Dunkles Blut - Stuart MacBride - E-Book
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Stuart MacBride

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Beschreibung

Jeder verdient eine zweite Chance. Auch Richard Knox. Sechs Jahre saß er wegen Vergewaltigung im Gefängnis. In dieser Zeit hat er zu Gott gefunden, seine Fehler bereut und sich für den Pfad der Tugend entschieden. Leider ist die Polizei davon so wenig überzeugt wie die Einwohner von Aberdeen. DS Logan McRae gehört zu einem Team von Beamten, die Knox vor dem Zorn seiner Nachbarschaft beschützen und gleichzeitig ein Auge auf ihn haben sollen. Und doch ahnt an jenem kalten Januartag, an dem Knox in Aberdeen eintrifft, noch niemand, welch blutiger Alptraum sich anbahnt ...

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Stuart MacBride

Dunkles Blut

Thriller

Aus dem Englischenvon Andreas Jäger

Manhattan

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschein 2010 unter dem Titel»Dark Blood«bei HarpersCollinsPublishers, London
Manhattan Bücher erscheinen imWilhelm Goldmann Verlag, München,einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Deutsche Erstveröffentlichung Mai 2011Copyright © der Originalausgabe 2010 by Stuart MacBrideCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011by Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.Die Nutzung des Labels Manhattan erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Hans-im-Glück-Verlags, MünchenRedaktion: Eva WagnerSatz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad AiblingISBN 978-3-641-12241-6V003
www.manhattan-verlag.de
www.penguinrandomhouse.de

1

Laufen. Nicht stehenbleiben. Weiter, weiter…

Der dicke, fette Mond macht alles schwarz und weiß. Raureif und Schatten. Leben und Tod.

Steve strauchelt. Die aufgewühlte Erde ist hart gefroren– es geht auf und ab, wie auf einer Achterbahn. Ein Fuß bleibt an der Kante eines steinharten Zackens hängen, und er fällt der Länge nach auf den vereisten Boden. Unterdrückt einen Schrei, als der messerscharfe Schmerz durch seinen Arm schießt.

Irgendwo in der Dunkelheit bellt ein Hund. Ein großer Hund. Ein unheimlich großer Hund, so ein richtiges Ungeheuer– ein Rottweiler oder Dobermann oder so was in der Art. Groß und schwarz, mit zig Zähnen. Und er ist hinter ihm her.

»Scheiße…« Das Wort steigt in den Nachthimmel auf, begleitet von einer weißen Atemwolke.

Großer Hund.

Er rappelt sich auf; steht da und versucht, das Gleichgewicht zu halten. Ihm ist schlecht. Viel zu viel Whisky. Macht alles irgendwie verschwommen und warm, obwohl es hier draußen so kalt ist, dass ihm die Finger wehtun. Und alles riecht irgendwie verbrannt.

Steve stolpert weiter, den Arm an die Brust gedrückt, hält sich im Schatten am Rand der Baustelle, wo die Bäume Deckung vor dem scheinwerferhellen Mond gewähren.

Wenn er Glück hat, wird niemand die Blutspur sehen, die er hinter sich herzieht…

Der Hund bellt wieder. Er kommt näher.

Aber einer wie Steve hat ja normalerweise immer ein Scheißpech.

Er beschleunigt seine Schritte. Taumelt, strauchelt, kämpft sich weiter.

Sein linker Fuß bricht durch die Eisschicht auf einer Pfütze, und er bleibt stehen. Hält den Atem an.

Er dreht sich um, blickt zum Baucontainer zurück. Taschenlampen streichen über den matschigen Boden, gedämpfte Stimmen kommen auf ihn zu. Und dieser Scheißköter jault und winselt und weist ihnen den Weg.

Lauf weiter.

Nicht stehenbleiben.

Einen Fuß vor den anderen.

Immer an dem zweieinhalb Meter hohen Zaun entlang; Maschendraht mit Stacheldraht obendrauf, um die ganze Baustelle herum.

Als er das nächste Mal stolpert, fällt er kopfüber in einen Graben und schlittert die Böschung hinunter. Äste knacken, Schmerz schießt durch seinen Arm, etwas krallt mit dornigen Klauen an seiner Wange. Eis splittert, und dann das Wasser, so kalt, dass es sich anfühlt, als bekäme er noch einmal eine Faust ins Gesicht.

Er taucht spuckend und prustend aus dem kleinen Bach auf. Das Wasser ist nicht tief, aber schweinekalt. Er rudert mit den Armen, kämpft sich durch das Dornengestrüpp ans Land. Schlottert so brutal, als hätte er einen Presslufthammer im Arsch. Seine Zähne klappern so heftig, dass der Zahnschmelz schier Risse kriegt.

Der Hund bellt wieder. Eindeutig näher als vorhin. Wahrscheinlich haben sie das verdammte Vieh von der Leine gelassen. Los, du dreckige Bestie, such Steve und beiß diesem miesen Dieb und Verräter die Kehle durch.

Steve sinkt auf die Uferböschung nieder, versucht nicht zu heulen, als das eiskalte Wasser seine Hose tränkt, die Jacke, die Socken, jedes verdammte Teil. Diese blöden Schotten– sogar das Wasser ist nasser bei denen.

Ausruhen. Nur eine Minute. In der Dunkelheit ausruhen, im Schutz des Grabens, wo niemand ihn sehen kann. Eigentlich gar nicht so übel. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die Kälte.

Nur ein paar Sekunden die Augen zumachen. Ein bisschen verschnaufen.

Ein Weilchen ausruhen…

Und als er das nächste Mal die Augen aufschlägt, starrt ihm etwas direkt ins Gesicht. Ein massiges, muskelbepacktes Etwas in der Dunkelheit, dampfender Atem, der zwischen scharfen Zähnen hervorquillt. Schwarzes Fell, das im Mondschein glänzt.

Braves Hundchen.

Er bellt– mit jedem furchterregenden Blaffen zuckt sein ganzer Körper vor und zurück, und Geifer spritzt durch die Gegend.

Oh, verdammte Scheiße.

Das Messer. Er hat ein Teppichmesser in der Tasche, aber seine erfrorenen Wurstfinger gehorchen ihm nicht. Sie nesteln ungeschickt an seiner zerrissenen Jacke herum. Flüche. Tränen. Kälte. HOLDASBESCHISSENEMESSERRAUS!

Und dann hört er die Stimme. »Scheiße, Mann– Mauser, wehe, das is’ wieder mal nur ’n verdammtes Karnickel.« Knirschende Schritte auf gefrorenem Gras.

Steve zieht das Teppichmesser aus der Tasche, hält es in seiner zitternden Hand, versucht den Metallschieber herunterzudrücken. Komm schon, komm schon, komm schon.

Und dann tritt ein Mann zu dem Monster. Der Mond steht in seinem Rücken, verdunkelt sein Gesicht, macht ihn zu einem Geschöpf der Finsternis, das in der plötzlichen Stille Schwefeldämpfe ausstößt.

»He, Steve«, sagt er. »Wo willst’n hin, Mann? Wir fangen doch grade erst an…«

2

»Inspector?« Ein schlotternder Constable packte das blau-weiße Polizeiband und hob es an, um ihn durchzulassen. »Sie sind da drüben, Sir.«

Logan McRae schloss seinen schlammbespritzten Audi mit der Fernbedienung ab, schlüpfte unter dem Absperrband hindurch und stapfte über den rutschigen hellen Sand auf das kleine Grüppchen zu, das sich vor dem Zelt der Spurensicherung versammelt hatte. Es stand zwischen zwei gewaltigen Sanddünen, gebeutelt vom eisigen Wind, der von der Nordsee her wehte und an den weißen Plastikplanen zerrte. Der Himmel war wolkenlos, doch die tief stehende Sonne hatte sich noch nicht über den mit zerrupftem Pampasgras bewachsenen Dünenkamm erhoben, und der ganze Tatort war in tiefblaue Schatten gehüllt.

Der Strand von Balmedie reichte auch zu den besten Zeiten nicht ganz an die Costa del Sol heran, aber um halb elf an einem kalten Januarmorgen hätte sich hier sogar ein Eisbär den Arsch abgefroren. Aberdeen– zwei Grad nördlich von Moskau.

Hätte die Stadt einen Zoo gehabt, man hätte den Pinguinen im Winter Pudelmützen aufsetzen müssen.

»Inspector! Inspector McRae!« Ein Mitarbeiter der Spurensicherung in der obligatorischen Kluft aus weißem Overall und blauen Plastiküberschuhen winkte ihn herbei. »Genau wie all die anderen, Sir. Sie hatten recht.«

Na toll– und das, wo er ausnahmsweise mal froh gewesen wäre, wenn er sich geirrt hätte.

Logan trug sich in die Liste der Tatortaufsicht ein und nahm dann den Kampf mit seinem Spusi-Overall auf. Das Ding leistete bis zum Schluss Widerstand, unterstützt vom Wind, der an Beinen und Ärmeln zerrte, um ihm bei der Flucht zu helfen. »Rechtsmedizin?«

»Schon drin, Sir. Fotos und Proben sind gemacht, also sagen Sie uns einfach Bescheid, wenn Sie wollen, dass wir sie…« Er deutete auf das Zelt, von dem Logan bereits wusste, was ihn darin erwartete. »Dass wir das abtransportieren.«

Die ganze Konstruktion knarrte und wackelte, und der Wind blies heulend durch die Fugen, als Logan eintrat. Sie hatten ein paar Bogenlampen aufgebaut, deren grellweißer Schein vom Sand zurückgeworfen wurde und Logans Atem zu einer schillernden Wolke werden ließ, als er sich zu der Rechtsmedizinerin kniete.

