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Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 101: Nimm mich, wie ich bin E-Book 102: Die Tochter seines ärgsten Feindes… E-Book 103: Dich hat mir der Himmel geschenkt! E-Book 104: Der unbeugsame Bergbauer E-Book 105: Sagt mir, wer mein Vater ist E-Book 106: Er brach ihr das Herz E-Book 107: Intrige aus Liebe E-Book 108: Solang du nur zu mir hältst! E-Book 109: Liebe auf den zweiten Blick E-Book 110: Wenn aus Freundschaft Liebe wird E-Book 1: Nimm mich, wie ich bin E-Book 2: Die Tochter seines ärgsten Feindes… E-Book 3: Dich hat mir der Himmel geschenkt! E-Book 4: Der unbeugsame Bergbauer E-Book 5: Sagt mir, wer mein Vater ist E-Book 6: Er brach ihr das Herz E-Book 7: Intrige aus Liebe E-Book 8: Solang du nur zu mir hältst! E-Book 9: Liebe auf den zweiten Blick E-Book 10: Wenn aus Freundschaft Liebe wird

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Inhalt

Nimm mich, wie ich bin

Die Tochter seines ärgsten Feindes…

Dich hat mir der Himmel geschenkt!

Der unbeugsame Bergbauer

Sagt mir, wer mein Vater ist

Er brach ihr das Herz

Intrige aus Liebe

Solang du nur zu mir hältst!

Liebe auf den zweiten Blick

Wenn aus Freundschaft Liebe wird

Der Bergpfarrer – Staffel 11 –

E-Book 101-110

Toni Waidacher

Nimm mich, wie ich bin

Auf einer Hochzeit sind sie sich begegnet

Roman von Waidacher, Toni

Kathrin balancierte in der einen Hand den Einkauf, mit der anderen versuchte sie, den Briefkasten zu öffnen, was allerdings nicht so einfach war, mit voller Tasche und Blumenstrauß. Seufzend nahm sie den Stapel Briefe aus dem Fach und stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf.

»Ach, Kathrin, guten Abend«, begrüßte sie Norbert Achmann, der junge Mann, der das Apartment neben ihr bewohnte und eben aus der Tür trat. »Wart’, ich helf dir.«

Er nahm ihr die Tasche ab, und die junge Frau schloß die Wohnungstür auf.

»Danke, Norbert«, sagte sie. »Mensch, ist das immer ein Streß, nach Feierabend noch einkaufen zu müssen. Und ehe man dann zu Hause ist!«

Der Bursche lächelte.

»Damit hab’ ich zum Glück überhaupt nix zu tun«, meinte er. »Meine Mutter erledigt die Einkäufe für mich.«

Er stellte ihr die Tasche in den Flur und winkte ihr zu.

»Einen schönen Abend noch.«

»Dir auch«, winkte Kathrin zurück und schloß kopfschüttelnd die Tür.

Norbert und seine Mutter!

Die beiden waren wirklich ein Kapitel für sich. Die verwitwete Besitzerin zweier Münchner Wirtshäuser umsorgte ihren Sohn immer noch, als wäre er dazu nicht selbst in der Lage. Und Norbert gefiel dieser Umstand recht gut. Er hielt sich für einen begnadeten Schriftsteller. Allerdings hatte Kathrin bisher nicht gehört, daß er eines von den Manuskripten, die sich in seinem Arbeitszimmer stapelten, an einen Verlag verkauft hätte. Er war ein bißchen versponnen, aber liebenswert auf seine Art.

Die junge Frau, die als rechte Hand des Chefs eines Lebensmittelkonzerns arbeitete, brachte ihren Einkauf in die Küche. Joghurt, Butter und Milch kamen in den Kühlschrank, ebenso Käse und Tomaten. Das Brot legte sie in das Fach des Küchenschranks und drückte dann den Knopf der Kaffeemaschine, damit das Gerät aufheizte.

Während Kathrin darauf wartete, daß sie einen frischgebrühten Kaffee genießen konnte, schaute sie rasch die Post durch. Wirklich Wichtiges war nicht dabei.

Unglaublich, wieviel Geld die Leute für überflüssige Reklamesendungen aus dem Fenster warfen!

Kathrin ärgerte sich nicht nur darüber, daß sie das Papier ja auch wieder entsorgen mußte, das ihr da so ungebeten ins Haus geflattert war; es kostete ja auch Unsummen, so etwas herzustellen. Ganz zu schweigen von den Schäden für die Umwelt, die solche Produktionen immer mit sich brachten.

Ein Brief indes gehörte nicht in den Müll. Sie kannte die Handschrift nur zu gut, und den Absender erst recht. Allerdings wunderte sich Kathrin, daß das Kuvert ein anderes Format hatte, als die Briefe, die Christel ihr sonst schrieb. Sie schlitzte den Umschlag auf und entnahm ihm eine Karte.

›Einladung zur Hochzeit‹, stand ganz groß darauf.

Kathrin unterdrückte einen Schrei.

Das gibt’s doch net, dachte sie, haben sich die beiden endlich dazu durchgerungen!

Auf der Rückseite der Karte stand eine handschriftliche Notiz.

›Hallo Kathie‹, las die junge Frau, ›jetzt bist du überrascht, was? Bitte sei net bös, daß ich dir vorher nichts gesagt habe. Aber es sollte für alle eine Überraschung sein. Außer unseren Eltern, und natürlich Pfarrer Trenker, hatten wir sonst noch niemanden eingeweiht. Wir freuen uns auf dein Kommen und hoffen, daß du ein bissel Zeit mitbringst. Liebe Grüße, Christel und Tobias.‹

Kathrin nahm den Kalender, der neben der Tür hing und blätterte ihn durch. Das Datum paßte – genau in drei Wochen begann ihr Urlaub. Eigentlich hatte sie ihn, zusammen mit Christel, an der See verbringen wollen. Doch dann hatte die Freundin mit einer fadenscheinigen Begründung abgesagt. Kathrin hatte sich gewundert. Seit sie und Christel sich kannten, hatten sie jeden Urlaub zusammen verbracht, und dann plötzlich diese überraschende Absage. Sie vermutete, daß die Freundin diesmal zusammen mit dem Freund verreisen wollte. Daß sogar ihre Hochzeit dahinterstecken könnte, das war ihr allerdings nicht in den Sinn gekommen.

Drei Wochen, überlegte Kathrin, das war ja nicht mehr sehr lange. Bis dahin gab es noch allerhand zu überlegen. Ein Geschenk mußte gekauft werden, vielleicht sogar noch etwas zum Anziehen.

Während sie zu Abend aß, machte sie sich nebenbei eine Liste. Ein Glück nur, daß sie ihren Urlaub noch nicht gebucht hatte. Nachdem Christel verkündet hatte, nicht mit ihr fahren zu wollen, hatte Kathrin überlegt, alleine an die Ostsee zu fahren. Jetzt war sie froh, noch nichts in dieser Hinsicht unternommen zu haben.

Später saß sie in ihrem kleinen Wohnzimmer und schaute sich die Fotos in den Alben an. Die meisten davon stammten aus der gemeinsamen Zeit mit Christel. Sie hatten sich damals auf der Suche nach einem Zimmer kennengelernt. Beide waren frisch an der Uni eingeschrieben. Da sich keine passende Bleibe fand, beschlossen sie, den Versuch zu wagen und gemeinsam eine kleine Wohnung zu mieten. Aus diesen Anfängen entwickelte sich eine jahrelange Freundschaft, die auch noch hielt, als Christel später wieder in die Heimat zurückkehrte, Briefe wurde geschrieben, gegenseitige Besuche gemacht, und mindestens einmal in der Woche telefonierten sie miteinander.

Und jetzt freute sich Kathrin auf die Hochzeit der Freundin mit dem sympathischen Tobias Brenner, der auch ihr ein guter Freund geworden war.

Als sie an diesem Abend ins Bett ging, da kreisten ihre Gedanken noch sehr lange um das bevorstehende Ereignis. Und sie freute sich darauf, St. Johann wiederzusehen, wo sie schon einige Male bei der Familie Berger Urlaub gemacht hatte.

*

Auf dem Brennerhof ging noch alles seinen gewohnten Gang, auch wenn die Hochzeitsvorbereitungen einen Großteil der Zeit in Anspruch nahmen. Christel war jetzt beinahe jeden Tag bei ihrem Verlobten und den zukünftigen Schwiegereltern. Bis spät in den Abend saßen sie zusammen und beratschlagten, planten und verwarfen wieder.

Eine große Hochzeit sollte es werden, das stand fest, und wenn man jeden einlud, der auf der vorläufigen Liste stand, dann würden es wohl über hundert Gäste werden.

An diesem Abend hatte man sich geeinigt. Einhundertzwanzig Personen waren die Obergrenze, mehr hatten wahrscheinlich in der Scheune, die man für diesen Tag extra ausräumen und schmücken würde, auch gar keinen Platz.

»So«, sagte Hans Brenner und trank sein Glas aus, »jetzt geh’ ich schlafen. Morgen muß ich wieder früh raus.«

Tobias nickte, und Christel gab dem Bauern einen Kuß auf die Wange.

»Schlaf gut, Papa, und du auch, Mutter.«

Sie nannte Tobias’ Eltern schon lange Vater und Mutter, und nun würde es nur noch ein paar Tage dauern, bis die junge Betriebswirtin ganz in den Kreis der Familie aufgenommen wurde.

Christel und Tobias räumten die Gläser aus dem Wohnzimmer in die Küche und wuschen sie ab. Es war spät geworden, dennoch setzten sie sich einen Moment noch auf die Bank vor dem Haus und schauten zum sternenübersäten Himmel hinauf.

»Was glaubst’ denn, wie lang’s dauern wird, bis wir mit dem Bau anfangen können?« fragte Christel.

