Dublin Street - Gefährliche Sehnsucht (Deutsche Ausgabe) - Samantha Young - E-Book
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Dublin Street - Gefährliche Sehnsucht (Deutsche Ausgabe) E-Book

Samantha Young

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Beschreibung

Sie will nur eine Nacht des Glücks, aber er legt ihr die Zukunft zu Füßen. Jocelyn Butler ist jung, sexy und allein. Seit sie ihre gesamte Familie bei einem Unfall verloren hat, vertraut sie niemandem mehr. Braden Carmichael weiß, was er will und wie er es bekommt. Doch diesmal hat der attraktive Schotte ein Problem: Die kratzbürstige Jocelyn treibt ihn mit ihren Geheimnissen in den Wahnsinn. Zusammen sind sie wie Streichholz und Benzinkanister. Hochexplosiv. Bis zu dem Tag, als Braden mehr will als eine Affäre und Jocelyn sich entscheiden muss, ob sie jemals wieder ihr Herz verschenken kann. Der internationale Bestseller jetzt endlich auf Deutsch!

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Das Buch

Was soll frau tun, wenn sie tropfend aus der Badewanne steigt und ihr plötzlich ein wildfremder Mann gegenübersteht? Jocelyn versucht es mit dem Hinweis, dass Anklopfen noch nie geschadet hat. Doch der Fremde, der sich als Bruder ihrer Mitbewohnerin erweist, denkt nicht mal daran, sich zu entschuldigen. Braden Carmichael genießt ganz ungeniert die Aussicht – was Joss, wenn sie ehrlich ist, innerlich dahinschmelzen lässt. Dabei hatte sie sich geschworen, jeder Form von Beziehung aus dem Weg zu gehen. Seit sie ihre Familie bei einem Autounfall verloren hat, lässt sie niemanden mehr an sich heran. Dumm nur, dass ihre neue Mitbewohnerin Ellie sich in den Kopf gesetzt hat, Joss zu ihrer besten Freundin zu machen. Noch schlimmer ist aber, dass Ellies Bruder Braden Absichten ganz anderer Art hegt. Joss ist hin- und hergerissen. Eigentlich ist Braden nicht ihr Typ: arrogant, reich und mit einem großen Verschleiß an blondierten Models. Gleichzeitig ist er aber vor allem eins – verdammt sexy. Und er gibt ihr unmissverständlich zu verstehen, dass er nur eins will: SIE. Doch Joss merkt schnell, dass er sich nicht mit leidenschaftlichen Nächten begnügen wird. Braden will mehr. Er will ihr Herz erobern. Wird Joss es schaffen, ihre Angst vor Nähe für ihn zu überwinden?

Die Autorin

Samantha Young wurde 1986 in Stirlingshire, Schottland, geboren. Seit ihrem Abschluss an der University of Edinburgh arbeitet sie als freie Autorin und hat bereits eine Jugendbuchserie veröffentlicht. Dublin Street ist ihr erster Roman für Erwachsene und wurde bereits kurz nach seinem Erscheinen zu einem internationalen Bestseller.

Homepage der Autorin: www.samanthayoungbooks.com

Samantha Young

Dublin Street

Gefährliche Sehnsucht

Roman

Aus dem Englischen von Nina Bader

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-taschenbuch.de

Wir wählen unsere Bücher sorgfältig aus, lektorieren sie gründlich mit Autoren und Übersetzern und produzieren sie in bester Qualität.

ISBN 978-3-8437-0581-3

Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Dezember 2012© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2012© Samantha Young 2012Published by arrangement with NAL Signet, a member of Penguin Group (USA) Inc.Titel der amerikanischen Originalausgabe: On Dublin StreetUmschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, MünchenTitelabbildung: © @Phatpuppy Art

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Keine menschliche Beziehung geht in einer anderen auf – beide Seelen sind vollkommen unterschiedlich. Sowohl in der Freundschaft als auch in der Liebe vereinen beide Seiten ihre Hände, um das zu finden, was einer allein nicht erreichen kann.

Khalil Gibran

Prolog

Surry County, Virginia

Ich langweilte mich.

Kyle Ramsey trat gegen die Rückenlehne meines Stuhls, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, aber dasselbe hatte er gestern auch bei meiner besten Freundin Dru Troler gemacht, und ich wollte ihr nicht weh tun. Kyle war ihr großer Schwarm. Ich sah also zu, wie sie neben mir eine Million winziger Herzen an den Seitenrand ihres Hefts malte, während Mr Evans eine weitere Gleichung an die Tafel schrieb. Eigentlich sollte ich besser aufpassen, weil ich in Mathe eine Niete war. Mum und Dad würden nicht sehr erfreut sein, wenn ich im ersten Jahr an der Highschool einen Kurs verbockte.

»Mr Ramsay, würde es Ihnen etwas ausmachen, an die Tafel zu kommen und diese Aufgabe zu lösen, oder möchten Sie lieber hinter Jocelyn sitzen bleiben, damit Sie weiter gegen ihren Stuhl treten können?«

Die Klasse kicherte, und Dru warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Ich schnitt eine Grimasse und funkelte Mr Evans giftig an.

»Ich bleibe hier, wenn es Ihnen recht ist, Mr Evans«, erwiderte Kyle großspurig. Ich verdrehte die Augen und weigerte mich, mich umzudrehen, obwohl ich spürte, wie sich sein Blick in meinen Nacken bohrte.

»Das war eine rhetorische Frage, Kyle. Komm nach vorne.«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach das Stöhnen, mit dem Kyle der Aufforderung folgte. Beim Anblick von Ms Shaw, unserer Rektorin, verstummte die ganze Klasse. Weswegen war sie hier? Das konnte nur Ärger bedeuten.

»Oha«, murmelte Dru leise. Ich blickte sie stirnrunzelnd an, woraufhin sie in Richtung der Tür nickte. »Bullen.«

Erschrocken drehte ich mich gleichfalls zur Tür um, während Ms Shaw Mr Evans etwas zuraunte, und tatsächlich konnte ich durch den Türspalt zwei Polizisten im Gang stehen sehen.

»Miss Butler.« Ms Shaws Stimme ließ mich den Blick von den Männern abwenden und sie überrascht ansehen. Als sie einen Schritt auf mich zutrat, spürte ich, wie mir das Herz bis zum Hals zu schlagen begann. In ihren Augen lag ein wachsamer, mitfühlender Ausdruck, und plötzlich wollte ich nur noch vor ihr und dem, was auch immer sie mir mitzuteilen hatte, flüchten. »Könnten Sie bitte mitkommen? Packen Sie Ihre Sachen zusammen.«

Das war normalerweise der Augenblick, wo die Klasse tuschelnd Vermutungen über die Schwierigkeiten anstellen würde, in denen ich steckte. Aber sie spürten ebenso wie ich, dass es diesmal um etwas anderes ging. Welche Nachrichten mich auch immer da draußen im Gang erwarten mochten, sie würden mich deswegen nicht aufziehen.

