, und Ed sagt: »GENAU! Doctor Pardon. Was war noch mal sein besonderes Markenzeichen?«

»Er hatte paillettenbesetzte Paukenröhrchen«, erwidere ich. »Und einen fiesen, mit Lametta geschmückten Rollator.«

Ed lacht. Ich mag es, wie sein Lachen in den Schultern beginnt und von oben nach unten wandert.

»Okay, wer von euch verarscht uns hier?«, fragt Susie. »Die zwei offensichtlich«, sie verzieht das Gesicht und deutet auf Ed und mich. »Weißt du wirklich, wer das ist, Justin?«

»Es ist Stormzy«, zischt Justin. »Au Mann, man merkt wirklich, dass ihr vierunddreißig seid.«

»Du bist auch vierunddreißig, Justin«, erwidert Susie.

»Man kann vierunddreißig sein, und dann gibt es die, die fragen: ›Wer sind die Stormzys‹, und vierunddreißig sind«, erklärt Justin und macht ein Greisengesicht.

»Ein Stormzy also, sagst du«, resümiert Ed mit knarrender Richterstimme. »Was auch immer ein Stormzy sein mag.« Daraufhin schreibt er Mr Storm Zee auf den Zettel.

Ed hat wirklich schöne Hände, und ich stehe total auf schöne Hände. Er fährt viel Rad, und er kann alle möglichen Sachen reparieren, und mittlerweile bin ich alt und reif genug, um derartige praktische Fertigkeiten zu würdigen.

Susie nimmt Ed den Stift aus der Hand, streicht durch, was er geschrieben hat, und schreibt Stormzy.

»Halten dich deine Schüler denn in diesen Dingen nicht auf dem Laufenden?«, frage ich Ed. »Was bist du bloß für eine Schnarchnase!«

»Meine Aufgabe ist, die Kinder mit Dickens vertraut zu machen, und nicht, mir von ihnen Blödsinn beibringen zu lassen.«

Ed ist Leiter der Englischabteilung an einer netten staatlichen Schule. Man kennt das, wenn Leute sagen, jemand sieht aus wie ein Polizist. Bei Ed ist es genauso, er sieht aus wie ein Lehrer, wie ein strahlend junger Lehrer aus einem Film oder einer Serie – mit seiner vertrauenerweckenden, hübschen Bodenständigkeit und den strohblonden, kurz geschorenen Haaren. In einer Krisensituation wäre Ed genau das freundliche, vertrauenswürdige Gesicht, nach dem man Ausschau halten würde. Er ist der Typ, der seine Krawatte als provisorischen Druckverband anbieten würde.

Vermutlich rührt der Spaß an dieser wöchentlichen Verabredung, gemeinsam das Pubquiz zu verlieren, zum Teil daher, dass die Rolle, die jeder von uns in dieser Vierergruppe besetzt, so deutlich zutage tritt und abgesteckt wird. Ed und ich kaspern herum, Justin gibt mit seinem scharfen Witz den Schiedsrichter, und Susie übernimmt die Rolle der entnervten Mutter.

Manchmal nehme ich gar nicht an den Gesprächen teil, sondern schnurre einfach nur wohlig vor mich hin, genieße das Beisammensein und freue mich, dass wir alle auf derselben Wellenlänge sind. Ich beobachte uns von außen.

… Hat die nicht den Sänger der Mumfords geheiratet? Da wäre ich ja noch lieber eine Braut beim IS. (Susie)

… Dieser Kirschwodka, den Hester im Duty-free gekauft hat, ist wirklich erstaunlich. Der schmeckt wie Fiebersaft für Babys. Vorausgesetzt, man darf den Babys Glauben schenken. (Ed)

… Das war vielleicht mal ein griesgrämiger Karottenkopf! Ich habe gesagt: Weißt du, warum die Diskriminierung von Rothaarigen das letzte hoffähige Vorurteil ist? Weil es hoffähig ist. (Justin natürlich.)

»Schsch«, sage ich, als der Quizmaster seine Lesebrille zurechtrückt und auf ein A4-Blatt späht.

»Frage Nummer elf: Der Begriff chronophagos kommt aus dem Altgriechischen und hat ins Englische Eingang gefunden. Aber was bedeutet er? Ein Hinweis: Ihr Smartphone kann diese Eigenschaft besitzen. Das heißt allerdings nicht, dass Sie jetzt auf Ihrem Handy nachschauen sollen, haha.«

Der Quizmaster stößt die Luft durch die Nase aus, und man hört die Spucke auf der Glühbirne landen.

Unsere Erzfeinde in Funktionsjacken sehen so aus, als wären sie sich bei dieser Frage wesentlich sicherer als bei der Frage nach Mr Stormzy.

»Chrono heißt Zeit …«, flüstert Ed. »Wie in Chronograf.«

»Chronologisch«, bestätigt Susie nickend. »In zeitlicher Reihenfolge.«

»Phagos«, murmle ich. »Hm. Koprophagie heißt, dass jemand Kacka isst. Ich bin mir ziemlich sicher, dass kopro die Kacka ist, also muss phagie das Essen sein.«

»Eve!«, blafft mich Susie an und stopft sich einen Shrimp-Chip in den Mund. »Warum weißt du so was überhaupt?«

»Ich habe halt nichts ausgelassen in meinem Leben.«

»Die meiste Zeit war ich dabei und weiß deshalb, dass das nicht stimmt.«

»Zeit fressen?«, flüstert Justin. »Es muss Zeit fressen bedeuten. Das macht ein Handy auch. Voilà, schreib das auf.«

Ed tut wie ihm geheißen.

Wir sind jeden Donnerstag im Gladstone. Fast möchte ich sagen, ohne Ausnahme, aber wir sind Mitte dreißig, haben alle ein Leben, Jobs und andere Freunde und – manche von uns – Partner, also gibt es doch Ausnahmen. Aber meistens kommen wir.

»Frage Nummer zwölf, dann machen wir eine kurze Pause. Welche Gemeinsamkeit haben Marcus Garvey, Rudyard Kipling, Ernest Hemingway und Alice Cooper? Ich gebe Ihnen einen Tipp. Es hat etwas mit einem Fehler zu tun.«

Ratlos starren wir einander an. Die Funktionsanoraks wirken hektisch und flüstern, statt zu schreiben oder selbstgefällig dreinzuschauen, also wissen sie es auch nicht.

»Geht es um die erste Ehefrau? Im Sinne von: Sie hatten alle mehr als eine?«, fragt Ed.

»Heutzutage reden wir nicht mehr von Fehlern, wenn wir geschiedene Partner meinen«, hält Susie dagegen.

»Meine Mum schon«, widerspreche ich.

»Weißt du noch, wie unser Religionslehrer gesagt hat, dass sich die Leute zu schnell scheiden lassen, und du hast gemeint: ›Ich finde, sie lassen sich zu viel Zeit.‹ Zur Strafe musstest du nachsitzen«, sagt Susie, und ich muss lachen.

»Ah, da ist sie ja«, sagt Ed, als die Tür aufschwingt und seine Freundin Hester hereinkommt. Angewidert rümpft sie wegen des leichten Miefs nach Achselschweiß die Nase.

Mein Herz sinkt ein wenig in den Keller, aber ich ignoriere es und setze ein strahlendes, einladendes Lächeln auf.

Um ganz ehrlich zu sein, hängt im Gladdy manchmal tatsächlich der Mief, kein Wunder bei dem klebrigen Boden, aber das ist Teil seines Charmes. Es ist ein Pub, wie es sich gehört, mit Dartboard und treuen Stammgästen.

Mir gefällt es hier zu jeder Jahreszeit, auch der unebene, betonierte Biergarten mit den Blumentöpfen auf der Feuerleiter, die in dem Hof voller Bierfässer und Raucher vermutlich eine städtische grüne Oase simulieren sollen. Aber am schönsten ist es im Gladdy im Herbst und Winter, wenn auf der anderen Seite der beschlagenen Fensterscheiben die Blätter vom Frost überzogen sind und die Sterne am dunklen Nachthimmel funkeln. Das ist echt hygge.

