Dunkelmeer - Stefanie Rogge - E-Book
SONDERANGEBOT

Dunkelmeer E-Book

Stefanie Rogge

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Mordserie. Zwei ungleiche Ermittler. Als eine Frau unter rätselhaften Umständen am Strand zu Tode kommt, erschüttert der Fall das beschauliche Föhr. Kurz darauf werden mehrere junge Männer erschossen, die Freunde kannten sich seit Kindertagen. Der erfahrene Inselpolizist Hark Hansen soll gemeinsam mit der jungen Flensburger Kommissarin Kerrin Iwersen ermitteln, doch das ungleiche Team steht vor einem Rätsel: Wie passen diese Morde zusammen? Die verschwiegene Inselgemeinschaft scheint die Geheimnisse der Opfer zu wahren – aber bald stellt sich heraus, dass der Freundeskreis der Toten von Verrat, Neid und Eifersucht zerfressen war. Stefanie Rogge ist in Kiel aufgewachsen und hat in ihrer Kindheit alle Ferien auf Föhr verbracht. Die studierte Juristin arbeitet halbtags in einer Anwaltskanzlei und widmet sich in jeder freien Minute dem Schreiben. Mit ihrem Mann und ihren Kindern lebt sie heute in Hamburg, doch ihre Bindung zu Föhr ist nie abgerissen. Sie steht unter anderem mit der Polizeidienststelle von Wyk in Kontakt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Impressum ePUB

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Dunkemeer« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

Originalausgabe

© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Birgit Förster

Covergestaltung: bürosüd, München

Covermotiv: Mauritius images / Marcus Hofmann / Alamy;

Mauritius images / Enrico Salvadori / Alamy

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht und dafür keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Cover & Impressum

Die Ermittler

Prolog

1 – Hark hatte schlechte …

2 – Kerrin sah Sophie …

3 – Sarah Klasen hatte …

4 – Behutsam zog er …

5 – Am nächsten Mittag …

Die Ermittler

Hark Hansen, 55

Beruf

Leiter der Polizeidienststelle in Wyk

Wohnort

Wyk, Insel Föhr

Familienstand

Witwer, seine Frau Heike verstarb vor drei Jahren

Was ihn ausmacht

Hark ist Vollblutinsulaner, Gefühlsmensch, lässt sich als Polizeibeamter oft von seinem Instinkt leiten und fährt damit meist gut. Er geht von April bis Oktober regelmäßig in der Nordsee schwimmen und kann sich nichts Schöneres vorstellen, als mit Bier und Fischbrötchen den Tag an einer Strandbude mit den Füßen im Sand ausklingen zu lassen.

Was ihm wichtig ist:

sein Sohn Nils, der in Wyk als Anwalt arbeitet

Kerrin Iwersen, 32

Beruf:

Kriminalhauptkommissarin

Wohnort:

Flensburg

Familienstand:

Single, ihre letzte Beziehung zerbrach vor Kurzem

Was sie ausmacht:

Kerrin ist ein sportlicher, offener Typ. Sie ist direkt, intelligent und ehrgeizig und verlangt sich oft selbst sehr viel ab. Sie ist auf Föhr geboren und hat bis zum Abitur auf der Insel gelebt. Kerrin liebt ihren Beruf und verbeißt sich in jeden Fall. Da es auf Föhr keine Kripo gibt, übernimmt sie in Zukunft zusammen mit den Föhrer Kollegen die Kriminalfälle auf der Insel und freut sich darauf, wieder in der Heimat unterwegs zu sein.

Was ihr wichtig ist:

die Dinge mehr auf sich zukommen lassen

Prolog

Vor fünfzehn Jahren

Die Sonne brannte vom Himmel. Ein Jahrhundertsommer, sagten die Leute. Bereits jetzt, um zehn Uhr, war es draußen unerträglich heiß. Er ging ein letztes Mal von Raum zu Raum, nahm die ungewohnte Stille des Hauses in sich auf. Für einen Augenblick schloss er die Augen, sah sie alle vor sich. Laut redend am Esstisch, entspannt auf dem Sofa, teigverklebt und glücklich in der Küche, das Treppengeländer heruntersausend, lachende, nachdenkliche, manchmal auch traurige Gesichter. Seine Familie.

Dann verscheuchte er die sentimentalen Gedanken, die zu nichts führten, vergewisserte sich mit einem Griff in seine Hosentasche, dass er alles dabeihatte, und trat auf die Terrasse. Die schwüle Luft schlug ihm wie eine Wand entgegen, aber er ließ sich nicht beirren und ging mit langsamen, aber festen Schritten durch den wunderbaren, großen Garten zu dem kleinen Gartenhäuschen. In zwei Tagen sollte es losgehen, wie jedes Jahr. Die anderen waren aufgeregt, voller Vorfreude. Packlisten wurden geschrieben, Kleidung herausgelegt, Spielzeug eingepackt. Er machte mit, obwohl er von Tag zu Tag deutlicher spürte, dass es nicht ging. Er konnte es einfach nicht. Ein ganzes Jahr lang hatte er probiert, sich wieder auf das Leben einzulassen, weiterzumachen, aber es hatte nicht geklappt. Immer schlimmer war es geworden, und keiner hatte ihm helfen können. Nun hatte er keine Kraft mehr, es musste ein Ende haben. Er tat den anderen nicht gut. Da er sie aus tiefstem Herzen liebte, war es seine Pflicht, sie zu erlösen. Er hatte kein Recht mehr darauf, glücklich und unbeschwert zu sein. Nicht nach dem, was geschehen war. Aber sie hatten es.

Als er die Tür zu der kleinen Laube öffnete, in der sie viele fröhliche Abende verbracht hatten, zu zweit, zu viert und mit Freunden, schlug ihm abgestandene und muffige Luft entgegen. Schon lange hatten sie keinen Besuch mehr gehabt, ausgelassene Feste gehörten der Vergangenheit an. Dem Leben davor, wie er es nannte. Er öffnete die beiden Fenster für einen Moment und ließ die warme Luft herein. Dann setzte er sich an den groben Holztisch, holte die Pistole aus seiner Tasche und legte sie vor sich. Er hatte sie als junger Mann von seinem Vater bekommen und seitdem im Safe aufbewahrt. Sorgfältig weggeschlossen, damit kein Unglück geschehen konnte. Aber nun war es Zeit, sie zu benutzen. Seine Gedanken begannen aufs Neue zu kreisen. Verzweifelt nahm er seinen Kopf in die Hände und drückte und drückte, aber sie ließen sich nicht vertreiben. Wieder hörte er das Geräusch, das ihn jede Nacht in seinen Albträumen verfolgte und einfach nicht leiser werden wollte. Tat er das Richtige? Oder war es seine Pflicht auszuhalten, für sie? Dieser Konflikt verfolgte ihn seit Wochen, seit dem Tag, an dem er zufällig die Pistole in der hintersten Ecke des Safes gesehen und plötzlich in den Händen gehalten hatte. Und die Lösung auf einmal klar vor ihm zu liegen schien.

Schluss damit, rief er sich selbst zur Ordnung. Er hatte sich entschieden, und nun gab es kein Zurück mehr. Einmal im Leben wollte er wie ein Mann handeln. Er würde seinen Teil tun, um sie von einer Last zu befreien und ihnen zu ermöglichen, wieder ein unbekümmertes Leben zu führen. Sie hatten keine Schuld auf sich geladen, sie mussten nicht büßen. Aber er.

Er nahm die Pistole in die Hand. Nie war er ein mutiger Mensch gewesen. Sein Vater, der erfolgreiche und angesehene Mann, hatte ihn sein Leben lang spüren lassen, dass er ihn für einen Versager hielt. Hätte er Geschwister gehabt, stünde er heute nicht dort, wo er war. Bruder oder Schwester hätten alles bekommen, und er hätte sich mit einem Pflichtteil begnügen müssen. So aber war seinem Vater nichts anderes übrig geblieben, als seinem einzigen Nachkommen alles zu vererben. Das viele Geld ermöglichte es ihm nun, mit einem guten Gefühl zu gehen. Sie würden abgesichert sein. Heute wäre sein Vater vielleicht das erste und einzige Mal in seinem Leben stolz auf seinen Sohn gewesen. Er verdrängte den hartherzigen Mann aus seinem Kopf, das waren keine schönen Erinnerungen, und sie sollten nicht das Letzte sein, an das er auf dieser Welt dachte. Er sah sie wieder vor sich, seine Familie. Bevor sie einer nach dem anderen in sein Leben getreten waren, hatte er nicht gewusst, dass man andere Menschen so lieben konnte. Aber es war so gewesen. Leider war es ihm nicht vergönnt, ihren Lebensweg weiter zu begleiten. Eines Tages würden sie ihn bestimmt verstehen.

Ihnen sollten seine letzten Gedanken gelten, ihre geliebten Gesichter sollten zum Schluss vor seinem inneren Auge stehen.

Er griff nach der Pistole und drückte sie an seine Schläfe.

Ein Knall. Dann Stille.