Eines Tages würde Tobias den Hof übernehmen, aber noch waren die Eltern gesund und tatkräftig. Bis sie sich auf das Altenteil zurückzogen, würde es noch ein paar Jahre dauern. Bis dahin wollte das junge Paar in den Anbau ziehen, der hinter dem Bauernhaus entstehen sollte. Die Pläne lagen schon fix und fertig beim Architekten.

»Ich denk’, spätestens nach der Ernte«, meinte Tobias.

Er war groß und schlank und sah sehr gut aus, auch wenn er Arbeitskleidung trug. Früher war er ein rechter Hallodri gewesen, der den Madln die Köpfe verdreht hatte. Doch seit er mit Christel Berger zusammen war, hatte er keine andere Frau mehr angeschaut.

Dabei hatte es früher überhaupt nicht danach ausgesehen, als wenn aus den beiden einmal ein Paar würde. Die Schulbank hatten sie zusammen gedrückt, und Tobias, der damals ein recht frecher Bub gewesen war, hatte der Christel immer an den blonden Zöpfen gezogen. Die fand Buben damals noch blöd und ärgerte sich über diese Dreistigkeit.

Jahrelang war sie dann aus dem Wachnertal verschwunden, als sie in München studiert hatte. Zwar kam sie ab und zu, in den Semesterferien, aber da trafen sie und Tobias nur selten aufeinander. Erst als es Christel wieder ganz in die Heimat zog, sahen sie sich öfters, besonders auf dem Tanzabend im Löwen. Und da funkte es dann auch zwischen ihnen.

Christel hatte eine Stelle in der Kreisstadt angenommen und, um nicht immer fahren zu müssen, dort eine kleine Wohnung gemietet. Aber an den Wochenenden kam sie nach Hause zu ihren Eltern, die ein Haus in St. Johann bewohnten.

»Ich kann’s gar net abwarten, bis wir endlich zusammen wohnen«, seufzte Christel.

»Ich auch net«, antwortete Tobias und zog sie an sich.

Sie küßten sich, und Christel löste sich nur widerwillig aus seinen Armen.

»Jetzt muß ich aber los«, sagte sie. »Morgen muß ich noch arbeiten, und dann hab’ ich erst mal Urlaub. Und morgen kommt auch Kathrin.«

Tobias begleitete sie zu ihrem Auto. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sie sich trennen konnten. Als Christel über die Bergstraße hinunter ins Dorf fuhr, dachte sie an die Freundin und den Tischherrn, den sie für Kathrin ausgesucht hatte.

Es hatte lange Diskussionen gegeben, ob Ingo überhaupt eingeladen werden sollte. Er galt in der Familie ihres Verlobten als Außenseiter, irgendwie verschroben. Doch Christel hatte darauf bestanden, schließlich war er Tobias’ Cousin und gehörte einfach dazu. Außerdem mochte sie ihn. Ingo pfiff auf Konventionen und lebte so, wie es ihm gefiel. Seine große Leidenschaft war die Malerei, und wenn er auch den großen Durchbruch noch nicht geschafft hatte; Christel fand seine Bilder toll und war überzeugt, daß er eines Tages Erfolg haben würde.

Daß sie ihn ausgerechnet als Tischherrn für die Freundin auserkoren hatte, war nicht ohne Grund geschehen. Kathrin dachte ähnlich wie sie selbst. Sie kannte keine Vorurteile und betrachtete erst den Menschen genau, ehe sie ihre Meinung über ihn kundtat. Auf Äußerlichkeiten gab sie genauso wenig, wie Christel, und die junge Braut hoffte, daß Kathrin als seine Tischdame möglicherweise aufkommende Wogen glättete.

*

Die Zeit raste. Zwischen Arbeit und den Hochzeitsvorbereitungen merkte Kathrin gar nicht, wie rasch die Wochen vergingen, und ehe sie sich versah, war ihr letzter Arbeitstag da. Zu Hause standen schon die fertig gepackten Koffer, denn gleich am nächsten Tag sollte es losgehen. Sie verabschiedete sich von den Kolleginnen und setzte sich aufatmend in ihr Auto.

Kathrin wollte gerade von dem firmeneigenen Parkplatz fahren, als es an ihre Scheibe klopfte.

Draußen stand Matthias Wagner und bedeutete ihr, das Fenster zu öffnen.

»Ich wollt’ dir noch schnell einen schönen Urlaub wünschen«, sagte der dreißigjährige Leiter der Abteilung Produktentwicklung. »Schade, daß es mit meinem Urlaub net geklappt hat.«

Kathrin lächelte. Daß Matthias in sie verliebt war, das war kein Geheimnis. Mehr als einmal hatte er sie schon eingeladen, mit ihm ins Kino, Theater oder Restaurant zu gehen. Einige Male hatte sie zugestimmt. Sie mochte ihn zwar, auf eine Art, aber mehr empfand sie für ihn nicht. Als Matthias herausfand, daß Kathrin in diesem Jahr nicht mit ihrer Freundin verreisen würde, da hatte er sofort seine Chance gewittert. Doch leider klappte es, zu seinem Leidwesen, nicht mit der Urlaubsplanung. Ein neues Produkt sollte in ein paar Wochen auf den Markt kommen, und die Arbeiten daran liefen auf Hochtouren. Da war es unmöglich, daß der Leiter der Abteilung seinen Urlaub nahm.

»Ich wünsch’ dir eine schöne Zeit«, sagte Matthias. »Und bleib’ mir treu.«

Auch wenn die letzte Bemerkung scherzhaft klingen sollte, so wußte Kathrin doch, wie ernst sie ihm war. Sie lächelte.

»Paß auf, daß der Laden hier net abbrennt«, gab sie augenzwinkernd zurück und winkte ihm zu.

»Schreib’ mal«, rief Matthias und sah dem davonfahrenden Auto hinterher.

Himmel, was für eine Frau, ging es ihm durch den Kopf.

Dunkelrotes Haar, ein apartes Gesicht, mit zwei grünen Augen, die wie Smaragde funkeln konnten und dazu eine Figur, die jeden Mann ins Träumen brachte.

Was würde er darum geben, wenn sie ihn auch lieben würde!

Kathrin fuhr währenddessen so schnell wie möglich nach Hause. Abendessen, schnell unter die Dusche und dann ins Bett. Morgen sollte es in aller Herrgottsfrühe losgehen.

So sehr sie sich auf die Hochzeit freute, beinahe noch mehr freute sie sich auf drei Wochen Urlaub, die vor ihr lagen. Zwischendurch hatte sie natürlich mehrmals mit Christel telefoniert, und die Freundin hatte ihr versichert, daß Tobias und sie ihre Hochzeitsreise erst für den Herbst geplant hatten. Ihre Schwiegereltern besaßen einen Bauernhof, und da war Tobias um diese Jahreszeit unabkömmlich. Es sei ohnehin schon ein Wunder, daß es mit dem Hochzeitstermin gerade noch so gegangen sei. Christel würde also Zeit für die Freundin erübrigen können. Außerdem war da noch Pfarrer Trenker, der sich schon darauf freute, Kathrin wiederzusehen und mit ihr eine gemeinsame Bergtour zu unternehmen.

Am nächsten Morgen packte Kathrin ihr Kleid, das sie extra für die Feier gekauft hatte, zuletzt in das Auto. Vorsichtig hatte sie das gute Stück in einen Kleidersack gehängt, damit es nicht zerknitterte. Die Zweitschlüssel für Wohnung und Briefkasten legte sie unter die Fußmatte des Nachbarn. Norbert würde sich, wie er es immer tat, um Post und Blumen kümmern.

Schnell war sie aus München heraus, noch hatte der morgendliche Verkehr nicht eingesetzt, und als Kathrin schließlich den Zubringer auf die Autobahn erreichte, da war sie mit ihren Gedanken schon in St. Johann.

Himmel, wie freute sie sich, sie alle wiederzusehen. Den hübschen, kleinen Ort, Christel und ihre Familie, und vor allem freute sie sich auf die Hochzeit.

Allerdings war sie auch ein wenig skeptisch. Christel hatte nur Andeutungen gemacht, betreffend des Tischpartners, den sie für Kathrin ausgesucht hatte. Ein naher Verwandter Tobias’ sollte es sein, mehr wollte sie nicht verraten.

Aber der merkwürdige Unterton in der Stimme der Freundin, der wollte Kathrin nicht aus dem Kopf gehen…

Gegen Mittag erreichte sie St. Johann. Christels Eltern besaßen ein Haus, das am anderen Ende des Ortes lag. Als Kathrin durch das Dorf fuhr, fühlte sie sich gleich heimisch. Alles strahlte Ruhe und Gemütlichkeit aus, und der Anblick der Kirche weckte Erinnerungen an die vielen gemeinsamen Bergtouren, die sie und die Freundin mit Pfarrer Trenker unternommen hatten.

Da Christel heute ihren letzten Arbeitstag hatte, hatten sie vereinbart, daß Kathrin gleich zum Haus der Bergers fahren sollte. Maria stand schon erwartungsvoll an der Gartenpforte und winkte ihr entgegen. Kathrin stieg aus, und die beiden Frauen fielen sich in die Arme.

»Grüß dich«, sagte Christels Mutter herzlich. »Schön, daß du da bist. Bist du gut durchgekommen?«

Kathrin nickte.

»Es war eine ganz tolle Fahrt«, erwiderte sie. »Aber ich bin schon froh, da zu sein. Mensch, habt ihr ein herrliches Wetter hier. In München war alles grau und wolkenverhangen, als ich losgefahren bin.«

»Hochzeitswetter eben«, lachte Maria Berger. »Jetzt komm aber erst herein. Ich hab’ eine Suppe auf dem Herd stehen. Du hast doch bestimmt Hunger. Heut’ abend essen wir dann alle zusammen. Tobias kommt auch her.«

*

»Wie geht’s deinem Mann?« erkundigte sich Kathrin, während sie ins Haus gingen.