Sie sah zu ihm auf, und ihre Augen funkelten über der Maske, die Nase und Mund bedeckte. Dann senkte sie den Blick wieder auf den Kopf, der auf der Seite im hellen Sand lag.

Der Kopf gehörte einer Frau– Anfang zwanzig, die Augen glasig und eingesunken; rötliches Haar, das im Licht der Bogenlampen fast blond wirkte. Sommersprossen stachen dunkel von der porzellanfarbenen Haut ab; der Mund war offen. Hinter ihren Zähnen hatte sich ein wenig Sand angesammelt, und in der dunklen Höhle dahinter glitzerte etwas golden. Genau wie bei den anderen sechs.

»Woher hast du es gewusst?« Die Rechtsmedizinerin grub den abgetrennten Kopf aus dem Sand aus. »Sie war genau da, wo du es vorhergesagt hattest.«

Logan sah zu, wie sie Lucys Kopf in einen Beweismittelbeutel aus transparentem Plastik betteten, den sie versiegelten und beschrifteten. Ein weiteres Exemplar für die Sammlung im Leichenschauhaus.

»Todeszeitpunkt?«

Dr. Isobel McAllister streifte sich die blauen Nitrilhandschuhe von den Händen, nahm die Maske ab und schob sich die Kapuze ihres Tatort-Overalls in den Nacken. Das lange dunkle Haar wallte ihr über die Schultern. »Du weißt, dass ich dir das nicht sagen kann.«

Logan machte den Mund auf, um etwas zu sagen, und schloss ihn gleich wieder, als Isobel ihm eine Hand auf die Brust legte. In dem kalten Zelt fühlte sie sich glühend heiß an.

Sie sah ihm tief in die Augen. »Du hast mir gefehlt–«

»Isobel, ich–«

»O nein, kommt gar nicht in Frage!« Eine Kriminaltechnikerin kam herbeigestapft– es war Samantha, deren Haare im gleißenden Lampenschein grellrot leuchteten. Sie zog den Reißverschluss ihres Overalls herunter und ließ ihr blasses, von Tattoos umgebenes Dekolletee sehen. »Er gehört mir. Nicht wahr, Logan?«

Isobel biss sich auf die Unterlippe. Sie sah weg. »Oh. Tut mir leid, das habe ich nicht gewusst.«

»Aber vielleicht…« Samantha trat näher und strich mit den Fingerspitzen über Isobels Wange. »Vielleicht teil ich ihn ja mit dir.«

Ein jäher Schmerz zuckte durch Logans Rippen. »Au, was war denn–«

»Vielleicht können wir alle zusammen… was ganz Besonderes machen.«

»Das würde mir gefallen.« Isobel fuhr sich mit der Zungenspitze über die blutroten Lippen und legte die Hand um Samanthas rechte Brust. »Das würde mir sehr– Hör gefälligst auf zu schnarchen!«

»Mmmmpff…?« Detective Sergeant Logan McRae richtete sich mühsam in seinem Sitz auf. »Ich bin wach, ich bin wach.« Kalt. Dunkel. Ein rasselnder Husten schüttelte seinen ganzen Körper durch und endete in einem Schauder. »Mein Gott.« Er zog die Nase hoch, rieb sich das Gesicht und spürte die Stoppeln unter seinen Händen. »Wie spät ist es?«

DI Steel war in der Dunkelheit kaum auszumachen, doch er konnte hören, wie sie auf dem Beifahrersitz seines schrottigen braunen Fiat herumrutschte. »Du hast geschnarcht.«

Steel drückte auf den Knopf des Zigarettenanzünders, wartete, bis er heraussprang, zog ihn aus der Öffnung im Armaturenbrett und steckte sich eine Silk Cut an. Im orangefarbenen Schein verwandelte sich ihr Gesicht in eine Landkarte aus Falten und Schatten. Ihre Katastrophenfrisur war unter einer Pelzmütze versteckt.

»Arschkalt hier…« Logan blinzelte zu der beschlagenen Frontscheibe auf, wischte mit dem Ärmel ein Guckloch frei und spähte in die mondbeschienene Landschaft hinaus. Sie hatten an einem kleinen Feldweg geparkt, der von der A90 zwischen Aberdeen und Ellon abzweigte. Von dort hatten sie das weitläufige Neubaugebiet gut im Blick. Logan gähnte. »Muss mal pinkeln.«

»Hättest du mal nicht so viel Kaffee gesoffen, hm?«

»Wusst ich’s doch, dass er nicht aufkreuzen würde.«

»Ich meine, wie kann man so blöd sein, zu einer Observierung koffeinfreien Kaffee mitzunehmen?«

»Also, wo steckt er denn nun?«

»Wenn ich das wüsste, würde ich jetzt nicht in dieser Schrottkarre hocken und mir dein elendes Geschnarche anhören, oder?«

»Okay, dann eben nicht.« Logan nahm sich eine von Steels Zigaretten und zündete sie mit einem Sturmfeuerzeug an, während er in die eisige Nacht hinauskletterte.

»Mach die verdammte Tür zu!«

RUMMS.

Er blieb einen Moment fröstelnd stehen, sog sich den Rauch tief in die Lunge und ging dann den Weg entlang auf ein kleines Waldstück zu. Es knirschte und knackte unter seinen Sohlen, Gras mit einer dicken Reifschicht darüber, alle Farben im Licht des nahezu vollen Mondes ausgebleicht. Es war beinahe taghell.

Logan bog vom Weg ab und schlug sich in die Büsche.

Mann, war das kalt. Diese blöde Steel und ihr verdammter V-Mann. Was hatte so eine verdeckte Operation für einen Sinn, wenn der V-Mann so verdeckt operierte, dass er gar nicht mehr aufzufinden war?

Ritsch. Ein Griff, ein Stöhnen, und… aaaaahhhh. O ja, das war schon viel besser.

Er stand da, umwabert von einer bittersüßen Dampfwolke, die Zigarette im Mundwinkel. Zwölf Tage am Stück ohne einen einzigen freien Tag. Kein Wunder, dass er fix und fertig war.

Von hier aus konnte man das gesamte Neubaugebiet überblicken– eine weite Fläche aus gefrorenem Matsch, umschlossen von Maschendrahtzaun; von Bulldozern aufgeschichtete Erdhaufen, zwischen denen sich die helleren Betonfundamente abhoben. Zwanzig bis dreißig Häuser schienen fast fertig zu sein, ein weiteres halbes Dutzend waren eingerüstete Rohbauten. Insgesamt sollten es vierhundert von den verdammten Dingern werden, allesamt Marke McLennan Homes. Scheußliche kastenförmige Kaninchenställe für Leute mit mehr Geld als Verstand.

Wie der Mistkerl zu der Baugenehmigung gekommen war, mochte der Himmel wissen.

Das Baubüro war in einem kleinen Container untergebracht. Während Logan hinsah, ging die Tür auf, und blassgelbes Licht fiel aus dem Inneren auf die aufgewühlte Erde. Ein Hund bellte. Ein Radio dudelte. Dann fiel die Tür wieder zu, und das Licht ging aus, ersetzt durch den schwachen Schein einer Taschenlampe, der langsam am Zaun entlangwanderte. Man musste schon ganz schön verzweifelt sein, um im Winter einen Job als Nachtwächter auf einer Baustelle anzunehmen. Und dabei zu wissen, dass Malcolm McLennan einem die Eier abreißen würde, falls irgendetwas verschwinden sollte.

Und das war keine Metapher.

Logan machte den Reißverschluss zu und eilte zum warmen Wagen zurück. Als er die Tür hinter sich zuzog, murmelte er: »Echt sibirische Verhältnisse da draußen…« Er schaltete die Zündung ein, drehte die Heizung voll auf und hielt die Hände über die Lüftungsschlitze.

DI Steel saß da und stierte mit finsterer Miene auf die allmählich frei werdende Windschutzscheibe. »Scheiß drauf, jetzt ist der Kerl schon zwei Stunden überfällig. Mir reicht’s– hab schließlich ’ne schwangere Frau, die daheim auf mich wartet.«

Logan würgte unter lautem Knirschen den Rückwärtsgang rein, drehte sich um und spähte durch die Heckscheibe, um mit Hilfe des Mondscheins den Weg zu finden. Der schrottige Fiat rumpelte rückwärts den Weg hinauf. »Ich hab’s doch gleich gesagt, dass er nicht aufkreuzen wird.«

»Bla, bla, bla.«

»Ich sag’s ja nur– niemand ist so blöd, Malk the Knife zu verpfeifen.« Logan setzte auf die Zufahrtsstraße zurück, schaltete das Licht ein und trat das Gaspedal durch. Er hatte gehofft, dass die Räder ein bisschen durchdrehen würden, aber stattdessen war nur ein dumpfes Ächzen zu hören, als die Rostlaube mühsam auf achtzig Sachen beschleunigte.

»Fahr auf dem Rückweg kurz beim Asda raus, wir haben kein Eis mehr im Haus.«

»Bei diesem Wetter?«

»Schwangerschaftsgelüste. Susan will Chocolate-Chips-Eiskrem und Käse-Nachos. Alles in einer Schüssel. Und bevor du irgendwas sagst– ich weiß. Ich muss mir schließlich anschauen, wie sie das isst.« Steel rutschte auf ihrem Sitz vor. »Fährt diese Kiste nicht schneller?«

»Nein.«

Sie saßen schweigend da, während die mondbeschienene Landschaft vorbeizog. Raureif auf den Wiesen, umgepflügte Äcker, depressiv dreinschauende Schafe, dicke runde Heuballen, in schwarze Plastikfolie gewickelt.