1

Gegenwart

Hark hatte schlechte Laune. Es war Sonntagmorgen, er hatte noch nicht gefrühstückt und musste jetzt ungeduscht zu einem Tatort fahren. Nicht einmal für sein tägliches Bad in der Nordsee blieb Zeit, obwohl am Vormittag Flut war. Der Leiter der Polizeistation in Wyk auf Föhr hatte heute eigentlich frei und war am gestrigen Abend mit seinem Freund Fiete versackt. Heike und er hätten Hochzeitstag gehabt, wenn seine Frau nicht völlig überraschend vor drei Jahren an einem Hirnschlag gestorben wäre. Mit nur fünfundfünfzig Jahren war er von einer Sekunde zur nächsten zum Witwer geworden. Nach einer ersten schlimmen Zeit hatte Hark zurück ins Leben gefunden, aber der gestrige Tag hatte ihm wie jedes Jahr bevorgestanden. Fiete hatte sich nicht lange bitten lassen, mit seinem alten Freund ein paar Bierchen und Kümmerling zu trinken, und so war Hark erst um kurz nach Mitternacht in sein leeres Bett gefallen.

Und dort hatte er wie ein Stein geschlafen, bis ihn sein junger Kollege Christian Jensen geweckt hatte. Sie hatten einen Notruf aus einem Hotel in Utersum bekommen: Eine Frau lag tot am Strand. Der 25-jährige Christian war erst seit einem halben Jahr dabei, und Hark war sofort klar gewesen, dass er dem jungen Mann nicht zumuten durfte, allein zum Fundort zu fahren. Außerdem gab es auf ihrer beschaulichen Insel äußerst selten eine Leiche am Strand. So ein Vorfall war Chefsache.

Hark hatte Christian gebeten, ihn in fünfzehn Minuten abzuholen. Außerdem sollte er ihren Kollegen Tom, der in Utersum wohnte, informieren, damit dieser schon einmal alles absperren konnte.

Auf die Minute pünktlich klingelte Christian bei Hark. »Moin, Chef.« Er wippte von einem Fuß auf den anderen. »Die Fahrbereitschaft meldet sich zum Dienst. Hört sich ja nach einer großen Sache an.«

»Schauen wir mal.« Hark sah zu seinem knapp zwei Meter großen und schlaksigen Kollegen mit den hellblonden, fast weißen Haaren hoch und kam sich mit seinen 1,80 Meter neben ihm wie so oft klein und stämmig vor. Er war sich immer noch nicht sicher, was er von dem jungen Mann halten sollte. Christian strotzte geradezu vor Selbstbewusstsein und war mit seiner forschen Art schon mehr als einmal bei seinen Kollegen angeeckt. Auf der anderen Seite war er engagiert und mit Begeisterung bei der Arbeit.

Hark griff nach seiner Jacke und verließ seufzend das Haus. Im Auto warteten zwei dampfende Becher Kaffee. Überrascht sah er Christian an.

»Ich weiß doch, dass du sonst den ganzen Tag unausstehlich bist«, sagte dieser grinsend. Zum ersten Mal an diesem Morgen lächelte Hark und nahm dankbar einen großen Schluck.

Die Fahrt verlief schweigend, Hark musste erst noch richtig wach werden. Er blickte auf die vorbeiziehende Landschaft. Nach den letzten beiden verregneten Sommern war dieser bisher umso schöner. Seit Wochen hielt sich ein Hochdruckgebiet über Norddeutschland und sorgte jeden Tag für blauen Himmel und Sonnenschein, nur von Zeit zu Zeit unterbrochen durch ein kurzes, heftiges Gewitter. Hark kurbelte das Fenster herunter, fuhr sich durch seine immer noch vollen braunen, von dem Salz der Nordsee ausgebleichten Haare und sog den Duft der Heckenrosen ein, der in der Luft lag. So roch ein Inselsommer. Ein kurzer Schmerz durchzuckte sein Herz. Es war für ihn immer noch unvorstellbar, dass Heike dies alles nie mehr erleben durfte. Wie oft hatten sie im Sommer ihre Fahrräder genommen und waren kreuz und quer über die Insel gefahren. Durch die weite platte Marsch, wo der Nordseewind immer blies. Durch die Dörfer mit ihren wunderschönen Friesenhäusern und den alten gemauerten Kirchen, auf deren Friedhöfen die Walfänger, die von den gefährlichen Fahrten zurückgekehrt waren, beerdigt worden waren. Und über die Deiche, mitten durch die Schafherden, die gemächlich auseinanderstoben, wenn sie juchzend hindurchbrausten. Hark trank noch einen Schluck Kaffee und zwang sich, seine Gedanken auf die Arbeit zu konzentrieren.

Kurz darauf parkte Christian den Streifenwagen auf dem noch fast leeren Strandparkplatz. Spätestens zur Mittagszeit würde hier kein Platz mehr frei sein. Sie nahmen den Hauptweg zum Strand, vorbei an dem Restaurant und dem Wagen des Strandwärters, der gerade aufschloss, über die von Wind und salziger Luft gegerbten Holzplanken. An deren Ende zogen sie beide Schuhe und Strümpfe aus und liefen barfuß durch den Sand.

Sie brauchten nicht zu suchen. Ein kleiner Menschenkreis hatte sich um einen Strandkorb gebildet. Tom hatte ganze Arbeit geleistet und es tatsächlich geschafft, die Schaulustigen auf Abstand zu halten. Die in langen Reihen aufgestellten bunten Strandkörbe waren größtenteils noch leer, die meisten Touristen saßen wohl beim Frühstück.

»Zurücktreten bitte.« Harks Stimme klang streng. »Hier gibt es nichts zu sehen, gehen Sie bitte nach Hause.«

Christian und er begrüßten ihren Kollegen. Dann traten sie zu dem Strandkorb und betrachteten die tote Frau. Sie war nicht mehr jung, um die sechzig, schätzte Hark, und saß in eine Ecke des Strandkorbes gelehnt. Ihr Kopf war leicht nach vorn auf die Brust gesunken, die offenen Augen starrten ins Nichts. Sie trug eine Jeans und ein blaues Sweatshirt. Ihre Haut war faltig. Hark vermutete, dass sie jahrelang geraucht hatte.

Er wandte sich an Tom. »Wissen wir, wer sie ist?«

Tom nickte. »Sarah Klasen aus Oldsum. Sie ist mir gleich bekannt vorgekommen, und in der Handtasche war ihr Ausweis.«

Hark zückte sein Handy und machte ein Bild von dem Gesicht der Toten. »Weißt du was über sie?« Er sah seinen Kollegen fragend an. Auch wenn sich viele der Insulaner untereinander kannten, tappte er bei dem Namen und der Frau im Dunkeln.

»Nicht viel, nur, was man so hört.« Tom zuckte die Schultern. »Sie hat eine behinderte Tochter, die schon lange in Wyk in einer Einrichtung lebt. Sarah hat seit Jahrzehnten getrunken, war in allen einschlägigen Lokalen gut bekannt. Keine Ahnung, wie sie über die Runden gekommen ist. Gearbeitet hat sie nicht, soweit ich weiß.«

Hark nickte. »Dann hören wir uns gleich mal in Oldsum um.«

»Ist die Person, die die Leiche entdeckt hat, hier?« Christian blickte sich suchend um.

»Nein.« Tom schüttelte den Kopf. »Eine Touristin aus Kiel, abgestiegen im Hotel Wattläufer. Lotta Wagner.« Er sah zu den Schaulustigen, die sich langsam zurückzogen. »Sie muss schreiend ins Hotel gelaufen sein. Einige andere Gäste, die bereits im Frühstücksraum saßen, haben sich sofort auf den Weg hierher gemacht. Vielleicht haben sie gedacht, sie könnten noch helfen, aber …«

»Die wollten wohl eher ihre Sensationsgier befriedigen«, unterbrach Hark ihn kopfschüttelnd. Dann schnupperte er in die Luft. »Riecht ihr das auch?«, fragte er verwundert.

Tom nickte grinsend. »Das hat ja gedauert bei dir, Chef, mir ist das gleich aufgefallen. Man hat das Gefühl, man sitzt in einer Kneipe.«

Hark beugte sich zu der Frau herunter. »Die hat ordentlich einen getankt.« Nachdenklich richtete er sich auf. »Wahrscheinlich hat sie das eine Glas zu viel getrunken.«

»Habe ich auch im ersten Moment gedacht und liegt ja nahe bei ihrem Lebenswandel. Aber wo sind die Flaschen? Ich habe hier nichts gesehen«, wandte Tom ein.

»Vielleicht hat sie woanders getrunken und ist dann hierhergekommen, eingeschlafen und gestorben«, überlegte Christian laut.

Tom sah ihn zweifelnd an. »Kann ich mir nicht vorstellen. Wenn du so viel trinkst, dass du an einer Alkoholvergiftung stirbst, dann gehst du nirgendwo mehr hin, sondern fällst um. Und erst recht wanderst du nicht durch den Sand, das ist viel zu anstrengend.«

»Wer weiß. Wenn der Alkohol sie vor dem letzten Absturz aufgeputscht hat, könnte das schon sein.« Christian schaute ihn herausfordernd an.

»Anhaltspunkte für eine Gewalteinwirkung sehe ich nicht«, bemerkte Hark schnell, um den unausweichlichen Schlagabtausch zwischen den beiden zu verhindern. Er überlegte einen Moment und wählte dann schweren Herzens die Nummer der Dienststelle in Flensburg. Da die Todesursache ungeklärt war, musste er Meldung machen. Sollte es sich um Mord handeln, durfte er als Inselpolizist nicht ermitteln, sondern musste die Kripo hinzuziehen.