»Bestens«, antwortete Maria. »Er ist auch schon ganz aufgeregt. Na ja, die Christel ist ja unser einziges Kind. Ich glaub’, manchmal denkt Fritz, daß wir sie für immer verlieren.«

»Aber das stimmt doch net! Christel wird immer eure Tochter sein, und ihr bekommt doch noch einen tollen Schwiegersohn dazu.«

»Ich weiß«, lächelte die blonde Frau. »Aber mach’ das mal einem Vater klar. Zwischen den beiden herrscht eben ein inniges Verhältnis. Fritz liebt Christel abgöttisch. Schon früher hat er ihr immer alles durchgehen lassen. Und das Madl, das vergöttert seinen Vater.«

»Ach, ich find’s einfach schön, wie die beiden sich verstehen«, meinte Kathrin, und ein düsterer Zug huschte über ihr hübsches Gesicht.

Sie selbst hatte beide Eltern schon früh verloren und war bei einem Bruder ihres Vaters aufgewachsen. Onkel Willi und Tante Hannelore hatten selbst keine Kinder und zogen die Nichte auf, als wäre sie ihre Tochter. Noch heute verband Kathrin ein herzliches Verhältnis mit den beiden. Aber der eigene Vater, das war doch etwas ganz anderes.

Sie aßen auf der Terrasse. Maria Berger hatte eine leichte Gemüsesuppe gekocht und Semmeln dazu gestellt. Die beiden Frauen tranken Apfelsaft und unterhielten sich, während sie es sich schmecken ließen.

»Jetzt sag’ doch mal, was ist denn eigentlich mit dir?« wollte Christels Mutter wissen. »Du bist doch genauso alt wie Christel. Gibt’s noch niemanden, der als Heiratskandidat in Frage käme?«

Kathrin schaute versonnen zu den blühenden Büschen, die am Gartenzaun standen.

»Ach, weißt du, die viele Arbeit…«, antwortete sie. »Ich hab’ gar keine Zeit, jemanden kennenzulernen.«

»Also, hör’ mal«, lachte Maria. »Du willst mir doch wohl net erzählen, daß es in eurer Firma keine attraktiven Männer gibt.«

»Doch schon«, nickte Kathrin. »Aber die sind alle schon vergeben.«

Von Matthias wollte sie nichts sagen. Sie mochte ihn zwar, aber als Mann fürs Leben konnte sie sich ihn nicht vorstellen. Allerdings gab es noch einen Mann, mit dem sie einige Male ausgegangen war. Jörn Haller war Inhaber einer Kunstgalerie, auf der Münchner Maximilianstraße. Kathrin organisierte ab und an eine kleine Ausstellung in der Firma, in der sie arbeitete. Ihr Chef hatte das vor Jahren einmal angeregt, und sie hatte Spaß daran gefunden. Diese Veranstaltung hatte sich im Laufe der Zeit zu einem gesellschaftlichen Ereignis entwickelt, zu dem oft sehr gut betuchte Leute kamen, die auch tatsächlich Werke der ausstellenden Künstler kauften.

Natürlich blieb es nicht aus, daß der Galerist Gefallen an der gutaussehenden Frau fand und sie oft um ein Rendezvous bat. Es hatte Kathrin jedesmal Mühe gekostet, Jörns Avancen nicht nachzugeben, denn er sah wirklich unverschämt gut aus. Aber irgendwie hatte sie immer das Gefühl, genau wie bei Matthias, daß da etwas fehlte…

»Du sag’ mal«, wechselte sie das Thema, »wer ist denn der, den Christel da als Tischherrn für mich vorgesehen hat?«

»Ich weiß net so genau«, zuckte Maria Berger die Schultern. »Nur, daß es sich um einen Cousin von Tobias handeln soll.«

»Hm, und warum hat Christel dann so merkwürdige Andeutungen gemacht?«

»Keine Ahnung. Am besten fragst’ sie selbst, wenn sie heut’ abend kommt.«

Nach dem Mittagessen brachte Kathrin ihre Sachen in das Gästezimmer, das im ersten Stock des Hauses lag. Gleich daneben hatte Christel ihr Zimmer, das sie immer noch bewohnte, wenn sie am Wochenende nach Hause kam.

Bald allerdings würde sie es räumen und die Sachen mit auf den Brennerhof nehmen.

Kathrin nahm das Kleid aus dem Transportbeutel und hängte es an den Schrank. Erleichtert stellte sie fest, daß die Fahrt dem guten Stück nicht geschadet hatte. Es war sündhaft teuer gewesen, aber für diesen Anlaß war es ihr gerade gut genug.

Der cremefarbene Stoff war aus Seide, mit Goldfäden durchwirkt. Am Ausschnitt und an den Ärmel besaß es eine gestickte Goldborte. Kathrin hatte auch gleich ein paar dazu passende Schuhe gekauft, die sie immer nach Feierabend, zu Hause, getragen und eingelaufen hatte. Schließlich sollten sie beim Tanzen nicht drücken.

»Ich möcht’ eben zur Kirche gehen und Hochwürden guten Tag sagen«, erklärte sie, als sie wieder unten war. »Brauchst du noch irgendwas?«

Christels Mutter schüttelte den Kopf.

»Dank’ schön. Es ist alles im Haus. Einen schönen Gruß an Pfarrer Trenker.«

»Richte ich aus«, versprach Kathrin und verließ das Haus.

In der Kirche herrschte angenehme Kühle. Ein paar Touristen besichtigten das Gotteshaus gerade. Von Pfarrer Trenker war nichts zu sehen. Kathrin warf einen Blick auf die Tür zur Sakristei. Sie war geschlossen.

Es war immer wieder schön, die Kirche anzuschauen, und sie kam gerne hierher. Doch heute wollte sie rasch den Geistlichen begrüßen und dann wieder zurückgehen. Christel würde früh Feierabend machen, hatte ihre Mutter gesagt, und Kathrin wollte die Ankunft der Freundin nicht verpassen.

Auch im Pfarrhof traf sie den guten Hirten von St. Johann nicht an. Sophie Tappert, die Haushälterin, erkannte Kathrin gleich wieder und versprach, die Grüße auszurichten. Hochwürden wäre gerade auf Bergtour, erkläre sie, und würde wohl vor dem Abend nicht wieder zurück sein.

Kathrin lief den Kiesweg hinunter und über die Straße. Als sie an dem kleinen Einkaufszentrum vorbeikam, sah sie, daß dort ein Blumenladen war. Den hatte es bei ihrem letzten Besuch noch nicht gegeben. Kurz entschlossen ging sie hinüber, um einen Strauß für ihre Gastgeberin zu kaufen. Sie wollte die Tür aufziehen und eintreten, als diese von innen heftig aufgestoßen wurde, und ein junger Bursche herausstürmte. Er hatte eine große Topfblume im Arm und bemerkte überhaupt nicht, daß er die Tür Kathrin beinahe vor den Kopf gestoßen hätte.

»Flegel«, sagte sie laut.

Der Kerl drehte sich kurz um, warf ihr einen irritierten Blick zu und – ging einfach weiter.

»Was war denn das für einer?« fragte Kathrin die Verkäuferin, die den Vorfall beobachtet hatte.

»Tut mir leid«, sagte die Frau. »Ihnen ist doch hoffentlich nix passiert?«

Kathrin schüttelte den Kopf.

»Das war der Herr Bruckner, der Kunstmaler«, erklärte die Verkäuferin und hob hilflos die Arme. »Man muß ihn eben nehmen, wie er ist. Ein Künstler halt…«

*

Ingo Bruckner verstaute die Topfblume auf dem Rücksitz seines Autos. Es war ein uralter Citroen, eine sogenannte ›Ente‹, den er einmal sehr günstig auf einem Schrottplatz erstanden und in monatelanger Arbeit wieder hergerichtet hatte.

Neben der Blume stand ein Karton, mit Lebensmitteln gefüllt, und eine Leinwand, die der Kunstmaler aus der Stadt mitgebracht hatte. Leider gab es in St. Johann kein Geschäft für Künstlerbedarf, so daß er immer wieder gezwungen war, in die Stadt zu fahren, um seinen Bedarf an Leinwand, Pinsel und Farben zu decken.

Ingo setzte sich hinter das Lenkrad und fuhr vom Parkplatz herunter. Fröhlich pfeifend, das Verdeck des Wagens geöffnet, verließ er das Dorf und schlug die Richtung zum Hof ein. Dort angekommen stellte er das Auto unter dem Dach der Scheune ab, holte Topfblume und Leinwand heraus und brachte die Sachen in das Atelier.

Es befand sich in einem Anbau, direkt hinter der Scheune, und auf den ersten Blick machte es den Eindruck eines Gewächshauses. Tatsächlich hatte Ingo für den Bau ein altes Gewächshaus der Gärtnerei in St. Johann Stück für Stück abgetragen und hier heraufgeschafft. Jetzt war es eine lichtdurchflutete Arbeitsstätte, in dem sich Bilder stapelten, Regale mit Farbtöpfen und Tuben standen, und Pinsel in den unterschiedlichsten Ausführungen lagen. Es roch nach Farbe und Lösungsmitteln, und wäre ein Besucher gekommen, so hätte er auf ein Chaos geblickt, in dem es scheinbar keine Ordnung gab.

Es gab schon eine Ordnung in diesem Durcheinander, die allerdings nur Ingo Bruckner bekannt war, und Besucher kamen ohnehin nie herauf. Mit einer Ausnahme vielleicht – Pfarrer Trenker schaute hin und wieder nach dem jungen Künstler und erkundigte sich nach Ingos Befinden.

