E-Book 1156 - 1160 - Jenny Pergelt - E-Book

E-Book 1156 - 1160 E-Book

Jenny Pergelt

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Beschreibung

Jenny Behnisch, die Leiterin der gleichnamigen Klinik, kann einfach nicht mehr. Sie weiß, dass nur einer berufen ist, die Klinik in Zukunft mit seinem umfassenden, exzellenten Wissen zu lenken: Dr. Daniel Norden! So kommt eine neue große Herausforderung auf den sympathischen, begnadeten Mediziner zu. Das Gute an dieser neuen Entwicklung: Dr. Nordens eigene, bestens etablierte Praxis kann ab sofort Sohn Dr. Danny Norden in Eigenregie weiterführen. Die Familie Norden startet in eine neue Epoche! E-Book 1: Undercover verliebt E-Book 2: Dr. Erik Bergers Lindenblatt E-Book 3: Nicht nur wegen Valerie E-Book 4: Wenn einem niemand glaubt … E-Book 5: Eine unglaubliche Geschichte

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Inhalt

Undercover verliebt

Dr. Erik Bergers Lindenblatt

Nicht nur wegen Valerie

Wenn einem niemand glaubt …

Eine unglaubliche Geschichte

Chefarzt Dr. Norden – Box 10 –

E-Book 1156 - 1160

Jenny Pergelt

Undercover verliebt

Hat Björn zu viel von ihr verlangt?

Roman von Pergelt, Jenny

Verschlafen blinzelte Katja Baumann in das grelle Licht der Deckenlampe.

»Entschuldige, mein Schatz«, sagte Hagen. »Ich wollte dich nicht wecken. Aber im Dunkeln konnte ich meine Sachen nicht finden.«

»Macht nichts«, nuschelte Katja schlaftrunken. »Wie spät ist es denn?«

»Kurz nach fünf.« Hagen setzte sich zu ihr aufs Bett und gab ihr einen sanften Kuss. »Versuch, wieder einzuschlafen, Liebes.«

Katja schüttelte den Kopf. »Nein, ich steh auch auf. Dann können wir noch zusammen frühstücken.«

»Tut mir leid, Katja, aber so viel Zeit habe ich nicht. Ich muss sofort los.« Hagen erhob sich und griff nach seiner Anzugjacke. Als er die Enttäuschung in Katjas Augen sah, sagte er schnell: »Aber am Samstag fange ich später an. Was hältst du dann von einem langen Frühstück im Bett?«

»Du musst Samstag auch arbeiten?«

»Ja, leider. Ich bin an einem wichtigen Fall dran. Sobald der abgearbeitet ist, wird es etwas ruhiger werden. Das verspreche ich dir.«

»Schon gut, Hagen. Mach dir meinetwegen nicht so viele Gedanken.«

Hagen kam zum Bett zurück. Zärtlich strich er seiner Liebsten eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht. »Deinetwegen mache ich mir aber sehr gern Gedanken. Und ginge es nach mir, würde ich wahrscheinlich nichts anderes mehr machen.«

Er überlegte kurz und sagte dann: »Ich werde am Samstag nur bis mittags arbeiten. Danach könnten wir noch etwas zusammen unternehmen.«

Hagen griff in seine Jackentasche und holte einen bunten Flyer heraus. «Hättest du vielleicht Lust, mit mir eine Vernissage zu besuchen? In der Galerie Kaminski stellt ein junger Künstler aus. Wir könnten auch die Nordens fragen, ob sie mitkommen möchten.«

»Ja … natürlich. Das ist eine gute Idee.« Katja setzte sich auf, griff nach der Werbung und warf einen flüchtigen Blick darauf. Sie war erstaunt über Hagens Angebot. Gerade eben sagte er noch, dass er am Samstag arbeiten müsse, und nun das? Es kam ihr seltsam vor, aber sie hatte nicht vor, sich darüber zu beklagen. Warum auch? Immerhin wollte Hagen mit ihr zusammen sein, weil sie ihm wichtiger war als seine Arbeit. Was wollte sie mehr?

»Wenn ich Fee nachher sehen, werde ich sie fragen, ob sie und ihr Mann mitkommen möchten.«

»Sehr schön.« Hagen gab ihr noch einen letzten Kuss, bevor er das Schlafzimmer verließ. Sekunden später hörte Katja das Zuschlagen der Wohnungstür.

Sie drehte sich auf den Rücken und starrte die Zimmerdecke an. Inzwischen war sie putzmunter, und an Schlaf war nicht mehr zu denken. Also würde sie aufstehen, sich fertigmachen und in die Behnisch-Klinik fahren.

Katja war die Assistentin von Chefarzt Dr. Norden. Die Arbeit gefiel ihr, und manchmal fühlte sie sich an ihrem Schreibtisch wohler als in ihrer Wohnung. Besonders dann, wenn sie sich so verlassen vorkam wie an diesem frühen Morgen. Dafür gab es keinen vernünftigen Grund. Dass Hagen nicht ständig bei ihr sein konnte und viel Zeit mit seinem Job verbrachte, hatte sie von Anfang an gewusst. Und, ja, er arbeitete härter und länger, als es vielleicht üblich war. Aber das änderte doch nichts an seinen Gefühlen für sie. Er liebte sie, daran gab es keine Zweifel. Also war doch alles in bester Ordnung. Katja seufzte. Und warum war sie dann so traurig?

Dr. Hagen Wolfram war promovierter Jurist und Staatsanwalt am Oberlandesgericht. Hier sorgte er dafür, dass Gauner und Kriminelle, denen das Gesetz egal war, ihre gerechte Strafe erhielten. Ihnen das Handwerk zu legen, war seine größte Passion. Kurz gesagt: Er liebte seine Arbeit.

Für ihn war sie immer das Wichtigste in seinem Leben gewesen. Das änderte sich erst, als ihm Katja Baumann über den Weg lief. Plötzlich erschien es ihm nicht mehr so toll, nur noch für seinen Beruf zu leben. Er vermisste Katja oft und wünschte sich dann nichts sehnlicher, als sie in seinen Armen halten zu können. Doch so leicht war das leider nicht. Seine beruflichen Pflichten durfte er nicht vernachlässigen. Wer sollte sich denn sonst darum kümmern?

Hin und her gerissen zwischen seiner Liebe zu Katja und seinem Pflichtbewusstsein, war ihm die Idee mit der Galerie gekommen. Der Besuch der Vernissage erschien ihm eine gute Gelegenheit, Zeit mit Katja zu verbringen und sich trotzdem um seinen derzeit wichtigsten Fall kümmern zu können.

Doch auf der Fahrt zum Gericht stellte sich leichtes Unbehagen ein. Durfte er Arbeit und Privates wirklich vermischen? Hinterging er Katja womöglich, wenn er ihr den Galeriebesuch als einen netten Wochenendausflug unterjubelte? Darüber grübelte Hagen, bis er an seinem Büro ankam.

Hier wurde er bereits erwartet, und die Gedanken, die sich um Katja drehten, lösten sich in Luft auf.

Es war nicht unüblich, dass er sich mit den Kollegen von der Kriminalpolizei zu so früher Stunde traf. Besonders dann nicht, wenn es um eine verdeckte Ermittlung ging, von der niemand erfahren durfte.

»Sie wissen hoffentlich, dass ich von dem Plan nicht begeistert bin«, sagte Hagen, als er mit den Männern im Besprechungsraum saß.

»Wir auch nicht«, erwiderte Kriminalhauptkommissar Herbert Burmeister, der Älteste in der Runde. »Doch so, wie es aussieht, haben wir keine andere Wahl. Wir versuchen schon seit Jahren, Roman Kaminski zu überführen. Aber der Typ ist aalglatt. Es gelingt uns einfach nicht, ihm etwas nachzuweisen. Wenn ich in ein paar Monaten in Pension gehe, soll Kaminski hinter Schloss und Riegel sitzen. Wenn nicht …«

Björn Lange, sein jüngerer Kollege, lachte leise. »Bitte sag jetzt nicht, dass du deine Pensionierung wegen Kaminski verschieben würdest. Das lass mal nicht deine Inge hören. Sie hat eure Kreuzfahrt bereits gebucht.«

»Das weiß ich doch. Und damit ich pünktlich in See stechen kann, ist es wichtig, dass Sie, Herr Wolfram, den Plan absegnen. Wir schicken unseren Kleinen hier verdeckt in die Galerie und werden Kaminski dann endlich rankriegen.«

Hagen sah zu dem jungen Mann hinüber, den Burmeister als den Kleinen bezeichnet hatte. Ihm war bekannt, dass Maik Kühnert die Polizeischule erst vor wenigen Wochen abgeschlossen hatte. Auf Hagen machte er nicht den Eindruck, als wäre er der Sache gewachsen. Sichtlich nervös rutschte Kühnert auf seinem Stuhl hin und her und schien sich in seiner Haut nicht wohlzufühlen.

Hagen griff nach dem Blatt Papier, das vor ihm auf dem Tisch lag. »Das ist also der Lebenslauf, mit dem Sie sich in der Galerie beworben haben, Herr Kühnert. Ich hoffe, er ist hieb- und stichfest und wird uns nicht um die Ohren fliegen, wenn Kaminski ihn näher prüft.«

»Keine Sorge«, antwortete Björn für seinen jungen Kollegen, der vor Aufregung kein Wort herausbekam. Kriminaloberkommissar Björn Lange war seit einigen Jahren im Polizeidienst und hatte selbst schon undercover gearbeitet. Er wusste also bestens, worauf es hier ankam.