»Miss Butler?«

Mittlerweile ließ mich ein Adrenalinschub heftig zittern, und das Blut rauschte so laut in meinen Ohren, dass ich kaum noch etwas hören konnte. War Mum etwas zugestoßen? Oder Dad? Oder meiner kleinen Schwester Beth? Meine Eltern hatten sich diese Woche ein paar Tage freigenommen, um sich von einem stressigen Sommer zu erholen. Heute wollten sie mit Beth irgendwo ein Picknick veranstalten.

»Joss.« Dru stieß mich an, und sowie ihr Ellbogen meinen Arm berührte, schoss ich von meinem Platz hoch. Mein Stuhl schrammte quietschend über den Boden. Ohne irgendjemanden anzusehen, nestelte ich an meiner Tasche herum und fegte alles hinein, was vor mir auf dem Tisch lag. Geflüster hatte eingesetzt und zog zischelnd durch den Raum wie kalter Wind durch einen Ritz in den Fensterläden. Obwohl ich nicht wissen wollte, was mir bevorstand, wollte ich das Klassenzimmer nur noch so schnell wie möglich verlassen.

Irgendwie erinnerte ich mich daran, wie man einen Fuß vor den anderen setzte, folgte der Rektorin in den Gang hinaus und hörte, wie Mr Evans die Tür hinter mir schloss. Ich sagte kein Wort, sondern sah nur Ms Shaw und dann die beiden Polizisten an, die mich mit distanziertem Mitleid musterten. An der Wand stand eine Frau, die ich zuvor nicht bemerkt hatte. Sie wirkte ernst, aber gefasst.

Ms Shaw berührte meinen Arm, und ich blickte auf ihre Hand, die auf meinem Pullover ruhte. Bislang hatte ich mit der Rektorin kaum zwei Worte gewechselt, und jetzt nahm sie mich am Arm? »Jocelyn … dies sind Deputy Wilson und Deputy Michaels. Und das ist Alicia Nugent vom DSS.«

Ich sah sie fragend an.

Ms Shaw wurde eine Spur blasser. »Vom Department of Social Services. Dem Sozialdienst.«

Kalte Angst schnürte mir die Brust zu, und ich rang nach Atem.

»Jocelyn«, fuhr die Rektorin fort, »es tut mir leid, dir das sagen zu müssen … aber deine Eltern und deine Schwester Elizabeth hatten einen Autounfall.«

Ich wartete. Der Ring um meine Brust wurde enger.

»Sie waren alle sofort tot, Jocelyn. Es tut mir wirklich furchtbar leid.«

Die Frau vom DSS trat zu mir und begann zu sprechen. Ich blickte sie an, konnte aber nur die Farben sehen, aus denen sie sich zusammensetzte. Alles, was ich hörte, war ihr gedämpfter Redefluss. Es klang, als habe jemand neben ihr einen Wasserhahn aufgedreht.

Ich bekam keine Luft mehr.

In Panik griff ich nach etwas, irgendetwas, was mir helfen würde, wieder zu atmen. Ich spürte Hände auf mir. Ruhige, gemurmelte Worte. Nässe auf meinen Wangen. Salz auf meiner Zunge. Und mein Herz … es fühlte sich an, als würde es gleich explodieren, so heftig hämmerte es.

Ich starb.

»Atme, Jocelyn!«

Die zwei Worte wurden mir ins Ohr gesagt, immer wieder, bis ich wieder so weit zu mir kam, dass ich mich auf diese Anweisung konzentrieren konnte. Nach einer Weile verlangsamte sich mein Puls, und meine Lungen öffneten sich. Die vor meinen Augen tanzenden Punkte verschwanden.

»So ist es gut«, flüsterte Ms Shaw. Eine warme Hand beschrieb auf meinem Rücken kleine Kreise. »So ist es gut.«

»Wir sollten langsam gehen.« Die Stimme der Frau vom DSS durchdrang den Nebel, der mich umgab.

»Okay. Jocelyn, bist du so weit?«, fragte Ms Shaw leise.

»Sie sind tot«, erwiderte ich, weil ich spüren musste, wie sich die Worte anfühlten. Es konnte nicht wahr sein.

»Es tut mir leid, Liebes.«

Kalter Schweiß brach mir überall auf der Haut aus, auf den Handflächen, unter den Armen und im Nacken. Ich bekam eine Gänsehaut und konnte nicht aufhören zu zittern. Schwindel überkam mich, ich schwankte nach links, und ohne Vorwarnung schoss mir mein Mageninhalt in die Kehle. Ich krümmte mich und erbrach mein Frühstück über die Schuhe der Dame vom DSS.

»Sie hat einen Schock.«

Hatte ich den?

Oder litt ich unter Reiseübelkeit?

Vor einer Minute hatte ich noch dort gesessen. Dort, wo es warm und sicher war. Und innerhalb von Sekunden, mit dem Knirschen von Metall …

… war ich an einem ganz anderen Ort.

Kapitel 1

SchottlandAcht Jahre später

Es war ein schöner Tag, um ein neues Zuhause zu finden. Und eine neue Mitbewohnerin.

