E-Book 181-190 - Friederike von Buchner - E-Book

E-Book 181-190 E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. E-Book 1: Mein Teddy hat ihn lieb – du auch? E-Book 2: Auf dem Pilgerpfad der Liebe E-Book 3: Eine Rasselbande wird aktiv E-Book 4: Träume werden Wirklichkeit E-Book 5: Kein Talent für die Liebe? E-Book 6: Ich küsse keinen Fremden E-Book 7: Das verschlossene Herz E-Book 8: Bist du nie verliebt gewesen? E-Book 9: Wer sucht, der wird finden E-Book 10: Ronda will fensterln

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Inhalt

Mein Teddy hat ihn lieb – du auch?

Auf dem Pilgerpfad der Liebe

Eine Rasselbande wird aktiv

Träume werden Wirklichkeit

Kein Talent für die Liebe?

Ich küsse keinen Fremden

Das verschlossene Herz

Bist du nie verliebt gewesen?

Wer sucht, der wird finden

Ronda will fensterln

Toni der Hüttenwirt – Staffel 19 –

E-Book 181-190

Friederike von Buchner

Mein Teddy hat ihn lieb – du auch?

Für die kleine Chantal ist alles ganz einfach ...

Roman von von Buchner, Friederike

Es war Mittagszeit. Toni kam vom Einkauf in Kirchwalden zurück und parkte auf dem Marktplatz von Waldkogel. Er ging in den Andenken- und Trachtenladen Boller.

»Grüß Gott, Franz! Wie geht es?«

»Grüß Gott, Toni! Frag besser net so genau!«, antwortete Franz und schloss den Laden ab. Er hängte das selbstgeschriebene Schild an die Eingangstür. Darauf stand: ›Mittagspause‹.

»Komm mit nach oben!«, sagte Franz und ging voraus.

In der Küche bot er Toni einen Kaffee an. Während Toni trank, öffnete Franz eine Dose mit einem Fertiggericht. Er goss den Inhalt in einen Topf und schaltete den Elektroherd ein. Er blieb dabei stehen und rührte um. Toni beobachtete ihn anteilnahmsvoll.

»Warum gehst du nicht mehr zu meinen Eltern Mittagessen, Franz? Meine Mutter hat es dir doch angeboten.«

»Deine Eltern öffnen ihr Wirtshaus erst am Nachmittag. Ich will deiner Mutter net so viel Umstände machen.«

Franz Boller seufzte.

»Toni, es gibt noch einen Grund. Ich bin im Augenblick am liebsten für mich. Dass ich den Laden allein führen muss und jeder mich anspricht auf Veronikas …, wie soll ich sagen …?«

»Dummheit«, sagte Toni knapp.

»Ja, so muss man es wohl nennen. Also, fast jeder spricht mich darauf an. Des ist mir peinlich genug. Ich bin zwar um eine passende Antwort nicht verlegen, aber es belastet mich sehr. Ich habe den Eindruck, dass viele nur aus Neugierde zum Einkaufen kommen.«

»Lass es dir net so nah gehen, Franz! Wie geht es Veronika inzwischen?«

»Martin sagt, dass es ihr körperlich besser geht. Aber es ist eben der seelische Kummer. Sie schämt sich. Sie will niemanden sehen, auch mich nicht. Der Martin sagt, dass sei normal nach einem solchen Schock.«

Toni nickte und trank einen Schluck Kaffee.

»Mei, des kann man doch auch verstehen. Das war ein richtiger Absturz aus höchsten Höhen in ein tiefes Tal.«

»Ja, so war es. Sie macht sich Vorwürfe, sagt Martin, sie leidet sehr unter ihrem schlechten Gewissen.«

»Ein schlechtes Gewissen kann sie nur dir gegenüber haben. Aber ihr führt doch eine gute Ehe. Da müsste doch eine Verständigung möglich sein. Meinst du net?«

Der Eintopf war heiß. Franz setzte sich und aß.

»Toni, du kennst die Veronika. Sie ist eine tüchtige Person. Sie kann wirklich zupacken. Das ist die eine Seite von ihr. Die andere Seite ist, dass sie immer alles besser weiß, jedermann Ratschläge gibt und sich gern überall einmischt. Sie hat gedacht, sie macht nie Fehler. Das ist doch Unsinn. Jeder Mensch macht mal Fehler, das gehört zum Leben dazu. Und jetzt hat sie einen großen Fehler gemacht. Sie hat sich über den Tisch ziehen lassen. Das wurmt sie. Darüber kommt sie nicht hinweg.«

»Kommt Zeit, kommt Rat, Franz.«

»Weißt du, ich war von Anfang an dagegen. Was haben wir wegen der Sache gestritten! Doch diese Herren haben meine Veronika mit schönen Worten und Komplimenten weichgeklopft. Deshalb hat sie net genau hingeschaut. Sie ist verführt worden. Das verzeiht sie sich so schnell net und auch net, dass ich Recht behalten habe. Toni, ich sage deswegen nix zu ihr. Sie ist schon geprüft genug. Außerdem gehöre ich net zu denen, die sagen, siehst du, ich habe es gewusst. Jedenfalls will sie mich nicht sehen. Drei Tage ist sie jetzt schon beim Martin auf der Krankenstation. Martin rät ihr, sich in psychologische Behandlung zu begeben, damit sie das Trauma besser verarbeitet. Sie muss lernen, mit ihrem Fehler umzugehen und einen neuen Standpunkt gewinnen. Sicher könne er als Arzt viel tun, aber ein Fachmann sei schon besser.«

»Gute Idee«, sagte Toni. »Außerdem käme der Therapeut nicht aus Waldkogel und wäre somit ein Fremder. Auf den würde sie vielleicht eher hören.«

»Genau des meint der Martin auch. Außerdem, Toni, ich will mal ganz ehrlich sein. Was ist passiert? Veronika hat ihr eigenes Geld in die unsinnige Sache gesteckt. Ihr Erbe ist fort, jedenfalls zum großen Teil. Sie hat es den Gaunern hinterhergeworfen. Aber es ist doch nur Geld. Es ist nicht die Gesundheit oder das Leben oder sonst etwas Wichtiges und Wertvolles.«

»Wie eure Ehe«, sagte Toni.

»Genauso ist es, Toni. Ich liebe meine Veronika immer noch und bin bereit, so zu tun, als wäre nix geschehen. Himmel, was soll es? Sie hat einen Fehler gemacht. Das kann sie sich nicht verzeihen. Aber muss sie jetzt noch einen Fehler machen, vielleicht einen noch größeren? Des waren ausgefuchste Trickbetrüger. Wie deine Anna herausgefunden hat, sind schon viele auf diese Gauner hereingefallen.«

»Das stimmt, Franz. Du hast klug und schnell reagiert. So hat Veronika nur des Geld aus ihrer Erbschaft verloren, und ihr seid mit einem blauen Auge davongekommen. Andere haben ihre gesamten Familienersparnisse in die angebliche Geschäftsgründung gesteckt und sich damit um ihre Existenz gebracht.«

»Das stimmt, Toni. So gesehen, ist alles nicht so schlimm. Wenn Veronika sich nur selbst verzeihen und einen Schlussstrich ziehen könnte! Ich bin ihr doch nicht böse. Ich fühle mit ihr. Aber sie will mich nicht sehen. Ich gehe jeden Morgen zu Martin, bevor ich den Laden aufmache und gehe jeden Abend hin nach Ladenschluss. Jedes Mal muss ich unverrichteter Dinge umkehren. Martin lässt mich nicht zu ihr, weil Veronika mich nicht sehen will. Toni, ich bin verzweifelt.«

»Dass du verzweifelt bist, des glaube ich dir gern, Franz. Ich sage dir etwas. Du musst einfach ein bisserl stur sein. Am besten, du lässt den Laden zu. Du setzt dich beim Martin ins Wartezimmer und sagst, dass du so lange sitzen bleibst, bis Veronika dich sehen will.«

»Das kann dauern. Du weißt nicht, wie stur und verbohrt sie sein kann. Mei, den Martin kann ich verstehen. Er hat oft genug versucht, sie umzustimmen, aber sie will mich einfach nicht sehen.«

Toni trank den Kaffee aus. Er stand auf und schmunzelte.

»Franz, ich habe es! Als junger Bursche hast du bestimmt bei deiner Veronika gefensterlt, richtig?«

Sie lachten beide laut.

»Na, siehst du? Jetzt brauchst du nicht mal mehr eine Leiter, die Krankenzimmer auf Martins kleiner Krankenstation liegen alle im Erdgeschoss. Wir haben im Augenblick heiße Nächte. Da sind sicherlich die Fenster auf.«

Sie grinsten sich an.

»Ist das nicht Hausfriedensbruch?«, fragte Franz. »Martin wird mich hinauswerfen, wenn ich einsteige. Er wird Wolfi oder Chris anrufen und sie werden mich abführen.«

Toni lachte laut.

»Des glaubst du selbst nicht, Franz! Wer kann einem Mann verbieten, seine Frau zu besuchen, wenn ihn sein Herz dazu drängt?«

Franz schmunzelte.

»Des ist eine gute Idee, Toni. Die werde ich mir durch den Kopf gehen lassen. Aber du hast recht. Ich muss Veronika überrumpeln.«

»Ja, das musst du! Ihr müsst endlich miteinander reden!«

Franz stand auf. Er brachte Toni zur Tür.