»In dem Lebenslauf steht nichts drin, was nicht der Wahrheit entspricht«, sagte er. »Nach dem Abitur hat Herr Kühnert an der Kunsthochschule studiert und das Studium im dritten Semester abgebrochen. Das stimmt, und dafür gibt es sogar Originalunterlagen, die das belegen.« Grinsend fuhr er fort: »Dass er anschließend eine Ausbildung an der Polizeischule begann, haben wir natürlich weggelassen.«

Hagen wandte sich an den jungen Mann, der schweigend den Worten seines Vorgesetzten gefolgt war: »Seit dem Studienabbruch sind drei Jahre vergangen. Wie wollen Sie Kaminski diese Lücke in Ihrem Lebenslauf erklären?«

»Ich …« Maik räusperte sich nervös. »Also ich sage ihm einfach, dass ich Gelegenheitsjobs hatte. Nichts Festes.«

Hagen musterte den schmalen, jungen Mann noch einmals aufmerksam. Er sah nicht aus wie ein Polizist, und sein Lebenslauf passte tatsächlich wunderbar.

Die Galerie, die Roman Kaminski gehörte und die er benutzte, um mit gestohlenen Kunstwerken zu hehlen, suchte eine Aushilfe. Für die Ermittler bot sich hier eine hervorragende Möglichkeit, einen Mann aus den eigenen Reihen einzuschleusen. Allerdings hielt Hagen grundsätzlich nichts von solch abenteuerlichen Aktionen. Das Risiko, dass die Sache außer Kontrolle geraten könnte, war einfach zu groß. Niemand konnte vorhersagen, wie Kaminski reagieren würde, sollte der Schwindel auffliegen. Womöglich riskierten sie das Leben oder die Gesundheit des jungen Mannes, wenn sie ihn mit diesem Auftrag betrauten. Aber andererseits: Sie waren tatsächlich seit Jahren hinter Kaminski her. Bisher war es ihm immer gelungen, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen, weil die Beweise nie ausreichten. Mit diesem unscheinbaren, jungen Mann könnte ihnen endlich der große Wurf gelingen. Durfte sich Hagen diese Chance entgehen lassen?

»Also gut. Dann machen wir es so.« Hagen sah, wie Burmeister und Lange bei seinen Worten aufatmeten, während Maik Kühnert noch mehr auf seinem Stuhl zusammensackte.

»Herr Kühnert, trauen Sie sich das denn überhaupt zu?«, fragte ihn Hagen eindringlich. »Es wird Ihnen niemand einen Vorwurf machen, wenn Sie diesen Auftrag ablehnen.«

»Ich mache es«, erwiderte Kühnert hastig. »Wirklich! Ich schaffe das!«

»In Ordnung«, sagte Hagen, nicht restlos überzeugt. »Ich werde übrigens am Samstag einen ›privaten‹ Ausflug in die Galerie machen und mit einigen Bekannten die Vernissage besuchen.«

Burmeister runzelte die Stirn. »Warum? Kaminski kennt Sie. Er wird sofort vermuten, dass Sie dort sind, um zu schnüffeln.«

»Natürlich. Das ist ja auch der Sinn meines Besuchs. Ich will Kaminski nervös machen und ihm zeigen, dass wir ihn nicht vergessen haben. Wenn ich so offen mein Interesse demonstriere, kommt er nicht auf die Idee, dass wir parallel auch noch verdeckt gegen ihn ermitteln.«

Die nächste Stunde nutzten die Männer, um die weiteren Einzelheiten zu besprechen. Als sich seine Besucher schließlich verabschiedeten, war sich Hagen sicher: Ihr Plan könnte funktionieren. Blieb nur noch die Sorge, dass der junge, unerfahrene Polizist vor Aufregung die Nerven verlieren könnte.

*

Dr. Felicitas Norden, die Leiterin der Kinderabteilung, verbrachte die Mittagspause mit Katja Baumann. Interessiert betrachtete sie den Flyer, den Katja ihr gegeben hatte.

»Den habe ich heute von Hagen bekommen«, erklärte Katja. »Er hat den Vorschlag gemacht, dass wir am Samstag zur Vernissage von diesem Künstler gehen.«

»Peer Wedow in der Galerie Kaminski?«, wunderte sich Fee. »Wer hätte das gedacht.«

»Was meinst du damit?«

»Die Galerie ist nicht gerade für hochkarätige Ausstellungen bekannt. Ich war schon ein paar Mal dort. Besonders beeindruckt hat sie mich aber nicht. Es hängen ständig die gleichen Bilder an den Wänden. Wahrscheinlich Ladenhüter, die sie nicht loswerden. Aber das hier …« Fee hielt den Flyer hoch und nickte anerkennend. »Das hier klingt wirklich gut. Peer Wedow ist ein junger Maler aus München, der bei den Kritikern sehr angesagt ist. Ihm wird eine große Zukunft vorhergesagt.«

»Du scheinst dich wirklich auszukennen«, bemerkte Katja beeindruckt.

»Ich liebe Kunst, aber deswegen bin ich noch lange keine Kunstkennerin. Von Peer Wedow habe ich aber schon gehört.«

»Wollen wir am Samstag zusammen hingehen?«

»Ja, Katja, ich bin sehr gern dabei, und Daniel wird sich das auch nicht entgehen lassen.«

»Sehr schön.« Katja strahlte. »Ich freue mich, wenn wir uns auch mal außerhalb der Klinik treffen.«

Fee zögerte. »Aber ist es dir wirklich recht, wenn wir uns euch anschließen? So viel, wie Hagen arbeitet, unternehmt ihr kaum etwas gemeinsam.«

»Ja, das stimmt.« Katja verzog betrübt den Mund. »Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass er sich so in seinen Job reinkniet. Er liebt ihn eben. Aber ich habe manchmal das Gefühl, dass ich mit seiner Arbeit konkurriere.«

»Du fragst dich also, wen er mehr liebt? Dich oder seinen Beruf?«

Katja nickte. »Ich weiß, dass das albern ist. Aber trotzdem … Anfangs dachte ich ja noch, dass sich das geben würde. Spätestens dann, wenn der Fall, der ihn gerade so beschäftigt, abgeschlossen ist. Aber kaum ist es so weit, landet auch schon das nächste schwierige Problem auf seinem Tisch, und das Ganze geht von vorn los.«

»Wenn dich ein Außenstehender hören könnte, würde er vermutlich annehmen, dass ihr ein altes Ehepaar seid, bei dem der Alltagstrott eingekehrt ist. Aber wie lange seid ihr jetzt zusammen? Zwei oder drei Monate? Da sollte die Luft eigentlich noch nicht raus sein.«

»Ist sie ja auch nicht! Wirklich! Wir lieben uns wie am ersten Tag. Und wenn wir zusammen sind, kann es gar nicht schöner sein. Das Problem ist nur, dass wir uns viel zu selten sehen. Zumindest glaube ich das. Kann sein, dass Hagen das ganz anders sieht.«

»Ja, das wäre möglich. Du solltest unbedingt mit ihm darüber reden. Woher soll Hagen sonst wissen, was dich an eurer Beziehung stört? Das Dumme bei den Männern ist nämlich, dass sie nicht unsere Gedanken lesen können.«

Katja kicherte. »Manchmal ist das aber auch ganz gut.«

Fee winkte mit dem Flyer der Galerie. »Die Vernissage wäre eine gute Gelegenheit für euch, endlich mal wieder Zeit miteinander zu verbringen. Ob Daniel und ich dann dabei sein sollten, bezweifle ich jedoch. Wahrscheinlich würden wir nur stören. Und es wäre gut möglich, dass es Hagen gar nicht recht ist, wenn wir euch begleiten.«

»Es ist lieb von dir, dass du so rücksichtsvoll bist. Aber ihr stört ganz sicher nicht. Und wegen Hagen musst du dir auch keine Gedanken machen. Die Idee, dass wir zu viert hingehen, stammt von ihm. Und ich habe ganz bestimmt nichts dagegen einzuwenden. Ich freue mich immer, dich zu sehen. Hinterher könnten wir noch ein Glas Wein zusammen trinken. Es wäre doch schön, wenn wir uns nicht immer nur für ein knappes halbes Stündchen in der Cafeteria treffen würden.«

»Du vergisst unsere wöchentliche Therapiesitzung«, erwiderte Fee augenzwinkernd.

»Ach ja, die Therapie«, seufzte Katja. Seit einigen Wochen versuchte Katja, mit Fees Unterstützung ihre Blutphobie loszuwerden. Was sich als schwieriger erwies als gedacht. Selbst Fee schien überrascht zu sein, wie hartnäckig Katjas Angst vor Blut anhielt. Es war zwar schon viel besser geworden. Aber als geheilt betrachtete sich Katja noch lange nicht. Als Assistentin des Chefarztes der Behnisch-Klinik verbrachte sie ihren Arbeitstag zumeist an ihrem Schreibtisch. Der Anblick blutender Wunden blieb ihr dadurch zum Glück erspart. Trotzdem empfand sie ihre Blutphobie als unangenehm und lästig. Besonders, wenn es sie so heftig traf, dass sie sogar ohnmächtig wurde.

Als ihr Fee Norden ihre Hilfe als Therapeutin angeboten hatte, war sie sich so sicher gewesen, dass sie dieses kleine Problem schnell in den Griff bekommen würde. Aber leider hatten sich Katjas Ängste als sehr resistent gegenüber Fees Therapieversuchen erwiesen.

Fee stand auf. »Ich muss wieder los und nach einem Neuzugang sehen. Vorher will ich in den OP gehen und schauen, wie weit Daniel und Christina Rohde sind. Sie kümmern sich dort seit Stunden um einen schweren Verkehrsunfall.«

»Ja, ich weiß.« Katja verzog ihren hübschen Mund, und Fee ahnte, dass sich ihrer Freundin gerade schreckliche Bilder von blutenden Wunden aufdrängten.

»Wenn du magst, kannst du mich gern in den OP begleiten«, sagte Fee mit gespielter Ernsthaftigkeit.

