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E-Book 1938-1947 E-Book

Diverse Autoren

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. E-Book 1: Bange Stunden um Ricky E-Book 2: Mein Sohn Henry E-Book 3: Die Kinder aus dem Waisenhaus E-Book 4: Ein geheimes Töchterchen E-Book 5: Hab' mich lieb, kleiner Mann E-Book 6: Auf in ein neues Leben! E-Book 7: Aus Liebe zu diesen beiden E-Book 8: Von zu Hause ausgerissen ... E-Book 9: Kim und Mara – ein tolles Gespann E-Book 10: Wenn Kinder wieder glücklich sind

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Inhalt

Bange Stunden um Ricky

Mein Sohn Henry

Die Kinder aus dem Waisenhaus

Ein geheimes Töchterchen

Hab' mich lieb, kleiner Mann

Auf in ein neues Leben!

Aus Liebe zu diesen beiden

Von zu Hause ausgerissen ...

Kim und Mara – ein tolles Gespann

Wenn Kinder wieder glücklich sind

Mami – Staffel 22 –

E-Book 1938-1947

Diverse Autoren

Bange Stunden um Ricky

Marina hat Angst um ihren kleinen Jungen

Roman von Simon, Lisa

Lachend warf sich Marina Fischer in die Arme ihres Kollegen und Lebenspartners Nils Hermann. Soeben hatte die Werbeagentur, in der beide arbeiteten, einen großen Auftrag bekommen, der nicht nur eine Menge Geld einbringen würde, sondern auch dem Ansehen der jungen Agentur Media nicht unbedingt schaden konnte.

»Wißt ihr eigentlich, was das für uns bedeutet?« Nils, groß, athletisch gebaut und sehr gut aussehend, blickte triumphierend in die Runde der Mitarbeiter. »Dieser Auftrag wird unweigerlich andere große Kunden anziehen. Bald werden wir uns vor Aufträgen nicht mehr retten können!«

Marina und die vier weiteren Kollegen und Kolleginnen jubelten. Es war nicht einfach, sich bei der Vielzahl der Werbeagenturen zu behaupten – doch diese Sorgen schienen nun überholt zu sein.

»Darauf müssen wir anstoßen!« rief Isa Gebhard vergnügt. »Heute wird gefeiert, und morgen beginnen wir mit den ersten Entwürfen.«

»Nur schade, daß der Chef nicht hier ist«, gab Marina zurück und half Isa, mit der sie auch privat befreundet war, Sektgläser aus der Teeküche zu holen. »Wir müssen unbedingt versuchen, ihn telefonisch in Frankreich zu erreichen.«

Isa hob die Schultern. »Das laß mal deinen Nils erledigen, er ist ja schließlich unser stellvertretender Boss.«

Marina und Nils, bereits seit einem Jahr ein Paar, hatten große Zukunftspläne. Eine Weile noch wollten sie beide bei Media arbeiten und genügend Erfahrung sammeln, um dann eine eigene Werbeagentur zu gründen.

Nils Hermann war ein ehrgeiziger junger Mann, der es mit der talentierten Marina an seiner Seite ohne Zweifel schaffen konnte, sich einen guten Namen in der Branche zu machen.

*

Zärtlich schmiegte sich Marina an Nils’ Brust und murmelte: »Ich bin rundum glücklich.«

Er fuhr ihr sanft durch das lange dunkle, fast schwarze Haar. »Hm, ich kann mich auch nicht beklagen. Wenn alles weiterhin so gut läuft, können wir in ein bis zwei Jahren den Sprung ins kalte Wasser wagen.«

»Bis dahin haben wir auch genügend Geld zusammengespart, um uns selbständig zu machen.« Sie richtete sich auf. »Möchtest du noch ein Glas Wein?«

Er hob abwehrend die Hände. »Lieber nicht. Der Sekt heute nachmittag in der Agentur hat mir gereicht.«

Marina erhob sich und räumte den modernen Couchtisch ab. Die Wohnung, die das Paar gemietet hatte, lag in einem teuren Viertel und war geschmackvoll und luxuriös eingerichtet. Die Möbel stammten durchweg von einem bekannten Designer, und die Kunstdrucke an den Wänden hatten fast so viel gekostet wie echte Gemälde.

Nils streckte sich. »Wir sollten jetzt wirklich zu Bett gehen. Morgen wird ein anstrengender Tag, da können wir nicht damit rechnen, vor Mitternacht zu Hause zu sein.«

»Das schreckt mich überhaupt nicht ab«, gab Marina lachend zurück. »Mir macht die Arbeit Spaß – und mit dir an meiner Seite sogar doppelt so viel. Was kann man mehr verlangen?«

»Dir ist sicherlich nicht verborgen geblieben, daß es mir ebenso geht.« Nils umarmte sie und küßte zärtlich ihren schön geschwungenen Mund. »Wir beide sind wirklich ein großartiges Team.«

*

Die kommenden Tage vergingen in hektischer Betriebsamkeit. Keiner der Mitarbeiter beklagte sich über die endlosen Überstunden in der Agentur oder kam auf die Idee, früher zu gehen.

Armin Pelzer, der Chef der Werbeagentur, war stolz auf sein kreatives Team. Er besaß mehrere Agenturen und konnte mit Recht behaupten, daß Media seine erfolgreichste war. Da er nicht ständig dort sein konnte, war er beruhigt, in Nils Hermann einen vertrauenswürdigen Vertreter gefunden zu haben.

Nach einer Woche fieberhafter Arbeit waren die ersten Entwürfe angefertigt und Armin Pelzer vorgelegt worden. Der äußerte sich sehr zufrieden und vereinbarte mit dem Auftraggeber, einer bekannten Versicherung, einen Termin.

»Wenn die verantwortlichen Herren ihr Einverständnis geben, können wir mit der eigentlichen Arbeit beginnen«, erklärte er. »Sie haben bisher hervorragende Leistungen erbracht.«

Obwohl Lob gewöhnt, freuten sich die Mitarbeiter doch jedes Mal wieder darüber. Und dann begann das unruhige Warten auf den Auftraggeber; war er mit den Entwürfen ebenfalls zufrieden, oder sahen seine Vorstellungen von lukrativer Werbung für das Unternehmen ganz anders aus?

Bereits zwei Tage später stand fest, daß sich die drei Herren von der Versicherung für den Entwurf entschieden hatten, an dem Marina und Nils gemeinsam gearbeitet hatten.

Übermütig nahm Nils seine Partnerin in den Arm und hob sie hoch. In diesem Moment bemerkte Marina zum ersten Mal einen leichten Schwindel, maß dem jedoch keine größere Bedeutung zu.

Erst, als ihr am selben Abend zum zweiten Mal schwindelig wurde, erfaßte sie leichte Panik. Sie hatte sich doch wohl nicht mit einer Grippe angesteckt? Gerade jetzt war es unmöglich, sich mit Fieber ins Bett zu legen!

Am nächsten Tag fühlte sich Marina ausgeruht und frisch wie immer, und schnell war der kleine Vorfall vergessen. Doch dann gab es den nächsten Schwächeanfall, der so heftig war, daß sie sich am Schreibtisch festhalten mußte, um nicht ins Wanken zu geraten.

