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Angie ist auf der Flucht vor ihrer Familie und einem Familiengeheimnis. Ziellos zieht sie durch die Welt, wie ein Blatt im Wind. Bemüht sich nicht zu binden und trotzdem zu überleben. Das alles gelingt ihr, bis sie in Portugal einen Mann trifft, der sie nicht mehr kalt lässt, dann überschlagen sich die Ereignisse. Und sie ist mittendrin. Wieder trifft sie hinterhältige Menschen. Kann all das ein gutes Ende finden?
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Seitenzahl: 77
Veröffentlichungsjahr: 2020
Über die Autorin
Sabine Kranich ist Psychologin und lebt seit über 25 Jahren mit Mann, Tieren und Pflanzen im ländlichen Algarve in Portugal.
Bisher sind u.a. von ihr erschienen:
Susans Träume, ISBN 9781537385334
Marie und Elias - eine phantastische Liebesgeschichte - ISBN 9783748151258
Anne und die schwarzen Katzen,
ISBN 9783750423190
Das Quinta-da-Fortuna-Buch,
ISBN 9783735724441
Zusammen mit Dietfrid Kranich:
Die Welt in unserem Garten
Gärtnerische und kulinarische Erfahrungen in Portugal
ISBN 9783743143326
Das Wetter war für Dezember traumhaft, bereits am Morgen schien die Sonne sanft vom Himmel, untermalt vom fröhlichen Gezwitscher einiger Vögel, die sich in den hohen Bäumen des Grundstücks vergnügten.
Schon jetzt fand Peter seine Geburtstagsfeier schön. Auf dem Papier wurde er heute 63 Jahre, aber tatsächlich fühlte er sich eher zeitlos. Peter fühlte sich wie Peter. Daran konnten auch die mittlerweile grauen Haare auf seinem Kopf und in seinem Bart nichts ändern. Obwohl er in den Augen vieler Menschen sicherlich bescheiden lebte, war er oft rundherum zufrieden, und heute besonders. Er mochte sein kleines Bauernhaus, das im landestypischen Stil ebenerdig gebaut und weiß gekalkt war. Fenster- und Türrahmen waren blau umrandet, im Volksglauben sollte die blaue Farbe gegen den Besuch böser Geister schützen. Abgesehen davon fand Peter Blau auf Weiß dekorativ, und wenn es auch noch Schutz bot, warum nicht?
Heute hatte er zu sich nach Hause zum Brunch eingeladen, und später würde er den Grill anschmeißen. Da er schon vor über 20 Jahren in dieses Land ausgewandert war, kannte er natürlich viele Leute, die meisten waren Ausländer wie er selbst.
Tatsächlich waren viele seiner Bekannten und Freunde gekommen, um mit ihm seinen Geburtstag zu feiern, und die meisten seiner Gäste waren in seiner Altersgruppe oder älter. Fast alle hatten seine Bitte erfüllt, etwas zum Essensbüffet beizusteuern. Viele verschiedene Salate in unterschiedlichen Schüsseln bildeten eine bunte Reihe auf dem langen Holztisch, den er im Wohnzimmer gleich hinter den geöffneten Terrassentüren aufgestellt hatte. Dazu gab es eine Käse- und eine Wurstplatte und kleine Körbe bestückt mit Brot und Brötchen, Kuchen dazu Thermoskannen gefüllt mit Kaffee und außerdem verschiedene Kaltgetränke. Verhungern musste bei diesem Angebot sicherlich niemand.
