Dünenzauber - Evelyn Kühne - E-Book
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Dünenzauber E-Book

Evelyn Kühne

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Beschreibung

Sonne, Meer und Ostseestrand Klara fällt aus allen Wolken, als ihre Freundin Jessi ihr eröffnet, dass sie heiraten möchte und zwar schon in drei Wochen. Doch beste Freundinnen sind füreinander da, also packt Klara kurzerhand ihre Sachen und fährt zusammen mit Jessi nach Prerow an die Ostsee, wo die Hochzeit stattfinden soll. Die Hochzeitsplanung gestaltet sich jedoch mehr als schwierig, vor allem als Jessi Klara ein Geheimnis anvertraut, was deren Welt ins Wanken bringt. Und dann ist da auch noch ein mysteriöser Fremder, der Klara immer wieder über den Weg läuft und ihr Herz höherschlagen lässt. Wird die Hochzeit trotz aller Widrigkeiten stattfinden? Und wer ist der Mann, zu dem sich Klara auf unerklärliche Weise hingezogen fühlt? Meinungen zum Buch: Ein wunderschöner Roman über Liebe, Gefühle, Menschlichkeit und eine traumhafte Kulisse. Lesetipp! (Rezensentin auf Lovelybooks) Locker und leicht geschrieben, mit einigen Überraschungen. Der perfekte Sommerroman! (Buchmagie auf Amazon) Wunderbar herzlich und heiter. Tolle Story, unbedingt lesenswert, egal ob im Urlaub oder im Alltag! (Leserin auf Vorablesen) Ich war von Beginn an gefesselt. Tolle Story und spannend geschrieben. So eine Freundschaft, wie hier beschrieben wird, gibt es nicht alle Tage. Toll war, dass es bis zum Ende immer wieder Überraschungen gab und nichts vorhersehbar war. (Leserin auf Vorablesen) Von Evelyn Kühne sind bei Forever by Ullstein erschienen: Neuanfang auf Italienisch Dünengeflüster - Ein Ostseeroman Dünenzauber - Ein Ostseeroman Dünenrauschen - Ein Ostseeroman Inselküsse - Ein Ostseeroman

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Seitenzahl: 523

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Die Autorin

Evelyn Kühne wurde 1970 in Radebeul geboren. Schon immer galt ihre ganze Leidenschaft den Büchern. Beruflich ging sie jedoch erst einmal andere Wege und arbeitete unter anderem als Verkäuferin. Viele Jahre später, nachdem sie eine Krebserkrankung überstanden hatte, traute sie sich erstmals mit ihren eigenen Geschichten an die Öffentlichkeit. Für sie war das Schreiben auch ein Stück Krankheitsbewältigung. Seitdem veröffentlichte sie mehrere Romane sowie das Kinderbuch »Die kühne Marie«, welches sie zugunsten krebskranker Kinder schrieb. Sie lebt heute mit Mann und Tieren in der Nähe von Meißen und schreibt am liebsten Krimis und Liebesromane über starke Frauen.

Das Buch

Sonne, Meer und Ostseestrand

Klara fällt aus allen Wolken, als ihre Freundin Jessi ihr eröffnet, dass sie heiraten möchte und zwar schon in drei Wochen. Doch beste Freundinnen sind füreinander da, also packt Klara kurzerhand ihre Sachen und fährt zusammen mit Jessi nach Prerow an die Ostsee, wo die Hochzeit stattfinden soll. Die Hochzeitsplanung gestaltet sich jedoch mehr als schwierig, vor allem als Jessi Klara ein Geheimnis anvertraut, was deren Welt ins Wanken bringt. Und dann ist da auch noch ein mysteriöser Fremder, der Klara immer wieder über den Weg läuft und ihr Herz höherschlagen lässt. Wird die Hochzeit trotz aller Widrigkeiten stattfinden? Und wer ist der Mann, zu dem sich Klara auf unerklärliche Weise hingezogen fühlt?

Evelyn Kühne

Dünenzauber

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuni 2018 (2)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privat

ISBN 978-3-95818-275-2

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

Drei Jahre später

Danksagung

Leseprobe: Dünengeflüster

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1. Kapitel

Für meine Eltern.

1. Kapitel

»Wie bitte?« Fassungslos starrte Klara ihre allerbeste Freundin Jessica an. Diese saß an der gegenüberliegenden Seite des Tisches auf einem Hocker und hatte die Beine nervös zusammengepresst. In den vielen Jahren ihrer Freundschaft hatte Klara sich immer wieder irgendwelche vollkommen verrückten Schnapsideen anhören müssen – Jessi war einfach so. Aber diese neue Idee stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten.

Zum Glück herrschte in der Neustädter Szenebar, die Jessi für den Abend ausgesucht hatte, eine ziemlich schummrige Beleuchtung. Deswegen würde wohl niemand in der brechend vollen Kneipe Klaras entgeisterten Gesichtsausdruck bemerken. Um sie herum waberten Stimmen durch den farbenfroh gestrichenen Raum. An den Wänden hingen bunte Bilder, die zusammen mit den farbigen Lampen und Möbeln ein schillerndes Ambiente ergaben.

Das Publikum war genauso bunt gemischt wie der Raum. Neben smarten Bankern und Bürofuzzis hockten Punker, Handwerker, ältere Leute und eben die beiden Freundinnen.

Heute Nachmittag hatte Klara der Anruf von Jessi erreicht. Es gab etwas total Wichtiges, das sie ihr unbedingt erzählen musste. Typisch, so war Jessi eben. Sie hatten sich gleich für den Abend verabredet, und jetzt hockte Klara hier, in diesem seltsamen Etablissement auf einer der unbequemsten Sitzgelegenheiten, die sie je erlebt hatte. Ihr schmerzte schon der Hintern, obwohl sie erst eine Viertelstunde da war.

Jessis Geständnis musste Klara erst einmal verdauen. Sie ergriff das Glas auf dem Tisch, verzichtete auf den mickrigen Strohhalm und nahm einen kräftigen Schluck. Der Drink brannte in ihrer Kehle, rann ihre Speiseröhre hinab und schien dort eine feurige Spur zu hinterlassen. Und nicht nur dort, denn augenblicklich begannen ihre Augen heftig zu tränen und eine gewisse Atemnot setzte ein. Man sollte keinem Barkeeper und seinen Empfehlungen trauen, auch wenn der Mann noch so gut aussehend war.

Die Bar hatte erst vor Kurzem eröffnet, wie Jessi ihr verraten hatte, und war sozusagen total trendy. Jessi musste sich auskennen, denn sie liebte die Neustadt und war mit ihrem Schatz hier öfter unterwegs. Doch bei den Alkoholmengen im Drink würde die Kneipe wohl bald wieder schließen müssen. Klara schnappte also heftig nach Luft und wandte sich dann wieder ihrer Freundin zu.

Jessi schaute ihr sichtlich betroffen ins Gesicht und hielt sich an ihrem Glas Orangensaft fest. So deprimiert und unsicher sah man sie selten, denn Jessi war eigentlich eine Frohnatur und immer obenauf. Wenn sie derart zerknirscht war, musste an ihren Worten etwas dran sein.

Trotzdem fragte Klara vorsichtshalber noch einmal nach. Vielleicht hatte sie sich ja verhört. Obwohl sie eben noch gar nichts getrunken hatte. »Kannst du das noch mal wiederholen? Nur, damit ich es richtig verstehe. Wohin wollt ihr auswandern?«

»Wir wollen nicht auswandern, das kann man so nicht bezeichnen.« Jessi verdrehte die Augen und pustete sich eine Strähne ihres hellblonden Haares aus der Stirn. Wie immer trug sie ihre Haare zu einem lockeren, etwas chaotischen Knoten aufgesteckt und wie immer begann dieser sich schon nach kurzer Zeit aufzulösen. Sie hatte einfach eine zu dicke Mähne, die sich nur schwer bändigen ließ. »Auswandern ist was ganz anderes, so für immer und ewig«, sagte sie mit fester Stimme, als müsste sie sich selbst erst von ihren Worten überzeugen. »Wir gehen nur für eine gewisse Zeit in ein anderes Land und irgendwann, vielleicht, also …« Jessi kam ins Stottern, und zwar heftig. Ihre Miene sah mittlerweile aus, als würde sie Zitronenlimonade trinken. »Herrgott, Klara, mach es mir doch nicht so schwer. Ich weiß nicht, wann wir wiederkommen. Aber so eine Chance bekommt Erik nie wieder. Die Leute haben sich um diesen Job gerissen. Und er hat den Zuschlag bekommen, stell dir das mal vor! Ich bin so unendlich stolz auf ihn. Er hat so viel dafür gearbeitet in letzter Zeit, wie oft war ich allein.«

Täuschte sich Klara, oder wurde Jessis Miene plötzlich bitter? Doch gleich darauf wirkte sie wieder normal.

»Und du musst natürlich unbedingt mit? Wohin gleich noch mal, wie heißt dieses Kaff?« Mit verschränkten Armen saß Klara da und machte es ihrem Gegenüber alles andere als leicht. Wenn sie einmal beschlossen hatte, auf Abwehr zu gehen, ließ sich daran meist so schnell nichts ändern.