»Gütiger Himmel!« rief Isa. »Was ist denn plötzlich mit dir los? Du bist ja leichenblaß!«

Marina atmete tief durch und setzte sich mit weichen Knien. »Ich glaube, die letzte Zeit war etwas zu hektisch für mich.«

»Kein Wunder, daß du fast umkippst bei den winzigen Häppchen, die du tagsüber zu dir nimmst.« Isa schüttelte den Kopf. »Da spielt dann der Kreislauf früher oder später nicht mehr mit.«

»Für mehr als einen schnellen Imbiß reicht die Zeit eben nicht.« Marina hatte sich inzwischen erholt und bereits wieder Farbe bekommen. »Du ißt doch auch nicht viel mehr.«

Isa machte ein bedeutungsvolles Gesicht. »Dafür bringt mir meine Mutter jeden Tag ein leckeres, selbstgekochtes Essen nach Hause, das ich nur noch in die Mikrowelle schieben muß. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß du dich um Mitternacht noch an den Herd stellst.«

Marina grinste. »Nein, das nicht. Bei uns kommt nur eine tiefgekühlte Pizza oder Hamburger in den Backofen.«

»Siehst du, jetzt weißt du wenigstens, weshalb dir schwindelig geworden ist.«

Die Freundin blickte sich ängstlich um und wisperte dann: »Sag’ bitte Nils nichts davon, du weißt ja, wie er ist. Ich möchte auf keinen Fall, daß er mir ein paar Tage Bettruhe verordnet und das Projekt alleine fertig stellt.«

»Na und? Wäre das denn so schlimm? Hast du etwa Angst, daß Nils dann alleine die Lorbeeren für eure Gemeinschaftsarbeit erntet?«

»Das nicht, aber ich wäre todunglücklich, wenn ich untätig zu Hause rumhocken müßte, während hier der Teufel los ist.«

»Du bist wirklich unverbesserlich.« Isa stand auf. »Wenn du deine Gesundheit gründlich ruiniert hast, wirst du vielleicht einmal an meine Worte zurückdenken.«

*

Zu Marinas großem Kummer kamen die Schwächeanfälle nun in immer kürzeren Abständen. Und dann bemerkte auch Nils, daß sie sich zunehmend unwohl fühlte.

»Du solltest auf jeden Fall zum Arzt gehen«, sagte er mit gerunzelter Stirn, nachdem ihm Marina nach langem Zögern von dem häufigen Schwindel erzählte. »Er kann dir Kreislauftropfen verschreiben und wird dir wahrscheinlich raten, etwas kürzer zu treten.«

»Aber Nils, das geht doch nicht!« empörte sie sich. »Unser Projekt steht kurz vor der Fertigstellung – da kann ich mir doch unmöglich eine Auszeit nehmen!«

Er lächelte amüsiert und fragte: »Traust du mir etwa nicht zu, es alleine zu schaffen? Immerhin habe ich das gesamte Team zur Seite.«

»Ach, das verstehst du nicht.« Sie schlang ihre Arme um seinen Hals. »Dieses Projekt ist doch auch meine Schöpfung, und ich möchte so gerne dabei sein, wenn es vollendet ist.«

Er überlegte kurz. »Gut, dann laß uns einen Kompromiß schließen: Sowie der Auftrag erledigt ist, marschierst du schnurstracks zum Arzt. Einverstanden?«

Sie nickte glücklich und betete im Stillen, daß bis dahin die Schwächeanfälle längst vorüber waren…

*

Doch das waren sie keineswegs – im Gegenteil, es kam noch ein gelegentliches Übelsein hinzu, das Marina jedoch auf die recht spärliche Ernährung zurückführte.

Und dann gab es keine Ausreden mehr. Der Auftraggeber war restlos zufrieden mit der Arbeit der Werbeagentur, und Marina ließ sich schweren Herzens einen Termin bei ihrem Hausarzt geben.

Etwas nervös war sie doch, als sie inmitten anderer Patienten in dem Wartezimmer mit der schlechten Luft und den zerlesenen Illustrierten saß.

Hin und wieder kam Marina der Gedanke, daß sie möglicherweise ernsthaft krank war und für viele Monate in der Agentur ausfallen könnte. Als sie dann Dr. Strauß gegenüber saß, knetete sie vor Aufregung ihre schmalen Hände.

Mit allem hatte Marina gerechnet, jedoch nicht mit der Diagnose, die ihr der Arzt nach einer gründlichen Untersuchung übermittelte.

»Das kann doch nicht wahr sein«, stieß sie entsetzt hervor. »Ich habe immer vorgesorgt!«

Dr. Strauß zuckte die Achseln. »Ja, auch dann spielt uns die Natur den einen oder anderen Streich, liebe Frau Fischer. Sie sollten dankbar sein, ein neues Leben in sich zu tragen.«

Verwirrt schüttelte Marina den Kopf. »Es geht nicht… ich kann jetzt kein Kind bekommen…«

»Und warum nicht? Gibt es keinen Mann, der sich zu der Vaterschaft bekennen würde – oder weshalb wollen Sie kein Kind haben?« Für den erfahrenen Mediziner war es keine Seltenheit, daß seine frohe Botschaft von der Mutterschaft nicht unbedingt zu Freudenschreien verlockte.

»Doch, natürlich gibt es auch einen Vater«, erwiderte Marina zart errötend. »Doch Nils… mein Verlobter… und ich haben große Zukunftspläne. Wir wollen demnächst eine eigene Werbeagentur gründen.«

»Aha, und da stört ein Baby natürlich gewaltig.« Dr. Strauß blickte seine in sich zusammengesunkene Patientin streng an. »Wissen Sie denn nicht, wie viele kinderlose Ehepaare Sie um Ihr Mutterglück beneiden würden? Erst kürzlich hatte ich eine todunglückliche Patientin vor mir sitzen, deren Mann sich von ihr getrennt hat, weil sie kein Kind bekommen kann.«

Schuldbewußt senkte Marina den Blick. Der Arzt hatte im Großen und Ganzen recht; auch sie wollte eines Tages Mutter werden – aber noch nicht jetzt!

»Natürlich gibt es noch andere Möglichkeiten«, fuhr Dr. Strauß unbeirrt fort. »Niemand wird mit dem Finger auf Sie zeigen, wenn Sie Ihr ungeborenes Kind abtreiben lassen. Doch ob Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, ist eine andere Frage.«

Marina schüttelte wild den Kopf. »Nein, an so etwas würde ich niemals denken…«

Zufrieden nickte der Arzt. »Nun, damit wäre die erste Hürde bereits genommen. Reden Sie mit Ihrem Verlobten, und Sie werden feststellen, daß er ebenso denkt wie Sie. Wenn Ihre Beziehung intakt ist – und davon gehe ich aus – wird er sich schnell daran gewöhnen, daß es bald einen neuen Erdenbürger geben wird.«

Mechanisch nickte Marina, obwohl sie die Worte des Arztes keineswegs überzeugt hatten. Zunächst mußte sie selbst sich erst einmal daran gewöhnen, daß nun nichts mehr so war Sie vorher.

*

Immer wieder schob Marina den Gedanken an das unausweichliche Gespräch beiseite. Als Nils sie nach dem Arztbesuch gefragt hatte, hatte sie nur etwas von leichten, harmlosen Kreislaufbeschwerden gemurmelt, und er war beruhigt gewesen.