»So, heute Nachmittag bleibt der Laden geschlossen. Ich fahre nach Kirchwalden und kaufe Geschenke für Veronika. Etwas Besonderes soll es sein, etwas, was wir nicht im Sortiment haben. Teuer muss es sein. Mei, sie wird schimpfen, dass ich so viel Geld ausgegeben habe. Aber wenn sie schimpft, dann weiß ich, dass es ihr besser geht und dass sie sich freut.«

»Dann wünsche ich, dass du mit deiner Therapie Erfolg hast, Franz. Sage ihr Grüße von Anna, dem alten Alois, mir und meinen Eltern! Sage ihr, dass wir alle zu ihr halten und sie soll sich keine Gedanken machen.«

»Das werde ich, Toni. Nochmals Danke für deinen Besuch! Es war gut, mit dir zu reden.«

»Gern geschehen und morgen gehst du mittags wieder zu meinen Eltern ins Wirtshaus essen, Franz, falls die Veronika noch net daheim ist. Dieses Büchsenzeug ist nur was für den Notfall und net auf Dauer. Pass auf dich auf und iss etwas Ordentliches, sonst wirst du uns auch noch krank. Dann kann Martin euch zusammen in ein Zimmer legen.«

»Mei, das ist es doch, Toni. Ich habe ohnehin schon Magenbeschwerden.«

»Na siehst du! Jetzt hast du schon zwei Ideen, wie du deiner Veronika näherkommen kannst. Du wirst schon wissen, was du machen sollst. Pfüat di, Franz!«

»Pfüat di, Toni, und grüß mir alle auf der Berghütte, besonders die Kinder.«

»Die haben es dir angetan, Franz. Das konnte ich sehen.«

»Ja, ich liebe Kinder. Leider ist unsere Ehe kinderlos geblieben. Des ist schade.«

Sie lächelten sich zu. Dann ging Toni zu seinem Auto. Franz Boller schloss die Ladentür wieder ab. Er klebte innen einen neuen Zettel gegen das Glas. Darauf stand:

›Heute bis 17.00 Uhr geschlossen!‹

Dann zog er seinen Sonntagsanzug an und fuhr nach Kirchwalden.

*

Daniela stand in der Küche und bereitete das Abendessen zu. Die Haustür ging auf.

»Schatz, ich bin in der Küche«, rief Daniela laut.

Doktor Alexander Krause blieb kurz in der Küchentür stehen und warf seiner Frau einen Luftkuss zu.

»Wir können in zehn Minuten essen«, sagte sie. »Du bist wieder spät dran.«

Alexander nickte nur und ging ins Badezimmer. Er duschte und zog sich um.

Als er kurz darauf in Freizeitkleidung ins Esszimmer kam, war ein Teil des Stresses von ihm abgefallen. So ging es ihm immer nach einer schönen Dusche. Er wusch sich nicht nur möglicherweise vorhandene Bakterien und Viren ab, sondern schrubbte sich auch den Ärger herunter.

Er ging auf seine Frau zu und nahm sie in den Arm.

»Guten Abend, mein Schatz!«

Sie sahen sich in die Augen und strahlten sich an.

»Guten Abend, Liebling«, flüsterte Daniela und streichelte ihm über die Wange.

Sie nahmen sich in den Arm und küssten sich.

»Du siehst schon viel besser aus, als wie du vorhin zur Tür hereingekommen bist, Alexander. War dein Tag schlimm?«

»Es war die ganz normale Hektik. Zwei Kollegen sind in Urlaub. Eine Kollegin mussten wir auf die Wochenstation legen. Ihr droht eine Frühgeburt. Bei dem Arbeitspensum auf der Station ist es nicht verwunderlich. Aber ich denke, es geht gut und sie kommt nicht vorzeitig nieder. Kurz, es kam mal wieder alles zusammen. Dazu hat unser Krankenhaus diese Woche Notaufnahme. Und der ganze Schreibkram muss auch noch gemacht werden.«

Daniela nickte. Sie verstand ihren Mann. Sie war selbst Ärztin und hatte bis zum Ende der Facharztausbildung als Allgemeinmedizinerin im Krankenhaus gearbeitet. Nach Chantals Geburt, ihres kleinen Sonnenscheins, war sie daheimgeblieben. Wenn Chantal in die Schule kommt, würde sie wieder arbeiten, zumindest halbe Tage. Alexander war Internist.

»Wir sollten uns wirklich überlegen, ob wir so weitermachen wollen. Du kommst fast jeden Tag spät nach Hause und siehst deine Tochter während der Woche nur, wenn sie schläft.«

»Das stimmt. Heute wollte ich früher gehen. Doch dann gab es einen schweren Unfall und ich wurde als Internist hinzugezogen, als der Rettungshubschrauber die Verletzten brachte.«

»Schlimm?«, fragte Daniela knapp.

»Sie hatten Glück. Das sind so Momente, in denen ich weiß, dass es sich lohnt, Arzt zu sein.«

Daniela wusste, wovon ihr Mann sprach.

Sie setzten sich zu Tisch. Daniela war eine ausgezeichnete Köchin. Seit sie daheim war, kochte sie jeden Abend ein warmes Essen. Sie wusste, dass ihr Mann im Krankenhaus zu Mittag oft nur ein belegtes Brötchen aß. Es gab gebackene Leber mit vielen Zwiebeln und Apfelscheiben. Dazu hatte sie Kartoffelmus gemacht und Rotkraut. Die Schokoladencreme rundete als Nachtisch das Menü ab.

»Heute kam die Fachzeitung. Ich habe mir die Praxisangebote angesehen. Es gibt viele Kollegen, die aus Altersgründen ihre Praxis abgeben wollen. Die Anzeigen werden von Monat zu Monat mehr. Es waren einige interessante Angebote dabei.«

»Die in den letzten Monaten waren alle inakzeptabel.«

»Das stimmt. Die Bedingungen waren ungünstig und zu teuer. Jetzt ist eine dabei, die uns vielleicht interessieren könnte.«

»Wirklich?«

»Ja, die Anzeige klingt gut. Es ist eine Landarztpraxis, etwas abgelegen in Mecklenburg-Vorpommern.«

»Fragen und ansehen kostet nichts«, sagte Alexander.

Sie räumten gemeinsam den Tisch ab. Dann gingen sie ins Wohnzimmer. Die Terrassentüren zum Garten standen offen. Draußen ging die Sonne langsam unter. Daniela holte zwei Rotweingläser. Alexander entkorkte die Flasche und schenkte ein. Sie prosteten sich zu und tranken. Daniela reichte Alexander die Fachzeitschrift. Sie hatte die Anzeige umrahmt. Er las.

»Das klingt gut. Meinst du, ich sollte dort anrufen?«

»Sicher!«, sagte Daniela. »Ich stamme vom Land und du auch. Wir waren uns einig, dass für uns eine Landarztpraxis ebenso infrage kommt wie eine Stadtpraxis.«

»Ja. Auf dem Land zu leben, auch im Hinblick auf Chantal, hat viele Vorteile. Ich rufe gleich an.«

Alexander stand auf und ging in sein Arbeitszimmer. Daniela lief nach oben und sah nach Chantal. Das kleine Mädchen schlief, den geliebten Teddy fest im Arm.

Als sie wieder nach unten kam, telefonierte Alexander immer noch. Daniela machte die Küche sauber und wartete. Nach fast einer Stunde kam Alexander. Am Strahlen seiner Augen sah sie, dass das Gespräch gut gelaufen war. Alexander setzte sich und trank einen Schluck Rotwein.

»Der alte Arzt heißt Bernhard Fischer. Er will die Praxis aufgeben, um zu seinen Kindern in den sonnigen Süden ziehen zu können. Er ist Witwer. Auf Geld ist er nicht angewiesen. Er will, dass seine Patienten gut versorgt werden. Als ich ihm sagte, dass ich Internist bin und du Ärztin für Allgemeinmedizin, war er begeistert. Er hat über Jahrzehnte die Praxis zusammen mit seiner Frau betrieben, die auch Ärztin war. Wir haben uns gut verstanden. Jedenfalls hat er uns beide eingeladen, ihn zu besuchen. Wir könnten dann auch einige Tage Dienst machen und die Leute kennenlernen. Er will dabei nicht in der Praxis sein. Er geht angeln, sagt er. Wir sollen uns alles in Ruhe anschauen, seine Patienten behandeln, Hausbesuche machen, das ganze Programm. Dann wüssten wir alles, meint er. Zur Übergabe will er das Haus räumen, bis auf ein Zimmer. Er würde zu unserer Unterstützung noch einige Wochen bleiben und dann zu seinen Kindern ziehen.«

»Das klingt traumhaft. Und wie ist es mit den Kosten?«

Alexander nannte den kleinen Betrag der monatlichen Leibrente, die Doktor Fischer verlangt hatte.

»Das gibt es doch nicht! Dieser Mann ist nicht von dieser Welt«, sagte Daniela.

»Das habe ich ihm auch gesagt. Er ist vom alten Schlag. Deshalb tut er sich mit der Übergabe sehr schwer.«

»Bei diesen Bedingungen gibt es sicherlich viele Interessenten.«

Alexander schüttelte den Kopf.

»So ist es nicht. Den meisten liegt der Ort zu weit weg von der nächsten größeren Stadt. Dabei sind es nur zwanzig Minuten mit dem Auto, dazu kam, dass die Praxis nicht supermodern ist. Andere Ärzte kamen gleich mit einem Finanzberater und einem Architekten an. Das war zu viel für den alten Mann. Er hat sie hinausgeworfen. Er sagt, seine Patienten seien alles so gewohnt und so sollte es bleiben. Das haben die meisten Interessenten nicht eingesehen. Sie wollten nichts Altes.«

»Darauf kommt es nicht an. Solange alle Geräte funktionieren und ein guter Arzt hinter dem Schreibtisch sitzt, der Zeit für die Patienten hat, kann die Einrichtung getrost schon in die Jahre gekommen sein. Vielleicht hat die Praxis sogar Charme.«

»Das hat sie sicher.«

Sie lächelten sich an.

