E-Book 101 - 150 - Diverse Autoren - E-Book

E-Book 101 - 150 E-Book

Diverse Autoren

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. E-Book 1: Die Moorprinzessin E-Book 2: Leis' erklingt die Abschiedsmelodie E-Book 3: Das Geheimnis der Fürstin Carolin E-Book 4: Die bürgerliche Komtess E-Book 5: Heimweh nach Schloss Hohenfels E-Book 6: Die Erbin von Montfort E-Book 7: Es gibt eine Zukunft für uns E-Book 8: Tina läuft ins Glück E-Book 9: Nur ein Hauch Glückseligkeit E-Book 10: Das Schloss in Südtirol E-Book 11: Das verleugnete Fürstenkind E-Book 12: Wiener Liebesreigen E-Book 13: Eine Frau für René E-Book 14: Elisabeth und der verfemte Graf E-Book 15: Schöner als alle Träume E-Book 16: Ein Baby für Schloss Lindenbach E-Book 17: Der verschollene Graf E-Book 18: Im Sturm der Leidenschaft E-Book 19: Graf, Sie sind kein Ehrenmann E-Book 20: Graf Michael und die Malerin E-Book 21: Der letzte Fürst von Stolzenfels E-Book 22: Der Weg in die Heimat E-Book 23: Die falsche Gräfin E-Book 24: Immer Ärger mit der Liebe E-Book 25: Unvergesslich schön, doch ohne Herz E-Book 26: Liebe, wohin führst du mich? E-Book 27: Bleibt die Vergangenheit lebendig? E-Book 28: Mit dir nur will ich glücklich sein E-Book 29: Bau nicht dein Glück auf fremdes Leid E-Book 30: Nur die Gräfin wusste alles E-Book 31: Eine Liebe, die nie vergeht E-Book 32: Und plötzlich war er Graf E-Book 33: Gefangen in Pracht und Herrlichkeit E-Book 34: Bleib bei mir, Nora! E-Book 35: Schatten der Vergangenheit E-Book 36: Ich hol dich auf mein Schloss E-Book 37: Der falsche Graf E-Book 38: Eine Prinzessin verliert ihr Herz E-Book 39: Hochzeit auf Schloss Warenbach E-Book 40: Die Favoritin des Erbprinzen E-Book 41: Küsse in der Nacht E-Book 42: Ich bin nicht käuflich, Prinz E-Book 43: Happy-End im Stadtpalais E-Book 44: Geh nicht am Glück vorbei, Sybill E-Book 45: Wer mit wem? E-Book 46: Treibst du das Spiel zu weit, Prinzessin? E-Book 47: Der weite Weg zu dir E-Book 48: Liebesglück auf Schloss Waldstein E-Book 49: Deine Liebe gab mir Hoffnung E-Book 50: Die Liebenden von Andalusien

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Seitenzahl: 6329

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Inhalt

Die Moorprinzessin

Leis' erklingt die Abschiedsmelodie

Das Geheimnis der Fürstin Carolin

Die bürgerliche Komtess

Heimweh nach Schloss Hohenfels

Die Erbin von Montfort

Es gibt eine Zukunft für uns

Tina läuft ins Glück

Nur ein Hauch Glückseligkeit

Das Schloss in Südtirol

Das verleugnete Fürstenkind

Wiener Liebesreigen

Eine Frau für René

Elisabeth und der verfemte Graf

Schöner als alle Träume

Ein Baby für Schloss Lindenbach

Der verschollene Graf

Im Sturm der Leidenschaft

Graf, Sie sind kein Ehrenmann

Graf Michael und die Malerin

Der letzte Fürst von Stolzenfels

Der Weg in die Heimat

Die falsche Gräfin

Immer Ärger mit der Liebe

Unvergesslich schön, doch ohne Herz

Liebe, wohin führst du mich?

Bleibt die Vergangenheit lebendig?

Mit dir nur will ich glücklich sein

Bau nicht dein Glück auf fremdes Leid

Nur die Gräfin wusste alles

Eine Liebe, die nie vergeht

Und plötzlich war er Graf

Gefangen in Pracht und Herrlichkeit

Bleib bei mir, Nora!

Schatten der Vergangenheit

Ich hol dich auf mein Schloss

Der falsche Graf

Eine Prinzessin verliert ihr Herz

Hochzeit auf Schloss Warenbach

Die Favoritin des Erbprinzen

Küsse in der Nacht

Ich bin nicht käuflich, Prinz

Happy-End im Stadtpalais

Geh nicht am Glück vorbei, Sybill

Wer mit wem?

Treibst du das Spiel zu weit, Prinzessin?

Der weite Weg zu dir

Liebesglück auf Schloss Waldstein

Deine Liebe gab mir Hoffnung

Die Liebenden von Andalusien

Fürstenkrone – Paket 3 –

E-Book 101 - 150

Diverse Autoren

Die Moorprinzessin

Wie Sabrina das Leben kennenlernte

Roman von Larsen, Viola

Als er sie nach Jahren der Trennung wiedersieht, ist sein Herz schwer vor Sehnsucht und Erwartung und ganz erfüllt von der unsinnigen Vorstellung, sie sei immer noch das kleine Mädchen, sein Mündel, das er in dem Schloss seiner Väter in sicherer Obhut zurückließ, als ihn die Erfüllung seines künstlerischen Berufes in die Ferne rief. Das einsame Moor, die Heideinsel, der Frühlingshimmel, die Fahne mit dem silbernen Falken, die zu seiner Begrüßung auf dem Schlossturm weht, all dies nimmt er kaum wahr. Er wartet nur auf den Augenblick, da er sein kleines Mädchen, seine Sabrina, in die Arme schließen kann.

Aber dann sieht er sie – und erstarrt. Seine halb erhobenen Arme sinken herab. Auf seinen ausdrucksvollen Zügen malt sich eisige Abwehr.

Es währt nur Bruchteile von Sekunden, und Sabrina nimmt die Veränderung in der Haltung des Fürsten gar nicht wahr, denn sie ist nur erfüllt von dem großen Glück des Wiedersehens.

»Willkommen daheim, Wolfhart!«, lacht sie selig. »Willkommen auf der Heideinsel!« Ihre frischen Lippen berühren zärtlich seine Wange.

*

Den ganzen Tag über hat Sabrina diesem Augenblick entgegengefiebert, schon seit dem frühen Morgen. Es ist schließlich ihr Geburtstag, und schon in aller Frühe hat sie Tante Tabea einen gehörigen Schrecken eingejagt, weil sie einfach über die Insel fortgelaufen und nicht mehr wiedergekommen war. Jedes Mal, wenn Sabrina ihre langen, einsamen Wanderungen über die Insel unternimmt, hat Tante Tabea Angst. Denn der mächtige Bau des Schlosses der Fürsten Ravenhill erhebt sich inmitten des Moors auf einer blühenden Heideinsel.

Mit seinen beiden Ecktürmen ragt das Schloss einsam und stolz in die düstere Landschaft hinein und ist im Laufe unzählbarer Jahre doch eins geworden mit ihr.

So ist auch an diesem Geburtstag Tante Tabea wieder von Angst um Sabrina geplagt gewesen. Genau in dem Augenblick, da der klagende Ruf eines Moorhundes die Stille des Morgens zerreißt, die die Landschaft fast gespenstisch einhüllt, wird im Schloss eines der vielen Fenster geöffnet, ein rundes, von silbergrauem Haar und einem weißen Spitzenhäubchen umrahmtes Gesicht erscheint, und zwei graue Augen spähen durch funkelnde Brillengläser besorgt über die Heide­insel.

Fräulein Tabea, die das Hauswesen auf Schloss Ravenhill leitet, schüttelt bekümmert den Kopf, vermeidet es aber, über das Moor zu blicken. Dann formt sie beide Hände zu einem Trichter, schöpft tief Atem und ruft, so laut sie kann: »Sabrina! Sabrina!«

»Sabrina!«, äfft ein dünnes Echo, das aus dem Nichts zu kommen scheint, ihr nach, und Fräulein Tabea seufzt: »Rein außer Rand und Band ist sie heute, die Sabrina! Wo kann sie nur hingelaufen sein? So groß ist die Insel doch wahrhaftig nicht, dass man sich darauf verirren könnte!«

Noch einmal sieht sie aufmerksam und angstvoll über die leichtgewellte Fläche der Heideinsel, die zwischen Kiefern und hellstämmigen Birken im rosenroten Schimmer der Erika erglüht. Aber so sehr sie sich auch anstrengt, kein Zipfelchen von Sabrina ist zu erspähen.

Fräulein Tabea liebt die Heideinsel so sehr, wie sie das Moorland fürchtet. In den dreißig langen Jahren, die sie nun auf Schloss Ravenhill lebt, hat sich ihre Furcht vor dem tückischen braunen Moor nicht gemindert, sondern vertieft. Aber die Heide ist schön, und ihr gehört Fräulein Tabeas ganze Liebe. Und wie immer, wenn ihr Blick über die Heide schweift, gerät sie auch jetzt ins Träumen. Aber energisch ruft sie sich bald darauf zur Ordnung, denn sie hat wahrhaftig keine Zeit zu versäumen, wenn alle Arbeit, die ihrer wartet, bis zur Ankunft Seiner Durchlaucht noch getan werden soll.

Seufzend schließt sie darum das Fenster und wendet sich zurück in den Raum, in dessen großzügiger Weitläufigkeit ihre kleine rundliche Gestalt fast verschwindet.

Vor langen Jahren ist Fräulein Tabea während einer Wanderung durch das Moor einmal so unglücklich gestürzt, dass sie sich ein Fußleiden zuzog. Jeden ihrer Schritte begleitet deshalb das Aufpochen eines Stockes auf dem glänzenden Parkett. So auch jetzt, als sie den unbewohnten Teil des Obergeschosses verlässt, das sie nur betreten hat, um an einem der Fenster nach Sabrina Ausschau zu halten. Mit kleinen energischen Schritten durchquert sie den dunklen Flur und geht, so rasch sie es vermag, die breite Holztreppe zum Erdgeschoss hinunter.

Durch die hohen Fenster der Halle fällt gedämpft das milde Sonnenlicht.

Es lässt den grünen Schieferstein des Kamins magisch aufleuchten, und Fräulein Tabea beschließt, bis zur Ankunft des Herrn vorsorglich ein Feuer im Kamin anzuzünden, denn die Abende sind selbst nach einem sonnigen Tag auf der Heideinsel im Moor kühl.

