Dünenrauschen - Evelyn Kühne - E-Book
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Dünenrauschen E-Book

Evelyn Kühne

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Beschreibung

Wellen, Strand und Neuanfang Tina ist Mitte vierzig und führt gemeinsam mit ihrem Mann eine Ferienwohnungsvermietung in Prerow an der Ostsee. Eigentlich war das schon immer ihr Traum, doch irgendwie sehnt sie sich nach einer Veränderung. Zum Glück kann sie sich auf ihre Freundin Marion verlassen, die im Nachbarort Zingst ein Schmuckgeschäft für Bernsteinarbeiten betreibt. Obwohl die zwanzig Jahre älter ist, bringt sie immer wieder Schwung in Tinas Leben. Als Marion plötzlich verstirbt und ihr den Bernsteinladen überlässt, ist Tina untröstlich. Sie denkt darüber nach, den Laden zu übernehmen, obwohl ihr Mann strikt dagegen ist. Aber da ist auch noch Daniel, den sie bei einem Fahrradunfall kennengelernt hat und der ihr seither Mut macht. Doch ist Tina schon bereit, für einen Neuanfang über ihren eigenen Schatten zu springen? Meinungen zum Buch: Dünenrauschen ist ein rundum gelungenes Wohlfühlbuch, dass den Leser neben einer gefühlvollen Geschichte eine wunderbare Auszeit vom Alltag gibt. Absolute Leseempfehlung! (Rezensentin auf NetGalley) Emotionaler Neubeginn mit viel Ostseefeeling. Der Roman ist mit vielen liebevollen Details ausgestattet, versprüht den Zauber der Ostsee und sorgt so für Wellenglitzern - ein MUSS für Liebhaber von Küstenromanen mit nachhaltigen Botschaften. (Rezensentin auf NetGalley) Dünenrauschen ist ein toller Ostseeroman, in dem so viel Leben steckt. Hinzu kommen ein paar überraschende Wendungen, kombiniert mit kleinen Krimielementen, so dass die Spannung kaum abbricht. Ich kann den Roman uneingeschränkt weiterempfehlen und vergebe fünf Sterne. (Rezensentin auf NetGalley) Von Evelyn Kühne sind bei Forever by Ullstein erschienen: Neuanfang auf Italienisch Dünengeflüster - Ein Ostseeroman Dünenzauber - Ein Ostseeroman Dünenrauschen - Ein Ostseeroman Inselküsse - Ein Ostseeroman

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Seitenzahl: 520

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Dünenrauschen

Die Autorin

Evelyn Kühne wurde 1970 in Radebeul geboren. Schon immer galt ihre ganze Leidenschaft den Büchern. Beruflich ging sie jedoch erst einmal andere Wege und arbeitete unter anderem als Verkäuferin. Viele Jahre später, nachdem sie eine Krebserkrankung überstanden hatte, traute sie sich erstmals mit ihren eigenen Geschichten an die Öffentlichkeit. Für sie war das Schreiben auch ein Stück Krankheitsbewältigung. Seitdem veröffentlichte sie mehrere Romane sowie das Kinderbuch "Die kühne Marie", welches sie zugunsten krebskranker Kinder schrieb. Sie lebt heute mit Mann und Tieren in der Nähe von Meißen und schreibt am liebsten Krimis und Liebesromane über starke Frauen.

Das Buch

Wellen, Strand und Neuanfang

Tina ist Mitte vierzig und führt gemeinsam mit ihrem Mann eine Ferienwohnungsvermietung in Prerow an der Ostsee. Eigentlich war das schon immer ihr Traum, doch irgendwie sehnt sie sich nach einer Veränderung. Zum Glück kann sie sich auf ihre Freundin Marion verlassen, die im Nachbarort Zingst ein Schmuckgeschäft für Bernsteinarbeiten betreibt. Obwohl die zwanzig Jahre älter ist, bringt sie immer wieder Schwung in Tinas Leben. Als Marion plötzlich verstirbt und ihr den Bernsteinladen überlässt, ist Tina untröstlich. Sie denkt darüber nach, den Laden zu übernehmen, obwohl ihr Mann strikt dagegen ist. Aber da ist auch noch Daniel, den sie bei einem Fahrradunfall kennengelernt hat und der ihr seither Mut macht. Doch ist Tina schon bereit, für einen Neuanfang über ihren eigenen Schatten zu springen?

Von Evelyn Kühne sind bei Forever by Ullstein erschienen:Neuanfang auf ItalienischDünengeflüster - Ein OstseeromanDünenzauber - Ein Ostseeroman

Evelyn Kühne

Dünenrauschen

Ein Ostseeroman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinFebruar 2019 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-375-9

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

Epilog

Nachwort

Leseprobe: Dünengeflüster

Empfehlungen

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Cover

Titelseite

Inhalt

1. Kapitel

1. Kapitel

Das Telefon schrillte laut durch das stille Haus. Tina, die gerade im Obergeschoss auf einem Bein herumhüpfte und versuchte in ihre knallengen Radfahrleggins zu kommen, zuckte heftig zusammen. Die Hose war verdammt schwer anzuziehen. Dafür konnte es nur zwei Erklärungen geben: Das Teil war beim Waschen eingelaufen, oder sie hatte zugenommen. Tina hoffte auf Ersteres.

Das Telefon klingelte zweimal, dreimal. Verdammt, wo steckte nur wieder ihr Mann Peter?

In diesem Moment ertönten von unten das Klappen einer Tür und seine Stimme. »Tina, hörst du nicht das Klingeln?«

»Geh du mal bitte ran, ich kann jetzt nicht«, rief sie ächzend und quetschte ein Hosenbein über ihren Oberschenkel.

Peter stöhnte lautstark auf. »Zimmervermittlung Ostseetraum«, hörte sie ihn sich melden. Danach herrschte Schweigen – Papiere raschelten, die Computertastatur klapperte.

Endlich hatte sie die Hose an. Tina streifte noch ihr Shirt über, schnappte sich die Turnschuhe aus dem Regal, eilte mit hochrotem Kopf die knarrende Holztreppe nach unten und bog scharf links ab.

Peter saß am Empfangstresen ihrer Zimmervermittlung und ließ einen nicht enden wollenden Redeschwall über sich ergehen. Das Büro ihrer Vermittlung war im ehemaligen Wohnzimmer des Hauses untergebracht. Neben dem großen Brett, an dem alle Wohnungsschlüssel hingen, gab es einige Aktenschränke und ein Regal mit diversen Broschüren für die Urlauber. Tina hatte den Raum in Blau und Weiß gestaltet und signalisierte allen Ankommenden ein herzliches Willkommen am Meer und besonders auf dem schönen Darß. Wegen dieses Büros hatte Tina vor einigen Jahren schweren Herzens auf ihr großes Wohnzimmer verzichtet. Einen zusätzlichen Raum anzumieten, hatten sie sich damals nicht leisten können, denn sie hatten mit ihrem Unternehmen erst am Anfang gestanden. Jeder Cent zählte, und alle unnötigen Kosten mussten vermieden werden. Also wurden die alten Möbel ihrer Großeltern entsorgt, bis auf einen alten Schrank, der die Diele schmückte. Sie fanden in dem kleinen Raum, der nun als Stube diente, einfach keinen Platz. Wehmütig hatte Tina zugesehen, wie alles abgeholt wurde, denn sie hatte doch sehr an den Schätzen ihrer Vorfahren gehangen. Mittlerweile hatten sich jedoch alle an die neuen Umstände gewöhnt, besonders daran, dass gerade im Sommer ständig Menschen bei ihnen ein und aus gingen.

Dafür gab es im Erdgeschoss nun eine kleine gemütliche Stube mit Blick in den Garten und eine große Wohnküche, die Tinas ganzer Stolz war. In den oberen Räumen lagen das Schlafzimmer und die beiden ehemaligen Kinderzimmer ihrer Töchter.

Missmutig schaute Peter sie an, hielt den Hörer auf Abstand und verdrehte die Augen. Er hasste es zu telefonieren, aber manchmal ließ es sich einfach nicht vermeiden. »Moment, ich gebe Ihnen mal meine Frau. Die hat den besseren Überblick.« Er wedelte mit dem Hörer und reichte diesen an sie weiter.

»Ja, hier ist Tina Barge«, meldete sie sich und vermied es, ihren Mann anzusehen. Peter umrundete den Tresen, stützte sich darauf ab und ließ seine Blicke fragend über ihr sportliches Outfit wandern.

Ausgerechnet jetzt ein Anruf, das hatte ihr gerade noch gefehlt. Und das, obwohl sie schon knapp dran war und bestimmt wieder einmal zu spät kommen würde. Resigniert betrachtete Tina die vor sich hin tickende Wanduhr.

Vor über zwanzig Jahren hatten Peter und sie zusammen ihre Zimmervermittlung in Prerow gegründet. Es war anfangs nicht leicht gewesen, die Konkurrenz war stark. Vermittlungen schossen damals wie Pilze aus dem Boden. Alle witterten das große Geschäft und machten sich gegenseitig das Leben schwer. Doch Tina und Peter setzten sich durch. Vielleicht auch deswegen, weil sie beide aus dem Ort stammten und schon immer hier gelebt hatten. Die Leute vertrauten ihnen und schienen mit ihrer geleisteten Arbeit zufrieden zu sein.