Hark hatte kein Problem damit, sich unterzuordnen, aber er wusste auch, dass Klaus Martens, der in den letzten Jahren mit seinem Team die wenigen Tötungsdelikte auf Föhr übernommen hatte, seit Kurzem im Ruhestand war. Klaus, seine Jungs und er hatten gut zusammengearbeitet. Hark liebte privat und beruflich das Gewohnte, und er hatte keine große Lust, sich an jemand Neues zu gewöhnen. Außerdem hatte er gehört, dass eine junge Polizistin Klaus’ Nachfolgerin werden sollte. Zwar war Hark in der Theorie davon überzeugt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt waren, trotzdem fiel es ihm schwer, sich vorzustellen, einer Frau, die seine Tochter sein könnte, unterstellt zu sein. Und so war er skeptisch, ob die Arbeit mit den Flensburgern weiterhin so unproblematisch verlaufen würde. Aber er hatte Glück. Peter Heyden, der Dienststellenleiter in Flensburg, wollte erst die Obduktion abwarten und sichergehen, ob es sich überhaupt um ein Tötungsdelikt handelte, bevor jemand auf die Insel geschickt wurde.

»Ich rufe Elena an. Die Tote soll obduziert werden«, informierte er seine Kollegen. Er nahm erneut sein Handy und stimmte mit Elena Bruckner, der Pathologin aus Kiel, und Andreas Schneider, dem Inselbestatter, ab, wie Sarah Klasen in die Rechtsmedizin nach Kiel gebracht werden sollte. Anschließend riss er zwei weitere Beamte, Jan und Fabian, aus ihrer sonntäglichen Ruhe. Er hatte mit Heyden verabredet, dass seine Kollegen die Spuren am Strand sichern und dann nach Flensburg zur Auswertung schicken sollten.

Nachdem alles geregelt war, fuhr Hark zusammen mit Christian zum Hotel Wattläufer. Nach dem Gespräch mit der Frau, die Sarah Klasen gefunden hatte, würden sie sich das Haus der Toten ansehen und mit deren Nachbarn sprechen.

Das Hotel befand sich nur wenige Hundert Meter vom Strand entfernt und schien gut besucht. Der Hotelparkplatz war voll, und Christian blieb nichts anderes übrig, als den Streifenwagen auf dem Bürgersteig abzustellen.

»Die Frau steht bestimmt noch unter Schock. Ich rede mit ihr, klar?«, entschied Hark mit fester Stimme. Er hatte bereits einige Male erleben müssen, dass Christian bei Befragungen nicht sonderlich sensibel vorgegangen war. Und das wollte er in diesem Fall unbedingt vermeiden.

»Du bist der Chef«, entgegnete Christian, ohne eine Miene zu verziehen.

Frau Wagner saß mit ihrem Mann beim Frühstück. Hark schätzte das Paar auf Mitte dreißig. Beide hatten kurze braune Haare. Herr Wagner trug Shorts und ein T-Shirt, seine Frau ein bunt gestreiftes Strandkleid. Die Ereignisse schienen ihr auf den Magen geschlagen zu sein. Sie hatte das Brötchen und das Rührei auf ihrem Teller nicht angerührt, sondern nippte nur vorsichtig an einer Tasse Tee. Hark stellte Christian und sich vor und zog zwei Stühle an den kleinen Tisch. Dankbar nahm er dann von der freundlichen Kellnerin mit weißer Schürze einen Kaffee entgegen, Christian bestellte einen Tee. Ein schwarzer Hund lag unter dem Tisch und schlief. Als sie sich setzten, hob er kurz den Kopf und machte es sich dann wieder gemütlich.

»Frau Wagner, es tut uns sehr leid, was Sie heute Morgen erleben mussten. Die Tote wird gerade von unserem Bestatter abtransportiert und mit der nächsten Fähre nach Dagebüll und von dort weiter nach Kiel in die Pathologie gebracht.«

»Dann glauben Sie, dass es Mord war?« Frau Wagner blickte ihn nervös an.

Hark wiegte bedächtig den Kopf. »Kann sein, kann aber auch ein tragischer Unglücksfall gewesen sein.« Er trank einen Schluck Kaffee. »Ist Ihnen heute Morgen irgendetwas am Strand aufgefallen? Haben Sie jemanden beobachtet oder etwas Verdächtiges gesehen?«

Die Frau schaute Hilfe suchend ihren Mann an, der ihr beruhigend zunickte und ihre Hand ergriff. Sie wandte sich zögernd wieder zu Hark. »Nein, gar nichts«, sagte sie mit leiser Stimme. »Ich war früh wach und wollte die Zeit nutzen. Mein Mann schläft gerne länger, aber ich bin eine Frühaufsteherin.« Ein kurzes Lächeln umspielte ihren Mund, doch sie wurde schnell wieder ernst. »Unsere Kinder sind übers Wochenende bei meinen Eltern, und wir wollten uns hier eine schöne Zeit zu zweit machen.« Sie stockte kurz. »Die beiden sind erst drei und sechs Jahre alt, da kann man das ab und an gut gebrauchen.«

»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Hark. »Ich habe selbst einen Sohn. Er ist zwar mittlerweile erwachsen, aber ich kann mich noch gut an die Jahre mit wenig Schlaf und überwiegender Fremdbestimmtheit erinnern.«

»Ich wollte also keine Zeit vergeuden, habe mir unseren Hund geschnappt und bin zum Strand gegangen. Es war Ebbe, und Dina konnte durchs Watt laufen. Sie liebt es, hinter den Möwen herzurennen, denkt jedes Mal wieder, dass sie eine schnappen könnte.«

Hark schmunzelte. »Wann haben Sie das Opfer gesehen?«, fragte er dann.

»Gleich am Anfang. Ich habe gedacht, dass sie auch eine Frühaufsteherin ist und die einsame Morgenstunde genießt. Fast habe ich mich geärgert, dass ich nicht ganz allein war.« Sie schwieg einen Augenblick. Hark bemerkte, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten, sie sich aber tapfer bemühte, sie zurückzudrängen. »Zuerst habe ich gar nicht bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Dina war schon ins Watt gelaufen, und ich bin losmarschiert. Mir sind so viele Dinge durch den Kopf gegangen, dass ich um mich herum nicht viel wahrgenommen habe.« Sie schluckte. »Irgendwann ist mir aufgefallen, dass Dina nicht mitgekommen war, sondern an dem Strandkorb stehen geblieben ist. Als sie auf mein Rufen nicht gehört hat, habe ich zunächst gedacht, dass die Frau ein Leckerli für sie hat.« Ihre Stimme wurde leiser. »Ich bin zurückgegangen und habe immer wieder gerufen. Mir war es etwas unangenehm, dass Dina gebettelt hat. Aber als ich näher gekommen bin, hatte ich plötzlich ein komisches Gefühl.« Ein kurzer Schauder durchlief ihren Körper. »Und ganz plötzlich habe ich es gewusst und bin, so schnell ich konnte, weggelaufen.«

»Und Ihr Hund? Ist Dina Ihnen gefolgt?«

Frau Wagner nickte. »Ja, das ist sie. Sie muss meine Angst und Panik bemerkt haben.«

»Haben Sie die Tote oder den Strandkorb angefasst?«, brachte Christian sich nun doch in das Gespräch ein.

»Nein, ich war noch einige Schritte von ihr entfernt, als ich es gespürt habe.« Die Tränen liefen jetzt ihre Wangen herunter.

Ihr Mann schaute sie besorgt an. »Lass es raus, mein Schatz«, flüsterte er sanft.

»Geht schon.« Sie versuchte ein schiefes Lächeln und wischte sich über ihr Gesicht. »So etwas passiert einem zum Glück nicht alle Tage, und gerade auf Föhr hätte ich niemals damit gerechnet.«

Hark nickte mitfühlend. »Das gehört tatsächlich nicht zu unserem täglichen Geschäft. Wir werden Sie nicht weiter belästigen. Vielleicht gelingt es Ihnen ja trotz dieses Vorfalls, die Zeit bei uns noch ein wenig zu genießen.«

Frau Wagner und ihr Mann sahen ihn zweifelnd an, und Hark merkte selbst, wie abgedroschen seine Worte klangen. Aber was sonst hätte er sagen können? »Bitte schreiben Sie uns noch Ihre Telefonnummer auf, damit wir Sie anrufen können, falls noch Fragen auftauchen. Fahren Sie heute wieder ab?«

»Ja, wir nehmen die 15:15-Uhr-Fähre«, antwortete Frau Wagner. Ihr Mann war aufgestanden und kam mit einem Zettel und Stift zurück. Nachdem er verschiedene Nummern aufgeschrieben hatte, verabschiedeten sich Hark und Christian.

»Ich hoffe, Sie behalten unsere wunderschöne Insel nicht in allzu schlechter Erinnerung und kommen einmal wieder.«

»Schauen wir mal. So schnell wohl nicht, befürchte ich.« Herr Wagner drückte die Hand seiner Frau, und beide lächelten den Beamten ein wenig gequält zum Abschied zu.

Hark und Christian liefen zu ihrem Auto. »Dieser Vorfall hat den beiden das romantische Pärchenwochenende wohl total versaut. Wer denkt bei einer Auszeit auf Föhr schon an Leichen?«, stellte Christian nüchtern fest und schnallte sich an.