Meistens jedenfalls.

Hester ist wegen Ed nach Nottingham gezogen, was sie mindestens einmal im Monat neu verhandelt.

Sie sieht so aus, als hätte sich ein nachkoloriertes Bild in einen Schwarz-Weiß-Film über das Arbeitermilieu verirrt: Ihre Haut ist pfirsichfarben, und sie hat glänzendes champagnerblondes Haar. Sie wirkt wie ein Mensch gewordener Bellini-Cocktail.

Ihre geballten Fäuste stecken in den Taschen der Barbourjacke mit dem beigen Cordkragen, als wäre sie in einen Westernsaloon gestürmt und wolle im nächsten Moment zwei Revolver ziehen.

Nicht dass ich Hester nicht leiden kann …

»Und, seid ihr alle schon betrunken?«, sagt sie angriffslustig und wirft mir einen Blick zu. »Eve sieht betrunken aus.«

Ach, was soll’s. Es stimmt, ich kann Hester nicht leiden.

 

»Und noch einmal für die hinteren Reihen: Welche Gemeinsamkeit haben Marcus Garvey, Rudyard Kipling, Ernest Hemingway und Alice Cooper? Es hat mit einem Fehler zu tun. Ein Fehler. Ein Irrtum. Okay, gleich geht’s weiter.«

»Hemingway hat mal einen Flugzeugabsturz überlebt. Die anderen vielleicht auch?«, flüstere ich.

»Ist ziemlich weit hergeholt, einen Flugzeugabsturz als Fehler zu bezeichnen«, flüstert Ed zurück, und ich zucke die Schultern und pflichte ihm mit einem Nicken bei.

»Außerdem ist Rudyard Kipling ein bisschen zu alt für Flugzeuge«, wendet Justin ein. »Man sieht ihn nicht gerade auf Instagram gegen Kohlenhydrate wettern oder in der Airport Lounge eine Sektflöte hochhalten.«

Er imitiert den Versuch, sein Bierglas zu fotografieren, und Susie schnaubt.

»Man hat ihnen fälschlicherweise Preise zugesprochen, die sie zurückgeben mussten«, sagt Hester und zieht die Jacke aus. »Wo ist der Stift?«

Justin macht ein skeptisches Gesicht, und Ed bemüht sich um einen möglichst neutralen Ausdruck, als er ihr den Stift reicht. Es ist nicht so, dass sein Humor sich vollständig in Luft auflösen würde, wenn Hester in der Nähe ist, aber er nimmt eine förmlichere »Natürlich habe ich das so nicht gemeint«-Haltung an.

Hester ist heute später dran als sonst. Sie war mit ein paar Freundinnen in einem Tapas-Restaurant; weil alle anderen Babys haben, ist die Angelegenheit um neun Uhr zu Ende. Zum Quizabend im Gladdy gesellt sich Hester ohnehin nur unregelmäßig. »Manchmal finde ich eure ständigen Insiderwitze ein bisschen ermüdend«, sagt sie. Dabei kennt sie uns alle schon so lange, dass ich mich frage, wie es Insider geben kann, zu denen sie nicht gehört.

»Bist du dir sicher?«, fragt Susie.

»Ja, bin ich«, erwidert Hester. Und schränkt dann ein: »Oder fällt euch was Besseres ein?«

»Aha, du bist dir also sicher? So sicher, weil einem eben nach vier Proseccos nichts Besseres einfällt?« Susie lässt nicht locker und grinst fies wie die böse Königin mit dem roten Apfel.

Ich würde mich nie trauen, Hester derart herauszufordern. Susie fordert die meisten Menschen heraus, und die meisten stecken es ohne Gegenwehr ein.

Susie hat langes, dichtes, hellbraunes Haar, das sie entweder zum Pferdeschwanz zusammenbindet oder mit einem Tuch zusammenbauscht wie Barbra Streisand in einem Siebzigerjahre-Film. Sie hat einen großen Mund, wobei sich ihre Oberlippe schmollend kräuselt, als würde sie von der Stupsnase nach oben gezogen.

»Was für einen Preis hat Marcus Garvey denn bekommen?«, fragt Justin.

»Hübschester Hintern?«, schlage ich vor, und Ed johlt. Hester schäumt, das weiß ich.

»In Ordnung, ignoriert mich nur!«, sagt sie. »Tut mir leid, dass ich versucht habe, mich einzubringen.«

»Nein, nein! Das ist gut! Bestimmt hast du recht«, sagt Ed hastig. »Keiner von uns hat eine bessere Idee. Schreib es auf.«

Ich habe Achtung davor, wie ritterlich Ed Hester immer beispringt und sie verteidigt, gleichzeitig aber wünschte ich, es würde jemanden treffen, der es eher verdient hat.

Hester schreibt die Lösung auf, und Justin, Susie und ich vermeiden es, einander anzusehen.

»Ich hole noch eine Runde. Was wollt ihr?«, fragt Justin und steht auf, um an die Bar zu gehen.

Ich gehe auf die Toilette, und nachdem ich gespült habe, sehe ich, dass Susie mir eine SMS geschickt hat. (Keine WhatsApp, weil da immer das Risiko besteht, dass jemand die Nachricht auf dem gesperrten Bildschirm liest. Wirklich gewieft.)

Ich öffne sie, die Nachricht ist für mich und Justin. Ich kann mir ausmalen, wie die beiden nebenan versuchen, sich nichts anmerken zu lassen. Justin checkt beiläufig sein Handy, während er auf die Getränke wartet, und Susie hat sich leicht zur Seite gedreht und tut so, als schaue sie bloß nach, ob jemand geschrieben hat.

Susie

WARUM IST SIE NUR SO EIN BESSERWISSERISCHES ARSCHLOCH?

Justin

Sie kann sich alles erlauben, weil sie so einen prächtigen Busen hat, Schätzchen.

Susie

Ich habe auch tolle Titten, und die haben keinen Einfluss auf meinen Charakter. Die Lösung ist so OFFENSICHTLICH FALSCH. Warum ist Ed ein solcher Waschlappen, wenn es um so was geht? Ja, ja, schreib den Quatsch nur auf, mein kleiner süßer Giftmops. BÄH.

Justin

Da, wieder die Titten.

Eve

Die Giftmöpse.

Susie

Ich schwöre, sie weiß, dass die Antwort falsch ist, und will uns nur reinreiten.

Ich lehne mich an die angenehm kühlen Fliesen und tippe grinsend weiter.

Seit knapp zwanzig Jahren bin ich bis über beide Ohren in Hesters bessere Hälfte verliebt, und mir ist immer noch nicht klar, wie viel von meiner Abneigung gegenüber Hester reine Eifersucht ist. Susie und Justin aber versichern mir unablässig – und unbeabsichtigt, weil sie nicht die geringste Ahnung haben –, dass ich Hester in jedem Fall doof gefunden hätte. Oft genug spiele ich sogar den guten Cop, um alle in die Irre zu führen.

Eve

Wartet ab, am Ende hat sie doch recht und zeigt es uns allen.

Susie

Sie hat unrecht, die weiß doch nicht einmal, wer Marcus Garvey war, das war doch offensichtlich, als Justin sie darauf angesprochen hat.

Justin

Wahrscheinlich denkt sie, der hat 2007 bei den Grammys den Preis fürs beste Musikvideo bekommen.

Susie

LOL. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass Eves Vorschlag niedergemacht wurde und Eve deswegen nicht rumgenölt hat.

Eve

Ist das ein schlechtes Zeichen, was meinen Busen angeht?

Susie

Es zeigt nur, dass er nicht dem Ablasshandel dient, um eklig zu sein.

Justin

Seufz. Kommt Leute, wir betrinken uns.