Am Kreisverkehr kurz vor Bridge of Don bremste Logan ab. »Wie wär’s mit ’nem Bierchen– nur zur Feier des Tages, weil ich endlich mal wieder dienstfrei habe? Das Dodgy Pete’s hat sicher noch offen.«

»Schwangere Frau– schon vergessen?« Steel holte wieder ihre Zigaretten hervor. »Und ich will, dass du am Donnerstagmorgen um sieben in alter Frische im Büro aufkreuzt. Mr. Knox soll doch nicht denken, dass wir uns nicht freuen, ihn zu sehen, oder? Wer weiß, was der kleine Widerling sonst noch anstellt.«

3

Die Jetstream 41 der Eastern Airways war winzig im Vergleich mit der 737 von British Midlands auf dem Standplatz nebenan. Logan stand unter dem schützenden Plastikdach einer Fußgängerpassage vor dem Terminal und sah zu, wie das kleine blau-weiße Flugzeug vom Rollfeld heranfuhr. Die beiden Propeller rotierten dröhnend im Nieselregen, und die Positionslampen funkelten im Dämmerlicht.

Der Himmel, von dem die Maschine herabgekommen war, hatte die Farbe nassen Lehms, eine dichte, dunkelgraue Decke, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte. Nur ein paar hauchdünne hellere Streifen am äußersten Rand kündigten die Morgendämmerung an.

»Pünktlich wie die Maurer.« DI Steel zog die Hände unter den Achseln hervor, gerade lange genug, um eine Schachtel Zigaretten hervorzukramen, sich eine in den Mund zu stecken und sie anzuzünden. »Obwohl, ich schätz mal, bis wir hier endlich wegkommen–«

»He! Sie da!« Ein kleiner Mann in einer fluoreszierenden Warnweste kam auf sie zugerannt. »Sie dürfen hier nicht rauchen. Der gesamte Flughafen ist eine Nichtraucherzone!«

Steel nahm die Kippe aus dem Mund und forderte ihn auf, sich zu verpissen. »Polizei.«

»Und wenn Sie der Papst persönlich sind– hier wird nicht geraucht!«

»O Mann, ich glaub’s nicht.« Sie nahm einen letzten trotzigen Zug und ließ die Zigarette auf den Betonboden fallen, um sie mit einem abgestoßenen Schuh auszutreten. »So, sind Sie jetzt glücklich?«

»Dass mir das ja nicht noch einmal vorkommt.« Er reckte die Nase in die Luft, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte davon.

Steel zeigte seiner Rückfront den Stinkefinger und murmelte: »Blöder Westentaschen-Nazi.«

Die Triebwerke der Jetstream heulten noch ein letztes Mal auf, und die Maschine kam ruckelnd zum Stehen. Während die Propeller ausliefen, konnte man das Quietschen der Scheibenwischer hören, die träge auf den Cockpitfenstern hin und her schwenkten. Drei Männer mit verdreckten Overalls und Ohrenschützern begannen Gepäckstücke aus dem Frachtraum zu wuchten und auf einen Buggy zu stapeln.

Es tat einen dumpfen Schlag, die vordere Tür sprang auf, klappte nach unten und verwandelte sich dabei in eine Gangway. Eine Flugbegleiterin steckte den Kopf in die kalte Morgenluft hinaus, worauf sofort ein Windstoß ihre langen braunen Haare erfasste und ihr eine Headbanger-Sturmfrisur verpasste. Ihre Miene verfinsterte sich, und sie verschwand rasch wieder in der Kabine. Willkommen in Aberdeen.

Logan lehnte sich mit dem Rücken gegen die kalte Plastikwand des Durchgangs und unterdrückte ein Gähnen.

Steel sah ihn an und rümpfte die Nase. »Wie viel hast du denn gestern Abend gesoffen?«

Achselzucken. »Ein paar Gläser Wein.«

»Aye, und den ganzen Rest. Du riechst wie ’ne Pennerunterhose.«

»Ich hatte frei.« Zwei herrliche Tage lang schlafen, schlafen, schlafen und nicht mehr an die kriminelle Bagage von Aberdeen denken.

»Hast wohl die ganze Zeit durchgesoffen, wie?« Sie kramte in ihrer Tasche und holte eine Packung extra starker Pfefferminzbonbons hervor. »Los, essen.«

Logan tat, wie ihm geheißen, und kaute knirschend vor sich hin, während die Bodencrew die letzten Gepäckstücke aus der Maschine holte.

Ein uniformierter Constable tauchte an Logans Seite auf, beladen mit drei großen Wachspapierbechern. Der bittere Geruch von geröstetem Kaffee mischte sich mit dem Gestank nach Abgasen und heißem Metall und verdrängte ihn nach und nach. PC Guthrie blies die Backen auf und starrte in den Regen hinaus. Seine rotblonden Augenbrauen verschwanden fast unter dem Schirm seiner Mütze. »Vielleicht wirft er ja einen Blick auf das Wetter hier und düst gleich wieder ab nach Newcastle?«

Guthrie grinste, was ihm das Aussehen einer vergnügten Kartoffel verlieh.

Steel bedachte ihn mit einem finsteren Blick. »Sie haben sich ja verdammt viel Zeit gelassen.«

»Ein dringendes Bedürfnis.« Der Constable verteilte die Kaffeebecher und kramte dann in der Tasche seiner schwarzen Fleecejacke. »Hab Ihnen auch ’nen Muffin besorgt…«

»Dann nehme ich alles zurück– auch das über Ihre Oma, die es mit Eseln treibt.«

Und dann tranken sie alle drei ihren Kaffee und aßen ihre Muffins.

Eine lange Schlange von Passagieren stapfte die Gangway hinunter und weiter auf dem markierten Weg in Richtung Terminal. Sie zogen die Köpfe ein und drückten ihre Laptops schützend an die Brust, während ihre Krawatten und Anzugjacken im Wind flatterten.

Steel sah auf ihre Uhr. »In drei Tagen werde ich aus meiner Maschine steigen. Nur dass ich auf den Kanaren sein werde, anstatt mir im sonnigen Aberdeen die Nippel abzufrieren.«

Der letzte Passagier nahm einen kleinen roten Koffer vom Wagen und schleppte ihn durch die Pfützen hinter sich her.

Steel stampfte mit den Füßen auf, die Hände um ihren dampfenden Pappbecher geschlungen. »Bist du sicher, dass er in dem Flieger war?«

»Ganz sicher.«

»Und wo zum Henker steckt er dann? Ist ja nicht so, als ob…« Sie brach ab. Ein großer pinkfarbener Kopf war in der offenen Tür der Jetstream erschienen, die spärlichen Reste des Haupthaars in etwa auf die Länge des Dreitagebarts gestutzt, der beide Kinne bedeckte. Ein breites Grinsen ließ zwei Reihen makellos weißer Zähne sehen.

»Detective Inspector Steel, wenn ich mich nicht irre?« Der Newcastle-Akzent war nicht zu überhören, als das dröhnende Organ durch die diesige Morgenluft schallte und den Triebwerken der verspäteten BD0671, die gerade in einiger Entfernung in den trüben Himmel aufstieg, ernsthaft Konkurrenz machte.

Steel zog das Foto aus der Tasche, das die Northumbria Police gemailt hatte, betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen, stutzte und beugte sich dann vor, um Logan zuzuflüstern: »Wenn das Knox ist, dann ist er aber ganz schön auseinandergegangen.« Sie hob eine Hand und winkte.

Der füllige Mann humpelte die Stufen hinunter. Unten blieb er stehen und starrte hinauf zur Kabine. »Na los, kommen Sie schon– das war schließlich Ihre Idee.«

Ein schmales Gesicht lugte heraus: Richard Knox. Spitze Nase, spitzes Kinn, schiefe Zähne und ein Überbiss fügten sich zu einem Gesamtbild, das an eine teilrasierte Ratte erinnerte. Dazu ein Haaransatz, der offenbar auf der Flucht vor diesem Gesicht war. »Kalt hier.«

Der Dicke schloss einen Moment die Augen und bewegte tonlos die Lippen. Und dann sagte er: »Das haben wir doch alles schon diskutiert, Richard, nich’ wahr?«

»War nur ’ne Feststellung.« Knox’ Stimme klang fast eine Oktave höher, doch sein Geordie-Akzent war genauso ausgeprägt. Er hielt sich am Geländer fest und stakste vorsichtig die Stufen hinunter, bis er auf dem nassen Asphalt stand. »Ist doch hoffentlich nicht das ganze Jahr so, oder?«

DI Steel grinste ihn an. »Nein, die meiste Zeit ist es noch viel schlimmer. Warum suchen Sie sich nicht was, wo es wärmer ist? Die Hölle zum Beispiel. Da soll es um diese Jahreszeit sehr angenehm sein.«

Knox erwiderte ihren Blick mit ausdrucksloser Miene. »Komisch. Sie sind eine komische Frau.«

»Und Sie sind ein mieses kleines Vergewaltiger-Arschloch.«

»Hab meine Zeit abgesessen. Meine Schuld gegenüber der Gesellschaft abgetragen, wenn Sie so wollen. Gott hat mir vergeben.«

»So eine gequirlte Scheiße! Leute wie Sie–«

»Okay.« Der Dicke trat hinkend zwischen sie. »Ich glaube, für heute Morgen haben wir genug Freundlichkeiten ausgetauscht.« Er hielt Steel die Hand hin. »Detective Superintendent Danby.«

Sie beäugte seine Hand einen Moment lang und ergriff sie dann. Ihre Finger verschwanden komplett in der Pranke des DSI. »Detective Inspector Steel.«

»Hervorragend.« Danby nickte, dass sein Doppelkinn nur so wabbelte. »Also, könnten wir jetzt langsam mal reingehen, ehe wir hier alle erfrieren?«

Auf dem Weg in die Stadt war Knox sehr schweigsam. Er saß auf dem Rücksitz des Streifenwagens, eingeklemmt zwischen Logan und PC Guthrie, und klammerte sich an eine Asda-Einkaufstüte, während Steel fuhr.