2

Kerrin sah Sophie schon von Weitem an einem Tisch direkt am Ufer sitzen. An der Flensburger Förde hatte ein neues Café eröffnet. Von der großen Terrasse aus hatte man einen herrlichen Blick aufs Wasser. Nach einer anstrengenden Nachtschicht freute sie sich jetzt auf ein ausgiebiges spätes Frühstück mit ihrer Freundin. Danach würde sie mit vollem Bauch in ihr Bett fallen und ein paar Stunden Schlaf nachholen.

»Schön, dich zu sehen.« Kerrin gab Sophie einen Kuss auf die Wange und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Die beiden Frauen hatten sich vor zwei Jahren an Kerrins erstem Arbeitstag in der Flensburger Dienststelle kennengelernt und waren sofort ein Herz und eine Seele gewesen. Kerrin konnte sich mittlerweile ein Leben ohne die Freundin gar nicht mehr vorstellen.

Nachdem sie bestellt hatten, sah sie Sophie lächelnd an. »Das ist genau das Richtige nach dieser Nacht. Wir haben einen neuen Fall. Ein Toter wurde in der Nähe der Innenstadt in einem Parkhaus gefunden. Er ist ziemlich übel zugerichtet. Heyden hat der Kuhlmann den Fall übertragen, und weil die anderen im Urlaub sind, bin ich vorübergehend in ihrem Team.«

Sophie sah sie mitleidig an. »Du Ärmste. Und dann bist du schon hier?«

Kerrin nickte. »Ich komme direkt vom Tatort. Das Opfer ist gerade in die Rechtsmedizin nach Kiel abtransportiert worden. Und nach mittlerweile vierzehn Stunden Dienst fand ich es dann angebracht, mich vorübergehend zurückzuziehen.« Sie grinste. »Sei froh, dass du freihast. Aber genug davon. Erzähl mir von dir. Wie war dein Urlaub bisher?«

»Sagen wir: ereignisreich«, antwortete Sophie. »Letzte Woche waren Max und ich spontan in Bayern zum Wandern. Bei der Kraxelei sind wir ganz schön ins Schwitzen gekommen. Man stellt sich das ja so leicht und entspannt vor. Ein bisschen klettern und dann auf schönen Bergwiesen picknicken. In Wahrheit ist es richtig anstrengend und teilweise auch nicht ganz ungefährlich, weil …«

»Du bist eben ein echtes Küstenkind, Sophie«, fiel Kerrin ihr lachend ins Wort. »Wenn du nicht auf einer Höhe mit dem Meer bist, kriegst du Panik.«

»Na, das sagt die Richtige«, gab Sophie zurück. »Du warst doch noch nie in den Bergen. Als Inselmädchen kommst du damit bestimmt noch viel weniger klar.«

»Apropos Insel. Heute Morgen kam in das ganze Chaos herein noch ein Anruf aus Föhr. Dort ist am Strand eine Leiche gefunden worden. Vielleicht entkomme ich der Kuhlmann.« Kerrin grinste verschmitzt. »Heyden hat mir schon vor einiger Zeit versprochen, dass ich Martens beerbe und mit seiner alten Truppe die Fälle auf Föhr übernehmen werde. Obwohl Kai krank und Mark im Urlaub ist. Mal schauen, wie Heyden sich das vorstellt. Nach der Obduktion der Leiche weiß ich mehr.«

»Ich drücke dir die Daumen. Wegen der Kuhlmann, aber noch mehr, weil ich weiß, wie gerne du auf Föhr bist. Und wenn kein anderer da ist, fährst du halt erst einmal allein.«

»Ja, das wäre was. Ich war schon eine Weile nicht mehr dort.« Ein Schatten fiel auf Kerrins Gesicht. »Ole hatte nie Lust hinzufahren, und allein wollte ich nicht. Wir hatten eh so wenig Zeit füreinander.«

»Gut, dass du Ole los bist …«, begann Sophie.

»Ich weiß nicht. Lass uns lieber über etwas Schöneres sprechen«, unterbrach Kerrin sie. Sie hatte keine Lust auf die schon so oft zwischen ihnen geführte Diskussion. Von Ole hatte Sophie von Beginn an nichts gehalten. »Er tut dir nicht gut, merkst du das denn nicht? Du hast etwas Besseres verdient«, hatte sie immer wieder gesagt. Kerrin hatte das bis zum Schluss und eigentlich sogar bis zum heutigen Tage nicht glauben wollen. Sie hatte Ole vergöttert. Er sah wahnsinnig gut aus, war lustig und spritzig, hatte einen großen Freundeskreis und stand immer und überall im Mittelpunkt. In seiner Nähe hatte Kerrin sich lebendig und dazugehörig gefühlt. Aber es hatte auch bedeutet, dass sie sich immer zurücknahm und seinen Vorstellungen beugte. Sie hatte sich bemüht, ihm, so gut es ging, gerecht zu werden, hatte ihre Freunde kaum noch gesehen, ihre Eltern nur zu Weihnachten und den Geburtstagen besucht. »Wie gut, dass wir im gleichen Laden arbeiten, sonst würde ich dich gar nicht mehr zu Gesicht bekommen«, hatte Sophie mehr als einmal zu ihr gesagt.

Zum Glück wechselte die Freundin sofort bereitwillig das Thema. »Zum Beispiel über deinen Fall auf Föhr.«

»Meinen eventuellen Fall auf Föhr.« Kerrin musste lachen. »Ich war übrigens mit dem Sohn des Föhrer Polizeichefs auf der Schule. Das wird bestimmt komisch, wenn wir zusammenarbeiten sollen.«

»Stimmt. Aber wenn er schon lange dabei ist, kann er dich bestimmt gut unterstützen, falls du tatsächlich erst einmal allein auf die Insel musst. Kennst du ihn gut? Warst du als Kind mal bei ihm zu Hause?«

Kerrin schüttelte den Kopf. »Nein, gar nicht. Sein Sohn Nils war zwei Jahrgänge über mir, wir waren nicht wirklich befreundet. Aber auf Föhr kennt jeder jeden, man läuft sich auf einer so kleinen Insel schließlich ständig über den Weg. Und er war ein netter Typ.«

Sophie beugte sich vor. »Das hört sich gut an. Vielleicht findest du ja dein Glück auf Föhr. Dann kämst du endlich über Ole hinweg.« Sie lächelte Kerrin unschuldig an.

»So ein Blödsinn. Ich kannte ihn wirklich kaum.«

»Das kann sich ja in den nächsten Tagen ändern«, entgegnete Sophie und lehnte sich entspannt zurück. Ihr Grinsen war ansteckend, und so konnte auch Kerrin nicht länger ernst bleiben.

3

Sarah Klasen hatte in einem kleinen weiß getünchten Reetdachhäuschen am Rande von Oldsum gelebt. In ihrer Handtasche hatten Hark und Christian den Schlüssel gefunden und waren direkt vom Hotel Wattläufer aus hingefahren. Üppige Rosenbüsche rankten sich an den Hauswänden empor, eine alte blau angestrichene Holzbank stand einladend in der Sonne. Neben ihr befand sich ein Eimer mit einer Gartenschere und mehreren abgeschnittenen Stielen.

»Merkwürdig«, murmelte Hark und blickte sich erstaunt um. Der Garten war gut in Schuss, man sah, dass sich jemand darum kümmerte. Blumenkübel standen rechts und links von der Haustür, in den Beeten blühten Margeriten und Kornblumen, das ganze Haus machte einen fast verwunschenen Eindruck. »Dafür, dass sie Alkoholikerin war, hat sie sich aber gut um den Garten gekümmert.«

Verwundert schloss Hark die Tür auf, und die beiden Polizisten traten ein. Von einem kleinen Flur gingen drei Türen ab, eine Treppe führte in den ersten Stock. Hark öffnete die erste Tür und sah in die ordentlich aufgeräumte Küche. Spüle, Herd, Kühlschrank und Schränke waren bunt zusammengewürfelt und in die Jahre gekommen. Ein einfacher Tisch mit zwei Stühlen stand am Fenster, von dem aus man in den Garten hinter dem Haus sehen konnte. Hark öffnete den Kühlschrank. Frau Klasen hatte anscheinend keinen großen Wert auf abwechslungsreiche Ernährung gelegt. Er entdeckte einen Kanten Käse, Milch, Butter, verschiedene Joghurts und zwei Flaschen Cola. In den Schränken sah es nicht anders aus. Instantkaffee, verschiedene Teesorten und eine Reihe von Konservendosen waren alles, was an Vorräten da war. Auf dem Tisch stand eine große Schale mit frischem Obst.

Hark blickte sich zu Christian um. »Keine einzige Flasche Alkohol.« Er wirkte ratlos.

»Vielleicht hortet sie ihren Vorrat im Wohnzimmer.« Christian drehte sich um und öffnete die nächste Tür. Er blickte in ein Gäste-WC. Braune Wandfliesen und ein grünes Waschbecken wiesen darauf hin, dass dieser Raum seit den 1970ern nicht modernisiert worden war. Hark schob sich an ihm vorbei. Durch die dritte Tür gelangte man in das Wohn- und Esszimmer. Eine dunkelrote Couch und ein Sessel standen um einen schweren Holztisch mit blau-weißen Friesenkacheln herum. In der Anrichte daneben befanden sich Gläser und Geschirr. Ein Esstisch mit vier schlichten Stühlen vervollständigte die karge Einrichtung. Persönliche Gegenstände und Fotos sahen sie nicht.