»Ich werde dem Chef sagen, dass ich, wegen einer dringenden Familienangelegenheit, Urlaub nehmen möchte.«

»Er wird sicherlich nicht begeistert sein«, sagte Daniela.

»Das nicht, aber wird es mit genehmigen, ich hatte so lange keinen Urlaub. Dann werden wir uns die Praxis ansehen.«

»Das ist großartig, Alexander.«

»Es wäre gut, wenn wir Chantal jemandem anvertrauen könnten. Ich dachte mir, wir bleiben mindestens eine Woche dort. Es wird hektisch werden. Wenn wir ohne Chantal fahren, wird es bestimmt einfacher. Wie ist es mit deiner Mutter und deiner Schwester?«

Danielas Mutter hatte schon öfter auf Chantal aufgepasst.

Lucia, Danielas jüngere Schwester, war Lehrerin. Bald begannen die großen Ferien.

»Ich rufe Lucia gleich morgen an und spreche mit ihr.«

»Lade sie für morgen Abend ein! Ich verspreche, das ich früher heimkomme.«

»Versprich nichts, was du nicht halten kannst, Alexander!«

Sie lachten.

*

Alexander hielt Wort. Er kam am nächsten Tag früher nach Hause. Chantal lief ihrem Vater mit offenen Armen entgegen.

»Gleich, Chantal«, sagte er »lass Papi erst duschen und sich umziehen!«

»Ich weiß. Das musst du machen, wegen der bösen Keime.«

Alexander und Daniela lachten.

»Hat dir Mami schon gesagt, dass Tante Lucia kommt?«

Chantal hüpfte auf der Stelle.

»Sie wird mir bestimmt etwas mitbringen«, schrie Chantal vor Begeisterung.

»Das wird sie, mein kleiner Schatz. Tante Lucia ist deine Patentante. Patentanten dürfen nicht ohne Geschenk kommen.«

Chantal strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und nickte eifrig.

»Chantal, du kannst mir helfen, den Tisch zu decken«, sagte ihre Mutter.

»Das kann ich schon ganz toll. Ich weiß, dass die Messer rechts hinkommen und die Gabeln links.«

»Du bist ein großes kluges Mädchen«, lobte sie ihr Vater.

Chantal folgte ihrer Mutter in die Küche.

Alexander ging unter die Dusche.

Als er herunterkam, war seine Schwägerin schon da. Sie begrüßten sich herzlich.

»Schau mal in den Garten!«, sagte Daniela.

»Oh, das ähnelt fast einem Kindergarten«, lachte Alexander.

»Das aufblasbare Iglu mit Tunnel hat binnen Minuten die Kinder aus der Nachbarschaft angelockt. Jetzt sitzen sie alle drin, spielen Höhlenmenschen und essen gemeinsam«, lachte Lucia.

»Damit sind sie die nächste Stunde beschäftigt. Dann lass uns zu Tisch gehen!«

An diesem Tag gab es kaltes Essen. Daniela hatte Eiersalat mit Zwiebeln und Mais gemacht, der mit einer Joghurtsoße und Kräutern verfeinert war.

»Keiner macht den so gut, wie du, Daniela. Ich bin auch nicht ungeübt, was das Kochen angeht, aber dein Eiersalat ist einfach einsame Spitze.«

Lucia nahm sich eine weitere Portion.

»Freut mich, wenn es dir schmeckt«, sagte Daniela. »Erstens weiß ich, dass es dein Lieblingsessen ist und zweitens wollte ich dich damit wohlwollend stimmen.«

Lucia lachte.

»Ich bin sehr wohlwollend gestimmt. Also raus mit der Sprache, wo drückt der Schuh? Am Telefon hast du nur gesagt, dass es Neuigkeiten gibt.«

Daniela warf ihrem Mann einen Blick zu. Er stand vom Esstisch auf und holte etwas von der Anrichte. Doktor Bernhard Fischer hatte noch in der Nacht Fotos vom Haus und der Praxis gemailt.

Alexander nannte die Eckdaten.

»Das klingt zu schön, um wahr zu sein«, staunte Lucia. »Ist er ein Engel? Ein Engel in Weiß?«

»Er hat noch Ideale. Von den bisherigen Bewerbern war er sehr enttäuscht. Das ist gut für uns. Er hat uns eingeladen, mindestens eine Woche bei ihm zu sein. Wir sollen Dienst machen, während er angeln geht.«

»Das ist ein Härtetest«, brachte es Lucia auf den Punkt. »Er will Taten sehen.«

»Genau!«

»Wann wollt ihr fahren?«

»In zwei Wochen«, sagte Alexander und schaute seine Frau an. Daniela übernahm das Gespräch.

»Du hast doch Sommerferien. Kannst du ein bis zwei Wochen auf Chantal aufpassen? Für Mutter würde das zu anstrengend, Chantal überall mit hinzunehmen und auf sie aufzupassen!

Lucia biss in das Brötchen. Sie kaute und dachte nach.

»Mm! Ich wollte in Urlaub fahren, gleich zu Beginn der Ferien.«

»Dann hast du schon gebucht?«

»Was heißt gebucht? Auf der Berghütte bei Toni bucht man nicht so. Sicher ist eine Kammer für mich reserviert, aber die kann ich absagen. Ich fahre dann eben später, wenn ihr zurückkommt.«

»Dir macht es wirklich nichts aus?«, fragte Daniela.

»Nein, ich nehme Chantal gern. Sie ist ein herziges Mädchen und außerdem ist sie mein Patenkind. Wer weiß, ob ich je Kinder haben werde. Dazu brauche ich einen Mann. Und wie es mit mir und Männern ist, das wisst ihr ja. Den Richtigen habe ich noch nicht getroffen.«

»Vielleicht gibt es den perfekten Mann nicht, den du suchst?«

»Alexander, hör auf, zu lästern! Du hast gut reden. Dich hätte ich auch genommen, aber du wolltest ja Daniela.«

»Wo die Liebe eben hinfällt«, lachte Alexander. »Aber Scherz beiseite, eines Tages wirst du die große Liebe finden, Lucia.«

»Wenn du es sagst, Alexander. Aber sprechen wir nicht über mich. Dass ich mich in Sachen Liebesbeziehungen schwertue, das ist eben so und nicht zu ändern. Sprechen wir von euch! Also, ich rufe Toni an und sage, dass ich später komme. Den Termin lasse ich offen. Dann seid ihr nicht auf einen Tag festgelegt. Soll ich hierherkommen oder Chantal zu mir holen?«

Alexander und Daniela überlegten. Sie kamen überein, dass Lucia Chantal zu sich nehmen sollte. Das war einfacher. Sie konnten Chantal sagen, dass sie zu Tante Lucia in Ferien geht, weil Mami und Papi wegfahren und einem alten Doktor helfen müssen.

Nach dem Essen sprachen sie noch lange über die Praxis und das Leben, das sie dann führen könnten.

»Es wird viel Arbeit sein, aber es ist alles zusammen unter einem Dach, der private Wohnbereich und die Praxis. Daniela wird auch in der Praxis sein. Wir teilen uns die Aufgaben, so wie es das Ehepaar Doktor Fischer gemacht hat. Einer war in der Sprechstunde und der andere machte die Hausbesuche«, sagte Alexander.

»Ich freue mich schon drauf«, schwärmte Daniela. »So kann ich in meinen geliebten Beruf zurück und die Familie ist zusammen. Es ist auch nicht schwierig, wenn wir dann noch Kinder bekommen. Chantal soll nicht als Einzelkind aufwachsen. Sie ist jetzt fünf. Bei einem Geschwisterchen wäre der Abstand so wie bei dir und mir, Lucia. War es nicht schön?«

»Es war herrlich. Du hast mich als große Schwester überall mit hingeschleppt.«

»Ja, das stimmt!«

»He, da kommt mir gerade eine Idee! War Chantal schon einmal in den Bergen?«, fragte Lucia. »Ich könnte sie mitnehmen. Die gesunde Bergluft wird ihr guttun. Von Toni und seiner Familie habe ich euch doch schon erzählt. Sie haben zwei Kinder adoptiert und sind beide Kindernarren. Sie passen sicherlich auf Chantal auf, wenn ich klettern gehen will. Außerdem wird sie den ganzen Tag mit Bello spielen, dem Neufundländerrüden. Er hat ein dickes kuscheliges Fell wie ein Teddybär. Was haltet ihr davon?«

Daniela und Alexander besprachen sich kurz. Sie waren beide damit einverstanden.

Nach einer Weile kam Chantal aus dem Garten.

»Die sind alle heim«, schmollte sie und drückte sich an ihre Mutter.

»Sie sind bestimmt zum Abendessen gerufen worden. Ihr könnt morgen weiterspielen. Hast du Hunger, Chantal?«

Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf.