Der durchschlagende Erfolg mit der Werbekampagne für die Versicherung zog tatsächlich neue Großkunden nach. Daher bemerkte Nils nicht, daß Marina von Tag zu Tag blasser und stiller wurde, von morgens bis abends war er in seine Arbeit eingebunden.

Doch Isa Gebhard fiel sehr wohl Marinas Veränderung auf, und als sie einmal mit ihr alleine im Büro war, fragte sie direkt: »Dir geht es nicht so gut, oder? Ich sehe dir an, daß du dich nicht wohl fühlst. Willst du mir nicht sagen, was dich bedrückt?«

Fast unwillig schüttelte Marina den Kopf. »Du siehst Gespenster, mir geht es blendend.«

»Komm, mach mir doch nichts vor! Hat Nils dich etwa betrogen?«

Diese Frage kam so überraschend, daß Marina gegen ihren Willen in lautes Lachen ausbrach. »Also, Isa, du kommst vielleicht auf Gedanken!«

»Nun, wenn du nicht mit der Sprache herausrückst, kommt man eben auf die sonderbarsten Einfälle.« Sie blickte die Freundin eindringlich an. »Deine aufgesetzte Fröhlichkeit kann mich jedoch nicht täuschen.«

Marina seufzte. »Versprich mir, nicht mit Nils darüber zu reden – das muß ich selber machen.«

»Selbstverständlich werde ich schweigen wie ein Grab!«

Und dann erzählte Marina vom Besuch bei Dr. Strauß und dessen unfaßbare Diagnose. Isas Augen weiteten sich vor Erstaunen.

»Mein Gott, was hast du denn jetzt vor?« flüsterte sie mit einem vorsichtigen Blick auf die Tür, die sich jeden Augenblick öffnen konnte. »Du bist doch schon im dritten Monat, und bald wird Nils merken, was mit dir los ist…«

»Das ist mir klar.« Marinas Stimme glich einem Hauch. »Ich habe mich ja langsam daran gewöhnt, Mutter zu werden, aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie Nils die Neuigkeit aufnehmen wird.«

Isa hob den Zeigefinger. »Egal, ob ihm deine Schwangerschaft in den Kram paßt oder nicht – du mußt mit ihm darüber reden, am besten noch heute.«

»Das sagt sich so leicht.« Marina lächelte lahm. »Du solltest ihn hören, wenn er begeistert von unserer eigenen kleinen Agentur redet; voller Begeisterung und Vorfreude. Ich kann ihm doch nicht seine Träume stehlen.«

»Na, hör mal, immerhin ist auch er an dem Kind beteiligt. Und was spricht dagegen, daß ihr eure Träume trotz Baby verwirklicht? Immerhin werden aus kleinen Kindern große Kinder, und es gibt Kindergärten sowie Tagesmütter. Wo also liegt das Problem?«

Nachdenklich blickte Marina ihre Freundin an. An dem, was sie sagte, war etwas Wahres dran. Nachwuchs zu bekommen hieß noch lange nicht, daß man seine Zukunftspläne auf Nimmerwiedersehen begraben müßte.

»Ich danke dir, daß du mir Mut gemacht hast«, sagte sie erleichtert und umarmte die andere liebevoll. »Gleich heute abend werde ich Nils einweihen – vielleicht reagiert er ganz anders, als ich befürchtet habe.«

Zustimmend nickte Isa und schlug vor: »So gefällst du mir schon viel besser. Am besten, du bestellst eine kalte Platte im Delikatessenladen und öffnest dazu eine Flasche Champagner. Wenn Nils dich wirklich liebt, wird er bald stolz wie ein Gockel durch die Agentur rennen.«

An solch eine Reaktion wagte Marina gar nicht zu denken, nahm sich jedoch vor, sich strikt an Isas Anweisungen zu halten und Nils bei einem romantischen Abendessen mit Kerzenschein zu berichten, daß sie schwanger war.

*

Nervös blickte Marina auf die Uhr, bald müßte Nils auftauchen. Es war nicht ungewöhnlich, daß er etwas länger als sie in der Agentur blieb, wenn der Chef nicht anwesend war.

Und so war es auch an diesem Tag. Noch vom Büro aus hatte Marina einige feine Köstlichkeiten bestellt, die gegen Abend geliefert werden sollten. Nils hatte ihr nur eine Kußhand zugeworfen, als sie sich mit den Worten »Bis später!« verabschiedet hatte.

Nun hatte sie bereits gebadet und eines ihrer schicken Cocktailkleider angezogen. Das Silbertablett mit Kaviar und Lachsröllchen stand mitten auf dem Eßtisch aus Chrom und Glas, die Champagnerflasche lehnte im Eiskübel und wartete geduldig auf ihren Einsatz.

In dem Moment, als Marina zum Telefonhörer griff, um in der Werbeagentur anzurufen, hörte sie den Schlüssel in der Haustür und eilte Nils erleichtert entgegen.

Der staunte nicht schlecht, als er Marinas eleganten Aufzug erblickte und fragte mit einem Anflug schlechten Gewissens: »Habe ich etwa vergessen, daß wir ausgehen wollten oder eine Einladung haben?«

»Nein, es gibt einen besonderen Anlaß, von dem du nichts wissen konntest.« Sie nahm ihm kurzerhand die Jacke ab und führte ihn zu der Eßecke im Wohnzimmer. »Wir können sofort essen.«

Nils kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Immer wieder wanderten seine Blicke zwischen Marina und dem festlich gedeckten Tisch hin und her. »Du machst mich wirklich neugierig, Schatz. Habe ich wirklich nichts vergessen?«

Marina schüttelte lächelnd den Kopf und goß Champagner ein. »Möchtest du erst etwas essen, bevor wir reden? Etwas Hummer vielleicht?«

Er hielt sie am Handgelenk fest und erwiderte leicht verwirrt: »Ich will jetzt keinen Hummer, sondern wissen, was los ist. Deinen Geburtstag habe ich ja wohl nicht vergessen oder?«

Langsam setzte sich Marina und starrte in das flackernde Kerzenlicht. Nun, da es kein Entrinnen mehr gab, wurde ihr etwas mulmig in der Magengegend. Sie schluckte einmal und sagte dann mit tonloser Stimme: »Könntest du dich daran gewöhnen, bald Vater zu werden?«

Einen winzigen Augenblick stutzte er, dann brach er in Lachen aus. »Ja, in vier bis fünf Jahren, wenn unsere Agentur so richtig gut läuft, kann ich mir das sehr gut vorstellen.«

Als sie nicht antwortete, fügte er ernst hinzu: »Ich hoffe, du bist nicht auf die Idee gekommen, daß wir uns schon jetzt ein Kind anschaffen sollten. Dafür ist später doch noch genügend Zeit.«

Mit fremder Stimme erwiderte Marina leise: »Für Überlegungen ist es leider zu spät, Nils. Wir bekommen ein Baby…«

Sekundenlang herrschte Totenstille im Raum. Marina senkte den Blick und wagte nicht, zu Nils aufzublicken, der bewegungslos dasaß und zunächst keinen Laut von sich gab.