»Merkwürdig«, murmelte Hark noch einmal.

»Vielleicht im Schlafzimmer?« Christian hob fragend die Schultern.

»Schauen wir nach.« Hark stieg langsam die knarrenden Stufen nach oben. Im ersten Stock stießen sie auf vier geschlossene Türen. Hinter den ersten beiden verbargen sich zwei Schlafzimmer, die anscheinend nicht mehr genutzt wurden.

»In einem hat bestimmt ihre Tochter gewohnt«, vermutete Christian. »Bevor sie ins Heim kam. Und das andere war vielleicht ein Gästezimmer.«

»Kann sein.« Hark zuckte mit den Schultern.

In beiden Räumen standen ein Bett, ein Schreibtisch und ein Schrank. Die Schreibtische und Schränke waren leer, die Betten nicht bezogen. Die dritte Tür führte in das Badezimmer. Auch dieses schien seit Längerem nicht renoviert worden zu sein. Das ebenfalls grüne Waschbecken hatte Kalkflecken, die wohl trotz Putzens nicht mehr verschwanden, die Badewanne einige Risse, die mit einer weißen Paste überpinselt worden waren. Ein einsames gelbes Handtuch hing an einem Haken, in einem Wandschrank standen Zahnbürste und Zahnpasta und einige Kosmetikartikel.

Das Schlafzimmer von Sarah Klasen war der letzte Raum, den die Ermittler betraten. Es wirkte viel freundlicher als die anderen Zimmer. Der Schrank stand halb offen und gab den Blick frei auf ordentlich aufgehängte Blusen, Röcke und Kleider. Pullover und Hosen befanden sich zusammengelegt in einem Regal. Das Bett war mit bunter Bettwäsche bezogen, und auf dem Nachttisch lag ein aufgeschlagenes Buch. Hark nahm es in die Hand. Eine Liebesgeschichte, die um 1900 in England spielte. Alkohol fanden sie auch hier nicht, weder volle noch leere Flaschen.

Hark schüttelte den Kopf. »Entweder hat sie ein gut getarntes Spezialversteck für ihren Alkoholvorrat, das wir nicht finden, oder hier stimmt etwas nicht. Ich habe noch nie gehört, dass ein Alkoholiker keinen Alkohol im Haus hat.«

Da sie nichts Verdächtiges gefunden hatten, verließen sie das Haus und klingelten bei den Nachbarn. »Familie Andresen«, stand auf einem getöpferten Türschild. Eine Frau öffnete ihnen. Als sie erklärt hatten, warum sie da waren, bat sie die Beamten betroffen ins Haus und führte sie in eine gemütliche Friesenküche.

»Das kann nicht sein.« Tränen standen in den Augen von Line Andresen. Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und bat Hark und Christian mit einer Handbewegung, sich ebenfalls zu setzen. »Sarah hat nicht mehr getrunken. Sie war seit über zwei Jahren trocken. Ich glaube nicht, dass sie mit dem Teufelszeug wieder angefangen hat, niemals.«

»Haben Sie Frau Klasen gut gekannt?«, fragte Hark.

»Natürlich, mein ganzes Leben lang. Ich bin hier geboren und Sarah und Johanna nebenan. Wir waren schon im Kindergarten befreundet, und daran hat sich auch nie etwas geändert. Trotz allem, was passiert ist.« Sie zog ein besticktes Taschentuch aus ihrer Tasche und tupfte sich die Tränen ab.

»Wer ist Johanna?«, fragte Christian.

»Johanna ist Sarahs jüngere Schwester. Sie hat vor vielen Jahren die Insel verlassen und ist nie zurückgekehrt. Das ist auch der Grund, warum Sarah so abgerutscht ist. Johanna war nur zwei Jahre jünger, und die beiden haben sehr aneinander gehangen.« Sie verstummte und blickte bekümmert aus dem Fenster.

Hark nutzte die Gelegenheit, um sich in der Küche umzusehen. Alte blau-weiße Kacheln bedeckten die Wände, in der Anrichte befanden sich kleine Schubladen aus Porzellan für Salz, Zucker, Grieß und Mehl. Vor dem Fenster stand ein alter gusseiserner Spülblock, und auch der Herd war in die Jahre gekommen. Lediglich ein großer moderner Kühlschrank ließ erkennen, dass man sich nicht in vergangenen Zeiten befand. Auf dem Tisch, an dem sie saßen, stand ein Strauß Wiesenblumen, und auf den Holzstühlen lagen farbenfroh karierte Sitzkissen. Hark fühlte sich in das alte Friesenhaus seiner Großmutter in Süderende zurückversetzt.

»Als Johanna plötzlich über Nacht verschwunden ist, hat das Sarah den Boden unter den Füßen weggezogen«, fuhr Line Andresen schließlich fort. »Und dann hat Johanna ihrer großen Schwester auch noch ihr Kind dagelassen und sich nie wieder gemeldet. Kein Wunder, dass Sarah das nicht so einfach weggesteckt hat.«

Christian sah sie verwirrt an. »Das habe ich nicht ganz verstanden, Frau Andresen. Johanna hat ein Kind, das sie bei Sarah gelassen hat?«

Die ältere Dame nickte. »Gerade einmal drei war Levke. Johanna hatte wohl einen Mann vom Festland kennengelernt, mit dem sie durchgebrannt ist. Sie wollte schon immer weg von der Insel, ihr war das hier alles zu klein und zu eng.«

»Und der Vater des Kindes? Was war mit dem?«, mischte Hark sich nun ein.

Die Frau winkte ab. »Den gab es nicht. Ein Tourist, mit dem Johanna sich vergnügt hatte. Ich weiß gar nicht, ob der Mann überhaupt von seiner Tochter wusste. Blicken lassen hat er sich jedenfalls nie.« Sie atmete einmal tief durch. »Sarah hat das Mädchen großgezogen.«

»Und Johanna hat sich nie wieder gemeldet?«, fragte Christian ungläubig. »Nicht einmal, um sich nach ihrem Kind zu erkundigen?«

»Nein, nie wieder. Das hat Sarah zumindest gesagt, und warum hätte sie lügen sollen? Ihre Kollegen haben damals ermittelt, weil Johanna einfach so verschwand, aber sie haben auch nichts herausgefunden. Johanna hat Sarah einen Brief hinterlassen. Der Mann hatte es zur Bedingung gemacht, dass sie ihre Tochter nicht mitnimmt, und dem hat Johanna sich offenbar gefügt.«

»Was für eine traurige Geschichte«, sagte Hark betroffen.

»Das ist es. Sarah hat sich nie davon erholt. Wir alle haben früher mal einen über den Durst getrunken, aber nachdem Johanna abgehauen war und Sarah plötzlich mit einem Kleinkind dasaß, hat sie ihren Trost im Alkohol gefunden. Anfangs habe ich noch versucht, mit ihr darüber zu reden, aber es hat nichts gebracht. Gegen eine Sucht ist man mit Worten machtlos.« Sie seufzte. »Ich habe mich dann bemüht, ein Auge auf die Kleine zu haben. Sie hat es einem nicht gerade leicht gemacht, sie zu mögen. Verschlossen, wie sie war. Und von Jahr zu Jahr dicker. Sie hat ihren Kummer mit Essen betäubt. Etwas glücklicher wurde sie, als Imme auf die Welt kam, Sarahs Tochter.« Sie sah Hark an. »Bevor Sie fragen: Auch Imme hat keinen Vater, zumindest keinen, der sich um sie kümmert. Aber für Levke war Imme ein Glücksfall. Die beiden Cousinen waren trotz des Altersunterschiedes ein Herz und eine Seele.«

Hark beugte sich vor. »Wir haben gehört, dass Imme behindert ist. Ist das richtig?«

»Ja, das stimmt leider«, antwortete Line Andresen traurig. »Anfangs war es nicht zu merken, aber so mit ein bis zwei Jahren wurde klar, dass sie etwas zurückgeblieben war. Alles ging langsamer bei ihr. Lag wahrscheinlich an Sarahs Alkoholkonsum während der Schwangerschaft.«

»Und deswegen ist sie in ein Heim gekommen?«, bohrte Hark weiter.

»Nein.« Line Andresen schüttelte den Kopf. »Sie hat zu Hause gelebt. Sie war ja nicht richtig krank, konnte nur viel später laufen, sprechen, solche Sachen halt. Und es wurde absehbar, dass sie in ihrem Kopf nie richtig erwachsen werden würde. Aber in das Heim ist sie erst nach dem Unfall gekommen.«

»Unfall?« Christian blickte sie fragend an.