»Nö!«

»Wir haben noch eine Überraschung für dich«, sagte Alexander. »Du darfst mit Tante Lucia in Urlaub fahren. Ihr fahrt in die Berge auf eine Berghütte. Dort gibt es Kinder. Sie sind zwar älter als du, aber Tante Lucia meint, dass du mit ihnen gut spielen kannst. Außerdem gibt es dort noch einen großen Hund.«

»Ein Hund wie Rex?«

»Nein, Chantal«, sagte ihre Mutter. »Rex ist ein Schäferhund. Der Hund auf der Berghütte ist ein Neufundländer. Er wird dir gefallen. Er hat lange Haare und ist kuschelig.«

»Hast du ein Foto?«, fragte Chantal und drückte sich an ihre Patentante.

»Ich werde dir eins schicken lassen.«

Lucia griff sofort zum Handy und rief Toni auf der Berghütte an. Sie kündigte an, dass sie ihre kleine fünfjährige Nichte mitbringen werde. Toni versprach, ein Kinderbett aufzustellen.

»Es wird dann ein bisserl eng in der Kammer, aber ihr seid ja den ganzen Tag draußen.«

»Das werden wir«, sagte Lucia. Sie erzählte von Chantal und dass sie Hunde mochte. Sie bat Toni, ein Foto von Bello zu schicken. Toni versprach, es gleich am nächsten Tag zur Post zu geben und notierte sich die Anschrift. Chantal verabschiedete sich und legte auf.

»Toni schickt dir einen Brief, Chantal. Morgen wird er noch nicht da sein, aber übermorgen. Er hat kein Bild, auf dem nur Bello zu sehen ist. Er schickt ein Foto von der Berghütte. Davor steht er, seine Frau Anna und die Kinder Sebastian und Franziska. Dann gibt es noch den alten Alois, der ist so wie ein Opa. Bello ist auf dem Foto mit drauf und ich wette, dass Franziska den Kater Max im Arm hält.«

Chantal nickte eifrig. Sie stellte viele Fragen. Lucia, Daniela und Alexander erklärten ihr alles. Daniela und Lucia würden ihr einen kleinen Rucksack kaufen, außerdem Wanderschuhe, Wandersachen und einen Hut gegen die Sonne.

»Teddy kommt auch mit!«, sagte Chantal entschieden.

Sie rannte in ihr Zimmer und holte den geliebten Teddybär.

»Ich fahre mit Tante Lucia in die Berge und du kommst auch mit«, erzählte sie dem Teddy. Chantal schaute in die Runde.

»Teddy braucht auch einen Rucksack«, sagte sie.

Lucia lachte.

»Natürlich braucht dein Teddy einen Rucksack. Jeder, der in die Berge fährt, muss einen Rucksack haben.«

»Hast du das gehört, Bärli?«, sagte Chantal.

Sie hielt den Teddybär ans Ohr.

»Was hat er gesagt?«, fragte Lucia.

»Er hat gesagt, dass er sich freut.«

Alle lachten.

Dann fiel Chantal plötzlich auf, es war nicht die Rede davon, dass ihre Eltern mitkommen. Alexander und Daniela erklärten noch einmal, dass sie arbeiten müssten. Aber sie wollten, falls Alexander noch Urlaubstage übrig hatte, in die Berge kommen. Chantal war etwas traurig. Doch Lucia verstand es, sie abzulenken.

»Bist du schon einmal mit der Eisenbahn gefahren?«

Chantal schüttelte den Kopf.

»Dann verrate ich dir etwas. Wir fahren mit dem Zug nach München. Dort wartet ein Mietauto auf uns. Damit fahren wir in die Berge.«

»Ist dein Auto kaputt?«, fragte Chantal.

»Du bist ein kluges Mädchen, Chantal. Mein Auto ist nicht kaputt, aber ich habe es verkauft. Ich bekomme ein neues Auto nach den Sommerferien. Ich freue mich darauf, mit dem Zug zu fahren. Wir fahren ganz früh am Morgen los, dann sind wir am Mittag in München. Mit dem Auto fahren wir dann weiter.«

Lucia zückte ihr Notizbuch.

»Was schreibst du auf, Tante Lucia?«

»Ich schreibe auf, dass ich morgen die Mietwagenfirma anrufen und dir einen Kindersitz bestellen muss.«

»Kinder müssen im Kindersitz sitzen und sich anschnallen, sonst bekommst du einen Strafzettel.«

»Woher weißt du das?«

»Das sagt Papa. Er fährt erst los, wenn ich angeschnallt bin. Ich kann das schon allein.«

»Ja, das kannst du sehr gut«, lobte sie Alexander.

Chantal sprach weiter.

»Tante Lucia, das muss sein, weil es so viele Unfälle gibt, wenn die Leute im Auto nicht angeschnallt sind. Dann kommen sie ins Krankenhaus. Dort macht sie Papa wieder gesund.«

»Genauso ist es. Dein Papa macht alle gesund.«

»Mama kann auch Leute gesund machen, Tante Lucia.«

»Das weiß ich, kleine Chantal. Deine Mama hat mich auch schon gesund gemacht.«

»So, wann? Warst du sehr krank?«

»Nein, damals war ich noch ein kleines Mädchen und hatte eine schlimme Erkältung mit Fieber. Deine Mutter saß an meinem Bett und machte mir Umschläge.«

»Mit kaltem Wasser? Brrr!«

Chantal lachte.

»Halswickel und Wadenwickel sind gut gegen Fieber.«

»Was hat Mami sonst noch gemacht?«

Lucia nahm Chantal auf den Schoß. Sie erzählte, wie Daniela sie gepflegt hatte.

»Deine Mama wollte damals schon Ärztin werden.«

»Wenn ich groß bin, dann werde ich auch Ärztin. Warum bist du keine Ärztin?«

Lucia lachte.

»Das sage ich lieber nicht. Ich wollte eben lieber Lehrerin werden.«

Chantal kicherte und hielt sich die Hand vor den Mund.

»Mami hat es mir verraten. Du kannst kein Blut sehen. Dir wird schlecht. Ich kann Blut sehen.«

Lucia schmunzelte.

»Ein bisschen Blut kann ich sehen, aber nur ein winziges bisschen.«

Chantal legte den Kopf schief und schaute ihre Tante an.

»Dirk sagt, Jörg ist ein Weichei, weil er kein Blut sehen kann. Bist du auch ein Weichei?«

Die Eltern griffen in die Unterhaltung ein. Sie erklären Chantal, dass es nicht freundlich sei, über jemanden zu sagen, er sei ein Weichei. Noch weniger dürfte man jemand danach fragen.

Lucia lenkte schnell vom Thema ab: »Es ist schon spät, Chantal. Ich habe deinen Bärli eben gähnen gesehen. Er ist sehr müde. Bringst du ihn ins Bett?«

Daniela erinnerte Chantal daran, dass es auch für sie Zeit war, um schlafen zu gehen.

»Nur wenn Tante Lucia mir ein Gutenachtlied singt und eine Geschichte erzählt.«

»Also gut, das mache ich. Doch jetzt putzt du dir die Zähne. Ich komme anschließend und lasse dir ein Bad ein.«

»Mit viel Schaum«, forderte Chantal.

»Mit einem Berg von Schaum«, antwortete Lucia.

»Gute Nacht, Mami! Gute Nacht, Papi!«, rief Chantal.

Sie gab ihnen einen Kuss. Dann nahm sie ihren Teddybär unter den Arm und rannte hinauf ins Badezimmer. Die drei Erwachsenen sahen ihr nach.

»Ich freue mich, sie mit in Urlaub zu nehmen. Es wird bestimmt schön werden. Die Kinder, die ich unterrichte, sind viel älter. Es ist so herzerfrischend mit Chantal. Sie ist noch so unschuldig und sagt, was sie denkt und fühlt«, sagte Lucia.

Minuten später ging Lucia hinauf ins Badezimmer und ließ Chantal ein Schaumbad ein. Danach brachte sie ihr Patenkind ins Bett, erzählte eine Gutenachtgeschichte und sang ihr ein Schlaflied. Chantal kuschelte sich mit ihrem Teddybär tief unter die Decke und schlief bald ein.

Lucia lehnte die Tür von Chantals Zimmer an und ging nach unten.

Noch bis Mitternacht wurde über die mögliche Praxisübernahme gesprochen. Gewiss würde sie ihr Leben verändern.

»Ihr müsst auf alle Fälle ein Gästezimmer einrichten. Ich werde euch mindestens ein Wochenende im Monat besuchen. Ich will mein Patenkind doch oft sehen«, forderte Lucia.

Alexander und Daniela versprachen es und betonten, dass sie sich auf jeden Besuch freuten.

*

Die Zugfahrt nach München war für die kleine Chantal ein Abenteuer. Sie fand es toll und bedauerte, als der Zug in München einlief. Ihre Tante versprach, mit ihr in Kirchwalden in ein Spielwarengeschäft zu gehen und ihr etwas Schönes zu kaufen.

»Ich will eine Eisenbahn«, rief Chantal.

Lucia lachte und versprach ihr eine Eisenbahn.

»Mal schauen, ob wir eine zum Aufziehen bekommen. Sonst kannst du auf der Berghütte nicht damit spielen. Toni müsste sonst extra den Generator anmachen.«

Natürlich wollte Chantal wissen, was ein Generator ist und Lucia erklärte es ihr.

»Schade«, klagte Chantal.

»Wir finden vielleicht eine Eisenbahn zum Aufziehen oder eine Holz­eisenbahn. Wenn wir gar keine finden, die dir gefällt, dann kaufen wir eine Bahn, wenn wir nach dem Urlaub wieder daheim sind.«

Chantal ging an der Hand ihrer Tante zum Schalter des Autovermieters. Bald fuhren sie in Richtung Berge. Chantal saß auf dem Kindersitz und schaute aus dem Fenster. Es war nicht viel Verkehr auf der Straße, so erreichten sie zügig Kirchwalden. Lucia parkte das Auto in einer kleinen Seitenstraße. Dann gingen sie einkaufen. Lucia hatte ihren Rucksack und die Reisetasche im Wagen gelassen. Chantal bestand aber darauf, ihren Teddybär mitzunehmen. Chantals Mama hatte für den Bären einen kleinen Rucksack genäht.