Ich trat aus dem feuchten alten Treppenhaus meines georgianischen Wohngebäudes in einen erstaunlich heißen Tag in Edinburgh hinaus und blickte auf die schicken, grün-weiß gestreiften Jeansshorts hinunter, die ich vor ein paar Wochen bei Topshop gekauft hatte. Seither hatte es ununterbrochen geregnet, und ich hatte schon befürchtet, nie eine Gelegenheit zu bekommen, sie zu tragen. Aber jetzt war die Sonne zum Vorschein gekommen, spähte über die Spitze des eckigen Turms der Brentsfield Evangelical Church, verscheuchte meine melancholische Stimmung und gab mir ein wenig neue Hoffnung. Für jemanden, der mit gerade einmal achtzehn Jahren sein gesamtes Leben in den USA aufgegeben hatte und in sein Heimatland zurückgekehrt war, konnte ich mit Veränderungen nicht besonders gut umgehen. Jedenfalls nicht mehr. Ich hatte mich an mein geräumiges Apartment mit der nie endenden Mäuseplage gewöhnt. Ich vermisste meine beste Freundin Rhian, mit der ich seit dem ersten Semester an der Universität von Edinburgh zusammengewohnt hatte. Wir hatten uns im Studentenwohnheim kennengelernt und auf Anhieb gut verstanden. Wir waren beide von Natur aus zurückhaltend und kamen schon deshalb so gut miteinander aus, weil wir uns gegenseitig nie bedrängten, über die Vergangenheit zu sprechen. Im ersten Jahr waren wir enge Freundinnen geworden, und im zweiten beschlossen wir, uns gemeinsam ein Apartment (oder eine ›Wohnung‹, wie Rhian es nannte) zu mieten. Jetzt, nachdem wir unseren Abschluss in der Tasche hatten, war Rhian nach London gegangen, um zu promovieren, und ich ohne Mitbewohnerin zurückgeblieben. Der Zuckerguss auf dem Kuchen war der Verlust meines anderen besten Kumpels hier, James, Rhians Freund. Er war ebenfalls nach London gezogen (eine Stadt, die er hasste, wie ich hinzufügen möchte), um bei ihr zu sein. Und die Kirsche als Krönung? Mein Vermieter ließ sich scheiden und brauchte nun das Apartment selbst.

Ich hatte die letzten zwei Wochen damit verbracht, auf Anzeigen von jungen Frauen zu antworten, die eine Mitbewohnerin suchten. Bislang ohne Erfolg. Ein Mädchen wollte nicht mit einer Amerikanerin zusammenwohnen. Also ehrlich, geht’s noch? Drei der Apartments waren einfach scheußlich. Bei einem Mädchen war ich ziemlich sicher, dass sie mit Crack dealte, und das letzte Apartment machte den Eindruck, mehr Besucher zu haben als ein Bordell. Ich hoffte wirklich, meine heutige Verabredung mit Ellie Carmichael würde sich als Treffer erweisen. Es war das teuerste Apartment, das ich besichtigte, und lag auf der anderen Seite der Innenstadt.

Wenn es darum ging, etwas von meinem Erbe auszugeben, war ich extrem vorsichtig, als ob ich so die Bitterkeit meines vermeintlichen Glücksfalls mildern könnte. Aber wie dem auch sei, langsam musste etwas passieren.

Wenn ich als Schriftstellerin erfolgreich sein wollte, brauchte ich das richtige Apartment und die richtige Mitbewohnerin.

Allein zu leben war natürlich auch eine Option. Ich konnte es mir leisten. Aber die schlichte Wahrheit lautete, dass mir die Vorstellung völliger Einsamkeit nicht gefiel. Trotz meines Hangs, achtzig Prozent von dem, was mich betraf, für mich zu behalten, war ich gern von Menschen umgeben. Wenn sie mir von Dingen erzählten, die ich persönlich nicht verstand, erlaubte mir das, diese Dinge aus ihrer Sicht zu betrachten, und ich glaubte, alle guten Schriftsteller brauchten ein möglichst breites Spektrum an Perspektiven. Obwohl ich es nicht nötig hatte, arbeitete ich donnerstags und freitags abends in einer Bar in der George Street. Das alte Klischee traf zu: Barkeeper hörten die besten Storys.

Ich war mit zweien meiner Kollegen, Jo und Craig, befreundet, aber wir sahen uns eigentlich nur bei der Arbeit. Wenn ich etwas Leben um mich herum wollte, brauchte ich eine Mitbewohnerin. Dazu kam, dass das Apartment nur ein paar Straßen von der Bar entfernt lag.

Während ich die Sorgen bezüglich einer neuen Unterkunft zu unterdrücken versuchte, hielt ich nach einem freien Taxi Ausschau. Ich betrachtete sehnsüchtig eine Eisdiele, wünschte, ich hätte Zeit, mir eine Kugel zu kaufen, und übersah dabei beinahe das Taxi, das mir auf der anderen Straßenseite entgegenkam. Ich winkte, achtete auf den Verkehr auf meiner Seite und registrierte dankbar, dass der Fahrer mich gesehen hatte und an den Bordstein fuhr. Es gelang mir, die breite Straße zu überqueren, ohne wie eine grün-weiße Wanze an irgendeiner Windschutzscheibe zerquetscht zu werden, und ich eilte mit dem einzigen Ziel, den Türgriff zu fassen zu bekommen, auf das Taxi zu.

Doch statt des Griffs umschloss ich eine Hand.

Verwirrt ließ ich den Blick von der gebräunten Männerhand an einem langen Arm hoch bis zu breiten Schultern und einem Gesicht wandern, das aufgrund der von hinten scheinenden Sonne nicht auszumachen war. Der Mann war groß, weit über eins achtzig, und überragte mich um Etliches. Ich maß gerade mal eins siebenundsechzig.

Da ich mich fragte, wieso der Typ die Hand an meinem Taxi hatte, nahm ich nur den Anzug bewusst wahr.

Sein Gesicht lag im Schatten und er stieß einen genervten Seufzer aus. »Wo musst du hin?«, fragte er mit einer tiefen, rauen Stimme. Seit vier Jahren lebte ich schon hier, und noch immer jagte mir ein schottischer Akzent einen Schauer über den Rücken. Und seiner besonders, trotz der barschen Frage.

»Dublin Street«, erwiderte ich automatisch in der Hoffnung, den längeren Weg zu haben, so dass er mir das Taxi überlassen würde.

»Gut.« Er öffnete die Tür. »Ich muss in dieselbe Richtung, und da ich spät dran bin, schlage ich vor, wir teilen uns das Taxi, statt zehn Minuten mit einer Diskussion darüber zu verschwenden, wer es dringender braucht.«

Eine warme Hand berührte mich am Rücken und schob mich sacht vorwärts. Benommen ließ ich mich in das Taxi bugsieren, rutschte über die Rückbank und schnallte mich an, während ich mich fragte, ob ich zustimmend genickt hatte. Ich glaubte nicht.

Als ich den Anzugträger dem Taxifahrer die Dublin Street als Fahrtziel nennen hörte, runzelte ich die Stirn und murmelte: »Ich muss mich wohl bedanken.«

»Bist du Amerikanerin?«

Die Frage veranlasste mich endlich dazu, mich zu dem Fahrgast neben mir umzudrehen. Oh. Okay.

Wow.