DSI Danby war wesentlich gesprächiger. »Da machen wir uns also auf die Suche, praktisch die halbe Polizeitruppe von Newcastle, aber unseren verschwundenen Opa können wir ums Verrecken nicht finden. Wir haben schon in den Geschäften nachgeschaut, in der Post, in sämtlichen Schuppen und Garagen im Umkreis von drei Meilen um sein Haus. Und dann wird es dunkel, und wir müssen die Suche vorläufig abbrechen. Aufrufe in den Zeitungen und im Radio; sogar in den lokalen Fernsehnachrichten haben wir zwei Minuten Sendezeit gekriegt. Ergebnis: null.«

Knox wand sich unbehaglich auf seinem Platz neben Logan. Aus der Nähe roch er nach Lavendel und Pfefferminz– wie die Handtasche einer alten Dame. »Muss ich mir das wirklich noch mal anhören?«

»Drei Tage später taucht der alte Knabe in der Stadtbibliothek auf, noch im Schlafanzug, und faselt etwas davon, dass er von Außerirdischen entführt worden sei. Natürlich wissen alle, dass er Alzheimer hat, nich’ wahr? Also tätscheln sie ihm den Kopf und lassen ihn nach Hause bringen. Aber er gibt keine Ruhe und erzählt, wie die Außerirdischen ihn in ihr unterirdisches Labor verschleppt hätten und mit ihm Experimente durchgeführt hätten. Analsonden und so was.«

Danby zog die Nase hoch, eine Hand am Haltegriff über der Beifahrertür, und starrte aus dem Fenster. »Am Ende ruft seine Schwester also den Arzt an, und der untersucht den alten Herrn, nich’ wahr? Und wissen Sie was?«

Knox räusperte sich. »Sie machen das mit Absicht, oder? Um mir das Leben schwerzumachen.«

»Ich mache bloß Konversation.«

»Lassen Sie das. Es ist nicht witzig.«

»Wie Sie wollen.« Der DSI starrte wieder aus dem Fenster in die eintönige graue Landschaft hinaus. An einem guten Tag funkelte Aberdeen wie ein Edelstein… aber heute war kein guter Tag. Die Granitbauten duckten sich unter den schweren Wolken, ihre grauen Fassaden dunkel vom Dauerregen. Der nasse Asphalt glitzerte im Scheinwerferlicht, und in dem Schleier aus Sprühregen glommen rote Rücklichter wie entzündete Augen.

DI Steel durchbrach die Stille, indem sie das Radio einschaltete. Annie Lennox– ein waschechtes Aberdeener Mädel, das es zu was gebracht hatte– sang darüber, wie sie auf Glasscherben ging. Dann war der Song zu Ende, und es folgte ein wenig banales Geplapper von einem DJ, der sich offenbar für weit witziger hielt, als er tatsächlich war. Dann noch eine Platte, und dann die Nachrichten.

»Nichts geht mehr in London– Schneestürme haben inzwischen ganz England fest im Griff. Die A96 zwischen Inverurie und Huntly ist nach einem Auffahrunfall mit fünf Fahrzeugen gesperrt. McLennan Homes verspricht zahlreiche neue Jobs in der krisengeplagten Bauindustrie des Nordostens. Und heute wird gegen die geplante Erweiterung von Donald Trumps Golfanlage Klage eingereicht. Hi, mein Name ist Karen MacDonald. Heute hat die Balmedie Dunes Preservation Society bestätigt, dass sie Klage–«

PC Guthrie schnaubte. »Komisch, wie kommt es nur, dass in England immer gleich alles zusammenbricht, wenn mal ein halber Millimeter Schnee liegt? Was für ein Haufen von jämmerlichen Weich–« Er brach ab. DSI Danby hatte sich auf dem Beifahrersitz umgedreht und starrte in den Fond des Streifenwagens.

»Äh…« Die Wangen des Constables liefen rot an. »Ich meine… es…« Er sah Logan an. »Wir…«

Logan schüttelte den Kopf. »Keine Chance– du bist auf dich gestellt, Freundchen.«

Idiot.

»Nun kommen Sie schon, Constable.« Danbys Stimme füllte den engen Fahrgastraum aus. »Sie haben etwas zu sagen, also lassen Sie es uns hören.«

»Ich wollte nur… es… äh…« Hüstel. »Wegen dem Schnee, also der kam ja wohl, na ja, ziemlich unerwartet, und die Straßen werden nicht gestreut…« Er wand sich auf seinem Sitz. »Ich hab ja nichts gegen die Engländer. Viele von meinen Freunden sind Engländer…«

Danby sah ihn an. »Wie lange sind Sie schon bei der Truppe?«

Guthrie leckte sich die Lippen. »Äh… sieben Jahre?«

»Ich gebe Ihnen einen Tipp, Constable. Wenn Sie je zum Sergeant befördert werden wollen, müssen Sie lernen, besser zu lügen. Im Moment machen Sie das nämlich mehr als stümperhaft. Nich’ wahr?«

4

Am Donnerstagmorgen um fünf vor neun ging es im Präsidium der Grampian Police verdächtig lebhaft zu. Inzwischen hätte die Tagschicht des CID schon längst unterwegs sein sollen, um die Stadt vor ihren eigenen Einwohnern zu schützen; stattdessen hingen sie alle auf dem Revier herum und störten irgendwie das Gesamtbild. Logan bahnte sich vorsichtig seinen Weg den Flur entlang, in den Händen eine braune Aktenmappe, die als behelfsmäßiges Tablett für zwei Becher Kaffee und zwei in Alufolie eingeschlagene Päckchen diente.

DI Steels Büro war das letzte vor dem CID-Großraumbüro, aus dem lautes Stimmengewirr drang. Logan blieb vor ihrer Tür stehen und befreite vorsichtig eine Hand, um anklopfen zu können, ohne sich gleich die kochend heiße Flüssigkeit über die Hose zu schütten. Aber dazu kam er gar nicht.

Hinter ihm hustete jemand, und als Logan sich umdrehte, stand Detective Inspector Beattie mit verschränkten Armen vor ihm. »Solltest du dich nicht heute Morgen gleich als Erstes bei mir melden… Sergeant?«

Verdammter Mist. DI Beattie– zwei Zentner geballte Inkompetenz mit Bart.

»Ich musste erst Richard Knox abholen.«

Beattie senkte den Blick einen Moment lang auf den Teppichboden. »Wir wollten doch zusammen diese gefälschten Markenartikel durchgehen, schon vergessen? Handtaschen, MP3-Player, Kameras, Parfum… Wie sollen wir da vorgehen?«

»Hast du schon mit der Gewerbeaufsicht gesprochen?«

»Nein, ich dachte, du–«

»Ich hab dir doch gesagt, dass du mit denen reden sollst. Mein Gott, George, du schimpfst dich doch neuerdings DI, schon vergessen? Ich kann dir doch nicht alles ab–«

Die Bürotür flog auf, und Detective Inspector Steel blieb abrupt auf der Schwelle stehen, den Mund aufgerissen, als ob sie gerade losbrüllen wollte. Sie warf einen Blick auf Beattie und wandte sich dann zu Logan um. »Wo zum Teufel hast du gesteckt?«

»Ich musste–«

»Los, rein mit dir.« Sie zog ihre Hose stramm, trat zurück, wartete, bis Logan hineingegangen war, und knallte dann Beattie die Tür vor der Nase zu.

Steels neues Büro sah vollkommen anders aus als das alte: Die knubbeligen Deckenfliesen waren noch weiß und nicht mit einem klebrigen gelben Film aus Zigarettenteer überzogen; die Wände waren frei von diesen schmierigen Blu-Tack-Aknepickeln; und die Originalfarbe des Teppichbodens war noch zu erkennen. Logan gab der Einrichtung maximal sechs Wochen.