»So, dann suchen wir jetzt ein Spielzeuggeschäft«, sagte Lucia.

»Ja«, lachte Chantal und nahm die Hand ihrer Tante.

Auf den Weg durch die Fußgängerzone kamen sie an vielen Geschäften vorbei, auch an einem Kindermodengeschäft mit niedlicher Trachtenmode für die Kleinen. Lucia konnte nicht widerstehen und kaufte Chantal gleich zwei Dirndl, Spitzenstrümpfe und Haferlschuhe, eine Weste mit Zopfmuster, Kniebundhose mit Hosenträgern, zwei bunte Blusen und einen Janker. Lucia hatte sich einfach hinreißen lassen. Die Sachen waren einfach schön und ihr Patenkind sah so süß darin aus. Chantal gefielen die Kleidungsstücke so gut, dass sie darauf bestand, eines der Dirndl anzubehalten, dazu die neuen Strümpfe und Haferlschuhe.

Dann gingen sie weiter.

Sie fanden ein Spielzeuggeschäft. Dort gab es nur elektrische Eisenbahnen. Die Verkäuferin gab Lucia eine Adresse.

»Versuchen Sie es hier einmal, vielleicht haben Sie Glück! Es ist ein kleiner Trödelhändler. Er hat ein Herz für Kinder. Ich bin sicher, dass er eine alte Eisenbahn hat.«

Nach einigem Suchen fanden sie den kleinen Trödelladen in einem Hinterhaus. Der alte Mann schloss Chantal sofort ins Herz.

»So, du willst eine Eisenbahn? Sonst verkaufe ich Eisenbahnen nur an Buben. Du bist doch ein Madl. Bist du dir ganz sicher?«

Chantal nickte eifrig. Sie erklärte, sie sei heute zum ersten Mal mit dem Zug gefahren.

Der alte Mann schmunzelte. »Mei, wenn das so ist, dann musst du eine schöne Eisenbahn haben.«

Er kramte einen alten Karton hervor.

Lucia wurde es warm ums Herz, als sie den Inhalt sah. Der Kreis aus Blechschienen, die alte Lok, ein Kohlewagen, ein Gepäckwagen und ein Personenabteil erinnerten sie an ihre Kindheit.

Ihr Vater hatte seine Eisenbahn aufgehoben und sie und ihre Schwester hatten an Weihnachten damit spielen dürfen.

»Gefällt sie dir, Madl?«

»Ich weiß nicht«, sagte Chantal leise. »Fährt sie?«

Der alte Mann baute die Schienen auf, stellte die Waggons auf und zog die Lokomotive auf. Er setzte sie auf die Gleise, der Zug fuhr los.

Chantal brach in jubelndes Entzücken aus. Sie hüpfte auf der Stelle und klatschte in die Hände.

»Magst du sie haben?«, fragte der alte Mann.

»Mm!«, eifriges Kopfnicken.

Lucia fuhr Chantal über das Haar. »Das ist eine ganz alte Eisenbahn. Sie ist sehr wertvoll. Wir müssen erst wissen, was sie kostet, Chantal. Wenn sie sehr teuer ist, dann kann ich sie nicht kaufen. Verstehst du das?«

Ein trauriger Blick huschte über Chantals Gesichtszüge. Der alte Mann sah es.

»Deine Mama hat recht. Sie ist wirklich sehr wertvoll.«

»Das ist nicht meine Mama. Das ist Tante Lucia. Mama und Papa sind weggefahren. Sie müssen arbeiten. Deshalb passt Tante Lucia auf mich auf. Jetzt machen wir Urlaub.«

»Soso, das ist also Tante Lucia. Ist sie lieb, die Tante Lucia?«

»Ja, das ist sie. Sie hat mir heute viele schöne Sachen gekauft.«

Chantal hob die hellblaue Dirndlschürze an und drehte sich im Kreis.

»Das ist neu. Es ist kein Kleid, das ist ein …« Chantal sah Lucia Hilfe suchend an.

»Dirndl!«, sagte Lucia.

»Das ist ein schönes Dirndl. Und wie heißt du?«, fragte der alte Mann.

»Chantal! Und wie heißt du?«

»Oh, das ist ein schöner Name. Ich bin der Jakob.«

»So einen Namen habe ich noch nie gehört«, sagte Chantal.

Lucia und Jakob lachten.

»Des glaube ich dir gern, Madl. Es ist ein ganz alter Name.«

»Was ist ein Madl?«

Jakob schmunzelte.

»Na, du bist ein Madl. Ein Madl ist ein kleines liebes Mädchen.«

Er packte die Eisenbahn ein, nahm die Schienen auseinander und legte sie in den Karton.

Chantal drückte sich an ihre Tante.

»Nimmt er sie wieder weg?«, fragte sie leise. »Ist sie zu teuer? Mami und Papi sagen, teure Geschenke gibt es nur zu Weihnachten.«

Der alte Jakob schmunzelte.

»Dann ist jetzt Weihnachten, mitten im Sommer. Ich packe sie dir schön ein und wenn du damit spielst, dann denkst du an mich.«

»Sie haben den Preis noch nicht genannt«, sagte Chantal.

»Die Bahn hat keinen Preis. Der Weihnachtsmann verschenkt nur, er verkauft nicht«, blinzelte er Lucia zu.

Als er ihre erstaunten Augen sah, fügte er hinzu: »Spielsachen sind zum Spielen da. Sie sind dazu da, Kinderherzen zu erfreuen. Ich verkaufe nicht gern an Sammler. Für sie ist das ein Sammlerstück, das sie teuer wiederverkaufen. Ihr Geld kann mein Herz nicht erwärmen, aber ein strahlendes Kinderlächeln schon.«

Lucia wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie staunte einfach nur und war sprachlos.

Der alte Mann band eine Schnur um den Karton, damit er nicht aufging und steckte ihn in eine Papiertasche.

»So, mein Madl, das ist für dich. Ich wünsche dir viel Freude damit.«

»Danke schön!«, sagte Chantal.

»Ich wünsche Ihnen alles Gute«, bedankte sich Lucia, »und dass es Ihnen irgendjemand lohnt. Wie man hier in den Bergen sagt: Vergelt’s Gott!«

»Des macht er schon. Ich bin alt, aber noch gesund und habe kein Zipperlein. Des ist eine Gnade in meinem Alter. Ich bin glücklich und zufrieden.«

Chantal und Lucia verabschiedeten sich und gingen davon. Jakob sah ihnen nach und winkte.

»Du musst gut auf dein Geschenk aufpassen, Chantal. Die Eisenbahn ist wirklich etwas Besonderes. Gib acht, dass die Schienen nicht verbiegen und die Lokomotive darfst du nicht zu fest aufziehen, sonst geht die Feder kaputt und die Räder drehen sich nicht mehr.«

Chantal nickte eifrig. »Wann fahren wir zu Bello?«

»Ich dachte, wir gehen noch ein Eis essen. Dann fahren wir nach Waldkogel. Wir können den Berg nicht ganz hinauffahren, deshalb parken wir auf der Oberländer Alm. Von dort aus müssen wir noch ein Stück wandern.«

»Das ist dort, wo die Kühe sind, wo Butter und Käse gemacht werden. Ich freue mich darauf, die Kühe zu besuchen.

»Ich freue mich auch, Chantal. Wenzel und Hilda sind ganz liebe Leute. Leider haben wir heute keine Zeit, uns die Kühe anzuschauen. Ich verspreche dir, wir sehen uns die Kühe morgen an. Außerdem wartet Bello auf dich.«

Lucia und Chantal setzten sich in der Fußgängerzone in ein Eiscafé und bestellten ein Eis mit Sahne für Chantal und einen großen Eiscafé für Lucia. Chantal plapperte ständig. Sie war nach der Reise, den Einkäufen und dem unerwarteten Geschenk ganz aufgeregt. Lucia ließ sie reden und ging liebevoll auf sie ein.

Dabei sah Lucia nicht, dass sie beobachtet wurden. Etwas weiter entfernt, saßen junge Burschen an einem Tisch. Die vier Bergsteiger hatten sich vor einigen Jahren in einer Schutzhütte kennengelernt. Seither trafen sie sich jedes Jahr für ein langes Wochenende zum Klettern in den Bergen.

»Marius, dir fallen fast die Augen aus dem Kopf«, lachte Claus.

»Des stimmt. Schau ihn an, unseren Marius. Mei, Claus hat recht. Lass es sein, sonst bekommst du noch Stielaugen«, sagte Jürgen.

Marius starrte hinüber zu dem Tisch, an dem Lucia und Chantal saßen und ihr Eis löffelten.

Fabian legte Marius die Hand auf die Schulter.

»Mach dir keine Hoffnungen, Marius! Du siehst doch, da ist ein kleines Madl dabei. Das sind bestimmt Mutter und Tochter.«

Marius seufzte.