Mittlerweile betreuten sie über fünfzig Ferienobjekte und hatten damit gut zu tun. Besonders jetzt, in der Saison, rollte der Rubel, und die Arbeit hörte nicht auf. Ferienobjekte waren knapp, und vielen Anrufern mussten sie leider absagen.

Eigentlich waren sie ein eingespieltes Team. Tina kümmerte sich um den Bürokram und half ihren zwei Angestellten dabei, die Wohnungen fertig zu machen. Peter war für die groben Arbeiten zuständig. Er reparierte, mähte Rasen oder schippte Schnee. Außerdem unternahm er manchmal mit den männlichen Gästen Angeltouren auf dem Bodden, die immer sehr gut ankamen. Dann wurden Männergespräche geführt, oder man schwieg gemeinsam und starrte still aufs Wasser.

Nur einmal im Monat war alles anders. Da hatte Tina ihren freien Tag. Diesen ganz besonderen Montag hatte sie sich vor zwei Jahren mühevoll und von heftigen Diskussionen begleitet erkämpft. Sie brauchte einfach einen Tag nur für sich, an dem sie machen konnte, was sie wollte. Trotzdem war sie immer wieder versucht, ihren Tag zu verschieben, weil meistens etwas Unerwartetes dazwischenkam. Da waren Feriengäste, die an diesem Tag anreisten, Bürokram, der sich stapelte, oder irgendwelche anderen unvorhersehbaren Dinge.

Doch zum Glück gab es Marion, ihre beste Freundin. Eigentlich war sie die beste Freundin ihrer Mutter gewesen. Aber seit diese zusammen mit ihrem Mann nach Bayern gezogen war, hatten Marion und Tina Freundschaft geschlossen und verstanden sich mittlerweile prächtig. Der Altersunterschied von zwanzig Jahren störte sie kein bisschen. Denn Marion war jung geblieben und manchmal besser drauf als Tina.

Heute Morgen hatten sie bereits miteinander telefoniert. Ihre Freundin hatte sie noch einmal an das heutige Treffen erinnert und sie beschworen, ja nicht einzuknicken. »Du hast letzten Monat schon abgesagt. Und einen Tag wird Peter ja wohl mal ohne dich auskommen. Tina, du musst dich einfach durchsetzen und auf den Tisch hauen. Jeden Tag nur Wohnungen, Gäste, Schlüssel – ich frag mich, wo du da eigentlich bleibst?«

Tina hatte nur geseufzt und die Augen verdreht, versprach aber schließlich zu kommen. Es war ja nicht so, dass Peter etwas gegen diesen Tag hatte, er mochte es nur nicht, wenn er sich um das Büro und speziell irgendwelche Buchungsanfragen kümmern musste. Und das Telefon stand einfach nicht still. Gefühlt jeder schien ans Meer reisen zu wollen, und das fiel den Menschen erst im allerletzten Moment ein.

Nun stand sie also hier und musste sich den Redeschwall einer zickigen Dame anhören, die ab Mitte Juli noch zwei Ferienwohnungen suchte. Leider waren alle ihre Objekte bereits belegt, und das schon seit Wochen. Aber die Frau schien das nicht akzeptieren zu wollen.

»Da muss man doch etwas machen können. Es gibt ja unendlich viele Häuser bei Ihnen. Schauen Sie doch noch einmal genau nach!«

Das brauchte sie nicht, denn Tina hatte es in den letzten Tagen unzählige Male getan. Ihr Reservierungsbuch platzte aus allen Nähten, und nicht mal mehr ein kleines Zimmerchen war zu bekommen. »Tut mir leid, wir sind voll belegt. Es ist Hauptsaison, und Ihr Anruf kommt ein wenig kurzfristig, wenn ich das mal so sagen darf. Da kann man wirklich nichts machen. Versuchen Sie es doch bei einer anderen Zimmervermittlung, oder weichen Sie auf einen der Nachbarorte aus«, bot Tina hilfsbereit an und tippte ungeduldig mit ihrem Finger auf den Schreibtisch.

Da ertönte ein Tuten, die Anruferin hatte offenbar wütend aufgelegt. »Da kann man nichts machen«, quetschte Tina heraus, hastete um den Tisch und ergriff ihren gepackten Rucksack.

Peter musterte sie immer noch mit nachdenklichem Blick. »Hab ich was verpasst, willst du etwa in diesem Outfit die Wohnungen putzen?«

Tina stöhnte innerlich, versuchte sich aber äußerlich nichts anmerken zu lassen. »Heute ist mein freier Tag, mein Montag. Das habe ich dir doch gestern beim Abendbrot noch einmal gesagt«, erklärte sie mit möglichst ruhiger Stimme. Manchmal machte Peter sie wahnsinnig. Nie hörte er ihr zu, und in letzter Zeit wurde es irgendwie schlimmer. Er schaute einfach in den Fernseher oder vergrub sich hinter seiner Zeitung.

Dementsprechend überrascht sah er sie an und warf einen knappen Blick Richtung Kalender, an dem unübersehbar ein dickes rotes Kreuz den heutigen Tag markierte. »Stimmt, heute ist der Montag.« Ihr Mann nagte an seiner Unterlippe und zog die Stirn in Falten.

»Warum schaust du denn so? Ist irgendwas?«

»Nein, nein, schon gut«, sagte Peter gedehnt und zuckte mit den Schultern. »Und die Wohnungen, wer kümmert sich darum?«

»Ist alles organisiert. Karin und Barbara schaffen die heutigen Abreisen locker, es sind nicht viele.« Tina ergriff das Diensthandy und legte es provokativ auf den Tresen. »Und hier ist das Telefon. Ich weiß nicht genau, wann ich wiederkomme. Marion und ich wollen an den Strand.«

Peters Miene wurde finsterer. Er musterte das Handy, als wären Spuren von Gift daran. »Kannst du das Telefon nicht mitnehmen? Du weißt doch, dass ich es hasse, wenn ich mich um den Bürokram kümmern muss«, klagte er mit leidender Stimme. »Und außerdem wollte ich heute Rasenmähen, da höre ich das Bimmeln eh nicht.«

»Ja, das weiß ich alles.« Tina stellte den Rucksack noch einmal ab und legte ihrem Mann die Hand auf den Arm. »Und weil ich das weiß, habe ich nur einen einzigen freien Tag im Monat, während du öfter mal angeln gehst oder dich mit deinen Kumpels triffst. Den Rasen kannst du auch morgen mähen, so hoch ist er noch nicht. Außerdem kann ich schlecht das Reservierungsbuch mitschleppen. Komm schon, Peter, es ist nur ein Tag, nur ein paar Stunden. Wir haben in den nächsten Wochen eh nichts mehr frei, und alles andere habe ich dir aufgeschrieben.« Dennoch meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Wie ein dicker, fetter Klumpen saß es in ihrem Magen. Augenblicklich fielen ihr Marions mahnende Worte von heute Morgen ein. Jetzt nur nicht nachgeben, sagte sie sich wie ein inneres Mantra.

Ihr Mann nickte schließlich ergeben und steckte seufzend das Handy in die Tasche. »Na dann, viel Spaß«, murmelte er kaum hörbar. Tina drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Ehe weitere Diskussionen aufkamen, drehte sie sich um und ließ die Haustür hinter sich ins Schloss fallen.

Sie holte ihr Fahrrad aus dem Schuppen, befestigte den Rucksack mit dem Picknick und ihren Badesachen auf dem Gepäckträger und fuhr los. Tina radelte bis zur Hauptstraße und schwenkte dann auf die gepflasterte Zufahrt zur Seebrücke ein. Am Deichweg angekommen, bog sie rechts ab, ließ die Rückseite der großen, modernen Kurklinik seitlich liegen und passierte die hohen Dünen mit ihren rauschenden Kiefern. Endlich erreichte sie den grasbewachsenen Deich, der nur durch eine schmale Küstenbepflanzung vom Wasser getrennt, unmittelbar am Meer entlang nach Zingst führte. Auf dem glatten Belag des Weges fuhr es sich hervorragend, und Tina gab Gas. Ihre Beine traten fest in die Pedale, und sie strampelte sich den Frust über das eben mit ihrem Mann geführte Gespräch von der Seele. Schon nach kurzer Zeit merkte sie, wie der Ärger hinter ihr zurückblieb. Eigentlich war ja nichts weiter passiert, doch diese immer wieder auftretenden Diskussionen nervten Tina mehr, als sie zugeben wollte.

Die Bewegung tat gut, und sie merkte, wie sich ihr Atem beschleunigte. Um dem Wind ein wenig auszuweichen, beugte sie sich ein Stück tiefer über ihren Lenker. Zeit ihres Lebens hatte sie das Gefühl, dass ihr der Wind immer entgegenschlug, egal wohin sie auf dem Darß unterwegs war. Radelte man wenig später in die entgegengesetzte Richtung, kam das Lüftchen genau von der anderen Seite, und der hilfreiche Rückenwind blieb einem erneut verwehrt. Die morgendlich kühle Luft strich angenehm über Tinas Gesicht. Das würde sich bald ändern, denn auch für heute war ein weiterer heißer Tag angekündigt. In diesem Jahr überschlugen sich die Temperaturrekorde schon seit Mai. Nur im Schatten oder im Wasser ließ es sich gut aushalten.