»Als Imme neun Jahre alt war, ist sie nach der Schule von einem Auto angefahren worden. So ein betrunkener Tourist, der gedacht hat, dass er sich auf der Insel alles erlauben kann. Seitdem sitzt sie im Rollstuhl, querschnittsgelähmt. Levke war damals fast achtzehn Jahre alt, wollte weg aufs Festland, eine Ausbildung machen, und Sarah hat das allein nicht hinbekommen.«

»Tragisch, wie viele schreckliche Dinge in dieser Familie passiert sind.« Hark setzte sich auf. »Können Sie sich vorstellen, dass irgendjemand wollte, dass Frau Klasen wieder trinkt? Ihr vielleicht Alkohol angeboten hat?«

Line Andresen sah ihn erstaunt an. »Nein, gar nicht. Keiner von uns hat in ihrer Nähe auch nur ein Bier getrunken. Obwohl sie mehrfach gesagt hat, dass es in Ordnung wäre. Aber niemand im Dorf will schuld sein, wenn sie einen Rückfall erleidet.« Sie runzelte die Stirn. »Sarah hat schlimme Zeiten hinter sich und hat bestimmt auch viele Fehler gemacht in ihrem Leben. Aber sie ist nicht bösartig und hat selbst jemanden gebraucht, der sich um sie kümmert. Und den hatte sie seit zwei Jahren – Hans Frahm, ihren Freund. Er war Arzt in einer Suchtklinik in Husum und ist mit Beginn seiner Rente auf die Insel gezogen. Seine Frau war gestorben, und er wollte seinen Lebensabend bei uns verbringen. Sarah und er haben sich kennengelernt, und der Funke ist sofort übergesprungen. Mit seiner Hilfe hat sie den Absprung geschafft.« Sie hatte jetzt wieder Tränen in den Augen. »Ich habe Sarah noch nie so glücklich gesehen wie in den letzten zwei Jahren. Es war fast wie im Märchen. Die verlorene Prinzessin trifft auf ihren Retter.« Sie schnäuzte sich in ihr Taschentuch. »Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass sie das aufs Spiel gesetzt hätte. Und wir alle hier haben es ihr von Herzen gegönnt. Sie war kein schlechter Mensch und hatte ein bisschen Glück weiß Gott verdient.«

»Wären Sie bereit, sich ein Foto von der Toten anzusehen, um sie eindeutig zu identifizieren? Mein Kollege hat sie zwar erkannt, aber sicher ist sicher.«

Line Andresen zuckte unschlüssig mit den Schultern.

»Keine Angst, Frau Klasen ist unversehrt und sieht friedlich aus.«

Die ältere Dame nickte schließlich stumm. Nachdem sie einen langen Blick auf das Foto geworfen hatte, sah sie Hark fest in die Augen. »Das ist sie«, sagte sie mit leiser Stimme.

»Vielen Dank.« Hark lächelte ihr zu. »Wo finden wir Herrn Frahm?«, fragte er dann.

»Er hat ein Haus in Nieblum, ich schreibe Ihnen die Adresse und Telefonnummer auf.« Mit müden Schritten und gebeugten Schultern ging sie in den Flur. Hark und Christian erhoben sich ebenfalls und folgten ihr. Nachdem sie ihnen den beschriebenen Zettel gegeben hatte, verabschiedeten sich die beiden.

Hark sah im Rückspiegel, wie Line Andresen ihnen betrübt hinterherschaute.

Kurze Zeit später standen Hark und Christian vor dem Haus von Hans Frahm, einem ochsenblutfarbenen Reetdachhaus. Es grenzte direkt an den malerischen Dorfteich von Nieblum, an dem einige Eltern mit ihren Kindern standen und die zahmen Enten mit Brotstückchen direkt aus der Hand fütterten. Hark sah ihnen einen Moment versonnen zu. Wie gerne hätte er ein Enkelkind. Sein Sohn Nils war bereits vierunddreißig Jahre alt, aber zu Harks Bedauern hatte er noch nicht einmal eine Freundin. Er musste sich also weiter gedulden.

»Dann mal los«, sagte er schließlich leise zu sich selbst und zwang sich, in die Realität zurückzukehren. Die Überbringung der Todesnachricht eines geliebten Menschen passte gar nicht an diesen friedlichen und unschuldigen Ort.

Diese Gedanken hätte er sich aber zumindest heute nicht zu machen brauchen. Auf ihr mehrfaches Klingeln wurde nicht geöffnet, und auch ein Gang um das Haus herum brachte sie nicht weiter. Innen war alles dunkel, und der Garten lag verlassen da. Hark probierte die Handynummer, die Frau Andresen ihnen gegeben hatte, aber keiner nahm ab, und eine Mailbox war nicht eingerichtet. Das Festnetz hatte einen Anrufbeantworter, und so bat Hark um schnellen Rückruf. Er wollte unbedingt verhindern, dass Frahm durch jemand anderen von dem Tod seiner Lebensgefährtin erfuhr. Und das würde auf einer kleinen Insel wie Föhr schwer genug werden.

4

Behutsam zog er sich die Einmalhaushaltshandschuhe an und legte vier Blätter in den Drucker. Dann ging er an seinen Schreibtisch, öffnete eine Datei auf seinem Computer und wählte den Befehl »Drucken«. Es surrte kurz, und das Gerät spuckte vier bedruckte Seiten aus. Er sah sie sich an. Perfekt, genau so hatte er es sich vorgestellt.

Mit den Blättern setzte er sich wieder an den Schreibtisch, auf dem schon die vorbereiteten Umschläge lagen. Alle vier waren sorgfältig beschriftet, geschrieben in neutralen Druckbuchstaben. Er steckte in jeden der Umschläge ein Blatt und verschloss sie dann sorgfältig mit Tesafilm. Sollten die Briefe eines Tages untersucht werden, würde sie niemand mit ihm in Verbindung bringen können. Keine Abdrücke und keine DNA.

Er sah auf die Uhr. Noch blieb ihm genug Zeit, er musste sich nicht beeilen. Der Mann und seine Familie kehrten nie vor dem Nachmittag vom Strand zurück. Er blickte sich um und ging dann zu dem großen Bücherregal, zog eines der dicken Bücher heraus und setzte sich zurück an den Tisch. Über fünfhundert Seiten hatte der Wälzer. Er steckte einen Umschlag zwischen Seite 100 und Seite 101, den zweiten zwischen die Seiten 250 und 251 und den dritten Umschlag zwischen Seite 400 und Seite 401. Symmetrische Anordnung, so musste es sein. Er war nur dann mit sich im Reinen, wenn die Dinge ihre Ordnung hatten, nichts aus dem Rahmen fiel. Sein Leben verlief nach festen Strukturen, unerwartete Ereignisse mussten unbedingt vermieden werden. Er brauchte das Gefühl, alles vollständig im Griff zu haben. In seiner Wohnung lag nichts herum, alles hatte seinen Platz. Unordnung duldete er nicht, niemals ließ er sich gehen. Sie sagte ihm immer wieder, er solle versuchen, einmal spontan zu sein, das Leben genießen und die Vergangenheit ruhen lassen. Aber sie selbst tat das auch nicht. Das hatte er an dem Tag, der alles verändert hatte, ganz deutlich gespürt. Sie mussten handeln. Er würde seiner Pflicht nachkommen – für ihn, für sie und für sich selbst.

Er griff nach dem vierten Umschlag, steckte ihn sorgfältig in seinen Rucksack und verließ das Haus.

5

Am nächsten Mittag saß Hark vor seinem Computer und grübelte. Am gestrigen Nachmittag war doch noch ein Team der Spurensicherung aus Flensburg angereist, um die Fingerabdrücke am Strandkorb zu sichern und das Haus der Toten gründlich zu untersuchen. An dem Strandkorb, der während der ganzen Saison vermietet wurde, gab es Dutzende verschiedener Fingerabdrücke. Polizeibekannt war keiner. Und auch in dem Haus von Frau Klasen waren unterschiedliche Fingerabdrücke gefunden worden, die meisten von ihr. Die anderen konnten nicht zugeordnet werden, waren aber ebenfalls nicht registriert. Hinweise auf ein Verbrechen gab es nicht.

Harks Kollegen, Tom Pahl, Jan Tolk und Fabian Lorenzen, hatten die weiteren Spuren am Fundort der Leiche gesichert. Im Sand um den Strandkorb herum hatten sie eine Vielzahl von Zigarettenkippen unterschiedlichster Marken, zerrissenes Eispapier und einige Glasscherben gefunden, aber das war leider die traurige Realität an den Stränden. Hinweise auf einen möglichen Täter fanden sie nicht.

Nachdem Hans Frahm sich bis zum gestrigen Nachmittag nicht gemeldet hatte, suchten sie jetzt mit Hochdruck nach ihm. Sollte es sich tatsächlich um ein Tötungsdelikt handeln, wäre er schon aus statistischen Gründen einer der Hauptverdächtigen. Die meisten Morde wurden von Angehörigen, Freunden oder Bekannten begangen. Eine Nachbarin hatte Christian gegenüber am Abend ausgesagt, dass Frahm am Samstagvormittag für einige Tage nach Hamburg gefahren war, um Freunde zu besuchen. Die Wyker Dampfschifffahrtsreederei hatte bestätigt, dass sein Wagen auf die Fähre um elf Uhr verladen worden war. Die Rückfahrt war für Mittwochnachmittag gebucht. Hark hatte die Hamburger Kollegen eingeschaltet und hoffte, dass sie den Mann schnell ausfindig machen würden, hatte bisher aber noch nichts gehört.

Levke Klasen hatte er gestern telefonisch in Husum erreicht und über den Tod ihrer Tante informiert. Sie schien nicht sonderlich geschockt zu sein, versprach aber, am Dienstagmorgen auf die Insel zu kommen. Zu dem Opfer hatte sie seit Jahren kaum noch Kontakt. Am fraglichen Abend war sie in Husum gewesen. Sie bat Hark, noch nicht mit Imme zu sprechen, da sie ihrer Cousine persönlich von dem Tod ihrer Mutter erzählen wollte. Hark war einverstanden gewesen.