Empört schnappte Katja nach Luft, und Fee musste sofort lachen. »Das war nur ein Scherz, meine Liebe. Keine Sorge, das werde ich dir nicht zumuten. So weit bist du noch nicht. Aber irgendwann ganz sicher.«

*

Maik Kühnert kam eine halbe Stunde zu früh vor der Galerie an. Der Plan des Staatsanwalts und seiner Kollegen schien aufzugehen. Roman Kaminski hatte ihn ganz kurzfristig zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.

Langsam schlenderte Maik auf der gegenüberliegenden Straßenseite entlang und tat, als würde er dort die Schaufensterauslagen betrachten. Er hatte noch genügend Zeit, und die wollte er lieber hier draußen verbringen als in der Galerie. Es tat ihm gut, sich die Beine zu vertreten. Nur so schaffte er es, mit seiner Nervosität zurechtzukommen.

Hin und wieder warf er einen vorsichtigen Blick zur Galerie hinüber. Die unscheinbare Fensterfront maß nur sechs Meter in der Breite. Daneben gab es ein großes, verschlossenes Holztor, von dem Maik wusste, dass es auf den geräumigen Innenhof des Grundstücks führte. Das Tor war so breit, dass ein kleinerer LKW bequem hindurchpasste. Auf dem Hinterhof, so vermutete die Polizei, fanden die eigentlichen Geschäfte Kaminskis statt. Hier wurde das Diebesgut umgeschlagen und in die ganze Welt verschickt.

Doch obwohl das den Ermittlern bekannt war, fehlten noch immer die Beweise, um Kaminski vor Gericht stellen zu können. Es hatte bereits einige Hausdurchsuchungen und nächtliche Razzien gegeben, die aber nie zum Erfolg geführt hatten. Es war wie verhext. Kaminski schien genau zu wissen, wann das Einsatzkommando bei ihm auftauchen würde. Natürlich war dann alles in bester Ordnung, und es fanden sich nie Beweise, die den Galeristen belasteten. Unter dem höhnischen Grinsen Kaminskis mussten sie dann jedes Mal unverrichteter Dinge abziehen.

Maik sah auf die Uhr. Seit seinem Eintreffen waren erst zehn Minuten vergangen. Doch ihm kam es wie eine Ewigkeit vor. Seine Aufregung hatte sich in dieser kurzen Zeit gesteigert, und Maik fiel es immer schwerer, sie zu ertragen. Ihm war bewusst, wie viel davon abhing, dass er die Stelle bekam. Die Augen der ganzen Abteilung ruhten auf ihm, dem blutigen Anfänger und Grünschnabel. Sollte er diesen Einsatz vermasseln, würde ihm das wahrscheinlich ein Leben lang anhängen. Er wäre dem Spott und Hohn der ganzen Dienststelle ausgesetzt. Nur ein einziger, dummer Fehler. Mehr war gar nicht nötig, um die Chance, endlich Beweise für Kaminskis Schuld zu finden, zu zerstören.

Diese Gedanken verstärkten den Druck, der ohnehin schon auf Maik lastete. Inzwischen wurde er so schlimm, dass er sich fast wünschte, er würde den Job in der Galerie nicht bekommen. Dann bestände gar nicht erst die Gefahr, etwas falsch zu machen und dadurch die ganze Aktion zu gefährden.

Natürlich wollte er auch, dass Roman Kaminski für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wurde. Schließlich waren solche Kriminelle wie Kaminski der Grund dafür gewesen, dass er sich für den Polizeidienst entschieden hatte. Doch die Verantwortung, die nun auf seinen schmalen Schultern lastete, war eine zu große Bürde für ihn. Er brauchte einfach noch etwas Zeit. Zeit, um in Ruhe Erfahrungen sammeln zu können und so gut zu werden wie Björn Lange oder Herbert Burmeister. Wenn es nach Maik gehen würde, säße er jetzt an einem Schreibtisch in der Dienststelle oder wäre mit einem versierten Kollegen auf Streife. Doch er war hier ganz auf sich allein gestellt und so mutlos wie selten in seinem jungen Leben.

Als er es draußen nicht mehr aushielt, betrat er mit schlotternden Knien die Galerie. Obwohl Maik den Grundriss kannte, war er erstaunt, wie groß sie war. Viel größer als sie von außen wirkte. Was ihr an Breite fehlte, machte sie mit einer Länge von mehr als vierzig Metern wieder wett. Der riesige Laden besaß mehrere Querwände, die halb in den Raum hineinragten. So konnte die Ausstellungsfläche vergrößert werden. Doch genutzt wurden diese zusätzlichen Flächen kaum. An den weißen Wänden hingen erstaunlich wenig Bilder. Maik war natürlich klar, woran das lag: Die Umsätze wurden nicht hier gemacht. Die eigentlichen Geschäfte, diejenigen, die für Kaminskis Wohlstand sorgten, liefen im Verborgenen ab.

Auf der rechten Seite, einige Meter vom Eingang entfernt, gab es eine Tür, die in Kaminskis Büro führte. In der kleinen Sitzgruppe davor saß eine junge Frau. Wahrscheinlich eine weitere Bewerberin für die freie Stelle, vermutete Maik. Als er sie erkannte, riss er erstaunt die Augen auf.

Steffi Seidel hatte, so wie er, an der Kunsthochschule studiert. Er war ihr dort einige Male begegnet, hatte aber nie mit ihr gesprochen. Von einem ehemaligen Studienfreund wusste er, dass Steffi später als Jahrgangsbeste abgeschlossen hatte. Ein Gedanke schoss jäh in seinen Kopf: Wusste Steffi, dass er zur Polizei gegangen war? Dann wäre seine Tarnung aufgeflogen, noch ehe er auch nur mit Kaminski gesprochen hätte.

Maik schämte sich dafür, aber er genoss den kleinen Hoffnungsfunken, der sich sofort in ihm festsetzte. Und obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass sie über seinen Werdegang Bescheid wusste, sehr gering war, hielt die Hoffnung an. Denn Maiks Chancen, den Job in der Galerie zu bekommen, waren mit Steffi als Konkurrentin gerade gegen Null gesunken. Wenn er Kaminski wäre und die Wahl zwischen einem Studienabbrecher und einer Einser-Studentin hätte, wüsste er, wen er nehmen würde. Und dieser jemand hatte wunderschöne blaue Augen, ein apartes Gesicht, kupferrote Locken und war eindeutig weiblich.

»Kann ich Ihnen helfen?«, wurde Maik plötzlich von einer älteren Dame, die hinter einem kleinen Verkaufstresen stand, angesprochen.

»Äh … Ja … Mein Name ist Maik Kühnert. Ich habe einen Vorstellungstermin bei Herrn Kaminski.«

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, deutete die Frau auf die kleine Sitzgruppe, in der Steffi saß.

»Hallo, Steffi«, begrüßte er die junge Frau, als er zu ihr ging. »Ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst …«

»O doch, natürlich«, rief Steffi sofort aus. »Du warst auch an der Hochschule, stimmt’s? Aber … Entschuldige, an deinen Namen kann ich mich nicht erinnern …«

»Macht nichts. Ich bin Maik, Maik Kühnert.«

»Schön, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Ich hätte nicht erwartet, hier auf einen weiteren Absolventen zu treffen.«

»Oh, ich bin ohne Abschluss abgegangen. Schon nach dem dritten Semester. Wusstest du das nicht?«

»Nein, tut mir leid. Du weißt ja selbst, wie es da lief: ein ewiges Kommen und Gehen. Da kann man schnell den Überblick verlieren.«

»Hm.« Maik nickte. »Und was machst du hier? Du bewirbst dich doch sicher nicht für diesen Aushilfsjob mit deinem tollen Abschluss.«

»Leider doch. Mein Abschluss ist wohl doch nicht so toll. Bis jetzt hat er mir nämlich kein Glück gebracht.«

Die Bürotür öffnete sich, und eine Frau in den Vierzigern kam heraus. Maik vermutete, dass sie eine weitere Kandidatin für die Stelle war.

Als Nächste kam Steffi an die Reihe. Auch sie war nervös. Für sie hing von diesem Bewerbungsgespräch viel ab. Sie musste die Anstellung unbedingt bekommen. Auch wenn es nur ein Teilzeitjob war und der magere Verdienst kaum für das Nötigste reichen würde. Aber immerhin war es eine Verbesserung zu ihrer jetzigen finanziellen Situation, und es wäre ein richtiges Beschäftigungsverhältnis. Zugegeben, es war nicht gerade ihr Traumjob, aber er würde sich trotzdem gut in ihrem Lebenslauf machen, wenn sie sich irgendwann für die richtig guten Stellen bewarb.

Und bereits bei der Begrüßung durch Roman Kaminski hoffte sie inständig, dass diese bald kommen mögen. Denn dieser Mann würde kein angenehmer Chef sein, das war ihr sofort klar.

»Das ist aber wirklich ein äußerst erfreulicher Anblick an diesem Vormittag«, grinste er breit. Anzüglich glitt sein Blick über Steffis Körper. Mit einer Hand wies er auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch, mit der anderen strich er sich über seine gegelten, schwarz glänzenden Haare.

»Nach all den Versagern und dummen Schnepfen, die mir heute schon meine Zeit gestohlen haben, entschädigen Sie mich allein mit Ihrem hübschen Gesicht.«

Steffi war für einen kurzen Moment fassungslos, dann biss sie sich auf die Zunge, um eine heftige Erwiderung zurückzuhalten. Zum Glück schien dieser unmögliche Mann keine zu erwarten.

»Na, dann los«, sagte er. »Erzählen Sie mal ein bisschen von sich.«

»Mein Name ist Steffi Seidel …«

»Weiß ich schon«, unterbrach sie Kaminski. Er klopfte auf ihre Bewerbungsmappe, die aufgeschlagen auf seinem Schreibtisch lag.