Steel ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl plumpsen, und Logan gab ihr einen Becher Kaffee und eines der Alu-Päckchen. Sie wickelte ihr Bacon-Sandwich aus, schlug die Zähne hinein und redete, während sie kaute. »Was steht an?«

Er deutete auf die Aktenmappe, die jetzt mit olympischen Kaffeeringen verziert war. »Nicht allzu viel. Soweit wir wissen, ist Knox nicht mehr in Aberdeen gewesen, seit er elf Jahre alt war.« Logan schälte sein Spiegelei-Sandwich aus der Alufolie und biss hinein. Ein Schwall Eigelb ergoss sich in seine Hand. »Mist…« Er nahm das tropfende Sandwich in die andere Hand und leckte die klebrige gelbe Pfütze auf. »Ich hab mir sämtliche sexuellen Übergriffe auf Senioren aus den letzten drei Jahren vor seinem Wegzug raussuchen lassen: zwei Frauen, beide Ende siebzig. Keine Männer.«

Steel nickte. »Gut. Dann kriegen wir auch keinen Ärger mit irgendwelchen wütenden Angehörigen, die hinter uns herschnüffeln.« Noch ein Bissen, gefolgt von einem Schluck Kaffee. »Nächster Fall: Erica Piotrowski?«

Logan kramte in der Mappe und fischte einen Stoß Formulare heraus, die mit verblichenen gelben Haftnotizen übersät waren. »Die Verhandlung ist auf Dienstag in drei Wochen angesetzt. Sie bleibt nach wie vor bei ihrer Version, aber die Staatsanwältin meint, dass sie auf schwere Körperverletzung plädieren wird, wenn wir ihr die Option anbieten.«

»Nix da. Sie ist mit einem Tranchiermesser auf ihre Nachbarin losgegangen– unter versuchtem Mord kommt die mir nicht davon.« Steel schürzte die Lippen und schwenkte eine Weile ihren Bürostuhl hin und her. »Sonst noch was?«

Logan klatschte die Papiere eins nach dem anderen auf ihren Schreibtisch. »Das Labor hat im Abstrich von Laura McEwan Faserspuren gefunden; angeblich haben sie genug DNS, um ihren Vergewaltiger zu identifizieren, falls wir ihnen einen Verdächtigen liefern können. Und bei dem Postraub in Oldmeldrum liegt das Ergebnis der Fingerabdruckanalyse vor. Sieht aus, als wäre unser Freund Mr. Maclean wieder in seine alten Gewohnheiten verfallen.«

»Lass ihn aufs Revier bringen.« Steel stopfte sich die letzten fünf Zentimeter Brot und Frühstücksspeck in den Mund, knüllte die Alufolie zusammen und warf sie in hohem Bogen in den Papierkorb. »Jeder Schuss ein Treffer!«, murmelte sie.

»Ist nicht nötig– die Kollegen von der Verkehrspolizei haben ihn gestern Abend wegen Trunkenheit am Steuer einkassiert. Hatte wohl gerade seinen unverhofften Geldsegen gefeiert.« Logan legte das letzte Blatt auf Steels Schreibtisch.

»Und zu guter Letzt– es ist schon wieder ein Batzen von diesen gefälschten Zwanzigern aufgetaucht. Gestern hat diese Privatbank in der Albyn Terrace angerufen und gemeldet, dass jemand versucht hätte, Blüten im Wert von viereinhalbtausend Pfund einzuzahlen.«

Sie spitzte wieder die Lippen und machte ein paar Mal »Hmmm«…»Und was hat DI Bartgesicht gewollt?«

»Mir etwas aufs Auge drücken, was verdammt noch mal sein Job ist.«

»Also, meine Herrschaften, ich bitte um Ruhe.« Detective Chief Inspector Finnie sah aus wie etwas, das man normalerweise unter einem feuchten Stein findet: dicke, wulstige Lippen, wallende Hugh-Grant-Frisur, stechende Knopfaugen. Er stand an der Stirnseite des neuen CID-Büros, mit dem Rücken zu den Weißwandtafeln, und wartete darauf, dass die Gespräche verebbten.

Logan rollte seinen Stuhl aus dem abgeteilten Bereich heraus, der für die Detective Sergeants reserviert war, und parkte sich neben Steel, die hektisch auf ihrem Handy herumtippte.

Das Großraumbüro roch nach frischer Farbe, frischem Kaffee und nicht ganz so frischem Curry-Atem. Dabei konnte man noch nicht einmal ein Fenster aufmachen– es gab nämlich gar keine. Trotzdem war es kein Vergleich mit dem engen Verhau im Stockwerk darüber, in dem sie bisher gehaust hatten. Der mittlere Teil des Büros war durch niedrige, mit lila Stoff bespannte Stellwände in sechs Arbeitsnischen aufgeteilt. Hier saßen die Constables Rücken an Rücken an ihren Buchenfurnier-Schreibtischen.

Es war neun Uhr fünfzehn, und die gesamte Tagschicht der Kriminalabteilung war versammelt: achtzehn Detective Constables, vier Detective Sergeants, drei Detective Inspectors– und alle rutschten sie ungeduldig auf ihren Stühlen herum, während Finnie die übliche morgendliche Einsatzbesprechung abhielt. Alle warteten sie darauf, dass er endlich erklärte, warum man ihnen erlaubt hatte, die letzten zweieinviertel Stunden im Büro herumzuhängen, Kaffee zu trinken und über die Fußballergebnisse zu jammern.

»Nächster Punkt.« Finnie konsultierte seine Notizen. »Wie Sie sicherlich schon unserer glorreichen Lokalpresse entnommen haben, ist ein ganz spezieller Gast in unserer Stadt eingetroffen, der uns auch für die absehbare Zukunft erhalten bleiben wird.« Er hielt ein Exemplar des Aberdeen Examiner von diesem Morgen hoch. Die Schlagzeile »SEXMONSTERWILLSICHIMNORDOSTENNIEDERLASSEN« prangte über einem verschwommenen Foto, das einen Mann im Trainingsanzug zeigte. Richard Knox.

»Aye«, sagte eine Stimme aus der letzten Reihe, »als ob wir mit unseren eigenen Perversen nicht schon genug am Hals hätten.«

»Verzeihen Sie«, sagte Finnie und bedachte die versammelte Mannschaft mit einem giftigen Lächeln, »habe ich etwa den Eindruck erweckt, dass bei diesem Briefing Wortbeiträge aus dem Publikum vorgesehen sind? Hm? Ich kann mich nämlich nicht erinnern, etwas Derartiges erwähnt zu haben.«

Niemand sagte etwas.

»Kinders, lasst uns doch wenigstens versuchen, uns wie Profis zu benehmen, ja? Ausnahmsweise.«

Er drehte sich um und deutete auf die massige Gestalt, die ihm gegenübersaß. »Das ist Detective Superintendent Danby von der Northumbria Police, der Mann, der Knox damals hinter Gitter gebracht hat. DSI Danby hat sich freundlicherweise bereiterklärt, uns einen Besuch abzustatten, um uns über die Hintergründe zu informieren und bei der Zusammenarbeit mit SACRO behilflich zu sein. Superintendent?«

Danby stemmte sich von seinem Stuhl hoch, drehte sich um und begrüßte die Versammlung mit einem Nicken. »Tja, was Richard Knox betrifft…« Die dröhnende Bassstimme füllte das CID-Großraumbüro ebenso mühelos aus wie zuvor den Streifenwagen. Er griff nach einer langen schwarzen Fernbedienung und richtete sie auf den riesigen Plasmafernseher, der an der hinteren Wand zwischen der Kochnische und den Spinden befestigt war.

Alle schwenkten auf ihren Stühlen herum.

Knox’ Gesicht starrte sie vom Bildschirm herab an, mit einem blauen Auge und einer geschwollenen Lippe. Es war ein altes Foto, aus einer Zeit, als Knox noch mehr Haare gehabt hatte; trotzdem hatte er auch damals schon etwas von einem unterernährten Nager an sich gehabt.

»Richard Albert Knox wurde der Freiheitsberaubung und der Vergewaltigung für schuldig befunden, begangen an einem achtundsechzigjährigen Mann mit Demenzstörung.« Danby drückte wieder auf den Knopf der Fernbedienung, worauf der Oberkörper eines alten Mannes den Bildschirm ausfüllte, übersät mit Blutergüssen, verschorften Wunden und Bissspuren. »William Brucklay wurde drei Tage lang festgehalten und wiederholt auf brutale Weise sexuell missbraucht. Im Kellergeschoss angekettet, geschlagen, vergewaltigt und gezwungen, Hundefutter zu essen. Ein achtundsechzigjähriger Mann… nich’ wahr?«

Danby machte eine Kunstpause. »In der Verhandlung behauptete Knox, das Opfer sei sein williger Sexualpartner gewesen, der es gerne ein bisschen grob mochte. Der Richter gab ihm zehn Jahre.«

Wieder ein Klick, und wieder sahen sie Knox’ Gesicht. Diesmal stand er grinsend vor irgendeinem gesichtslosen Betonklotz. »Nach nicht einmal sieben Jahren war er wieder draußen, auf Bewährung entlassen, und er steht seitdem rund um die Uhr unter Aufsicht. Wir wissen, dass Knox für mindestens sechs weitere Vergewaltigungen älterer Männer verantwortlich war, bevor wir ihn fassen konnten, doch wir konnten ihm nichts nachweisen.«

Danby drückte einen anderen Knopf, und der Bildschirm wurde schwarz. »Fallen Sie bloß nicht auf seine mickrige Statur und sein Gott-ist-mein-Copilot-Geschwafel herein– Richard Knox ist ein brutaler Triebtäter, der sich am Leid anderer Menschen aufgeilt.«

Es war einen Moment still, und dann meldete sich wieder dieselbe Stimme aus dem hinteren Teil des Raums: »Und warum kriegen wir den Typen jetzt aufs Auge gedrückt?«

»Er hat seine Strafe abgesessen.« Danby verschränkte die massigen Arme. »Wir haben kein Recht, seine Bewegungsfreiheit weiterhin einzuschränken. Wenn es nach mir ginge, müsste er den Rest seiner Tage in einem finsteren Loch zubringen, nich’ wahr? Aber seit drei Monaten darf er sich nun einmal vollkommen frei bewegen.«

Ein anderer uniformierter Constable hob die Hand. »Ja, aber wieso ausgerechnet Aberdeen?«

»Weil Blut dicker ist als Wasser.«

5

»Augenblick, vielleicht hilft das ja…« PC Guthrie riss die Vorhänge auf, und eine Staubwolke wallte auf. Fahlgraues Morgenlicht sickerte durch das verschmierte Erkerfenster herein. Es half nicht– die Wohnung sah eher noch schlimmer aus als vorher.