»Die Stadt heißt Mortonsville und liegt in Kanada«, betonte Jessi mit Nachdruck. »Und sie ist auch kein Kaff, sondern hat einige tausend Einwohner und alles, was man so braucht. Sagt zumindest Erik. Ich hab ja bis jetzt nur Bilder gesehen, im Internet und so. Außerdem muss ich nicht mit, sondern ich möchte mit, dass du es weißt – das ist ein ziemlicher Unterschied. Alles andere wäre doch gar keine Alternative. Denkst du, ich führe eine Fernbeziehung? Über mehrere Jahre, über Kontinente hinweg bis nach Kanada – keine Chance. Ohne Erik, da gehe ich kaputt und mache sonst was für Dummheiten.«

Langsam dämmerte Klara, dass es ihrer Freundin ernst war. Warum auch nicht? Sie waren beste Freundinnen – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Jede von ihnen musste ihren eigenen Lebensweg gehen. Was die andere davon hielt, war zweitrangig.

Klara und Jessi kannten sich seit Kindertagen, waren schon immer unzertrennlich gewesen. Ihre Klassenkameraden hatten sie die beiden Schwestern genannt. Die blonde Jessi und die dunkelhaarige Klara – zwischen sie passte kein Blatt Papier, obwohl sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Jessi, die unglaublich offene, lebenslustige Plaudertasche, und Klara, der etwas zurückhaltendere, zielstrebige Sturkopf.

Als Klara damals neu in die Stadt gezogen war, hatte ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen und einem Lutscher am Umzugswagen gestanden und neugierig zugeschaut, was die Möbelpacker alles ins Haus trugen. Sie schaute konzentriert und ließ sich auch nicht von den scharfen Seitenblicken der Männer verscheuchen. Zum Mittagessen verschwand sie kurz, tauchte dann aber mit großer Hartnäckigkeit wieder auf. Eine ganze Weile hatte Klara sie aus dem Küchenfenster beobachtet. Ihre Mutter machte ihr Mut, sodass Klara sie nach einer Weile ansprach und einfach in ihr nagelneues Kinderzimmer zum Spielen einlud. Das war der Beginn ihrer Freundschaft gewesen.

Und die wurde mit den Jahren immer tiefer und fester. Oft genügte ein kurzer Blick, den die beiden Mädchen tauschten. Sie verstanden sich blind, ohne große Worte. Später kam die Zeit, in der sie sich für einen Beruf entscheiden mussten. Klara studierte Journalismus, Jessi dagegen hatte die Nase voll vom Lernen und von den Prüfungen und absolvierte eine Ausbildung zur Bürokraft, obwohl sie zunächst auch hatte studieren wollen. Doch sie warf ihre langjährigen Pläne über Bord und entschied sich für Plan B. Da trennten sich ihre Wege für eine gewisse Zeit. Doch die beiden Frauen blieben immer im Kontakt und es verging keine Woche ohne mindestens ein Telefonat oder einen spontanen Besuch.

Als Klara mit dem Studium fertig war, absolvierte sie verschiedene Praktika bei allen möglichen Zeitungen. Eine Festanstellung zu bekommen war nahezu unmöglich und glich einem Sechser im Lotto. Sie zog in dieser Zeit so oft um, dass sie manchmal selbst kaum wusste, in welcher Stadt sie gerade war, und lernte fast ganz Deutschland kennen. Manchmal für drei Monate, wenn sie Glück hatte für ein halbes Jahr – natürlich immer gegen einen recht geringen Obolus. Danach hieß es tschüss. Klara ging nach Feierabend kellnern, um überhaupt irgendwie über die Runden zu kommen. Aber sie hielt an ihren Jobs fest – ihr Traum vom Schreiben war einfach stärker.

Eines Abends erreichte sie ein Anruf ihrer besten Freundin. Jessi arbeitete seit ihrer Ausbildung als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei, und das auch noch in ihrer alten Heimat Dresden. Wie es der Zufall wollte, saß genau eine Etage darüber ein Verlag, der eine Tageszeitung herausgab. Dieser Verlag suchte spontan und händeringend eine Journalistin, da eine Mitarbeiterin schwer erkrankt war. Das hatte man Jessi zumindest während einer gemeinsamen Fahrstuhlfahrt verraten. Klara nutzte die Chance, stellte sich vor, überzeugte und durfte anfangen, und zwar sofort.

Nun arbeitete sie schon viele Jahre beim Sachsenlandkurier. Ihre Ressorts waren Regionales und die wöchentliche humorvolle Kolumne. Diese Kolumne war etwas ganz Besonderes, ihr galt Klaras ganze Liebe und Leidenschaft. Denn da konnte sie schreiben, was ihr gerade so in den Sinn kam – frei und ohne Zwänge. Vor fast zehn Jahren hatte sie in einer Redaktionssitzung ihrem Chef Roland Voss die Idee für die Kolumne präsentiert. Mitten in der Nacht war Klara die Eingebung gekommen. Ein wenig frischer Wind musste in das angestaubte Blatt, bei dem sie arbeitete. Und diesen frischen Wind würde sie, Klara Maas, hineinpusten.

Ihr Chef hatte sie zunächst verständnislos angesehen. »Eine Kolumne, und wer soll das lesen? Wir sind doch hier nicht in Berlin, sondern in einer Gegend, in der die Leute das mögen, was es schon immer gab. Eine Kolumne gab es noch nie, auch die anderen Zeitungen haben keine. Und über was wollen Sie da überhaupt schreiben?«

»Ich finde, dass ein wenig Humor unserer Zeitung sehr gut stehen würde. Die meisten Leute haben im Alltag wenig zu lachen. Da wäre das doch mal was anderes. Na ja, ich denke einfach, wir sollten ein wenig moderner werden.« Klara kämpfte um ihren Traum und hatte sich jedes Wort sorgfältig überlegt.

Die Stille am Redaktionstisch war fast schon bedrohlich. Ausgerechnet das Küken, die Mitarbeiterin, die am kürzesten dabei war, machte Vorschläge. Also zückte Klara ihre Mappe und legte sie vor Voss hin. Klara hatte tagelang vorgearbeitet und präsentierte voller Stolz ihre ersten Entwürfe. Jessi, die von dem Plan natürlich gewusst hatte, hatte Klara bei den nächtelangen Vorbereitungen geholfen. Immer und immer wieder feilten sie an den Formulierungen, verwarfen, strichen, bis der Text perfekt war. Zumindest waren die beiden Frauen davon überzeugt. Sie wollten die aktuellen Vorkommnisse in ihrer Gegend aus der Sicht eines Hundes namens Hugo schildern. Hugo sollte mit seinem vermeintlichen Herrchen in der Region unterwegs sein und dort aktuelle Themen spontan aufgreifen, sozusagen beim Gassigehen. Und das alles mit ganz viel Humor, Satire und einem Augenzwinkern.

Die Entwürfe hatten am Redaktionstisch die Runde gemacht.

Zunächst herrschte in der Runde eisiges Schweigen. Ihre Kollegen warfen sich knappe Blicke zu und warteten lieber die erste Reaktion des Chefs ab. Der schwieg, überflog die Artikel mehrmals und begann schließlich zu lächeln. »Nicht schlecht, ich muss schon sagen, nicht schlecht«, brummte Voss.

Kurze Zeit später grinsten fast alle am Tisch. Die Texte hatten sie überzeugt.

»Einverstanden, Frau Maas«, sagte ihr Chef schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit. »Sie bekommen in den nächsten vier Ausgaben einmal pro Woche eine kleine Spalte von uns, und zwar im Mittelteil. Wir warten die Reaktionen ab und entscheiden dann.«

Klara wusste noch, dass sie anschließend die Treppe eine Etage hinabgestürmt war und mitten in der Kanzlei einen Freudentanz vollführt hatte. Jessi und sie hatten sich in den Armen gelegen und gejubelt.

Doch bei der Rückkehr in die Redaktion hatte sie ein kühler, abschätzender Blick getroffen. Er kam von Jana Franke. Mit ihr hatte sich Klara noch nie verstanden. Die Frau war schon lange beim Sachsenlandkurier, eine sehr gute, aber auch knallharte Journalistin. Sie sah ihre Position als stellvertretende Redaktionsleiterin als absolute Vormachtstellung. Ergeben und heuchlerisch hechelte sie hinter Chefredakteur Voss her. Franke war fast immer seiner Meinung und hofierte den Mann so sehr, dass es schon fast peinlich war. Doch nach unten und zur Seite teilte sie kräftig aus. Vor ihr und ihren Intrigen musste man sich in Acht nehmen. Jana Franke hatte nämlich nur ein Ziel, und das schon seit vielen Jahren. Sie wollte eines Tages an die Spitze der Redaktion rücken. Und mit jedem Jahr, das verging, kam sie ihrem Ziel ein wenig näher. Frau Franke hatte Klaras Kolumne damals mit säuerlichem Gesichtsausdruck gelesen. Angesichts der Zustimmung des Chefs knickte sie ein, aber ihre Miene sprach Bände.