Das Wetter erinnerte sie an die Sommer ihrer Kindheit und Jugend. Acht Wochen Ferien, in denen sie jeden Tag am Strand waren. Fast täglich schien die Sonne, Regen hatte es kaum gegeben, oder sie erinnerte sich einfach nicht mehr daran. Tinas Haut färbte sich damals dunkelbraun, aber erst nachdem sie einen heftigen Sonnenbrand hinter sich gebracht hatte. Der bescherte ihr ein paar schlaflose Nächte, in denen sie ihre Haut mit Panthenolspray kühlte und sich heftige Vorwürfe ihrer Mutter anhören musste. Doch dann wurde sie karamellbraun, nur die Sommersprossen in ihrem Gesicht blieben. Die rötlichen Haare schimmerten, als die Schule wieder losging, fast blond und ergaben einen zauberhaften Kontrast zu ihren grünen Augen. Sie waren damals eine ganze Truppe, Mädchen und Jungen, alle aus Prerow oder den umliegenden Orten gewesen. Jeden Tag traf man sich, und es stand ein neues Abenteuer an. Es wurde gebadet, in den Dünen herumgestromert, Löcher mit Quallen gefüllt, in die ahnungslose Strandwanderer hineintraten, oder einfach nur mit sandgezuckerter Haut am Strand gelegen und in den Himmel geschaut. Dann, im Teenageralter, schlich Tina sich zu später Stunde aus ihrem Kinderzimmerfenster davon. Bestimmt bemerkten ihre Eltern das, sagten aber nie ein Wort zu ihr. Einer der Jungen brachte eine Gitarre mit. Sie entzündeten am Strand ein Lagerfeuer und saßen dort bis tief in die Nacht. Billige Rotweinflaschen machten die Runde, es gab Wodka-Cola, und erste Küsse wurden ausgetauscht. Pärchen fanden sich, schworen sich die ewige Liebe und verloren sich dann wieder. Und erst als sie ihre Ausbildungen begannen und in alle Richtungen verstreut wurden, endete diese herrliche Zeit. Über diesen Tagen lag ein ganz besonderer Zauber, von Unbeschwertheit und Sorglosigkeit. Tina wünschte sich ihre Jugend oft noch einmal herbei, doch die Uhren ließen sich nun einmal nicht zurückdrehen.

Umso schöner würde dieser heutige Tag am Meer werden. Ein paar Stunden ohne Arbeit, einfach mal die Seele baumeln lassen, das war genau das, was sie momentan brauchte – einfach ein Tag ganz für sich allein. Tina atmete tief ein, sie sog die morgendliche Luft in ihre Lungen und bewunderte die traumhafte Gegend um sich herum. Da waren auf der einen Seite die sanft rauschenden Bäume, hinter denen das Meer lag, und auf der anderen Seite – jenseits der Straße – der Bodden, umgeben von saftig grünen Wiesen. Die Morgensonne schimmerte auf dem Wasser, und kleine Wellen kräuselten sich auf der Oberfläche. Die Stille war herrlich und wurde nur gelegentlich von einem vorbeifahrenden Auto unterbrochen. So früh am Morgen war die Welt noch in Ordnung.

Der Deichweg war relativ leer. Nur vereinzelte Radler kamen ihr entgegen. Einige kannte sie sogar, Leute die auf dem Weg zu ihrer Arbeit in Prerow waren und lieber mit dem Fahrrad fuhren, als sich mühevoll einen Parkplatz zu suchen. Doch je näher Tina Zingst kam, umso mehr Spaziergänger und Wanderer waren unterwegs. Die riesigen Parkplätze am Straßenrand füllten sich allmählich mit Autos, und erste Gäste strebten mit riesigen Badetaschen bewaffnet an den Strand.

Dann war Zingst endlich erreicht. Seine schneeweißen Häuser fädelten sich wie auf einer Perlenschnur entlang des Schutzdeiches auf. Prächtige Villen, die nur noch von den Hotels am Hauptplatz getoppt wurden. Die oberen Etagen hatten Seeblick, hier ließ es sich bestimmt hervorragend Urlaub machen, sozusagen exklusiv in erster Reihe. Die Preise dafür stiegen jedes Jahr an, und dennoch waren die Häuser ausgebucht.

Sie radelte bis zur Seebrücke und bog dann rechts in den Ort ab. Am Zugang zur Fußgängerzone stieg Tina brav ab und schob ihr Fahrrad die letzten Meter bis zu Marions Laden über das holprige Pflaster. Bunte Kleidung wehte vor anderen Geschäften im Wind, die ersten Verkäuferinnen räumten ihre Warenständer nach draußen. Da gab es die unvermeidbaren kitschigen Souvenirs, Sandspielzeug und Sonnencreme in allen Stärken. Die Kellnerinnen wischten die Tische der Restaurants ab und belegten die Stühle mit weichen Polstern. Einige bekannte Gesichter riefen Tina einen Gruß zu oder winkten einfach.

Und dann war sie da, an »Marions Bernsteintruhe«, dem Geschäft ihrer Freundin. Es war ein kleiner Laden, den ein flüchtiger Besucher vielleicht sogar übersehen hätte. Die beiden Schaufenster waren schmal und boten nicht allzu viel Ausstellungsfläche. Aber die Miete war bezahlbar, und das war die Hauptsache. Zum Glück durfte ihre Freundin den Gehweg vor dem Geschäft nutzen und hatte dort einen Schaukasten mit einigen ihrer Kunstwerke aufgestellt. Und Marion hatte ihre Stammkunden, die bei jedem Zingstbesuch wieder vorbeikamen. Denn sie verfügte über ein ganz besonderes Auge für das Gold des Meeres. Sie komponierte den Bernstein, wie es keine Zweite konnte, und erfasste seine Seele. Tina hatte früher so manches Mal mitgeholfen, sie liebte diese Arbeit über alles. Vor einigen Jahren hatte sie sich spontan einmal selbst an der Schmuckherstellung versucht, und Marion war über die Resultate erstaunt gewesen. Sogar Kurse für Gäste hatte Tina gegeben, und das recht erfolgreich. Doch die Zeit, die ihr dafür blieb, war einfach immer weniger geworden, und am Ende gab sie dieses Hobby fast vollständig auf.

Die kleine Glocke an der Eingangstür bimmelte harmonisch und kündete sie an. Wie eigentlich fast immer saß Marion an ihrem Arbeitsplatz in unmittelbarer Nähe des Schaufensters und fädelte Perlen auf Schnüre. Ihre schmale pinke Brille hockte auf der Nasenspitze und schien jeden Moment nach vorn zu fallen. Mit sicherer Hand griff sie in die einzelnen Fächer und holte die perfekt passende Perle heraus. Jedes Mal aufs Neue war Tina darüber erstaunt, in welch verschiedenen Farbtönen Bernstein funkelte.

Da gab es Steine, die fast schon farblos wirkten. Die meisten schimmerten honiggelb, und einige sahen wie dunkles Mahagoni aus. Auf einem großen Tableau hatte Marion ihre Schätze ausgebreitet, und sie ergaben ein einzigartiges Farbspiel. Es entstanden ganz besondere Kunstwerke, die so typisch für die Ostsee waren. Auch wenn die allermeisten der Steine nicht hier aus Zingst stammten, sondern aus Polen oder von noch weiter ostwärts kamen.

Ohne ein Wort zu sagen, schaute Marion sie über ihren Brillenrand an. Anschließend wanderte ihr Blick zur Wanduhr. Vielsagend musterte sie die Zeiger.

»Ja, ich weiß, ich bin zu spät, aber nur ein bisschen. Und ich bin da, immerhin.« Tina schüttelte verstohlen ihre Beine aus. Sie war schneller gefahren, als es ihre Fitness normalerweise zuließ, und nun brannten ihre Waden.

»Das allein ist schon ein Wunder, wenn ich so an letzten Monat denke.« Marion schmunzelte, verdrehte mit einer zierlichen Zange das Ende des Drahtes und bastelte in Sekundenschnelle den Kettenverschluss daran. Ein weiteres Schmuckstück war fertig. Dann erhob sie sich und drückte Tina liebevoll an sich. »Ich freue mich, dass du da bist. Und ich freue mich auf unseren Tag. Ich muss dringend mal raus. Endlich mal an den Strand, das Meer ansehen, nach Bernsteinen jagen und die Füße ins Wasser halten. Die letzten Tage war der Teufel los.« Marion holte tief Luft und sah sehnsuchtsvoll nach draußen.

Eigentlich war jetzt keine Bernsteinsaison. Die beste Zeit war immer Anfang des Jahres, wenn die Winterstürme tobten und den Meeresgrund aufwühlten. Dann wurde das goldene Gestein an den Strand gespült, und geübte Strandwanderer konnten den einen oder anderen unerwarteten Fund machen. Doch in der vergangenen Woche hatte es einen kleinen Sturm gegeben, und deswegen wollten die beiden Freundinnen ihr Glück versuchen. Sie wussten, wo sie nach dem Gold des Meeres suchen mussten und vor allem wie. Und wenn sie nichts fanden, hatten sie wenigstens einen schönen Tag zusammen verbracht. Das allein zählte.