Vor langer Zeit waren die Samtvorhänge wohl einmal sattrot gewesen, nun aber hatten sie die Farbe von getrocknetem Blut. Die Tapete war eine Ansammlung verblasster Rosen und Ranken, und in den Zimmerecken breiteten sich die charakteristischen schwarzen Spinnweben von Schimmel aus. Stehlampen mit Quasten an den Schirmen, ein durchgesessenes Sofa, ein Sammelsurium von Tischen, der Kaminsims vollgestellt mit verstaubten Porzellanfigürchen.

Und dazu der säuerliche Geruch nach alter Katzenpisse.

Steel rümpfte die Nase. »Nicht gerade Schöner Wohnen live, wie?«

Logan musste ihr beipflichten. Die ganze Einrichtung sah aus wie anno 1975 auf einem Wohltätigkeitsbasar zusammengekauft. »Könnte auch mal wieder einen Frühjahrsputz vertragen.«

Richard Knox stand mitten auf dem abgetretenen Teppich, eine Hand auf der Rückenlehne eines wackligen Sessels, und lächelte. »Ich finde es perfekt…«

Es war ein heruntergekommenes Einfamilienhaus in Cornhill, mit einem verwilderten Vorgarten, durchhängenden Regenrinnen, vermoostem Dach und abblätternder Farbe.

An der Wand über dem Kamin hingen zwei Schwarzweißfotos. Das eine zeigte einen mürrisch dreinschauenden Mann in einem altmodischen Anzug, das andere eine strenge Frau mit Fünfzigerjahre-Frisur und finsterer Miene.

»Meinen richtigen Großvater hab ich nie kennengelernt.« Knox starrte zu dem Paar hinauf. »Der Herr hat ihn zu sich genommen, als meine Mutter noch ein kleines Mädchen war. Aber Oma Murray, die konnte einem eine Heidenangst einjagen. Hat uns immer in den Ohren gelegen mit Jesus hier und Bibel da.« Knox lächelte. »Hätte ich mal besser auf sie gehört, als es noch nicht zu spät war, irgendwie. Ich wette, es wäre mir ganz anders ergangen, wenn ich Gott gefunden hätte, ehe der Teufel mich gefunden hat.«

Was für ein gruseliger Typ. Seit sie in dem versifften alten Haus angekommen waren, strahlte er wie ein Honigkuchenpferd.

Sie folgten ihm von einem Zimmer ins andere, zogen überall die Vorhänge auf und wirbelten Staub und Schimmelsporen auf, bis sie zuletzt in einem Schlafzimmer mit Doppelbett im hinteren Teil des Hauses standen, mit Blick auf einen langgezogenen Garten, der mit Büschen und Unkraut vollkommen zugewuchert war. Das große Bett hing in der Mitte durch, die gesteppte Tagesdecke war fleckig und von Katzenkrallen zerrissen. Knox setzte sich auf den Rand, seine alte, zerfledderte Einkaufstüte an die Brust gedrückt.

Eine Frau steckte den Kopf zur Tür herein: John-Lennon-Brille, Pausbäckchen, kurze rote Locken. Ein Hamster im Holzfällerhemd. Sie hatte sich als PC Schlagmichtot vom Dezernat Straftäter-Übergangsbegleitung vorgestellt. »Ich finde, von der Lage her ist es okay, aber ich kann mich trotzdem nicht mit der Vorstellung anfreunden, dass Richard hier wohnen soll. Könnte ein bisschen riskant sein; schließlich gehört das Haus einer Verwandten.«

DSI Danby schüttelte den Kopf. »Darüber machen Sie sich mal keine Gedanken. Euphemia Murray hat nach dem Tod von Knox’ Großvater wieder geheiratet. Selbst wenn jemand den Mädchennamen seiner Mutter herausfinden sollte, wird es nicht der Name der alten Dame sein.«

Knox lächelte. »Hat zwei Ehemänner überlebt, nicht wahr? Schon bewundernswert.«

Der DSI zog ein Blatt Papier aus der Tasche. »Bevor wir Sie in die fähigen Hände von Constable Irvine und ihrem Team geben, müssen wir noch die einzelnen Punkte Ihrer Verbotsverfügung durchgehen.«

Knox stöhnte. Er ließ sich auf die Steppdecke fallen, und wieder stieg eine Staubwolke von dem alten Stoff auf. »Muss das sein? Ich meine–«

»Ja, das muss sein.« Danby drückte Logan die Papiere in die Hand. »Wenn Sie so freundlich wären, Sergeant?«

Logan räusperte sich. »Verbotsverfügung für Richard Albert Knox, wohnhaft Cairnview Terrace 35, Aberdeen. Beantragt von Chief Constable Brian Anderson und bewilligt von Sheriff McNab. Diese Verfügung ist vom heutigen Tag an fünf Jahre lang gültig und legt dar–«

»Wie wär’s, wenn wir das Behördenchinesisch weglassen und gleich zu den Bedingungen kommen?«, unterbrach ihn Danby.

»Oh, sicher… äh… Es ist Ihnen untersagt, sich Altenheimen oder Freizeiteinrichtungen, in denen ältere Männer zusammenkommen könnten, auf weniger als zweihundert Meter zu nähern. Es ist Ihnen untersagt, mit anderen Sexualstraftätern Kontakt aufzunehmen.«

Knox seufzte theatralisch. »Ob Sie es glauben oder nicht, die Macht Gottes kann einen Menschen verändern. Kein Sünder ist so hoffnungslos, dass er nicht erlöst werden könnte.«

DI Steel lachte, während sie mit den Daumen das Tastenfeld ihres Handys bearbeitete. »Aye, wer’s glaubt…«

»Es ist Ihnen untersagt, außerhalb Ihrer Wohnung Alkohol zu konsumieren.«

»Pfffffff… Bin erstaunt, dass der Richter das abgesegnet hat.«

»Es ist Ihnen untersagt, sich anderen Personen auf eine Weise zu nähern–«

Stirnrunzeln. »Was?«

Danbys Organ tönte aus der Ecke. »Das heißt, wenn Sie mit jemandem allein sind und derjenige sich von Ihnen belästigt fühlt, dann können wir Sie für fünf Jahre einsperren.«

»Das ist nicht fair! Ich habe doch keinen Einfluss darauf, ob jemand sich belästigt fühlt, oder?« Knox gestikulierte in Danbys Richtung. »Und überhaupt, wie ist das denn, wenn ich beichten will? Da muss ich doch mit dem Priester allein sein, oder etwa nicht?«

Danby zog ein finsteres Gesicht. »Sie sind protestantisch, bei Ihnen gibt’s gar keine Beichte.«

»Na ja… und was ist mit den Leuten, die auf mich aufpassen? Meinen Wärtern?«

PC Hamster nestelte an ihrer Brille herum. »Darüber müssen Sie sich keine Gedanken machen, Richard. Es werden immer zwei sein. Wir haben einen Spezialisten von SACRO, der das Ganze überwacht. Sie werden keine Probleme bekommen.«

»Es ist Ihnen untersagt, ein Fahrzeug zu lenken, ohne dass ein Mitglied Ihres Beaufsichtigungsteams zugegen ist.«

Knox zuckte mit den Achseln und ließ sich nach hinten fallen, bis er auf dem Rücken lag und zur Decke hinaufstarrte, während seine Beine über die Bettkante baumelten. Die Matratze quietschte.

»Ich weiß noch, als ich klein war, hab ich sie immer hier drinnen gehört. Oma Murray und Opa Joe. Sie müssen damals schon sechzig oder siebzig gewesen sein, aber trotzdem haben sie es noch jeden Freitagabend gemacht, da konnte man die Uhr danach stellen. Das Quietschen der Bettfedern hat man bis in mein Zimmer gehört…«

Er schwang die Beine hin und her, bis die Matratze im Takt seiner Bewegungen ächzte.

»Haben es hier drin getrieben, die zwei, während ich nebenan im Bett lag. Ich glaube kaum, dass es ihr allzu viel Spaß gemacht hat, aber es war nun mal ihre Pflicht, nicht wahr? Musste die Triebe des alten Herrn befriedigen.«

»Okay.« DI Steel stieß sich von der Wand ab und ließ das Handy in ihre Tasche gleiten. »Ich hab für heute Morgen genug von dieser verdammten Gruselshow. Sind wir hier fertig?«

Logan sah nach. »Noch zwei Punkte: Es ist Ihnen untersagt, Homosexuellenlokale, -clubs oder -vereine jeglicher Art zu besuchen. Und es ist Ihnen untersagt, die Arbeit von Aufsichts- und Betreuungsorganisationen zu behindern. Das ist alles. Haben Sie diese Auflagen verstanden?«

Der dürre kleine Mann legte sich den Unterarm über die Augen. »Glaub schon.«

Logan gab Danby die Papiere zurück. »Soll ich Sie ins Präsidium zurückfahren?«

»Was?« Knox setzte sich auf. »Was? Sie wollen mich doch nicht verlassen, Graeme? Im Flugzeug waren Sie die ganze Zeit so still. Ich hatte gehofft, Sie würden noch mit mir zu Abend essen– ich meine, wir könnten uns doch ein nettes Curry kommen lassen und ein bisschen Papadam? Ein wenig plaudern und die alten Zeiten wieder aufleben lassen. Sie und ich und Billy Adams…«

Danby erstarrte. Dann drehte er sich um und starrte zum Schlafzimmerfenster hinaus. »Ja, es wäre nett, wenn Sie mich mitnehmen könnten.«

»Also…« Steel ließ das Fenster einen Spaltbreit herunter und schnippte ihren zerdrückten Kaugummi auf ein vorbeifahrendes Taxi. »Wollen Sie mir jetzt vielleicht mal erklären, wieso ein Detective Superintendent quer durchs halbe Land gondelt, um für einen dreckigen kleinen Vergewaltiger wie Richard Knox den Babysitter zu spielen?«

Danby hob die massigen Schultern, während er auf die vorbeiziehende Stadtlandschaft starrte. »Vielleicht hatte ich ja Lust auf einen kleinen Ausflug nach Aberdeen.«

»Na klar, und mein Hintern ist aus Toblerone.«

Logan, der hinten neben dem DSI saß, wollte sich das lieber nicht bildlich vorstellen.