Christian und Tom hatten sich in allen einschlägigen Kneipen in Oldsum, Dunsum, Alkersum und den anderen Inseldörfern umgehört, aber keiner der Wirte hatte Sarah Klasen in letzter Zeit dort gesehen. Seitdem sie mit Hans Frahm zusammen und trocken war, schien sie derartige Lokalitäten zu meiden.

Auch eine Anfrage bei den Taxiunternehmen der Insel hatte nichts ergeben. Mit einem Taxi war Frau Klasen an dem Abend ihres Todes also nicht an den Strand gefahren.

Hark beschloss, sich noch einen weiteren Kaffee zu gönnen. Er kam gerade mit einer dampfenden Tasse an seinen Schreibtisch zurück, als sein Telefon klingelte.

»Hansen«, meldete er sich kurz.

»Hallo, Hark, hier spricht Elena«, sagte eine fröhliche Frauenstimme.

»Moin, Elena.« Hark lehnte sich zurück. »Wenn man dich hört, geht gleich die Sonne auf.«

»Das habe ich von meinem Mann schon lange nicht mehr vernommen.« Sie klang belustigt, aber Hark meinte, eine Spur von Bitterkeit herauszuhören. Er hatte vor einigen Wochen von einem Kollegen von Elena gehört, dass es um ihre Ehe zurzeit nicht zum Besten stand.

»Ruf mich jederzeit an, wenn du ein Kompliment hören möchtest«, antwortete er lachend und wunderte sich über sich selbst. Flirtete er etwa mit der Pathologin?

»Ich werde drauf zurückkommen.« Elena wurde ernst. »Leider ist der Grund meines Anrufs nicht so lustig.«

»Es geht um Sarah Klasen, richtig?«

»Genau, ich bin gerade mit ihr fertig geworden.«

»Ich bin ganz Ohr«, sagte Hark mit gespannter Stimme.

»Die arme Frau kann einem wirklich leidtun. Was für ein vergeudetes Leben sie geführt haben muss. Sie muss früher hübsch gewesen sein, das kann man immer noch sehen.« Elena seufzte. »Ich sollte es ja langsam wirklich gewöhnt sein, aber manche Menschen auf meinem Tisch berühren mich immer noch. Frau Klasen gehört dazu. Sie hat sich im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode getrunken. Ihre Leber ist vernarbt, was auf einen jahrelangen und exzessiven Alkoholmissbrauch schließen lässt, und hat am Ende einfach versagt. Todesursache ist also akutes Leberversagen aufgrund Alkoholmissbrauchs.«

»Das haben wir uns gedacht«, sagte Hark bedächtig. »Hast du etwas gefunden, was darauf schließen lassen könnte, dass eine weitere Person involviert war?«

»Du meinst blaue Flecken, Abschürfungen, etwas in der Art?«, fragte Elena ein wenig erstaunt.

»Ja, genau. Merkwürdig an der ganzen Sache ist nämlich, dass die Frau seit zwei Jahren trocken war. Laut Aussagen ihres näheren Umfeldes wirkte sie auch in keinster Weise rückfallgefährdet. Und wir haben am Fundort der Leiche am Strand keinerlei Flaschen gefunden.«

»Okay, das mit den Flaschen ist komisch, da gebe ich dir recht. Aber ein Rückfall ist leider so typisch bei einer langen Alkoholabhängigkeit, dass ich darüber nicht lange nachdenken würde. Und dass Angehörige das anders einschätzen, ist verständlich.«

»Das ist schon richtig«, stimmte Hark ihr zu. »Allerdings ist der Lebensgefährte der Toten ein ehemaliger Arzt, der viele Jahre mit Suchtkranken gearbeitet hat. Er ist gerade für ein paar Tage auf dem Festland, und ich glaube nicht, dass er seine Freundin allein gelassen hätte, wenn er ein Risiko dabei gesehen hätte.«

»Das macht es noch trauriger«, entgegnete Elena nachdenklich. Sie schwiegen beide einen Moment. Dann unterbrach sie die Stille. »Bei deinen Ermittlungen kann ich leider nicht weiterhelfen, aber die Todesursache ist definitiv der Alkohol. Und es gibt keinerlei Hinweise auf irgendeine Form von Gewalteinwirkung. Sie wurde nicht gefesselt, ihr wurde nichts mit Zwang eingeflößt, und sie hat auch keine blauen Flecken, die den Schluss zulassen würden, dass sie festgehalten wurde.«

»Das sind ja eigentlich gute Nachrichten. Zumindest kann ich die Jungs in Flensburg informieren, dass ihr Erscheinen erst einmal nicht erforderlich ist.«

»Du meinst wohl eher, das Mädchen.« Elena lachte. »Das wäre dein erster Fall mit Kerrin Iwersen, oder?«

»Kann sein, ich weiß nicht genau, wer Klaus ersetzen soll«, antwortete Hark vage.

»Ich habe gehört, dass Kerrin jetzt zusammen mit seinem alten Team für die Inseln zuständig ist. Sie war einige Jahre bei uns in Kiel und ist vor knapp zwei Jahren nach Flensburg versetzt worden. Eine nette, sympathische und äußerst kompetente junge Frau. Und sie ist eine von euch, eine Insulanerin.«

»Dann müsste ich sie ja eigentlich kennen«, sagte Hark nachdenklich.

»Wahrscheinlich eher dein Sohn.« Elena klang belustigt.

»Nett von dir, Elena, ich frage ihn mal und berichte dir dann«, ging Hark auf ihre Neckerei ein.

»Unbedingt.« Die Pathologin wurde wieder ernst. »Ich schicke euch und den Flensburgern nachher den Bericht.«

»Keine Eile, deine Fachbegriffe verstehen wir eh nicht. Ich weiß ja jetzt alles, was wichtig ist.«

»Du bist wirklich ein Unikat, Hark. Bis bald.«

»Ich telefoniere zwar immer gerne mit dir, trotzdem hoffe ich, dass wir nun erst einmal keine weiteren rätselhaften Todesfälle auf der Insel haben.«

»Ich drücke die Daumen. Obwohl ich nichts dagegen hätte, für einen Tag dem Trott hier zu entgehen und nach Föhr zu kommen.«

Hark schmunzelte. Bei eindeutigen Tötungsdelikten kam es vor, dass einer der Kieler Gerichtsmediziner auf die Insel fuhr, um im Klinikum in Wyk eine erste Voruntersuchung durchzuführen, bevor die Leiche zur endgültigen Untersuchung nach Kiel gebracht wurde. Elena hatte das erst ein Mal getan, zu einer Zeit, in der Hark im Urlaub gewesen war.

»Wäre tatsächlich nett, dich mal zu sehen und nicht nur deine freundliche Stimme zu hören«, scherzte Hark. »Lass es dir bis dahin gut gehen.«

Nachdem er aufgelegt hatte, blieb er einen Moment ruhig an seinem Schreibtisch sitzen. Das kurze Gespräch mit Elena hatte ihm gutgetan. Wie immer, wenn er mit ihr sprach. Sie hatte eine warme, angenehme Stimme, und sie strahlte eine Wärme und Fröhlichkeit aus, die ihn anzog. Er seufzte. Heike fehlte ihm immer noch sehr, aber vielleicht wurde es langsam Zeit, sich einzugestehen, dass er noch einen großen Teil seines Lebens vor sich hatte. Seine Frau hätte nicht gewollt, dass er es nur mit Arbeit, seinem Sohn Nils und guten Freunden verbrachte.

Er sah aus dem Fenster. Von der Dienststelle am Hafendeich aus konnte er die Fähren auf ihrem Weg von Dagebüll nach Föhr und zurück beobachten. Gerade fuhr die MS »Uthlande« auf den Anleger zu. Sie glänzte strahlend weiß in der Sonne, und Hark sah viele Menschen an der Reling stehen. Ein Schwarm Möwen folgte dem Schiff. Früher hatten die Touristen die Möwen vom Oberdeck aus mit Brotstücken gefüttert. Die Folge war, dass die Tiere immer aggressiver wurden, den Schiffen in immer größeren Schwärmen hinterherflogen und alles verschmutzten. Mittlerweile war das Füttern während der Fahrt schon lange verboten, aber Möwen folgten den Schiffen noch immer. Seine Gedanken schweiften zurück zu Elena. Was ist heute bloß los mit dir?, fragte er sich. Du hast diese Frau in all den Jahren der Zusammenarbeit noch nie gesehen, kennst nur ihre Stimme und hast gerüchteweise gehört, dass ihre Ehe in einer schwierigen Phase steckt. Na und? In jeder Ehe gab es Krisen, auch Heike und er hatten Zeiten gehabt, in denen sie mehr als sonst gestritten hatten. Wahrscheinlich ging ihm sein gerade vergangener Hochzeitstag immer noch an die Nieren und brachte ihn auf komische Gedanken.

Er setzte sich aufrecht hin und griff nach dem Telefon, um den Dienststellenleiter in Flensburg anzurufen.

»Okay, Hark, ich schicke dir Kerrin morgen rüber. Dann könnt ihr euch mal beschnuppern«, entschied Peter Heyden, nachdem Hark ihm von ihren Nachforschungen und dem Obduktionsergebnis berichtet hatte. »Kai und Mark sind nicht da, und Jörn brauche ich in einem anderen Fall. Es ist Urlaubszeit, und wir sind völlig unterbesetzt. Deswegen muss es jetzt so gehen. Du bist schließlich ein Urgestein und kannst erst einmal zusammen mit Kerrin ermitteln. Einverstanden?«

»Klar«, stimmte Hark ihm zu. Was blieb ihm auch anderes übrig?