Schon immer hatte der Bernstein Marion fasziniert. Wie sie Tina einmal erzählt hatte, hatte sie als kleines Mädchen fast jeden Abend den Erzählungen ihrer Großmutter gelauscht. Laut denen saß die allerschönste Tochter des Meeresgottes auf dem Grund des Ozeans, dort, wo er am allertiefsten war, in einem riesigen Palast und vergoss bittere Tränen, weil sie die Liebe ihres Lebens nicht heiraten konnte. Denn ihr Herzallerliebster und die Familie des Meeresgottes waren seit vielen Jahren erbitterte Feinde. Die verzweifelte Schöne tobte und schrie so lange, bis ihr Vater sie in ihrem Zimmer einschloss. Dort musste sie bleiben, weinte ihrem verlorenen Glück hinterher, und all ihre Tränen wurden zu Bernstein. Diese sammelte ihre Amme in großen Truhen. Nur einmal im Jahr durfte die Prinzessin ihr Zimmer verlassen, immer in den Wintermonaten. Sie tanzte dann mit ihrem blau schimmernden Kleid wie eine Wahnsinnige über den Meeresgrund, beschwor Stürme herauf und versenkte Schiffe. Sie stürzte Menschen ins Unglück, denn da sie selbst so traurig war, sollte es auch an Land kein Glück geben. Und immer während dieser Winterstürme wurden ihre Tränen ans Ufer gespült und bedeckten den ganzen Strand – so viele waren es. Dann verschwand die traurige Prinzessin wieder in ihrem Gemach, und das Spiel begann von vorn und würde, solange sie lebte, nicht enden.

Es war eine zu Herzen gehende Geschichte gewesen, doch die kleine Marion hatte sie wieder und wieder hören wollen und nicht genug davon bekommen können.

Stundenlang spazierte sie als Kind am Strand entlang und suchte bei jedem Wetter nach an den Strand gespülten Steinen. Oftmals kam sie im Winter vollkommen blau gefroren nach Hause. Dort setzte es dann ein Donnerwetter, weil Marion wieder einmal die Hausaufgaben vergessen hatte. Der Bernstein ging einfach immer vor, besonders im Winter, wo man ihn am leichtesten fand.

Eines Tages verkündete sie dann ihren Eltern, später einmal Schmuck aus Bernstein herstellen und verkaufen zu wollen. Doch diese nahmen das nicht ernst. So schickte das Leben Marion erst einmal in eine andere Richtung. Sie lernte Friseuse, zauberte unzähligen Damen die Haare auf dem Kopf zu schönen Frisuren. Erst als die DDR zusammenbrach und ihr Salon schließen musste, wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit. Und wie sie immer wieder betonte, hatte sie es bis jetzt nicht eine Sekunde bereut. Sie fädelte jeden Tag die Tränen der traurigen Prinzessin auf Schnüre und schuf damit wunderschöne Kunstwerke.

»Aber bevor wir gehen, hab ich noch etwas für dich und würde sehr gern deine Meinung hören«, holte sie Tina aus ihren Gedanken. Marion hatte anscheinend letzte Woche eine neue Lieferung Steine erhalten und fertigte gerade eine ganz besondere Kette an. Zartes Silber umschlang die Bernsteine. Es entstand ein modernes Schmuckstück, der Bernstein wurde wenig geschliffen, sondern möglichst naturbelassen verwendet, so wie das Meer ihn an den Strand gespült hatte. Es schien fast, als würden die Steine nebeneinander schweben. Sanft ließ Tina ihre Finger über das Collier gleiten. Es war eine Arbeit, die von ganz viel Feingefühl zeugte. Ihre Blicke schweiften über die restlichen Steine. »Wunderschön, das sieht traumhaft aus. Und hier würde ich noch diesen einsetzen, als absoluten Hingucker.« Sie zeigte auf einen großen, dunklen Bernstein, der wie flüssiges Karamell aussah.

Marion beugte sich über den Tisch und schaltete ihre Arbeitslampe an. Erstaunt musterte sie ihre Freundin. »Auf die Idee wäre ich nie gekommen, aber der Stein ist tatsächlich perfekt dafür geeignet. Du solltest dich wieder viel mehr mit der Schmuckherstellung beschäftigen.« Sie legte die Kette zurück in die Arbeitsschablone und verfrachtete alles in eine Schublade.

Marion holte ihre Sachen aus den hinteren Räumen und teilte ihrer Aushilfe Frau Knacke noch einige Arbeiten zu. Währenddessen schritt Tina die Vitrinen ab, die passgenau zwischen den kleinen Fensterchen standen, und bewunderte die Schmuckstücke und das ganze Geschäft. Ihre Freundin hatte wirklich viel Geschmack bewiesen und aus diesem kleinen, muffigen Laden eine wahre Schatztruhe gezaubert. Tina erinnerte sich noch daran, dass es am Anfang ein dunkles Loch war. Der alte Besitzer schien sichtlich erleichtert gewesen zu sein, endlich eine Mieterin gefunden zu haben. Doch Marion hatte diesen besonderen Blick und sah das Potenzial der Räume. Sie verlegte neuen Fußboden und strich alles in hellen, freundlichen Farbtönen. Die Möbel fertigte ihr ein befreundeter Tischler genau nach ihren Wünschen. Es gab viel Holz und Glas, ergänzt von anderen maritimen Elementen. Sogar ein altes Steuerrad samt Kompass hing an der Wand hinter der Kasse. Und so kam man sich ein bisschen wie auf einem alten Schiff vor. Überall in den Vitrinen lagen Muscheln und besondere Steine, zum Beispiel Hühnergötter. Am Strand gesammeltes Treibholz gab dem Geschäft den allerletzten Schliff.

Marion klatschte in die Hände und sah ihre Freundin fragend an. »Also, ich bin fertig, wollen wir los?«

Tina konnte sich wieder einmal kaum losreißen. Wehmut stieg in ihr auf, und sie dachte an früher, als sie selbst Schmuckstücke hergestellt hatte. Die kreative Arbeit hatte ihr Spaß gemacht, sie war so ganz anders als ihre Arbeit heute gewesen. Aber diese Zeiten waren ein für alle Mal vorbei.

Minuten später radelten die beiden Frauen auf dem Deich Richtung Pramort, wo auch das Naturschutzgebiet lag. Mittlerweile füllte sich der Ort immer mehr. Auch viele Tagesausflügler waren dabei, die einen schönen Tag am Meer verbringen wollten.

Erstaunt betrachtete Tina mehrere neue Baustellenschilder. Waren sie ihr beim letzten Mal noch nicht aufgefallen, oder veränderte sich Zingst wirklich so schnell? Wo vor einigen Wochen noch Gärten oder Wiesen gewesen waren, gähnten nun Baugruben. Es wurden Häuser und Villen errichtet, jede Lücke nutzte man aus, ganz besonders hier in der vordersten Reihe. Das bedeutete noch mehr Besucher. Die waren Segen und Fluch zugleich. Tina und ihr Mann lebten von ihnen, genau wie Marion, und deswegen wollte sie sich auch nicht beschweren. Doch so mancher Einheimische hatte da seine ganz eigene Meinung und hob schon länger mahnend den Finger.

Je weiter die beiden Frauen fuhren, umso ruhiger wurde es dann aber. Auch im Hochsommer fand man noch einsame Ecken auf dem Darß, man musste nur wissen wo. An einem der hintersten Strandübergänge schlossen die beiden ihre Fahrräder an einem Baum an und liefen hinunter zum Meer.

Sie erklommen den Dünenhügel, und Tinas Vorfreude stieg ins Unermessliche. Ihr Herz ging förmlich auf, und obwohl sie unmittelbar am Meer lebte, hätte sie am liebsten ihre Arme weit ausgebreitet und gejuchzt. Die Ostsee zeigte sich auch heute von ihrer allerbesten Seite, es war das reinste Postkartenwetter. Der Himmel war strahlend blau, das Wasser schimmerte ebenso. Kleine Wellen schwappten an Land und erzeugten das beruhigende Geräusch, dem sie eine Ewigkeit hätte lauschen können. Die Luft war immer noch morgendlich frisch und roch nach Fisch und Seetang. Ganz hinten am Horizont waren einige Schiffe unterwegs. Ihre weißen Leiber leuchteten zu ihnen, bis sie plötzlich von der Bildfläche verschwanden. Als Kind hatte Tina wirklich geglaubt, sie wären von der Erde gefallen. Hinter in den Sand gerammten Windfängen hatten es sich erste Badegäste gemütlich gemacht, und ein paar ganz Mutige stürzten sich sogar schon in die Fluten. Hier an diesem abseits liegenden Strandabschnitt ging es ungezwungen zu, die meisten Menschen bevorzugten FKK und nahmen dafür gerne einen etwas weiteren Anfahrtsweg in Kauf. Das nackte Baden hatte seinen Höhepunkt zu DDR-Zeiten gehabt und war ein stiller Protest gegen die Regierung gewesen.

Schweigend liefen die beiden Freundinnen im feuchten Sand direkt an der Wasserlinie nebeneinanderher. Von Zeit zu Zeit umspülte eine etwas stärkere Welle ihre Füße, die Schuhe hatten sie schon längst ausgezogen. Das Wasser war nur im ersten Augenblick kalt, schon kurze Zeit später fühlte es sich sehr angenehm an, und Tina lief mittlerweile bis zu den Waden im Meer. Sie atmete tief ein und sog die salzige Luft in ihre Lungen. Bei jedem Schritt fühlte sie sich leichter und befreiter. Nur ganz kurz dachte sie an Peter, und einen Moment schwappte das schlechte Gewissen nach oben. Doch sie schüttelte es gleich wieder ab und blickte aufs Meer. Und wieder einmal sagte sie sich, dass man viel öfter am Wasser unterwegs sein müsste. Früher hatten sie oft am Abend noch einen Strandspaziergang gemacht, einmal zur Seebrücke und zurück. Jetzt konnte sie sich kaum noch daran erinnern, wann sie das letzte Mal allein mit Peter am Strand gewesen war.