2

Sowohl Justin als auch Susie gehören im Großen und Ganzen nicht zu den Leuten, die sich mit Schuldgefühlen herumplagen – andernfalls würde es ihnen gehörig den Wind aus den Segeln nehmen. Ich hingegen ziehe mir Schuldgefühle rein wie einen Smoothie zum Frühstück, und sosehr ich unsere regelmäßigen Hinterzimmergespräche über Hester auch genieße, so weiß ich doch, dass es falsch ist.

Aber wie ich einmal einem Kollegen gegenüber erklärt habe: Manche Menschen sind unerträglich, und das Leben verlangt trotzdem von dir, sie zu ertragen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, den Druck abzulassen: Entweder reagierst du dich an der Person selbst ab, die dich auf die Palme bringt, oder du lästerst gnadenlos hinter ihrem Rücken.

Die zweite Option mag weder der Selbstbestätigung dienen noch ehrenhaft sein, hat aber weit weniger Folgen für den Gesellschaftsvertrag.

Keiner von uns hat je daran gezweifelt, dass es unsere Freundschaft mit Ed schwer beeinträchtigen würde, wenn wir Hester ausschließen würden. Man hat kein Vetorecht, wenn es um die Partner von Freunden und Verwandten geht. Das weiß ich besser als jeder andere. Andernfalls hätte ich das Desaster mit Mums zweitem Ehemann verhindern können.

Als ich an den Tisch zurückkehre, spüre ich, dass wir uns bei dem Tempo, das wir beim Trinken vorlegen, intellektuell gerade auf einen unschönen Abstieg begeben. Leonard hat sich wohlweislich zusammengerollt und ist eingeschlafen. Morgen ist Freitag, wir müssen also nur noch einen Arbeitstag durchstehen.

»Man merkt dir an, dass die Schulferien bevorstehen«, sagt Susie zu Ed. »Ach, Eve. Hast du nicht kürzlich erzählt, dass Mark Vater geworden ist?«

»Oh, ja.« Ich nehme einen tiefen Schluck von dem frisch gezapften Estrella. Ah, Bier betäubt so wunderbar. »Er hat letzte Woche ein paar Fotos gepostet. Ezra. Cooler Name.«

Mark ist mein Ex-Freund und der einzige ernst zu nehmende Freund, den ich je hatte. Als wir neunundzwanzig waren, zog er nach London, um als Journalist Karriere zu machen, und ich ging nicht mit, sondern wir führten eine Fernbeziehung. Ziemlich bald kam er zu der Überzeugung, dass mein Unwillen umzuziehen ein Zeichen für fehlendes Engagement war – und er täuschte sich nicht. Er beendete die Beziehung. Mittlerweile arbeitet er für die Time Out in San Francisco, ist verheiratet, amerikanischer Staatsbürger und Vater. In der Zwischenzeit habe ich mir eine Katze zugelegt.

Es stimmt schon, manchmal bereue ich es. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir nie wirklich zusammengepasst haben, aber eine nörgelnde Stimme in meinem Kopf meint, dass ich es nie besser hinkriegen werde und ich ein Trottel war. Zufälligerweise sagt das auch meine Mum.

»Es ist komisch, wenn man bedenkt, wie oft er mit uns hier im Gladdy gesessen ist. Und jetzt ist er dort drüben. Macht es dir was aus?«, fragt Susie.

»Hm, nein. Es fühlt sich sehr weit weg an. In jeder Hinsicht.«

»Wie hast du denn davon erfahren?«

»Vor ein paar Monaten hat er angefangen, mir auf Instagram zu folgen, und ich folge ihm jetzt auch.«

»Aha. Er ist also nicht ganz über dich hinweg«, meint Ed. »Er will dir zeigen, dass er die Sache hinter sich gelassen hat, und will wissen, was du so treibst. Was ein sicheres Zeichen dafür ist, dass er die Sache nicht ganz hinter sich gelassen hat.«

»Ha, das bezweifle ich. Die schicke Nachbarschaft in Lower Haight, schlappe achttausend Kilometer von hier, ist doch geradezu die Definition von hinter sich lassen.«

(Das weiß ich von den trübsinnigen Klicks und Scrolls im Internet um halb zwei in der Nacht.)

»Nein, da bin ich mir ganz sicher: Man kann nur hier und hier etwas abschließen.« Ed deutet auf seinen Kopf und sein Herz. Ruhig blickt er mir in die Augen, ich blinzle, und zwischen uns gibt es einen winzigen, kaum wahrnehmbaren Moment der Innigkeit, den ich zur ewigen Aufbewahrung gedanklich in eins meiner Reagenzgläser packe.

»Wetten, er klickt sich durch die Fotos von dir und Roger und denkt, Mann, ich vermisse diese Schreibblockade auf zwei Beinen mit den Augen von Kleopatra.«

»Blockade!« Doch eigentlich freue ich mich.

»He, das klingt doch gut. Schreibblockade auf zwei Beinen mit den Augen der Kleopatra, wie aus einem Songtext von Lloyd Cole oder so.«

»Schon komisch, dass wir die sozialen Medien dazu benutzen, Leuten nachzuspionieren, obwohl dort jeder in gewisser Weise lügt«, meint Justin. »Auf Trivago hat das Foto eines Hotels die Runde gemacht, weil sie das Atomkraftwerk dahinter herausgeschnitten hatten. Machen wir das nicht alle irgendwie – schneiden wir nicht alle unser persönliches Atomkraftwerk raus?«

Ich lache.

»Genau, alle stellen ihr Leben so dar, als wäre es ein Urlaubsziel«, sage ich. »Andererseits ist der Ort, an dem Mark lebt, tatsächlich ein Urlaubsziel.«

»Ich finde ja, wenn ein Ex-Freund wirklich glücklich mit jemand anderem geworden ist, sollte er sich bei dir dafür bedanken, dass du Schluss gemacht hast«, sagt Susie. »Es war ganz offensichtlich richtig, sich zu trennen. Warum kommt stattdessen immer dieses schadenfrohe Ätsch, bätsch, schau nur, wie gut es mir geht! Ach was, mein Lieber, genau deshalb war ich der Meinung, dass wir uns trennen sollten, während du gejammert hast, dass die Welt untergeht. Vielleicht wäre eine Entschuldigung angebracht. Warum denken die immer, dass sie bewiesen haben, dass sie im Recht sind, statt andersherum?«

Ich lache, auch weil es so typisch Susie Hart ist.

»Genau genommen hat Mark mich sitzen gelassen, also kann er sich den Erfolg ganz alleine zuschreiben«, halte ich dagegen.

»Schon, aber nur, weil du entschieden hast hierzubleiben.«

»Wer würde freiwillig hier weggehen?«, sage ich und erhebe mein Glas auf das Gladdy und dann auf Leonard. Wir lachen, aber mir ist klar, dass es sich jetzt, wo wir Mitte dreißig sind, ein kleines bisschen hohl anfühlt.

Wir merken selbst, dass wir direkt davorstehen, einen unumkehrbaren Fehler zu begehen, falls wir es nicht längst schon getan haben. Hester hat vor Kurzem eine Bemerkung darüber fallen lassen, dass wir gemeinsam im Leerlauf vor uns hin dümpeln. »Weil ihr einander habt, haltet ihr nicht nach höheren Zielen Ausschau. Gegenseitige Abhängigkeit. Ihr seid einander die zweite Hälfte, deshalb müsst ihr euch auch nicht mit Beziehungen herumschlagen.«

Ausgenommen sie und Ed natürlich. Gott, was ist sie für ein Ekel.

Bei Hester ist die Sache so: Dort, wo ihre Nettigkeit eigentlich sein sollte, klafft eine riesengroße Lücke. Gleichzeitig aber ist sie gut aussehend, dynamisch, verdient gut, ist perfekt organisiert, selbstbewusst, überzeugend, gesellig, eine tolle Hausfrau, sie vergisst keine Geburtstage, und sie ist klug. Ich verstehe, wie es so weit gekommen ist. Man muss schon sehr genau aufpassen.