»Äh … Also ich habe vor einem Jahr meinen Abschluss an der Kunsthochschule gemacht. Außerdem …«

»Weiß ich auch schon«, wurde sie erneut unterbrochen. Roman Kaminski sah aus, als würde er langsam die Geduld verlieren. »Wenn mich das interessieren würde, bräuchte ich mir nur Ihren Lebenslauf durchzulesen.« Er hob ihre Bewerbungsmappe hoch und warf sie dann mit einem lauten Knall auf den Tisch zurück. »Langweiliges Zeug!«

Kaminski lehnte sich auf seinen Stuhl zurück und schenkte Steffi ein schmieriges Lächeln. »Erzählen Sie mir mal etwas, was ich da nicht finden kann.«

»Ich weiß leider nicht, worauf Sie hinauswollen, Herr Kaminski«, presste Steffi mühsam beherrscht hervor. »Vielleicht sollten Sie mir einfach sagen, was Sie wissen möchten.«

»Keine Ahnung.« Kaminski hob die Schultern. »Überraschen Sie mich! Geben Sie mal ein paar Geheimnisse preis, die nicht in Ihrer dämlichen Mappe stehen.« Er grinste sie an. »Vielleicht haben Sie ja ein paar Leichen im Keller, von denen Sie mir gern erzählen möchten.«

Steffi schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Keine Leichen! Noch nicht mal ein Keller.«

Kaminski lachte dröhnend. »Sie gefallen mir! Das mit uns verspricht, richtig gut zu werden.« Er wurde wieder ernst. »Also dann: Ihre Arbeitszeit beträgt zwanzig Stunden in der Woche. Ich erwarte aber, dass Sie bereit sind, auch mal Überstunden zu machen, wenn es erforderlich ist.«

Steffi nickte. »Kein Problem.«

»Ab und zu müssen Sie auch am Wochenende ran. Nächsten Samstag haben wir eine Ausstellungseröffnung, da erwarte ich, dass Sie hier den ganzen Tag präsent sind. Und bis dahin gibt es jede Menge zu tun. Stellen Sie sich schon mal darauf ein, dass da etliche Überstunden auf Sie zukommen werden. Keine Sorge, Sie werden sie alle abbummeln können, wenn es hier wieder ruhiger wird.«

Kaminski stand auf. »Frau Werner da draußen haben Sie ja schon kennengelernt. Lassen Sie sich von ihr alles erklären. Sie wird Sie in dieser Woche einarbeiten, danach müssen Sie allein klarkommen.«

Verblüfft erhob sich Steffi. »Heißt das … Ist das jetzt eine Zusage? Habe ich den Job?«

»Klar. Sie sehen nett aus. Das mögen die Kunden.«

Kaminski hielt ihr die Hand hin. Steffi starrte verstört darauf. Sie sah nett aus? Das reichte ihm also, sie hier einzustellen? Zählte es denn gar nicht, dass sie einen exzellenten Abschluss an einer der renommiertesten Kunsthochschulen hingelegt hatte?

Für einen winzigen Augenblick erwog Steffi, Kaminski eine Abfuhr zu erteilen.

Doch schnell besann sie sich. Sie konnte sich nicht erlauben, wählerisch zu sein. Und so ignorierte sie die kleine mahnende Stimme in ihrem Kopf, die ihr riet, schnell von hier zu verschwinden.

»Vielen Dank, Herr Kaminski«, sagte Steffi tapfer und schlug ein.

Sie hatte die Türklinke bereits in der Hand, als ihr neuer Chef sie aufhielt.

»Ach übrigens, sagen Sie dem Typ, der da draußen sitzt, dass er verschwinden soll. Der Job ist vergeben.«

»Ich soll ihm das sagen?«, fragte Steffi verblüfft.

»Ja, haben Sie ein Problem damit? Betrachten Sie es einfach als Ihre erste Amtshandlung.« Er sah sie provokant an. »Und als ersten Test, ob Sie den Anforderungen hier gewachsen sind.«

Steffi nickte widerstrebend und beeilte sich, das Büro zu verlassen. Draußen atmete sie tief durch. Sie hatte den Job also wirklich bekommen. Doch so recht freuen konnte sie sich nicht.

Sie setzte sich zu Maik. Stockend sagte sie ihm, dass der Galerist ihn nicht mehr sehen wollte. Er tat ihr schrecklich leid. Wusste sie doch selbst, wie es war, wenn man eine Niederlage nach der anderen einstecken musste. Doch seltsamerweise schien Maik das nicht viel ausmachen. Er wirkte regelrecht erleichtert, als er mit einem Lächeln aufstand und die Galerie verließ. Und Steffi hatte ganz kurz das ungute Gefühl, dass er hier der eigentliche Gewinner war.

*

Steffi lächelte, obwohl sie ihre schmerzenden Füße kaum noch ertragen konnte. Seit fünf Tagen arbeitete sie in der Galerie Kaminski. Zwölf Stunden-Tage waren die Regel, und heute kämen sicher noch einige Stunden dazu. In dieser kurzen Zeit hatte Steffi bereits so viele Überstunden angesammelt, dass sie in den nächsten zwei Wochen gar nicht mehr zu kommen bräuchte. Doch darauf sollte sie lieber nicht hoffen. Solange hier die Ausstellung von Peer Wedow lief, hätte sie sicher alle Hände voll zu tun.

Bis spät in den Abend hatte sie gestern mit Frau Werner die heutige Vernissage vorbereitet. Völlig erschöpft war sie erst weit nach Mitternacht ins Bett gefallen. Doch der ganze Aufwand hatte sich gelohnt, wie Steffi zufrieden feststellte. Die Besucher waren in die Galerie geströmt, kaum dass sie ihre Türen geöffnet hatte. Alle waren gekommen, um die Bilder des jungen Künstlers zu bewundern.

Das konnte Steffi gut verstehen. Durch ihre Ausbildung besaß sie genügend Kunstverstand, um sein aufstrebendes Talent zu erkennen. Sie liebte Kunst im Allgemeinen, aber die Bilder von Wedow waren ihr in der kurzen Zeit besonders ans Herz gewachsen. Peer Wedows ausgefeilte Pinseltechnik erinnerte an die Werke alter Meister und zeichnete sich durch Perfektion und eine große Liebe zum Detail aus. Von diesem Künstler, der noch am Anfang seiner Laufbahn stand, würde man noch viel erwarten dürfen.

Steffi warf einen Blick zu ihm hinüber. Er war ein gefragter Gesprächspartner, nicht nur für das neugierige Publikum, sondern auch für die zahlreichen Pressevertreter, die heute gekommen waren. Seine anfänglichen Hemmungen hatte er zum Glück schnell abgelegt.

Er machte auf Steffi jetzt einen gelösten und sehr glücklichen Eindruck. Was bei dieser überaus positiven Resonanz kein Wunder war. An vielen seiner Bilder prangte bereits ein kleiner roter Aufkleber, der signalisierte, dass sie ihre Käufer gefunden hatten.

Dazu gehörte auch Steffis Lieblingsbild. Das Landschaftsmotiv hatte sie sofort angesprochen, und die außergewöhnliche Farbkombination raubte ihr jedes Mal den Atem, wenn sie es ansah. Zusammen mit zwei Pärchen stand sie davor, um alle Fragen zu beantworten und ihnen so bei ihrer Kaufentscheidung zu helfen.

»Ist es nicht traumhaft?«, fragte die ältere der beiden Frauen.

»Ja, Fee, immer noch«, erhielt sie die lachende Antwort ihres Ehemannes, der einen Arm um ihre Taille gelegt hatte. »Daran wird sich nichts ändern. Egal, wie oft du mich das noch fragst. Warum kaufst du es nicht, wenn es dir so gut gefällt?«

»Meinst du wirklich, Dan?«

»Natürlich, mein Schatz. Es zaubert dir ein verzücktes Lächeln ins Gesicht, wann immer du es betrachtest. Ist das nicht das beste Argument, um ein Bild zu erwerben?«

Seine letzten Worte hatte er an Steffi gerichtet.

»Das allerbeste«, erwiderte diese prompt. »Was kann es Schöneres geben, als ein Kunstwerk, das uns emotional anspricht und in das wir uns verlieben können.« Steffi zeigte lächelnd auf das Bild. »Ich bin mir sicher, dass dieses Bild die richtige Wahl für Sie ist.«

»Also gut. Dann nehmen wir es.« Fee atmete tief durch und sah mit einem strahlenden Gesicht zu ihrem Mann auf. »Ich weiß auch schon ganz genau, wo es hängen wird.«

»Sehr schön, mein Schatz. Und während du alles mit der netten Dame besprichst, gehen wir schon mal weiter und sehen zu, dass wir noch ein paar der leckeren Canapés erwischen.«

»Na gut, aber lasst uns welche übrig«, ermahnte ihn Fee und drohte im Scherz mit dem Zeigefinger.

»Keine Sorge«, sagte Steffi augenzwinkernd. »Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass es davon einen riesigen Vorrat gibt. Es wird sicher niemand hungrig nach Hause gehen müssen.«

Die beiden Männer setzten ihre Runde fort, und Steffi begab sich mit den Frauen zu dem kleinen Verkaufstresen, um den Kauf des Bildes abzuschließen.

»Es ist übrigens mein Lieblingsbild, das Sie erstanden haben«, verriet Steffi lächelnd.

»Oh, dann fällt es Ihnen sicher nicht leicht, sich davon zu trennen«, erwiderte Felicitas Norden.