Doch vier Wochen später mussten die gesamte Redaktion sowie Klaras Chef die Kolumne neidlos anerkennen. »Frau Maas, diese Kolumne ist ein voller Erfolg. Wir waren vorige Woche zum zweiten Mal am Mittwoch ausverkauft. Die Zeitungshändler haben berichtet, dass die Nachfrage enorm war, und die Leserbriefe sind eindeutig. Genau das hat unserer Zeitung noch gefehlt. Also haben Sie ab sofort Ihre Kolumne. Aber das ist noch nicht alles, außerdem schreiben Sie nämlich für die Samstagsausgabe und bekommen von mir zwei Spalten.«

Klara war sprachlos gewesen, selbst die missmutigen Blicke von Jana Franke konnten ihre Freude nicht trüben. Die Samstagsausgabe war das absolute Filetstück. An keinem Tag der Woche lasen mehr Menschen Zeitung als am Samstag. Klar, samstags mussten viele nicht arbeiten. Man saß am heimischen Tisch, trank Kaffee und hatte Zeit. Oder man nahm beim Wochenendeinkauf einfach noch ein Exemplar des neuesten Sachsenlandkuriers mit. Immerhin wollte man am Montag mitreden können, wenn sich die Kollegen unterhielten.

Heute schrieb Klara immer noch ihre wöchentliche Kolumne und war damit zum heimlichen Star der Redaktion aufgestiegen. Sogar einen Preis hatte sie für ihre Artikel gewonnen, als Einzige im gesamten Team. Doch der Gegenwind, der ihr ins Gesicht blies, wurde stärker. Und ab Januar nächsten Jahres würde er sich vermutlich in einen Orkan verwandeln. Denn dann ging ihr langjähriger Chefredakteur Voss in den wohlverdienten Ruhestand und Jana Franke würde wahrscheinlich das Ruder übernehmen. Ihr und sämtlichen Kollegen graute es vor diesem Tag.

Klara strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und klemmte sie hinters Ohr. Im kommenden Januar würde ihre beste Freundin Jessi schon ganz weit weg sein und ihr nicht mehr beistehen können. Es war falsch, Jessi Vorwürfe zu machen. Im Gegenteil, sie sollte sie jetzt bestärken und an ihrer Seite sein. So, wie sie in den letzten Jahren einander beigestanden hatten. Sie waren ehrlich zueinander gewesen und hatten sich, wann immer es sein musste, geholfen. Zahlreiche Krisen hatten die beiden Freundinnen gemeinsam durchgestanden, die sie mit den Jahren immer fester zusammengeschweißt hatten.

Trotzdem verstand Klara Jessi und ihre Handlungen in letzter Zeit oft nicht mehr. Ihre beste Freundin legte eine Sprunghaftigkeit an den Tag, die sie früher nie an sich gehabt hatte. Zu bestimmten Themen äußerte sie sich voller Negativität oder wirkte abweisend. Gleich darauf jauchzte sie wieder und schwebte auf Wolke dreizehn. Selbst anderen gemeinsamen Freunden war das schon aufgefallen. Einmal hatte Klara sie darauf angesprochen, doch Jessi hatte abgewehrt und sie in ihrer üblichen Art in den Arm genommen. Also ließ Klara das Thema ruhen.

Und so seufzte sie auch diesmal und bemühte sich um einen einigermaßen freundlichen Gesichtsausdruck. Es galt jetzt, positive Energie zu verströmen. Jessie sah so unglücklich aus, dass Klara ihr einfach Mut machen musste.

»Okay, ich verstehe deine Entscheidung ja. Auch wenn ich nicht begeistert bin«, sagte sie. »Ich würde auch nicht allein zu Hause hocken wollen, wenn mein Freund am anderen Ende der Welt ist. Eine Fernbeziehung ist wirklich nicht erstrebenswert. Immerhin seid Erik und du ja geradezu füreinander geschaffen.« Jessi zuckte kurz zusammen, hatte sich aber sofort wieder im Griff. »Und wenn es wirklich eine so tolle berufliche Chance für ihn ist, dann müsst ihr es natürlich machen. Hauptsache, für dich findet sich auch eine Aufgabe, denn wenn ich ehrlich bin, kann ich mir dich beim besten Willen nicht als Hausfrau vorstellen.«

Klara registrierte ein kleines verschmitztes Lächeln, das über Jessis Gesicht huschte. Doch dann fiel ihr ein, was Jessi zu Anfang ihres Gespräches gesagt hatte, kurz nachdem Klara die Bar betreten hatte.

»Aber sagtest du nicht, du hättest eine gute und eine schlechte Nachricht für mich? Welche war das denn gerade?«

»Die schlechte natürlich, was glaubst du denn?«, gab Jessi zu. »Die gute Nachricht kommt jetzt. Denn bevor wir nach Kanada gehen, möchten wir«, sie machte eine Kunstpause und holte tief Luft, »noch heiraten!«

Klara stieß einen kurzen Jubelschrei aus. Die Gäste an den Nebentischen drehten sich nicht mal um, hier war man anscheinend ganz anderes gewöhnt. »Er hat dich gefragt? Ich glaub es ja nicht, endlich. Erzähl, ich will alles wissen. Wie war der Antrag und wo und …« Aufgeregt klatschte Klara in die Hände. In den letzten Jahren hatten sie immer wieder über den lang ersehnten Heiratsantrag gesprochen und sich ausgemalt, wie er wohl werden würde. Als junge Mädchen hatten sie sich in romantische Schwärmereien geflüchtet, die jeglicher Grundlage entbehrten. Dann, bei den ersten Beziehungen, wurden die Gedankenspiele schon konkreter. Der Prinz aus Kindertagen wurde durch potenzielle Partner ersetzt und diese nach kurzer Zeit wieder verworfen. Besonders Klara wehrte sich vehement gegen feste Beziehungen. Und jetzt hatte es zumindest eine von ihnen geschafft.

Jessi grinste. »So viel gibt es da nun wirklich nicht zu erzählen. Einen richtigen Heiratsantrag mit Kniefall und tausend Geigen und so hab ich nicht bekommen. Du kennst ja Erik, das ist einfach nicht sein Ding. Erst mal hat er von Kanada erzählt, mir Bilder gezeigt und so. Dann wollte er wissen, ob ich ihn begleiten würde. Na ja, viel Zeit zum Nachdenken hatte ich nicht, eigentlich nur drei Tage. Das war die Zeit, in der du auf diesem komischen Seminar warst und ich dich nicht stören durfte.« Jessi nahm einen großen Schluck Saft und fuhr fort: »Ich habe ihm dann gesagt, dass ich nach Kanada mitkomme. Da war Erik erleichtert, ich glaube, er hatte echt Schiss, allein gehen zu müssen. Meine Bedingung war nur, dass ich unbedingt hier in Deutschland noch heiraten will, und zwar möglichst, bevor ich in kein Kleid mehr hineinpasse. Und da hat er mich schließlich gefragt und ich hab Ja gesagt. Also, sinngemäß so lief alles ab.« Gespannt schaute Jessi Klara ins Gesicht. »Findest du das zu erpresserisch? Ich meine, wirkt es, als hätte ich ihm die Pistole auf die Brust gesetzt?«

»Na ja, wenn ich ehrlich bin, hast du das, ja. Aber was meinst du mit ›bevor ich in kein Kleid mehr hineinpasse‹?« Klara sah ihre Freundin fragend an.

Die Stille am Tisch dehnte sich. Und zwar so sehr, dass man, wenn die anderen Geräusche der Bar nicht gewesen wären, eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören können. Schließlich brach Jessi in schallendes Gelächter aus. »Du müsstest dich mal sehen. Ich erkenne lauter Fragezeichen in deinem Blick. Deine Miene ist absolut köstlich.« Jessi prustete in ihr Glas.

Klara war verwirrt. »Okay, ganz langsam«, sagte sie und hob beschwörend die Hände. »Ich hoffe, es liegt nicht an diesem schrecklichen Cocktail, der mir augenblicklich zu Kopf gestiegen ist. Aber sagtest du nicht gerade, du würdest bald in kein Kleid mehr passen? Da ich davon ausgehe, dass du weiterhin mehr Salat als Kuchen isst, deinen Pilateskurs auch alleine und ohne Gruppe vor dem Spiegel fortsetzt, vermutlich kurz nach deiner Ankunft schon durch die kanadische Wildnis joggst und nicht in fettigem kanadischen Fastfood baden willst, gibt es nur eine Schlussfolgerung.« Klara machte eine Pause und holte dann tief Luft. »Du bist schwanger.«

Jessi nickte strahlend, doch gleich darauf wurde ihre Miene unsicher. »Findest du das falsch? Ich meine, du weißt ja, wir wollten damit eigentlich noch warten. Aber nun ist es sozusagen passiert.« Sie knetete ihre Hände heftig, so sehr, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Wir haben es nicht drauf angelegt, aber na ja. Manchmal passiert es einfach, du weißt schon.« Klara winkte ab. »Ich wollte es dir letzte Woche eigentlich schon sagen, bei unserem Kinobesuch. Doch dann habe ich doch noch die Bestätigung des Arztes abgewartet. Ich war mir so unsicher. Aber da war ja immer diese Morgenübelkeit …« Wie ein Wasserfall sprudelte es aus ihr heraus. »Und na ja, dann war ich beim Arzt und rumms – schwanger.«

Ihre Freundin war schwanger, das war in der Tat eine ziemliche Neuigkeit. Die nächste, die sie erst einmal in Ruhe verdauen musste. Denn wenn Klara ehrlich war, konnte sie sich Jessi im ersten Moment gar nicht als Mutter vorstellen. Sie kannte ihre Freundin nur als sportbesessene Biene, die jeden Abend mit irgendwelchen Joggingrunden oder im Fitnessstudio verbrachte. Die Erhaltung ihrer schlanken Figur hatte oberste Priorität. Jessi hatte immer voller Entsetzen auf unförmige Schwangere geschaut, die sich watschelnd durch die Gegend schoben. Sie ernährte sich gesund und war seit einigen Jahren strenge Vegetarierin. Außerdem führte sie ein chaotisches Leben und liebte es noch mehr als Klara, das zu tun, was ihr gerade einfiel. Ihr Freund Erik war ähnlich spontan, doch irgendwann änderte sich wohl alles im Leben.