Und genau das hatte Angie angelockt, auch wenn sie mit ihren 39 Jahren aus dem Rahmen fiel. Sie war über drei Ecken hier gelandet, denn sie kannte jemanden, der jemanden kannte, der wiederum das Geburtstagskind kannte. Wenn es irgendwo etwas umsonst gab, war Angie in der Regel nicht weit, denn leider war sie so gut wie immer pleite und nahm deshalb jede gebotene Gelegenheit wahr, um sich kostenfrei zu versorgen. Dafür hatte sie ihre besten Kleidungsstücke hervorgekramt. So fiel sie einerseits nicht unangenehm wegen abgenutzter Alltagskleidung auf und andererseits fand sie diese Klamotten, eine enganliegende, knackige Jeans und ein Hemd aus Leder, das am Rücken mit Bändchen zusammengehalten wurde und dadurch einige nackte Haut sehen ließ, sexy. Ihre dünne Figur wurde dadurch noch betont.
Interessanterweise fanden viele Männer das attraktiv, während manche Frauen, die sie kannten, Angie als „magere Zicke“ bezeichneten. Aber Angie wusste genau, die waren nur neidisch. Ihre halblangen mittelbraunen Haare trug sie heute mit Lederbändern hochgebunden und fand sich selbst bestens ausgestattet für den einen oder anderen hoffentlich lohnenswerten Flirt.
Aber leider fühlte sie sich auf Peters Geburtstagsfeier schon nach kurzer Zeit gelangweilt und, schlimmer noch, viele der anderen Gäste kannte sie nicht und wollte sie auch gar nicht kennenlernen. Einige der anwesenden über 60-jährigen Männer witterten offensichtlich die Gelegenheit, endlich einmal eine jüngere Frau ins Bett zu bekommen, und bemühten sich, Angie möglichst originell anzumachen oder was sie eben darunter verstanden, wenn sie ihr breit grinsend schlüpfrige Witze auftischten. Komischerweise gab es davon so einige, nicht nur blöde Witze, sondern auch ältere Männer, die diese gerne erzählten.
Angie selbst stufte diese Annäherungsversuche auf ihrer eigenen Flirtskala in die Kategorien „bemitleidenswert“ bis „abstoßend“ ein. Einen dermaßen plumpen Flirtversuch zu erwidern käme für sie nur in Betracht, wenn genug dabei herausspringen würde. In der Altersstufe dieser Männer müsste eine solch private Vereinbarung allerdings sehr gute Konditionen haben. Dafür käme nur ein vermögender und spendabler Verehrer in Frage, der außerdem gewillt war, für längere Zeit spendabel zu bleiben. Wenn sie sich auf Peters Geburtstagsfete so umsah, konnte sie allerdings niemand Passenden ausmachen. Sie suchte etwas Längerfristiges, denn Angie gewöhnte sich nicht gern um, schließlich war sie nicht „käuflich“, sondern versuchte nur, durchs Leben zu kommen.
Wenigstens konnte sie ohne Bezahlung so viel essen und trinken, wie sie wollte. Unfreundliche Menschen, die sie kannten, behaupteten manchmal, sie würde sich auf Kosten ihrer Mitmenschen durchs Leben schnorren. Sie selbst sah das allerdings ganz anders, denn wozu die Zeit mit bezahlter Arbeit vertun? Es gab genug Dumme, die das taten, und die durften ihr gern etwas abgeben vom Einkommen. Fairerweise muss man erwähnen, dass sie nicht im Sinne von regelmäßiger und bezahlter Arbeit erzogen worden war. Doch dazu später.
Heute hatte sie als Gastgeschenk eine alte Holzfigur aus dem Müll mitgebracht und so getan, als hätte sie nicht gewusst, dass erwartet wurde, etwas zum Büffet beizusteuern. Angie holte sich eine weitere Flasche Bier. Alkohol half ihr gewöhnlich, sich zu entspannen.