Auf dem Kachelsims unter den hohen Fenstern steht Sabrinas Geburtstagstisch. Fräulein Tabea rückt die silbernen Leuchter rechts und links der prachtvollen Geburtstagstorte zurecht und findet es sehr schön, dass Wolfhart Fürst von Ravenhill nach über dreijähriger Abwesenheit gerade zu Sabrinas achtzehnten Geburtstag heimkehrt. Während sie die Vase mit blühendem Heidekraut auf dem Geburtstagstischchen betrachtet, fragt sie sich jedoch, was der Fürst wohl dazu sagen wird, dass aus seinem Mündel in den vergangenen drei Jahren eine junge Dame geworden ist.

Wieder muss sich Fräulein Tabea zur Ordnung rufen, und eilends setzt sie ihren Rundgang fort, der sie nun ins Musikzimmer führt, in dem der weltberühmte Dirigent Fürst von Ravenhill die meiste Zeit verbringt, wenn er auf das Schloss seiner Väter heimkehrt. Sie rückt auch hier auf dem niedrigen Klubtischchen die kristallene Vase mit blühendem Heidekraut zurecht und kehrt in die Halle zurück, von der aus sie durch eine weitere, von schweren Vorhängen halb verdeckte Tür in den Speisesaal gelangt.

Dieser Raum ist in seiner klassischen Strenge das schönste Gemach von Schloss Ravenhill, doch dafür hat Fräulein Tabea im Moment keinen Blick. Zornig reißt sie ein Staubtuch an sich, was das Hausmädchen Fine nach dem Staubwischen wahrscheinlich vergessen hat, und nimmt sich grimmig vor, dem jungen Ding ganz gehörig den Kopf zurechtzusetzen.

Wieder in der Halle angelangt, überlegt sie nun ganz genau, was jetzt der Reihe nach noch zu tun ist, um den Empfang des Herrn würdig zu gestalten.

»Sönke muss die Fahne hissen«, murmelt sie vor sich hin und streckt mit erhobener Hand den linken Daumen aus. »Steff muss das Kaminfeuer anzünden!« Dabei erhebt sie wie drohend den Zeigefinger, und die übrigen Finger folgen nach, als sie halblaut fortfährt: »Fine muss die Jagdstiefel Seiner Durchlaucht putzen, Sönke muss seine Gewehre reinigen, und ich, barmherziger Himmel, ich muss ja noch einen Baumkuchen backen, denn ein Empfang ohne Baumkuchen ist kein Empfang!«

Die rechte Hand schwer auf den Elfenbeinknauf ihres Stockes gestützt, das Staubtuch über den Arm und die linke Hand drohend erhoben, so steht Fräulein Tabea wie ein Feldherr auf dem Schlachtfeld inmitten der Halle von Schloss Ravenhill, als Sabrina wie ein Wirbelwind hereinstürmt.

»Was tust du denn da, Tante Tabea?«, fragt sie lachend, und ihre silberne Glockenstimme weckt ein dünnes zärtliches Echo in dem hohen Raum. »Beschwörst du die Götter, auf dass das böse Moor die Insel nicht fresse?«

Gekränkt lässt Fräulein Tabea die erhobene linke Hand sinken, dann schüttelt sie missbilligend den Kopf.

»Spotte nicht«, verweist sie das junge Mädchen ernst, »denn das Moor lässt nicht mit sich spotten!« Sie seufzt und fährt rasch fort: »Aber damit du es genau weißt, ich habe eben aufgezählt, was bis zur Ankunft des Herrn noch getan werden muss. Doch wo hast du die ganze Zeit über gesteckt? Ich war schon in Sorge um dich, Sabrina!«

Aber ungeachtet des gestrengen Tones, ruhen Fräulein Tabeas Augen voll Stolz und herzlicher Liebe auf der zauberhaften Erscheinung des jungen Mädchens, das immer noch lachend vor ihr steht.

Ein schlichtes gelbes Leinenkleidchen mit breitem Schulterkragen umschließt Sabrinas schlanke, biegsame Gestalt. Das hellbraune Lockenhaar, das bis auf die schmalen Schultern Sabrinas fällt, umrahmt in weichen glänzenden Wellen ein klares, reines Antlitz. Die Augen des jungen Mädchens sind strahlend blau wie kristallene Bergseen und ruhen, von seidigen Wimpern beschattet, unter sanft geschwungenen Brauenbögen. Eine gerade Nase und ein kirschroter fein geschwungener Mund vervollständigen den Liebreiz dieses schönen Mädchenantlitzes.

»Glaubst du, dass Wolfhart bald kommen wird, Tante Tabea?«, fragt sie rasch.

»Das verhüte der Himmel!«, stöhnt Fräulein Tabea, die an ihren Baumkuchen denkt. Sie schickt sich eilends an, die Halle zu verlassen, um in der Schlossküche ihre Weisungen zu erteilen. Doch Sabrina bleibt dicht an ihrer Seite.

»Glaubst du, Wolfhart wird diesmal länger bleiben?«, forscht sie. »Ach, Tante Tabea, wenn er doch nur länger bleiben wollte! Was meinst du dazu?«

»Sönke muss die Fahne hissen!«, erwidert Fräulein Tabea geistesabwesend.

»Aber, Tante Tabea«, entrüstet sich Sabrina, »das ist doch keine Antwort auf meine Frage.«

Fräulein Tabea öffnet die Küchentür, erst dann wendet sie sich wieder an Sabrina und erkundigt sich: »Hast du etwas gefragt, mein Kind?«

»Ja, ich habe gefragt, ob du glaubst, dass Wolfhart diesmal länger bleiben wird. Ich wünsche mir das so sehr! Ach, Tante Tabea, was wird er mir wohl aus Tokio mitbringen?«

»Das Staubtuch!«, ruft Fräulein Tabea da aus und wedelt der bestürzten drallen Fine mit dem Tuch vor der Nase hin und her. »Ein Staubtuch gehört in den Besenschrank und nicht in den Speisesaal! Merken Sie sich das für die Zukunft! Außerdem haben Sie vergessen, im Obergeschoss Staub zu wischen. Es ist eine Schande! Als ich noch so jung war wie Sie, Fine …« Sie unterbricht sich, um dann verzweifelt zu zetern: »Nun hören Sie doch endlich auf, wie eine Verrückte das Herdfeuer zu schüren, Fine! Eine Küche ist keine Räucherkammer, und falscher Eifer ist von Übel!«

In diesem Augenblick öffnet sich die zweite Tür der ebenerdig gelegenen Küche, die unmittelbar auf den mit groben Kopfsteinen gepflasterten Schlosshof führt. In ihrem Rahmen erscheint ein älterer Mann, der in seiner grünen Gartenschürze, mit aufgekrempelten Hemdsärmeln, derben Schafstiefeln und einem gewaltigen Schlapphut auf dem schlohweißen Haar wie aus dem Märchenbuch geschnitten wirkt.

»Oh, Sönke«, empfängt Fräulein Tabea ihn erleichtert. »Sie kommen wie gerufen.«

Die dunklen Augen des Gärtners und Schlossfaktotums blitzen Fräulein Tabea unter buschigen weißen Brauen an.

»Was gibt es denn jetzt schon wieder?«, erkundigt er sich missbilligend, denn er schätzt es keineswegs, wenn er zu irgendwelchen häuslichen Arbeiten herangezogen wird.

»Sie müssen sofort die Fahne hissen!«, erklärt Fräulein Tabea. »Seine Durchlaucht kommt doch heute zurück.«

»Ach, du großer Jammer!«, erwiderte, Sönke, und es klingt nicht eben erfreut. Sekundenlang sieht es so aus, als wolle er seinen Worten noch etwas hinzufügen.

Doch ein mahnender Blick Fräulein Tabeas lässt ihn schweigen.

»Schön«, sagt er gemütlich, »dann werde ich nun eben die Fahne hissen!« Er stapft wieder aus der Küche, wendet sich an der Tür aber noch einmal um und bemerkt warnend: »Hoffentlich ist es Seiner Durchlaucht auch recht, wenn wir die Fahne hissen, Fräulein Tabea!« Damit schließt er langsam die Tür hinter sich.

Fräulein Tabea lässt sich auf der gemütlichen Eckbank nieder, die sich um den blankgescheuerten Holztisch der Schlossküche zieht, und sagt streng: »Fine, putzen Sie sofort die Jagdstiefel Seiner Durchlaucht! Und sagen Sie Steff Bescheid, er soll Feuer im Kamin der Halle anzünden. Beeilen Sie sich, Seine Durchlaucht kann jeden Augenblick hier sein!«

Mit lautem Knall schließt sich die Küchentür hinter der übereifrigen Fine, der anscheinend der Schrecken über diese letzte Mitteilung in die Glieder gefahren ist. Aber sonderbarerweise unterlässt Fräulein Tabea eine Zurechtweisung.

»Ich glaube«, erklingt da Sabrinas süße Silberstimme, »alle haben Angst vor Wolfharts Rückkehr: Sönke, Steff, Fine und die anderen.«

»Rede keinen Unsinn!«, fährt Fräulein Tabea auf. »Niemand hat Angst vor Seiner Durchlaucht. Du siehst Gespenster, Sabrina!« Bei dem Wort Gespenster zuckt Fräulein Tabea unwillkürlich zusammen.

»Du hast natürlich keine Angst vor Wolfhart, Tante Tabea!«, lacht Sabrina. »Dafür fürchtest du dich vor …«

»Pst!« Warnend legt Fräulein Tabea den Zeigefinger auf die Lippen. Sie ist blass geworden, aber sie fasst sich sofort wieder und sagt streng: »Jetzt verschwindest du am besten aus der Küche, Sabrina. Ich muss nämlich den Baumkuchen machen …«

»Tante Tabea!«, schmeichelt Sabrina. »Ich habe doch heute Geburtstag, und zu Geburtstagskindern muss man nett sein. Sei also nett, Tante Tabea, und sage mir ganz genau, was Wolfhart in dem Telegramm geschrieben hat!«

»Gewiss, mein Kindchen!«, versichert Fräulein Tabea. »Er hat geschrieben – er hat geschrieben …« Sie verstummt für eine Weile, um dann zu murmeln: »Man nehme das zu Schaum geschlagene Eiweiß von sieben frischen Hühnereiern …«

»Aber, Tante Tabea!«, unterbricht Sabrina sie lachend. »Das hat Wolfhart doch niemals telegrafiert!«

Verwirrt blickt Fräulein Tabea auf. »Ich wiederhole mein Baumkuchenrezept, damit ich keine Zutaten vergesse. Tu mir jetzt die einzige Liebe an, Sabrina, und lass mich mit dem Baumkuchen allein!«

»Sofort, Tante Tabea! Ich möchte ja nur noch wissen, warum alle Angst vor Wolfhart haben?«

»Zitronat!«, verkündet Fräulein Tabea, um sofort ärgerlich hinzuzufügen: »Du kannst mit deiner Fragerei den sanftesten Menschen aus der Ruhe bringen, Sabrina. Ich muss doch jetzt meinen Baumkuchen …«

Zärtlich schließt Sabrina Fräulein Tabea in ihre Arme und küsst sie liebevoll auf die Wange.