Und Ed ist äußerst loyal. Manchmal übersehen von Natur aus loyale Menschen den Moment, an dem sie weniger loyal sein sollten.

»Apropos aus dem Staub machen: Ich vermisse Hester.« Ed deutet auf ihren leeren Stuhl, und Justin brummt »Wir nicht« gerade so laut, dass Susie und ich es hören können.

Das Gespräch wird von der kreischenden metallischen Rückkopplung eines Mikrofons unterbrochen, und unwillkürlich ziehen wir die Schultern hoch und verziehen die Gesichter.

»Hoppla! Lassen Sie mich das lieber machen. Na also. Hallo! Bevor wir mit dem Quiz weitermachen, möchte diese junge Dame hier für einen Augenblick an mein Equipment. Sozusagen, haha. Ich reiche deshalb mal das Mikrofon weiter an … Esther? Entschuldigung: Hester.«

Unsere Köpfe schießen herum, und überrascht entdecken wir Hester auf der anderen Seite des Tresens; mit verzückter Miene hält sie das Mikrofon vor den Mund, als wolle sie im nächsten Augenblick eine Karaoke-Darbietung von Total Eclipse of the Heart geben oder das Urteil der Eurovisions-Jury verlautbaren und warte bloß auf das Go des Produzenten aus dem Ohrhörer.

»Hallo allerseits«, sagt sie, und im Pub wird es still. »Ich habe schon eine Weile darüber nachgedacht, wann der beste Augenblick ist, und dann hatte ich eine göttliche Eingebung. Es ist sein Lieblingspub, es gibt ein Mikro …« Sie wedelt damit vor ihrem Mund herum, als wäre es ein Lolli, an dem sie lutschen will, und mir fällt auf, dass einige männliche Anwesende sehr genau hinschauen. Hester hat oft so eine Wirkung auf die Leute. Es ist derselbe Effekt, wie wenn man sich auf eBay für etwas interessiert und sieht, dass vier andere den Artikel beobachten.

»Also … Dieser Mann dort drüben …«, sie deutet auf Ed, der peinlich berührt wirkt, wenn auch ein wenig selbstzufrieden, hauptsächlich aber verstört, »… ist die Liebe meines Lebens.«

Sie macht eine Pause, damit sich das Ahhh im Raum entfalten kann, schließt die Augen und nickt. Mein Magen zieht sich zusammen.

»Ich weiß, ich weiß, sogar in diesem Hemd!« Gelächter. Hester gebietet über den Raum wie Gwyneth bei der Oscarverleihung.

»Ja. Wir sind seit …«, sie gibt vor, die Jahre an ihren Fingern abzuzählen, »… sechzehn Jahren ein Paar! Wir sind kurz davor, aus der Altersgruppe herauszuwachsen, die bei den Demografen unter ›Jugend‹ fällt, mein Lieber. Vierunddreißig ist die Schwelle. Das weiß ich so genau, weil ich in der Werbung arbeite.«

Wieder Lachen. Du arbeitest in einer Marketing-Agentur. Ich habe miterlebt, wie schnippisch du anderen über den Mund gefahren bist, weil sie Werbung gesagt haben.

»In dem Herbst, als ich Ed kennenlernte – wir waren erst wenige Monate zusammen –, hat er etwas ganz Außergewöhnliches gemacht.«

Oh, Gott, ich bin viel zu britisch, um mich nicht fremdzuschämen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ed anders geht.

»… Meine Schwester war schwer krank, und eine Zeit lang war nicht sicher, ob sie durchkommt. Ed und ich kannten uns noch nicht lange. Die meisten Typen hätten Reißaus genommen, weil ich so viel Zuwendung nötig hatte. Aber nicht Ed.« Sie blickt ihn mit glänzenden Augen an, und alle im Raum halten die Luft an. »Weihnachten kam er zu uns, kochte uns ein Weihnachtsessen, kümmerte sich um meine Eltern und versprach mir, immer für mich da zu sein …«

Ach was, tatsächlich? Es ist durchaus denkbar, dass es anders war, Hester ist groß darin, Mythenbildung um sich selbst zu betreiben.

»Da wusste ich, dass ich jemand ganz Besonderen gefunden hatte.«

Die Leute im Pub hängen an ihren Lippen.

»Jetzt, mit vierunddreißig, frage ich mich, Ed Cooper … nach sechzehn großartigen Jahren mit Höhen und Tiefen, mit Lachen und Weinen … Möchtest du mich heiraten?«

Eine Pause, dann bricht in dem stickigen, dicht gedrängten Pub männliches Gejohle los.

Schockiert sehen Susie, Justin und ich Ed an, und einen Moment lang erwidert er unsere Blicke und scheint auf unseren Rat zu hoffen, oder unsere Einwilligung. Deutlich sehe ich, wie der Gedanke über sein Gesicht hinweghuscht, dass er sich in schreckliche Schwierigkeiten bringt, wenn er mehr als eine Sekunde braucht, um dieses Angebot abzuwägen.

»Ja!«, sagt Ed. Und dann lauter: »Ja, ich will dich heiraten!«

Er steht auf und rennt an die Bar, beugt sich über den Tresen, und er und Hester küssen sich kurz, während die Leute im Pub klatschen und johlen.

Susie, Justin und ich blicken uns um, und uns wird bewusst, dass wir uns anschließen sollten, und mechanisch fallen wir in den Beifall ein.

»Was hast du nur …? Was in aller Welt?«, höre ich Ed zu Hester sagen, und die hebt selbstzufrieden die Hände, als könne sie nichts dafür, so bin ich eben. Während um uns herum Getöse herrscht, nippen Susie, Justin und ich an unseren Getränken und sagen nichts.

Ed und Hester flüstern weiter miteinander, offensichtlich kann Ed nicht aufhören, über Hesters romantischen Wagemut zu staunen. Mühsam reiße ich den Blick von ihnen los und sehe meine Freunde an.

»Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet!« Justin versucht, betont fröhlich und gleichmütig zu klingen. »Noch dazu im Gladdy. Die Gondeln in Venedig oder der Sonnenuntergang in Marrakesch sind nichts dagegen … so muss man das machen! Ich werde mich vormerken lassen, wenn sie in der Panko’s Fish Bar demnächst Döner anbieten. Was sagst du dazu, Leonard? Übernimmst du den Job als Ringträger?« Leonard wacht auf, starrt seinen Besitzer an und schläft, den Kopf auf die Pfoten mit den kleinen Haarbüscheln gelegt, schnurstracks wieder ein. Recht hast du, Leonard.

Susie und ich pflichten ihm höflich bei; zugegeben, dieses eine Mal sind wir beide sprachlos.

Ed und Hester kehren an den Tisch zurück, und wir machen vage, aber emphatische Äußerungen, wie »Wow!« und »Gratuliere!« und »Oh, mein Gott!«.

In Momenten wie diesen – nun gut, derartige Momente hat es nicht oft gegeben, aber in Momenten, in denen von uns aufrichtige und ungekünstelte Begeisterung für Eds Beziehung erwartet wird – staune ich darüber, dass jemand, der so einfühlsam ist wie Ed, ausblendet, dass wir nicht so verrückt nach seiner Freundin sind. Vielleicht aber weiß er es ja doch und ignoriert es.

Wann immer das Thema Heirat auf den Tisch kam, lenkte er mit dem Argument ab, dass sie sich ein verdammt renovierungsbedürftiges Haus angeschafft hatten. »In unserer Villa Morsch gibt es weiß Gott bessere Möglichkeiten, zwanzigtausend Pfund auszugeben.« Trotzdem habe ich immer gehofft, dass es bei seiner Zurückhaltung um mehr ging als um die Kosten.

»Voilà!«

Schwungvoll stellt Hester eine Flasche Cava auf das Blatt mit den Quizlösungen. Ed balanciert fünf Sektflöten, und wir simulieren ehrfürchtige Bewunderung angesichts der jüngsten Ereignisse. Eds Wangen sind rot vor Schock, Freude und vom Alkohol. Hester schält die Folie ab und zerrt am Korken, und als er mit einem Plopp herausspringt, läuft die sprudelnde Flüssigkeit über und bespritzt das Lösungsblatt.