PC Guthrie saß am Steuer. Er fädelte sich in den Verkehr ein, der sich vor der Einmündung in die Westburn Road staute, und brachte den Wagen mit einem Ruck zum Stehen, nur wenige Zentimeter vor dem Heck eines Gelenkbusses.

Die Straße führte an einem Park entlang. Kahle Bäume mit krakeligen schwarzen Ästen, dazwischen ein Teich mit ein paar gelangweilt aussehenden Enten. Ansonsten war weit und breit niemand zu sehen, nur eine Frau mit einem kleinen Kind, die einen kläffenden Terrier über die weite, bräunlich grüne Fläche zerrte.

Danby rümpfte die Nase. »Kaum zu glauben, dass Sie hier oben gar keinen Schnee haben. In Newcastle waren wir heute Morgen bis an die Ohren eingeschneit.«

»Okay, gehen wir mal anders an die Sache ran, ja?« Steel kramte ein Päckchen Nikotinkaugummi aus der Tasche und drückte ein weißes Kügelchen aus der Blisterfolie. Sie kaute mit offenem Mund. »Wer ist Billy Adams?«

»Das ist nicht wichtig.«

»Klang aber wichtig.«

Danbys Züge wurden hart. »Hören Sie auf damit, ja?«

»Ist das ein Befehl, Sir?«

»Betrachten Sie es als Bitte.« Er wandte sich zu Logan um. »Diese Sakral-Leute– sind die auch nicht überfordert mit der Bewachung von Knox?«

»SACRO. Das steht für Safeguarding Communities– Reducing Offending. Eine gemeinnützige Organisation, der größte Anbieter von Integrationsprojekten für entlassene Straftäter in Schottland. Haben im ganzen Land Teams von ehrenamtlichen Mitarbeitern, die Leute wie Knox beaufsichtigen. Na ja, vielleicht nicht genau wie Knox, aber ich denke schon, dass sie dem gewachsen sind.«

Steel drehte ihr Fenster wieder hoch. »Irgendwann finde ich es sowieso raus, also können Sie auch gleich die Katze aus dem Sack lassen.«

Schweigen.

»Sie müssen nämlich wissen, dass ich verdammt hartnäckig sein kann.«

Immer noch Schweigen.

»Im Ernst, ich kann saumäßig nerven, wenn ich es darauf an–«

»Es reicht, Inspector. Machen Sie Ihre Arbeit und lassen Sie mich meine machen, nich’ wahr?«

Und diesmal dauerte das Schweigen an, bis sie das Präsidium erreichten.

»Ich stehe auf knifflige Rätsel.« DI Steel saß an ihrem Schreibtisch; sie hatte eine Hand in ihrer Bluse versenkt und war damit beschäftigt, den Inhalt ihres BHs umzuschichten. »Gott hat mich nicht ohne Grund mit einer Nase ausgestattet– nämlich, damit ich sie in die Angelegenheiten anderer Leute stecken kann. Was glaubst du, wer dieser ›Billy Adams‹ ist?«

Logan zuckte mit den Achseln und parkte die Plastiktüte von Marks & Spencer auf Steels Schreibtisch. »Von den Großen waren keine mehr da.« Er schob die Einbruchsanzeigen und die Prozessunterlagen beiseite, um Platz zu schaffen für zwei kleine Schachteln Sushi, eine Tüte Käse-Zwiebel-Chips und eine Flasche Cola Light.

Steel riss die Chipstüte auf, stopfte sich eine Handvoll in den Mund und schob ein California Roll hinterher. »Vielleicht ist er ja Danbys Lebensgefährte?«

Logan griff noch einmal in die Tüte: Krabbensalat und eine Flasche Sprudel.

Steel sah ihn stirnrunzelnd an. »Salat? Mein Gott, jetzt kennen wir uns schon so lange– hätte nie gedacht, dass du noch mal deine schwule Seite entdecken würdest. Na ja«– ein Grinsen breitete sich auf ihren Zügen aus– »wenn das bedeutetet, dass deine leckere Spusi-Tussi jetzt für ein kleines Auswärtsspielchen zu haben–«

»Ich mache eine Diät, okay?«

»Wurde aber auch Zeit. Hast ganz schön Speckröllchen angesetzt in letzter Zeit.« In Steels Tasche tutete es. Sie kramte ihr Handy hervor, starrte das Display an und runzelte die Stirn. »Verdammte Kacke… hab gedacht, es wär mein V-Mann. Versuch’ schon den ganzen Tag, ihn zu erreichen.« Sie spülte ein Lachs-Nigiri mit einem Schluck Cola hinunter. »Los, iss deinen Schwuchtelsalat auf und mach dich an die Recherche: Ich will wissen, wer dieser ›Billy Adams‹ ist, und ich will wissen, was seine Verbindung zu DSI Röhrendes Nilpferd ist– alles, was du finden kannst.«

»Beattie will, dass ich–«

»Ist mir egal.« Sie steckte sich die Finger in die Ohren. »La-la-la-la-la. Siehst du nicht, wie egal mir das ist?«

»Dir jammert er ja auch nicht ständig die Ohren voll.«

»Was ist denn an ›La-la-la-la-la‹ so schwer zu verstehen?« Sie schob sich ein Fitzelchen Wasabi in den Mund und schnitt eine Weile Grimassen. »Und dann müssen wir uns mal mit diesen gefälschten Zwanzigern befassen.«

»Ich meine, wieso haben sie den Kerl eigentlich befördert? Da würde mein Hintern ja einen besseren DI abgeben.«

»Setz dich mit dieser Bank in Verbindung. Sag ihnen, ich will die Aufnahmen von den Überwachungsvideos. Vielleicht können wir ja den Typen identifizieren, der das Geld eingezahlt hat.«

»Liest du eigentlich nie die Sachen, die ich dir gebe?« Logan begann den Papierstapel in Steels Eingangskorb zu durchwühlen und fischte die Ausdrucke heraus, die er ihr vor der morgendlichen Einsatzbesprechung auf den Schreibtisch geklatscht hatte. »Hier.« Er wollte sie ihr geben, doch Steel hatte ein Maki mit Gurke in der einen Hand und einen Haufen Käse-Zwiebel-Chips in der anderen.

»Siehst du nicht, das ich esse? Lies vor.«

»Wir haben ihn schon identifiziert– der Typ wollte das Falschgeld auf sein eigenes Konto einzahlen. Kevin Middleton. Seine einzige Vorstrafe hat er vor zwölf Jahren kassiert, wegen Trunkenheit am Steuer. Hat seinen Jaguar nach einer Wohltätigkeitsauktion in Cults um einen Laternenpfahl gewickelt.«

Steel grinste kauend. »Perfekt. Wir nehmen den Dussel fest, und dann können wir uns alle wieder wichtigeren Dingen zuwenden. Hast du eigentlich noch mal drüber nachgedacht, ob du nicht doch Pate werden willst?«

Logan hätte sich fast an seinem Salat verschluckt. »Ich… äh…« Erst mal einen Schluck Wasser. »Ich weiß nicht, ob… Ähm.« Pause. »Sag mal, wieso kümmert sich die Übergangsbegleitung eigentlich nicht um Knox? Wieso ist das überhaupt unser Problem?«

Steel kniff die Augen zusammen, was ihre Falten besonders gut zur Geltung brachte. »Unser Herr und Meister DCI Finnie findet, dass den Kollegen von der Übergangsbegleitung ein ranghöherer Beamter zur Seite gestellt werden muss, der Knox’ Fall persönlich überwacht. Offenbar ist der Fall zu bedeutend. Offenbar habe ich Erfahrung mit Sexualstraftätern. Offenbar bin ich am besten geeignet, unsere eifrigen Heinzelmännchen bei dieser schwierigen und heiklen Operation zu unterstützen.«

Sie knüllte die leere Chipstüte zusammen und warf sie nach dem Papierkorb. Daneben. »Was schließen wir daraus? Froschgesicht Finnie weiß ganz genau, dass Knox ein widerwärtiger kleiner Mistkerl ist, und wenn irgendwas schiefgeht, muss ich es wieder ausbaden.«

»Vielleicht wird es ja nicht ganz so schlimm.«

»Klar wird es das. Knox muss bis an sein Lebensende überwacht werden. Das heißt, ich werde ihn bis zu meiner Pensionierung nicht mehr los. Da haben die uns ein schönes Ei gelegt.« Steel starrte finster vor sich hin. »Aber keine Sorge– ich werde mich rächen. Und jetzt mach dich erst mal auf die Socken und schau, was du über diesen Billy Adams rausfinden kannst, um den Danby so ein Geheimnis macht.«

6

»O Mann, ey, nicht schon wieder!« Detective Sergeant Mark MacDonald rümpfte die Nase und hielt sich die Hand vor das Gesicht mit dem kleinen Ziegenbärtchen. »Uargh…« Er schnappte sich eine Aktenmappe von seinem Schreibtisch und wedelte so heftig damit, dass die ganzen Papiere über Logans Schreibtisch flatterten.