»Ich gehe ja schon, Tante Tabea! Großer Gott, im Grunde genommen bist du auch ganz verdreht, seit Wolfhart seine Rückkehr angekündigt hat.«

»Aber nicht aus Angst«, wehrt sich Fräulein Tabea sofort, »nur wegen des Baumkuchens. Für mich ist Seine Durchlaucht der großherzigste, gütigste und edelste Mensch unter der Sonne. So, und jetzt verschwinde, Sabrina, sonst …« Scherzhaft drohend erhebt sie den Schaumschläger, und Sabrina zieht sich schleunigst zurück.

In dem dunklen Flur, der von der Küche zur Halle und zu dem rückwärtigen Treppenaufgang des Schlosses führt, trifft Sabrina den Knecht Steff, einen frischen, jungen, stets heiteren Burschen, der gerade einen Korb Feuerholz in die Halle schleppt.

»Steff«, fragt Sabrina ohne Umschweife, »warum haben Sie Angst vor Fürst Wolfhart?«

»Habe ich das?«, fragt Steff lachend zurück. »Nun ja, vielleicht, gnädiges Fräulein, vielleicht habe ich Angst vor Seiner Durchlaucht, aber es ist schwer zu erklären, warum.«

Seine Stirn kraust sich, so angestrengt denkt er nach. »Für mich ist Seine Durchlaucht eben der ernsteste und herrischste Mensch unter der Sonne.«

Damit will Steff an Sabrina vorbei, aber diese hält ihn am Ärmel seiner grünen Joppe fest.

»Haben Sie in der vergangenen Nacht Tante Tabea wieder erschreckt?«, fragt sie halb lachend, halb ernsthaft.

Trotz des Dämmerlichtes, das im Flur herrscht, erkennt Sabrina ganz deutlich, dass eine tiefe und verräterische Röte in Steffs frische Wangen steigt. Aber er macht dabei runde Unschuldsaugen und versichert treuherzig: »Wo denken Sie denn hin, gnädiges Fräulein! Ich war es diesmal nicht! Auf meine Ehre, gnädiges Fräulein, ich war es nicht!«

»Aber Sie wissen, wer oder was es war?«, forscht Sabrina unbarmherzig weiter.

»Gott bewahre.« Steff schüttelt bekümmert seinen Rotschopf. »Dass Fräulein Tabea aber auch eine so schreckliche Angst vor Gespenstern hat, kann ich nicht verstehen«, bemerkt er noch grinsend, um dann mit seinem Holzkorb Sabrina zu entschlüpfen.

Diese verharrt an der Treppe, die unmittelbar vom Flur zu den oberen Stockwerken des Schlosses führt. Als sie aber Fine das Lied vom Heideröschen singen hört, eilt sie entschlossen die knarrende Holzstiege hinauf.

Im Korridor des Obergeschosses hockt Fine, umgeben von den Jagdstiefeln Seiner Durchlaucht, auf einem Schemel und rückt mit einer gewaltigen Stiefelbürste dem Leder zu Leibe, dass es eine wahre Pracht ist. Dabei singt sie falsch und laut.

Als Sabrina sich ihr jetzt nähert, bricht ihr Gesang mit einem Schreckenslaut ab, und polternd fällt die Stiefelbürste zu Boden.

»O heilige Gertrude!«, stammelt Fine. »Haben Sie mich jetzt aber erschreckt, gnädiges Fräulein!«

»Sie werden doch nicht auch an Gespenster glauben wie Tante Tabea?«, meint Sabrina lachend. »Fine, ich möchte Sie etwas fragen …«

»Ja, gnädiges Fräulein?«

»Fine«, forscht Sabrina ernsthaft, »warum haben Sie Angst vor Seiner Durchlaucht?«

Fine wird rot, zieht den Kopf ein bisschen ein und meint erst nach einer Weile unschlüssig: »Angst habe ich nicht richtig, gnädiges Fräulein, ich habe nur einen Heidenrespekt vor Seiner Durchlaucht.« Sie zuckt die rundlichen Schultern und fügt zögernd hinzu: »Für mich ist der Herr eben der finsterste, nein, der traurigste Mensch unter der Sonne. Er lacht nie, er scherzt nie, und er sieht einen immer so merkwürdig an.«

Eine kleine Weile ist es still.

»Sonderbar«, sagt Sabrina plötzlich versonnen, »bei mir war Fürst Wolfhart immer heiter und …«

»Ja, zu Ihnen, gnädiges Fräulein!«, stimmt Fine zu und bearbeitet eifrig das Leder der Jagdstiefel. »Sie sind ja auch der Augapfel Seiner Durchlaucht. Aber sonst ist Seine Durchlaucht immer so unzugänglich, wortkarg und todtraurig, dass man sich in seiner Gegenwart nicht einmal zu niesen getraut.«

Sie richtet sich ein wenig auf, und ihr rundes, frisches Gesicht wirkt ausgesprochen komisch, als es sich jetzt in düstere Falten zieht.

»Ich glaube, dass Seine Durchlaucht an einem Kummer krankt, dass er ein Geheimnis mit sich herumschleppt …«

Sie kommt nicht weiter, denn Sabrinas glockenhelles Lachen unterbricht ihren Satz.

»Sie lesen zu viele Romane«, sagt Sabrina dann. »Nein, nein, Fine, Wolfhart soll an einem Kummer kranken und ein Geheimnis mit sich herumschleppen? Niemals!«

Gekränkt wendet Fine da ihre Aufmerksamkeit wieder den Jagdstiefeln zu und meint:

»Ich glaube, da gibt es gar nichts zu lachen, gnädiges Fräulein. Ganz im Gegenteil! Warum, frage ich, müssen alle Leute bei Dienstantritt unterschreiben, dass sie sich mit niemand in der Umgebung über das Schloss, seine Bewohner und die Vergangenheit des Schlosses unterhalten werden?«

»Ach, das geschieht nur deshalb, weil Wolfhart das Gerede der Leute hasst«, weicht Sabrina aus.

»Möglich, gnädiges Fräulein. Aber mir ist da etwas nicht geheuer. Meine Nase wittert ein Geheimnis.« Dabei reckt Fine ihre Stupsnase schnuppernd in die Luft. »Warum glaubt etwa Fräulein Tabea, die doch sonst eine sehr vernünftige und gescheite Frauensperson ist, an Gespenster? Und warum wurde vor Jahren die gesamte Dienerschaft entlassen? Warum hat man, mit Ausnahme von Fräulein Tabea und dem alten Sönke, lauter neue Leute eingestellt?«

Sabrina steht diesen Fragen hilflos gegenüber.

»Ich weiß es nicht«, gesteht sie ehrlich, »aber ich werde Fürst Wolfhart fragen, wenn er wieder hier ist.«

Damit überlässt sie Fine ihrer Arbeit und eilt wieder die Treppe hinauf. Sie ist fest entschlossen, nun auch noch den alten Sönke zu fragen, warum er sich nicht auf die Rückkehr Seiner Durchlaucht freut.

Sie trifft Sönke auf dem Speicher, wo der Alte damit beschäftigt ist, die Fahne der Fürsten von Ravenhill zu entfalten. Es ist eine wunderschöne Fahne. Auf moosgrünem Grund schimmert silbern das Wappen der Ravenhills – ein Falke auf gekreuzten Degen.

»Die Fürsten von Ravenhill«, bemerkt Sönke, während er mit behutsamen Händen den kostbaren Stoff glättet und an der Fahnenstange befestigt, »die Fürsten von Ravenhill waren früher hervorragende Falkner. Ich habe es selbst erlebt, wie …«

Sabrina weiß aus Erfahrung, dass Sönke nicht so rasch vom Thema abzubringen ist, wenn er einmal ins Erzählen geraten ist. Darum fragt sie rasch: »Sönke, warum haben Sie Angst vor Seiner Durchlaucht?«

»Angst?«, fragt Sönke zurück, lacht dröhnend und gibt die Fahne dem Wind frei. »Ich sollte Angst vor Seiner Durchlaucht haben? Nein, ich habe keine Angst vor Seiner Durchlaucht, gnädiges Fräulein! Ich habe nur Mitleid mit ihm, denn es ist nicht zu ertragen, sehen zu müssen, wie er sich verändert hat, seit …«

»Seit?«, forscht Sabrina, atemlos vor Spannung und innerer Erregung.

Aber Sönke antwortet ihr nicht. Er zieht seine Schnupftabakdose aus der Joppe und genehmigt sich eine Prise.

»Diese Tabakdose«, bemerkt er dabei, »hat mir der alte Fürst noch geschenkt. Ich sehe ihn noch vor mir stehen, den Falknerhandschuh übergestreift und bebend vor Erregung, ob der Vogel sich in die Lüfte erheben oder zu ihm zurückkehren werde.«

»Sie leben immer nur in der Vergangenheit, Sönke«, sagt Sabrina leise.

Der alte Sönke wirft ihr unter seinen buschigen weißen Brauen einen sonderbaren Blick zu.

»Es ist besser, in der Vergangenheit zu leben«, antwortet er, »als in dieser lausigen Gegenwart.« Nach diesen Worten wendet er sich ab und stapft zur Speichertür. Die Holzstiegen der Treppe knarren unter seinen schweren Schritten.

Dann wird es still. Nur die Fahne der Fürsten von Ravenhill mit dem silbernen Falken auf grünem Grund flattert im Herbstwind, der übers Moor gezogen kommt.

Sabrina beugt sich aus dem niederen Fenster.