»Ups!« Ich will danach greifen, aber Hester nimmt die Flasche und wischt den Boden der Flasche mit dem Papier ab, worauf die Tinte verläuft und sich die Schrift in einen nicht mehr zu entziffernden Rorschachtest verwandelt. Als ich den Antwortbogen in die Hand nehme, ist er schlaff wie ein Taschentuch.

»Ich lege das mal hierher, damit es trocknen kann«, sage ich und breite das Blatt über die Stuhllehne.

»Du wirst Grafologen von der British Library brauchen, um das zu entschlüsseln«, meint Justin in seiner unübertrefflich unbeschwerten Art, mit der er immer davonkommt.

Unwillkürlich sehe ich Susie an, die mir einen mitfühlenden Blick zuwirft und dann wieder wegschaut.

Wir nippen an dem Schampus, stoßen an und sagen so herzlich wie möglich: »Alles Gute zur Verlobung!« Hester erzählt: »Ich hatte das nicht geplant, es war einer von diesen Momenten, in denen ich eine Eingebung hatte. Und ihr wisst ja, dass ich solchen Impulsen nachgebe.«

Allerdings. Ich erinnere mich an die Geschichte, wie Hester beim Familienurlaub in Cornwall ihre Schwiegereltern in spe dazu überredet hat, nackt baden zu gehen; ich habe heute noch Albträume davon. (Man sollte Leuten, die sich ungeniert ausziehen, niemals über den Weg trauen. Das war der einzige brauchbare Rat, den mir mein Vater jemals gegeben hat.)

»Als Nächstes müsst ihr euch Ringe kaufen«, meint Justin. »Man sollte einen Monatslohn dafür investieren, heißt es doch, oder?«

Ed verzieht das Gesicht. »Zum Glück verdiene ich nicht mehr als zweihundert Pfund und eine Tüte Chips.«

»Ha, mein lieber Edward. Dann fang schon mal zu sparen an! Mir gefällt einer von Cartier!«, sagt Hester.

So, so, es war nicht geplant …

»Du liebe Güte, wie viel kostet der?« Ed tippt auf sein Smartphone und googelt. Als er die Homepage findet, tut er so, als müsse er sich mit seinem Schal die Stirn abtupfen. »Äh, die haben noch nicht einmal Preise auf ihrer Website. Ich muss …«, er setzt eine James-Bond-Miene auf, »… für meine Preisanfrage einen Repräsentanten von Cartier kontaktieren.«

Hester gurrt verzückt, und mir ist klar, dass es Ed freisteht, heute Abend so viele Witze darüber zu reißen, wie er will, womöglich sogar für den Rest seines Lebens.

»Wenn die noch nicht einmal offen und ehrlich den Preis angeben, dann ist das tatsächlich wie ein Fick ohne Gleitmittel«, meint Justin. (Ich habe ja gesagt, dass Justin und der gute Geschmack zwei Dinge sind, die nicht miteinander in Einklang zu bringen sind.) »Uff.«

»Ja, die fangen erst jenseits der fünftausend an«, sagt Susie, die von uns allen am meisten von vornehmen Dingen versteht. »Du kannst deine Niere schon mal auf dem Schwarzmarkt anbieten, Eduardo!«

Ed simuliert Übelkeit, und Hester streicht sich die Haare glatt und senkt neckisch den Blick wie Prinzessin Diana. Auch mir ist übel, dabei geht es hier noch nicht einmal um meine Ersparnisse. »Ich habe an eine Hochzeit im Frühling gedacht«, sagt Hester. »Ich mag keine langen Verlobungen, das ist so sinnlos. Das ist nur was für Leute, die Zeit brauchen, um es sich anders zu überlegen, haha.«

»Oder um Geld anzusparen«, sage ich mit gepresster Stimme; jetzt kommen meine Gefühle doch hoch.

»Eve«, Hester wendet sich an mich. »Susie«, sie dreht sich zu Susie.

Hester wird eine atemberaubende Braut abgeben. Frühling. Schneeglöckchenkränze, fließendes rückenfreies Satinkleid wie bei einer mittelalterlichen Prinzessin, Kerzen in Windlichtern. »Ich habe eine Bitte an euch beide. Wenn wir uns das Jawort geben, ist meine beste Freundin ungefähr im sechsten Monat, und ihrer letzten Schwangerschaft nach zu schließen, wird sie bis dahin aussehen wie ein Osterei.«

Wow.

»… Und meine Schwester findet es peinlich und beschämend, Brautjungfer zu sein, weil sie immer noch Single ist.«

Eine Kunstpause. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihre Schwester kaum zwei Jahre älter ist als wir. »Deswegen habe ich mich gefragt, ob ihr zwei meine Brautjungfern sein wollt.«

Einen Moment sind wir fassungslos, dann platzt Susie heraus: »Wow, nein, natürlich, oh, Gott, das machen wir gern!«, und ich falle mit so viel Nachdruck, wie ich nur aufbringen kann, ein.

Wir lassen die Gläser klirren, und Ed sagt: »Mann, Hester, das ist das Allerbeste. Meine zwei besten Freundinnen sind die Brautjungfern, das freut mich total.«

Ich habe Ed noch nie so treu ergeben gegenüber Hester erlebt. Zugegebenermaßen habe ich nach winzigen Anzeichen Ausschau gehalten, die darauf hinweisen, dass er sich über diesen Überfall aus dem Hinterhalt ärgert, aber Fehlanzeige.

»Ich habe mir gedacht, dass es für euch beide eine nette Sache wäre. Dann fühlt ihr euch nicht außen vor«, sagt Hester zu Susie und mir, als dürften wir dank eines besonderen Härtefallfonds am Schulausflug teilnehmen.

Mein falsches Grinsen hat die Ausmaße einer Banane. Ich bin so froh darüber, betrunken zu sein. Hut ab, Hester, das hast du wirklich spitzenmäßig hingekriegt.

»Es muss nicht eigens erwähnt werden, dass der hier mein Trauzeuge ist!«, sagt Ed, und er und Justin umarmen sich. »Somit sind wir komplett.«

Unscharf nehme ich wahr, wie darüber debattiert wird, welcher Veranstaltungsort auch unter freiem Himmel genug Platz für die Zeremonie bietet, während mir durch den Kopf geht, dass ich mit Hester zu Anproben gehen werde, bei denen sie mich in ein bonbonfarbenes Kleid nach dem anderen zwingen und einen Freibrief für Kommentare über mein Aussehen besitzen wird. Man kennt mich praktisch ausschließlich in Schwarz, mit klobigen Stiefeln und – wie Ed sagt – an meinem etwas in die Jahre gekommenen Gothic-Make-up festhaltend.

Statt mich auf dieser Hochzeit im Hintergrund zu halten, in meiner schwarzen Seiden-Clutch ein Shot-Fläschchen Gin, eine Valium und meine zerstörten Hoffnungen, werde ich ganz vorne stehen und mich durch die offiziellen Hochzeitsbilder grinsen müssen.

Die Hochzeit meines besten Freundes mag ein lustiger Film sein, aber es fühlt sich kein bisschen komisch an, wenn man das am eigenen Leib erfährt.

»… Frage Nummer zwölf: Wir haben danach gefragt, welche Gemeinsamkeit Marcus Garvey, Rudyard Kipling, Ernest Hemingway und Alice Cooper haben? Es hat mit einem Fehler zu tun. Die richtige Antwort lautet: Sie alle hatten Gelegenheit, ihre eigenen Nachrufe zu lesen, die irrtümlicherweise vor ihrem Tod publiziert wurden.«

»Aha, das war es!«, sage ich, aber keiner hört mir zu.

Die Männer in den Funktionsanoraks gewinnen.

3

Ich habe jenes Alkohollevel erreicht, bei dem man ein wenig neben sich steht. Ich lausche auf meine schweren Schritte auf dem vereisten Weg, als gehörten sie zu jemand anderem.