»Falscher Zeitpunkt, ich bitte dich, so ein Quatsch. Jetzt klingst du wie deine Mama. Immerhin bist du bereits achtunddreißig und keine minderjährige Schwangere wie in diesen Fernsehdokus. Außerdem tickt deine biologische Uhr, zwar noch nicht allzu schnell, aber doch schon ein wenig zügiger. Ich bin sicher, du wirst eine tolle Mutter und Erik wird ein toller Vater. Woher soll man wissen, welcher Zeitpunkt richtig oder falsch ist? Ich freue mich sehr für euch beide. Ihr seid einfach ein perfektes Paar, wie füreinander geschaffen.«

Jessi zuckte erneut heftig zusammen, und Klara ergriff über den Tisch ihre Hand und drückte sie mit ehrlicher Zuneigung.

»Auch wenn ich dich ganz schrecklich vermissen werde. Kanada – das ist so entsetzlich weit weg.«

»Ich dich auch, das musst du mir glauben. Ich weiß gar nicht, wie es ohne dich werden soll. Einfach mal spontan quatschen, ins Kino gehen oder in so komische Bars – das ist dann vorbei. Und auch den Schwangerschaftskurs muss ich alleine besuchen, obwohl ich doch gehofft hatte, dass du mich festhältst, wenn ich auf quietschebunten Bällen durch die Gegend hopse und lerne, hechelnd zu atmen.« Jessis Augen begannen feucht zu schimmern. Sie schluckte heftig und blinzelte mit zitternden Lidern die aufsteigenden Tränen weg. Dennoch rann ein hartnäckiger Tropfen abwärts. Er hinterließ eine dunkle Spur in ihrem ansonsten perfekten Make-up und landete auf ihrem Kleid. »Die Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen – im Gegenteil, obwohl Erik viel entspannter ist als ich. Auf ihn wartet ein neuer Job, eine neue Aufgabe. Aber ich? Ich lasse nicht nur dich und meine Arbeit zurück, sondern meine ganze Familie. Meine Mutter wird durchdrehen. Endlich wird sie Oma und dann ist das Enkelkind am anderen Ende der Welt. Und das, wo sie doch in kein Flugzeug steigt.« Sie machte eine Pause und holte tief Luft. »Aber nun kommt meine wichtigste Frage, also die, wegen der ich dich überhaupt in diese angebliche Trendbar eingeladen habe.« Jessi blickte sich in der dämmrigen Bude kurz um. »Wobei man sich über Trends streiten kann – aber egal. Den Rest hätte ich dir auch am Küchentisch erzählen können, doch ich wollte einen ganz besonderen Ort – einen Ort, an den wir beide immer zurückdenken werden. Und nun kommt es.« Erneut sammelte Jessi sich offenbar und die Spannung am Tisch stieg. »Würdest du mir bei den Vorbereitungen der Hochzeit helfen? Und würdest du … würdest du meine Trauzeugin sein? Ich bitte dich und könnte mir keine andere dafür vorstellen. Ich will unbedingt dich, meine allerbeste Freundin, an meiner Seite haben. Ganz so, wie wir es uns einst versprochen haben.«

Nun war es an Klara zu heulen, augenblicklich schoss ihr das Wasser in die Augen. »O Mann, du blöde Kuh. Haben wir uns nicht geschworen, dass nicht geheult wird, wenn es eines Tages so weit ist?« Sie wedelte hektisch mit den Händen vor ihrem Gesicht herum, doch der Tränenstrom ließ sich nicht aufhalten. »Und nun schau uns an, hier sitzen wir und schniefen, und keiner ist in Sicht, der uns tröstet. Obwohl man bei Freudentränen ja auch nicht getröstet werden muss. Na klar helfe ich dir! Das ist doch gar keine Frage. Und natürlich will ich deine Trauzeugin sein. Nichts lieber als das.« Sie ergriff Jessis Hände, musste lachen und schon wieder liefen ihr die Tränen über die Wangen. »Weißt du noch, wenn wir als kleine Mädchen Hochzeit gespielt haben? Einmal warst du Braut und einmal ich. Und dann haben wir uns geschworen, wir nehmen zwei Brüder, wie im Märchen.«

»Ja, genau, und dann halten wir eine Doppelhochzeit ab und bauen unsere Häuser nebeneinander oder zumindest ein Doppelhaus. Ich glaube aber, das schaffen wir nicht mehr. Es sei denn, du zauberst deinen absoluten Traumprinzen aus einem Zylinder.« Jessi grinste, wurde aber gleich darauf wieder ernst. »Aber wenn du eines Tages den Richtigen gefunden hast, bin ich auch an deiner Seite – fest versprochen. Deswegen komme ich sogar extra aus Kanada zurück.« Sie kreuzte ihre Finger, um den feierlichen Schwur zu bekräftigen.

»Oje, bis das passiert … Ich sterbe als eiserne Jungfrau. Na ja, Jungfrau vielleicht nicht, der Zug ist abgefahren.« Klara kicherte. »Aber als ledige Frau vermutlich. Derjenige, der es mit mir aushält, muss erst gebacken werden. Also ist es abgemacht, ich helfe dir. Nun interessiert mich nur noch, wo du heiratest und vor allem wann?«

Diese Frage schien für ihre Freundin ein Problem darzustellen, denn Jessi lehnte sich zurück und schlug ihre Beine übereinander. Eine Haltung, die auf diesem unbequemen Hocker fast schon artistisch anmutete. Sie trug heute ein hautenges knallrotes Kleid und zog damit so manchen begeisterten Blick der männlichen Gäste auf sich. Kaum vorstellbar, dass sie bald schon ein Babybauch schmücken und sie weite, wallende Gewänder tragen würde.

»Nun sag schon, wann und wo heiratet ihr?«, hakte Klara gespannt nach.

Jessis Blick ging zur Decke, an der rötliche Lichter vor sich hin glommen. »Tja, jetzt kommt vermutlich das größte Problem, eigentlich sogar das allergrößte. Ich glaube, du musst jetzt ganz stark sein. Denn wir möchten … wir möchten an der Ostsee heiraten, genauer gesagt in Prerow.«

Das musste Klara tatsächlich erst einmal verdauen.

Doch Jessi plapperte bereits hektisch weiter und versuchte ihre Freundin zu beruhigen. »Ich weiß, ich weiß, deine Ostseephobie.« Sie hob beruhigend die Hände. »Aber ich kann es dir erklären. Dort oben lebt Eriks Großmutter. Sie ist fünfundneunzig Jahre alt und nicht mehr in der Lage, große Strecken zu reisen. Er möchte sie aber unbedingt dabeihaben, was ich gut verstehen kann. Denn wenn ich noch eine Großmutter hätte, müsste die auch mitfeiern. Die Ostsee ist zwar nicht mein absoluter Traumort, aber es gibt schlimmere. Es ist nicht für lange und du musst dort auch nicht Urlaub machen. Wir haben viel zu tun und das Wetter ist jetzt überall beschissen – egal ob hier oder dort. Denn jetzt kommt der nächste Hammer«, verkündete Jessi.

»Wie viele kommen denn noch? Für meinen Geschmack reicht es langsam«, warf Klara sarkastisch dazwischen und nahm erneut einen großen Schluck. Anscheinend war ihr Inneres jetzt auf das Getränk eingestellt, denn es machte sich ohne größere Probleme auf den Weg Richtung Magen.

»Leider ist der einzig mögliche freie Termin in Eriks Terminkalender in drei Wochen.«

Vermutlich hatte sich Klara gerade verhört. Ganz sicher hatte Jessi irgendwas mit drei Monaten gesagt, oder nicht? »Ähm, sagtest du gerade Wochen?«

Ihre Freundin sank in sich zusammen und flüsterte: »Ich sagte Wochen, drei Wochen, also eigentlich zwei Tage mehr als drei Wochen. Aber ich glaube, das ist auch wurscht. In zwei Monaten sind wir bereits in Mortonsville und hocken in irgendeinem Holzhaus.« Jessi seufzte und verdrehte die Augen. »Glaub mir, ich weiß, es ist eine absolute Katastrophe. Und weil das so ist, musst du mir unbedingt helfen. Bitte, ohne dich drehe ich vermutlich durch.«

2. Kapitel

In diesem Augenblick hätten bei Klara alle Alarmglocken angehen sollen. Tausend Einwände tauchten in ihrem Kopf auf. Doch sie sagte zunächst nichts und nickte nur vorsichtig. So schlimm würde es schon nicht werden, und anscheinend gab es ja keine Alternative zu diesem Termin. In der Vergangenheit hatten sie alle Schwierigkeiten gemeinsam überstanden, also würde so eine Hochzeit auch irgendwie zu bewältigen sein. Und vielleicht war dieser Termin gar nicht so schlecht gewählt, denn in drei Wochen war November und wer wollte im November schon heiraten? Vor allem am Meer, wo vermutlich Winterstürme tobten und man sich bei einem Strandspaziergang den Hintern abfror. Alle wollten doch sommerliche Strandhochzeiten – mit den Füßen im Wasser und so. Somit würden sämtliche Dienstleister bei Fuß stehen und sich darum reißen, einen Auftrag übernehmen zu können. Sie würden offene Türen einrennen.