Der Dachfirst des Schlosses springt an dieser Stelle weit vor, sodass sie nur ein Zipfelchen blühender Erika, ein Stück des braunen Moores und den Himmel sehen kann. Sonderbar, denkt sie dabei, jeder sieht Wolfhart anders, Tante Tabea behauptet, er sei der großherzigste, gütigste und edelste Mensch unter der Sonne, Steff meint, dass Wolfhart ernst und herrisch sei. Fine erklärt, er sei todtraurig, kranke an einem Kummer und schleppe ein Geheimnis mit sich herum, und Sönke hat Mitleid mit ihm. Ich aber – ich habe ihn ganz einfach lieb!

In diesem Augenblick wird auf der Fahrstraße, die die Heideinsel mit dem Moordorf verbindet, eine schwarze Limousine sichtbar, und Sabrina glaubt, ihr Herzschlag setze aus.

Ein heißes, schwindelndes Glücksgefühl packt sie, und eine Stimme jubelt in ihrem Herzen: Wolfhart kehrt heim!

Sie eilt über den Speicher und jagt die Treppe hinunter.

»Seine Durchlaucht kommt!«, verkündet sie der bestürzten Fine, die vor Schreck prompt wieder die Stiefelbürste fallen lässt. »Seine Durchlaucht kommt!«, ruft sie Steff zu, der sich mit seinem Holzkorb daraufhin schleunigst aus der Halle in die Küche zurückzieht, unter deren Tür Fräulein Tabea mit hochrotem Kopf erscheint. »Wolfhart kommt, Tante Tabea!«, jauchzt Sabrina wieder.

Fräulein Tabea schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

»Und mein Baumkuchen ist noch lange nicht fertig!«, klagt sie mit Grabesstimme.

Sabrina aber stürzt durch die Halle, reißt das Hauptportal auf und stürmt die Freitreppe des Schlosses hinunter, vor der gerade die schwarze Limousine anlangt.

Jubelnd, glückselig begrüßt sie den heimkehrenden Fürsten, aber als ihre frischen Lippen zärtlich seine Wangen berühren, zuckt er unmerklich zusammen.

*

Nur einen winzigen Schritt tritt Fürst Wolfhart zurück, aber durch diese kleine Geste öffnet sich gleichsam ein Abgrund des Fremdseins zwischen ihm und seinem Mündel.

Fassungslos blickt Sabrina den Mann an, denn sonst hat er sie immer liebevoll in seine Arme geschlossen, wenn er von einer seiner großen Reisen in das Schloss seiner Väter heimkehrt, er hat sie immer herzlich auf die Stirn geküsst, ihr braunes Haar gestreichelt und ihr scherzhaft versichert, dass er es vor Sehnsucht nach ihr in der Fremde fast nicht mehr ausgehalten habe.

Heute aber ist alles anders!

Fürst Wolfhart verbeugt sich nur leicht vor Sabrina. Er reicht ihr nicht einmal die Hand, und er spricht kein einziges Wort. Ein paar Sekunden lang hat Sabrina das schreckliche Empfinden, der Himmel müsse einstürzen oder die Erde sich auftun.

»Wolfhart, was – was ist?«, fragt sie tonlos. Ihre Lippen beben, und sie fürchtet, in Tränen auszubrechen. Seit am Vorabend das Telegramm eintraf, das überraschend die Ankunft des Fürsten meldete, hat sie sich auf das Wiedersehen mit ihm gefreut. Und jetzt?

Hoch aufgerichtet steht Wolfhart Fürst von Ravenhill vor ihr, streicht sich eine Strähne des dichten dunklen Haares aus der Stirn und – schweigt. Sein ausdrucksvoller Mund ist fest geschlossen und das Kinn ein wenig vorgestreckt. Die ebenmäßigen Brauenbögen leicht zusammengezogen, sodass eine steile Falte in seine Stirn wächst, verharrt er nun reglos vor Sabrina. Die sonnengebräunte Haut über den Backenknochen spannt sich an, als wenn er einen Schmerz erleide, aber seine dunklen sprechenden Augen sind unverwandt auf das Mädchen gerichtet.

»Wir haben die Fahne gehisst!«, murmelt sie zusammenhanglos. »Wir haben uns so auf dich gefreut. Dein Falke grüßt dich …«

Fürst Wolfhart zuckt unmerklich zusammen. Er hat sich jedoch sofort wieder in der Gewalt. Nur seine hünenhafte Gestalt wirkt jetzt noch stolzer, ablehnender und einsamer als zuvor.

In diesem Augenblick erscheint Fräulein Tabea unter dem Schlossportal. »Willkommen, Durchlaucht! Willkommen daheim!«

Auch dem alten Fräulein reicht Fürst Wolfhart nicht die Hand.

»Warum haben Sie die Fahne hissen lassen, Fräulein Tabea?«, fragt er fast schroff, und dies sind die ersten Worte, die er spricht. »Sie wissen, ich liebe derlei Dinge nicht!«

Fräulein Tabeas freudiges Gesicht erstarrt vor Schreck.

Wortlos schreitet Fürst Wolfhart nun an Sabrina und Fräulein Tabea vorüber, die Freitreppe empor. Das schmiedeeiserne Portal schließt sich Sekunden später hinter seiner hohen Gestalt, während sich Fräulein Tabea und Sabrina stumm und bestürzt gegenüberstehen.

»Ach, du liebe Güte!«, seufzt Fräulein Tabea schließlich. »Das fängt ja gut an!«

Sabrinas Augen sind blind von Tränen der Enttäuschung, und dieser Tränenschleier lässt alles vor ihrem Blick seltsam in sich verschwimmen: die blühenden Blumen auf der Heide, den hellen Himmel und Tante Tabeas weißes Spitzenhäubchen.

»Tante Tabea!«, schluchzt sie plötzlich laut auf. »Oh, Tante Tabea!«

Bekümmert schüttelt das alte Fräulein den Kopf, aber die grauen Augen hinter den funkelnden Brillengläsern sind sonderbar wissend, als wollten sie gleichsam zum Ausdruck bringen, dass sie sich die Ankunft des Fürsten gar nicht anders vorgestellt habe. »Die Fahne!«, murmelt sie. »Der silberne Falke …« Dann rafft sie sich auf, geht zu der vor grenzenloser Enttäuschung weinenden Sabrina und schließt sie mütterlich in ihre Arme. »Weine nicht, Sabrina, hörst du? Weine nicht, mein armer Liebling, denn Tränen ändern nichts. Ich meine es gut mit dir, Liebling! Komm!« Sanft versucht sie, Sabrina die Freitreppe emporzuführen.

»Warum«, schluchzt sie, »ist Wolfhart so – so anders, Tante Tabea?«

Das alte Fräulein senkt den grauhaarigen Kopf, und ihr weißes Spitzenhäubchen glänzt im Sonnenlicht. »Frage mich nicht, Liebling!«, bittet sie leise. »Komm jetzt mit mir ins Haus!«

Aber Sabrina schüttelt leidenschaftlich den Kopf. Sie kann jetzt nicht einfach ins Haus gehen und tun, als sei nichts geschehen. »Sei mir nicht böse, Tante Tabea«, flüstert sie mit tränenerstickter Stimme. »Ich muss mir jetzt frischen Wind um die Ohren wehen lassen.«

»Aber lauf nicht so weit ins Moor hinaus«, ruft Fräulein Tabea ängstlich. Sie fürchtet das Moor. So sehr sie die Heideinsel und das Schloss liebt, in dem sie nun schon fast ein Menschenleben verbrachte, so sehr fürchtet sie das Moor …

Nördlich des Schlosses Ravenhill dehnt sich die Insel gut eine Stunde weit aus, bis die Moorgrenze beginnt. Im Süden hingegen hat das Moor seine braunen starren Wogen im Laufe der Jahre weit über die Insel gespült, und Fräulein Tabea hat schon oft düster prophezeit, dass die ganze Insel eines Tages mitsamt dem Schloss versinken müsse, falls nicht bald etwas gegen das Moor unternommen werde.

Sabrina seufzt unbewusst, als sie an der Moorgrenze steht. Tante Tabea hat recht, sinnt sie. Man müsste etwas gegen das Moor unternehmen, man müsste Gräben, Kanäle und Staudämme bauen und das Oberwasser regeln, sodass es die Wiesen tränkt. Ich werde Wolfhart fragen, warum er es nicht tut.

Sie erschrickt unwillkürlich bei diesem Gedanken. Früher hätte sie eine solche Frage bedenkenlos an den Fürsten gerichtet. Aber wenn er so kühl, fremd und ablehnend zu ihr bleibt, wie er es bei seiner Ankunft war, dann wird sie es wohl nie mehr wagen können, unbefangen mit ihm zu plaudern.

Sie steht reglos still, schließt flüchtig die Augen und sieht wie in einer Vision das Moorland vor sich, wie es ausschauen würde, wenn man es urbar machen wollte: Kanäle, auf denen bunte Boote schwimmen, saubere Häuser aus roten Ziegelsteinen am Uferrand, kleeduftende Wiesen, auf denen Kühe weiden, wogende Kornfelder und die Silhouetten einsamer Mühlen.

Aber als sie die Augen wieder öffnet, liegt nur die schwarzbraune, düstere Einöde vor ihr, deren Schwermut ans Herz greift und einen wahrhaft an Gespenster glauben lässt, wie Fräulein Tabea immer behauptet.

Als Sabrina wieder zum Schloss zurückkehrt, wehen schon die silbernen Schleier der Dämmerung über der blühenden Heide, und von der Kirche des Moordorfes her ruft es das Ave.

So, wie heute die Dämmerung kommt, sinnt Sabrina, ist sie schon vor hundert Jahren über die Insel gezogen, damals, als die Fürsten Ravenhill noch ein regierendes Haus waren. Wolfhart hat mir einmal erzählt, dass es das Ziel seiner Ahnen gewesen sei, das Moor zu bebauen, ein zu jenen Zeiten unerreichbares Ziel. Aber in der technisierten Gegenwart wäre es durchaus möglich gewesen. Warum nur, fragt sie sich, lässt Wolfhart es zu, dass die Insel stirbt?

Sie schüttelt unwillkürlich den Kopf. Sie weiß, es hat keinen Sinn, über derlei Fragen nachzugrübeln. Aber wie immer, wenn etwas sie zutiefst bewegt, sucht sie Trost und Zuflucht bei ihrer Geige. Das Musikzimmer ist Sabrinas Zuflucht.