»Ich habe das Gefühl, es ist bei Ihnen in guten Händen. Das hilft über den Abschiedsschmerz hinweg.«

Steffi versuchte zwar, es wie einen Scherz klingen zu lassen, aber es war ihr vollster Ernst. Einige Kunden kauften ein Bild, weil sie es als finanzielle Investition betrachteten, andere, weil es sie berührte. Die Letzteren – zu denen ganz offensichtlich auch diese Dame gehörte – waren Steffi am liebsten.

»Die Ausstellung läuft noch zwei Wochen. Danach wird Ihnen das Bild nach Hause geliefert.«

»Sehr schön. Vielen Dank für die sehr gute Beratung, Frau Seidel. Ich war schon einige Male in der Galerie, aber ich glaube, wir sind uns nie begegnet.«

»Nein, ich arbeite erst seit einer knappen Woche hier.«

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Wir werden uns sicher noch häufiger sehen. Mein Name ist übrigens Felicitas Norden, das ist Katja Baumann und …« Fee stockte, als ihr einfiel, dass ihre beiden Begleiter längst weitergezogen waren. »… Also, das waren mein Mann Daniel Norden und Herr Hagen Wolfram. Schade, ich hätte Sie Ihnen gern vorgestellt.«

Katja sah Hagen nach. »Ich befürchte, dass Hagen doch kein so großer Kunstliebhaber ist, wie ich angenommen hatte. Er war es zwar, der den Vorschlag gemacht hatte herzukommen, aber jetzt hält er es vor keinem Bild länger als drei Sekunden aus.«

»Ja, das ist mir auch schon aufgefallen«, sagte Fee nachdenklich. »Er wirkt etwas angespannt und nervös. Ich hoffe, ihm geht es gut, und er hat keine Probleme.«

»Zumindest hat er nichts davon erwähnt. Wahrscheinlich ist es irgendeine Sache auf der Arbeit. Er hat kaum noch Zeit für etwas anderes. Ich wundere mich, dass er heute überhaupt mitgekommen ist.«

Das Gespräch wurde nun sehr persönlich, und Steffi beschloss, sich zurückzuziehen, damit die beiden Frauen ihre Unterhaltung in Ruhe fortsetzen konnten. Doch Fee erkannte, was Steffi vorhatte, und hielt sie auf.

»Oh, entschuldigen Sie, Frau Seidel. Das war sehr unhöflich von uns. Wir möchten Sie nur ungern vergraulen. Bitte bleiben Sie doch noch und leisten uns Gesellschaft. Wir würden uns sehr darüber freuen. Stimmt’s, Katja?«

Die Angesprochene nickte eifrig und schenkte Steffi ein reizendes Lächeln, während Fee ergänzte: »Es sei denn, Sie haben zu tun und keine Zeit für uns.«

Steffi musste nicht lange überlegen. Im Moment gab es nichts, was sie lieber wollte, als eine nette Plauderei mit zwei sympathischen Kundinnen. Schmunzelnd erwiderte sie:

»Mein Chef hat mir aufgetragen, mich intensiv um seine Kunden zu kümmern und ihnen stets und ständig zur Verfügung zu stehen. Es ist also quasi meine Pflicht, mich weiter mit Ihnen zu unterhalten. Außerdem müssen wir noch auf den abgeschlossenen Kauf anstoßen.«

*

Beinahe hätte Steffi vor Wonne laut aufgestöhnt, als sie später mit Felicitas Norden und Katja Baumann in einer gemütlichen Besucherecke saß. Ihren geplagten Füßen tat diese kleine Pause ungemein gut. Und den Sekt, der in ihrem Glas perlte, hatte sie sich hundertprozentig verdient.

»Also dann auf ein zauberhaftes kleines Bild, das einen Ehrenplatz in unserem Haus erhalten wird«, sagte Fee feierlich und stieß mit Katja und Steffi Seidel an.

»Vielen Dank für den Sekt«, sagte Katja. »Das war eine sehr gute Idee.«

»Ich habe zu danken«, erwiderte Steffi verschmitzt. »Immerhin komme ich so endlich zu einer kleinen Pause. Ich spüre meine Füße schon gar nicht mehr.« Sie verzog ihr Gesicht und sah hinunter auf ihre hochhackigen Pumps. »Solche Schuhe müssten verboten werden. Sie sind die reinste Folter. Besonders wenn man seit dem Morgengrauen auf den Beinen ist.«

»Dann freuen wir uns, dass wir helfen konnten«, sagte Fee lächelnd. »Und beim nächsten Mal nehmen Sie sich einfach ein paar bequeme Wechselschuhe mit. So mach ich das jedenfalls immer, wenn ich auf Veranstaltungen bin, die lange andauern. Zu fortgeschrittener Stunde achtet dann eh niemand mehr darauf, wie hoch die Absätze der Schuhe sind.«

»Eigentlich handhabe ich das auch immer so. Aber das klappt leider nur, wenn der Chef nicht ausdrücklich auf High Heels besteht.«

»Darf er das überhaupt?«, fragte Katja.

Fast zeitgleich wollte Fee wissen: »Warum ist ihm das so wichtig?«

Steffi beantwortete zuerst Fees Frage: »Ich weiß nicht, warum ihm das wichtig ist. Darüber kann ich nur Vermutungen anstellen, und die würde ich lieber für mich behalten. Und ob er es darf? Wahrscheinlich nicht, aber was soll’s?« Steffi zuckte betont gleichmütig die Achseln. »Es gibt sicher Schlimmeres.«

»Ja, da mögen Sie recht haben«, erwiderte Fee behutsam. »Und wenn sonst alles stimmt und Sie hier zufrieden sind …« Sie beendete den Satz nicht. Stattdessen beobachtete sie den Gesichtsausdruck der jungen Frau ganz genau. Was ihr dabei auffiel, fand sie bedenklich. Es war mehr als offensichtlich, dass Steffi Seidel die Arbeit in der Galerie nicht gefiel. Fee mutmaßte, dass das nicht nur an den hochhackigen Schuhen lag.

Von jeher interessierte sich Fee für ihre Mitmenschen. Vielleicht war deshalb die Psychiatrie ihre große Leidenschaft. Oder vielmehr die Psychologie. Es war keine kranke Seele erforderlich, um Fees Interesse zu wecken. Steffi Seidel war in dieser Hinsicht kerngesund. Das erkannte Fee nach wenigen gewechselten Worten. Trotzdem wollte sie unbedingt mehr von ihr erfahren. Die junge Frau war ihr sehr sympathisch. Zudem sah sie so aus, als wäre sie froh, jemanden ihr Herz ausschütten zu können. Und Fee fühlte sich geradezu berufen, die Aufgabe der geduldigen Zuhörerin zu übernehmen.

»Sie haben uns vorhin sehr fachkundig beraten, Frau Seidel. Dass Sie sich mit Kunst auskennen, war nicht zu übersehen. Ich nehme daher an, dass Sie eine Ausbildung in dieser Richtung haben.«

»Ja, ich habe einen Abschluss an der Kunsthochschule gemacht.«

»Sie sind auch Künstlerin?«, wollte Katja wissen.

»Nein, dafür reichte mein Talent leider nicht aus. Ich liebe bildende Künste, egal ob Malerei, Architektur oder Bildhauerei. Einfach alles. Ein Leben ohne Kunst wäre für mich nicht vorstellbar. Und obwohl das so ist, bringe ich selbst nichts zustande, was mein Herz erfreuen könnte. Ich habe es irgendwann aufgegeben, mich ewig auszuprobieren, nur um immer wieder feststellen zu müssen, dass es mich nur unglücklich macht. Stattdessen habe ich beschlossen, meine Liebe zu Kunst mit meiner Liebe zu Kindern zu verbinden. Ich habe deshalb mein erstes Staatsexamen in Kunstpädagogik abgelegt und anschließend meinen Master in Kunsttherapie gemacht.«

»Und dann arbeiten Sie ausgerechnet hier?«, fragte Fee erstaunt.

Ein Schatten fiel auf Steffis Gesicht. Mit dieser Frage hatte die sympathische Frau Norden einen wunden Punkt bei Steffi berührt. Aus einem ersten Impuls heraus wollte Steffi mit ein paar belanglosen Worten darauf reagieren, doch dann entschied sie sich für die Wahrheit.

»Seit meinem Abschluss bin ich auf der Suche nach meinem Traumjob. Nach einem Jahr sieht die Bilanz jedoch ernüchternd aus. Von meinen großartigen Plänen musste ich mich inzwischen verabschieden. Manchmal habe ich schreckliche Angst, dass die Galerie mein Schicksal ist und dass ich in einer Sackgasse feststecke, aus der ich nie wieder herauskomme.«

»Vertrauen Sie darauf, dass es irgendwann wieder aufwärts geht«, sagte Katja spontan. »Ich war selbst in einer Phase, in der ich sehr ungern zur Arbeit gegangen bin. Ich dachte schon, das würde immer so bleiben, und war deswegen sehr unzufrieden. Aber dann habe ich doch noch eine Anstellung gefunden, die mich glücklich macht und die ich von ganzem Herzen liebe.« Sie sah grinsend zu Fee hinüber. »Und das sage ich nicht nur, weil die Frau meines Chefs neben mir sitzt.«

Alle lachten. Dann sagte Fee warmherzig: »Frau Seidel, ich denke, dass Ihre besten Zeiten erst noch kommen werden. Sie sind jung, bestens qualifiziert und motiviert. Das Wichtigste ist jetzt der feste Wille, niemals aufzugeben.«

»Ja, das sage ich mir auch immer wieder. Nur das hilft mir, nicht zu verzweifeln.« Steffi klang auf einmal kämpferisch. Mit hoch erhobenem Haupt sah sie sich in der Galerie um und warf dabei Roman Kaminski einen bitterbösen Blick zu. Sofort fühlte sich Fee in ihrer Vermutung, dass die High Heels nur die Spitze des Eisbergs waren, bestätigt.

»So schlimm?«, fragte sie mitfühlend.