Erst, als Marina wieder aufblickte, sagte er mit belegter Stimme »Das… ist doch gar nicht möglich, du mußt dich irren.«

Sie hob lahm die Schultern. »Ich zweifle nicht an Dr. Strauß’ Diagnose. Wegen der Schwangerschaft habe ich auch die Probleme mit meinem Kreislauf und fühle mich oft schlapp und müde.«

Nils sprang auf. »Marina, bitte sag’, daß du nur gescherzt hast!«

»Aber es ist die Wahrheit«, gab sie verzweifelt zurück und spürte, daß Tränen der Enttäuschung in ihren Augen brannten. »Es war ein Malheur, aber das heißt noch lange nicht, daß ich das Kind nicht austragen werde.«

Er fuhr sich erregt durch das Haar. »Marina, es gibt doch heutzutage genügend Möglichkeiten, wenn man ein Kind nicht haben kann.«

»Du meinst, wenn man ein Kind nicht haben will, nicht wahr? Nils, wir beide sind gesund und können dankbar sein, ein Baby bekommen zu dürfen!«

Er blickte sie zweifelnd an. »Von wem hast du denn diese Weisheit? Das klingt so gar nicht nach der Karrierefrau Marina.«

»Ich hatte zwei Wochen lang Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen, meine Karriere in den Hintergrund zu stellen. Zunächst ist das Wichtigste, daß es unserem Kind gutgeht.«

Resigniert ließ sich Nils wieder auf den Stuhl fallen. »Dann steht für dich schon fest, daß du das Kind behalten willst…«

Zaghaft nickte sie. »Und wie stehst du dazu?«

»Ich bin mir noch nicht im Klaren darüber«, gab er achselzuckend zurück. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, jetzt schon eine Familie zu gründen.«

»Dann willst du mich verlassen?«

»Nein, natürlich nicht. Ich liebe dich, und nichts kann etwas daran ändern. Aber es will mir nicht in den Kopf, daß unsere schönen Träume wie eine Seifenblase zerplatzen, weil wir Eltern werden.«

Marinas Erleichterung war ihr anzuhören, als sie sagte: »Wir können doch auch mit Kind die Werbeagentur eröffnen. Wenn es soweit ist, kann sich eine Tagesmutter um unseren Sprößling kümmern – Tausende von Elternpaare vereinen Familie und Beruf auf diese Art miteinander.«

»Du begreifst anscheinend nicht, worum es mir geht.« Nils nahm einen großen Schluck Champagner, der bereits begann, warm zu werden. »Wenn du dieses Kind zur Welt bringst, wirst du eine ganze Weile bei der Arbeit ausfallen – und dir ist doch klar, daß wir jeden Pfennig, den wir nicht benötigen, auf die Seite legen, um einen Grundstock für unsere Selbständigkeit zu haben. Außerdem kostet ein Kind jede Menge Geld…«

Sie blickte ihn vorwurfsvoll an. »Wäre es denn so schlimm, einfach etwas länger zu sparen? Unsere Idee läuft uns doch nicht davon.«

Sein entsetztes Gesicht sprach Bände. »Du weißt doch, wie lange ich schon von einer eigenen Agentur träume – und ich dachte immer, daß es dir genauso geht.«

»Das tut es doch auch!« Marina hieb wütend mit der Faust auf die Tischplatte, so daß die Gläser leise klirrten. »Aber nun ist die Schwangerschaft dazwischen gekommen, und wir müssen vernünftig sein!«

Er lachte hart auf. »Vernünftig nennst du es, die nächsten Jahre jeden Pfennig zehnmal umzudrehen, bevor man ihn ausgibt? Auch, wenn ich gut bei Pelzer verdiene – mit nur einem Gehalt werden wir uns noch nicht einmal diese Wohnung mehr leisten können.«

»Schade, ich wußte nicht, daß dir materielle Dinge wichtiger sind als Familienglück.« Flüchtig dachte sie an die teuren Restaurantbesuche, die Urlaubsreisen in ferne Länder und die Kleidung aus den teuersten Boutiquen der Stadt, ohne auf den Preis achten zu müssen. Und doch schien dies inzwischen alles nicht mehr im Vordergrund zu stehen.

Nils kam um den Tisch herum und hockte sich neben ihren Stuhl. »Marina, jetzt sei doch vernünftig. Ich verspreche dir, wir können uns eine ganze Fußballmannschaft Kinder anschaffen, wenn unser Geschäft erst richtig läuft.«

Entsetzt starrte sie ihn an. »Willst du damit etwa andeuten, ich soll unser Kind nicht bekommen?«

Ohne seine Antwort abzuwarten, erhob sie sich, warf die Serviette auf den Tisch und eilte zielstrebig ins Gästezimmer, in dem sie sich bis zum nächsten Morgen einschloß. Traurig stellte sie fest, daß es das erste Mal in ihrer Beziehung mit Nils passiert war, daß sie sich so heftig gestritten hatten und ohne Gutenachtkuß einschliefen.

*

Ein sehr zerknirschter Nils trat Marina am nächsten Morgen gegenüber. Als sie aus dem Badezimmer kam, hatte er bereits Frühstück gemacht und sogar einen kleinen Blumenstrauß auf den Tisch gestellt.

»Ich habe gestern Abend ziemlich dumm reagiert«, sagte er und wagte kaum, ihr in die Augen zu blicken. »Diese Neuigkeit kam so überraschend – niemals hätte ich damit gerechnet, daß sich mein Leben von einer Sekunde zur nächsten so dramatisch ändern könnte. Kannst du mir verzeihen?«

Marinas Herz schlug höher, und ihre Verstimmung war wie weggeblasen. »Du bist also einverstanden, daß wir unsere Zukunftspläne für das Baby etwas zurückstellen?«

Er zuckte die Achseln und grinste verlegen. »Zumindest werde ich es versuchen. Ich kann dir allerdings nicht versprechen, ob ich mich auf Dauer damit abfinden kann.«

»Was soll das denn heißen?«

»Nun…« druckste er herum. »Ich hatte eben ganz andere Vorstellungen von der Zukunft, und bin mir nicht sicher, ob mir das Leben als Familienversorger liegt.«

Verärgert hob Marina die Augenbrauen. »Ich kann mir im Moment auch nicht vorstellen, den ganzen Tag zu Hause zu hocken und ein Kind zu versorgen anstatt zu arbeiten – mich fragt auch niemand danach.«

Nils winkte hastig ab. »Dieses Argument zählt nicht. Du hast schließlich die freie Entscheidung, das Kind zu behalten oder nicht, während ich vor vollendete Tatsachen gestellt wurde.«

Marina senkte den Blick. In dieser Hinsicht hatte Nils sogar recht, und sie konnte ihm keinerlei Vorwürfe machen. Erst, als er sich räusperte, blickte sie wieder auf.

»Macht es dir etwas aus, wenn wir noch ein wenig damit warten, bevor wir es an die große Glocke hängen, daß wir Nachwuchs erwarten?«

Marina schüttelte den Kopf und kämpfte mit den Tränen.