Nachdem er die Sachen im Atelier abgestellt hatte, ging der junge Bursche ins Haus hinüber. Er bewohnte eigentlich nur das Wohnzimmer, in dem eine Bettcouch stand, auf der er schlief. Nach dem Tode der Eltern, die kurz nacheinander gestorben waren, hatte Ingo Bruckner keine Lust verspürt, weiterhin als Bauer zu arbeiten. Schon immer hatte er gerne gezeichnet und gemalt und nun konnte er seinen Neigungen freien Lauf lassen. Das Vieh wurde verkauft, die Felder und der Bergwald an den Bruder seiner Mutter verpachtet, und von den Einnahmen konnte er ganz gut leben und sich ganz der Malerei widmen.

Er hatte es noch nicht einmal nötig, seine Bilder zu verkaufen, und dieser Umstand machte ihn im Kreise seiner Verwandten zu einem Sonderling. Allerdings war es Ingo Bruckner egal, was sie von ihm dachten. Er war glücklich, wie er lebte, und hätte mit niemandem tauschen mögen.

Nachdem er sich in der Küche ein belegtes Brot gemacht hatte – er kochte fast nie etwas für sich –, ging er ins Atelier zurück Auf einer Staffelei stand eine bemalte Leinwand. Ingo begutachtete kritisch sein Werk. Das Bild stellte einen Ozean dar, auf dem eine geöffnete Muschel schwamm, der gerade eine leicht bekleidete Frau entstieg. Die Anlehnung an das Gemälde ›Geburt der Venus‹, des Renaissancemalers Sandro Botticelli, war unverkennbar, und doch hatte dieses kleine Kunstwerk eine ganz eigene Aussagekraft.

Drei Monate hatte Ingo daran gearbeitet, seit einem halben Jahr stand es hier und trocknete. Der junge Maler war zufrieden. Dieses Bild würde eines der wenigen sein, die das Atelier verließen. Es sollte sein Hochzeitsgeschenk für Christel und Tobias sein.

*

»Bis zum nächsten Mal«, verabschiedete sich Sebastian Trenker von dem alten Senner. »Und dank’ schön, für den Käs’.«

»Grüßen S’ die Frau Tappert recht schön und den Max«, sagte Franz Thurecker und gab dem Bergpfarrer die Hand.

Schon in aller Herrgottsfrühe war der gute Hirte von St. Johann zu seiner Tour aufgebrochen, und es hatte bis zum Mittag gedauert, ehe er sein Ziel, die Kandererhütte, erreichte. Dort hatte reger Betrieb geherrscht. Zahlreiche Wanderer saßen auf der Sonnenterrasse und ließen sich schmecken, was der Franz ihnen auftischte. Der Senner, der die meiste Zeit des Jahres hier oben lebte, war für seine herzhafte Hausmannskost weithin bekannt, und entsprechend groß war der Andrang der Gäste, an solch einem herrlichen Sonnentag.

Unkompliziert, wie er nun einmal war, hatte Sebastian Trenker seinen Rucksack abgeschnallt, die Ärmel hochgekrempelt und mit angepackt. Als hätte er sein Lebtag nichts anderes gemacht, zapfte er Bier, schenkte Limonade ein und servierte Geschnetzeltes, Käsespatzen und Eintopf.

Nachdem die Besucher zufriedengestellt waren, aßen der Geistliche und Franz Thurecker selbst. Dabei unterhielten sie sich über das, was seit Pfarrer Trenkers letztem Besuch im Dorf passiert war. Der Senner war immer auf solche Nachrichten angewiesen, denn außer in der Winterpause, in der er in St. Johann lebte, hörte Franz Neuigkeiten nur, wenn ein Knecht der Bauern, denen die Kühe hier oben gehörten, heraufkam und den fertigen Käse abholte, oder eben der Bergpfarrer zu Besuch kam.

Und Sebastian kam gerne herauf. Er schätzte den Alten, der auch ein hervorragender Käsespezialist war, und die beiden Männer konnten sich stundenlang unterhalten.

Heute hatte der Besuch allerdings noch einen anderen Grund; Sebastian überbrachte eine Einladung zur Hochzeit.

»Ich weiß net«, meinte Franz Thurecker zweifelnd, »da muß ich ja einen ganzen Tag die Viecher allein’ lassen. Wer soll sich denn da um alles kümmern?«

»Ein Tag wird net reichen«, erwiderte der Pfarrer schmunzelnd. »Mit zwei Tagen wirst’ schon rechnen müssen. Nach der Feier wirst kaum noch wieder hier herauf wollen. Auf dem Brennerhof haben s’ bestimmt eine Kammer für dich, in der du über Nacht bleiben kannst.«

Franz war immer noch skeptisch.

»Und was ist mit den Kühen?« wollte er wissen. »Die müssen doch gemolken werden.«

»Alles schon geregelt«, antwortete Sebastian. »Der Wolfgang Umgelter hat sich bereit erklärt, hier auszuhelfen, solang’ du auf der Hochzeitsfeier bist.«

»Ach, der Wolfgang. Das ist natürlich was anderes«, meinte Franz. »Na ja, da werd’ ich wohl kaum absagen können.«

Wolfgang Umgelter war Knecht auf dem Tannenhof. Sein Bauer hatte ebenfalls Kühe in Franz’ Obhut gegeben. Der Senner kannte Wolfgang schon lange. Einige Male hatte der Knecht schon bei ihm hier oben ausgeholfen und von Franz die Kunst des Käsens gelernt.

»Außerdem legt die Christel großen Wert auf dein Kommen«, erklärte der Seelsorger. »Das hat sie extra gesagt.«

» Ach ja, irgendwie freu’ ich mich auch über die Einladung«, sagte Franz. »Immerhin sind der Fritz und ich ja auch über drei Ecken verwandt.«

»Dann kann ich also ausrichten, daß die Christel und der Tobias mit deinem Erscheinen rechnen können?«

Der Senner nickte. »Bloß, daß der Wolfgang pünktlich ist.«

»Das wird er«, lachte Sebastian. »Die Hochzeit ist am Freitag, also übermorgen. Morgen nachmittag bringt der Hubert Wolfgang herauf, und du kannst dann gleich mit ihm wieder hinunterfahren. Er setzt dich dann beim Brennerhof ab.«

»Das ist ja alles bestens organisiert«, freute sich Franz. »Fehlt bloß noch ein Geschenk.«

Aber auch da wußte der Bergpfarrer Rat.

»Du hast doch eine ganze Menge Figuren in der Hütte stehen«, meinte er. »Ich hab’ da vorhin eine Madonna gesehen. Das wär’ doch ein wunderschönes Geschenk. Ich bin sicher, daß die beiden sich darüber freuen werden.«

Während er ins Tal abstieg, dachte Sebastian an die bevorstehende Hochzeit. Er freute sich, daß Christel und Tobias sich zu diesem Schritt entschlossen hatten. Die beiden paßten wunderbar zusammen.

Endlich einmal schien ein Paar zusammengefunden zu haben, ohne daß es Komplikationen gegeben hatte. Ein äußerst seltener Umstand im Leben des guten Hirten von St. Johann.

Als Sebastian dieser Gedanke durch den Kopf ging, da ahnte er noch nicht, daß die nächsten Tage keineswegs so problemlos verlaufen würden, wie er glaubte…

*

Der Mann in den abgerissenen Kleidern umrundete das Pfarrhaus nun schon zum dritten Mal. Unsicher blickten seine Augen auf die Fenster und die Eingangstür, und immer wieder stockten seine Schritte, wenn er sich endlich dazu durchgerungen hatte, den schmalen Weg von der Pforte bis zum Haus zu gehen.

Und wenn der Herr Pfarrer nun doch net so freundlich ist, wie der Karl gesagt hat, überlegte Joseph Mooser, dann wirft er mich womöglich achtkantig hinaus.

Der Mooser-Sepp, wie er bei seinen Kollegen genannt wurde, lebte schon seit geraumer Zeit auf der Straße. Nach Arbeitslosigkeit, der elenden Trinkerei und Scheidung von der Frau, hatte er jeden Halt verloren und war bis auf die letzte Stufen der sozialen Leiter gerutscht. Er glaubte nicht, daß sich in diesem Leben noch etwas daran ändern würde, und hatte sich mit seinem Dasein abgefunden.

Allerdings war es kein leichtes Leben. Immer war man auf das Mitleid anderer angewiesen, und wenn es auch im Sommer nicht weiter schlimm war, im Freien zu schlafen, so wurde es im Winter doch recht hart. Sepp hatte sich daher angewöhnt, die kalte Jahreszeit im Süden zu verbringen, wo es schön warm war, und die Menschen freundlich.

Ursprünglich stammte er aus dem Allgäu, und dort hatte er bisher auch immer ›Platte gemacht‹, wie es im Jargon seiner Leidensgefährten hieß. Tagsüber saß er oft in der Innenstadt von Kempten und bettelte, oder er verdingte sich bei einem Bauern für ein paar Tage, wo er ein bissel was hinzuverdiente. Das Geld vom Sozialamt reichte meist hinten und vorne nicht – auch wenn Sepp mit der Trinkerei schon lange Schluß gemacht hatte.

Nachdem er den letzten Winter in Italien verbracht hatte, war er über Tirol nach Bayern zurückgekehrt und war in der Gegend um den Achsteinsee hängengeblieben. Vor ein paar Wochen machte er die Bekanntschaft eines anderen Landstreichers, der ihm von einem Ort vorgeschwärmt hatte, in dem die Menschen freundlich und ohne Vorurteile waren. Besonders der Seelsorger des Ortes sei herzensgut und dessen Haushälterin eine Meisterköchin.