Der Anzugträger war nicht im klassischen Sinne attraktiv, aber das Funkeln in seinen Augen und seine sinnlichen Lippen, die ein amüsiertes Lächeln umspielte, kombiniert mit dem Rest des Gesamtpakets, sprühten nur so vor Sex-Appeal. Er war vielleicht Ende zwanzig oder Anfang dreißig, und die Konturen unter dem teuren, gutgeschnittenen silbergrauen Anzug verrieten mir, dass sein Träger Sport trieb. Er saß mit der Lässigkeit eines körperlich fitten Typen da, und unter der Weste und dem weißen Hemd zeichnete sich ein flacher, eisenharter Bauch ab. Seine hellblauen Augen unter den langen Wimpern wirkten schelmisch, und ich konnte beim besten Willen nicht übersehen, dass er dunkle Haare hatte.

Ich bevorzugte blonde Männer. Hatte ich schon immer getan.

Aber trotzdem hatte noch keiner von ihnen direkt auf den ersten Blick ein lustvolles Ziehen in meinem Unterleib ausgelöst. Ein kräftiges, maskulines Gesicht war mir zugewandt – scharf gezeichnete Kieferlinie, Kerbe im Kinn, breite Wangenknochen und eine römische Nase. Dunkle Bartstoppeln bedeckten seine Wangen, und sein Haar war zerzaust, was nicht zu dem edlen Designeranzug passte.

Der Anzugträger zog angesichts meiner ungenierten Musterung seiner Person eine Braue hoch, woraufhin sich mein Verlangen zu meiner größten Überraschung vervierfachte. Ich hatte mich noch nie auf Anhieb zu einem Mann hingezogen gefühlt. Und seit meinen wilden Teenagerjahren hatte ich noch nicht einmal erwogen, ein sexuelles Angebot anzunehmen.

Obwohl ich nicht sicher bin, ob ich einem Angebot von diesem Mann würde widerstehen können.

Sowie mir der Gedanke durch den Kopf schoss, erstarrte ich vor Schreck, ging augenblicklich in Verteidigungsstellung und setzte eine unnahbare Miene auf.

»Yeah«, antwortete ich, als mir endlich wieder einfiel, dass der Anzugträger mir eine Frage gestellt hatte. Ich wandte mich von seinem wissenden Grinsen ab, täuschte Langeweile vor und dankte meinem Schöpfer dafür, dass man meiner olivfarbenen Haut nicht ansah, wenn ich errötete.

»Zu Besuch hier?«, murmelte er.

Da mich meine Reaktion auf diesen Mann ärgerte, beschloss ich, die Konversation auf ein Minimum zu beschränken. Wer weiß, was ich sonst noch Idiotisches sagen oder tun würde? »Nein.«

»Dann bist du Studentin?«

Der Tonfall stieß mir sauer auf. Dann bist du Studentin. Das war mit einem dazugedachten Augenverdrehen gesagt worden, als wären Studenten faul auf dem Hintern sitzende Gammler ohne wahre Ziele im Leben. Ich fuhr herum, um ihn mit einem vernichtenden Blick zu durchbohren, nur um festzustellen, dass er voller Interesse meine nackten Beine betrachtete. Diesmal zog ich die Brauen hoch und wartete darauf, dass er seine umwerfenden Augen von meiner Haut löste. Der Anzugträger spürte meinen Blick, sah mich an und bemerkte meinen wenig freundlichen Gesichtsausdruck. Ich rechnete damit, dass er so tun würde, als hätte er mich nicht angegafft, oder den Blick abwenden oder sonst etwas in der Art. Was ich zuletzt erwartet hätte, war, dass er nur die Achseln zucken und mir dann ein Lächeln schenken würde, das so träge, tückisch und sexy war, wie ich es noch nie erlebt hatte.

Ich rollte mit den Augen und kämpfte gegen die Hitze zwischen meinen Beinen an. »Ich war Studentin«, erwiderte ich mit nur einer Spur von Schärfe. »Ich lebe hier. Doppelte Staatsbürgerschaft.« Warum gab ich Erklärungen ab?

»Du bist Halbschottin?«

Ich nickte knapp und genoss heimlich die Art, wie er ›Schottin‹ mit harten Ts aussprach.

»Was machst du denn jetzt nach deinem Abschluss?«

Warum wollte er das wissen? Ich musterte ihn aus dem Augenwinkel heraus. Von dem, was sein dreiteiliger Anzug gekostet hatte, hätten Rhian und ich uns vermutlich unsere gesamten vier Collegejahre lang von billigem Mensaessen ernähren können. »Was machst du denn? Ich meine, wenn du nicht gerade Frauen in Taxis schubst?«

Ein schwaches Grinsen war seine einzige Reaktion auf meinen Seitenhieb. »Was glaubst du wohl?«

»Anwalt, würde ich sagen. Fragen mit Fragen beantworten, Grobheit, selbstgefälliges Grinsen. Passt alles.«

Er lachte, ein sonores, tiefes Lachen, das in meiner Brust vibrierte. Seine Augen glitzerten. »Ich bin kein Anwalt. Aber du könntest gut einer sein. Wer hat denn eben eine Frage mit einer Frage beantwortet? Und das?« Er deutete auf meinen Mund, während seine Augen sich verdunkelten, als er mit dem Blick die Kurve meiner Lippen nachzog. »Das ist eindeutig ein selbstgefälliges Grinsen.« Seine Stimme war heiser geworden.

Mein Puls beschleunigte sich, als sich unsere Blicke trafen und weit länger aneinander festhielten, als es bei zwei höflichen Fremden der Fall sein sollte. Auf meinen Wangen glühte es … und nicht nur da. Er und die stumme Kommunikation unserer Körper heizten mir immer mehr ein. Als meine Brustwarzen unter meinem T-Shirt-BH hart wurden, war ich schockiert genug, um in die Realität zurückgerissen zu werden. Ich wandte mich von ihm ab, beobachtete den Verkehr und betete, diese Taxifahrt möge lieber gestern als heute zu Ende gehen.

Als wir uns der Princes Street und einer weiteren, durch das Straßenbahnprojekt des Stadtrats verursachten Umleitung näherten, begann ich mich zu fragen, wie ich aus dem Taxi entkommen konnte, ohne noch einmal mit ihm sprechen zu müssen.

»Bist du schüchtern?«, fragte der Anzugträger und machte so meine Hoffnungen zunichte.

Ich konnte nicht anders, bei seiner Frage drehte ich mich unwillkürlich mit einem verwirrten Lächeln zu ihm um. »Wie bitte?«

Er legte den Kopf schief und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. Irgendwie erinnerte er an einen trägen Tiger, der mich eingehend beäugte, als überlege er, ob ich eine lohnende Beute wäre. Ich erschauerte, als er wiederholte: »Bist du schüchtern?«

War ich schüchtern? Nein. Nicht schüchtern. Aber meistens selig gleichgültig. So gefiel es mir. Es war sicherer. »Wie kommst du denn darauf?« Strahlte ich schüchterne Schwingungen aus? Bei dem Gedanken verzog ich das Gesicht.