»Was hast du denn…« Logan runzelte die Stirn, und dann kam der Gestank auch bei ihm an. »Mensch, Bob, du Sau!«

DS Bob Marshall grinste nur. Falls Gott wirklich existierte, musste er ziemlich geschlampt haben, als er Bob schuf. Die großen Ohren waren im rechten Winkel an einem Quadratschädel befestigt, der hinten eine kahle Stelle und vorne eine einzige durchgehende, dichte Augenbraue aufwies. Dazu Arme wie Bindfäden mit Haaren dran. Ein Affe in einem maschinenwaschbaren Anzug.

»Du liebe Zeit!« Mark blinzelte und riss dann die Tür auf. »Was hast du denn gegessen?«

Bob tätschelte sich den Wanst. »Geht doch nichts über überbackenen Blumenkohl mit Pommes.«

»O nein, das geht ja durch und durch…« Logan stand auf und zog sich in die Ecke des kleinen Kabuffs im CID-Großraumbüro zurück, in dem die Detective Sergeants eingepfercht waren. Sechs Schreibtische– vier für die Tagschicht, zwei für die Nachtschicht–, alle bis auf einen übersät mit Papierbergen und Aktenordnern, die um Monitor, Tastatur und einen überquellenden Eingangskorb arrangiert waren. Von den Stellwänden war kaum etwas zu sehen; alles war zugepflastert und zugestellt mit Flussdiagrammen, einer Pinnwand mit Verbrecherfotos und Memos, einer Weißwandtafel mit dem Namen jedes einzelnen DS und einer Liste ihrer offenen Fälle darunter, und einer zweiten Tafel mit einer Skizze des Hauses irgendeines Drogendealers, gezeichnet mit blauem Marker. Und über Bobs Schreibtisch hing ein gelb-schwarzes Dreieck– das Symbol für biologische Gefahrstoffe.

Mark schwenkte hektisch die Tür hin und her– auf und zu, auf und zu… »Vergesst den Irak, diese verdammten UN-Truppen sollten lieber mal in deinen Arsch einmarschieren. Wenn das keine Massenvernichtungswaffe ist…«

»Was kann ich dafür, dass ich talentiert bin?«

Allmählich verflog der Gestank, und alle wandten sich wieder ihrer Arbeit zu.

Logan schrieb den Bericht über die zwei Fälle von Exhibitionismus auf dem Trinity-Friedhof fertig– es gehörte schon eine gehörige Portion an Mut dazu, in Aberdeen im Januar seinen Pimmel auszupacken. Dann rief er seinen Internet-Browser auf und machte sich auf die Suche nach Billy Adams. 12.900.000 Treffer.

Er verfeinerte die Kriterien und beschränkte die Suche auf Newcastle. 358 Treffer. Anscheinend hatte es in den 1950er Jahren einen Federgewichtsboxer namens Billy Adams gegeben, dann in den Achtzigern einen Gitarristen von den Dexys Midnight Runners, dazu ein paar Geschäftsmänner, einige Fußballfans… Nun gab Logan zusätzlich Knox’ Namen in die Suchmaske ein.

Der erste Treffer in der Liste war ein Artikel aus dem Newcastle Evening Chronicle:»VERMISSTERPOLIZISTTOTAUFGEFUNDEN.«

Es gab noch Links zu einigen anderen Zeitungen: Newcastle Journal, News Post Leader, Sunday Sun, Morpeth Herald und Whitley Bay News Guardian. Sogar einige der landesweit erscheinenden Boulevardblätter hatten die Story aufgegriffen. Logan klickte auf den Chronicle-Link.

Unter der Schlagzeile war ein Foto, auf dem ein blaues Zelt zu sehen war, wie es die Spurensicherung zum Schutz von Tatorten aufschlug. Es war von einigen verstreuten Büschen und ein paar Bäumen umgeben, im Hintergrund war der Fuß eines Hochspannungsmasts zu erkennen, davor ein Kriminaltechniker in Schutzkleidung, der auf die Kamera zuging, in der Hand eine schwarze Plastikbox. Weiter unten gab es ein zweites Foto, das einen lächelnden Mann mit kurzem blondem Haar, schiefer Nase und blauen Augen zeigte. Laut Bildunterschrift handelte es sich um »DETECTIVEINSPECTORBILLYADAMS (42)«.

Dem Artikel zufolge war seine Leiche im Ford Mondeo der Familie gefunden worden, der auf einer Industriebrache im Norden von Newcastle abgestellt worden war. Was die Todesursache betraf, geizte der Bericht mit Details, was nicht weiter überraschend war. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Suchaktion der Polizei, die in Gang gesetzt worden war, nachdem Adams am Mittwoch zuvor sein Haus verlassen hatte und nicht mehr zurückgekehrt war. Seine Witwe wurde zitiert, ebenso wie der Detective Inspector, der die Suchaktion geleitet hatte, und der junge Mann, der den Wagen gefunden hatte. Dazu gab es eine knappe Zusammenfassung von DI Adams’ Laufbahn. Erfolgreiche Drogenrazzien, drei Mordermittlungen, eine aufsehenerregende Entführung, die in einem Desaster geendet hatte…

Logan kramte das Telefon unter einem Berg halb fertiger Berichte hervor und rief das Präsidium der Northumbria Police an.

»Und?« Detective Inspector Bartgesicht Beatties Büro war vollgestopft mit Archivboxen– die Dinger stapelten sich auf dem Teppichboden, in den Regalen, auf dem Fensterbrett und sogar auf dem Besucherstuhl, weshalb Logan stehen musste. Die einzige Fläche, die nicht mit Boxen zugestellt war, war Beatties Schreibtisch. Der war dafür mit Kekskrümeln und Papieren übersät.

Logan reichte ihm den Bericht über den Friedhofs-Exhibitionisten. »Wir wissen sicher, dass er es zwei Mal getan hat, wahrscheinlich sogar noch öfter. Jedes Mal junge Mütter mit Kinderwagen.«

Beattie rutschte auf seinem Stuhl vor und zog die Augenbrauen hoch. »Vielleicht entblößt er sich ja gar nicht vor den Müttern– schon mal darüber nachgedacht? Vielleicht hat er es ja auf die Kinder abgesehen!« Der DI lächelte, offenbar hochzufrieden mit seiner scharfsinnigen Schlussfolgerung. Wie ein pummeliger Sherlock Holmes, der als Kind auf den Kopf gefallen war.

»Mach dich doch nicht lächerlich, George. Er sucht sich Opfer aus, von denen er weiß, dass sie ihm nicht nachlaufen werden. Oder würdest du dein Baby auf einem Friedhof stehenlassen, um einen Perversen zu verfolgen, der dir gerade seinen Schwanz gezeigt hat?«

»Oh.« Beattie rubbelte an einem Kaffeefleck auf seinem neuen Schreibtisch herum. »Was ist mit den gefälschten Artikeln?«

»Hast du mit der Gewerbeaufsicht geredet, wie ich’s dir gesagt habe?«

»Ich… äh… ich hatte gehofft, wir könnten zusammen hingehen. Du weißt schon, Geschlossenheit demonstrieren und so?«

»Ruf einfach an, okay? Wir sollten uns eigentlich gar nicht damit befassen; Markenimitate sind ein Fall für die Kollegen von der Gewerbeaufsicht.«

»Ja, aber die schiere Menge der–«

»Ist trotzdem deren Job.«

»Finnie wünscht eine Kooperation der verschiedenen Behörden: wir, die Gewerbeaufsicht und der Zoll.« Beattie kramte ein wenig in dem Chaos auf seinem Schreibtisch herum. »Es wird sicher nicht lange dauern, bloß ein, zwei Stunden, und–«

»Da musst du dich mit Steel anlegen. Ich bin den ganzen Tag mit ihrem Kram ausgelastet.«

Beattie schob die Unterlippe vor, und seine Augenbrauen wölbten sich nach oben– der perfekte Dackelblick. »Aber Finnie will Fortschritte sehen.«

»Dann bitte Biowaffen-Bob oder Mark um Hilfe. Oder Doreen. Hm? Wie wär’s, wenn du ihr zur Abwechslung mal was zu tun gibst, anstatt immer alles mir aufs Auge zu drücken?«

»Na schön.« Beattie wandte sich wieder seinen Archivboxen zu, während sein Gesicht rosarot anlief. »Ich rufe selbst bei der Gewerbeaufsicht an.«

Logan überließ ihn seinem Schicksal.

»Blödes Teil…« DI Steel stocherte mit einer Gabel am Riegel ihres Fensters herum und bohrte die Zinken tief in den Mechanismus.

Logan schloss die Tür und ließ sich auf den Besucherstuhl sinken. »Erklär mir doch noch einmal, warum Bartgesicht Beattie befördert wurde.«

»Das ist doch gefährlich, wenn sie die Fenster so bauen, dass man die Dinger nicht weiter als drei Zentimeter öffnen kann. Was ist, wenn es mal brennt?«

»Dieser unfähige Wichser könnte doch nicht mal in einer Klärgrube nach Scheiße fahnden!«

Sie rammte die Gabel erneut in die Verriegelung. »Hilf mir doch mal, ja?«

»Ich dachte, du wolltest versuchen, weniger zu rauchen?«

»Das ist eine Verletzung meiner Menschenrechte… Geh schon auf, du Scheißteil!«

Sie kämpfte eine Minute lang mit dem Mechanismus, ehe Steel es fertigbrachte, sich mit der Gabel in den Daumen zu stechen. »Schhhhhhhhhhhhhhhhhhh…« Sie verzog das Gesicht, dann feuerte sie das Besteck in den Papierkorb. »SCHEISSE