*

»Du mußt Nils Zeit geben«, sagte Isa. »Für einen Karrieremenschen ist es sicherlich nicht einfach, Rücksicht auf eine Familie nehmen zu müssen.«

»Aber er muß doch gar keine Rücksicht nehmen«, widersprach Marina. »Ich werde bestimmt nicht böse sein, wenn er länger in der Agentur arbeitet, das bin ich doch jetzt bereits von ihm gewohnt.«

Isa wiegte nachdenklich den Kopf. »Das sagst du jetzt – aber wirst du genauso gelassen reagieren, wenn du mit eurem Baby den ganzen Tag zu Hause sitzt und dir die Decke auf den Kopf fällt? Es würde bestimmt nicht lange dauern, bis du Nils ein schlechtes Gewissen eingeredet hättest – und somit wäre ein Streit schon vorprogrammiert.«

»Ich werde mir Mühe geben, mich in das Dasein als Hausfrau und Mutter einzuleben – es ist ja nicht für immer.«

»Du kannst froh sein, daß Nils nicht zu der Sorte Männer gehört, die ihre Frau am liebsten mit einer Horde Kinder am Herd stehen sieht, um dann herumzuprahlen, daß er das Oberhaupt der Familie ist, weil er das Geld heimbringt«, bemerkte Isa. »Apropos – wollt ihr eigentlich heiraten?«

Verdutzt sah Marina auf. »Um ehrlich zu sein… darüber haben wir noch gar nicht geredet.«

»Na ja, das hat auch noch Zeit. Außerdem muß man heutzutage nicht mehr verheiratet sein, wenn man eine Familie gründet.«

Nachdenklich blickte Marina aus dem Fenster. Hatte Nils nur vergessen, sie um ihre Hand zu bitten, oder kam eine Heirat unter diesen Bedingungen für ihn überhaupt nicht in Frage?

*

Je weiter Marinas Schwangerschaft fortschritt, desto verschlossener wurde Nils. Anfangs hatte sie noch geglaubt, daß die Gewöhnungsphase besonders lange dauerte, aber dann begriff sie allmählich, daß Nils nicht mit der Tatsache fertig wurde, bald Vater zu werden.

Langsam wurden Marinas Röcke und Hosen zu eng, und inzwischen hatten die Kollegen in der Agentur erfahren, daß eine der ihren ein Kind unter dem Herzen trug.

Besorgt hatte Marina beobachtet, daß Nils nur gequält gelächelt hatte, als ihm seine männlichen Kollegen aufmunternd auf die Schulter klopften.

Armin Pelzer war alles andere als erfreut, daß seine beste Mitarbeiterin, wie er es nannte, für eine ganze Weile ausfallen würde.

»Ausgerechnet Sie mit Ihrem hoffnungsvollen Talent wollen Ihre Karriere verkümmern lassen?« fragte er verständnislos. »Was haben Sie sich nur dabei gedacht?«

Marina verzichtete darauf, ihrem Chef zu erklären, daß dieses Kind alles andere als geplant war, und erwiderte statt dessen: »Daß ich eine Berufspause einlege, bedeutet doch nicht, daß ich meine Karriere aufgeben werde.«

»Das klingt sehr naiv, Frau Fischer.« Armin Pelzer griff nach einem Kugelschreiber und wies dabei auf Marina. »Ihnen muß doch bewußt sein, daß es gerade in unserer schnellebigen Branche fast unmöglich ist, erneut Fuß zu fassen, wenn man eine gewisse Zeit nicht gearbeitet hat. Mich wundert überhaupt nicht, daß Ihr Verlobter nicht ganz glücklich über die derzeitige Situation ist.«

Marina wurde bleich. »Hat er das etwa gesagt?«

»Selbstverständlich nicht, doch ich kann es ihm ansehen. Sein früherer Elan ist verflogen, und oft beschleicht mich das Gefühl, daß er sich mehr Gedanken über seine persönlichen Probleme als über die Arbeit macht.«

Mechanisch erhob sich Marina. Sie hatte nicht gewußt, daß Nils so sehr litt. Sie mußte mit ihm reden, ihm versichern, daß es Schlimmeres gab als Vater zu werden…

*

Die Entscheidung wurde Marina abgenommen. Bereits am selben Abend bat Nils um eine Unterredung – und bereits da ahnte Marina, daß er ihr nichts Erfreuliches zu sagen hatte.

Tatsächlich saß er ihr wie ein Häufchen Unglück gegenüber, als er mit tonloser Stimme sagte: »Ich habe mich bemüht, ein guter werdender Vater zu werden – nicht, weil ich schon jetzt ein Kind haben wollte, sondern weil ich dich liebe…«

»Und?«

»Ich kann es nicht. Ich kann nicht mehr atmen bei der Vorstellung, meine Freiheit zu verlieren und nur noch Verantwortung zu tragen.«

Marina schluckte. »Was willst du jetzt tun?«

»Ich werde meine Stelle kündigen und in einer anderen Stadt einen neuen Anfang wagen.«

»Ohne mich?«

Er sah sie nicht an, als er ausweichend antwortete: »Selbstverständlich werde ich finanziell für dich und das Kind sorgen, aber mehr kannst du in Zukunft nicht von mir erwarten.«

»Du läßt mich also im Stich?« Ihre Stimme zitterte. »Läßt mich einfach alleine mit unserem Baby?«

Nils straffte seine athletische Figur und holte tief Luft. »Glaub’ nicht, daß ich es mir leicht gemacht habe, so zu entscheiden. Ich liebe dich nach wie vor, daran ändert auch unsere Trennung nichts.«

»Du bist sehr egoistisch.« Marina bemühte sich vergebens, Haltung zu bewahren. Schon rannen ihr die ersten Tränen über die blassen Wangen. »Du entscheidest einfach für dich alleine, und meine Meinung interessiert dich überhaupt nicht.«

Er seufzte. »Genau dasselbe habe ich damals empfunden, als du mir schonungslos erklärtest, daß du dieses Kind haben wolltest. Hat dich da etwa meine Meinung interessiert?«

»Nun, ich habe mir redlich Mühe gegeben, dich davon zu überzeugen, daß…«

»Ja«, unterbrach er sie. »Du hast oft genug versucht, mir das Familienleben so schmackhaft wie möglich zu machen – aber ich habe schnell erkannt, daß ich noch nicht so weit bin, eine Familie gründen zu wollen. Es tut mir sehr leid, Marina. Aber mein Entschluß steht fest. Ich habe bereits einige Bewerbungen geschrieben, und übermorgen habe ich in Berlin mein erstes Vorstellungsgespräch.«

»In Berlin? Du kannst wohl gar nicht weit genug von mir wegkommen?« stieß sie wütend hervor. »Warum packst du nicht gleich heute deine Sachen und verschwindest aus meinem Leben?«

Nils erhob sich wortlos, und sofort taten ihr die harten Worte leid. Als er dann mit einem der großen Reisekoffer vom Dachboden kam, wußte sie, daß sie Nils nicht wiedersehen würde.

*

»Sag’ mal, was ist denn bei euch los?« Isas Stimme klang besorgt, als sie am nächsten Morgen Marina anrief. »Du hast dich krankschreiben lassen, und Nils hat sich Knall auf Fall ein paar Tage Urlaub genommen. Gibt es einen besonderen Anlaß dafür?«

»Nils und ich haben uns getrennt«, kam es emotionslos von Marina.