Hinter einer leichten Kurve begannen sie dann nach Bernstein zu suchen. Der Strand war hier fast menschenleer. Er wurde zusehends schmaler und unwirtlicher, viele große und kleine Steine versperrten den Zugang ins Wasser. Nur wenige nahmen den weiten Fußmarsch auf sich. Routiniert wendeten die beiden Frauen den Seetang, der sich zu großen Haufen im Sand auftürmte, oder durchforsteten Muschelhaufen. Darin hofften sie die Tränen der Meeresprinzessin zu finden. Es gehörte ein gutes Auge dazu, die kleinen Steine zu entdecken und von unechten Exemplaren, wie zum Beispiel Phosphor zu unterscheiden. Größere Bernsteine fand man hier nur mit sehr viel Glück.

Marion brach schließlich das vorherrschende Schweigen. »Und, was gibt es Neues bei dir?«

Tina zuckte die Schultern und steckte einen kleinen Stein in den Beutel an ihrem Gürtel. »Nichts Neues, alles beim Alten. Viel Arbeit, die nächsten Wochen sind wir komplett ausgebucht. Und immer noch rufen die Leute an und wollen ein Zimmer haben. Aber besser, als würde niemand kommen.«

»Und die Kinder, geht’s ihnen gut? Was macht die kleine Fine.«

Als das Thema auf ihr erstes Enkelkind kam, huschte ein Strahlen über Tinas Gesicht. »Fine wächst und gedeiht. Sie wird so schnell groß, dass mir manchmal angst und bange wird. Oft frage ich mich, ob das bei meinen Mädels auch so war. Letztes Wochenende hatten wir sie wieder bei uns. Stundenlang war ich mit Fine unten am Strand und habe Burgen gebaut. Sie hat eine unendliche Ausdauer und findet einfach kein Ende. Irgendwann ist sie dann plötzlich eingeschlafen, mit der Schippe in der Hand.«

Marion nickte und lächelte leicht. »Und Jule, hast du von ihr mal wieder etwas gehört?« Es war die übliche Fragestunde zu Beginn eines jeden Treffens, und Tina nahm sie ihrer Freundin nicht übel. Juliane, die alle nur Jule nannten, war ihre jüngste Tochter und vor einigen Monaten zu einer Weltreise aufgebrochen. Work and Travel nannte man das. Tina war nicht begeistert gewesen und Peter noch weniger. Beide hatten gehofft, sie würde sich einen Job als Arzthelferin in der Nähe suchen, doch Jule war anders und hatte ihren ganz eigenen Kopf. Eines Morgens beim sonntäglichen Frühstück platzte sie mit ihren Plänen heraus. Die Flüge waren schon gebucht, und Peter und sie hatten es als Letzte erfahren. Doch alle Bedenken brachten nichts. Immerhin war ihre Tochter zwanzig und musste selbst entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollte.

Überhaupt war es Tina schwergefallen, ihre beiden Mädels ziehen zu lassen, aber das war nun einmal der Lauf der Dinge. Sie war eine richtige Mama und ein bisschen auch eine Glucke, die ihre gesamte Liebe in die Kinder steckte.

Zu ihrer Erleichterung hatte Franziska, ihre Älteste, keine derartigen Ambitionen gehegt. Sie hatte mit ihrem Mann Ole im Nachbarort Born ein Haus gebaut, und vor zwei Jahren war Fine geboren worden. Nun hatte Tina jemanden, den sie nach Herzenslust verwöhnen konnte. Das erste Enkelkind war etwas ganz Besonderes, und ihre Freude war grenzenlos gewesen. Und auch Peter war ein stolzer Opa und hatte die kleine Fine voller Rührung in der Geburtsklinik im Arm gehalten. Dieses winzige Wesen hatte sie beide wieder ein Stück nähergebracht.

»Jule.« Tina seufzte gedankenverloren. »Tja, das letzte Mal hat sie sich aus Neuseeland gemeldet. Von einem öffentlichen Telefon. Die Verbindung war derart schlecht, dass sie sich auch hätte auf dem Mond befinden können. Und irgendwie ist sie das ja auch – am anderen Ende der Welt. Sie hat einen Job auf einer Schafsfarm ergattert, stell dir das mal vor. Ausgerechnet Schafe, wo sie früher vor jeder Katze davongerannt ist. Aber die Zeiten ändern sich. Seit diesem Telefonat herrscht Stille. Aber man sagt ja immer, wenn die Kinder sich nicht melden, ist alles gut.«

Marion nahm alles nickend zur Kenntnis und lächelte. »Ganz bestimmt, mach dir nicht immer so viele Gedanken! Jule packt die Sache genau so an, wie man es tun sollte. Sie schaut sich die Welt an. Wann, wenn nicht als junger Mensch, soll man herumreisen? Sieh dich an, wann bist du das letzte Mal so richtig mit deinem Peter in den Urlaub gefahren?« Ihre Freundin bückte sich und durchsuchte mit einem Stock vorsichtig einen Seegrashaufen.

Das Thema war durchaus heikel, denn Tinas letzter richtiger Urlaub lag bereits ein paar Jahre zurück. Sie waren in Griechenland gewesen, auf heftiges Drängen von Jule hin. Diese meinte eines Tages energisch: »Mama und Papa, ihr müsst einfach mal raus.« Dann knallte sie mehrere Ferienkataloge auf den Tisch und blieb hart. Keine vorgebrachte Ausrede ließ sie gelten. Und so waren sie schließlich in den Süden geflogen. Jule schmiss in der Zwischenzeit zusammen mit ihrer großen Schwester Franzi die Vermietung und kümmerte sich hervorragend um alle anfallenden Aufgaben.

Tina hatte es in Griechenland unendlich gut gefallen, und so manches Mal dachte sie voller Wehmut an diese schöne Reise. Sie waren in einem kleinen Hotel direkt am Meer untergebracht gewesen, unternahmen Ausflüge, krochen in Ruinen herum oder lagen einfach nur am Pool. Am Abend saßen sie dann in kleinen, verträumten Tavernen und schauten zu, wie die Sonne im Meer versank.

Der Urlaub war wie im Flug vergangen, und schnell hatte der Alltag sie wieder in Beschlag genommen. In letzter Zeit fuhren sie immer nur für ein paar Tage weg, meist im November, wenn nichts los war. Die Vermietung ging einfach vor, und eine richtige Vertretung hatten sie auch nicht, Jule war ja weit weg, und Franzi hatte ihr eigenes Leben. Marion fand diesen Zustand unmöglich und brachte das Thema, sehr zu Tinas Leidwesen, regelmäßig zur Sprache. Angesichts der deprimierten Miene von Tina schien sie heute aber weitere Kommentare hinunterzuschlucken.

»Und bei dir, wie laufen die Geschäfte?«, fragte Tina und versuchte das Gespräch, in eine andere Richtung zu lenken.

Marion, die gerade in einem weiteren Haufen trockenem Seetang gewühlt hatte, richtete sich auf und schaute aufs Meer. »Ähnlich wie bei dir, es ist viel zu tun.« Sie griff sich kurz ans Herz und holte tief Luft. »Manchmal würde ich am liebsten kürzertreten, aber wie? Man muss die guten Zeiten nutzen, der Winter ist lang genug.« So nachdenklich kannte Tina ihre Freundin gar nicht. Doch gleich darauf lachte Marion herzhaft. »Nun aber Schluss mit den trüben Gedanken.« Da war sie wieder, fröhlich und unbeschwert wie immer.

Gegen Mittag erreichten die beiden eine sanft geschwungene kleine Bucht, die nicht ganz so steinig war. Schon lange war ihnen kein Mensch mehr begegnet. »Ich hab Hunger«, meinte Marion und griff sich an ihren Magen. »Wollen wir uns dort oben ein schönes Plätzchen suchen? Da, wo es etwas schattig ist?«

Im Schatten der Dünen breiteten sie ihre Decke aus und holten die mitgebrachten Leckereien aus der Kühltasche. Marion seufzte und verdrehte die Augen. »Ich hatte so auf deinen Kartoffelsalat gehofft, und ich sehe, ich werde nicht enttäuscht.«

Tina grinste. »Die halbe Nacht hab ich in der Küche zugebracht, nur deinetwegen.« Der Kommentar brachte ihr einen kleinen Stoß ein. »Und gegenüber Peter musste ich die Schüssel auch noch todesmutig verteidigen, sonst hätten wir nur noch traurige Reste vorgefunden.«

Dann ließen sie es sich schmecken und betrachteten nebenbei ihre heutigen Funde. Die meisten waren kleinere Splitter, die sich nicht zu Schmuck verarbeiten ließen. Marion würde sie später in kleine Glasampullen füllen, die sie als Urlaubserinnerungen verkaufte, oder sie zauberte Wandbilder daraus.