Steffi zuckte ertappt zurück. »Tut mir leid, Frau Norden. Ich hätte gar nicht darüber sprechen dürfen. Sie sind hergekommen, um sich an den Bildern eines talentierten Künstlers zu erfreuen. Und ich belästige Sie mit meinen Problemen.«

»Dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen. Ich habe es nie als Belästigung empfunden, wenn mir jemand sein Herz ausgeschüttet hat. Und dass Ihre Geheimnisse bei uns gut aufgehoben sind, darauf dürfen Sie sich verlassen.«

Fees nette Worte sorgten dafür, dass Steffi plötzlich das große Bedürfnis verspürte, noch mehr von sich preiszugeben. Es kam ihr nicht so vor, als würde sie zwei wildfremden Frauen gegenübersitzen.

»Eigentlich müsste ich froh sein, endlich einen Job zu haben. Obwohl schon das Vorstellungsgespräch nicht so professionell ablief, wie ich es mir gewünscht hätte. Herr Kaminski hat keinen Hehl daraus gemacht, dass ihm mein Aussehen wichtiger war als meine berufliche Qualifikation.«

»Ich muss gestehen, das überrascht mich nicht«, erzählte Fee. »Einige Male bin ich Ihrem Chef ja schon begegnet. Ich fand sein Auftreten mir gegenüber sehr unangenehm. Ich hatte mir deshalb vorgenommen, nie wieder einen Fuß über diese Schwelle zu setzen. Das Angebot war ohnehin nie überwältigend, und die aufdringliche Art des Galeristen fand ich sehr abstoßend. Dass ich trotzdem hier bin, liegt nur an Peer Wedow.«

»Am liebsten würde ich auch nie wieder herkommen«, gestand Steffi zögerlich. »Die viele Arbeit der letzten Tage hat mich nicht gestört. Das gehört dazu, wenn eine neue Ausstellung vorbereitet wird. Aber die anzüglichen Blicke meines Chefs sind für mich nur sehr schwer zu ertragen. Und dass er mir ständig den Rücken tätschelt, ist einfach nur widerlich.«

»Warum lassen Sie das mit sich machen?«, fragte Fee besorgt. »Ist Ihnen dieser Job wirklich so wichtig?«

»Ja, solange ich keinen anderen in Aussicht habe«, erwiderte Steffi betrübt. »Meine Eltern haben mich die ganzen Jahre finanziell unterstützt. Während des Studiums und auch hinterher, weil ich auf meine Bewerbungen nur Absagen erhielt. Sie haben mir zwar immer versichert, dass sie es gern machen und dass es kein Opfer wäre, aber irgendwann muss ich doch mal auf eigenen Füßen stehen.«

»Ja, aber ausgerechnet hier?«, zweifelte Katja. »Glauben Sie wirklich, dass sich Ihre Eltern das für ihre Tochter wünschen?«

Steffi schüttelte den Kopf. Sie sah dabei so niedergeschlagen aus, dass Fee nach ihrer Hand griff und sie tröstend drückte. »Ich denke, Sie wissen schon längst, dass diese Stelle hier nur ein schlechter Kompromiss ist, der Ihnen mehr schadet als nützt. Habe ich recht?«

»Ja, natürlich«, gab Steffi betrübt zurück. »Mir geht’s einfach nicht gut hier. Nachts liege ich stundenlang wach und grüble, und am Tag arbeite ich bis zum Umfallen und versuche dabei, meinem aufdringlichem Chef tunlichst aus dem Wege zu gehen.«

»Es kommt gar nicht so selten vor, dass eine ungeliebte Arbeitsstelle krank macht. Ich bin Ärztin, Frau Seidel, und weiß daher, wovon ich rede. Warten Sie bitte nicht so lange, bis ihr Körper mit gesundheitlichen Problemen auf diese unerträgliche Situation reagiert.«

»Was soll ich denn machen? Kündigen?«

»Das wäre eine Möglichkeit.«

»Aber es kann doch nicht jeder kündigen, nur weil er mit seinem Job unzufrieden ist. Das würde dann nämlich für sehr viele Leute zutreffen. Das geht doch nicht! Manchmal muss man sich einfach mit dem, was man hat, arrangieren.«

»Genau das machen die meisten Menschen und sind damit sogar recht zufrieden. Vielleicht gelingt es Ihnen, sich gegen Ihren Chef zu behaupten und ihn in seine Schranken zu verweisen. Und wenn Sie dann noch lernen, diese Arbeit in der Galerie zu lieben und Ihre großen Träume ohne bittere Tränen zu begraben, dann kann das hier für Sie wirklich gut werden. Doch wenn nicht …« Fee seufzte bedauernd.

Steffi dachte sehr lange nach. Dann schüttelte sie den Kopf.

»Ich werde Herrn Kaminski nicht ändern können. Wenn ich mich gegen ihn auflehne, wird er mich kurzerhand feuern. Da ich noch in der Probezeit bin, darf er das sogar, ohne es begründen zu müssen. Ich glaube, da kündige ich lieber selbst und bewahre mir meinen Stolz.«

»Ich denke, Sie werden die richtige Entscheidung treffen, Frau Seidel«, sagte Fee mit einem warmen Lächeln. »Vielleicht hilft Ihnen dabei das Wissen, dass Sie liebevolle Eltern haben, die Ihnen im Notfall sicher gern zur Seite stehen.«

Steffi nickte. »Ja, das hilft.« Sie sah die beiden Frauen lächelnd an. »Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. Es hat mir geholfen, mich endlich zu entscheiden.«

Dass das nicht allein an der Unterhaltung lag, wusste Fee. Diese junge, sympathische Frau hatte sicher in den letzten Tagen schon sehr häufig mit sich gerungen. Und manchmal war dann nur noch ein kleiner Anstoß nötig, um es laut auszusprechen.

»Verraten Sie uns, was Sie vorhaben?«, fragte Fee.

»Ich werde am Montag meine Kündigung abgeben.« Steffi holte tief Luft. »Das kommt mir bereits jetzt wie ein Befreiungsschlag vor. Ich freue mich schon richtig darauf. Und anschließend werde ich zu meinen Kindern gehen und das machen, wofür mein Herz wirklich schlägt.«

»Kinder?«, fragte Katja sofort nach.

»Ich arbeite ehrenamtlich an einer Schule. Ich gebe Mal- und Zeichenkurse in der Nachmittagsbetreuung. Es macht mir riesigen Spaß, und vielleicht ergibt sich daraus ja auch mal irgendwann eine richtige Beschäftigung.«

»Sehr gute Einstellung«, sagte Fee anerkennend. Plötzlich kam ihr eine ganz wunderbare Idee. »Übrigens leite ich die Kinderabteilung der Behnisch-Klinik. Ich wäre eine sehr schlechte Leiterin, wenn ich nicht gleich eine Chance für meine kleinen Patienten wittern würde. So ein Malkursus wäre nämlich für sie eine tolle Sache. Das würde ihnen sicher Freude machen und sie außerdem vom Klinikalltag ablenken. Allerdings ist im Haushaltsplan kein Budget dafür vorgesehen. Mehr als eine kleine Aufwandsentschädigung würde für Sie also nicht herausspringen.«

»Heißt das etwa, Sie bieten mir einen Job an?«

Fee lachte. »Wenn Sie es so nennen wollen. Aber um bei der Wahrheit zu bleiben: Es ist eigentlich nur eine weitere ehrenamtliche Tätigkeit für Sie.«

Steffi winkte lässig ab. »Egal. Mir würde es Spaß machen und den Kindern sicher auch. Außerdem habe ich wieder sehr viel Freizeit, sobald ich am Montag meine Kündigung abgegeben habe.«

»Was halten Sie davon, wenn wir uns gleich am Dienstag treffen, so gegen zwei? Bis dahin habe ich alles mit der Verwaltung abgesprochen, und ich könnte Ihnen die Kinderstation zeigen.«

»Sehr gern, Frau Norden. Ich freue mich darauf.«

*

Es war fast Mitternacht, als die letzten Besucher die Galerie verließen. An ihren Feierabend konnte Steffi dann aber noch nicht denken. Zusammen mit Frau Werner räumte sie die leeren Gläser weg, brachte den Müll hinaus und sorgte dafür, dass in die Galerie wieder Ordnung einzog.

Roman Kaminski hatte den jungen Künstler zu seinem Taxi gebracht und kam nun zu seinen Angestellten zurück.

»Das hat sich ja wirklich gelohnt«, sagte Kaminski zufrieden. »Wedow ist überglücklich, dass er bereits bei der Ausstellungseröffnung einen Großteil seiner Werke verkaufen konnte. Ich hatte ihm ja prophezeit, dass das so kommen würde.«

»Ja, Ihr siebter Sinn hat Sie nicht im Stich gelassen, Herr Kaminski«, schmeichelte Frau Werner.

»Tja, ich kenne mich halt aus in der Szene. Ich habe einen Riecher für gute Sachen.« Kaminski baute sich vor Frau Werner auf. »Machen Sie für heute Schluss. Den Rest schaffen die hübsche Steffi und ich.«

»Selbstverständlich, Herr Kaminski«, erwiderte Frau Werner spröde und warf Steffi einen Blick zu, der deutlich zeigte, welche Schlüsse sie aus Kaminskis Worten zog. Ohne einen weiteren Kommentar verließ sie die Galerie.

»Steffi, kommen Sie mit in mein Büro«, ordnete Kaminski an, kaum dass Frau Werner die Tür hinter sich geschlossen hatte.

Nur widerwillig folgte Steffi ihm. Sie verzog das Gesicht, als sie sah, dass Kaminski mit zwei vollen Gläsern Sekt zu den modernen Clubsesseln im hinteren Teil ging. Abwartend blieb sie an der Tür stehen.

»Worauf warten Sie denn?«, fragte er ungeduldig.