Klara liebte die Ostsee nicht, im Gegenteil. Sie mied diesen Landstrich wie die Pest. Schon jetzt war ihr der Gedanke an die bevorstehende Reise ein Graus. Zu viele negative Gedanken und Erfahrungen saßen fest verankert in ihrem Hinterkopf. Aber Jessi hatte recht, Klara machte keinen Urlaub, sondern musste organisieren und planen. Die Zeit würde wie im Flug vergehen und sie würde lächelnd daran zurückdenken.

»Okay, ich glaube, das Wichtigste ist, ganz strukturiert vorzugehen und erst mal alles aufzuschreiben, was erledigt werden muss«, sagte Klara und schnippte mit den Fingern nach dem Kellner. Sie orderte einen weiteren dieser unglaublichen Drinks. Mittlerweile schien sich ihr Magen daran gewöhnt zu haben und das Getränk schmeckte Klara immer besser.

Jessi nickte zustimmend und ihre blonden Locken flogen dabei. Die Erleichterung war ihr überdeutlich anzumerken. Also zückte Klara ihr Notizbuch, welches sie immer bei sich trug, und begann mit Jessi einen Schlachtplan auszuarbeiten. Je später der Abend wurde, umso mehr Seiten füllten sich mit Dingen, die erledigt und organisiert werden mussten. Und das, obwohl Jessi nicht müde wurde zu betonen, dass es eine ganz schlichte Hochzeit werden sollte. Die meisten der festgehaltenen Punkte aber sprachen schon jetzt dagegen.

Jessi wirkte glücklich. Entsprechend liebevoll fiel sie Klara später auf dem Gehweg um den Hals. Es war schon nach eins, als die beiden Freundinnen sich zum Gehen entschlossen hatten. Die Bar war immer noch gerammelt voll. Genau wie die Straßen um sie herum – typisch Neustadt eben, hier tickten die Uhren anders.

Jessi umarmte Klara noch einmal und stöckelte dann mit ihren mörderisch hohen Schuhen zu ihrem Auto, das sie in einer Nebenstraße abgestellt hatte. Klara dagegen marschierte zur nahen Straßenbahnhaltestelle und inspizierte dort fröstelnd den Fahrplan. Sie war ziemlich angeschickert und merkte, dass der Gehweg unter ihr leicht schwankte. Kein Wunder, die Drinks waren stark gewesen und zum Schluss auch recht süffig.

In der Straßenbahn presste sie ihre Stirn an die kühle Scheibe und schaute auf die schlafende Stadt, die an ihr vorbeizog. Der Blick von einer der Elbbrücken auf die alten Gebäude ließ Klara immer wieder aufs Neue das Herz aufgehen. Dresden war einfach zu schön, die schönste Stadt der Welt – niemals würde sie von hier weggehen. Und wenn doch, dann nur, um ganz schnell wiederzukommen.

Bevor sie sich in Jessis Hochzeitsvorbereitungen stürzen konnte, galt es, die Zeit dafür zu organisieren. Denn immerhin war sie keine Hausfrau mit reichlich Freizeit, sondern hatte einen zeitaufwendigen Job. Während die Straßenbahn zu später Stunde heimwärts ratterte, begann Klara sich darüber erste Gedanken zu machen. Das Gespräch mit ihrem Chef, Roland Voss, war da noch eine ihrer leichteren Übungen. Trotzdem stand es an allererster Stelle, denn von seiner Zusage hing alles ab.

In den nächsten Tagen dachte sie immer wieder an diesen Moment – den Moment, in dem sie zu diesem verrückten Plan Ja gesagt hatte. Denn von da an hielt das Chaos in ihrem Leben Einzug. Ihr üblicher Rhythmus aus Arbeiten, Hausarbeit, Kinobesuchen und abendlichem Fernsehen mit einer Tafel Schokolade geriet vollkommen aus den Fugen.

Klara saß am nächsten Tag an ihrem Schreibtisch und schaute an die Decke. Da ihre Kollegin krank war, befand sie sich allein in ihrem Büro und konnte sich in aller Ruhe einen Schlachtplan ausdenken. Sie hatte schon mindestens fünf Tassen Kaffee intus, und zwar starken und schwarzen – so wie sie ihn mochte. Auf ihre Arbeit konnte sie sich trotzdem nicht konzentrieren, immer wieder schweiften ihre Gedanken zu dem vor ihr liegenden Gespräch mit ihrem Chef ab. Der vereinbarte Termin rückte immer näher, ohne dass ihr eine passende Strategie eingefallen war. Sie würde einfach auf den Punkt kommen müssen. Denn sie konnte Jessi auf gar keinen Fall hängen lassen.

Wie immer war Voss hinter einer fast undurchdringlichen Zigarrenqualmwolke verborgen. Jeder, der das mit hohen Bücherregalen vollgestellte, winzige Büro betrat, musste diese Mauer aus Qualm überwinden oder draußen bleiben. Verbote oder Gesetze interessierten ihn nicht, und was seine Mitarbeiter dachten, schon gar nicht. Sogar den Feuermelder hatte er abgeschaltet. Das war auch besser so, sonst würde die Feuerwehr täglich anrücken. Alle Kritik prallte an ihm ab, denn seine Pensionierung rückte immer näher. Sollten sie ihn doch vorzeitig in den Ruhestand schicken – auch gut! Dann konnte er früher in die Angelferien nach Norwegen fahren.

Voss war ein kleiner Mann, aber er machte fehlende Größe mit einem unglaublichen Eifer und einer fast schon verbissenen Arbeitsweise wett. Auch heute noch traute sich niemand über ihn zu lachen. Obwohl er mit seinem schütteren Haarkranz und den obligatorischen dunkelbraunen Cordhosen alles andere als chefmäßig aussah. Dem entgegen standen seine wirklich herausragenden journalistischen Fähigkeiten. Er hatte den gewissen Riecher, den man manchmal einfach brauchte. Wenn Voss eine Story witterte, dann gab es eine Story, und zwar zu hundert Prozent. Und der Mann hatte Kontakte, es gab eigentlich niemanden mit Rang und Namen, mit dem er noch kein Bier getrunken hatte. Trotzdem war er immer fair. Allen neuen Kollegen sagte er zu Beginn ihrer Arbeit: Mensch sein und bleiben – das sollte an allererster Stelle stehen. Nicht alles, was die Leute vielleicht gerne lesen würden, musste eine Zeitung auch tatsächlich abdrucken.

Seine Miene verhieß nichts Gutes, nachdem Klara ihre Bitte vorgetragen hatte. Er sah sie an, als hätte sie vollkommen den Verstand verloren. »Was wollen Sie? Einfach mal zwei Wochen Urlaub, und dann auch noch so kurzfristig?« An seinem Hals begann eine Ader gefährlich zu pochen. »Mann, Frau Maas, Hochzeit hin, Hochzeit her, muss das denn sein?«

Klara blieb hart, sie wusste, sie hatte bei Voss einen Stein im Brett. Er würde ihr die kleine Bitte nicht abschlagen. Dennoch wetterte er in seiner üblichen Art erst einmal ein Weilchen weiter. »Sonst noch irgendwelche Wünsche, immer her damit. Vielleicht noch eine Gehaltserhöhung oder einen Dienstwagen, tun Sie sich ja keinen Zwang an. Ich glaube, ihr wollt mich alle ins Grab bringen, bloß damit ich meine Rente und meinen norwegischen Angelsteg nicht mehr erlebe.«

Als sein erster Tobsuchtsanfall vorüber war, stimmte Voss brummelnd ihrem Urlaubsgesuch zu. »Also gut, ich will mal nicht so sein. Denn immerhin haben Sie mir in den letzten Wochen ein paarmal den Hintern gerettet und sind für andere eingesprungen. Die Kolumnen werden aber vorgeschrieben, alles muss fertig sein. Suchen Sie sich eine Vertretung für Ihr Ressort, nichts bleibt liegen. Da wünsche ich Ihnen schon jetzt viel Freude, denn es sind zwei der Kollegen krank. Darunter Ihre Vertretung, die Frau Burg.«

Katja Burg, mit der sich Klara ihr Bürozimmer teilte, war vor vier Wochen von ihrem Mann verlassen worden und schickte seitdem einen Krankenschein nach dem anderen. Sie ging an kein Telefon und schien unablässig zu heulen, wie erste Recherchen bei ihren Nachbarn ergeben hatten. Klara, die normalerweise verständnisvoll war, war mittlerweile nur noch genervt von ihrer Kollegin, deren Eheprobleme schon seit Jahren anhielten.

»Aber das wissen Sie ja alles selbst«, fuhr Voss fort. »Und ich erwarte, dass Sie telefonisch erreichbar sind, und zwar täglich. Und kommen Sie mir ja nicht mit Funkloch, keine Zeit und solchem Mist – ohne mich.« Nach diesem Redeschwall war Klara entlassen und flüchtete sich nach draußen auf den Flur. Sie konnte sich eine geballte Faust gerade noch verkneifen, als Jana Franke an ihr vorbeiflanierte.

»Gibt es etwas, das ich wissen müsste?«, fragte sie Klara mit eiserner Stimme.