Einige Sekunden blieb es still in der Leitung, Isa mußte erst einmal verdauen, was sie gerade gehört hatte. Die Stimme der Freundin klang nicht danach, als hätte sie einen Witz gemacht, und vorsichtig fragte Isa: »Wegen des Babys?«

»Ja, wegen des Babys. Ehrlicherweise muß ich sagen, daß sich Nils von mir getrennt hat – für mich kam das alles sehr überraschend.«

»Was fällt dem Schuft bloß ein, sich klammheimlich aus dem Staub zu machen, anstatt dich zu unterstützen? Na, wenn ich den in die Finger kriege…«

»Nein, Isa. Nils hat recht, ich habe ihn praktisch gezwungen, sich mit der neuen Situation abzufinden. Wenn ich dieses Kind nicht bekommen würde, wären wir noch immer ein glückliches unbeschwertes Paar.«

»Nils hat dir doch nicht etwa die Pistole auf die Brust gesetzt?«

»Das hat er nicht. Ich weiß, daß er alles versucht hat, um sein Leben umzustellen – doch es hat nicht geklappt.«

Isa räusperte sich. »Du willst dein Baby also alleine aufziehen?«

»Was bleibt mir sonst übrig?« gab sie mit bitterem Unterton zurück. »Ich habe doch keine andere Wahl.«

»Nun, du könntest das Kind nach der Geburt zur Adoption freigeben«, schlug Isa vor. »So etwas kommt sehr häufig vor.«

Marina seufzte tief. »Ach, Isa, du verstehst mich nicht. Ich liebe das Kind, aber ich liebe auch Nils. Ich möchte mit beiden zusammen leben und auf keinen verzichten. Nun, da sich Nils gegen mich entschieden hat, werde ich mich ausschließlich meinem Baby widmen.«

»Ich werde dich natürlich unterstützen, wo ich nur kann«, bot Isa augenblicklich an. »Willst du eure Wohnung behalten?«

»Ich glaube nicht.« Zweifelnd sah sich Marina in dem eleganten Wohnraum um. »Erstens ist sie nicht kindgerecht eingerichtet und viel zu groß… und außerdem werde ich allein kaum die Miete aufbringen können. Eigentlich weiß ich überhaupt noch nicht, wie es nach der Geburt finanziell weitergehen soll.«

»Nils wird doch wohl für euch sorgen, oder?«

»Schon, aber zuviel kann und will ich nicht von ihm verlangen. Es gibt ja auch noch Erziehungsgeld – und vielleicht finde ich einen Nebenjob.«

»Hm, frag’ doch den Chef, ob du nicht von zu Hause weiter für die Agentur arbeiten kannst; immerhin hält er sehr große Stücke von dir.«

Marina strich sanft über ihren gewölbten Leib. »Ja, vielleicht sollte ich ihn wirklich fragen. Im Moment allerdings bin ich so durcheinander, daß ich kaum einen klaren Gedanken fassen kann.«

»Verstehe, du hast ja noch genügend Zeit, deine Zukunft zu planen. Laß es mich wissen, wenn du etwas brauchst.«

*

Die folgenden vierzehn Tage verbrachte Marina wie in Trance. Lange hielt sie es daheim nicht aus und nahm ihre Arbeit wieder auf. Nils hatte sich nicht mehr blicken lassen, Marina erfuhr jedoch von einem Kollegen, daß er sich vorübergehend ein Hotelzimmer gemietet hatte.

Mit säuerlicher Miene teilte Armin Pelzer schließlich der gesamten Belegschaft mit, daß Nils gekündigt und eine Stelle in Berlin angenommen hatte.

Einmal rief Nils noch bei Marina an, um ihr mitzuteilen, daß er nur seine persönlichen Dinge aus der Wohnung haben wollte und ihr großzügig das gesamte Mobiliar ließ.

»Möchtest du dabei sein, wenn ich meine Sachen abhole?« fragte er, und Marina spürte, daß auch ihm der Abschied nicht ganz leicht fiel.

»Nein, lieber nicht. Richte es bitte so ein, daß ich dann in der Agentur bin.«

»Gut. Sowie ich eine Wohnung in Berlin gefunden habe, schicke ich dir meine neue Adresse, damit du mich informieren kannst, wenn das Kind da ist.«

Ein winziger Hoffnungsschimmer flackerte in Marina auf. »Wozu?«

»Wegen der Unterhaltszahlungen«, kam es nüchtern zurück.

Als sie dann einige Tage später heimkam und sah, daß Nils da gewesen war, brach Marina schluchzend zusammen. Der flüchtig geschriebene Zettel mit dem Abschiedsgruß, der Schlüsselbund für die Wohnung auf dem Couchtisch und die vollständig geleerte Hälfte des Kleiderschrankes waren zuviel für Marina.

*

Nur ganz langsam erholte sich Marina wieder von dem Verlust, wobei ihr Isa hilfreich zur Seite stand. Schnell war ein Nachmieter für die Luxus-Wohnung gefunden, der sogar voller Begeisterung die modernen Designer-Möbel zu einem guten Preis übernahm.

Isa hatte Marina angeboten, vorübergehend zu ihr zu ziehen, was diese jedoch ablehnte. Aber im selben Haus, in dem Isa lebte, wurde zufällig eine kleine Dreizimmerwohnung frei, deren Miete akzeptabel war. Die Ausstattung war zwar im Gegensatz zu der vorherigen Wohnung mehr als bescheiden, aber das störte Marina nicht. Mit dem Geld aus dem Verkauf der Möbel konnte sie sich eine einfache Einrichtung leisten.

Zufrieden blickten sich beide Frauen nach dem Einzug um.

»Um ehrlich zu sein«, sagte Isa, »hier finde ich es viel gemütlicher als in deiner alten Wohnung.«

Marina verzog schmerzhaft das Gesicht und stemmte eine Hand gegen den Rücken, langsam spürte sie die Folgen der Schwangerschaft. »Hm, eigentlich mag ich Holzmöbel auch viel lieber als all das verchromte Zeug. Wenn mir nur Nils nicht so fehlen würde. Was er wohl gerade macht?«

»Vermutlich sitzt er bei seiner neuen Agentur und brütet über irgendein Projekt«, erwiderte Isa und stellte den Staubsauger in den Besenschrank. »Du solltest ihn schnellstens vergessen und nur noch an dein Baby denken.«

Schwer ließ sich Marina in einen der neuen bequemen Sessel fallen. »Das versuche ich ja ständig – aber ich liebe Nils und werde ihn niemals ganz aus meinen Gedanken streichen können.«

»Dann hast du ihm also schon verziehen?«

Marina hob die Schultern. »Er hat mir zwar sehr weh getan, aber im Grunde genommen hatte er recht: Ich habe ihn einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Kein Wunder, daß er sich in die Enge getrieben fühlte.«

Isa nahm kopfschüttelnd den blauen Müllbeutel mit den Tapetenresten und murmelte im Hinausgehen: »Dir ist wirklich nicht zu helfen. Hat sich Nils wenigstens schon mal gemeldet, seit er feige das Feld geräumt hat?«

»Ja, er rief kurz an und teilte mir mit, daß er eine hübsche Wohnung gefunden hat…«

»Aha, und wie sieht es mit einer neuen hübschen Frau in seinem Leben aus? Hat er dir darüber auch etwas erzählt?«

»Isa, du bist gemein! Ich glaube nicht, daß Nils schon wieder eine neue Bekanntschaft gemacht hat.«

»Was macht dich so sicher? Du weißt doch selbst, daß Nils immer deine Selbständigkeit und Bodenständigkeit imponiert hat. Ich denke, in Berlin gibt es jede Menge attraktiver Frauen, die nichts anderes als ihre Karriere im Kopf haben.«

Marina stand so schnell auf, wie es ihr Leibesumfang zuließ und sagte: »Bitte, lassen wir das Thema. Ich möchte nicht darüber nachdenken, daß Nils eines Tages einer anderen Frau seine Liebe gesteht.«

Sie ging hinüber in die winzige Küche und holte sich ein Glas Milch. Dabei bebten ihre Hände vor innerer Erregung. Ja, sie war eifersüchtig, wenn sie sich vorstellte, daß Nils, der Vater ihres ungeborenen Kindes, eine andere Frau zärtlich umarmte…

*

Sechs Wochen vor dem Entbindungstermin beendete Marina ihre Arbeit in der Werbeagentur Media. Liebevoll wurde sie von ihren Kollegen verabschiedet und mit kleinen Geschenken und Blumen überschüttet.