Der Anzugträger zuckte erneut die Achseln. »Die meisten Frauen würden es ausnutzen, dass ich mit ihnen im Taxi gefangen bin – mir Löcher in den Bauch fragen, mir ihre Telefonnummer aufdrängen … und anderes.« Sein Blick wanderte zu meiner Brust, bevor er zu meinem Gesicht zurückkehrte. Meine Wangen glühten innerlich. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann es irgendjemandem zuletzt gelungen war, mich in Verlegenheit zu bringen. Da ich peinliche Situationen wie diese nicht gewohnt war, versuchte ich, meine Verlegenheit zu überwinden.

Von seinem übersteigerten Selbstbewusstsein verblüfft, grinste ich ihn an; selbst überrascht von der Freude, die mich überkam, als sich seine Augen angesichts meines Lächelns leicht weiteten. »Wow, du bist aber ziemlich von dir eingenommen.«

Er grinste zurück. Seine Zähne waren weiß, aber nicht perfekt, und sein schiefes Lächeln löste in mir ungewohnte Gefühle aus. »Ich spreche nur aus Erfahrung.«

»Ich gebe meine Telefonnummer normalerweise keinen Männern, die ich gerade erst kennengelernt habe.«

»Aha.« Er nickte, als sei ihm etwas über mich klargeworden, sein Lächeln erstarb, und seine Züge schienen sich zu verschließen. »Du gehörst zu dem ›Kein Sex vor dem dritten Date, Hochzeit und Kinder‹-Typ Frau.«

Ich schnitt ob dieses bissigen Urteils eine Grimasse. »Nein, nein und nochmals nein.« Hochzeit und Kinder? Bei der Vorstellung überlief mich ein Schauer, die Angst, die mich Tag für Tag begleitete, erwachte zum Leben und schnürte mir die Brust zu.

Der Anzugträger sah mich wieder an, und was er in meinem Gesicht las, ließ ihn sichtlich entspannen. »Interessant«, murmelte er.

Nein. Nicht interessant. Ich wollte für diesen Typen nicht interessant sein. »Ich gebe dir meine Nummer nicht.«

Wieder grinste er. »Ich habe nicht darum gebeten. Und selbst wenn ich sie hätte haben wollen, hätte ich nicht gefragt. Ich habe eine Freundin.«

Ich ignorierte den enttäuschten Knoten in meinem Bauch – und offensichtlich auch den Filter zwischen meinem Gehirn und meinem Mund. »Dann hör auf, mich so anzusehen.«

Der Anzugträger wirkte belustigt. »Ich habe eine Freundin, aber ich bin nicht blind. Nur weil ich etwas nicht tun kann, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht hinschauen darf.«

Die Aufmerksamkeit dieses Typen versetzte mich keineswegs in freudige Erregung. Ich bin eine starke, unabhängige Frau, mahnte ich mich. Wieder blickte ich aus dem Fenster und stellte erleichtert fest, dass wir bei Queen Street Gardens angelangt waren. Die Dublin Street lag gleich um die Ecke.

»Sie können mich hier rauslassen, danke«, rief ich dem Fahrer zu.

»Wo genau?«, fragte er nach.

»Hier«, wiederholte ich etwas schärfer als beabsichtigt, stieß aber erneut erleichtert den Atem aus, als der Blinker zu ticken begann und das Auto am Straßenrand hielt. Ohne den Anzugträger eines weiteren Blickes oder Wortes zu würdigen, reichte ich dem Fahrer etwas Geld und tastete nach dem Türgriff.

»Warte.«

Ich erstarrte und schielte argwöhnisch über meine Schulter. »Wieso?«

»Hast du auch einen Namen?«

Ich lächelte, froh, ihm und der bizarren Anziehungskraft zwischen uns zu entrinnen. »Ich habe sogar zwei.«

Ich sprang aus dem Taxi, ohne auf den verräterischen Freudenschauer zu achten, der mich überlief, als ich das leise Lachen des Anzugträgers hinter mir hörte.

Sowie die Tür aufschwang und ich Ellie Carmichael zum ersten Mal sah, wusste ich, dass ich sie wahrscheinlich mögen würde. Die große Blondine trug einen trendigen Jumpsuit mit kurzen Hosenbeinen, einen blauen Filzhut, ein Monokel und einen falschen Schnurrbart.

Sie blinzelte mich aus großen hellblauen Augen an.

Belustigt fragte ich: »Komme ich … ungelegen?«

Ellie starrte mich einen Moment lang an, als würde sie meine sehr berechtigte Frage bezüglich ihres Outfits nicht begreifen. Und als ob ihr plötzlich klarwürde, dass sie einen falschen Schnurrbart unter der Nase kleben hatte, deutete sie darauf. »Du bist ein bisschen früh dran. Ich räume gerade auf.«

Sie räumte einen Filzhut, ein Monokel und einen Schnurrbart auf? Ich spähte in die helle, luftige Diele hinter ihr. Ein Fahrrad ohne Vorderrad lehnte an der hinteren Wand, Fotos, eine Sammlung von Postkarten sowie Zettel und Zeitungsausschnitte waren an einer Pinnwand befestigt, die an einem Schrank aus Walnussholz lehnte. Zwei Paar Stiefel und ein Paar schwarze Pumps lagen unter einer Reihe von Kleiderhaken verstreut, die von Jacken und Mänteln überquollen. Der Fußboden bestand aus Hartholz.

Sehr hübsch. Ich wandte mich mit einem breiten Grinsen wieder zu Ellie. Die ganze Situation gefiel mir. »Bist du auf der Flucht vor der Mafia?«

»Wie bitte?«

»Die Verkleidung.«

»Oh.« Sie lachte, trat von der Tür zurück und bedeutete mir, hereinzukommen. »Nein, nein. Ich hatte gestern Abend Freunde da, und wir haben ein bisschen viel getrunken. Und alle meine alten Halloweenkostüme hervorgekramt.«

Ich musste wieder lächeln. Das klang nach viel Spaß. Ich vermisste Rhian und James.

»Du bist Jocelyn, stimmt’s?«

»Ja. Joss«, berichtigte ich sie. Seit dem Tod meiner Eltern war ich nicht mehr Jocelyn gewesen.