Diese schüttelte nur den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Und wenn es so sein soll, dann werden Sie es wohl erfahren«, antwortete sie schnippisch. Dann drehte sie sich herum und verschwand in ihrem Zimmer.

Sie spürte den verblüfften Blick ihrer Kollegin förmlich durch die geschlossene Tür hindurch. Klara wusste, es wäre besser, sich mit Jana Franke gut zu stellen. So wie es auch ihre Kollegen machten. Doch beim bloßen Gedanken daran drehte sich ihr jetzt schon der Magen um.

Die erste Hürde war also genommen. Doch eine Vertretung für ihr Ressort zu finden, war nach der gerade bewältigten Aufgabe um einiges schwieriger. Gleich nach dem Mittag machte Klara sich auf den Weg und klapperte die Zimmer sämtlicher infrage kommender Kollegen ab. Doch alle winkten dankend ab, sobald sie hörten, worum es ging. Sie hatten selbst genug zu tun und wollten sich auf keinen Fall noch mehr Arbeit aufladen. Und schon gar nicht das ungeliebte Ressort Regionales. Da gab es immer viel zu tun, vor allem nach Feierabend. Man musste viel herumfahren und sich oftmals mit wenig interessanten Themen herumplagen. Wie zum Beispiel der Jubiläumsfeier der Kaninchenzüchter oder schwerhörigen Jubilaren, die ihren neunzigsten Geburtstag feierten.

Kurz vor Feierabend hatte Klara alle angesprochen und sogar die freiberuflichen Kollegen angerufen. Einige wollten es sich überlegen, andere konnten so kurzfristig nicht einspringen. Nun war guter Rat teuer. Wenn sie ehrlich war, blieb ihr nur noch eine Möglichkeit.

Klara war dennoch zum Äußersten entschlossen, weil es um ihre allerbeste Freundin ging. Sie würde morgen ihrem Kollegen, den alle nur den eifersüchtigen Peter nannten, einen Besuch abstatten. Sie hatte gehofft, nicht auf ihn zurückgreifen zu müssen.

Mit Peter Ahrens hatte sie noch nie viel zu tun gehabt. Er kümmerte sich um das Sportressort, für das sich Klara so gar nicht interessierte. Seine Artikel schienen gut zu sein, denn er wurde immer wieder lobend erwähnt. Ansonsten hing ihm der Ruf an, unendlich eifersüchtig zu sein und bei seiner Frau ständig Kontrollanrufe zu machen. Er war ein Einzelgänger, nahm sein Mittagessen immer für sich ein und hielt sich aus allem raus. Kegelabende mit den Kollegen mied er, er fuhr lieber gleich heim. Aber sie wollte Peter ja nicht heiraten, sondern ihn um einen Gefallen bitten, sagte sich Klara und sprach sich selbst Mut zu.

Gegen halb sechs am nächsten Tag klingelte Klaras Wecker und sie schrak ruckartig hoch. Sie seufzte, denn sie hatte gerade mal drei Stunden geschlafen. Immer wieder waren ihre Gedanken zu Kollege Peter gewandert. Da halfen nur eine eiskalte Dusche und ein starker Kaffee.

Während ihre Kaffeemaschine in der Küche asthmatisch vor sich hin stöhnte, sprang sie unter den eiskalten Duschstrahl. Die Tropfen prickelten auf ihrer Haut, und tatsächlich fühlte sie sich augenblicklich wacher und fitter. Als Nächstes durchforstete sie ihren heimischen Kleiderschrank und entschied sich schließlich für ein schlichtes, dunkelblaues Kleid. Dieses betonte ihre Rundungen auf eine ganz bestimmte Art und Weise, und sich ein wenig in Szene zu setzen, konnte nie verkehrt sein.

Ihre dunklen Haare steckte sie hoch, sprühte einen Hauch Parfüm darüber und trug blassroten Lippenstift auf. Zufrieden betrachtete sie ihr Spiegelbild.

Die hochhackigen, zum Kleid passenden Schuhe wanderten in einen Beutel, stattdessen zog sie ihre bequemen Treter an. Mit ihnen konnte sie am besten Auto fahren. Auf dem Parkplatz der Redaktion tauschte sie das Schuhwerk und stöckelte mit wiegenden Hüften los.

Im Redaktionsgebäude nahm sie den Fahrstuhl und verschwand zunächst in ihrem Büro. Die teils fragenden, teils verwunderten Blicke ihrer Kollegen ignorierte Klara tapfer, denn normalerweise sah man sie in legeren Jeans und T-Shirt durch die Räume ziehen. Wenn sie sich derart aufgebrezelt hatte, schien etwas ganz Besonderes anzustehen. Besonders Jana Franke hatte sie durch die Glaswand ihres Büros angestarrt und verströmte ein Gefühl von Neid und Unverständnis. Kein Wunder – trug sie doch tagein, tagaus Hosen mit einer Bluse. Ihre Augen glitten über Klaras Outfit, und Klara rechnete jeden Moment damit, dass einer dieser Blicke sie töten würde. Noch nie hatte Klara die Franke in einem Rock oder einem Kleid gesehen. Deswegen nannte man sie auch hinter vorgehaltener Hand »Die eiserne Lady«. Und diesem Spitznamen machte Frau Franke alle Ehre.

Schnell holte das Alltagsgeschäft Klara mit Telefonaten, Terminabsprachen und der Planung für die nächsten Wochen ein. Kurz vor dem Mittag machte sie sich dann auf ins Zimmer ihres Kollegen. Einen richtigen Plan hatte sie eigentlich nicht. Dennoch war der Zeitpunkt nicht schlecht gewählt, wusste sie doch, dass Peter Ahrens um diese Zeit definitiv an seinem Schreibtisch anzutreffen sein würde. Um diese Zeit führte er immer einen Kontrollanruf bei seiner Frau durch. Das war ein offenes Geheimnis in der Redaktion, jeder der Kollegen wusste es.

Wie erwartet saß Peter mit dem Hörer am Ohr hinter seinem Rechner und telefonierte. Erstaunt schaute er sie an und schraubte seine Stimme auf ein dezentes Flüstern herunter. Klara blickte sich flüchtig um. In diesem Büro war sie noch nie gewesen. Auf der Fensterbank trockneten Grünpflanzen vor sich hin. Staub lag auf den Möbeln und ein riesiger Formel-1-Kalender zierte eine Wand. Ein Männerbüro, daran gab es nicht den geringsten Zweifel.

In diesem Augenblick beendete Peter sein Telefonat und schaute sie erwartungsvoll an. »Hallo, Peter, ja ich, …« Verdammt, was stammelte sie denn hier nur rum. Sag einfach geraderaus was los ist. »Also es ist so, ich hab ein kleines Problem und ich bräuchte deine Hilfe.«

Ihr Kollege stand auf, umrundete seinen Schreibtisch und setzte sich auf die vordere Kante. Er verschränkte seine Arme und nickte nur knapp.

»Ich brauche unbedingt eine Vertretung für mein Ressort Regionales, relativ kurzfristig. Ich weiß, alle haben viel zu tun, sicher auch du, aber ich wollte dich trotzdem fragen. Wenn ich ehrlich bin, ruhen auf dir meine letzten Hoffnungen.«

Ein Grinsen zog über Peters Gesicht. »Ich hab schon gehört. So fern von allem bin ich nun auch nicht. Und weißt du was, ich mache es, ich helfe dir und springe für dich ein.«

»Was?«, fragte Klara ungläubig. Sie spürte, wie ihr in diesem Augenblick das Herz aufging. Mit einer so schnellen positiven Entscheidung hatte sie im Leben nicht gerechnet.

»Ab Montag ist doch Ulli wieder da. Da kriege ich das hin. Außerdem fährt meine Frau für vier Wochen zur Kur. Was soll ich denn jeden Abend allein in der Bude hocken? Alles gar kein Problem für mich.«

Mittlerweile hatte Klara sich gefangen. »Mensch, Peter, das wäre ja super«, sagte sie und strahlte ihn an. »Wenn du das machst, hast du auf jeden Fall etwas gut bei mir.« Ihr fiel ein Stein vom Herzen und zwar ein riesengroßer. »Du rettest mir echt den Hintern. Denn ich hab meiner Freundin versprochen, ihr bei der Hochzeit zu helfen. Ich hoffe nur, mit deiner Frau ist alles in Ordnung. Ich meine, wegen der Kur …«, druckste Klara herum. Täuschte sie sich oder rang ihr Kollege plötzlich um Fassung? In diesem Augenblick tat ihr die vorschnell vorgebrachte Frage fast leid. »Ähm, aber lass mal, es geht mich ja nichts an.« Wieder einmal war ihr Mund schneller gewesen als ihr Hirn.

»Ist schon gut. Früher oder später werden es eh alle erfahren. Diese Zeitung ist die reinste stille Post, da kann ich es dir auch gleich erzählen. Wundert mich sowieso, dass es noch keiner mitbekommen hat. Meine Frau hat Krebs, also, sie hatte Krebs. Sie ist operiert worden, Chemo und das ganze Programm.«

Klara griff sich an den Hals, eine automatische Geste der Angst, und der Schreck fuhr ihr in alle Glieder. Nun war ihr auch der Grund für die häufigen Telefonate klar. Anscheinend hatte niemand davon gewusst, denn überall sprach man nur von eifersüchtigen Anrufen.