Auf Isas Anraten hatte Marina ihren Chef gebeten, nach einer gewissen Frist weiterhin von ihrer Wohnung aus für die Agentur arbeiten zu dürfen. Zunächst war Armin Pelzer skeptisch, doch dann willigte er ein, allerdings nicht auf Vollzeit und daher mit einem geringeren Gehalt.

Am liebsten hätte sich Marina ihm nach diesem Gespräch dankbar an den Hals geworfen, doch statt dessen dankte sie nur artig und verabschiedete sich.

Die ersten Tage ohne ihre geliebte Arbeit fühlte sich Marina einsam und verloren. Tagsüber, wenn Isa in der Agentur arbeitete, empfand Marina die Einsamkeit als besonders schlimm. Obwohl in der Wohnung nichts an Nils erinnerte, dachte Marina ständig an ihn. Es stimmte nicht, daß mit der Zeit alle Wunden heilten – im Gegenteil, je länger sie von Nils getrennt war, desto mehr vermißte sie ihn.

Das Baby, das sich immer öfters im Mutterleib meldete, konnte zwar nicht über den Verlust hinwegtrösten; doch für Marina war es ein beruhigendes Gefühl, nicht ganz alleine dazustehen.

Oft saß sie stundenlang in dem liebevoll eingerichteten Kinderzimmer und versuchte sich vorzustellen, daß der Raum bald bewohnt sein würde. Dann lächelte sie vor sich hin und freute sich auf ihr Kind. Daß es ohne Vater aufwachsen sollte, vergaß sie dabei für einige Minuten.

*

Die ersten Wehen kamen mitten in der Nacht. Marina erwachte von einem durchdringenden Schmerz und richtete sich erschrocken auf. Als die nächste Schmerzwelle kam, schwang sie die Beine aus dem Bett und warf sich einige Kleidungsstücke über.

Marina hatte ihrer Freundin versprechen müssen, Bescheid zu sagen, wenn es soweit war, und eine Viertelstunde nach der ersten Wehe stand sie mit ihrem Köfferchen vor Isas Wohnungstür.

Erst nach dem zweiten Klingeln wurde die Tür von einer noch halb schlafenden Isa geöffnet. Als sie jedoch Marina erkannte, war sie schlagartig hellwach und rief: »Ich bin in fünf Minuten fertig!«

Während der Fahrt in die Entbindungsklinik war Isa aufgeregter als die werdende Mutter. »Sitzt du wirklich bequem? Soll ich schneller fahren? Hast du große Schmerzen?«

Durch Isas aufgeregtes Schwatzen kam Marina gar nicht dazu, an Nils zu denken.

*

Drei Stunden später war der kleine Niklas geboren. Die Hebamme versicherte der überglücklichen Marina, daß der Kleine kerngesund war, bevor sie ihn in ihre Arme legte.

Auf den ersten Blick erkannte Marina, daß das Baby Nils’ Gesichtszüge trug, sogar seine blonden Haare hatte der Kleine von seinem Vater geerbt.

Isa war entzückt von Niklas und bot sich spontan als Patentante an. »Ich habe noch nie ein süßeres Baby gesehen. Sieh’ doch nur seine winzigen Hände, da bekommt man direkt Lust, selbst Mutter zu werden.«

Marina küßte sanft das zarte Köpfchen an ihrer Brust und erwiderte noch leicht geschwächt: »Begreifst du jetzt, daß ich mich nicht gegen den Kleinen entscheiden konnte?«

Isa nickte unter Tränen der Rührung. »Ich glaube, wenn Nils seinen Sohn sieht, wird er seine Entscheidung bereuen und zu dir zurückkehren. Willst du ihn nicht bitten, den Kleinen einmal zu besuchen?«

»Nein!« stieß Marina heftig aus. »Ich werde ihn lediglich darüber informieren, daß unser Kind geboren wurde. Keinesfalls möchte ich, daß Nils aus Pflichtgefühl zurück kommt. Wenn er eines Tages Nicky sehen will, werde ich ihm nicht die Tür weisen.«

»Du bist unverbesserlich.« Isa rückte ihren Besucherstuhl näher. »Darf ich unseren kleinen Schatz auch einmal nehmen?«

»Natürlich.« Bereitwillig reichte Marina der Freundin das kleine schlafende Bündel. »Du mußt sein Köpfchen stützen. So ist es richtig.«

Fast andächtig betrachtete Isa das rosige Baby in ihren Armen. Nils war ein Dummkopf, weil er freiwillig auf dieses Glück verzichtete.

*

Bereits sechs Wochen später bat Marina ihren Chef, wieder ihre Arbeit aufnehmen zu dürfen. Armin Pelzer war mehr als erstaunt, übergab Marina jedoch sofort eine Aufgabe.

»Zugegeben«, sagte er, »es handelt sich um einen eher bescheidenen Auftrag. Die Bäckerinnung sucht einen passenden Spruch für ihre vorweihnachtlichen Leckereien.«

»Was, mitten im Frühsommer?«

»Nun, man ist wohl der Meinung, daß man nicht früh genug mit der Werbung beginnen kann«, gab Pelzer schmunzelnd zurück. »Ihr Söhnchen ist übrigens ganz entzückend.«

Während der Unterredung im Büro des Chefs hatte Isa den kleinen Nicky an sich genommen und ihn stolz, als wäre sie selbst die Mutter, den Mitarbeitern gezeigt.