»Herr Kaminski, der Tag war lang, und ich wäre sehr froh, endlich nach Hause zu kommen.«

»Wieso? Gibt es da etwa einen Freund, der auf Sie wartet?«

»Ja«, log Steffi prompt. »Er macht sich bestimmt schon Sorgen. Ich wundere mich, dass er hier noch gar nicht aufgekreuzt ist.«

»So weit kommt’s noch!«, schnaubte Kaminski ärgerlich. »Ihr Privatkram hat hier nichts zu suchen! Und nun kommen Sie endlich!«

»Sollte ich nicht lieber weiter aufräumen?«, unternahm Steffi einen weiteren Versuch, ihrem Chef zu entkommen.

»Blödsinn! Den Rest macht die Putzkolonne, die ich für morgen bestellt habe. Wir beide werden jetzt erst mal mit einem schönen Glas Sekt auf den Erfolg des heutigen Tages anstoßen.«

Steffi kam seiner Aufforderung schließlich nach. Was hatte sie schon zu verlieren? Sollte Kaminski jetzt zudringlich werden, würde sie eben sofort kündigen und nicht erst am Montag. Doch zu Steffis großer Überraschung benahm sich Kaminski anständig. Er wartete ab, bis Steffi Platz genommen hatte, und hielt dann sein Glas hoch.

»Auf diesen überaus erfolgreichen Tag!« Mit einem Zug leerte er sein Glas und füllte es prompt nach.

Steffi beobachtete ihn über den Rand ihres Sektglases. Sie hatte nur kurz daran genippt. Sollte Kaminski vorhaben, sie betrunken zu machen, würde er sehr enttäuscht sein.

»Sagen Sie mal, worüber haben Sie sich eigentlich so lange mit dem feinen Herrn Wolfram und seiner Bagage unterhalten?«

»Wolfram?«, fragte Steffi konsterniert nach.

»Staatsanwalt Hagen Wolfram.« Lauernd sah Kaminski seine Angestellte an, die den Blick verständnislos zurückgab. Dann endlich dämmerte es ihr.

»Ach so, Sie meinen den Bekannten von Frau Norden.« Steffi zuckte die Achseln. »Mit ihm habe ich gar nicht gesprochen. Er ist zusammen mit Herrn Norden weitergegangen, während ich mit dessen Frau den Kauf abgewickelt habe. Zu Herrn Wolfram kann ich Ihnen nichts sagen. Ich wusste bis eben noch nicht mal, dass er Staatsanwalt ist.«

Kaminski schien ihr zu glauben. »Gut. Seien Sie ein bisschen vorsichtig. Diesem Typen ist nicht zu trauen. Das ist schon ziemlich dreist, dass er hier auftaucht und rumspioniert.«

»Wenn Sie meinen.« Steffi stand auf und stellte ihr volles Glas auf dem Tisch ab. »Da ich nicht weiter aufzuräumen brauche, würde ich jetzt sehr gern nach Hause gehen und meinen Füßen ein bisschen Erholung gönnen. Außerdem – Sie wissen ja, mein Freund wartet auf mich. Viel länger wird er sich bestimmt nicht vertrösten lassen. Es wäre sogar möglich, dass er schon vor der Galerie steht.«

Kaminski wedelte mit einer Hand, als würde er ein lästiges Insekt verscheuchen. »Gehen Sie endlich. Das hat mir gerade noch gefehlt, dass hier ein eifersüchtiger Liebhaber auftaucht.«

Steffi unterdrückte ein Grinsen und beeilte sich, die Galerie zu verlassen. Sie war froh, hier wegzukommen, ohne seine Annäherungsversuche abwehren zu müssen. Um ihm den Job vor die Füße zu werfen, war übermorgen noch genügend Zeit. Dass es dazu gar nicht kommen würde, konnte sie nicht wissen.

Auf dem Heimweg dachte sie über Kaminskis seltsames Verhalten nach. Entgegen ihrer Vermutung sollte sie nicht länger bleiben, weil er sich ein kleines Techtelmechtel erhofft hatte. Nein, er wollte sie nur über diesen Staatsanwalt aushorchen. Was hatte die Galerie Kaminski mit der Staatsanwaltschaft zu tun? Ein schrecklicher Verdacht drängte sich ihr auf. War die Galerie etwa in illegale Geschäfte verwickelt? Je länger Steffi darüber nachdachte, umso sicherer erschien ihr das.

Die Galerie nahm so gut wie nichts ein, wenn man von dem heutigen Tag absah. Es waren erschreckend wenige Kunstwerke in der ständigen Ausstellung, und nur selten verirrten sich Kunden in den unscheinbaren Laden. War er etwa nur ein Deckmantel für kriminelle Geschäfte, die im Verborgenen liefen? Dieser Gedanke beunruhigte Steffi. Mit kriminellen Machenschaften wollte sie nichts zu tun haben. Sie standen im krassen Gegensatz zu den Dingen und Werten, die Steffi wichtig waren. Außerdem machten sie ihr große Angst.

*

Hagen begrüßte die drei Polizeibeamten. Björn Lange unterdrückte nur mühsam ein Gähnen. »Entschuldigung, aber für einen Montagmorgen ist das sehr früh. Besonders wenn man am Wochenende Dienst hatte, so wie ich.«

»Ja, tut mir leid«, bedauerte Hagen. »Aber um acht beginnt die erste Verhandlung. Jetzt ist die einzige Zeit, zu der es noch halbwegs bei mir passt.«

»Dann sollten wir gleich anfangen.« Herbert Burmeister holte die Akte aus seiner Tasche. »Zu schade, dass es unserem jungen Kollegen nicht gelungen ist, die Stelle in der Galerie zu bekommen.«

»Ja, leider«, sagte Maik kleinlaut. Er schaffte es, sich die Erleichterung darüber nicht anmerken zu lassen. »Steffi Seidel ist mir leider zuvorgekommen. Sie hat an der Hochschule als Jahrgangsbeste abgeschlossen. Mit ihrem Zeugnis kann sie jede Stelle bekommen, die sie will.«

»Glaub ich nicht«, konterte Herbert. »Wenn dem so wäre, hätte sie nicht in dieser unbedeutenden Galerie bei dem schmierigen Kaminski angefangen.«

»Was wissen Sie von ihr?« Hagen sah die Polizisten fragend an. »Haben Sie sie überprüft?«

Björn nickte. »Natürlich. Die Kleine scheint sauber zu sein. Keine Vorstrafen und ein vernünftiger Umgang. Sie ist Single und lebt allein in einer anständigen Gegend. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie Kaminski und andere aus seinem Umfeld schon vor ihrer Einstellung kannte. Das Verhältnis zu Kaminski scheint rein beruflich zu sein.«

»Ich war am Samstag auf der Vernissage«, berichtete Hagen. »Ich habe sie dort kennengelernt und konnte in der kurzen Zeit auch nichts Auffälliges an ihr feststellen.«

Herbert zog erstaunt die Brauen hoch. »Sie waren wirklich da? Wie hat Kaminski reagiert, als er Sie gesehen hat?«

»Er ließ mich nicht aus den Augen. Ich schätze, ich habe ihn ein wenig nervös gemacht. Das war genau das, was ich damit beabsichtigt hatte. Sie wissen doch, Menschen, die nervös sind, begehen dumme Fehler.«

Björn Lange hatte seine Zweifel. »Ich glaube, Sie unterschätzen Kaminski. Er wird keinen Fehler machen, nur weil Sie da aufgetaucht sind. Wir werden nur an Beweise gelangen, wenn wir endlich einen von unseren Leuten als Informanten in der Galerie haben.«

»Doch da das so schnell nicht klappen wird, sollten wir über eine andere Taktik nachdenken.« Burmeister überlegte angestrengt. Irgendwie musste es doch gelingen, an diesen windigen Kriminellen heranzukommen. »Vielleicht sollten wir mal mit Steffi Seidel sprechen. Sie bekommt mit, was in der Galerie vor sich geht, und könnte für uns die Augen und Ohren offenhalten. So gelangen wir womöglich an ein paar brauchbare Informationen.«

Hagen schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, auf gar keinen Fall. Ich war schon nicht davon begeistert, einen Polizisten einzuschleusen. Bei einer unbeteiligten Zivilperson spiele ich erst recht nicht mit. Es wäre unverantwortlich, sie in Gefahr zu bringen.«

»Sie wäre nicht in Gefahr«, widersprach ihm Herbert Burmeister. »Sie macht da ganz normal ihre Arbeit und sagt uns nur das, was sie ohnehin aufgeschnappt hätte. Sie müsste nicht für uns im Papierkorb wühlen oder an der Tür lauschen. Nur ganz normale Dinge eben.«

»Tut mir leid, Herr Burmeister, Sie haben mich immer noch nicht überzeugt. Entgegen Ihrer Ansicht sehe ich nämlich durchaus eine Gefährdung für sie.«

»Und wenn sie von uns Unterstützung bekommt?« Herbert hatte nicht vor aufzugeben. Dafür war ihm der Fall zu wichtig. Seit Jahren arbeitete er daran, Kaminski zu schnappen. Er musste die Sache unbedingt abschließen, bevor er seine Dienstmarke abgab und mit seiner Inge auf Kreuzfahrt ging.