»Immer, wenn ich eine Frau sehe, die mir gefällt, dann ist sie verlobt oder verheiratet. Ja, ja, es wird immer schwieriger, ein Madl fürs Herz zu finden. Die feschen Madln sind alle schon vergeben.«

»Es ist allein deine Schuld«, sagte Claus. »Du hast dir zu viel Zeit gelassen. Du wolltest unbedingt zuerst Karriere machen und groß herauskommen.«

»Das ist ein wahres Wort, Claus«, stimmte ihm Fabian zu. »Man kann eben nicht auf allen Hochzeiten tanzen. Der Marius gehört zu den ganz Großen, was seinen Beruf angeht. Das hat er geschafft. Aber neiden tue ich es ihm nicht. Was hat er davon? Du bist allein, Marius, hast nix fürs Herz. Da ist niemand, der auf dich wartet, wenn du heimkommst. Wir alle können dir im Punkt Karriere nicht das Wasser reichen, aber wir haben Weib und Kind.«

»Ist ja schon gut«, brummte Marius. »Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, den gibt es gratis.« Marius seufzte. »Ihr habt alle recht. Ihr seid zu beneiden. Ich hätte auch gern eine Frau und eine Familie. Aber ich habe mich einfach nie verliebt, jedenfalls nicht so, wie ich mir die wahre Liebe vorgestellt habe. Da dachte ich, ich lasse lieber die Finger davon und stecke alle Energie in die Karriere.«

»Marius. Wir kennen alle Geschichten von dir, um die Liebe und die Madln. Du hattest eben nie das Glück wie wir, die Richtige zu finden. Aber tröste dich, sie wird schon kommen, die Liebe«, versuchte ihn Jürgen zu trösten.

Marius errötete. Es war ihm peinlich. Aber ein innerer Zwang trieb ihn, ständig hinüber zum anderen Tisch zu sehen. Er sah, wie die junge Frau den Kellner herbeirief und zahlte. Sie schaute auf die Uhr. Marius brannte jeden Augenblick und jede ihrer Bewegungen in sein Herz und verschloss es. So müsste sie sein, meine Traumfrau, dachte er. Genauso sollte sie sein. Und ein Kind hätte ich gern, so ein liebes Kindl wie ihr kleines Mädchen.

Sie bestellten noch eine Runde Bier und prosteten sich zu.

»Auf was trinken wir?«, fragte Jürgen. »Ich schlage vor, wir trinken auf die Liebe und die Hoffnung darauf, dass Marius bald ein Madl findet.«

Sie stießen an und tranken.

»Jürgen, bist du so freundlich und tauschst den Platz mit mir? Dann muss ich nicht schräg hinsehen und habe sie besser im Blick.«

Alle lachten.

»Mei, Marius, dich hat es erwischt. Sicher können wir die Plätze tauschen, aber nur, wenn du die Runde bezahlst.«

»Das mache ich gern, Jürgen.«

Sie standen beide auf und nahmen auf dem Stuhl des andern Platz.

»Sie hat eine Ausstrahlung, die einfach einmalig ist. Wie sie dasitzt, so selbstbewusst und gleichzeitig in sich ruhend. Die beiden schauen aus wie Mutter und Kind auf einem alten Gemälde. Welch ein schöner Anblick!«, schwärmte Marius.

Die Freunde lachten.

»Reiß dich zusammen, Marius! Wenn du deine Gedanken nicht unter Kontrolle hast, dann kannst morgen nicht mit uns aufsteigen«, warnte ihn Claus. »Ein verträumter Bursche soll nicht in die Wand gehen. Das kann gefährlich werden.«

»Nun übertreibst du, Claus. Darf ich dich erinnern, wie du von deiner Frau geschwärmt hattest?«

»Das war etwas anderes. Sie war frei und ledig. Die dort drüben hat einen Ehemann, der auf sie wartet. Da bin ich mir sicher.«

Plötzlich fegte, von einer Minute zur anderen, ein kalter Windstoß durch die Fußgängerzone. Der Himmel verfinsterte sich schlagartig. Es war ein richtiger Wettersturz. Der Himmel öffnete alle Schleusen. Es regnete und hagelte. Alle sprangen auf.

»Du zahlst«, rief Jürgen Marius zu. »Wir sehen uns bei den Autos.«

Jürgen, Claus und Fabian rannten davon. Marius, der in weniger als einer Minute nass bis auf die Haut war, stürzte ins Innere des Cafés und zahlte die Rechnung. Dann wartete er ab, bis der Hagelschauer vorüber war. Im Augenwinkel hatte er mitbekommen, wie die junge Frau alle Einkaufstüten und Taschen zusammenraffte, das kleine Mädchen an der Hand nahm und davonrannte.

Fort ist sie, dachte er. Vielleicht ist es auch besser so. Doch er konnte ihr Bild in seinem Inneren nicht löschen.

Dann sah er, dass etwas unter dem Tisch lag, an dem sie gesessen hatte. Es war ein Teddybär. Trotz des Unwetters stürzte Marius hinaus und holte den Bären. Es war ihm, als hielte er ein liebes Andenken an einen besonderen Menschen in Händen. Er drückte den Teddybär an sich und wünschte sich, sie in den Armen zu halten.

Dann besah er sich das Stofftier näher. Es trug einen Rucksack, der wunderschön gearbeitet war. Wirklich wie ein Trecking-Rucksack in Miniatur. Marius öffnete ihn und schaute hinein. Innen war ein Namensschild angebracht, darauf stand:

›Name: Bärli Teddybär, Adresse: Wohnhaft bei Chantal.

z. Z. Berghütte Waldkogel‹

Marius’ Herz setzte vor Glück einen Schlag aus, bevor es deutlich schneller schlug. Er hatte einen Namen und eine Adresse: Berghütte Waldkogel. Die kannte er. Dort war er mit den Freunden im letzten Jahr gewesen. Sie hatten den ›Engelssteig‹ bestiegen.

In Marius’ Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander.

Ich muss dahin.

Es ist sinnlos hinzufahren, sie ist verheiratet.

Aber es schadet nichts, der kleinen Chantal den Bären zu bringen.

So kann ich mit ihrer Mutter ins Gespräch kommen.

Ich will sie noch einmal sehen.

Ich muss mit ihr reden.

Die kleine Chantal wird ihren Bären vermissen.

Der Regen hörte auf. Die Wolken zogen weiter. Die Sonne kam hervor. Ein wunderschöner Regenbogen stand über Kirchwalden. In der Ferne war der Gipfel des ›Engelssteig‹ zu sehen.

Marius ging zu seinem Auto. Unterwegs warf er mehrmals einen Blick auf den Gipfel des ›Engelssteigs‹. Er schickte all seine Sehnsüchte hinauf. Er kannte die Geschichten über den Berg. Bisher hatte er immer darüber geschmunzelt. Aber jetzt war sein Herz voller Liebe und Sehnsucht. So griff er nach jedem Strohhalm. Nur noch ein Wunder konnte helfen.

Jürgen, Claus und Fabian warteten bei ihren Autos.

»Da bist du ja endlich. Können wir jetzt fahren? Wir haben noch hundert Kilometer vor uns«, rief ihm Claus entgegen.

Marius schüttelte den Kopf.

»Schaut her, das habe ich gefunden. Er gehört dem kleinen Mädchen. Er lag unter dem Tisch.«

Marius zeigte seinen Freunden den Teddy.

Fabian brach in Lachen aus.

»Lass mich raten, Marius. Du denkst aber doch nicht wirklich daran, den Teddybären auf die Berghütte zu bringen, oder?«

Marius schoss die Röte in die Wangen. Er rieb sich verlegen das Kinn.

»Die kleine Chantal wird ihren Bären vermissen.«

»Dann lass ihn im Café! Sie wird ihn dort sicher suchen.«

Marius schüttelte den Kopf.

»Nein, eine innere Stimme sagt mir, ich muss den Teddybär zur Berghütte bringen. Fahrt vor, ich komme nach!«

Die Freunde warfen sich Blicke zu und grinsten.

»Jetzt hat es ihn erwischt, den guten Marius. Jetzt dreht er total durch und rennt einer verheirateten Frau nach«, sagte Claus. »Aber tu, was du nicht lassen kannst. Du fährst doch nicht wegen dem Kind hin, sondern wegen dem großen Madl, wegen seiner Mutter. Pass auf, du wirst dir die Finger verbrennen. Lass dich nie mit einer verheirateten Frau ein!«

»Danke für deinen Rat. Darauf kann ich verzichten«, wehrte sich Marius. »Es bleibt dabei. Ich komme nicht mit euch mit.«

Marius Stimme klang barsch. Es war deutlich herauszuhören, dass er sich unverstanden fühlte und beleidigt war.

Die Freunde sahen sich an, Fabian zuckte mit den Schultern, Claus schüttelte den Kopf. Sie waren ratlos, erkannten aber, dass noch so gutes Zureden nicht helfen würde.

»Mach, was du willst, Marius!«, brummte Fabian. »Komme nach oder komme nicht nach! Dir ist nicht zu raten und zu helfen. Richte auf der Berghütte Grüße von uns aus!«

»Das mache ich«, antwortete Marius knapp.

Er drehte sich um und stieg in sein Auto. Er setzte den Teddybär auf den Beifahrersitz und fuhr los.

Die Freunde schüttelten den Kopf und sahen ihm nach. Dann stiegen sie in ihre Autos und fuhren weiter ihrem Ziel entgegen.

*

Auf dem Weg nach Waldkogel saß Chantal auf dem Kindersitz im Fond des Autos.

Lucia hatte die Heizung im Auto angeschaltet. Sie warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel.

»Frierst du noch, Chantal?«, fragte Lucia.

»Ein bisschen! Mein schönes Kleid ist ganz nass.«

»Wir sind bald in Waldkogel. Sieh mal, ich habe die Heizung angemacht. Es wird gleich warm.«

»Meine Schuhe sind auch ganz nass«, jammerte Chantal.