Mit behutsamen Händen löst sie das kostbare Instrument aus seiner violetten Samthülle und betrachtet es zärtlich. Eine ganze Weile steht sie reglos und versonnen da und lauscht der seltsamen Melodie ihres Herzens, die sie sich nicht zu deuten weiß. Bisher war immer alles klar, licht und geordnet in ihrem jungen Leben. Warum nur ist mit einem Mal alles anders geworden?

Sabrina zögert, als fürchte sie sich davor, der Melodie in ihr Ton und Klang zu verleihen, aber dann setzt sie doch langsam das Instrument an, ergreift den Bogen und führt ihn zart über die schwingenden Saiten. Sie schließt die Augen, und die Umwelt versinkt für sie.

Es ist eine sonderbare Weise, der Sabrina Leben verleiht. Sie malt in schwermütigem Moll die trostlose Öde des Moorlandes, um später jedoch in jubelnde Durtöne überzugehen. Sabrina hält die Augen geschlossen und versenkt ihr ganzes Fühlen und Sein in die Melodie, die sie ihrer Geige entlockt. Erst als der letzte Ton verklungen ist, öffnet sie, wie aus einem tiefen Traum erwachend, langsam ihre Lider.

»Das war schön, Moorprinzesschen!«, sagt da eine wohlklingende dunkle Männerstimme.

Unter der Tür zur Halle steht Fürst Wolfhart.

»Verzeih mir«, bittet er herzlich, »dass ich dich belauscht habe, aber ich konnte nicht widerstehen.«

Wie gebannt ruhen seine dunklen sprechenden Augen auf der liebreizenden Erscheinung Sabrinas.

»Hast du erkannt, was ich spielte, Wolfhart?«, fragt Sabrina tief atmend.

Fürst Wolfhart lächelt. »Natürlich! Das Moor und die Heide.«

Sabrina nickt ernsthaft. »Du erkennst immer, was ich spiele«, sagt sie einfach. »Auch als ich noch ein Kind war, wusstest du immer ganz genau, was ich mit meiner Geige sagen wollte. Weißt du noch, wie ich einmal den Schneesturm in einer Melodie malte?«

»Ich weiß, Moorprinzesschen«, antwortet Fürst Wolfhart.

»Oder den Hagelschlag während eines Frühlingsgewitters. Erinnerst du dich noch daran, Wolfhart?«

»Ich habe nichts vergessen, Sabrina.«

Während dieser kurzen seligen Zeitspanne, da sich Fürst Wolfhart und Sabrina in dem dämmrigen Musikzimmer gegenüberstehen, ist alles wie früher, ist alles gut. Sabrina atmet tief auf und legt die Geige sanft in die violette Samthülle zurück.

»Warum tust du nichts gegen das Moor, Wolfhart?«, fragt sie dann. »Man müsste es bekämpfen, müsste fruchtbares Land schaffen, Kanäle ziehen und neues Leben in der trostlosen Öde erwecken. Du kannst das, Wolfhart, warum tust du es nicht?«

Während Sabrina noch spricht, hat sich Fürst Wolfharts Haltung unmerklich verändert. Seine Schultern sind jetzt gestrafft, seine Hände zu Fäusten geballt, und in die vorgewölbte Stirn wächst eine steile, unheilverkündende Falte.

»Lass das Moor ruhen!«, sagt er schroff und gebieterisch.

Erschrocken blickt Sabrina auf.

»Verzeih, Wolfhart! Ich wollte dich nicht verletzen. Der Gedanke kam mir nur, als ich über die Heide streifte und die Moorgrenze erreichte. Es ist böse, das Moor, finster, tückisch und drohend.«

Brüsk wendet sich Fürst Wolfhart ab, ohne Sabrina zu Ende sprechen zu lassen. Er kehrt durch die Halle in den Speisesaal zurück und berührt ungeduldig den silbernen Gong, mit dem er anzuzeigen pflegt, dass er die Mahlzeit wünscht.

Sofort kommt Fräulein Tabea angehastet und versichert eifrig: »Es ist alles bereit, Durchlaucht! Wenn Sie wünschen, kann sofort aufgetragen werden.«

Fürst Wolfhart nickt knapp zum Zeichen seiner Zustimmung, dann nimmt er an der Tafel Platz.

Es ist in Schloss Ravenhill eigentlich Sitte, dass Fräulein Tabea das Abendbrot gemeinsam mit dem Schlossherrn und Sabrina im Speisesaal einnimmt, aber heute hat Fürst Wolfhart die treue Hausbesorgerin nicht aufgefordert, ein Gedeck für sich aufzulegen. So sitzen sich Sabrina und Fürst Wolfhart wenig später allein an der festlich gedeckten Tafel gegenüber.

Schweigend nehmen sie die liebevoll bereitete Mahlzeit ein. Fürst Wolfhart richtet nicht ein einziges Mal das Wort an Sabrina, und diese wagt nicht, das Schweigen zu brechen.

Als abgetragen ist, verbeugt sich Fürst Wolfhart kurz und höflich vor Sabrina. Er erhebt sich und schreitet ihr voran zur Halle, aber Sabrina folgt ihm nur zögernd, denn sie fürchtet sich vor diesem gemeinsamen Abend, an dem Wolfhart doch seine Rückkehr mit ihr feiern will.

Der Schlossherr lässt sich in einem der tiefen Sessel am prasselnden Kaminfeuer nieder, öffnet die Champagnerflasche und schenkt ein. Dann erhebt er sich, ergreift sein Glas und sagt ernst:

»Du bist nun achtzehn Jahre alt geworden, Sabrina. Lass mich dir zu diesem bedeutungsvollen Tag Glück und Gottes Segen wünschen!«

Während eines Herzschlags Länge leuchtet in seinen Augen die alte, innige Zärtlichkeit auf, aber dann verschließt sich sein Blick wieder, und mit einem kühlen Lächeln trinkt er Sabrina zu.

Dann sitzen sie sich schweigend und fremd in den tiefen Sesseln gegenüber. Es ist sehr still. Nicht einmal eine Uhr tickt, nur das Kaminfeuer knackt und prasselt leise.

»Mit dem heutigen Tag«, beginnt Fürst Wolfhart endlich, »endet meine Vormundschaft für dich, Sabrina. Du kannst über dein ferneres Leben bestimmen, und es liegt ganz in deinem eigenen Ermessen, wie du dir deine Zukunft gestalten willst. Ich habe dich zu mir genommen, als du neun Jahre alt warst, Sabrina. Wahrscheinlich kannst du dich an die Einzelheiten jener schrecklichen Nacht, die deinen Eltern das Leben kostete, nicht mehr erinnern, denn ich habe ganz bewusst vermieden, mit dir jemals darüber zu sprechen und jene Erinnerung zu wecken.«

Sabrina hat sich ein wenig vorgeneigt. Gespannt und erregt lauscht sie den Worten Fürst Wolfharts, der gerade ernst sagt: »Das Flugzeugunglück ereignete sich an der Stadtgrenze von San Francisco. Die Insassen der Unglücksmaschine fanden bis auf den Piloten, dich und mich den Tod. Auch deine Eltern mussten ihr Leben lassen, denn dein Vater begleitete mich auf meiner Konzerttournee durch Amerika, und er liebte seine junge Gattin und sein Töchterchen so zärtlich, dass er sich von beiden nicht für längere Zeit trennen wollte. Er war ein großer, begnadeter Künstler, Sabrina, und ich habe niemals mehr jemanden so herrlich Geige spielen hören wie Marcus Mauri, deinen Vater.«

Wieder ist es für eine Weile still in der großen Halle von Schloss Ravenhill. Sabrina wagt fast nicht zu atmen, als sie Fürst Wolfhart weitersprechen hört.

»Du warst ein hilfloses, kleines Menschenkind, Sabrina, eine Waise. Ich zählte damals siebenundzwanzig Jahre und war trotz meiner beginnenden Erfolge einsam, verbittert und menschenscheu. Ich nahm mich deiner an, brachte dich in Fräulein Tabeas Obhut und übernahm die Vormundschaft für dich, da du keine Verwandten hattest. So wurdest du mein Mündel, Sabrina, und ich habe mich in den vergangenen Jahren aufrichtig bemüht, meine Pflichten als dein Vormund nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen. Du bist wohlbehütet in der Geborgenheit des Moorschlosses aufgewachsen, Sabrina. Ich habe dir eine gute Erziehung angedeihen lassen und das Vermögen, das dir dein Vater bei seinem Tod hinterließ, treu verwaltet. Du verfügst mit dem heutigen Tag über genügend Mittel, um dir eine Existenz nach deinen Wünschen aufzubauen. Ich weiß nicht, welche Pläne du für deine Zukunft hast, aber ich bin gern bereit, dir zu raten, falls du mich in diese Pläne einweihen willst. Wahrscheinlich wirst du das Moorschloss sofort verlassen wollen, um endlich einmal die Welt kennenzulernen. Selbstverständlich steht diesem Wunsch nichts im Wege.«

Sabrina empfindet in diesem Augenblick nichts als Schmerz. Ihre Hände umklammern die Lehne des Sessels, und die Stimme will ihr kaum gehorchen, als sie die Lippen öffnet, um zu sprechen. Tonlos fragt sie endlich: »Ich muss – muss Schloss Ravenhill verlassen?« Das ist das Einzige, was sie den guten, wohlgemeinten Worten des Fürsten entnimmt.

Erstaunt blickt dieser auf. »Du hast mich völlig missverstanden, Sabrina«, erwidert er lächelnd. »Schloss Ravenhill ist nach wie vor deine Heimat und soll immer deine Heimat bleiben, hörst du? Aber die Vermutung, dass du die Einsamkeit des Moorschlosses mit der bunten Betriebsamkeit der Welt vertauschen willst, ist doch naheliegend, nicht wahr?«

»Aber wo – wo soll ich denn hingehen?«, stammelt Sabrina mit zuckenden Lippen, und Tränen verdunkeln ihren Blick. »Ich habe doch niemanden auf der ganzen Welt außer dir.«

Fürst Wolfharts Lächeln vertieft sich. »Das wird sich bald ändern, Moorprinzesschen«, sagt er leise. Es soll scherzhaft klingen, aber heimliche Wehmut verschleiert die dunkle Stimme des Fürsten. »Warte nur, bis du die ersten Schritte in die Welt getan hast!«

»Aber ich will doch gar nicht fort vom Moorschloss!«, schluchzt Sabrina. »Ich will immer – immer hierbleiben, bei Tante Tabea, bei den Pferden, der Heide und – und bei dir!«

Fürst Wolfhart umgeht eine direkte Antwort auf dieses leidenschaftliche Bekenntnis. »Lass uns die Gläser erheben, Sabrina!«, sagt er herzlich. »Lass uns auf deine Zukunft trinken, die mit dem heutigen Tag begonnen hat!«

Gehorsam leert Sabrina ihr Glas, aber das köstliche Getränk mundet ihr nicht, sondern erscheint ihr schal und ohne Geschmack. Noch immer rinnen heiße Tränen aus ihren Augen.