»Joss«, wiederholte sie und grinste mich an, als ich die ersten Schritte in das Erdgeschossapartment tat. Es roch gut – frisch und sauber.

Wie das Apartment, aus dem ich auszog, war auch dieses im georgianischen Stil gehalten, nur dass es einst ein komplettes Haus gewesen war, das man in zwei Apartments aufgeteilt hatte. Nebenan lag eine Boutique, zu der die Räume über uns gehörten. Ich wusste nicht, wie diese Räume aussahen, aber die Boutique selbst war sehr hübsch, sie verkauften dort handgefertigte Kleidung, lauter Einzelstücke. Und dann diesesApartment …

Wow.

Die Wände waren so glatt, dass sie erst kürzlich neu verputzt worden sein mussten, und wer auch immer die Renovierung vorgenommen hatte, hatte Wunder vollbracht. Gemäß der Periode, aus der das Haus stammte, gab es hohe Fußleisten, und die mit Stuck versehenen Decken erstreckten sich wie in meinem alten Apartment ins Unendliche. Die Wände waren weiß, aber mit bunten, eklektischen Kunstwerken geschmückt. Eigentlich hätte das Weiß hart wirken müssen, aber der Kontrast zu den dunklen Walnussholztüren und dem Holzfußboden verlieh der Wohnung eine Note zurückhaltender Eleganz.

Ich hatte mich bereits in sie verliebt, und dabei hatte ich die restlichen Räume noch gar nicht gesehen.

Ellie nahm hastig Hut und Schnurrbart ab und wirbelte zu mir herum, um etwas zu sagen, hielt dann aber inne und entfernte mit einem verlegenen Grinsen das Monokel, das sie immer noch trug. Sie legte es auf das Walnuss-Sideboard und strahlte über das ganze Gesicht. Sie schien ein von Natur aus fröhlicher Mensch zu sein. Für gewöhnlich meide ich überschwänglich fröhliche Menschen, aber Ellie hatte etwas an sich … sie war irgendwie bezaubernd.

»Ich zeige dir erst mal alles, ja?«

»Klingt gut.«

Ellie steuerte auf die mir am nächsten gelegene Tür auf der linken Seite zu und stieß sie auf. »Das Bad. Es hat eine ungewöhnliche Lage, ich weiß, direkt neben der Eingangstür, aber es ist alles da, was du brauchst.«

Das kann man wohl sagen, dachte ich, als ich es zögernd betrat.

Meine Flipflops hallten auf den glänzenden cremefarbenen Kacheln wider, mit denen das gesamte Bad gefliest war. Nur die Decke war buttergelb gestrichen, und warme Deckenspots waren darin eingelassen.

Das Bad war riesig.

Während ich mit der Hand über die Badewanne mit den goldenen Klauenfüßen strich, sah ich mich schon darin liegen. Musik, Kerzenschein, ein Glas Rotwein in der Hand, während ich mich im Wasser aalte und jeden anderen Gedanken ausschaltete. Die Wanne stand in der Mitte des Raums. In der rechten hinteren Ecke gab es eine Doppelduschkabine mit dem größten Duschkopf, den ich je gesehen hatte, links eine moderne Glasschüssel mit einer weißen Keramikablage darüber. Das war ein Waschbecken?

Rasch listete ich im Kopf alles auf. Goldene Wasserhähne, riesiger Spiegel, beheizbarer Handtuchhalter …

Im Bad meines alten Apartments hatte es noch nicht einmal einen Handtuchhalter gegeben.

»Wow.« Ich lächelte Ellie über die Schulter hinweg zu. »Das ist umwerfend.«

Ellie, die förmlich auf den Fußballen wippte, nickte. Ihre blauen Augen leuchteten. »Ich weiß. Ich benutze es aber nicht oft, ich habe ein eigenes Bad direkt neben meinem Zimmer. Das ist ein Vorteil für meine zukünftige Mitbewohnerin. Sie hat dieses Bad für sich allein.«

Hmm, dachte ich angesichts der Verlockung dieses Badezimmers. Allmählich begriff ich, wieso die Miete für das Apartment so astronomisch hoch war. Aber wenn man es sich leisten konnte, hier zu wohnen, warum sollte man dann ausziehen?

Als ich Ellie den Flur entlang in das geräumige Wohnzimmer folgte, fragte ich höflich: »Ist deine letzte Mitbewohnerin weggezogen?« Ich ließ es so klingen, als wäre ich nur neugierig, aber in Wahrheit horchte ich Ellie aus. Wenn dieses Apartment so phantastisch war, dann bestand das Problem vielleicht darin, es mit ihr teilen zu müssen. Doch ehe sie antworten konnte, blieb ich abrupt stehen und drehte mich langsam um, um den Raum in allen Einzelheiten in mich aufzunehmen. Wie in allen diesen alten Gebäuden waren die Decken ziemlich hoch und die Fenster hoch und breit, so dass massenhaft Licht von der belebten Straße draußen in das Zimmer fiel. In die gegenüberliegende Wand war ein großer Kamin eingelassen, der eindeutig nur zur Zierde diente und nicht, um darin wirklich Feuer zu machen, aber er ließ den lässig eleganten Raum harmonisch wirken. Gut, er ist für meinen Geschmack ein bisschen zu vollgestopft und unaufgeräumt, dachte ich, während ich die überall verstreuten Bücherstapel und den herumliegenden Krimskrams betrachtete … wie zum Beispiel eine Buzz-Lightyear-Figur.

Das wollte ich lieber gar nicht wissen.

Als ich Ellie verstohlen musterte, begann das Chaos einen Sinn zu ergeben. Ihr blondes Haar war zu einem unordentlichen Knoten geschlungen, ihre Flipflops passten nicht zusammen, und an ihrem Ellbogen klebte ein Preisschild.

»Mitbewohnerin?« Ellie drehte sich um und sah mich an. Ehe ich die Frage wiederholen konnte, verschwand die Furche zwischen ihren hellen Augenbrauen, und sie nickte, als würde ihr etwas dämmern. Gut. Es war keine allzu schwierige Frage gewesen. »Oh nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte keine Mitbewohnerin. Mein Bruder hat das Apartment als Kapitalanlage gekauft und es ganz neu herrichten lassen. Dann wollte er nicht, dass ich während meiner Dissertation mühsam Geld für Miete zusammenkratzen muss, also hat er es mir überlassen.«

Netter Bruder.