»Kannst du sie ausziehen oder soll ich anhalten?«

Chantal gab keine Antwort. Sie streifte die Schuhe von den Füßen. Lucia hörte, wie sie auf den Wagenboden fielen.

»So ist es gut. Wenn die Strümpfe auch nass sind, dann ziehe sie aus.«

Chantal schlug die große Wanderjacke zur Seite, die ihr Lucia umgehängt hatte und zog die Strümpfe aus.

»Ich vermisse Bärli«, jammerte Chantal.

»Der ist bestimmt im Kofferraum. Das war ein heftiger Regenguss und ich bin froh, dass wir so schnell ins Auto kamen. Wir sind gleich in Waldkogel. Schau, dort kannst du schon den Kirchturm von Waldkogel sehen! Wir fahren gleich hinauf auf die Oberländer Alm. Dort holen wir den Teddybär aus dem Kofferraum und du kannst dir im Auto trockene Sachen anziehen. Deck dich mit meiner Jacke wieder zu! Es wird gleich warm sein. Ich schalte das Gebläse höher.«

Die kleine Chantal hörte Lucia nicht mehr zu. Sie dachte nur an ihren Teddy.

Lucia fuhr weiter. Sie kamen am Ortseingangsschild vorbei.

»Schau, jetzt sind wir in Waldkogel. Ist es nicht schön hier?«

Chantal schwieg.

»Wir sind gleich da. Jetzt biege ich ab. Der schmale Weg führt hinauf zur Oberländer Alm. Sieh mal, Chantal, dort sind Kühe und kleine Kälbchen. Sind sie nicht niedlich?«

»Ich will meinen Bärli«, quengelte Chantal.

»Du bekommst ihn gleich. Es sind nur noch wenige Kilometer. Schau mal, wie schön die Berge sind!«

»Ich will meinen Bärli«, wiederholte Chantal.

Endlich kamen sie auf der Oberländer Alm an. Lucia parkte den Wagen, streckte sich nach hinten und löste den Gurt des Kindersitzes.

»Klettere herunter, Chantal, aber bleibe im Auto! Hier ist es schön warm. Ich hole dir trockene Sachen aus dem Kofferraum. Ich möchte nicht, dass du dich erkältest.«

Lucia stieg schnell aus und schloss die Autotür. Sie durchsuchte die Reisetasche nach dem warmen Trainingsanzug, den ihr Daniela für Chantal mitgegeben hatte. Sie fand ihn auch gleich. Dann suchte sie noch weitere Sachen zusammen, trockene Schuhe, einen Pullover, frische Unterwäsche und Socken. Lucia raffte alles zusammen und stieg zu Chantal auf den Rücksitz. Dort schälte sie das Mädchen aus dem nassen Sommerdirndl.

»Du fühlst dich wirklich ganz kalt an. Gleich wird es dir warm werden.«

Sie zog Chantal um. Diese wiederholte nur stur einen Satz.

»Ich will meinen Bärli!«

»Du bekommst ihn gleich. Zuerst musst du trockene Sachen anziehen.«

Bald war Chantal umgezogen. Sie stiegen beide aus. Lucia suchte im Kofferraum unter den durchnässten Einkaufstüten.

»Chantal, ich kann Bärli nicht finden. Wann hast du ihn zuletzt gehabt? Hast du ihn beim alten Jakob liegen lassen?«

Chantal zuckte mit den Schultern. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Lucia nahm sie in die Arme.

»Ich denke, dass du ihn im Café vergessen hast. Dort sitzt er bestimmt und wartet auf dich. Ich sage dir etwas. Wir wandern jetzt hinauf auf die Berghütte. Dort schaue ich im Telefonbuch nach der Nummer und rufe im Café an. Gleich Morgen fahren wir nach Kirchwalden und holen ihn.«

»Nicht gleich?«

»Nein, das geht nicht. Wir müssen zur Berghütte. Ich verspreche dir, dass ich sofort anrufe. Ich bin absolut sicher, dass er nicht verloren ist. Er wartet dort auf dich.«

Der kleinen Chantal kullerten die Tränen über die Wangen. Lucia tat, als würde sie es nicht sehen. Sie versuchte, Chantal abzulenken und erzählte von Bello. Aber selbst die Hundegeschichten von Bello heiterten Chantal nicht auf. Sie war sehr traurig. Lucia ärgert sich sehr, dass ihr dieser Fehler unterlaufen war. Sie hatte Chantal einfach bei der Hand genommen und weggezogen. An den Teddy hatte sie in der Eile nicht gedacht. Es war auch ein schlimmer Wettersturz, entschuldigte sie ihre Gedankenlosigkeit.

Lucia schulterte den Rucksack. Sie half Chantal, ihren kleinen Kinderrucksack auf den Rücken zu schnallen. Dann packte sie die feuchten Sachen ein und schloss das Auto ab.

»So, wir gehen los.«

Lucia nahm Chantal an der Hand. In der anderen Hand trug sie die Reisetasche und die Plastiktüten mit den Einkäufen.

Der Weg hinauf zur Berghütte war mühsam, mit dem vielen Gepäck und der quengelnden Chantal, die nur nach ihrem Teddybären verlangte.

Endlich erreichten sie das Geröllfeld. Lucia stellte die Reisetasche und die Tüten ab.

Toni hatte sie kommen sehen, er ging ihnen über das Geröllfeld entgegen.

»Grüß Gott! Schön, dass ihr da seid. Wir haben euch früher erwartet.«

»Wir waren noch einkaufen in Kirchwalden.«

»Das sehe ich, bei den vielen Tüten. Die nehme ich jetzt und die Reisetasche dazu.«

Lucia warf Toni einen dankbaren Blick zu.

»Und du bist die Chantal?«, sagte Toni. »Lucia hat erzählt, dass du Hunde magst. Bello ist bei Franziska im Zimmer. Gleich wirst du ihn kennenlernen. Er ist sehr groß. Du musst aber keine Angst vor ihm haben.«

Toni erwartete zumindest ein Lächeln. Aber Chantal blieb stumm und sah ihn nicht an.

»Ist sie müde von der langen Reise?«, fragte Toni.

»Etwas müde wird sie schon sein. Es war ein langer Tag für sie. Und er war sehr aufregend. Sie hat so viel Neues erlebt«, antwortete Lucia.

»Ich will Bärli!«, schluchzte Chantal.

Dicke Tränen kullerten ihr über die Wangen.

Toni stellte die Tasche und die Tüten ab. Er ging vor Chantal in die Hocke.

»Was ist denn, Madl?«

»Wir haben Bärli in der Stadt vergessen und Tante Lucia will ihn nicht holen. Ich will zu meiner Mami«, jammerte Chantal.

Lucia griff ein.

»Wir waren im Eiscafé in der Fußgängerzone und wurden von dem Wettersturz überrascht. Da sind wir geflohen und haben dabei Chantals Teddybär vergessen. Der Bär ist ihr Lieblingsspielzeug. Sie geht nirgends ohne ihn hin.«

Toni sah die kleine Chantal liebevoll an.

»Des ist schlimm. Aber du wirst sehen, du bekommst deinen Teddybären wieder. Der sitzt jetzt auf dem Regal hinter der Eistheke und schaut zu, wie das feine Eis gemacht wird. Das gefällt ihm. Ich muss morgen nach Kirchwalden einkaufen. Was sagst du? Wir gehen alle zusammen ins Eiscafé und holen ihn ab.«

Ein zaghaftes Lächeln huschte über Chantals Wangen.

»Ich kann aber ohne Bärli nicht einschlafen«, sagt Chantal leise.

Toni richtete sich auf. Er nahm die Reisetasche und die Tüten.

»Wir gehen jetzt rein und ich zeige dir, wo du und deine Tante schlafen könnt. Wir haben dir ein schönes Bett gemacht. Franzi, das ist mein Madl, hat dir eine Puppe aufs Kopfkissen gesetzt.«

»Ich will keine Puppe, ich will Bärli«, jammerte Chantal weiter.

»Chantal, jetzt ist aber genug. Ich habe dir gesagt, dass ich im Eiscafé anrufe. Nun komm schon, lass uns in die Berghütte gehen!«

Lucia ging einfach weiter. Chantal lief hinterher. Die Tränen rollten ihr immer noch über die Wangen.

Toni zeigte den beiden die Kammer. Für Chantal hatten sie ein Kinderbett aufgestellt. Es war nur ein Gestell, auf dem eine Matratze lag. Chantal gefiel die Bettwäsche im Streifenmuster mit kleinen Herzen. Sie setzte sich und besah sich die Puppe.

Franziska kam und brachte Bello mit.

Mit einem Sprung war er neben ihr und kuschelte sich an sie.

»Chantal, sieh mal, Bello mag dich. Er will von dir gestreichelt werden«, sagte Franziska. »Du musst keine Angst haben. Bello ist ein ganz lieber Hund.«

Chantal legte die Puppe zur Seite und kraulte den Hund. Zuerst ganz zaghaft, dann schlang sie die Arme um ihn und vergrub das Gesicht in seinem Fell.

»Du spielst jetzt schön mit Bello und ich versuche, das Eiscafé zu erreichen«, sagte Lucia und ging hinaus.

Sie lehnte die Tür an und ließ die beiden Kinder allein.

Draußen auf der Terrasse der Berghütte studierte sie das Telefonbuch von Kirchwalden und rief das Eiscafé an.