»Warum – warum bist du so anders zu mir, Wolfhart?«, fragt sie schließlich gequält.

Ein Schatten huscht über seine ausgeprägten Züge. »Verzeih, Moorprinzesschen!«, bittet er sanft. »Früher warst du ein Kind. Auch das letzte Mal, als ich vor drei Jahren hier war, warst du noch ein Kind. Jetzt aber bist du eine erwachsene Dame, und diese Tatsache ändert alles.«

»Das begreife ich nicht!«, begehrt Sabrina auf. »Hast du mich deshalb nicht mehr lieb, Wolfhart?«

Fürst Wolfhart antwortet nicht, sondern starrt ins Feuer, und es ist, als erschauten seine Augen in dem zuckenden Flammenspiel längst versunkene Bilder, deren grenzenlose Traurigkeit ihn bitter werden lässt.

Tiefes Mitleid überströmt Sabrinas Herz. Sie möchte gut zu dem einsamen Mann sein, und es drängt sie, ihm wie früher tausend zärtliche Worte zu sagen.

Sie lächelt unter Tränen, beugt sich spontan vor, und ihre beiden Hände umschließen seine Rechte.

»Ich bin dir gut, Wolfhart«, sagt sie schlicht.

Er sieht sie seltsam an, dann zieht er seine Hand fast brüsk zurück und erhebt sich.

»Ich habe dir mein Mitbringsel noch gar nicht überreicht«, lenkt er kühl ab. »Gedulde dich bitte einen Augenblick, Sabrina.«

Als er wenig später in die Halle zurückkehrt, überreicht er ihr einen zauberhaften japanischen Kimono aus kirschroter Seide, der mit silbernen Blütenornamenten kunstvoll bestickt ist.

»Ich hoffe, dass er dir gefällt«, sagt er dabei förmlich.

Die Kälte seiner Worte lässt Sabrinas heiße Freude jäh ersterben.

*

Entgegen seiner ursprünglichen Absicht, nach der drei Jahre währenden Konzerttournee rund um die Erde nun für einige Monate auf Schloss Ravenhill auszuruhen, eröffnet Fürst Wolfhart dem bestürzten Fräulein Tabea am kommenden Vormittag, dass er die Heideinsel spätestens in acht Tagen wieder verlassen wolle.

»So schnell wollen Sie schon wieder von uns fort, Durchlaucht?«, fragt sie erschrocken. »Und ich dachte, Sie wollten diesmal einige Monate bei uns bleiben. Sie haben …«

»Ich habe meine Absicht eben geändert«, unterbricht Fürst Wolfhart sie schroff. »Warum haben Sie übrigens die Fahne noch nicht einholen lassen, Fräulein Tabea? Ich schätze es nicht, wenn ich Befehle wiederholen muss!«

»Jawohl, Durchlaucht!«, stammelt das alte Fräulein fassungslos. »Ich werde Sönke sofort Bescheid sagen.«

Liebevoll eilt Sabrina, die gerade das Speisezimmer betritt, Fräulein Tabea zu Hilfe. »Gib mir das Tablett, Tante Tabea«, bittet sie herzlich, »ich werde uns bedienen.«

»Vielen Dank, Sabrina«, murmelt Fräulein Tabea erleichtert.

Fürst Wolfhart verbeugt sich knapp vor seinem Mündel.

»Guten Tag, Sabrina!«, sagt er kühl und höflich.

»Hast du die erste Nacht im Moorschloss angenehm geruht?«, fragt Sabrina zaghaft.

»Danke, ja.«

Sein Verhalten ist keineswegs ermunternd, aber Sabrina ist verzweifelt bemüht, das Eis zwischen sich und ihm zu brechen.

Sie kann es einfach nicht fassen, dass die alte, vertraute Gemeinsamkeit für immer zerstört sein soll. Angestrengt sucht sie nach einem geeigneten Gesprächsthema und meint schließlich: »Der Turmhahn prophezeit herrliches Wetter. Werden wir auf die Jagd gehen, Wolfhart?«

Jetzt wirft der Fürst dem jungen Mädchen einen kurzen herrischen Blick zu. »Ich habe allerdings vor, morgen zur Jagd zu gehen«, erklärt er unmissverständlich.

Sabrina errötet über die schroffe Ablehnung ihrer Begleitung. Trotzdem versucht sie ein letztes Mal, eine Brücke über den Ozean des Fremdseins zwischen Wolfhart und sich zu schlagen, und sagt: »Sönke hat mir erzählt, dass die früheren Herren von Ravenhill hervorragende Falkner waren!«

»Sönke ist ein altes Waschweib!«, erwidert der Fürst unwirsch. »Glaube nicht an die Ammenmärchen, die er dir auftischt!«

Jetzt kann Sabrina den Tränen nicht mehr wehren, die heiß über ihre schmalen Wangen rinnen.

»Weine nicht!«, fordert Fürst Wolfhart da hart, und mit einer ungeduldigen Gebärde wischt er ein Brotkrümchen zur Seite. »Du bist viel zu sensibel, Sabrina, und es ist höchste Zeit, dass du aus dieser Abgeschiedenheit hier heraus und in die Welt kommst. Die Heideinsel ist zu still und zu einsam für ein junges Menschenkind wie dich. Du bist jetzt erwachsen, Sabrina, und musst dir dein eigenes Leben selbstständig aufbauen.«

Wie am Abend zuvor, so entnimmt Sabrina auch jetzt diesen Worten nur, dass sie die Geborgenheit des Moorschlosses verlassen und in die Fremde gehen soll. Grenzenlose Angst ergreift Besitz von ihr.

Wie aus weiter Ferne hört sie, wie Fürst Wolfhart ernst schließt: »Ich hoffe, du verstehst mich recht, Sabrina, und erkennst, dass ich nur dein Bestes will.«

»Jawohl, Wolfhart«, erwidert Sabrina leise. Sie hält jetzt den Blick auf den Teller gesenkt, damit Fürst Wolfhart die verräterischen Tränen nicht bemerken kann, die ihren Blick noch immer verdunkeln.

»Ich reise in einigen Tagen ab«, erklärt Fürst Wolfhart weiter und nimmt sich ein wenig von der köstlichen Pfirsichspeise, die Fräulein Tabea zum Nachtisch zubereitet hat. »Du hast also nicht mehr viel Zeit zu verlieren, um eine Entscheidung über dein zukünftiges Leben zu treffen, Sabrina, denn ich möchte, bevor ich gehe, deine Zukunftspläne wissen.«

»Jawohl, Wolfhart!«, sagt Sabrina noch einmal leise und ist fast erleichtert, als er seinen Teller zur Seite schiebt und sich höflich vor ihr verbeugt.

Kühl sagt er: »Ich möchte mich für eine Weile niederlegen, Sabrina. Bitte, lass dich in keiner Weise stören!« Nach diesen Worten erhebt er sich und geht auf die Tür zu, die in seine Zimmerflucht führt.

Sabrina presst fest ihre Lippen zusammen und steht ebenfalls auf. Ohne das übliche Gongzeichen zu geben, das in der Küche verkünden soll, dass der Tisch abgetragen werden kann, eilt sie aus dem Speisezimmer und durch die Halle ins Freie. Unter dem Portal verharrt sie sekundenlang ganz still und blickt über die Heideinsel, die sie so innig liebt und die ihre Heimat geworden ist.

Ich muss von hier fortgehen, hämmert ihr Herz in verzweifelter Qual. Ich muss die Insel und das Schloss verlassen und irgendwo in der Fremde unter gleichgültigen Menschen leben, denn so hat Wolfhart es bestimmt!

Vom Schmerz überwältigt, kann Sabrina keinen einzigen anderen Gedanken fassen, und wie betäubt steigt sie darum langsam die Freitreppe hinab und wählt einen verschlungenen Seitenpfad, der mitten durch die blühende Heide führt.

Nun, da sie ganz allein mit sich ist und von niemandem gesehen und gehört werden kann, schlägt sie beide Hände vor ihr schmales verstörtes Gesichtchen und weint herzzerbrechend.

Ich ertrage es nicht, von hier fortzugehen, gesteht sie sich. Ich werde sterben, wenn ich von alledem, was ich liebe, Abschied nehmen muss! Ich habe Angst vor der Fremde, ich kenne niemanden auf der ganzen Welt, und ich werde überall einsam sein!

Da aber bäumt sich verzweifelt ihr Stolz auf und richtet die boshafte Frage an sie, ob sie vielleicht zu feige sei, den Lebenskampf zu wagen. Lange genug, mahnt dieser Stolz, hast du Wolfharts Güte als etwas Selbstverständliches hingenommen, und nie hast du dir Gedanken darüber gemacht, dass du irgendwann einmal dein eigenes Leben bestehen musst. Es war sehr leichtsinnig von dir, fröhlich in den Tag zu leben und niemals an die Zukunft zu denken.

Schuldbewusst senkt Sabrina ihr Köpfchen. Sie ist gerecht und klarsichtig genug, um zu erkennen, dass sich Wolfhart lange Jahre hindurch selbstlos und gütig ihrer angenommen hat. Er hat ihr eine Heimat gegeben, hat ihr Geborgenheit geschenkt und eine gute Erziehung angedeihen lassen. Nun, da er wünscht, sie solle sich ihr eigenes, selbstständiges Leben aufbauen, darf sie sich nicht aus Abschiedsschmerz und Angst vor der Fremde gegen seinen Willen auflehnen.

Noch einmal rinnen ein paar Tränen über Sabrinas schmale Wangen, aber sie wischt sie energisch fort und flüstert vor sich hin: »Ich muss Wolfhart unendlich dankbar sein für alles, was er für mich getan hat. Er hat ja recht, ich bin kein Kind mehr, sondern ein erwachsenes Mädchen und muss es lernen, mich draußen im Leben zurechtzufinden.«

Als sie sich nun langsam umwendet, um ins Schloss zurückzukehren, umfasst ihr Blick noch einmal liebevoll und zugleich fast schon abschiednehmend das blühende Heideland. Sie blickt zum Schloss hin, das sie zärtlich und innig liebt, und ein wehmütiges Lächeln umspielt ihren jungen Mund.