Mit den weißen Sprenkeln sieht der Asphalt so zauberhaft aus, er schimmert leicht – wie eine Discokugel oder Perlmutt. Und doch ist er heimtückisch. Ist der Gehsteig vielleicht eine Metapher für die Hochzeit mit Hester? Oder bin ich bloß betrunken?

Alle anderen müssen ein Taxi zum Gladdy nehmen, Susie lebt in einem Vorort, Ed und Hester ebenfalls, Justin mitten in der Stadt. Ich hingegen wohne in der Nähe vom Pub, in Carrington, einem winzigen Vorort mit gewundenen Sträßchen und schrulligen viktorianischen Backsteinhäusern. Manche haben Türmchen, die an Besserungsanstalten für schwer erziehbare Jungs oder an Hexenhäuschen aus Lebkuchen erinnern. Passenderweise kleide ich mich wie eine Märchenhexe. Außerdem gibt es hier eine Menge ausladender, alter Bäume, die einmal im Jahr ihre Blüten verstreuen wie Konfetti.

Und es gibt Katzen. Es ist ein Elend mit den Katzen. Roger führt einen dauerhaften Territorialkrieg mit dem nicht kastrierten Kater Dirk. (Nein, ich weiß auch nicht, warum ein streunender Kater einen Namen hat; vermutlich weil er hier im Viertel berühmt-berüchtigt ist. Dirk ist ein hartgesottener Individualist, ein Erzschurke mit weißen Schnurrhaaren, und niemand wird ihm die Freiheit oder seine Eier nehmen.)

Mein Handy brummt, eine Nachricht von Susie. Interessanterweise geht sie diesmal direkt an mich und nicht auch an Justin. Das lässt auf ein tiefgehendes Frauengespräch schließen, und es gibt nur sehr wenige Frauengespräche zwischen uns, an denen Justin nicht beteiligt ist. Er hat Susie darum gebeten, ihn aus dem Chat mit dem äußerst plastischen Bericht über die Entfernung ihrer Mirena-Spirale auszuschließen, aber das war’s.

Alle Mann in Deckung! Ich habe noch was zu sagen zu dieser Gräueltat von heute Abend. Lass uns bald mal reden. Xx

Vielleicht geht es darum, dass wir dazu verdammt sind, die verfluchten Brautjungfern zu spielen. Ich jedenfalls freue mich nicht auf den Moment, wenn mich morgen früh mit schwerem Kopf diese schreckliche Tatsache einholt. Kann man es ablehnen, Brautjungfer zu sein, wenn es die Braut des besten Freundes ist, ohne sie damit tödlich zu beleidigen? Könnte ich eine Verletzung vorschützen? Hester lässt nie und nimmer zu, dass jemand mit orthopädischem Schuh hinter ihr zum Altar humpelt und das Gesamtbild verdirbt. Doch im selben Moment fällt mir ein, dass ich bis dahin längst bei der Anprobe gewesen bin und ihr Geld vergeudet habe. Oje.

Wie Justin sagt, ein Gewissen wiegt einfach zu schwer.

Ich würde Susie ja antworten, aber ihre Nachricht klingt so, als habe sie vor, schlafen zu gehen, also verschiebe ich es auf den morgigen Tag, wenn wir uns mit unseren verkaterten Köpfen herumplagen.

Obwohl mir bewusst ist, damit alle Sicherheitsvorkehrungen in den Wind zu schlagen, wenn man spätnachts und alkoholisiert als Frau durch die Dunkelheit torkelt, höre ich Musik. Can’t Get You Out of My Head von Kylie dröhnt mir in den Ohren, und es fühlt sich so an, als wüsste Kylie genau Bescheid.

La la la, lah la la lah.

Das Lied spricht den Alkohol in meinen Blutgefäßen an und weckt meinen Trotz. Ich habe eine Idee.

La la la, lah la la lah.

Vermutlich ist es eine total bescheuerte Idee, aber plötzlich erscheint sie mir unwiderstehlich.

Ich hole mein Smartphone heraus und scrolle mich durch meine WhatsApp-Kontakte, bis ich seinen Namen finde: Zack. Susie nennt ihn Baby Yoda. (Sie flüstert immer Das Kind! Es sollte bei seinem Volksein, wenn er und ich miteinander geplaudert haben, und ich muss sie bitten, still zu sein.)

Zack arbeitet in einer Bar ganz in der Nähe, die nicht größer als eine Schiffskombüse und mit Lichterketten und ironischen Kunstwerken geschmückt ist. Pseudo-Warhols von Omas mit Haarnetz, umgeben von beleuchteten Plastik-Chilischoten, so was in der Art. Flamingos, die als Schirmständer dienen. Dort landet man üblicherweise auf einer ungeplanten Sauftour, wenn man sich bedauerlicherweise zu einem fünften und sechsten Drink hat überreden lassen.

Zack trägt einen Dutt, hat einen straffen Bauch und trägt das ganze Jahr über ausnahmslos jeden Tag ein T-Shirt mit aufgekrempelten Ärmeln.

Immer wenn wir dort sind, zieht er einen Stuhl heran, dreht ihn herum, stützt die Ellbogen auf die Lehne und erklärt uns die Cocktails, die wir trinken. Während ich daran nippe, besteht er darauf, mir den unverzichtbaren Säureeffekt der Zitrone auf das olfaktorische Erlebnis auseinanderzusetzen. Ich bringe es nie übers Herz zu sagen: »Zack, ich habe bereits einen Liter billigen Gin intus, es könnte also genauso gut Badreiniger sein.«

Nachdem er uns das letzte Mal endlich mit unseren Cocktails allein gelassen hatte, flüsterte Susie: »Bitte schlaf mit ihm, bevor ich mir noch einen TED-Talk über die Erfindung des Tom Collins anhören muss. Ich halte das einfach nicht mehr aus.«

Lachend tat ich die Bemerkung ab – er? ich? –, doch als wir aufbrachen, sagte Zack mit der Unbekümmertheit eines vierundzwanzigjährigen Mannes mit straffem Bauch: »He, Eva, lass mir deine Telefonnummer da, dann gebe ich dir Bescheid, wenn dieser Haselnusslikör geliefert wird, von dem ich dir erzählt habe.«

Im Allgemeinen lass ich mich nicht abschleppen. Na ja, mal abgesehen von dem Kanadier, der aussah wie ein Mountie, dem ich mit dreiundzwanzig auf einem Weiterbildungsseminar begegnete. Gleich danach machte er einen Witz darüber, dass er mich in eine Reisetasche von North Face packen wolle, und als mir klar wurde, dass es gar kein Witz war, machte ich mich vom Acker. Es kam mir so vor, als habe Gott erkannt, dass ich gegen meine Gewohnheiten handelte, und wolle mich dafür bestrafen.

Natürlich weiß ich, wie dämlich das ist, aber ich bin Mitte dreißig, und am Horizont kann ich schon den Schriftzug erkennen: Wird nicht mehr ungeniert von vierundzwanzigjährigen Barkeepern angebaggert. Wie beim Winterschlussverkauf von Next bekomme ich plötzlich Lust, mir ein Schnäppchen zu gönnen, das nicht zu mir passt und das mir bald nicht mehr gefallen wird, bloß weil es möglich ist.

Heute Nacht brauche ich Bestätigung. Ich möchte einen Beweis, dass ich noch immer begehrenswert bin. Dass ich hier draußen an der Front stehe – cool, single und mit allen Möglichkeiten – und bereit bin für spontane Abenteuer. Und dass ich mir keine Hoffnungen mehr mache.

Eine innere Stimme sagt: Du machst das nur, um Ed davon zu erzählen und ihn eifersüchtig zu machen. Damit er Gefühle zeigt. Ich bringe die Stimme zum Schweigen. Ich will nicht so sein, es darf einfach nicht wahr sein, und solange ich das nicht denke, ist es nicht wahr.