Und jetzt stand der Mooser-Sepp vor dem Pfarrhaus und traute sich nicht hinein.

Endlich gab er sich einen Ruck, öffnete die Pforte und ging über den Weg. Noch einmal zögerte er, bevor er den Finger auf die Klingel legte. Dann drückte er den Knopf hinunter und wartete mit klopfendem Herzen ab.

Nach ein paar Minuten hörte er drinnen Schritte, und die Tür wurde geöffnet. Eine dürre Frau streckte ihren Kopf heraus und schaute den Besucher, der zwei Plastiktüten mit sich führte, mit mürrischem Blick an.

»Grüß Gott, Frau Tappert«, sagte Sepp, der seinen Hut abgenommen hatte und in den Händen drehte. »Einen schönen Gruß vom Moislinger-Karl soll ich ausrichten.«

Hermine Wollschläger schüttelte unwillig den Kopf.

»Was reden S’ da für ein dummes Zeug?« fragte sie. »Ich kenn’ keinen Moislinger-Karl. Und Tappert heiß’ ich schon gar net.«

Sepp machte ein bestürztes Gesicht.

»Net?« fragte er ratlos. »Aber er hat mir doch soviel von Ihnen und Ihren Kochkünsten erzählt, und vom Herrn Pfarrer Trenker.«

»Da sind S’ hier falsch«, erwiderte die Haushälterin. »Pfarrer Trenker wohnt in St. Johann. Dies hier ist Engelsbach. Haben S’ denn das Ortsschild net gesehen?«

Das hatte der Landstreicher in der Tat nicht gesehen, denn in der Richtung, aus der er gekommen war, lag der Bergwald. Sepp hatte sich quer durch die Büsche geschlagen und war, nachdem er durch ein paar Gärten abgekürzt hatte, auf die Hauptstraße gekommen.

Er hatte sich also schlichtweg im Ort geirrt.

Jetzt schluckte er. Er hatte gleich so ein ungutes Gefühl gehabt. Allerdings war es über acht Stunden her, daß er etwas gegessen hatte, und in seinem Magen nagte ein bohrendes Hungergefühl. Er mußte unbedingt etwas zwischen die Zähne bekommen.

»Hätten S’ die Güte, meinen Irrtum zu entschuldigen«, bat er unterwürfig. »Und wenn S’ vielleicht eine Scheibe Brot hätten oder eine Semmel? Gern’ auch vom Vortag.«

Hermine Wollschläger schürzte die Lippen. Semmeln kamen ihr nicht ins Haus. Die waren viel zu ungesund, und sonst gab es nur Knäckebrot. Allerdings war da auch ein Stück von dem Kuchen übrig, den sie vor ein paar Tagen gebacken hatte. Hochwürden hatte es verschmäht, davon zu essen, sehr zum Verdruß seiner Haushälterin.

»Warten S’ einen Moment«, sagte sie und schloß die Tür.

Sepp trat von einem Fuß auf den anderen. Wenn das Vesperlepaket so ausfiel, wie diese Frau ausschaute…

Die Tür wurde wieder geöffnet, und die Haushälterin drückte ihm eine Tüte in die Hand.

»Guten Appetit«, wünschte sie.

»Vergelt’s Gott«, nickte der Landstreicher und wandte sich zum Gehen.

Net einmal etwas zu trinken oder ein kleines Geldstück, dachte er, während er ins Dorf marschierte.

Erst, als er aus Sichtweite des Pfarrhauses war, öffnete er die Tüte und schaute hinein. Was er sah, war noch schlimmer, als er erwartet hatte. Der Kuchen war bestimmt etliche Tage alt und staubte schon im Mund. Sepp konnte nicht definieren, was das eigentlich sein sollte. Es schmeckte nach Haferflocken und erinnerte ihn an die Kekse, die seine Tante früher immer gebacken hatte.

Die hatte er nie gemocht. Aber jetzt trieb der Hunger ihn dazu, den Kuchen zu essen, und er wünschte sich sehnlichst einen Fluß, an dem er seinen Durst hätte stillen können.

Am Ortsausgang traf er einen Bauern und erfuhr, daß er tatsächlich in Engelsbach war. Sepp fragte nach dem Weg nach St. Johann und schlug die Richtung dorthin ein.

Er hoffte, daß die Worte vom Moislinger-Karl sich dort bewahrheiten würden.

*

Christel und Kathrin fielen sich in die Arme.

»Mensch, ich bin so aufgeregt«, sagte die Freundin, und Kathrin drückte sie an sich. »Ich auch«, sagte sie. »Und vor allem freu’ ich mich, hier zu sein.«

Christels Mutter hatte einen herrlichen Blumenstrauß bekommen, den sie stolz ihrer Tochter zeigte.

»Können wir noch was helfen?« fragte Kathrin.

Sie standen in der Küche, und auf dem Herd zischte und brodelte es.

»Nein, nein, geht nur«, schüttelte Maria Berger den Kopf. »Ihr habt euch doch bestimmt eine Menge zu erzählen.«

Das hatten die Freundinnen allerdings, und natürlich wollte Kathrin das Hochzeitskleid sehen, daß Christel seit Tagen vor Tobias in ihrem Schrank verbarg.

»Stell’ dir vor, der wollte es doch tatsächlich schon sehen«, sagte Christel kopfschüttelnd. »Dabei weiß doch jeder, daß das Unglück bringt.«

In diesen Dingen war sie eben abergläubisch. Aber das gehörte genauso zu den Hochzeitsvorbereitungen, wie das große Glas mit Pfennigen, die Christel Berger seit Jahren gespart hatte, um damit Hochzeitsschuhe zu kaufen. Inzwischen waren aus den Pfennigen zwar Cents geworden, aber das tat dem schönen Brauch keinen Abbruch.

»Und übermorgen ist also der große Tag«, stellte Kathrin fest.

»Ja«, nickte die Freundin. »Es wird richtig groß gefeiert. Einhundertzwanzig Gäste sind eingeladen, und alle haben zugesagt. Seit gestern wird auf dem Bauernhof gebacken und gekocht.«

»Aber einen Polterabend macht ihr net.«

»Die Leute werden genug Porzellan auf der Feier zerschlagen«, lachte Christel. »Das hat sich inzwischen so eingebürgert, man nennt es Polterhochzeit. Irgendwie ist’s schon schad’, um den alten Brauch. Aber ich bin ganz froh, sonst hätten wir noch einen Tag mehr gebraucht, und es ist jetzt schon ganz eng. Die Arbeit auf dem Hof geht ja weiter.«

Kathrin hatte das Kleid gebührend bewundert. Es war ein Traum aus weißer Seide, mit einer langen Schleppe und Schleier. Die Schleppe sollte von den ehemaligen Freundinnen des Bräutigams getragen werden. Seine Freunde hatten sich diesen Spaß ausgedacht, und Christel war einverstanden gewesen. Sie verstand sich mit den Madeln ausgezeichnet, und Eifersucht gab es zwischen ihnen schon lange nicht mehr.

Auf das Blumenstreuen freuten sich die beiden Töchter von Tobias’ Schwester. Die vier- und fünfjährigen Madln pflückten schon seit Tagen Blumen und übten fleißig, wie Christel schmunzelnd berichtete.

Als ihr Vater von der Arbeit nach Hause gekommen war, wurde zu Abend gegessen. Tobias war ebenfalls eingetroffen. Fritz Berger begrüßte Kathrin ebenso herzlich wie seine eigene Tochter, und auch Tobias schloß die Freundin seiner Braut in die Arme. Sie saßen auf der Terrasse, wo es immer noch herrlich warm war, und natürlich drehte sich die Unterhaltung um den bevorstehenden, großen Tag.

»Die standesamtliche Trauung ist um elf«, erklärte Christel. »Aber da kommen nur ein paar Leute mit. Du hoffentlich auch?«

Der letzte Satz war an Kathrin gerichtet. Sie nickte. Natürlich würde sie sich das nicht entgehen lassen.

»Um zwei müssen alle pünktlich in der Kirche sein«, fuhr Christel fort. »Danach geht’s dann zum Brennerhof und die Feier beginnt.«

»Hoffentlich reicht das Bier«, seufzte Tobias.

Christel gab ihm einen Stups in die Seite.

»Drei Fässer soll’n ja wohl reichen«, meinte sie.

»Sag’ mal, was ist das eigentlich für einer, den du mir da als Tischherrn ausgesucht hast?« wollte Kathrin später wissen, als die beiden Freundinnen in der Küche standen und den Abwasch machten.

Christel legte das Geschirrtuch aus der Hand und räumte die Teller in den Schrank, die sie gerade abgetrocknet hatte.

»Ach, der Ingo ist eigentlich ein ganz netter Bursch’«, antwortete sie. »Du wirst ihn mögen.«

Kathrin entging nicht der leichte Unterton in der Stimme der Freundin. Sie schaute Christel forschend an.

»Hast’ dir was Bestimmtes dabei gedacht?«

Christel sah sie einen Moment an und nickte.

»Ja, Kathrin«, gab sie zu. »Weißt du, Tobias’ Verwandten sind…, wie soll ich sagen? Also sie halten net viel von Ingo, weil er sein eigenes Leben lebt, genau so, wie er’s für richtig hält. Viele halten ihn für spinnert. Er malt und zwar wirklich gute Bilder, wie ich find’. Aber er verkauft sie net. Sie stapeln sich in seinem Atelier und werden immer mehr. Aber sich von ihnen trennen, das kann der Ingo net.