Sie hielt sich an der Bierflasche fest und schlenderte damit auf der naturbelassenen Terrasse vor dem Partyraum zwischen den gedeckten Tischen herum. Sie wollte sich ungern setzen, weil sie bemüht war, langweilige Unterhaltungen zu vermeiden. Dabei beobachtete sie verstohlen die anderen Gäste. Ein Pärchen fiel ihr vor allem auf. Die Frau war ungefähr in ihrem Alter und der Mann deutlich älter, beide bunt und alternativ angezogen. Sie traten als zusammengehörig auf, und doch bemerkte Angie eine deutliche, unterschwellige Disharmonie zwischen ihnen. Ein anderer Gast hatte sich zu ihnen gesellt, und im Vorübergehen schnappte Angie einige Wortfetzen auf. Die jüngere Frau interessierte sich offensichtlich hauptsächlich für Tiere. Ihr Partner stand daneben und tat so, als fände er die Ausführungen seiner Frau zum Thema „Tierschutz im Süden“ sehr wichtig, dabei lächelte er jedoch selbstbewusst jeden an, der in seine Nähe kam.
Er will eine große Bedeutung haben, dieser Gedanke kam Angie spontan, und nun ja, natürlich kannte sie dieses Gefühl. Ihr selbst ging es im Grunde genommen nicht anders, aber ihre Strategien waren verborgener, weiblich eben, und sie betrafen immer ihren jeweiligen Lebensgefährten und noch ein paar andere Mitmenschen, die ihr gerade nützlich erschienen. Doch dieser Geburtstagsgast war anders. Er wollte Bedeutung bekommen von allem und jedem. Dazu hatte er sich eine therapeutische Rolle gewählt. Scheinbar kompetent und väterlich versuchte er, den anderen ihre Probleme und Geheimnisse aus der Nase zu ziehen. Unglaublicherweise zog diese Masche bei einigen der anwesenden Frauen sogar. Sie waren so glücklich über männliche Aufmerksamkeit, dass sie ihm ohne weiteres ihre Probleme im Flüsterton erzählten. Angie war baff. So eine perfide Methode war sogar für sie zu viel.
Mann müsste man sein, dachte sie neidisch und war auf der Hut. So ein Typ fehlt mir gerade noch!
Die Frauen auf der Feier, die ihm gerne alles Mögliche erzählten, schienen ihm offensichtlich bald langweilig zu werden, und außerdem spürte er, dass Angie ihn beobachtete.
Sie wäre eine Herausforderung, dachte er bei sich.
Und sie dagegen: Na warte, komm nur her.
Tatsächlich kam er zu ihr rüber und versuchte sie mit einem uralten Psychotrick reinzulegen. Er tat so, als würde er sie sowieso durchschauen, obwohl sie sich vorher noch nie begegnet waren. Bei manch anderem hätte das sehr gut funktioniert, viele Menschen finden es schmeichelhaft und faszinierend, „durchschaut“ zu werden. Sie verwechseln einen Plan mit echtem Interesse und erzählen bereitwillig alles, was der angebliche Gedankenleser wissen will. Angie aber war schon so lange sie überhaupt denken konnte auf der Hut und fiel auf diese Masche sicher nicht herein. Sie war eine Meisterin in Wachsamkeit und erkannte instinktiv verlogene Menschen und Worte. Selten lag sie dabei falsch. Eigentlich liefen bei ihr unbewusst immer Überprüfungsprogramme ab, mit denen sie ihre Umwelt einschätzte.
All das hatte vor vielen Jahren begonnen, damals, als sie vor ihrer Familie flüchten musste, um ihr Leben zu schützen.
Bei diesem Gedanken brach die Erinnerung plötzlich über sie herein, und sie fühlte sich nicht mehr stark genug, diesem Mann gegenüberzutreten, ohne etwas zu verraten. Deshalb trat sie die Flucht in den Garten an und suchte sich ein sonniges Plätzchen, wo sie allein und ungestört ihren Gedanken freien Lauf lassen konnte. Sie fand es bei einer alten Metallbank, die von üppig wachsenden grünen Pflanzen in Peters wildem Garten eingerahmt wurde.
Welche Rolle dieser Gast noch in ihrem Leben spielen würde, ahnte sie zu diesem Zeitpunkt nicht. Jetzt überließ sie sich ihren Erinnerungen.
*