Mit einem Mal drängt es sie, all das, was sie nun empfindet, ihrer Geige anzuvertrauen, und im gleichen Augenblick trifft sie wie ein Blitzstrahl die Erkenntnis, was sie in ihrem zukünftigen Leben einzig tun kann und wird. Sie will Geigerin werden, eine wirkliche, echte Künstlerin, so, wie Marcus Mauri, ihr Vater, ein Künstler war.

Sie will ihren Entschluss Fürst Wolfhart unverzüglich mitteilen.

Sie trifft den Fürsten in der Halle. Er steht an dem runden Klubtisch vor dem Kamin und ist damit beschäftigt, seine Jagdgewehre zu überprüfen.

»Ich möchte mit dir sprechen, Wolfhart«, sagt Sabrina leise, aber fest.

Der Fürst zeigt sich keineswegs überrascht.

Er macht eher den Eindruck, als habe er erwartet, dass Sabrina ihn aufsuche, um ihre Zukunftspläne mit ihm zu besprechen.

»Ich höre, Sabrina«, sagt er ruhig. »Hoffentlich stört es dich nicht, wenn ich meine Arbeit dabei zu Ende bringe?«

Sabrina schüttelt den Kopf mit dem langen, schweren Haar. »Gewiss nicht, Wolfhart!« Sie schweigt sekundenlang und sieht angespannt vor sich hin. Aber dann richtet sie sich auf und blickt den Fürsten voll und ernst an. »Wie du es gewünscht hast, Wolfhart, habe ich darüber nachgedacht, was ich beginnen könnte, um eine wirkliche Lebensaufgabe zu finden. Vielleicht hältst du meine Wünsche und mein Ziel für vermessen, aber ich glaube, dass ich den richtigen Weg gefunden habe. Ich – ich möchte Künstlerin werden!«

Fürst Wolfhart nickt, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen oder Sabrina anzusehen. Abermals wirkt er so, als habe er gar keine andere Mitteilung erwartet.

»Bist du dir darüber im Klaren, Sabrina«, fragt er ruhig, »was es bedeutet, sein Leben der Kunst zu verschreiben? Es bedeutet eiserne Arbeit, unermüdliches Streben nach Vollkommenheit, ewigen Kampf um Gestaltungskraft und in gewissem Sinne Ruhe- und Heimatlosigkeit. Wenn du Künstlerin werden willst, Sabrina, so, wie dein Vater ein echter, wirklicher Künstler war, musst du es lernen, auf viele Wünsche zu verzichten und deine ganze Persönlichkeit, dein ganzes Sein ausschließlich in den Dienst der Kunst zu stellen. Ich zweifle nicht daran, dass du Talent genug besitzt, um dich selbst aufzugeben und der Kunst ganz zu dienen. Aber wenn du diesen schweren, dornenvollen Weg beschreiten willst, musst du noch viel, viel lernen!«

Sabrina nickt. »Ich weiß, Wolfhart, und ich bitte dich, mir den Weg zu weisen, den ich gehen muss, um mein Ziel zu erreichen.«

Fürst Wolfhart öffnet rasch den Mund, als wolle er Sabrina einen Vorschlag unterbreiten, aber dann schließt er den Mund wieder und schweigt. Wollte er vielleicht sagen, dass niemand berufener dazu sein könne, Sabrinas reiches Talent zur Entfaltung zu bringen, als er, der große weltberühmte Dirigent Wolfhart Fürst von Ravenhill?

Wie um solchen Gedanken zu wehren, streicht er sich flüchtig über die Stirn und sagt rasch: »Ich kenne einen prächtigen Lehrer in Luzern, einen alten Musikprofessor. Wenn du bei ihm in die Lehre gehst, Sabrina, wirst du eines Tages vielleicht die Vollkommenheit deines Vaters erreichen können.« Rasch beugt er sich wieder über das leichte Jagdgewehr, das er in den Händen hält. »Ich werde ihm sofort schreiben, und wie ich meinen Walter Braman kenne, wird er hocherfreut sein, wenn ich ihm eine begabte Schülerin empfehle. Wenn er dir also recht ist, Sabrina, und wenn du mit meinem Vorschlag einverstanden bist, werde ich mich noch heute mit ihm in Verbindung setzen.«

»Ich bitte dich darum, Wolfhart«, sagt Sabrina leise. »Ich werde dir dankbar sein.«

Fürst Wolfhart nickt nachdenklich. Er legt das Jagdgewehr auf den Tisch zurück und greift zu einem schweren Hirschfänger. Dabei scheint er mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein.

Erschrocken richtet Sabrina sich auf, als Wolfhart in diesem Augenblick einen leisen Schmerzenslaut ausstößt.

»Was ist, Wolfhart?«, fragt sie bestürzt.

»Wie ungeschickt von mir«, murmelt er zornig. »Ich habe mich an der rechten Hand verletzt.«

Sabrina nimmt seine Rechte behutsam in ihre beiden Hände. Vom Daumenansatz zieht sich ein breiter, klaffender Schnitt bis zur Handwurzel hin.

»Um Gottes willen, deine Hand, Wolfhart!«, flüstert sie bebend. »Wie konnte das nur geschehen?«

Fürst Wolfhart gibt keine Antwort. Er zuckt nur stumm mit den Schultern und deutet auf den Hirschfänger, dessen Schneide tief in seine Hand gedrungen ist.

Die Wunde blutet heftig. Ängstlich blickt Sabrina zu Fürst Wolfhart empor, denn sie weiß, dass die Hände das kostbarste Gut des großen Dirigenten sind.

»Sei so lieb, Sabrina, und rufe Fräulein Tabea«, bittet Fürst Wolfhart und drückt sein Taschentuch auf die Wunde, das schnell von Blut durchtränkt ist. »Sie soll Verbandszeug mitbringen.«

Während Sabrina aus der Halle eilt, versucht Fürst Wolfhart, seine Hand zu bewegen. Aber diese schmerzt so sehr, dass er den Versuch gleich wieder aufgibt.

Und dann ist Fräulein Tabea zur Stelle.

»Mein Gott, wie konnte das nur geschehen?«, jammert sie, und als sie die Wunde sieht, entscheidet sie sofort: »Der Arzt soll kommen! Sönke soll sich gleich auf den Weg machen!«

»Unsinn!«, wehrt Fürst Wolfhart ab. »Wegen einer Schramme ruft man keinen Arzt!«

»Das ist mehr als eine Schramme, Durchlaucht!«, erwidert Fräulein Tabea und wirft einen grimmigen Blick auf den Hirschfänger. »Es könnte ja eine Sehne verletzt sein, und schon deshalb müssen wir den Arzt rufen!«

»Bitte, Wolfhart!«, schaltet sich auch Sabrina ein. »Tante Tabea hat recht! Es wäre schrecklich, wenn du durch einen solch dummen Zufall ernstliche Schwierigkeiten hättest.«

Da erhebt Fürst Wolfhart keinen Widerspruch mehr. Nur als Sabrina die Halle verlässt, um Sönke zum Arzt zu schicken, murrt er: »Einfach lächerlich, ein solches Theater um diesen unbedeutenden Schnitt zu machen!«

Fräulein Tabea achtet jedoch nicht auf seine Worte, sondern verbindet seine Hand ruhig weiter.

»Es wird höchste Zeit, dass wir endlich ein Telefon auf Schloss Ravenhill bekommen«, bemerkt sie schließlich. »Man ist im Ernstfall ja völlig von der Welt abgeschnitten. Ehe vor sechs Jahren die Leitung für Strom zu uns gelegt wurde, hausten wir ja zudem noch in ägyptischer Finsternis. Aber das Telefon ist wirklich eine dringende Notwendigkeit, gnädiger Herr, sonst ist man verkauft, verraten und verloren in diesem unheimlichen Gespensterschloss.«

»Gespensterschloss?«, fragt Fürst Wolfhart missbilligend und mit zusammengezogenen Brauen. »Ich glaube, liebes Fräulein Tabea, Sie scherzen.«

»Ich scherze nicht! Es ist nicht geheuer im Schloss. Früher habe ich ja nie etwas bemerkt, aber jetzt spukt es tatsächlich.« Sie dämpft ihre Stimme etwas, als fürchte sie sich, die unheimlichen Gespenster aufzuwecken. »In der bewussten Nacht von Freitag auf Samstag wird es immer unruhig im Falkenverschlag. Nicht nur ich habe es bemerkt, auch Sönke und die anderen. Wir haben einmal dort nachgesehen, aber wir konnten bei Tageslicht nichts entdecken. Alles stand an seinem Platz, die Kette der Falkenstange hing ruhig herab, und die Bretterwand, die zum Freigehege führt, war lückenlos vernagelt. Drei Nächte lang hielt Sönke damals im Verschlag Wache, doch es blieb alles ruhig. Aber in der Nacht des darauffolgenden Freitags begann es wieder. Es war schaurig! Die Kette rasselte, ein Krächzen ertönte, und dann klang es so, als wenn ein gefesselter Falke mit seinen Schwingen schlage und …

»Unsinn!«, unterbricht Fürst Wolfhart sie. »Es wird der Wind gewesen sein.«

»Das sagt Sönke auch«, gesteht Fräulein Tabea. »Aber merkwürdig ist doch, dass der Wind nicht weht, sobald Sönke in dem Verschlag schläft. Seither jedenfalls«, schließt sie ihren Bericht, »schläft Sönke vorsichtshalber jeden Freitag im Falkenverschlag, denn es wäre nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn die Leute erführen, dass es im Schloss tatsächlich spukt!«

»Und seit Sönke im Verschlag schläft, ist alles ruhig?«

»Nein!«, antwortet Fräulein Tabea mit noch immer gedämpfter Stimme. »Dann rumort es im rechten Schloss­turm, genau dort, wo früher immer der Falke saß.«

Fürst Wolfhart schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht an Gespenster«, sagt er schroff.

»Aber es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen wir Menschen uns nichts träumen lassen!«, widerspricht Tabea.