»Unterstützung? Woran dachten Sie?«

»An eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung zum Beispiel.«

»Nein, Kaminski würde den Braten sofort riechen. Ihm wird bestimmt nicht entgehen, dass ständig Polizisten in der Nähe sind. Ehe wir überhaupt reagieren können, hat er sich schon nach Südamerika abgesetzt, und wir sehen ihn nie wieder.«

»Dann darf er das eben nicht mitbekommen«, beharrte Herbert auf seinen Plan. »Sie bekommt von uns einen Beamten an die Seite gestellt, der sich als Verwandter ausgibt. Oder noch besser – als ihr Freund. Sie ist doch Single, oder? Kaminski wird sich nicht wundern, wenn dieser Freund ständig in ihrer Nähe ist. Wäre ja möglich, dass dieser angebliche Freund eifersüchtig ist und seine Liebste nicht aus den Augen lassen will. So was gibt’s doch!«

Hagen war noch immer nicht überzeugt, aber er begann, darüber nachzudenken. Und je länger er nachdachte, umso besser gefiel ihm Herberts Vorschlag. Allmählich verschwanden seine Bedenken, und schließlich stimmte er zu. Wenn Frau Seidel einen Beschützer an ihrer Seite hätte, konnte doch eigentlich nichts schiefgehen. Oder doch?

*

Von dem Gespräch in der Staatsanwaltschaft, bei dem sie eine wichtige Rolle spielte, ahnte Steffi natürlich nichts. Zu diesem Zeitpunkt saß sie in ihrer hübschen, kleinen Wohnung und genoss ihr Frühstück.

Am Vorabend hatte Steffi ihre Kündigung geschrieben, die nun in einem blütenweißen Umschlag in ihrer Handtasche auf ihren Einsatz wartete. Zuvor hatte sie ihre Eltern zum Sonntagskaffee besucht und mit ihnen darüber gesprochen. Selbstverständlich hatten sie ihre Tochter sofort in ihrem Entschluss bestärkt, diesen unglückseligen Job in der Galerie aufzugeben. Es tat Steffi gut zu wissen, dass ihre Eltern sie immer unterstützten und zu ihr standen. Nicht allen Menschen war dieses große Glück vergönnt.

Als es Zeit wurde, zur Arbeit zu gehen, konnte Steffi es kaum noch erwarten, ihre Kündigung abzugeben. Doch dann kam alles anders.

»Der Chef ist heute den ganzen Tag bei einem auswärtigen Termin«, sagte Frau Werner knapp.

»Er ist nicht da?« Verwirrt sah Steffi auf den Briefumschlag in ihrer Hand.

»Das sagte ich doch schon, Frau Seidel. Ich wundere mich, dass Sie davon nichts wussten. Wo Sie sich doch mit dem Chef so gut verstehen.«

Entgeistert sah Steffi ihre Kollegin an. Dann verstand sie.

»Nein!«, rief sie entsetzt aus. »Denken Sie etwa, dass Herr Kaminski und ich … Nein! Auf keinen Fall!«

»Na ja, was geht’s mich an …«, erwiderte Frau Werner schnippisch. Demonstrativ drehte sie Steffi den Rücken zu und sortierte die ausgelegten Werbeflyer. »Aber bilden Sie sich bloß nichts darauf ein. Sie sind nicht die Erste, die dachte, sie könne sich den Chef angeln. Das haben vor Ihnen schon ganz andere versucht.«

Steffis Laune hatte jetzt endgültig ihren Tiefpunkt erreicht. Schlimm genug, dass nichts aus der geplanten Kündigung wurde. Nun musste sie sich auch noch von Frau Werner grundlos verdächtigen lassen.

»Kann ich mir nicht vorstellen«, gab Steffi spitz zurück. »Ich habe jedenfalls kein Interesse an ihm, und im Übrigen haben Sie recht: Es geht Sie wirklich nichts an.«

Frau Werner sprach danach gar nicht mehr mit Steffi. Anfangs störte es Steffi, doch dann vergaß sie ihren kleinen Disput mit ihrer Kollegin.

Die Stunden bis zum Feierabend gingen diesmal schnell vorbei. Es kamen viele neue Besucher, die es nicht geschafft hatten, am Samstag in die Ausstellungseröffnung zu kommen. So hatte Steffi ständig zu tun und verschwendete keinen Gedanken an Frau Werner.

Als Steffi dann um zwei Uhr Schluss machte, schaffte sie es sogar, sich von ihr mit einem freundlichen Gruß zu verabschieden. Dass dieser kaum erwidert wurde, bemerkte sie nicht. Steffi freute sich auf das, was nun vor ihr lag. Jeden Montag ging sie in eine Schule in der Nachbarschaft, um einen Malkursus für eine kleine Gruppe Grundschüler zu geben. Es war eine sehr gute Schule, die den Kindern eine niveauvolle Betreuung am Nachmittag anbot. Nach einem gemeinsamen Mittagessen und den Hausaufgaben konnten die Kinder verschiedene Kurse besuchen. Niemand schrieb ihnen vor, was sie zu machen hatten. Einige nahmen am Kochkursus teil, andere arbeiteten mit Holz oder sangen im Chor. Sogar eine Strick- und Häkelgruppe gab es. Als Steffi davon erfuhr, hatte sie nicht wenig gestaunt. Wer hätte vermutet, dass es wieder in Mode käme, gemeinsam Socken zu stricken?

Lautstark wurde Steffi von einem Dutzend Kinder begrüßt, als sie den Zeichenraum betrat.

»Wir hatten schon Angst, dass du nicht kommst«, rief Jonas, der erwartungsvoll mit einem Pinsel in der Hand vor seiner kleinen Staffelei stand.

»Ich werde euch doch nicht im Stich lassen«, tat Steffi entrüstet. Sie sah auf ihre Uhr. »Außerdem habe ich mich noch nicht mal verspätet. Ich bin pünktlich auf die Minute.«

»Aber du weißt doch, dass wir es nicht abwarten können, endlich loszulegen.«

»Dann macht das doch beim nächsten Mal einfach ohne mich! Ihr müsst nicht darauf warten, dass ich den Startschuss gebe. Malen ist Leidenschaft! Wenn sie euch packt, dann wartet keine Sekunde, sondern fangt sofort an!« Steffi sah lächelnd in die erwartungsvollen Kinderaugen. »Also dann, los geht’s!«

In den nächsten zwei Stunden kehrte in den kleinen Zeichensaal Ruhe ein. Hochkonzentriert arbeiteten alle an ihren Kunstwerken. Steffi ging von Staffelei zu Staffelei, gab wertvolle Hinweise, beantwortete die zahlreichen Fragen oder half beim Mischen der Farben.

Und wie jeden Montagnachmittag hoffte Steffi, dass die Zeit einfach stehenbleiben würde und sie für den Rest ihres Lebens nichts anderes machen müsste, als wissbegierige Kinder in die Welt der Fantasie und bunten Farben zu begleiten. Doch wie jeden Montagnachmittag ging auch dieser Malkursus wieder viel zu schnell vorbei, und es wurde Zeit, die Pinsel auszuspülen und die Staffeleien zur Seite zu stellen.

Es dämmerte bereits, als Steffi sich nach einem langen Tag endlich auf den Heimweg machte. In ihrer Wohnung zündete sie ein paar Kerzen an, die für eine gemütliche Atmosphäre sorgten, bevor sie in die Küche ging, um das Abendessen zuzubereiten. Doch weit kam sie damit nicht. Es klingelte an ihrer Wohnungstür, und Steffi war erstaunt, als sie sah, wer davorstand.

»Maik?«, fragte sie ungläubig. »Was machst du denn hier? Woher weißt du überhaupt …«

»Darf ich reinkommen?«, wurde sie von ihm unterbrochen. Er sah sie angespannt an, und sofort breitete sich ein mulmiges Gefühl in Steffi aus. Was wollte er hier? War er etwa sauer, weil sie ihm den Job in der Galerie weggeschnappt hatte?

»Was willst du denn?«, fragte sie vorsichtig zurück.

»Wir wollen nur mit dir reden, Steffi.«

»Wir? Wen meinst du mit wir?«

Maik trat zur Seite, und drei weitere Männer erschienen im Türrahmen. Einen von ihnen kannte Steffi bereits.

»Herr Wolfram?«, fragte sie erstaunt.

»Ja, Frau Seidel. Wir kennen uns von der Vernissage. Wenn Sie uns hereinlassen, erklären wir Ihnen, warum wir hier sind.« Hagen deutete Steffis Zögern falsch. Deshalb erklärte er ihr: »Die drei Herren sind übrigens von der Polizei. Sie haben also nichts zu befürchten. Ich arbeite bei der …«

»… Staatsanwaltschaft«, vollendete Steffi seufzend den Satz. »Bitte kommen Sie herein.«

Als sie die Tür hinter ihren Besuchern geschlossen hatte, stellten sich die Polizisten vor und zeigten ihre Dienstmarken.

Steffi staunte, dass sogar Maik als Polizist arbeitete. Es fiel ihr jetzt nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen. Maik war es also gar nicht um die Stelle in der Galerie gegangen. Er war in seiner Funktion als Polizist dort gewesen.

Der Älteste in der Runde war Polizeihauptkommissar Burmeister, der sie streng aus klugen Augen musterte. Sofort kam sie sich ertappt vor, obwohl sie gar nichts verbrochen hatte. Steffi konnte sich sehr gut vorstellen, wie sich kleine Sünder fühlen mussten, wenn sie Herbert Burmeister bei einem Verhör gegenübersaßen.

Oberkommissar Björn Lange hingegen war ein ganz anderer Typ. Er war einige Jahre älter als Steffi, überragte sie mindestens um Haupteslänge, sah gut aus und hatte eine sportliche Figur. Als sie ihm in seine graublauen Augen sah, zwinkerte er ihr vergnügt zu. Verlegen wandte sie sich ab und führte die Herren in ihr Wohnzimmer.

»Woher wissen Sie, dass ich Staatsanwalt bin?«, fragte Hagen, als er Platz genommen hatte.

»Herr Kaminski sagte das. Er war sehr beunruhigt, weil Sie auf der Vernissage waren. Von mir wollte er hinterher wissen, worüber wir uns unterhalten haben.«

»Und was haben Sie ihm erzählt?«