»Es sieht ja auch eher nach einem tragischen Rückfall oder Selbstmord aus, aber die fehlenden Flaschen am Fundort und ihre ganze Lebenssituation machen mich doch stutzig. Hört euch noch einmal gründlich um.«

Nachdem sie aufgelegt hatten, rief Hark nach kurzem Überlegen Nils an. Er wollte vorbereitet sein, wissen, was oder besser wer da auf ihn zukam.

»Papa, was gibt es?«, fragte Nils ein wenig abwesend.

»Ich will dich gar nicht lange stören, habe nur eine kurze Frage.«

»Kein Problem, solange es etwas Friedliches ist. Ich habe gerade den Schriftsatz der Gegenseite wegen der Scheidung der Marxens bekommen, und der haut mich um.« Nils arbeitete als Rechtsanwalt in Wyk und war recht erfolgreich, wie Hark immer wieder stolz bemerkte. Er hatte ein freundliches und einnehmendes Wesen, und die Menschen fassten schnell Vertrauen zu ihm. Als seine Mutter vor drei Jahren völlig überraschend gestorben war, hatte Hark Angst um ihn gehabt. Aber Vater und Sohn hatten sich in der Trauerzeit gegenseitig gestützt und den tragischen Verlust, so gut es eben ging, zusammen verkraftet.

»Erzähl«, forderte Hark ihn neugierig auf.

»Du weißt doch, dass ich der Schweigepflicht unterliege«, zierte Nils sich wie immer ein wenig.

»Du kannst dich auf mich verlassen, mein Junge. Weißt du doch auch.«

»Also gut. Sie wirft ihm jetzt vor, dass er sie geschlagen und bedroht hätte. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, und mir graut davor, ihm das mitzuteilen. Die armen Kinder.«

»Rasmus hätte diese Frau nie heiraten dürfen. Davon haben ihm alle abgeraten, aber er wollte ja nicht hören«, sagte Hark bestürzt. »Wie gut, dass er dich als seinen Anwalt hat, du kannst die Wogen vielleicht wieder glätten.«

»Ich bemühe mich.« Nils klang nicht sonderlich überzeugt. »Wie kann ich dir denn helfen?«

»Kennst du eine Kerrin Iwersen?«, fragte Hark. »Müsste in etwa dein Alter sein.«

»Ja klar. Die Insel ist ein Dorf, das weißt du doch. Sie war ein, zwei Jahrgänge unter mir. Ich habe sie aber lange nicht gesehen, sie ist Polizistin in Kiel, soweit ich weiß. Wieso?«

»Ach, nichts Wichtiges«, wehrte Hark ab. Jünger als sein Sohn und nun seine Vorgesetzte, das passte ihm gar nicht.

»Nun mal raus mit der Sprache. Was ist mit ihr? Sie war hübsch, der sportliche Typ, aber ich war nie enger mit ihr befreundet.«

»Sie ist mittlerweile in Flensburg und wohl die Nachfolgerin von Klaus Martens. Und sie kommt morgen wegen des Todesfalls in Utersum auf die Insel.«

»Sie ist der neue Klaus?«, fragte Nils ungläubig.

Hark druckste ein wenig herum. »Wenn du es so nennen willst, meinetwegen.«

»Das ist ja cool. Sie muss ziemlich tough sein, wenn sie das in ihrem Alter geschafft hat. Sollte sie sich nicht allzu sehr verändert haben, hast du eine kluge und attraktive Frau an deiner Seite.«

»Sehr lustig, Nils«, antwortete Hark ein wenig barsch. »Ich finde es eigentlich nicht so berauschend, mit einer derartig jungen Frau zusammenzuarbeiten.«

»Du meinst wohl eher, für eine derartig junge Frau, oder?« Nils’ Stimme klang amüsiert. Wie gut sein Sohn ihn doch kannte.

»Ja, stimmt. Ist doch komisch, das musst du zugeben.«

»Ach, Papa«, lenkte Nils ein. »Heutzutage doch nicht mehr. Du bist immer noch in dem alten Rollenverständnis gefangen. Freu dich doch lieber, deine Freunde werden dich darum beneiden.« Er fing an zu lachen. »Und ich auch.«

»Okay, Nils, ist ja schon gut.« Hark fiel in sein Lachen ein. »Ich muss mich erst mal daran gewöhnen, aber das wird bestimmt.«

»Du schaffst das. Und wenn du Hilfe brauchst, ruf mich an. Ich unterstütze dich gerne.«

6

Früh am Morgen trat Kerrin mit einem Matjesbrötchen und einer Cola light aus dem Restaurant am Dagebüller Hafen. Sie setzte sich an die Kaimauer und ließ die Beine baumeln. In der Ferne sah sie die Fähre, die Kurs auf den Hafen genommen hatte. In der Nacht hatte es ein heftiges Gewitter gegeben, letzte Reste von Pfützen zeugten davon. Aber jetzt schien die Sonne wieder, keine Wolke war an dem strahlend blauen Himmel zu sehen, und die Nordsee glitzerte. Wohlig reckte Kerrin sich, sog die frische salzige Luft ein und biss in das Brötchen. Matjes schmeckte am besten an der Nordsee, egal, um wie viel Uhr. Sie hatte noch viel Zeit. Ihr Auto hatte sie auf dem Dauerparkplatz abgestellt und wollte nun zu Fuß auf die Fähre gehen. Da sie eng mit Hark Hansen zusammenarbeiten und voraussichtlich nicht lange auf Föhr bleiben würde, hatte Heyden entschieden, dass sie ohne Auto hinüberfahren sollte.

Kerrin fühlte eine innere Ruhe in sich, die sie lange nicht mehr gespürt hatte. Diese Wirkung hatte die Nordsee schon immer auf sie gehabt, wahrscheinlich ging es den meisten Insulanern so. Das Meer und die Gezeiten, der Wind, die salzige Luft, die Möwen und diese unendliche Weite hatten von Beginn an zu ihrem Leben gehört. Sie liebte ihre Arbeit als Polizistin, den Stress und den Erfolg, wenn ihnen ein Verbrecher ins Netz ging. Aber zwischendurch einmal die Seele baumeln lassen, zur Ruhe kommen, einmal nichts tun, das konnte sie in Flensburg nicht so gut wie auf der Insel.

Sie dachte an Ole. Fast ein Jahr lang war er ihr Mittelpunkt gewesen, sie hatte um ihn gekreist, versucht, ihm und der Arbeit gerecht zu werden. Und hatte versagt. Der Polizeidienst mit den unregelmäßigen Arbeitszeiten, Wochenendschichten und Überstunden hatte seinen Tribut gefordert. Das Verbrechen hielt sich nicht an einen geregelten Achtstundentag. Eines Tages hatte er genug von ihr gehabt und sich getrennt. Für Kerrin war damals eine Welt zusammengebrochen. Und doch empfand sie es jetzt hier in der Sonne mit dem Blick auf Föhr am Horizont zum ersten Mal nicht mehr nur als ihr Scheitern. Vielleicht hatte Sophie ja doch recht, und Ole hatte einfach nicht zu ihr gepasst. Er hatte sie nicht glücklich machen können, sondern seinen Teil dazu beigetragen, dass sie sich in dem schwierigen Spagat zwischen Beruf und Privatleben aufgerieben hatte. Sie spürte, dass diese schmerzende Wunde in ihrem Herzen zu heilen begann.

Als die Fähre mit dem typischen Klackern der Autorampe anlegte, überschwemmte sie ein Glücksgefühl. Endlich kam sie wieder auf die Insel. Sie würde die nächsten Tage trotz der Arbeit genießen, nahm sie sich fest vor. Bekannte traf sie bestimmt an jeder Ecke. Auf einer Insel wie Föhr lebten die Menschen eng miteinander. Viele Familien kannten sich seit Generationen, und selbst wenn man gewollt hätte, konnte man sich schlecht aus dem Weg gehen. An die Anonymität in der Stadt hatte Kerrin sich in der Anfangszeit in Kiel erst gewöhnen müssen. Auf Föhr waren fast alle beim Du, und es ging weniger förmlich zu.

Sie griff nach ihrer Tasche und dem Rollkoffer mit Computer und den anderen Dingen, die sie für ihre Arbeit benötigte, und machte sich auf den Weg an Bord. Es zog sie die steilen Treppen hinauf auf das Oberdeck. Der Wind würde während der Fahrt frisch werden, aber sie hatte einen Pullover im Gepäck. Oben angekommen, stellte sie sich an die vordere Reling und sah auf den Strom der Touristen hinunter, die nach den Autos zu Fuß die Fähre betraten. Eine Frau mit schulterlangen blonden Haaren stach ihr ins Auge. Sie blickte kurz nach oben, sodass Kerrin ihr fein geschnittenes Gesicht klar erkennen konnte. Die junge Frau war bereits im Inneren der Fähre verschwunden, als Kerrin immer noch darüber nachdachte, woher sie sie kannte. Es fiel ihr nicht ein, und so machte sie sich auf die Suche nach einem Sitzplatz in der Sonne.

Sie wollte gerade ihren Fotoapparat aus der Tasche ziehen, als die Frau plötzlich vor ihr stand.

Ende der Leseprobe