Ich kenn’ dich, Kathrin und ich weiß, daß du ebenso wenig Vorurteile hast, wie ich. Deshalb hab’ ich euch beide zusammengesetzt, damit du dich ein bissel um ihn kümmerst und vielleicht auch ein Auge darauf hast, falls einer Ingo mit Worten herausfordert. Er reagiert da nämlich sehr empfindlich.«

»Das mach’ ich natürlich gern.«

Sie mußte an den Burschen denken, der ihr am Nachmittag beinahe die Tür des Blumenladens vor den Kopf gestoßen hätte. Im ersten Moment war sie verärgert gewesen, weil der Rüpel es nicht nötig hatte, sich zu entschuldigen.

Auf den zweiten Blick hatte sie festgestellt, daß er gar nicht so übel ausschaute. Er hatte sogar etwas Attraktives an sich gehabt.

Ob der Bursche und dieser Ingo wohl ein und derselbe waren?

Wahrscheinlich schon. So viele Kunstmaler gab es in diesem kleinen Ort wohl nicht. Kathrin war jedenfalls darauf gespannt, Tobias’ Cousin kennenzulernen…

*

Nachdem der Landstreicher gegangen war, stand Hermine Wollschläger noch eine geraume Zeit hinter der Gardine und schaute hinaus.

Merkwürdige Leute trieben sich hier herum. Einmal mehr wünschte sich die Haushälterin, Hochwürden wäre nicht dem Ruf des Bischofs gefolgt, diese Pfarrstelle zu übernehmen und statt dessen in Südamerika geblieben, wo er jahrelang erfolgreich die Heiden am Orinoko bekehrt hatte.

Ob der Kerl, der jetzt mit dem schönen Kuchen davongezogen war, sich vorher in der Kirche herumgetrieben hatte?

Am besten würde es sein, wenn sie mal nachschaute. Man hörte ja oft genug von aufgebrochenen Opferstöcken, aus denen das Geld entwendet worden war.

Einen Moment zögerte sie.

Wenn der Kerl tatsächlich ein Dieb war, würde er dann noch am Pfarrhaus geklingelt haben, anstatt Fersengeld zu geben?

Sie zuckte die Schultern.

Vertrauen ist gut, Kontrolle war besser. Vielleicht war dieser… wie hieß er doch noch gleich? Richtig, seinen Namen hatte er ja gar net genannt, nur den anderen. Aber vielleicht war dieser Kerl ja ein ganz raffinierter Dieb und hatte deswegen geklingelt und um etwas zu essen gebettelt.

Die Haushälterin verließ das Pfarrhaus und eilte zur Kirche hinüber. Pfarrer Eggensteiner war wieder mal net da, wenn man ihn brauchte! Mochte der Herrgott wissen, wo Hochwürden wieder steckte. Wahrscheinlich hockt er in einem Wirtshaus und setzt sich über meinen Diätplan hinweg, vermutete Hermine Wollschläger.

Seit sie festgestellt hatte, daß der Seelsorger von St. Anna zuviel Gewicht auf die Waage brachte und auch sonst nichts für seine Gesundheit tat, war Blasius Eggensteiner das, in seinen Augen bemitleidenswerte, Opfer einer rigorosen Speisenplanung geworden.

Das begann beim Frühstück, wo es nicht mehr die herrlichen Semmeln, sondern Knäckebrot gab. Dazu coffeeinfreien Kaffee! Statt Wurst und Käse stand Magerquark auf dem Tisch, und ein gekochtes Ei gab es höchstens alle vierzehn Tage, am Sonntag!

Zum Mittagessen sah es nicht viel besser aus. Salat mit Essig und ganz wenig Öl angemacht, Pellkartoffeln oder dünne Suppen stellte Hermine Wollschläger dem Geistlichen auf den Tisch, und der verweigerte meistens das Essen.

Zumindest hätte Blasius Eggensteiner das gerne getan, doch seine resolute Haushälterin paßte auf, wie ein Luchs, und so zwang sich der Seelsorger, wenigstens ein paar Happen zu essen.

Daß er trotzdem nicht schlanker wurde und seinen fülligen Körper immer noch unter einer zu groß gekauften Soutane verstecken mußte, beschäftigte Hermine Wollschläger sehr, doch im Moment hatte sie keine Gedanken dafür. Sie stand in der Kirche und schaute sich argwöhnisch um.

Alles schien wie immer zu sein. Prüfend glitt ihr Blick über die Bänke bis zum Altar. Wenigstens in dieser Hinsicht konnte man sich auf Franz Moser, den Mesner, und dessen Frau verlassen. Das Gotteshaus war immer ordentlich gereinigt. Ansonsten argwöhnte Hermine, daß Hochwürden des öfteren bei der Familie Moser das nachholte, was zu essen sie ihm verweigerte.

Mit den Gedanken bei Pfarrer Eggensteiner und seinen ›Eßkapaden‹, wie sie es nannte, strich die Haushälterin unabsichtlich mit dem Ellenbogen am Altar vorbei, wobei sich der weite Ärmel ihres Kleides an dem Tuch verfing, auf dem Kreuz, Kelch und Blumenvase standen. Mit einer überraschten Bewegung riß Hermine Wollschläger das Tuch herunter, und alles, was auf dem Altar stand, fiel scheppernd zu Boden.

Mit bleichem Gesicht betrachtete die Haushälterin das Unglück. Unheilvoll hatte es durch das Kirchenschiff gehallt, als die Sachen auf die Steinfliesen aufkamen, und die Vase in tausend Stücke zerbrach.

Du lieber Gott, was sag’ ich denn bloß Hochwürden?

Hermine hatte das schwere, goldene Altarkreuz aufgehoben und mit Entsetzen festgestellt, daß es den Sturz nicht unbeschadet überstanden hatte. Der Fuß des Kreuzes hatte an mehreren Stellen Kratzer, die deutlich zu sehen waren, eine Kante war gar richtig eingedrückt worden.

Die Haushälterin hielt das Kreuz immer noch in den Händen, als die Tür geöffnet wurde und Pfarrer Eggensteiner eintrat.

»Was ist denn hier passiert?« fragte er, als er die Bescherung gesehen hatte.

Hermine Wollschläger hatte vor Aufregung und Scham einen roten Kopf bekommen.

Ausgerechnet das Altarkreuz, dachte sie. Darum hatte es schon einige Aufregung gegeben, als es, kurz vor Hochwürdens Amtseinführung, gestohlen worden war.

Sie schaute ihren Pfarrer nervös an und stellte das Kreuz mit zitternden Händen auf den Altar zurück.

»Das…, das muß der Kerl gewesen sein«, stotterte sie.

*

Sebastian Trenker beschloß, auf dem Heimweg noch mal auf dem Brucknerhof vorbeizuschauen. Es waren einige Wochen her, daß er Ingo gesehen hatte, und jetzt wollte er sich erkundigen, wie es dem jungen Kunstmaler ging.

Lange Zeit hatte sich der gute Hirte von St. Johann dafür eingesetzt, daß der Bursche sein Erbe erhalten möge, doch Ingo wollte nur noch für seine Kunst leben. Der Bergpfarrer sah ein, daß er ihn nicht davon abbringen konnte, und Ingo war ja wirklich talentiert. Sebastian kannte einen anderen Kunstmaler, Robert Demant, der sein Glück in St. Johann fand, als er sich vor Jahren, während einer Schaffenskrise, in das Alpendorf flüchtete. Auch nach dieser Zeit kam er immer wieder gerne mal nach St. Johann zurück, zusammen mit seiner Frau, die hier geboren war.

Auf die Bitte des Geistlichen hin hatte Robert einmal Ingos Bilder in Augenschein genommen und sich wirklich beeindruckt gezeigt. Als Sebastian fragte, was wohl der Grund sein könnte, weshalb der junge Künstler seine Werke nicht verkaufen wolle, hatte Robert Demant verschmitzt gelächelt.

»Ach, Hochwürden«, antwortete er, »mir ist’s net anders gegangen, als ich mit der Malerei anfing. Jedes Bild war wie ein Kind für mich, geboren in einem langen Prozeß voller Ängste und Zweifel, ob das Endprodukt wirklich so gut würde, wie die eigenen Ansprüche es erforderten. Und wenn dann ein Gemälde fertig war, dann konnt’ ich mich unmöglich von ihm trennen. Erst später wurd’s eine Notwendigkeit, weil das Geld zum Lebensunterhalt fehlte. Aber glauben S’ mir, jedesmal hat’s mir das Herz gebrochen, wenn ich ein Bild verkaufen mußte. Und dem Ingo Bruckner wird’s net anders gehen. Aber seine Zeit wird kommen, da bin ich gewiß. Vielleicht braucht’s nur einen Anstoß von außen; jemanden, der etwas von der Malerei versteht und ihm seine Zweifel nimmt. Mein junger Kollege wird jedenfalls seinen Weg machen, da bin ich ganz sicher.«

Das günstige Urteil des bekannten Malers hatte Sebastian Trenker zuversichtlich gestimmt. Natürlich sagte er Ingo gegenüber nichts davon. Aber er war froh, daß der Bauernsohn so unbeirrbar gewesen war und sich nicht von seinem Vorhaben hatte abbringen lassen.

Er traf Ingo Bruckner in seinem Atelier an.

»Hochwürden, schön, daß Sie mal wieder vorbeischauen«, freute sich der Maler. »Kann ich Ihnen was zu trinken anbieten?«

»Danke schön«, schüttelte der Bergpfarrer den Kopf. »Ich hab’ unterwegs an einem Gebirgsbach meinen Durst gelöscht.«

Er schaute sich um.

»Wie ich seh’, sind seit meinem letzten Besuch schon wieder ein paar Werke hinzugekommen«, stellte Sebastian Trenker fest.

Er deutete auf das Bild, das auf der Staffelei stand.