Tina ließ sich nach dem Essen auf die Decke sinken und verschränkte die Hände im Nacken. Sie betrachtete den stahlblauen Himmel über ihnen. Eine einzelne Wolke machte sich gemächlich auf den Weg Richtung Hiddensee. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, heute Abend würden Nase und Wangen von Sommersprossen übersät sein. Das war das Los aller Rothaarigen dieser Welt. Hatte sie als kleines Mädchen noch mit ihrer Haarfarbe gehadert, merkte sie spätestens im Teeniealter, dass sie etwas Besonderes war und dass das auch gewisse Vorteile mit sich brachte. Sie stach einfach aus der breiten Masse heraus, und so mancher Blick ging in ihre Richtung.

Das stete Rauschen der Wellen hatte etwas sehr Beruhigendes an sich. Tina spürte, wie sie müde wurde, und hätte am liebsten einfach die Augen geschlossen. Aber dann würden sie in einigen Stunden immer noch hier liegen.

»Was machst du eigentlich am Wochenende?« Mit dieser Frage holte Marion sie aus ihren Gedanken. Ihre Freundin stützte sich auf den Ellenbogen und ließ eine Handvoll Weintrauben in ihrem Mund verschwinden. Dann legte sie sich wieder auf die Decke und blickte ebenfalls gen Himmel.

Tina zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, Fernsehen, oder vielleicht haben wir Fine wieder zur Übernachtung.«

»Kann es sein, dass dein Enkelkind mehr bei dir als bei seinen eigenen Eltern ist? Ich meine, es vergeht kein Wochenende, an dem ihr Fine nicht betreut. Und als wäre das nicht schon genug, schläft sie unter der Woche auch noch einige Tage bei euch.«

»Ich hab sie nun mal gerne um mich, und Peter auch. So ein kleines Wesen hält jung und macht ganz viel Freude.« Das kannst du nicht verstehen, fügte Tina im Stillen hinzu, denn Marion hatte keine Kinder.

»Es ist ja auch euer Problem. Ich mach mir nur Sorgen um dich, weil du irgendwie überhaupt nicht mehr aus dem Haus kommst. Du wirkst wie ein verhuschtes Hausmütterchen, und manchmal frage ich mich, was du eigentlich vom Leben hast. Immerhin bist du noch nicht mal fünfzig, da ist alles noch drin. Wenn ich mit dir rede, erzählst du nur von der Vermietung, dem Haus, dem Garten und Peter.«

Na ja, dachte Tina, das ist ja auch mein Leben. Wovon sollte sie sonst erzählen? Im Großen und Ganzen war sie zufrieden damit. Nur manchmal regte sich ganz tief drinnen eine unendliche Sehnsucht nach etwas, das sie selbst nicht in Worte fassen konnte.

»Und weil das so ist, haben wir beide am nächsten Samstagabend etwas vor«, sagte Marion mit fester Stimme.

Nun richtete Tina sich überrascht auf und betrachtete Marion, die mit geschlossenen Augen neben ihr lag. »Und was haben wir vor, wenn ich fragen darf?«

»Wir gehen zu einem Konzert«, sagte Marion triumphierend und lächelte verschmitzt.

»Zu einem Konzert – aber zu was für einem Konzert?« Schon bei dem Gedanken an Musik wurde es Tina komisch. Hoffentlich nichts Klassisches, damit konnte sie so gar nichts anfangen.

»Kennst du noch die Gruppe Ramos?«

Tina forschte in ihren Erinnerungen. »Gruppe Ramos, nee, nie gehört. Das war vielleicht eher deine Zeit, immerhin bin ich einige Jährchen jünger als du.«

Marion verdrehte die Augen. »Du tust ja gerade so, als wäre ich schon halb im Altersheim. Ramos hat auch noch gespielt, als du jung warst. Zu deiner allerbesten Sturm-und-Drang-Zeit. Warte mal!«

Ihre Freundin kämpfte sich nach oben und brachte sich in Pose. Sie warf ihren Kopf zurück, und das, obwohl ihre grauen Haare raspelkurz geschnitten waren. Dann raffte sie ihr pinkes Top nach oben, legte den Bauch frei und verknotete es unter der Brust. Tina lachte lauthals und hielt sich ihren Bauch. »Oh Gott, was wird das denn?«

»Pscht, jetzt pass auf!« Marion holte tief Luft. »Das war unser letzter Sommer, da waaaaaren nur du und ich. Und in diesem letzten Sommer, da verlooooor ich dich. Die Zeit heilt alle Wunden, doch da ist immer noch dieser Schmerz, und in manchen stillen Stunden denk ich heute noch an dich«, trällerte sie hingebungsvoll, breitete ihre Arme weit aus und sah schmachtend aufs Meer hinaus.

»Schon gut, schon gut«, sagte Tina lachend und hob flehend ihre Arme. »Gnade bitte.«

»Na komm, so schlecht war es nun auch nicht. Und, erinnerst du dich, nun komm, das Lied wurde damals im Radio rauf und runter gespielt.«

Irgendeine entfernte Erinnerung war in Tina aufgestiegen. Sie hatte dieses Lied schon gehört, sie hatte sogar schon danach getanzt. Aber das Gesicht des dazugehörenden Sängers war wie der Rest von Ramos im Nirwana ihrer Erinnerungen verschwunden.

»Ist ja auch egal, wenn du das Lied im Original hörst, weißt du Bescheid. Auf jeden Fall tritt Ramos am Wochenende im Fischerclub in Zingst auf, und wir beide sind mit dabei. Nun komm schon, bitte. Die Karten sind bereits gekauft, und ich rechne fest mit dir.« Marion hockte sich vor Tina hin und sah ihr ins Gesicht.

Diese rang mit sich. Wann war sie das letzte Mal bei einem Konzert gewesen, es war auf jeden Fall lange her. Es würde bestimmt ein schöner Abend werden. Aber was würde Peter sagen? Andererseits, wenn der mit seinen Kumpels auf dem Motorrad unterwegs war oder angeln ging, fragte er auch nicht großartig um Erlaubnis. Außerdem klingelte das Vermietungstelefon abends nicht. Und Fine, die würde bestimmt mal einen Samstag ohne ihre Oma auskommen. Eine gewisse Vorfreude machte sich in ihr breit. »Hm, ich könnte wirklich mitkommen. Es wäre auf jeden Fall mal etwas anderes«, sagte Tina gedehnt und ließ Sand durch ihre Handfläche rieseln. »Aber sag mal, ist diese Gruppe nicht schon steinalt? Ich meine, wenn die damals schon gespielt haben, sind die doch jetzt …« Sie verstummte und schaute Marion grinsend an.

»Alt wie Steinkohle, aber immer noch rüstig, so wie ich. Und soweit ich weiß, spielen jetzt einige Jüngere mit, so als Auffrischung. Also, bist du mit dabei? Ich freue mich wie verrückt. Und du kannst gleich bei mir schlafen und brauchst abends nicht mehr nach Prerow zurück. Wir machen uns einfach einen richtig schönen Mädelsabend.« Tina musste immer schmunzeln, wenn sich Marion trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch als Mädchen bezeichnete.

»Also gut, ich komme mit, einverstanden. Aber wegen der Übernachtung reden wir noch mal«, schränkte sie sogleich ein.

Marion stand triumphierend auf. »Klasse, das ist die richtige Entscheidung.« Dann streifte sie ihr Top ab und kurze Zeit später auch noch den Rest ihrer Kleidung. »Und weißt du was, ich gehe jetzt baden! Komm schon, wer zuerst drin ist.« Splitternackt stürmte sie ins Wasser, und Tina folgte ihr nur Sekunden später.

Anfangs traf sie die Kälte wie tausend klitzekleine Nadelstiche. Doch gleich darauf war es einfach nur noch herrlich. Sanft platschten die Wellen gegen ihren Körper.

Plötzlich blieb Marion zurück, dort, wo ihr das Wasser nur bis zum Bauchnabel ging, und rang nach Atem.

Besorgt schaute Tina sie an. »Alles in Ordnung? Geht’s dir nicht gut?« Normalerweise war ihre Freundin immer als Erste bis zum Hals im Wasser.

Doch gleich darauf warf sich Marion in die salzigen Fluten und lachte. »Es war nur der erste Moment. Ich bin eben doch nicht mehr die Jüngste und sollte die Dinge langsam ein wenig ruhiger angehen.«

2. Kapitel

Gegen Abend radelte Tina Richtung Heimat. Ihre Haut fühlte sich sonnengebräunt an, sie schmeckte Salz auf ihren Lippen – wie nach einem wundervollen Tag am Meer.

Ihr spukten die Worte, die Marion am Morgen zu ihr gesagt hatte, immer noch im Kopf herum. Sollte sie wirklich wieder damit beginnen, Schmuck herzustellen?