Obwohl ich nichts gesagt hatte, musste sie die Reaktion in meinen Augen gelesen haben. Ellie grinste. Ein weicher Ausdruck trat auf ihr Gesicht. »Für Braden muss alles immer eine Nummer größer sein. Ein Geschenk von ihm besteht nie aus einer Kleinigkeit. Und wie hätte ich hierzu nein sagen können? Das Problem ist nur, dass ich hier jetzt seit einem Monat wohne, und für mich ist es zu groß und zu einsam, auch wenn ich übers Wochenende Freunde hier habe. Also sagte ich Braden, ich würde mir eine Mitbewohnerin suchen. Er war von der Idee nicht begeistert, aber ich habe ihn darauf hingewiesen, wie viel Miete er kassieren könnte, und da hat er seine Meinung geändert. Er ist und bleibt eben Geschäftsmann.«

Ich erkannte instinktiv, dass Ellie ihren (offenbar recht gut betuchten) Bruder liebte und die beiden sich sehr nahestanden. Es war in ihren Augen zu lesen, wenn sie von ihm sprach, und ich kannte diesen Blick. Ich hatte ihn im Lauf der Jahre studiert, mich ihm gestellt und einen Schutzschirm gegen den Schmerz aufgebaut, der mich erfasste, wenn ich diese Art von Liebe auf den Gesichtern anderer Menschen sah – anderer Menschen, in deren Leben es noch eine Familie gab.

»Er scheint sehr großzügig zu sein«, erwiderte ich diplomatisch, da ich es nicht gewohnt war, dass mir Leute ihre Gefühle anvertrauten, obwohl wir uns gerade erst kennengelernt hatten.

Ellie schien sich an meiner Antwort, die nicht gerade dazu einlud, mir mehr zu erzählen, nicht zu stören. Sie lächelte weiterhin strahlend und führte mich aus dem Wohnzimmer und den Flur hinunter in eine lange Küche. Sie war ziemlich schmal, öffnete sich aber am Ende zu einem Halbkreis, in dem ein Esstisch und Stühle standen. Die Küche selbst war so kostspielig eingerichtet wie alles andere in diesem Apartment. Alle Elektrogeräte entsprachen dem neuesten Stand der Technik, und in der Mitte der dunklen Holzschränke prangte ein großer, hochmoderner Herd.

»Sehr großzügig«, wiederholte ich.

Ellie quittierte die Bemerkung mit einem Grinsen. »Braden ist zu großzügig. Ich brauche das ganze Zeug gar nicht, aber er hat darauf bestanden. So ist er eben. Nimm zum Beispiel seine Freundin – sie bekommt von ihm alles, was sie will. Ich warte nur darauf, dass er endlich genug von ihr hat wie von allen anderen davor, denn sie ist eine der schlimmsten, mit denen er je zusammen war. Ein Blinder sieht, dass sie mehr an seinem Geld als an ihm interessiert ist. Sogar ihm selbst ist das klar. Aber er sagt, er ist mit dem Arrangement zufrieden. Arrangement? Wer redet denn so?«

Wer redet so viel?

Ich unterdrückte ein Lächeln, als sie mir das Hauptschlafzimmer zeigte. Es war so unordentlich wie Ellie selbst. Sie ließ sich noch eine Weile über die offensichtlich oberflächliche Freundin ihres Bruders aus, und ich fragte mich insgeheim, was dieser Braden wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass seine Schwester sein Privatleben vor einer völlig Fremden ausbreitete.

»Und das hier könnte dein Zimmer werden.«

Wir standen auf der Schwelle eines Raumes im hinteren Teil des Apartments. Hohe Decke, ein großes Erkerfenster mit Sitznische und bodenlangen Jacquardvorhängen, ein prachtvolles französisches Rokokobett, ein Sekretär aus Walnussholz nebst Ledersessel. Hier würde ich schreiben können.

Ich hatte mich verliebt.

»Es ist wunderschön.«

Ich wollte hier wohnen. Zum Teufel mit den Kosten. Zum Teufel mit einer geschwätzigen Mitbewohnerin. Ich hatte mir lange genug nur das Nötigste gegönnt. Ich war allein in einem Land, das ich zu meiner neuen Heimat erkoren hatte. Ich verdiente ein bisschen Komfort.

Und an Ellie würde ich mich gewöhnen. Sie redete viel, war aber freundlich und umgänglich, und sie hatte etwas an sich, das sie mir sofort sympathisch machte.

»Wie wäre es, wenn wir einen Tee trinken und dabei sehen, ob wir miteinander klarkommen?« Ellie strahlte wieder.

Sekunden später saß ich allein im Wohnzimmer, während Ellie in der Küche Tee machte. Mir ging plötzlich auf, dass es nicht darauf ankam, ob ich Ellie mochte. Sie musste mich mögen, wenn sie mir das Zimmer anbieten sollte. Leise Sorge begann an mir zu nagen. Ich war ein ziemlich verschlossener Mensch, Ellie dagegen ein umso offenerer. Vielleicht würde sie mich nicht verstehen.

»Es ist schwierig«, verkündete Ellie, als sie wieder in den Raum kam. Sie trug ein Tablett mit Tee und ein paar Snacks. »Eine Mitbewohnerin zu finden, meine ich. Nur sehr wenige Leute in unserem Alter können sich so eine Wohnung leisten.«

Ich hatte eine Menge Geld geerbt. »Meine Familie ist ziemlich wohlhabend.«

»Oh?« Sie schob mir einen Becher mit heißem Tee und einen Schokoladenmuffin hin.

Ich räusperte mich und schloss meine zitternden Finger um den Becher. Mir war der kalte Schweiß ausgebrochen, und das Blut rauschte mir in den Ohren. So reagierte ich immer, wenn ich kurz davor stand, jemandem die Wahrheit erzählen zu müssen. Meine Eltern und meine kleine Schwester sind bei einem Autounfall umgekommen, als ich vierzehn war. Außer ihnen hatte ich nur noch einen Onkel, der in Australien lebt. Er wollte mich nicht aufnehmen, also kam ich zu Pflegeeltern. Meine Eltern hatten einen Haufen Geld. Der Großvater meines Dads war ein Ölmulti aus Louisiana, und mein Vater ist mit seinem eigenen Erbe sehr vorsichtig umgegangen. Alles ging an mich, als ich achtzehn wurde. Mein Herzschlag beruhigte sich, und das Zittern ließ nach, als ich mir sagte, dass Ellie meine traurige Geschichte nicht unbedingt erfahren musste. »Meine Familie stammt von Dads Seite her ursprünglich aus Louisiana. Mein Urgroßvater hat sein Geld mit Öl verdient.«

»Das ist ja interessant.« Es klang aufrichtig. »Ist deine Familie aus Louisiana weggezogen?«

»Nach Virginia«, nickte ich. »Aber meine Mum wurde in Schottland geboren.«

»Dann bist du Halbschottin. Cool.« Sie bedachte mich mit einem verschwörerischen Lächeln. »Ich bin auch nur Halbschottin. Meine Mum ist Französin. Ihre Familie zog nach St. Andrews, als sie fünf war. Schockierenderweise spreche ich noch nicht einmal Französisch.« Ellie lachte und wartete auf einen Kommentar meinerseits.