»Sehr schön.«

»Gefällt’s Ihnen?« fragte Ingo. »Ich möcht’s der Christel und meinem Cousin zur Hochzeit schenken.«

»Na, die werden Augen machen«, meinte der Geistliche. »Und sich riesig freuen.«

Sie unterhielten sich eine Weile über das bevorstehende Ereignis, ehe Sebastian das Thema anschnitt, über das er schon oft mit Ingo Bruckner gesprochen hatte.

»Hast dir meinen Vorschlag überlegt?« fragte er. »Ich find’, die Leute sollten endlich wissen, was für ein Talent unter uns weilt. Eine Ausstellung deiner Bilder im Gemeindehaus würd’ bestimmt auf ein großes Echo stoßen. Sogar im Rathaus wär’s möglich, so etwas zu veranstalten. Unser Bürgermeister hat schon sein Einverständnis gegeben.«

Der junge Maler machte ein skeptisches Gesicht.

»Ich weiß net, Hochwürden«, antwortete er. »Irgendwie hab’ ich das Gefühl, noch net so weit zu sein. Es kostet mich schon einige Überwindung, dieses Bild fortzugeben, und ich tu’s auch nur, weil ich Christel und Tobias so sehr schätze.«

Der gute Hirte von St. Johann akzeptierte die erneute Absage. Er wußte, daß er mit Ingo Bruckner Geduld haben mußte. Eines Tages, hatte Robert Demant gesagt, eines Tages wäre der junge Kollege soweit, daß er sich an die Öffentlichkeit wagen würde. Also hieß es bis dahin abwarten.

Nachdenklich verabschiedete sich Sebastian und ging weiter in Richtung des Dorfes. Ein Anstoß von außen, erinnerte er sich der Worte des Kunstmalers, vielleicht kam der schneller als erwartet.

Dabei hatte der Bergpfarrer eine bestimmte, junge Frau im Sinn; Kathrin Sonnenleitner, Christels Freundin, mit der er schon öfters eine Tour unternommen hatte. Bei einer dieser Gelegenheiten erzählte Kathrin ihm, daß sie in der Firma, für die sie arbeitete, hin und wieder Ausstellungen für junge Künstler organisierte und auch Kontakt zu einem Münchner Galeristen habe. Sebastian war sicher, daß Kathrin heute oder morgen in St. Johann ankommen würde, um an der Hochzeitsfeier teilzunehmen. Vielleicht ergab sich ja eine Möglichkeit, daß sie einmal einen Blick auf Ingos Bilder werfen konnte, und vielleicht war die attraktive Frau der Anstoß von außen.

Als der Geistliche im Pfarrhaus ankam, dachte er allerdings nicht mehr daran. In der Küche saß ein Besucher und ließ sich gerade einen Teller von der Suppe schmecken, die Sophie Tappert aufgewärmt hatte. Der Mann sprang auf, als Sebastian eintrat und verbeugte sich.

»Grüß Gott, Hochwürden. Joseph Mooser, mein Name«, stellte er sich vor. »Einen schönen Gruß vom Moislinger-Karl soll ich ausrichten.«

Der gute Hirte von St. Johann reichte dem Besucher die Hand.

»Behalten S’ ruhig Platz und lassen’s sich schmecken«, sagte er. »Wie geht’s denn dem Karl?«

*

Der Donnerstag verging in hektischer Geschäftigkeit. Auf dem Brennerhof war man bei den letzten Vorbereitungen, für den großen Tag, und im Haus der Familie Berger herrschte nervöses Treiben.

Hatte man an alles gedacht? Verlief die Zeremonie so, wie man es sich vorstellte? Saß das Kleid auch wirklich richtig?

Friseurtermin, Bestellung in der Gärtnerei, noch einmal die Gästeliste prüfen, ob auch niemand von der Verwandtschaft der Bergers vergessen worden war – Christel wußte nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Und ihren Eltern ging es ebenso.

Kathrin war der ruhende Pol in dem ganzen Durcheinander und versuchte, überall da zu helfen, wo Hilfe nötig war. Sie kümmerte sich um den Blumenschmuck und sprach noch einmal alles mit der Gärtnerei ab; kleine Sträuße für die Kirche, der große Brautstrauß, das kleine Gesteck für den Bräutigam, die Rosenblätter zum Streuen – alles würde rechtzeitig fertig sein und geliefert werden.

Am Freitagmorgen begleitete sie die Freundin dann zum Friseur. Der Termin war schon recht früh angesetzt worden, und während Christel nervös in ihr Spiegelbild schaute und skeptisch überwachte, was die junge Friseurmeisterin mit ihren Haaren anstellte, saß Kathrin im Sessel neben ihr und ließ sich ebenfalls die Haare richten.

»Wir haben noch viel Zeit«, beruhigte sie die aufgeregte Braut, die zwischendurch immer wieder auf die Uhr blickte. »Der Termin ist doch erst um elf.«

Zum Standesamt würde Christel ein helles Kostüm anziehen. Wenn die Trauung dort vollzogen war, ging es schnell nach Hause, in diesem Fall in die Bergersche Wohnung. Tobias und seine Familie waren inzwischen wahrscheinlich schon eingetroffen. Nach einem kurzen Imbiß würde es dann Zeit, sich umzuziehen, damit man pünktlich zur Kirche gehen konnte.

»Mir ist ganz schlecht«, stöhnte Christel.

»Kein Wunder«, antwortete Kathrin, »du hast ja auch überhaupt noch nix gegessen.«

Traudel Förnbacher, die Friseurin, unterbrach ihre Arbeit.

»Mensch, Christel, das geht aber net«, sagte sie. »Da klappst du womöglich im Rathaus zusammen, ehe du Tobias das Jawort geben kannst. Wart’ mal. Ich mach’ dir jetzt erst mal eine Semmel und einen Tee. Kaffee ist wahrscheinlich net gut, so aufgeregt, wie du bist.«

Christel wollte protestieren, weil es ihr ohnehin schon zu lange dauerte. Doch Traudel hatte Kamm und Schere schon aus der Hand gelegt und war nach hinten verschwunden.

»Ruhig Blut«, versuchte Kathrin, die Freundin zu beruhigen.

»Du hast gut reden«, erwiderte Christel. »Du heiratest ja net.«

»Auf meiner Hochzeit werd’ ich auch net so aufgeregt sein«, schmunzelte die rothaarige Frau.

Traudel Förnbacher kam mit einem Becher Tee und einem Teller zurück, auf dem eine mit Butter und Marmelade bestrichene Semmel lag.

»So, das wird jetzt gegessen«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, und wandte sich an Kathrin. »Und du? Einen Kaffee vielleicht?«

Kathrin schüttelte den Kopf. Im Gegensatz zu der Freundin hatte sie ausreichend gefrühstückt.

»Danke schön«, antwortete sie. »Mach’ lieber, daß die Christel fertig wird. Sonst geht sie noch ein.«

Die Braut wandte den Kopf und zog eine Grimasse.

»Eine schöne Freundin bist du!« sagte sie.

Endlich war die Frisur fertig. Christel schaute sich das Werk an und nickte zufrieden.

»Genauso hab’ ich’s mir vorgestellt«, freute sie sich.

Dann schaute sie wieder auf die Uhr und sah Kathrin an.

»Jetzt aber los!«

Als sie zu Hause ankamen, waren der Brautstrauß und das kleine Gesteck geliefert worden. Den Schmuck für die Kirche und die Rosenblätter würde die Gärtnerei direkt zum Gotteshaus bringen, erklärte Maria Berger.

Sie hatte sich schon gestern die Haare machen lassen und war heute morgen nur zum Kämmen mitgegangen. Dann eilte sie schnell wieder zurück, damit jemand zu Hause war, wenn die Blumen geliefert wurden. Fritz Berger war, für seine Frau unverständlich, schon in aller Herrgottsfrühe aus dem Haus gegangen und hatte sich in sein Auto gesetzt.

»Wo willst’ denn hin?« hatte Maria erstaunt gefragt. Aber sie erntete nur ein geheimnisvolles Lächeln.

»Ich bin rechtzeitig wieder zurück«, antwortete ihr Mann und fuhr los.

»Wo ist Papa denn?« wollte Christel wissen, als sie vom Friseur zurück war.

Sie hatte Tobias und dessen Eltern begrüßt, die im Wohnzimmer saßen und genauso nervös waren, wie sie selbst.

»Keine Ahnung«, bekannte ihre Mutter. »Er hat die ganze Zeit schon so geheimnisvoll getan.«

Die Braut runzelte die Stirn.

»Na, hoffentlich…«

»Bloß net unken«, unterbrach Kathrin sie. »Los, auf geht’s! Es wird Zeit, daß wir uns umziehen.«

Eine halbe Stunde später kam die Braut die Treppe herunter. Das Kostüm saß perfekt, und die Frisur paßte ausgezeichnet zu dem glücklich strahlenden Gesicht.

»Du bist die schönste Frau der Welt«, sagte Tobias und zog Christel an sich.

»Wart’ erst mal ab, bis sie ihr Brautkleid anhat«, meinte Kathrin. »Da wirst du Augen machen!«

*

Die Zeremonie im Rathaus war schlicht, aber dennoch feierlich. Markus Bruckner, der Bürgermeister von St. Johann, traute das junge Paar und flocht in seine kleine Ansprache auch ein paar humorvolle Worte ein.

»So, Tobias«, sagte er, nachdem die beiden sich das Jawort gegeben hatten, »jetzt darfst die Braut küssen. Und ich freu’ mich schon auf die Feier nachher.«

Der Bürgermeister war natürlich auch eingeladen.

Christel und ihr frisch angetrauter Ehemann sahen sich strahlend an. Die Mütter der beiden schnieften in ihre Taschentücher, und Fritz Berger und Hans Brenner nickten zufrieden.

Markus Bruckner ließ es sich nicht nehmen, die kleine Hochzeitsgesellschaft mit Sekt zu bewirten.

»Prost zusammen«, rief er.