Hi! Weiß ja nicht, ob du heute Abend bei der Arbeit bist. Falls ja, hättest du Lust, danach noch was zu trinken? E x

Gütiger Himmel! Eve, du hast jetzt schon einen sitzen, und es ist Mitternacht. Geh nach Hause, koch dir einen starken Kaffee, wirf zwei Paracetamol ein und kapier endlich, was für eine Idiotin du bist.

Die Antwort kommt prompt, und somit ist mein Schicksal besiegelt.

Yeah! Ich bin grade dabei, Schluss zu machen. Wollen wir hier abhängen? Dein Meisterbarkeeper steht dir zu Diensten

Ich stehe direkt vor meinem Haus, und es wäre um einiges einfacher, hier abzuhängen, doch zynischerweise ist es mir durchaus recht, wenn das Ganze außer Haus stattfindet, sodass ich morgen früh nicht mit Zack an meiner Seite aufwachen und ihn rauswerfen muss. Also kein One-Night-Stand, sondern ein Half-Night-Stand. Oh, Mann. Die Feministin in mir wird immer sauer, wenn meine Mum sagt: »Also wirklich, die Frauen von heute sind die neuen Männer!«, aber ich schäme mich ein bisschen für meine berechnende Gnadenlosigkeit.

Zack findet sich gut, und ich werde so tun, als fände ich ihn auch gut, um das herauszuschlagen, was ich will. Danach ist die Sache erledigt. Natürlich ist das Manipulation. Gerade weil mir vollkommen klar ist, dass er mich darüber hinaus in keinster Weise interessiert, eignet er sich so perfekt für diesen Zweck. Außerdem geht es ihm ja vielleicht genauso. Wobei ich dieser Frage ganz bestimmt nicht auf den Grund gehen werde.

Im Geiste höre ich Susie sagen: »Eve, einem Mann Sex ohne weitere Verpflichtungen anzubieten, heißt doch nicht, dass man ihn ausnutzt. Es ist dein grundlegendes Problem, dass du dich emotional verantwortlich fühlst für einen x-beliebigen Kerl, der regelmäßig zum Bouldern geht, sein eigenes Kombucha zusammenbraut und auf Facebook Sachen postet wie: Das sind voll die guten Vibes auf dem neuen Album von Tame Impala.«

Ich stelle mir vor, dass ich antworte: »Ganz schön gewagt, das mein grundlegendes Problem zu nennen«, und Susie schnaubt: »Stimmt.«

Bin schon unterwegs!

4

Kurz renne ich ins Haus, putze mir die Zähne, wechsle den Slip und frische mein Make-up auf. Damit will ich mein Selbstvertrauen stärken, doch dann erblicke ich im Licht mein schiefes, betrunkenes, verschwitztes Gesicht. Über der Duschstange hängt der Bademantel, in den ich jetzt eigentlich schlüpfen sollte. Vorwurfsvoll schweigt mich mein Haus an.

Ich habe schon immer langes, tiefschwarzes, glattes Haar. Während ich mich gnadenlos mustere und es hinter die Ohren streiche, denke ich plötzlich, dass es zu krass wirkt. Dass ich bald eine alte Schrulle bin. Ich trage ein bisschen mehr Eyeliner auf meine Lider auf. Sehen alte Frauen etwa deshalb wie grelle Parodien ihres jüngeren Ichs aus, weil sie sich geweigert haben, vor dreißig Jahren ihren Stil abzulegen? Weil sie die Zeichen nicht beherzigt und rechtzeitig die rabenschwarze Haartönung und das pinke Rouge rausgeworfen haben?

Als ich das Haus wieder verlasse, wacht der getigerte Roger auf dem Sofa auf und brüllt: Miau? Eine durchaus berechtigte Frage.

»Genug, Piecrust, sei nicht immer so missbilligend«, spreche ich ihn mit seinem Geburtsnamen an, in der Hoffnung, dass es mir Glück bringt. Die alte Dame, die ihn ins Tierheim brachte, wollte ihn mir nur überlassen, wenn ich ihn weiterhin Piecrust nennen würde.

»Du musst das nicht wirklich machen«, sagte Susie, als sie mich mit dem wackelnden Katzenkorb auf den Knien nach Hause fuhr. »Wie soll sie denn je davon erfahren? Aus den Hochzeitsankündigungen in der Times, oder was?«

»Ich finde, sie hatte die Aura einer geheimnisumwitterten alten Hexe, die mich verflucht, sobald ich mein Versprechen breche.«

»Na, den hier hat sie in der Tat verflucht! Piecrust, Scheiße noch mal.«

Als Kompromiss nannte ich ihn Roger Piecrust Harris, was klingt wie ein Komiker aus den Siebzigern, den man der Pädophilie überführt hat.

Ich pfeife aus dem letzten Loch, als ich an der Bar ankomme, und als mir bewusst wird, dass sie praktisch im Dunkeln liegt, dass meine Freunde mittlerweile schlafen oder ihre Verlobung feiern – jedenfalls im Bett sind –, kapiere ich endlich, wie bescheuert das alles ist. Meine Lust auf sexuelle Freibeuterei ist wie weggewischt. Ich habe mich für die Achterbahnfahrt angestellt, und jetzt will ich nicht einsteigen.

Zaghaft klopfe ich an die schwere Holztür und höre, wie auf der anderen Seite mit Schlüsseln hantiert wird. Wir werden dort drinnen gemeinsam eingesperrt sein. Womöglich ist dieses Date nicht ganz ungefährlich. Ich kenne Zack nicht, es ist mitten in der Nacht, und kein Mensch weiß, dass ich hier bin. Nachdem wohl keiner meiner Freunde vor morgen früh auf sein Handy schauen wird, würde eine Nachricht allenfalls bei den Ermittlungen helfen, nicht aber bei meiner Rettung.

»Hi, Eva«, begrüßt mich Zack. »Willkommen in meiner bescheidenen Hazienda.«

Oh, Gott.

»Hallo«, sage ich. »Mann, sieht ganz anders aus hier, wenn es dunkel ist.« Was ich eigentlich meine, ist, dass ich es gruselig finde. Es ist so still.

Ich trete ein und versuche, nicht zusammenzuzucken, als er hinter mir die Tür absperrt, wobei es mich immerhin etwas beruhigt, dass er den Schlüsselbund im Schloss stecken lässt.

»Ja, warte, ich mache Licht an. Will nur nicht, dass es aussieht, als hätten wir geöffnet, damit keine besoffenen Penner an die Tür hämmern oder mir die beschissenen Bullen wegen der Sperrstunde an die Wäsche wollen.«

Ich lache, auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob es als Witz gemeint war, dass ihm die Bullen womöglich an die Wäsche wollen.

Er macht ein paar Lampen an, und ich entspanne mich ein bisschen.

»Setz dich da hin, dann mixe ich dir einen deiner Lavendel-Martinis.« Zack deutet auf einen Hocker an der Bar mit der indirekten Beleuchtung und dem Banksy-Bild mit den zwei küssenden Polizisten. »Falls du Lust auf einen hast?«, sagt er, und ich nicke enthusiastisch. Ich habe keine Lust, vielmehr habe ich mich wieder so weit im Griff, dass mir klar wird, dass das Letzte, was ich will, 1.) ein Martini ist, und 2.) zu vögeln, aber jetzt ist es zu spät.

Eigentlich ist es noch nicht zu spät. Ich bin noch angezogen, im Besitz meiner Menschenrechte und theoretisch durchaus in der Lage, die Bar zu verlassen.

Es widert mich an, dass ich mich verpflichtet fühle, nur weil ich diese blöde Sache angestoßen habe. Wenn es eine rein hypothetische Fragestellung wäre und es um jemand anderen ginge, würde ich normalerweise heftig und leidenschaftlich widersprechen. Das hier ist einer jener unangenehmen Momente im Leben, in denen du kapierst, dass deine theoretischen Überzeugungen und dein praktisches Handeln zwei vollkommen unterschiedliche Dinge sein können.