»Spricht dein Bruder Französisch?«

»Oh nein.« Ellie winkte ab. »Braden und ich sind Halbgeschwister. Wir haben denselben Vater. Unsere Mütter leben beide noch, aber unser Dad ist vor fünf Jahren gestorben. Er war ein sehr bekannter Geschäftsmann. Hast du schon einmal von Douglas Carmichael & Co. gehört? Es ist eines der ältesten Immobilienmaklerbüros hier in der Gegend. Dad hat es von seinem Dad übernommen, als er noch ganz jung war, und eine Grundstückserschließungsfirma gegründet. Er besaß auch ein paar Restaurants und einige der Souvenirläden hier. Es ist ein richtiges Miniimperium. Seitdem er tot ist, führt Braden es weiter. Jetzt ist er es, den alle hier belagern – jeder versucht, ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Und da alle wissen, wie nah wir uns stehen, haben sie auch versucht, mich für ihre Zwecke zu benutzen.« Ihr hübscher Mund verzog sich bitter, ein Ausdruck, der ihrem Gesicht sonst fremd zu sein schien.

»Das tut mir leid.« Ich meinte es ehrlich; ich wusste, wie das war. Es war einer der Gründe, weswegen ich beschlossen hatte, Virginia den Rücken zuzukehren und in Schottland einen Neuanfang zu wagen.

Als würde sie meine Aufrichtigkeit spüren, entspannte sich Ellie. Ich würde zwar nie verstehen, wie jemand einer Freundin solche Dinge anvertrauen konnte, von einer Fremden ganz zu schweigen, aber diesmal jagte mir Ellies Offenheit keine Angst ein. Gut, es mochte dazu führen, dass sie von mir ähnliche Bekenntnisse erwartete, aber sowie sie mich besser kannte, würde sie sicherlich begreifen, dass sie keine zu hören bekommen würde.

Zu meiner Überraschung war zwischen uns ein äußerst angenehmes Schweigen eingetreten. Als wäre ihr das gerade auch aufgefallen, lächelte Ellie mich an. »Was machst du denn hier in Edinburgh?«

»Ich lebe jetzt hier. Doppelte Staatsbürgerschaft. Ich fühle mich hier mehr zu Hause als in Amerika.«

Die Antwort gefiel ihr.

»Bist du Studentin?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe gerade meinen Abschluss gemacht. Donnerstags und freitags arbeite ich abends im Club 39 in der George Street. Aber momentan versuche ich, mich hauptsächlich auf die Schriftstellerei zu konzentrieren.«

Ellie schien von diesem Geständnis begeistert. »Super! Ich wollte immer schon mit einer Schriftstellerin befreundet sein. Und ich finde es mutig, dass du das durchziehst, was du wirklich willst. Mein Bruder hält mein Studium für Zeitverschwendung, er hätte lieber, dass ich für ihn arbeite, aber ich finde es toll. Ich gebe auch Kurse an der Uni. Es … nun, ich bin glücklich dabei. Und ich gehöre zu den grässlichen Leuten, die es sich leisten können, das zu tun, was ihnen Spaß macht, auch wenn nicht viel dabei herumkommt.« Sie schnitt eine Grimasse. »Das klingt schrecklich, nicht wahr?«

Ich gehörte nicht zu den Leuten, die sich anmaßten, über andere zu urteilen. »Es ist dein Leben, Ellie. Du hast in finanzieller Hinsicht Glück gehabt. Das macht dich noch lange nicht zu einem schrecklichen Menschen.« In der Highschool hatte ich eine Therapeutin gehabt. Ich konnte ihre näselnde Stimme noch hören: Warum kannst du nicht denselben Gedankengang auf dich anwenden, Joss? Dein Erbe anzunehmen macht dich nicht zu einem schlechten Menschen. Deine Eltern haben nur das Beste für dich gewollt.

Im Alter von vierzehn bis achtzehn Jahren hatte ich in meiner Heimatstadt in Virginia bei zwei Pflegefamilien gelebt. Keine von beiden hatte viel Geld gehabt, und ich, die in einem großen, komfortablen Haus gewohnt hatte und an gutes Essen und teure Kleider gewöhnt gewesen war, hatte mich auf einmal hauptsächlich von Spaghetti ernähren und meine Klamotten mit einer jüngeren ›Pflegeschwester‹ teilen müssen, die dieselbe Größe gehabt hatte wie ich. Als mein achtzehnter Geburtstag näher gerückt war und jeder gewusst hatte, dass ich ein kleines Vermögen erben würde, war ich sowohl von einer Anzahl von Geschäftsleuten aus unserer Stadt bedrängt worden, die gute Investitionsanlagen suchten und das, was sie für ein naives Kind hielten, ausnutzen wollten, als auch von einem Klassenkameraden, der mich zu überreden versucht hatte, Geld in seine Website zu stecken. Ich glaube, der Umstand, dass ich während meiner prägenden Jahre wie ›die andere Hälfte der Menschheit‹ gelebt hatte und dann von unechten Freunden belästigt worden war, deren Interesse mehr meinem Vermögen als meiner Person gegolten hatte, waren zwei der Gründe dafür, dass ich stets zögerte, mein Erbe anzurühren.

Hier mit Ellie zu sitzen, die sich in einer vergleichbaren finanziellen Situation befand und ebenfalls mit Schuldgefühlen zu kämpfen hatte (wenn auch mit anders gearteten), bewirkte, dass ich mich ihr auf unerwartete Weise verbunden fühlte.

»Das Zimmer gehört dir«, verkündete Ellie plötzlich.

Die Art, wie sie damit herausplatzte, entlockte mir ein Lachen. »Einfach so?«

Mit einem Mal ernst geworden, nickte sie. »Ich habe ein gutes Gefühl bei dir.«

Ich habe bei dir auch ein gutes Gefühl. Ich lächelte ihr erleichtert zu. »Dann kann ich es kaum erwarten, einzuziehen.«

Kapitel 2

Eine Woche später zog ich in das Luxusapartment in der Dublin Street.

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