Dort konnte man sich gut an den Teddybär erinnern.

»Er lag unterm Tisch. Ein Gast lief im strömenden Regen hinaus und holte ihn. Er hat ihn an sich genommen. Er sagte, er werde den Teddybär dem kleinen Mädchen bringen«, erzählte der Eiscafébesitzer. »Er meinte, Chantal sei sonst bestimmt sehr traurig.«

»Woher wusste er, dass meine kleine Nichte Chantal heißt? Das ist unglaublich. Wer war er?«, staunte Lucia.

»Ich kenne den Gast nicht.«

»Oh«, raunte Lucia, »das ist alles sehr seltsam. Doch vielen Dank für Ihre Auskunft.«

Lucia legte auf und seufzte.

»Was gibt es?«, fragte Toni.

Lucia rieb sich die Stirn.

»Chantals Teddybär wurde gefunden. Er lag unter dem Tisch. Während des Unwetters sprang ein Gast hinaus und brachte ihn ins Trockene. Er will ihn bringen. Er wusste sogar Chantals Namen. Das beunruhigt mich.«

»Wenn der Finder Wort hält und Chantal den Teddybär wiederbekommt, dann kannst du ihn ja fragen«, sagte Toni.

»Das werde ich. Doch das ist mir alles ein Rätsel. Es ist mir unheimlich. Woher kennt er Chantals Namen? Weiß er am Ende auch die Adresse? Ihre Eltern sind nicht daheim. Vielleicht ist er ein Einbrecher und räumt das Haus aus.«

Toni sah sie an. Sie sah sehr blass und besorgt aus.

»Mache dir nicht so viele Gedanken, Lucia! Es ist nicht gut, dass du gleich das Schlimmste vermutest. Anna ist in der Küche und macht die Vorbereitungen für die Brotzeiten am Abend. Komm mit mir! Du trinkst jetzt eine Tasse Kaffee mit uns.«

»Ich muss nach Chantal sehen«, sagte Lucia.

Sie ging zur Kammer. Dort blieb sie in der Tür stehen und winkte Toni und Anna herbei.

»Was für ein schönes Bild«, flüsterte Anna.

Franziska war wieder in ihr Zimmer gegangen. Chantal lag auf dem Bett und schlief. Bello lag neben ihr. Er nahm viel Platz weg. Aber Chantal kuschelte sich an ihn und hatte die Arme um ihn gelegt. Bello hob leicht den Kopf, doch dann legte er sich wieder hin. Lucia schlich auf Zehenspitzen zum Bett. Sie deckte Chantal mit einer Wolldecke ihres eigenen Bettes zu. Dann ging sie hinaus und lehnte die Tür an.

»Sie wird durchschlafen bis morgen früh«, sagte Lucia. »Das wird ihr guttun. Es war ein anstrengender Tag für sie.«

Lucia ging mit Toni und Anna in die Küche. Toni gab ihr einen großen Becher Kaffee.

Sie trank.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand im Café war, der uns kannte. Und doch muss es so gewesen sein. Woher sollte er sonst wissen, dass sie Chantal heißt?«

Toni dachte einen Augenblick nach.

»Wo habt ihr überall eingekauft?«, fragte er.

»In dem Kindertrachtenmodegeschäft ›Bergparadies‹ und bei einem Trödler, er heißt mit Vornamen Jakob.«

»Ah, beim alten Jakob seid ihr gewesen. Der liebt Kinder. Dann wird er es gewesen sein, der den Teddybär gefunden hat«, vermutete Toni. »Wir fahren morgen früh zu ihm und fragen ihn. Er ist ein Spätaufsteher, der alte Jakob. Deshalb musst du keine Angst haben, dass wir ihn verfehlen. Hast du ihm gesagt, dass ihr hierher auf die Berghütte wollt?«

»Ja, darüber haben wir gesprochen. Hat er Telefon? Wie heißt er mit Familiennamen?«

Toni lachte.

»Das weiß kaum einer. Er ist nur unter seinem Vornamen bekannt. Der alte Jakob ist eine bekannte Persönlichkeit in Kirchwalden. Der Alois kennt ihn gut, aber seinen Familiennamen weiß er sicherlich auch nicht. Außerdem wird es dir nichts nützen. Einen Telefonanschluss hat Jakob nicht, das weiß ich genau.«

Lucia seufzte.

»Ich gebe mich geschlagen. Ich kann nichts anderes tun, als warten. Aber es ist nicht leicht. Ich habe die Verantwortung für Chantal.«

»Lucia, ganz ruhig! Überlege, ob du im Kindermodeladen erzählt hast, dass ihr zur Berghütte wollt. Es kann auch sein, dass der Finder des Teddys im Eiscafé an einem Nachbartisch saß. Er hat gehört, wie du dich mit Chantal unterhalten hast. Die Sache kann ganz harmlos sein«, versuchte Toni sie zu beruhigen. »Du musst etwas essen, dann fühlst du dich besser. Du setzt dich jetzt draußen auf die Terrasse und genießt die letzten Strahlen der Sonne. Anna macht dir eine Portion Käse-Rösti und bringt sie dir. Ich zapfe dir ein Bier.«

»Ja, ich sollte etwas essen.«

Lucia ging hinaus und setzte sich ans Ende der Terrasse.

Bald brachte Anna die Rösti mit einem Schüsselchen Salat und Toni das Bier. Lucia aß. Sie war in Gedanken in Kirchwalden und ging den Nachmittag in Gedanken Schritt für Schritt durch. Sie versuchte, sich an jede Kleinigkeit zu erinnern. Sie nahm um sich herum nichts wahr, so sehr war sie in Gedanken.

*

Toni stand hinter dem Tresen und zapfte Bier, als Marius den Wirtsraum der Berghütte betrat.

»Grüß Gott, Toni! Kannst du dich an mich erinnern? Ich war schon einige Male hier, zusammen mit meinen Freunden Claus, Jürgen und Fabian.«

»Mei, Marius, grüß Gott! Wie kannst du so etwas fragen? Außerdem erinnere ich mich an jeden, der einmal auf der Berghütte war. Macht ihr wieder eure Klettertour? Sind die anderen draußen auf der Terrasse?«

»Nein! Ich bin allein hier. Wir haben uns fast im Streit getrennt, heute Nachmittag in Kirchwalden. Sie sind ohne mich weitergefahren. Ich habe entschieden, ich besuche euch.«

»Was du nicht sagst? Das hört sich nicht gut an. Hoffentlich sind wir nicht der Grund für euer Zerwürfnis. Das würde mir sehr leidtun.«

»Da kann ich dich beruhigen, Toni. Wenn sich Freunde in die Wolle kriegen, dann ist doch meistens eine Frau die Ursache, oder?«

»Des stimmt, jedenfalls ist es, nach meiner Erfahrung, in einem hohen Prozentsatz so.«

Marius deutete auf ein Bier, das Toni gezapft hatte. Er reichte es ihm. Marius trank das Glas fast zu Hälfte aus.

»Mei, das tat gut«, sagte er und wischte sich den Schaum von der Oberlippe.

Marius senkte die Stimme.

»Toni, hast du etwas Zeit? Können wir irgendwo hingehen, wo uns niemand hört?«

Toni sah Marius erstaunt an.

»Einen Augenblick kann ich mir Zeit nehmen, aber net lang.«

Toni ging in die Küche zu Anna und Alois. Er sprach leise mit ihnen. Sie nickten und lächelten Marius durch die offene Küchentür zu.

»Also komm, Marius, wir gehen in unser Wohnzimmer.«

Toni zapfte sich ein kleines Bier. Marius nahm sein Glas mit.

Im Wohnzimmer setzten sie sich an den Tisch. Toni prostete Marius wortlos zu. Sie tranken.

»Also, Marius, wo drückt dich der Schuh?«

»Ich habe mich verliebt, Toni.«

»Des ist schön. Und was haben deine Freunde damit zu tun? Schau nicht so erstaunt. Ich zähle nur eins und eins zusammen.«

»Na ja, du hast schon richtig getippt. Sie denken, ich bin narrisch. Toni, sie ist verheiratet und hat ein Kind, ein kleines Madl.«

»Des klingt net gut«, sagte Toni mit ernstem Gesicht.

»Das weiß ich, Toni. Aber ich habe sie gesehen, und da ist etwas mit mir geschehen. Ich konnte nicht anders. Ich musste sie einfach ansehen. Toni, sie kommt mir vor, als sei sie ein Engel aus einer anderen Welt. Mein Herz schlug so sehr, dass ich jeden Schlag spürte. Es war, als würde es mich vor Sehnsucht zerreißen. Mein Puls raste. Sicher wehrte ich mich gegen das Gefühl und sagte mir, es ist dumm, es ist unsinnig, sich in eine verheiratete Frau zu verlieben. Doch ich kam nicht dagegen an. Es zog mich einfach zu ihr hin. Ich überlegte krampfhaft, wie ich es anstellen könnte, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Dabei musste ich mich auch noch gegen Fabian, Claus und Jürgen wehren, die mich auslachten. Aber es war, als käme eine Urgewalt über mich. Toni, ich würde alles aufgeben, wenn ich sie bekäme, Karriere, Ansehen, Vermögen.«

»Herrje, dich hat es wirklich erwischt«, sagte Toni.

»Ja, ich bin verliebt wie noch nie in meinen Leben.«

»Doch du bist bei ihr abgeblitzt, richtig? Sie ist ihrem Mann treu.«

»Nein!«

»Dann hast du Chancen? Jetzt hast du ein schlechtes Gewissen – wegen dem Kindl?«