Mit übertriebener Geste zerreibt Zack frische Lavendelstängel zwischen den Händen, damit »das Aroma freigesetzt wird«, und windet sie dann um Cocktailstäbchen mit Zitronenschnitzen. Schon der komplizierte Drink fühlt sich an wie eine Schuld, die ich begleichen muss. Ich habe angenommen, dass er außer Dienst einfach zwei Flaschen Bier aufmachen würde.

»Willst du Musik hören?«, fragt er.

»Klar.«

»Welches Album?«

»Wie, egal was?«

»Ja.«

»Hm.« Oje, jetzt wird auch noch meine Coolness auf die Probe gestellt … Ich muss aufpassen, dass es nichts Peinliches ist, das verführerisch klingt. »Fleetwood Mac? Tusk?«

Zack beugt sich nach vorne und scheint mit einer Topfpflanze auf dem Tresen zu sprechen.

»Alexa, leg Tusk von Fleetwood Mac auf.«

»Gehört dir die Bar?«, frage ich, als die Musik losgeht, weil mir auffällt, wie ungezwungen Zack Gastgeber spielt.

»Nein, Ted, der Besitzer, ist auf Lanzarote. Dort verbringt er die kalte Jahreszeit. Wenn er nicht da ist, dann betreibe ich den Laden. Er ist so eine Art Onkel für mich.«

Schwungvoll lässt Zack einen Untersetzer vor mir kreiseln und stellt dann den Martini darauf.

»Danke!«

»Also, wie sieht es aus, meine kleine Miss Nightmare Before Christmas?«

»Nightmare … was?«

»Dieser animierte Tim-Burton-Film? Du erinnerst mich an das Mädchen in dem Film. Die mit den großen Augen und dem zerrissenen weißen Kleid. Irgendwie unheimlich.«

»Das ist die aus Hochzeit mit einer Leiche, oder?«, sage ich lächelnd und trinke einen Schluck.

»Sie heißt Sally.«

»Aha. Was meinst du mit ›wie sieht es aus‹?«

»Hast du einen Freund oder Ehemann? Eine Freundin? Eine bessere Hälfte, einen Romeo?«

»Dann wäre ich wohl kaum hier«, platze ich überrascht heraus. Dann fällt mir auf, wie offensichtlich meine Absichten damit sind, auch wenn es nicht meine Schuld ist, dass er eine so unverblümte Frage gestellt hat. Ich versuche, mich herauszuwinden: »… mitten in der Nacht in einer abgeschlossenen Bar … mit einem Kräuter-Drink.«

»Keine Sorge, es steht mir nicht zu, ein Urteil zu fällen.« Zack hebt die Hände.

Er hat es fertiggebracht, dass ich mir vorkomme wie Shirley Valentine, die sich über einen griechischen Kellner hermacht, weil sie Urlaub von sich selbst braucht. Ich fühle mich bevormundet. Würde er einer Frau, die genauso alt ist wie er, dieselbe Frage stellen? Vielleicht schon – ich habe den Verdacht, dass Zack das Talent besitzt, Leuten unabsichtlich auf den Schlips zu treten.

»Hast du denn eine Freundin?«, frage ich und hoffe, dass mein Tonfall zeigt, dass es mir egal ist. Wobei … falls er Ja sagt, könnte ich schnell aus der Nummer hier rauskommen. Nachdenklich legt Zack den Kopf schief.

»Nö. Ist kompliziert, aber nö.«

»Ist kompliziert heißt: Ich verarsche jemanden und bin der Meinung, dass mich das interessant macht«, sagt Susie immer.

»Willst du nichts trinken?«, frage ich, als ich sehe, dass Zack den Cocktail-Shaker unter dem Wasserhahn ausspült.

»Ich habe mir ein Asahi aufgemacht.« Er deutet auf eine Bierflasche auf dem Tresen.

Er trocknet seine Hände ab, geht um den Tresen herum und bezieht auf dem Barhocker neben mir Position.

»Schmeckt’s?«, fragt er und deutet auf den Martini.

»Ja, ist super«, sage ich höflich und trinke noch einen Schluck, dabei würde ich so gerne das Gemüse rausholen, damit er leichter zu trinken ist, aber ich will Zacks Gefühle nicht verletzen.

Wir plaudern über Open-Air-Festivals, Hipster-Restaurants und ein paar Rowdys, die seit Neuestem auf der Hauptstraße Rennen fahren.

Wieder einmal fällt mir auf, dass man sich in der falschen Gesellschaft so viel einsamer fühlen kann, als wenn man zufrieden alleine abhängt. Ich hatte noch nie eine Existenzkrise, wenn ich mir mit Roger eine Pizza geteilt habe.

Und Zacks Interesse an mir und meiner Person hat offensichtlich bei der Frage nach meinem Beziehungsstatus begonnen und geendet.

In einem leicht müden, einstudierten Tonfall, als habe er langsam keine Lust mehr, seinen weiblichen Fans seine Lebensentscheidungen auseinanderzusetzen, hält er mir einen langen Monolog über die Vorteile seines möglicherweise anstehenden Umzugs nach Australien.

Als ich dann den Mund aufmache und etwas über mich erzählen will, unterbricht mich Zack und sagt: »Ich schlafe zurzeit in der Wohnung über der Bar. Es wäre super, wenn dir der Drink so gut schmeckt, dass du ihn schnell austrinkst, und wir zusammen raufgehen.«

Er versucht sich an einem verführerischen Blick.

Hoppla. Da wären wir also. Ich kippe den Rest Martini auf einen Zug hinunter. Werde ich es morgen überhaupt in die Arbeit schaffen?

Was soll ich Zack sagen? Jetzt, wo ich etwas nüchterner geworden bin und deine Persönlichkeit zwanzig Minuten besser kennenlernen durfte, möchte ich mich auf den Heimweg machen. Ja, das könnte ich sagen, wenigstens andeutungsweise, aber ich werde es nicht tun. Ich sinniere, wie viele Fehler man im Leben macht, nur weil man nicht unhöflich sein will.

»Geh du voran«, sage ich.

Der Satz löst in mir ähnlich viel Enthusiasmus aus wie Lass uns den Brexit durchziehen.

Grinsend rutscht Zack vom Hocker herunter und macht eine Geste, dass ich ihm durch eine Tür hinter der Bar und eine enge knarrende Treppe hinauf folgen soll. Das ganze Budget fürs Dekor ging offensichtlich für den Kitsch in der Bude unten drauf. Das Wohnzimmer, in das er mich führt, riecht nach Mikrowellenessen und Tristesse, und auf einem Wäscheständer hängen Tennissocken und Unterhosen. Der Couchtisch beherbergt ein Durcheinander aus E-Zigaretten und Zubehör, Fernbedienungen und ein paar leere Peri-Peri-Soßenflaschen, in denen Kerzen stecken, in einer armseligen Abwandlung der umfunktionierten Korbflaschen in italienischen Trattorien.

Zack deutet auf einen riesigen hellgrauen Kunstledersessel vor dem Fernseher.

»Können wir es da drauf machen?«, flüstert er. »In Teds Bett fühl ich mich komisch. Seine Frau ist vor einem Jahr gestorben.«

»Warum flüsterst du?«, flüstere ich. »Hört sie uns zu?«

»Schon möglich«, antwortet Zack.

»… was?«

»Sie ist in dem Bett gestorben.« Zack zeigt mit weit aufgerissenen Augen auf das Zimmer nebenan. »Das ist voll gruselig. Mir kommt es so vor, als schwebt Lindas Geist über mir. Sie hatte einen Herzinfarkt, und ich habe dann so Schmerzen in der Brust, als ob sie auf mir sitzt. Als ob sie mir einen verpassen will.«

»Einen Herzinfarkt, meinst du hoffentlich.«

»Ja.«

Das Ganze ist tragisch und komisch zugleich, und Zack wirkt so ernst, dass ich mich bemühen muss, nicht loszulachen.