Christel Brenner, wie sie nun hieß, prostete ihrem Mann zu und trank. Sie war froh, im Friseursalon die Semmel gegessen zu haben. Wahrscheinlich hätte sie sonst jetzt schon einen Schwips bekommen.

Kathrin, die natürlich eine der beiden Trauzeugen gewesen war, konnte ihre Tränen auch nicht zurückhalten. Sie schloß die Freundin ganz fest in die Arme und drückte sie.

»Alles, alles Gute«, sagte sie. »Mein Geschenk gibt’s später.«

Christel sah sie an und lächelte.

»Daß du da bist, ist das schönste Geschenk überhaupt«, erwiderte sie.

Kathrin gratulierte Tobias.

»Ich bin der glücklichste Mann der Welt«, strahlte er. »Was für ein herrlicher Tag!«

Sein Vater kam und schlug ihm auf die Schulter.

»Noch ist er net zu Ende«, meinte der Brennerbauer. »Ich glaub’, wir sollten auch allmählich sehen, daß wir uns für die kirchliche Trauung fertigmachen.«

Dafür wurde es auch tatsächlich Zeit. Die standesamtliche Zeremonie hatte doch mehr Zeit beansprucht, als man gedacht hatte.

Im Hause Berger waren inzwischen die ersten Glückwunschkarten und Präsente abgegeben worden. Inge Hollacher, die Nachbarin, hatte sie in Empfang genommen. Sie war es auch, die den Imbiß vorbereitet hatte. Auf silbernen Platten lagen hübsch garnierte Häppchen bereit, es gab Sekt dazu, Bier und Saft.

Allerdings hielt man sich mit dem Trinken zurück, aber Christel und Tobias mußten immer wieder mit den anderen anstoßen, denn inzwischen waren die ersten Gäste eingetroffen.

»So, jetzt muß ich mich aber umziehen!« rief Christel. »Mutter, kommst du?«

Maria Berger hatte zwischen Wohnzimmer und Flur in der Tür gestanden und auf ihren Mann eingeredet. Fritz stand dort, ein Glas in der Hand, und lächelte.

»Ja, gleich«, rief Maria und fixierte ihren Mann. »Jetzt sag’ schon. Was ist es denn nun?«

Christels Vater lächelte weiterhin in sich hinein.

»Später, mein Schatz«, antwortete er nur und gab seiner Frau einen Kuß.

Die wandte sich kopfschüttelnd ab und eilte zur Treppe, wo Christel schon ungeduldig wartete. In ihrem Zimmer hatte Traudel Förnbacher inzwischen alles bereitgelegt. Die Friseurin war extra noch einmal hergekommen, um der Braut die Haare zu kämmen und kleine Rosen hineinzustecken. Aber das ging natürlich erst, wenn Christel ihr Kleid angezogen hatte.

Nebenan zog Kathrin sich um. Inzwischen war sie auch von der allgemeinen Aufregung ergriffen. Von den belegten Schnitten hatte sie nur eine essen können und mehr als einen Schluck Saft zu trinken, war ihr nicht möglich gewesen.

Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel. Das Kleid saß perfekt, und die Schuhe waren gut eingelaufen. Kathrin nahm die Samtjacke vom Bügel und schlüpfte hinein. Das Täschchen, mit allem, was man vielleicht brauchte, lag bereit. Noch einmal drehte sie sich, nickte zufrieden, dann verließ sie das Zimmer und klopfte an die Nebentür.

Maria öffnete sie einen Spalt. Als sie sah, daß es Kathrin war, ließ sie sie eintreten. Der jungen Frau entrang sich ein bewundernder Ausruf, als sie die Freundin erblickte.

Christel schaute hinreißend aus!

Und sie strahlte, wie es sich für eine Braut am Tag ihrer Hochzeit gehörte.

»Können wir?« fragte ihre Mutter.

Die Friseurmeisterin legte letzte Hand an; hier eine Strähne zurechtlegen, da ein Röschen feststecken, noch ein kritischer Blick.

Traudel Förnbacher nickte zufrieden.

»Auf geht’s.«

Die drei Frauen nahmen die Schleppe. Christel spürte, wie ihr Herz vor Aufregung klopfte, als sie die Treppe hinunterschritt. Unten standen die Gäste im Halbkreis, darin Tobias, der erwartungsvoll nach oben blickte.

Der junge Mann hielt die Luft an, als er seine wunderschöne Frau sah, und er konnte nicht verhindern, daß sich ihm eine Träne ins Auge stahl.

Die Gäste klatschten Beifall, als er Christels Hand nahm und an seine Lippen führte. Dann drehte er sich zu Fritz und Maria um, die jetzt neben ihrem Mann stand.

»Liebe Schwiegereltern«, sagte er mit belegter Stimme, »ich dank’ euch, für eure Tochter. Daß ihr sie mir anvertraut, sollt ihr net bereuen. Das versprech’ ich euch.«

Maria wischte sich über das Gesicht, und auch die anderen Gäste konnten ihre Rührung nicht verbergen. Fritz Berger räusperte sich.

»Die Reden halten wir später«, meinte er salopp, wobei der Tonfall über seine eigene Ergriffenheit hinwegtäuschen sollte. »Jetzt müssen wir zur Kirche. Schließlich wollen wir Hochwürden net warten lassen.«

*

Sebastian Trenker schaute verblüfft auf seinen Amtsbruder, der, mit hochrotem Gesicht, in die Kirche gestürmt kam. In der Hand trug Pfarrer Eggensteiner einen Holzkasten. Sebastian, der sich gerade für die Trauung umgezogen hatte und die Hochzeitsgesellschaft an der Tür erwarten wollte, blickte den Geistlichen von St. Anna fragend an.

»Ist was geschehen, Blasius? Du scheinst mir ziemlich aufgeregt zu sein«, sagte er.

»Ob was geschehen ist?« gab sein Amtsbruder zurück. »Das kann man wohl sagen!«

Er öffnete den Kasten und nahm das Altarkreuz heraus.

»Schau dir das an.«

Sebastian betrachtete das Kreuz. Die Dellen und Kratzer waren deutlich zu erkennen.

»Was soll ich dazu sagen?« fragte er. »Wie ist das denn passiert?«

Blasius Eggensteiner holte tief Luft.

»Ich wär’ schon gestern gekommen«, erklärte er. »Aber da hatte ich eine Trauerfeier; die alte Frau Seltzmann. Ist der Kerl noch da?«

Der Bergpfarrer verstand immer noch nicht.

»Welcher Kerl?« wollte er wissen. »Von wem redest’ denn eigentlich?«

»Von dem Landstreicher«, gab der rundliche Pfarrer erbost zurück. »Dem Kirchenschänder. Erst hat er sich im Hause Gottes umgeschaut und als er nix fand, das zu stehlen lohnte, hat er randaliert. Den Altar geschändet, die Vase zerbrochen, das Kreuz auf den Boden geworfen. Man sieht jetzt noch den Abdruck auf den Fliesen. Also, wo steckt er?«

»Sag’ mal, redest’ etwa von dem Mooser-Sepp?« fragte Sebastian kopfschüttelnd.

»Was weiß ich, wie der Kerl heißt. Jedenfalls hat er hinterher am Pfarrhaus geklingelt und um etwas zu essen gebettelt. Er scheint sich aber im Ort geirrt zu haben, weil er offenbar hierher wollte. Jedenfalls sprach er meine Haushälterin mit Frau Tappert an.«

Der gute Hirte von St. Johann verstand allmählich.

»Also, jetzt mal langsam«, meinte er beschwichtigend. »Hast du Beweise, für deine, immerhin schwere, Anschuldigung? Ist der Sepp denn gesehen worden, als er in die Kirche ging oder herauskam?«

»Was braucht man da noch Beweise?« ereiferte sich Blasius Eggensteiner. »Die Sachlage ist doch ganz offensichtlich. Es war ja sonst niemand anderer da.«

Sebastian warf einen Blick auf die Uhr. Die Hochzeitsgesellschaft konnte jeden Moment kommen, und die Zeit drängte. Aber natürlich konnte er die Sache nicht so einfach auf sich beruhen lassen – zumal Sepp Mooser noch immer drüben im Pfarrhaus war – und schon gar nicht auf die pauschale Anschuldigung seines Amtsbruders hin.

Daß der manchmal gern übers Ziel hinausschoß mit seinen Verdächtigungen, wußte Sebastian Trenker aus eigener, leidvoller Erfahrung…

»Du hast den Mann also auch net gesehen«, stellte er fest. »Nur deine Haushälterin. Aber auch net, als er angeblich aus der Kirche kam. Wo warst du denn überhaupt?«

Blasius Eggensteiner schluckte aufgeregt, sein Adamsapfel hüpfte hoch und runter.

»Wo…, wo ich war?« fragte er. »Was geht dich denn das an?«

Das fehlte noch, daß er diesem aufgeblasenen Pfarrer eine Rechtfertigung dafür gab, was er tat oder nicht!

»Ich hatte zu tun«, gab er dennoch zurück.

Diese Erklärung hatte auszureichen. Schließlich mußte nicht jeder wissen, daß er an dem bewußten Nachmittag im Wirtshaus zu Waldeck gegessen und ein großes Stück Apfelkuchen mit Sahne verzehrt hatte. Zumal er dazu ein Kännchen ›richtigen‹ Kaffee getrunken hatte!

Herrlich hatte es geschmeckt!

Blasius Eggensteiner leckte sich unwillkürlich die Lippen, als er daran dachte. Natürlich war seine Haushälterin verärgert gewesen, als er zum Abendessen nur eine Tomate – ohne Salz, wegen des Blutdrucks – aß. Aber zu fragen, ob Hochwürden woanders bereits gegessen habe, wagte sie nicht.