Sie merkte, dass sie langsamer radelte als sonst. Da war so ein Gefühl, einfach noch nicht nach Hause zu wollen. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Es waren immer die gleichen. Wie sehr hatte sie sich einen Erfolg für ihr Vermietungsbüro gewünscht. Jetzt war er da, und sie war wieder nicht zufrieden. Sie sehnte sich nach Abwechslung in ihrem Leben, und sie sehnte sich nach mehr gemeinsamer Zeit mit ihrem Mann Peter. Sie lebten seit einigen Jahren nur noch nebeneinanderher. Jeder machte irgendwie seins. Wäre das Geschäft nicht gewesen, das sie verband, hätten sie so manches Mal gar kein Thema zum Reden gehabt. Dennoch liebte Tina ihren Mann und er sie auch – nahm sie zumindest an. Da waren immer noch die kleinen Gesten, die ihr zeigten, wie gut sie miteinander auskamen. Und war eine gewisse Eheroutine nach so vielen Jahren nicht vollkommen normal? Immerhin waren sie fast achtundzwanzig Jahre miteinander verheiratet. So vieles hatten sie zusammen erreicht, zwei wunderbare Töchter großgezogen. Sie waren immer noch ein Paar, und dafür galt es dankbar zu sein und über gewisse Probleme hinwegzusehen. Die hatten ihre Freundinnen schließlich auch.

Die Landschaft um sie herum wurde von der untergehenden Sonne in rötliches Licht getaucht. Der Bodden zu ihrer Linken schimmerte, als würde er in Flammen stehen. Fast schon ehrfürchtig hielt Tina einen Moment an und genoss den Anblick. Sie lebte an einem magischen Ort. Einem Sehnsuchtsort, und viele Menschen beneideten sie darum. Sie brauchte sich einfach nur ihr Fahrrad zu schnappen – und schwupps war sie am Meer. Dafür galt es dankbar zu sein. Mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl in der Brust radelte Tina langsam weiter.

Ein sportlich gekleideter Radfahrer überholte sie mit ziemlichem Tempo. Erschrocken wich sie ihm aus und wäre beinahe aus dem Gleichgewicht geraten. Er trat derart in die Pedale, dass man hätte meinen können, er wolle heute noch bis Wustrow radeln. Tina schaute ihm kopfschüttelnd nach. Wieder einer, der keinen Blick für diese tolle Landschaft hatte.

Kurz bevor er hinter einer leichten Biegung aus ihrem Blickfeld verschwand, kreuzte etwas Dunkles, vielleicht ein wildes Kaninchen oder eine Katze, seinen Weg. Und zwar derart plötzlich, dass der Mann hilflos den Lenker herumriss und den Deich hinunterpurzelte. Er überschlug sich ein- oder zweimal und blieb dann reglos liegen.

Tina trat kräftig in die Pedale. Hastig schaute sie sich um, doch außer ihr und dem Mann war der Deich leer. Schwer atmend erreichte sie die Unfallstelle, ließ ihr Fahrrad fallen und tippelte vorsichtig den Deich hinab.

Der Mann lag immer noch reglos auf dem Rücken, seine Augen waren geschlossen. Zum Glück trug er einen Fahrradhelm. Tina beugte sich über ihn und fühlte vorsichtig den Puls. Dieser schlug etwas schneller, aber für ihre Begriffe kräftig und normal. Erleichterung machte sich in ihr breit. Doch was nun? Sie forschte in ihren Erinnerungen. Stabile Seitenlage oder vielleicht doch nicht? Hatte der Mann sich eventuell am Rücken verletzt, konnte das falsch sein. Tinas Blick fiel auf ihr Fahrrad, im Rucksack war das Handy. Sollte sie einen Krankenwagen rufen, wäre das nicht das Allerbeste?

Doch genau in diesem Augenblick begann der Mann sich zu regen und stöhnte leise auf. Unsicher tasteten seine Hände über die Wiese. Instinktiv ergriff Tina seine Hand und hielt sie fest.

»Es ist alles in Ordnung, ich bin bei Ihnen. Sie sind mit Ihrem Fahrrad den Deich hinuntergestürzt, erinnern Sie sich?«, sagte sie mit beruhigender Stimme.

Der Mann stöhnte erneut und öffnete dann langsam seine flatternden Lider. Er blinzelte und versuchte sich zu orientieren. Dann sah er sie mit einem Ruck an, und Tina zuckte fasziniert zurück. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so blaue Augen gesehen. Sie strahlten wie das Meer, an dem sie einen so schönen Tag verbracht hatte. Überhaupt war der Typ ausgesprochen gut aussehend. Sein Gesicht war braun gebrannt, und ein Kranz von Lachfältchen zog sich um seine Augen. Das Kinn schmückte ein Dreitagebart, der zu ihm passte und den Mann ein wenig verwegen wirken ließ. Er war etwa in ihrem Alter, schätzte Tina, vielleicht ein wenig älter. Es schien ihr, als könnte sie in seinen Augen versinken. Verwirrt wandte sie sich ab und schaute auf seinen verrutschten Fahrradhelm.

»Oh Gott, brummt mein Schädel! Könnten Sie mir eventuell helfen, ich würde mich gerne hinsetzen?«, sagte er mit einem leichten Stöhnen.

Vorsichtig ergriff Tina seinen Arm, stützte den Mann am Rücken zusätzlich und zog ihn langsam nach oben, bis er schließlich aufrecht saß. Ihrer beider Blicke fielen auf sein rechtes Knie. Bei seinem Sturz hatte er sich eine ziemlich heftige Fleischwunde zugezogen, die stark blutete und außerdem dreckverschmiert war.

»Oje, auch das noch«, sagte der Mann und schüttelte den Kopf. »Das hat mir gerade noch gefehlt, ich habe nämlich nicht mal ein Taschentuch dabei. Ich wollte eigentlich nur eine kleine Runde am Abend drehen, einmal von Prerow nach Zingst und zurück. Und nun das.«

»Zum Glück habe ich immer allerlei nützliche und unnütze Sachen in meinen Taschen.« Sie zwinkerte ihm zu. »Warten Sie, ich bin gleich wieder bei Ihnen.«

Tina eilte den Deich hinauf. Dort radelte eben ein Pärchen vorbei. Neugierig spähten beide den Hang hinab. Angesichts des verletzten Mannes gaben sie schlagartig Gas. Vermutlich hatten sie Angst, helfen zu müssen.

Sie schnappte sich ihren Rucksack und eilte erneut den Hang nach unten. Dann holte sie eine Packung Taschentücher heraus sowie ihre Trinkflasche. Behutsam goss Tina ein wenig Wasser über die Wunde, um den gröbsten Dreck abzuspülen, und tupfte anschließend die Wundränder sanft ab. Zum Schluss legte sie vorsichtig eine Ladung Taschentücher darauf. Der Radfahrer zuckte zusammen, gab aber keinen Laut von sich. Tina suchte abermals in ihrem Rucksack und fand ein bunt gemustertes Halstuch, welches sie für alle Fälle eingesteckt hatte. Vorsichtig begann sie es um das Bein zu wickeln.

Augenblicklich ergriff der Mann ihre Hand. »Bitte, nein, das kann ich nicht annehmen. Es wird schon so gehen – irgendwie. Sie können doch nicht ihr gutes Tuch für mich opfern.« Seine Hände waren warm und sehnig, die Finger schlank und lang – fast wie bei einem Klavierspieler. Eine ganz besondere Energie durchströmte ihre Hand und ließ sie ein wenig zittern.

Vorsichtig löste sie sich aus seinem Griff. »Ach und die Taschentücher halten wie von Zauberhand oder was?«, erwiderte Tina mit fester Stimme. Energisch wickelte sie das bunte Tuch um die Wunde und betrachtete anschließend ihren Verband kritisch. Er war nicht perfekt, doch bis Prerow würde es sicher so gehen, es musste einfach.

Da hörte sie plötzlich ein glucksendes Geräusch. Tina, die bis jetzt ihre ganze Konzentration der Verletzung geschenkt hatte, schielte vorsichtig zum Gesicht des Mannes und bemerkte, dass er sie belustigt ansah. Ein verschmitztes Lächeln huschte um seine Mundwinkel. Er nahm seinen Fahrradhelm ab und fuhr sich mit der freien Hand durch seine leicht gelockten grauen Haare. »Sie sind ja ganz schön energisch, wie eine richtige Krankenschwester.«

»Da muss ich Sie leider enttäuschen. Eine Krankenschwester bin ich nicht, aber ich denke, ich habe trotzdem alles richtig gemacht«, sagte Tina mit leicht heiserer Stimme. Da war etwas in der Art, wie er sie anschaute, was sie vollkommen nervös machte.

»Ganz bestimmt, und ich danke Ihnen sehr für Ihre Hilfe. Ohne Sie würde ich immer noch wie ein Maikäfer im Gras liegen.« Seine Stimme klang angenehm – dunkel, sympathisch – und ließ keinerlei Rückschlüsse zu, aus welcher Gegend er stammte.

Tina löste ihren Blick von seinem Gesicht und musterte das Tuch noch einmal. Der Mann stützte sich indes auf seine Arme und stöhnte leicht auf. »Soll ich Ihnen vielleicht aufhelfen?«, meinte Tina mit leichtem Stirnrunzeln.

»Ich glaube, das schaffe ich allein, trotzdem danke!« Doch der erste Versuch, auf die Beine zu kommen, endete mit einem erneuten Plumps auf den Boden. Der Mann wischte sich über sein Gesicht und stöhnte erneut. »Verdammt, mir ist irgendwie schwindlig.« Er schluckte heftig und fixierte einen festen Punkt.

»Na nun kommen Sie schon, lassen Sie mich Ihnen helfen«, sagte Tina energisch und zog ihn langsam nach oben.

»Irgendwie komme ich mir gerade wie siebzig vor«, nuschelte er verlegen, nahm ihre Hilfe aber schließlich an.