»Möglich«, gibt Fürst Wolfhart zu. »Warum haben Sie mir übrigens nie etwas von diesen – diesen Gespenstergeschichten mitgeteilt?«

»Ich wollte Sie nicht erschrecken, Durchlaucht«, erwidert sie. »Außerdem hätte ich damit wohl nichts daran geändert. Aber nachdem Sie nun einmal hier sind und …« In diesem Augenblick kommt Sabrina zurück, und Fräulein Tabea schweigt.

Als eine knappe Viertelstunde später der Arzt eintrifft und den Verband von Fürst Wolfharts Hand nimmt, ist die Wunde blaurot verfärbt und dick angeschwollen.

»Hinaus mit Ihnen, meine Damen!«, befiehlt der Arzt, dessen rotwangiges Gesicht unter dem weißen Haar eitel Wohlwollen und Zuversicht ausstrahlt. »Das hier ist eine Sache, die ausschließlich Männer angeht.« Er wartet, bis Sabrina und Fräulein Tabea sich widerstrebend zurückgezogen haben, dann wird sein heiteres Gesicht sehr ernst. »Das ist eine schmerzhafte Angelegenheit, Durchlaucht!«, sagt er unumwunden. »Sie haben Glück, wenn Sie an einer Blutvergiftung vorbeikommen. Ich werde mein Möglichstes tun. Ruhe und absolute Schonung, Durchlaucht, sind aber unerlässlich. Dabei müssen Sie möglichst jede Bewegung vermeiden, denn …«

»Ich reise in einigen Tagen ab und muss meinen Wagen chauffieren!«, unterbricht ihn Fürst Wolfhart gereizt. »Sehen Sie zu, dass bis dahin alles wieder in Ordnung ist!«

Der alte Arzt zieht es vor zu schweigen, aber bei sich denkt er, dass Fürst Wolfhart Glück hat, wenn er seinen Wagen vielleicht in drei Monaten wieder chauffieren kann.

*

Der Arzt behält recht. Fürst Wolfhart ist tatsächlich nicht in der Lage, an eine schnelle Abreise zu denken. Die Wunde eitert böse, und auch die geringste Bewegung schmerzt so sehr, dass der Schlossherr zu ständiger Untätigkeit verdammt ist. Seine zuweilen gereizte, zuweilen schwermütige Stimmung überträgt sich auch auf die übrigen Schlossbewohner.

Fräulein Tabea ist zwar rührend um den Fürsten bemüht, vermeidet es aber tunlichst, sich länger als unbedingt notwendig in seiner Nähe aufzuhalten, da sie vor einem plötzlichen Zornausbruch nie ganz sicher ist.

Nur Sabrina hält es unermüdlich und geduldig bei Fürst Wolfhart aus und erträgt jede seiner oft wechselnden Stimmungen in liebevoller Sanftmut. Sie wird es nie müde, mit ihm zu plaudern, ihm vorzulesen oder ihm auf der Geige vorzuspielen.

Dabei ergibt es sich ganz von selbst, dass Fürst Wolfhart beginnt, sie während des Spiels zu unterbrechen, auf kleine Fehler und Mängel in der Bogenführung aufmerksam zu machen oder sie auf einen nicht ganz richtigen Gestaltungsausdruck hinzuweisen. Und während dieser Stunden gemeinsamer intensiver Arbeit, die beiden bald zur lieben Gewohnheit wird, erwacht auch der alte, vertraute Ton wieder zwischen ihnen, und alles ist so, wie es früher war.

Aber sobald das Instrument schweigt, verschließt sich Fürst Wolfhart wieder vor Sabrina.

Dabei erkennt er ganz klar, dass Sabrina, die unter seiner Leitung jetzt jeden Tag mehrere Stunden lang eifrig übt, in ihrem Spiel technisch fast vollkommen ist. Ihre durch jahrelanges Musikstudium untermauerte, urwüchsige Begabung hat sie eine künstlerische Reife erlangen lassen, die es ihr ohne Weiteres möglich machen würde, bereits ihre ersten Konzerte zu geben.

Im Geheimen ertappt Fürst Wolfhart sich wiederholt dabei, dass er sich eine gemeinsame Tournee mit Sabrina ausmalt. Endlich könnte er wieder die Konzertstücke wählen, die er damals, am Beginn seiner Laufbahn, zusammen mit Sabrinas Vater spielte. Aber sobald seine Gedanken bei solchen Träumen angelangt sind, wird er noch schroffer, unzugänglicher und gebieterischer zu Sabrina.

So vergeht die Zeit, und sie vergeht wie im Fluge. Von einer Abreise des Fürsten ist nicht mehr die Rede. Seiner Agentur, die auf neue Abschlüsse drängt, teilt Seine Durchlaucht abweisend mit, dass er noch einige Zeit dringend der Ruhe und Schonung bedürfe. Der Sommer zieht vorüber. Der Herbst hält Einzug. Das Heidekraut ist verblüht und der Wind, der übers Moor gezogen kommt, ist rau und ungestüm. Tagelang ziehen schwere Wolken über das Land, Regen fällt, und es kommt den Menschen so vor, als wolle niemals mehr die Sonne scheinen.

An einem dieser stürmischen Herbsttage geschieht es, dass Sabrina mit ihrer Geige wieder einmal malt, wie sie ihre musikalischen Phantasien zu bezeichnen pflegt.

Obwohl Fürst Wolfhart es ihr streng untersagt hat, auf der Violine zu improvisieren, erhebt er heute keinen Einwand. Er verharrt reglos in dem gemütlichen Musikraum und lauscht ihrem Spiel.

Draußen zieht der Herbststurm übers Moor, und Sabrinas Geige zaubert in das warme lichte Zimmer die ausweglose Trauer der Natur, die sich zum Sterben anschickt.

»Sehr schön, Moorprinzesschen!«, lobt Fürst Wolfhart, als Sabrina den Bogen sinken lässt. »Versuche doch einmal, deine Improvisationen auf Notenpapier festzuhalten.«

»Glaubst du, ich würde das schaffen, Wolfhart?«, forscht Sabrina ängstlich. »Ich habe es noch nie versucht. Was ich so spiele, ist nur für den Augenblick bestimmt und eine Ausdrucksform meiner Stimmung.«

»Versuch es!«, bittet Fürst Wolfhart herzlich. »Ich helfe dir. Wiederhole das, was du eben gespielt hast, noch einmal.«

Er nimmt mit der gesunden Linken ein Notenblatt und hält den Bleistift bereit, um die ersten Töne auf das Blatt zu übertragen.

Sabrina setzt den Bogen an, aber es gelingt ihr nun, da sie bewusst wiederholen soll, was sie zuvor rein gefühlsmäßig gestaltet, nicht mehr, die richtigen Töne zu finden. Mutlos lässt sie nach einigen vergeblichen Versuchen das Instrument sinken.

»Ich kann es nicht!«, klagt sie. »Ich habe gewusst, dass ich es nicht kann, Wolfhart!«

Fürst Wolfhart hat jedoch bereits flüchtige Notenköpfe auf das Blatt gezeichnet. »Versuche das abzuspielen, Sabrina«, sagt er. »Ich glaube, so klang der Anfang deiner Improvisation.«

Erstaunt nimmt Sabrina das Notenblatt entgegen und spielt nach des Fürsten Aufzeichnung. Und tatsächlich, er hat den Anfang ihrer Malerei genau behalten.

Er wehrt aber lachend ab, als sie ihn bittet, das Stück zu vollenden.

»Versuche es nur selbst«, rät er. »Übung macht, wie du weißt, den Meister. Es wird eine gute Schulung für dich sein, wird dein musikalisches Gedächtnis stärken und deine bewusste Arbeit unterstützen.«

Von dieser Stunde an versucht Sabrina immer und immer wieder, das festzuhalten, was sie an Tönen fühlt und empfindet. Aber es will ihr nicht gelingen. Die Töne zerrinnen ihr unter den Händen, sobald sie versucht, diese durch schwarze Notenköpfe auf weißes Papier zu bannen.

In diesen Tagen gelingt es Fräulein Tabea auch, ihren großen Wunsch durchzusetzen. Fürst Wolfhart veranlasst noch vor Einbruch des Winters die Anlage einer Telefonleitung. Und als der elfenbeinfarbene Apparat endlich angeschlossen und griffbereit in der Halle steht, seufzt Fräulein Tabea erleichtert. »Gott sei Dank! Jetzt ist man im Ernstfall wenigstens nicht mehr völlig verraten und verloren!« Was sie aber unter einem Ernstfall versteht, das verschweigt sie wohlweislich.

*

In einer der nächsten Nächte fällt der erste Schnee. Als Fräulein Tabea am Morgen danach gegen acht Uhr die Fensterläden öffnet, ist die Heideinsel wie verwandelt. Der Wagen des Arztes, der gegen zehn Uhr zum Schloss kommt, hat bereits große Mühe, den richtigen Weg einzuhalten, um nicht unversehens von der Straße abzukommen.

Fürst Wolfhart erwartet den Arzt schon ungeduldig.

»Hoffentlich haben Sie mir heute etwas Gutes mitzuteilen, Doktor!«, empfängt er den alten Herrn. »Diese Untätigkeit macht mich langsam, aber sicher verrückt.«

»Schneepsychose!«, antwortet der Doktor heiter. »Das kennt man schon! Nie werden meine Patienten hier zu Lande ungeduldiger als dann, wenn der erste Schnee fällt.«

Sorgfältig befreit er die Hand des Schlossherrn von den Bandagen und untersucht die Wunde eingehend, und seine vergnügte Miene wird noch vergnügter.

»Ich glaube, wir haben es geschafft, Durchlaucht! Ich bin außerordentlich zufrieden. Sie dürfen die Hand natürlich noch nicht überanstrengen. Sie müssen sich immer noch schonen. Aber die Wunde hat sich prächtig geschlossen, und der Eiterherd ist ausgeheilt. Noch einige Tage Schonung, und Sie können sich hinter das Steuer Ihres Wagens setzen und in die Welt zurückkehren.«

»Danke!«, sagt Fürst Wolfhart. »Vielen Dank, Herr Doktor.«

Der Arzt verabschiedet sich, aber als er dann durch die Halle zum Hauptportal eilt, hält ihn Fräulein Tabea zurück.

»Wenn Sie doch schon einmal hier sind, Herr Doktor«, bittet sie, »dann könnten Sie auch gleich nach unserem Sönke sehen. Er gefällt mir gar nicht. Seit Langem klagt er über seine Gicht, aber jetzt hat er auch noch hohes Fieber. Vielleicht hört er auf Sie eher als auf mich.«