»Und nun kommt als Schlusspunkt die Kur. Vier Wochen ohne sie – ich darf gar nicht daran denken. Wir waren noch nie getrennt, noch keinen einzigen Tag. Jeden Tag hab ich sie im Krankenhaus besucht, hab an ihrem Bett gesessen, ihre Hand gehalten.« Er schluckte heftig. »Ein wenig Abwechslung ist sicher gut für mich. Sonst grüble ich den ganzen Abend nur vor mich hin und die Zeit vergeht nicht. Das Ressort Regionales krieg ich bestimmt hin. Vielleicht kann ich dich auch anrufen, falls ich mal ein bisschen Hilfe brauche, und du gibst mir einen Tipp oder so«, sagte er nachdenklich.

»Aber klar.« Klara räusperte sich, der dicke Kloß in ihrem Hals saß immer noch an Ort und Stelle und wollte nicht weichen. »Peter, du darfst mich immer anrufen – Tag und Nacht. Und das mit deiner Frau, das tut mir sehr leid, wirklich. Wenn ich irgendwas für dich tun kann, sag es bitte.«

Peter nickte knapp. »Vielleicht, na ja … vielleicht kannst du es für dich behalten. Mir ist es lieber, mich halten alle für einen eifersüchtigen Idioten. Der Rest geht keinen etwas an.« Er lächelte sie unsicher an, und Klara gab ihm die Hand drauf. Bei ihr war sein Geheimnis sicher.

»Keine Angst, ich sage niemanden etwas.«

Später, als Klara mit ihrem Auto nach Hause tuckerte, saß ihr der Schreck über das eben Gehörte immer noch in den Gliedern. Das Thema Krebs nahm ihr jedes Mal den Atem, wahrscheinlich mehr als den meisten anderen Menschen, gehörte es doch zu ihrer eigenen Geschichte untrennbar dazu. Ihre Großmutter und auch ihre Mutter waren an Krebs gestorben. Zwar erinnerte sie sich an den Tod ihrer Oma nicht mehr – sie war damals erst fünf Jahre alt gewesen und die Bilder von ihr waren verschwommen. Auch mit Fotos konnte sie ihre leibhaftige Oma nicht mehr herbeizaubern. Umso deutlicher stand Klara der Tod ihrer Mutter vor Augen. Sie hatte bis zum Schluss verbissen um ihr Leben gekämpft. Jede Therapie wurde versucht, jede Möglichkeit ins Auge gefasst. Sie hatte verzweifelt versucht, dem Tod noch einige Tage oder Wochen abzuringen. Am Ende war nur noch Schwäche und Krankheit gewesen. Jeden Tag war ihre Mutter ein kleines bisschen weniger geworden.

Bei einer letzten gemeinsamen Reise ans Meer verkündete die Mutter Klara und ihrem Vater, in ein Hospiz zu wollen. »Ich sterbe auf keinen Fall zu Hause, niemals. Ihr bringt mich, wenn es so weit ist, dahin. Anderenfalls frage ich den Arzt um Hilfe.« Klara wusste noch wie heute, dass es ein sommerlicher Abend gewesen war. Der Sonnenuntergang war traumhaft und die Wellen brandeten sanft ans Ufer. Die ganze Welt hatte unendlich friedlich gewirkt. Diese letzte Bitte hatte ihren Vater vollkommen unvorbereitet getroffen. Er wehrte sich, stritt mit ihr und diskutierte, aber ihre Mutter blieb hart und ließ sich nicht von ihrem Wunsch abbringen.

Also hatten sie eines Tages die Tasche gepackt und sie auf der Fahrt im Krankentransport begleitet. Zu Klaras Erstaunen war es ein freundliches Haus gewesen, in dem ihre Mutter untergebracht wurde, mit vielen Blumen und bunten Farben. Es wurde von der Kirche betrieben und Schwestern in Ordenstracht huschten umher. Ihre Mutter, die eigentlich nie sehr gläubig gewesen war, fühlte sich wohl. Sie schien sich sogar fast zu erholen. Ihre Wangen wurden rosiger und sie lachte voller Inbrunst über alte Geschichten, die sie ihr erzählten.

Doch dann sagte sie eines Tages zu Klara: »Ihr müsst nicht jeden Tag kommen. Wirklich nicht, du hast deine Arbeit und Vati hat auch einiges zu tun.« Das stimmte, denn Klara hatte damals ihre Arbeit gerade erst angetreten – Überstunden waren alltäglich für sie. Dennoch bemühte sie sich jeden Tag zumindest für eine Viertelstunde im Hospiz vorbeizuschauen, sonst fühlte sie sich schlecht.

Doch ihre Mutter bestand darauf, dass sie ihr Leben lebte, und wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie niemand davon abbringen. Und genau an diesem einen Tag, an dem weder ihr Vater noch sie zu Besuch kamen, starb ihre Mutter.

Klara war untröstlich und machte sich schreckliche Vorwürfe. Ihre Mutter war allein gestorben – der bloße Gedanke erschütterte sie.

Bis eine der Schwestern sie beruhigte. »Wissen Sie, die schwerkranken Menschen, die auf der Schwelle des Todes stehen, sind manchmal schon ganz weit weg, in einer anderen Welt. Mit dem Hier und Jetzt können sie nicht mehr viel anfangen. Sie als Angehörige meinen es gut und holen sie immer wieder aus diesen anderen Sphären zurück, mit einem Händedruck, einem Gespräch. Doch mancher würde am liebsten für immer dort bleiben. In diesem anderen Land herrschen weder Schmerz noch Leid. Und aus diesem Grund können manche Menschen nur sterben, wenn sie ganz allein sind. Sie gleiten einfach friedlich hinüber, in das andere Land, von dem niemand von uns sagen kann, wie es dort ist.«

Klara gaben diese Worte Trost, und sie hielt sich an dem Gedanken fest, dass ihre Mutter nur vorausgegangen war. Eines Tages würde sie ihr folgen.

Doch ihr Vater war aus lauter Kummer zusammengebrochen. Sein gesamter Lebensmut verließ ihn. Alltägliche Dinge waren nicht mehr möglich, denn er hatte bis zum Schluss gehofft – jeden Tag aufs Neue. Klara kümmerte sich um ihn und brachte ihn fast täglich vom Friedhof heim. Stunden verbrachte er am Grab und führte Monologe mit sich oder seiner verstorbenen Frau. Klara schleppte ihn überall mit hin, sogar in den Urlaub fuhren sie zusammen. Doch die Schwermut lag wie ein bleiernes Band auf seiner Seele und wollte viele Jahre nicht weichen.

Erst letztes Jahr hatte er urplötzlich eine neue Frau kennengelernt, und zwar ausgerechnet auf dem Friedhof. Sie hatte auch ihren Partner verloren, und so besuchten sie einige Male zusammen die Gräber. Seitdem war das Lachen in seine Augen zurückgekehrt. Er schmiedete wieder Pläne, strich seine Wohnung neu und holte das Fahrrad aus dem Keller. Klara freute sich unglaublich über sein neues Glück.

Der Tod ihrer Mutter war jetzt über zehn Jahre her, und doch schien es Klara, als wäre alles erst gestern geschehen. Die Angst vor dem Krebs saß wie ein fetter Klumpen tief in ihrem Magen. Bei jeder Vorsorgeuntersuchung flatterten ihre Nerven derart, dass einige Male sogar Jessi zur moralischen Unterstützung mitgekommen war. Sie selbst hätte aus lauter Schiss beinahe abgesagt. Dann kam das Warten auf die Befunde, Tage voller Angst, in denen sich alle möglichen Szenarien in ihrem Kopf abspielten. Irgendwann folgte das Resultat, alles war gut. Doch nach einem halben Jahr begann das Spiel von vorn.

Jessi – bald würde Klara also allein zu den Untersuchungen gehen müssen. Bald war ihre Freundin weit weg und ihnen würde nur das Telefon bleiben. Doch jetzt galt es erst einmal, eine Hochzeit zu organisieren. Und als Allererstes: ihrer Freundin die guten Neuigkeiten des heutigen Tages zu verkünden.

Klara schlüpfte in ihre alte, superbequeme Jogginghose und fläzte sich mit einem kleinen Seufzer auf ihre Couch. Sie kuschelte sich in die Kissen und legte die Beine hoch. Dann schnappte sie sich das Telefon und rief bei Jessi an.

Diese meldete sich nach dem zweiten Klingelton mit einem kläglichen »Hallo«.

»Heh, was ist denn los? Das klingt ja, als ob die Welt gleich untergeht. Ich dachte, du willst heiraten und bekommst bald ein Kind? Du solltest glücklich sein.«

»Hör bloß auf, ich frag mich, wie ich bloß auf die dumme Idee gekommen bin, in drei Wochen heiraten zu wollen«, jammerte Jessi. »Alle, die ich anrufe, halten mich für wahnsinnig. Und dazu kommt auch noch die Jahreszeit. Alles hat zu, meist geht gar keiner ans Telefon – Betriebsruhe. Klara, wir werden das nie schaffen, niemals. Ich werde mit einem dicken Bauch in Kanada hocken, als unverheiratete Frau.«

»Oje, es gibt also Kummer im Paradies«, sagte Klara möglichst aufmunternd.