Zusammen mit Tina schaffte er es auf die Beine und stand gebeugt und leicht schwankend vor ihr. Immer noch hielt er ihren Arm fest, löste sich erst nach einer kleinen Weile und richtete sich auf. Er war groß, fast einen Kopf größer als Tina. Er schien regelmäßig Sport zu treiben, denn seine Figur wirkte durchtrainiert. Sowohl Arme als auch Beine waren muskulös, nicht zu viel, sondern für ihre Begriffe gerade richtig.

Der Mann holte tief Luft, streckte sich und schüttelte vorsichtig seine Arme aus. »Danke für die Hilfe! Und nun schaue ich mir mein Fahrrad an.« Er humpelte einige Schritte und musterte das Rad kritisch. Tina begleitete ihn zur Sicherheit, sie hatte Angst, er würde wieder umfallen. Zu ihrer Erleichterung schien der Verband zu halten, er verrutschte kein Stück. Fachkundig betastete der Fremde alle möglichen Teile seines Fahrrades und wirkte dann ziemlich erleichtert. »Scheint alles in Ordnung zu sein, dass meiste habe wohl ich abbekommen.«

»Denken Sie denn, Sie kommen damit bis Prerow?« Tina warf einen Blick auf ihre Uhr und musterte kritisch das Fahrrad. Es war schon ziemlich spät, eigentlich hatte sie längst zu Hause sein wollen. Peter würde sich bestimmt bereits Sorgen machen. Dennoch siegte ihre Hilfsbereitschaft. »Ich könnte Sie auch begleiten, also mit Ihnen zusammen laufen. Allzu weit ist es ja nicht mehr«, sagte sie zögernd.

Der Mann wehrte heftig ab. »Auf keinen Fall, das kann ich nicht annehmen. Bald wird es dunkel, und Sie haben bestimmt noch andere Dinge zu tun, als mit mir den Deich entlangzuhumpeln. Ich laufe ganz langsam und werde es schon schaffen.«

In diesem Moment näherte sich ein Auto mit ziemlicher Geschwindigkeit und hielt schließlich mit quietschenden Reifen genau neben ihnen an. Verwirrt musterte Tina den Kleinbus, dem eine weißblonde Frau entstieg. Sie trug ein knallenges Jeanskleid, welches ihre Figur perfekt betonte, und wirkte wie aus einem Film gefallen. Ihr Ausschnitt war mehr als gewagt, genauso wie die Länge des Rocks, der lange gebräunte Beine zeigte. Auf hohen Absätzen stöckelte sie durch das Gras auf sie zu. Ihre Haare wehten in einer abendlichen Brise und wurden nur durch die große Sonnenbrille auf ihrem Kopf zurückgehalten.

»Dany, du meine Güte! Ich hab dich überall gesucht. Ich war im Hotel, dann in Prerow – aber von dir keine Spur. An dein Handy bist du auch nicht gegangen. Und jetzt finde ich dich hier, was für ein Glück!« Die Frau drückte den Mann vorsichtig an sich und betrachtete ihn dann besorgt von oben bis unten. Ihr Blick fiel auf das lädierte Knie und die aufgeschrammten Handflächen. »Um Gottes willen, was ist denn passiert, das sieht ja schrecklich aus. Wir müssen unbedingt einen Arzt aufsuchen oder gleich ins Krankenhaus fahren.«

Tina fühlte sich alles andere als wohl in ihrer Haut. Sie kam sich in diesem Moment vollkommen überflüssig vor, denn die Frau würdigte sie keines Blickes, als wäre sie Luft.

Seltsamerweise schien der Mann sich ebenfalls unwohl zu fühlen. Mit leicht säuerlicher Miene schaute er die blonde Dame an. »Es ist alles in Ordnung, mach bloß nicht so einen Aufriss! Wir brauchen weder zu einem Arzt noch in ein Krankenhaus zu fahren. Ich bin nur ein wenig gestürzt, aber es sieht schlimmer aus, als es tatsächlich ist …«

»Ach und das kannst du einschätzen, na ich weiß nicht. Vielleicht ist etwas gebrochen oder verstaucht oder was weiß ich. Du immer mit deinen blöden Radtouren. Irgendwann passiert mal was Schlimmes. Das habe ich dir schon so oft gesagt.« Der Redefluss der Dame nahm kein Ende. »Zum Glück habe ich dich gefunden.«

»Es ist alles gut, hörst du«, unterbrach er schließlich nach einer Weile den Monolog. »Diese Frau kam zufällig vorbei und hat mir netterweise und sehr kompetent geholfen.«

Zwei Augenpaare musterten Tina im selben Moment.

»Aha«, sagte die Frau und ließ ihre Blicke über Tinas Radfahroutfit gleiten. Anschließend musterte sie das verbundene Knie kritisch. »Ja, wie auch immer, das war sehr nett. Aber ich denke, wir verladen jetzt dein Fahrrad in den Bus, und ich bringe dich die letzten Meter zurück. Und morgen suchen wir einen Arzt auf, wir können nichts riskieren, nicht jetzt. Es steht zu viel auf dem Spiel.«

Diese Ansage nahm Tina zum Anlass, sich endlich aus der unangenehmen Situation loszueisen. »Ja, ich denke, ich werde mich dann auch mal auf den Heimweg machen. Es wird gleich richtig dunkel. Sie kommen ja jetzt auf jeden Fall nach Prerow.«

Sie drehte sich herum und wollte gerade den Hang nach oben steigen. Da ergriff der Mann ihr Handgelenk und hielt sie fest. »Warten Sie doch! Ich habe mich noch gar nicht richtig bei Ihnen bedankt. Also, vielen Dank für die schnelle und kompetente Hilfe!« Einen Moment sah er sie wieder so intensiv an wie vorher, und Tina spürte ein leichtes Flattern in ihrem Bauch. Ein Flattern, wie sie es schon viele Jahre nicht mehr gespürt hatte. Ihre Wangen röteten sich, zum Glück war es schon so dunkel, dass er es nicht sehen würde.

»Dany, kommst du?«, unterbrach in diesem Moment eine schrille Stimme den magischen Moment. Die blonde Dame hatte bereits das Fahrrad ergriffen und schleppte es ungeschickt und stöhnend zum Kleinbus. Kein Mensch trägt auf so eine Art ein Fahrrad, dachte Tina noch. »Alleine schaffe ich das nicht«, setzte die Stimme nach.

Tina rang sich noch ein knappes »Gern geschehen, kein Problem« ab und kletterte den Damm empor. Oben angekommen schnallte sie ihren Rucksack auf den Gepäckträger und blickte noch einmal kurz nach unten. Der Mann wuchtete gerade das Rad ins Auto und drehte ihr den Rücken zu. Die Dame stand daneben und schaute zu Tinas Erstaunen in ihre Richtung. Ihr Gesicht lag im Dunkeln, der Ausdruck war nicht erkennbar. Kurz darauf wandte sie sich ab und beobachtete, wie der Mann das Rad verstaute.

Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte Tina, dass es schon nach neun war. Sie schwang sich auf ihr Fahrrad und trat heftig in die Pedale. Eigentlich hatte sie schon viel eher zu Hause sein wollen, da abends immer noch einiges an Papierkram auf sie wartete. Zum Glück kam sie gut voran, denn mittlerweile herrschte Windstille um sie herum. Und während sie so fuhr, ertappte sie sich dabei, wie sie immer wieder Richtung Straße schielte. Der Kleinbus musste sie eigentlich jeden Moment passieren, doch nichts geschah. An der hohen Düne bog Tina schließlich zum Ort ab und ließ die Straße mit einem gewissen Gefühl von Enttäuschung hinter sich zurück. Irgendwie hatte sie sich gewünscht, der Mann hätte ihr noch einmal zugewunken. Gleich darauf schalt sie sich selbst. Was für eine blöde Idee, warum sollte er das tun? Der Typ war vergeben, und sie war eine verheiratete Frau.

Im Schatten des Kiefernwaldes streifte ein kühler Hauch ihre heiße Stirn, der sie endgültig wieder ins Hier und Jetzt holte. Ihr Fahrrad knirschte über den Sandweg, und zu ihrer Rechten hörte sie die Ostsee leise rauschen. Es war mittlerweile finster, doch sie kannte den Weg gut, und ab dem Ortseingang von Prerow wiesen ihr Laternen den Weg.

Als Tina das kleine Hintertürchen an ihrem Gartenzaun öffnete, musste sie feststellen, dass das Haus in vollkommener Dunkelheit lag. Sie schob das Fahrrad in den Schuppen und verschloss sorgfältig die Tür. Peters Rad, welches immer unter einem Anbau stand, war verschwunden, ebenso wie seine Angelsachen.

Im Inneren des Hauses empfingen sie Stille und Finsternis. Tina knipste die Lampe am Tresen an, und ihr Blick fiel auf einen Zettel. Bin mit Jan angeln, wird bestimmt später, stand da. Zumindest das Handy schien Peter mitgenommen zu haben, bemerkte sie schmunzelnd.

Tina streifte ihre Schuhe und die Sachen ab und stieg in Unterwäsche in den ersten Stock. Im Bad lag noch ein altes Longshirt, welches sie überstreifte. Aus dem Kühlschrank holte sie sich den Rest Weißwein vom letzten Wochenende, schenkte sich ein Glas ein und ging dann hinüber ins Büro.