Doch der kleine Scherz schien heute nicht zu wirken. Denn Jessi schniefte und schnäuzte sich geräuschvoll die Nase. »Mach dich nur über mich lustig. Du rufst vermutlich an, um mir zu sagen, dass du keinen Urlaub bekommst. Dann geb ich mir gleich die Kugel und blase alles ab …«

»Aber ich bekomme doch Urlaub.« Mit einem energischen Zwischenruf unterbrach Klara den Redefluss ihrer Freundin, ehe diese völlig im Selbstmitleid versank.

»Was, du bekommst Urlaub, ehrlich?« Klara konnte hören, wie Jessi am anderen Ende des Hörers vor Freude ausflippte. »O mein Gott, du rettest mir den Tag. Ich freue mich so. Das heißt, wir können nächste Woche schon an die Ostsee reisen? Denn immerhin bleiben uns ja nur noch diese drei magischen Wochen, und es ist noch so unendlich viel zu tun.« Klara ließ ihre Freundin so lange reden, bis Jessi die Stille am anderen Ende der Leitung bemerkte. »Ich rede zu viel, aber du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich freue.«

»Doch, das glaube ich dir. Und ja, ich fahre nächste Woche mit dir an die Ostsee. Wollen wir gleich Montag los? Und haben wir schon ein Quartier? Um diese Zeit fährt vermutlich kein Mensch dorthin. Ich friere jetzt schon bei dem Gedanken.« Klara kuschelte sich fröstelnd unter ihre Decke.

»Du wirst dich wundern, wie viele Leute im Oktober noch da oben sind. Du alte Frostbeule musst dir einfach nur warme Sachen einpacken. Eriks Großmutter hat wohl ihre Beziehungen spielen lassen und für uns Zimmer in einer sehr schönen Pension gebucht. Natürlich nur für die Vorbereitungen, zwei Tage vor der Hochzeit ziehen wir in ein Hotel. Da habe ich ein ganz tolles im Internet gefunden. Alles biologisch, ruhig gelegen, und jetzt kommt’s!« Jessi machte eine Spannungspause. »Das Hotel kocht vegetarisch und vegan – na, was sagst du?«

»Hm.« Mehr Begeisterung konnte Klara beim besten Willen nicht aufbringen.

»Ach, nun komm schon. Dir schmeckt's immer bei mir, zumindest hast du dich noch nie beschwert.«

»Ja, du hast recht.« Widerwillig musste Klara zugeben, dass die vegetarische Küche teilweise ziemlich lecker war. Sie war eben eine begeisterte Fleischesserin.

»Okay, wir mieten also für die Zeit der Hochzeit das gesamte Haus. Es ist nicht riesig, aber wir kriegen alle gut unter. So viele Gäste sind es ja nicht. Ich hätte gern viel mehr eingeladen, aber bei der kurzfristigen Planung ist es wahrscheinlich besser so. Die Location können wir schon mal abhaken. Aber glaub mir, es stehen noch unzählige weitere Punkte auf der Liste.«

Plötzlich ertönten am anderen Ende der Leitung seltsam scheppernde Geräusche, als würde Wasser in eine Metallschüssel laufen.

»Sag mal, sitzt du gerade auf dem Klo?«

Jessi kicherte aufgeregt. »Hör bloß auf, seit ich schwanger bin, renne ich nur noch aufs Klo. Erik macht sich schon immer über mich lustig. Stell dir mal vor, ich stehe mit Erik vor dem Traualtar, alle Gäste sind da und ich muss pullern – nicht auszudenken. Und dann diese morgendliche Übelkeit, einfach schrecklich. Aber egal, wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, bei dem Hotel …«

»Jessi? Jessi, wenn ich dich vielleicht mal kurz unterbrechen darf. Sag mal, erwähntest du nicht eine Hochzeit im kleinen Rahmen? War da nicht irgendwas mit in aller Stille und so?« Klara hatte das Gefühl, dass mit ihrer Freundin die Pferde durchgingen. Sie war zwar über ihren Kontostand nicht informiert, aber einen Goldesel hatte sie sicher nicht zu Hause stehen.

»Ja, ich weiß. Meine Mutter hat mir auch schon einen Vortrag gehalten. Aber«, sagte Jessi triumphierend, »man heiratet nur einmal im Leben, zumindest habe ich das vor. Und Eriks Großmutter möchte uns die ganze Hochzeit bezahlen. Ich habe also ein üppiges Budget, das ich vollkommen ausschöpfen kann.«

Dem konnte Klara nichts hinzufügen. Es verging noch eine ganze Weile, in der Jessi redete und redete. Wie ein Wasserfall plätscherten ihre Überlegungen auf Klara ein. Die nächsten Wochen würden alles andere als einfach werden. Klara brauchte starke Nerven.

3. Kapitel

Kurz hinter dem Berliner Ring fing es an zu schütten wie aus Eimern. Die Scheibenwischer rotierten auf höchster Stufe hin und her, sodass Klara davon fast meschugge wurde. Dennoch verschlechterte sich die Sicht von Minute zu Minute. Das von überholenden Autos aufgewirbelte Regenwasser spritzte hoch bis auf ihre Windschutzscheibe. Der Himmel war trotz der nachmittäglichen Stunde tiefschwarz. Vom Wind gepeitschte Bäume schwankten am Straßenrand und welke Blätter tanzten durch die Luft.

Klara krallte sich mit den Fingern in die Polster ihres Sitzes. Ihr ganzer Körper war von der unbequemen Haltung verspannt. Po und Rücken schmerzten, als hätte sie gerade sonst was für Turnübungen gemacht. Mit hoch konzentrierter Miene stierte sie nach draußen und rechnete jeden Moment damit, dass Jessi auf irgendein plötzlich aus dem Dunst auftauchendes Hindernis auffuhr. Ganz sicher gab es hier Wildschweine oder gar Hirsche. Oder ein Baum fiel urplötzlich genau vor ihnen auf die Straße. Sollte das der Fall sein, würde Klara irgendwie eingreifen müssen, obwohl ihr schleierhaft war, wie. In Filmen hatte sie gesehen, dass man ruckartig die Handbremse ziehen konnte. Doch bei Jessis Automatikgetriebe würde ihr das nicht viel nützen.

Ihre Freundin war dagegen tiefenentspannt. Sie lehnte in ihrem anatomisch perfekt geformten Ledersitz und steuerte den schweren Wagen unbeeindruckt durch die Dunkelheit. Die Geschwindigkeit hatte sie ein wenig gedrosselt, aber nicht viel. Auf Klaras ängstlich vorgebrachten Einwand, ob sie nicht vielleicht etwas langsamer fahren wolle, antwortete sie nur knapp: »Wieso denn? Wir wollen ja heute noch ankommen. Oder willst du die Nacht in einem Landgasthof verbringen? Noch dazu hier, in dieser Einöde. Schon bei dem bloßen Gedanken schaudert es mich.«

Eigentlich wäre Klara jedes Zimmerchen recht gewesen, wenn nur Jessi etwas langsamer fahren würde. Doch weitere Entgegnungen schluckte sie lieber hinunter. Immerhin sollte man mit Schwangeren rücksichtsvoll umgehen. Dann krallte sie sich eben weiter in die ledernen Sitzpolster und hoffte auf das Beste.

Eigentlich hatten sie schon vor vier Stunden abfahren wollen – dann wären sie jetzt bereits fast am Ziel. Aber Jessi hatte noch nicht einmal gepackt, als Klara bei ihr ankam. Mit leidender Miene hatte sie auf ihrer Couch gelegen und über die allmorgendliche Übelkeit geklagt, die sich mittlerweile bis zum Mittag hinzog.

»Mir ist so furchtbar schlecht. Ich war schon gefühlte zwanzigmal auf der Toilette und hab nicht mehr das Geringste im Bauch. Aber es wird einfach nicht besser. Eigentlich wollte ich gestern Abend schon packen, aber da war ich so schrecklich müde und bin auf der Couch eingeschlafen.« Auf ihrem Bauch lag ein Heizkissen, das auf höchster Stufe vor sich hin arbeitete.

Also hatte die gutmütige Klara als Erstes einen Tee gekocht und dann das Packen der Koffer nach Jessis Anweisung übernommen. Jessi dirigierte von der Couch und Klara stopfte diverse Koffer und Taschen voll. Es wirkte fast, als würde Jessi jetzt schon auswandern und nicht nur drei Wochen ans Meer fahren.

»Bist du sicher, dass du so viele Klamotten mitschleppen willst?«, hatte Klara wissen wollen. Ihre Frage wurde bejaht. Deprimiert dachte Klara an ihren eigenen kleinen Koffer und die alles andere als große Reisetasche. Aber Jessi hatte schon früher immer ihren halben Kleiderschrank in jeden Urlaub mitgeschleppt und damit den gesamten Schrank blockiert.

Klara hatte das Gepäck nach draußen gewuchtet, vor das Haus, in dem Jessi und Erik seit einem halben Jahr zur Miete wohnten. Vor der Garage hatte sich dann eine Diskussion darüber entsponnen, wer fahren sollte. Eigentlich hatte Jessi mit ihrem Auto fahren wollen. Doch sie sah alles andere als fit aus. Immer wieder fasste sie sich an den Magen, schluckte heftig und lehnte sich an ihr Auto. Daher warf Klara vorsichtig ihren Vorschlag in die Runde. »Wir könnten ja auch mit meinem Auto fahren. Da müsstest du halt nur deinen großen Koffer zu Hause lassen.«