»Frau Fischer, sind Sie sicher, daß Sie sich nicht überfordert fühlen, Beruf und Kind unter einen Hut zu bringen?« fragte er behutsam. »Als alleinerziehende Mutter ist die Belastung doppelt so hoch.«

»Das ist mir klar, doch ich werde es schaffen. Noch schläft Nicky die meiste Zeit, aber später, wenn er älter ist, kann ich ohne weiteres meine Arbeitszeit in die Abendstunden verlegen.«

Armin Pelzer nickte. »Ihnen ist aber auch klar, daß Sie in einem kreativen Beruf arbeiten, in dem Sie immer den Kopf frei haben müssen für neue Ideen.«

»Sicher, ich arbeite schließlich schon lange genug in der Werbebranche, um zu wissen, was auf mich zukommt.«

Sie erhob sich und reichte ihm die Hand. »Ich möchte Ihnen noch einmal für die Chance danken, die Sie mir gegeben haben – und ich verspreche Ihnen, daß ich Sie nicht enttäuschen werde.«

Marina war erleichtert, daß Pelzer sie nicht nach Nils gefragt hatte. Noch vom Krankenhaus aus hatte sie mehrmals vergeblich versucht, ihn telefonisch zu erreichen, jedoch nur seine Stimme vom Anrufbeantworter hören können. Irgendwann sprach Marina diese wenigen Worte auf das Band: »Hallo, Nils, wie geht es dir? Du hast gestern einen Sohn bekommen, dem ich den Namen Niklas gegeben habe – ich hoffe, das ist dir recht. Ich würde mich sehr freuen, wenn du dich mal bei mir melden würdest.«

Doch außer einer großzügigen Überweisung ließ Nils nichts von sich hören, und schweren Herzens gestand sie sich ein, daß sie vergeblich auf ein Zeichen von ihm warten würde.

*

Mit Feuereifer stürzte sich Marina in ihre neue Aufgabe, und nur zwei Tage später konnte sie Armin Pelzer ein gelungenes Konzept vorlegen.

Als der Auftraggeber sich zufriedenstellend äußerte, bekam Marina gleich das nächste Projekt. Zwar wurden die großen Projekte nach wie vor direkt in der Agentur in die Tat umgesetzt, doch Marina war froh, wieder eine Aufgabe zu haben, die nicht nur Spaß machte, sondern auch gut bezahlt wurde.

Isa schaute fast jeden Tag zumindest auf einen Sprung bei Marina vorbei. Oft schlief Nicky dann, und Isa ließ es sich nicht nehmen, auf Zehenspitzen zu seinem Bettchen zu schleichen und dem Baby einmal über das Köpfchen zu streichen.

»Wenn du Nils endlich vergessen könntest, wärst du direkt zu beneiden«, sagte sie einmal seufzend. »Dein süßer Sohn ist gesund, und deine Arbeit befriedigt dich. Könntest du dich nicht langsam daran gewöhnen, die Augen für einen anderen Mann zu öffnen?«

Entgeistert sah Marina von ihrem Saftglas auf. »Was redest du denn da? In meinem Leben wird es nie einen anderen Mann als Nils geben!«

»Aber irgendwann wirst du dich wieder danach sehnen, in den Arm genommen zu werden«, prophezeite Isa mit ernstem Gesichtsausdruck. »Und dann wird dir nichts anderes übrig bleiben, als dich auf die Suche zu begeben. Oder hoffst du noch immer, daß Nils eines Tages zu dir zurückkehrt?«

Traurig schüttelte Marina den Kopf. »Nein, die Hoffnung habe ich längst aufgegeben. Sicher, anfangs dachte ich noch, daß Nils seine Meinung ändern würde – aber die Zeit ist längst vorbei.«

»Ja, und irgendwann wirst du erstaunt feststellen, daß Nils dir nichts mehr bedeutet. So ist das Leben, und nichts hält für die Ewigkeit.«

Wenn es Marina nicht selbst betroffen hätte, hätte sie sicherlich bei den bierernsten Worten der Freundin schmunzeln müssen.

»Spätestens, wenn du dich in einen anderen Mann verliebst, wirst du an meine Worte denken.« Isa warf ihre dunkle Haarmähne, die sie stets offen trug, zurück. »Und das Argument, daß du als alleinerziehende Mutter keinen Mann finden würdest, zieht nicht. Es gibt genügend Männer, denen es nichts ausmacht, wenn ihre Angebetete bereits ein Kind hat.«

Marina antwortete nicht. In ihrem Inneren war sie fest davon überzeugt, daß es außer Nils niemals einen anderen Mann in ihrem Leben geben würde.

*

Der kleine Niklas gedieh prächtig. Mit drei Monaten beobachtete er mit neugierigen wachen Augen seine Umwelt, und Marina fand, daß er immer mehr seinem Vater glich.

Nils hatte sich weder durch einen Brief oder einen Anruf gemeldet, nur die Unterhaltszahlungen kamen pünktlich per Dauerauftrag. Marina versuchte immer öfters, Nils aus ihren Gedanken zu verdrängen – doch das wollte ihr noch immer nicht gelingen.

»Du solltest wieder einmal ausgehen«, schlug Isa vor. »Ich kenne da einen jungen kultivierten Mann, der dir bestimmt gefällt…«

»Vergiß es.«

»Aber wieso denn? Marina, Nils kommt nicht zurück, kapiere das doch endlich! Willst du tatsächlich den Rest deines Lebens damit verbringen, ihm nachzutrauern?«

Marina setzte ihren Sohn auf Isas Schoß. An diesem Tag sollte er seinen ersten Milchbrei bekommen, und so überging sie die Frage und rührte in der kleinen Breischüssel.

Doch natürlich gab Isa nicht so schnell auf, inzwischen wußte sie ja, daß man bei Marina ohne hartnäckiges Zureden kaum weiter kam.

»Ich meine es doch nur gut mit dir. Harry ist ein ganz reizender Mensch und…«

»Wer ist denn Harry?«

Isa seufzte und drückte dem Baby einen Kuß auf die Nasenspitze. »Da haben wir es wieder: Deine Mama hört nie richtig zu! Und dabei habe ich erst vor wenigen Minuten von meinem Bekannten gesprochen, der ganz ausgezeichnet zu ihr passen würde.«

Marina strafte ihre Freundin mit einem vernichtenden Blick. »Ich will weder deinen Harry noch einen anderen Mann kennenlernen. Möchtest du Nicky füttern?«

»Aber ja! Gib’ mir das Löffelchen, ich bin gespannt, wie der Brei unserem kleinen Liebling schmeckt.«

Zehn Minuten später war Isas teure Seidenbluse über und über mit Milchbrei bespritzt, und sie sagte stöhnend: »Du hättest mir ruhig sagen können, wie anstrengend es ist, einem Baby den ersten Brei zu füttern.«

Marina grinste schadenfroh und reichte der anderen ein Trockentuch hinüber. »Das war die Rache für deinen Kuppelversuch.«

Sie nahm den Kleinen, der vergnügt krähte, und gab ihm sein geliebtes Fläschchen, während Isa ihre Bluse flüchtig reinigte.

»Sieh’ dir nur den kleinen Schelm an!« rief sie lachend. »Kaum bekommt er seine vertraute Nahrung, ist er der reinste Engel.«

Zärtlich musterte Marina ihren kleinen Jungen, der selig an seinem Fläschchen nuckelte und dabei seine Mutter aufmerksam betrachtete. Nein, sie bereute keine Sekunde, daß sie sich für Nicky entschieden hatte.

*

In den darauffolgenden Tagen brachte Isa immer wieder das Thema auf Harry. »Er arbeitet zwar nicht in der Werbebranche, dafür ist er Pressesprecher eines großen Konzerns. Bitte, Marina, du vergibst dir doch nichts, wenn ich euch gegenseitig vorstelle. Wenn er dir nicht gefällt, macht es auch nichts.«

»Und dann gibst du Ruhe?« fragte Marina zweifelnd.

»Ja!«

»Aber nur bis zum nächsten Kandidaten für mich, wie?«

»Bestimmt nicht. Soll das heißen, daß du dich mit einem Treffen mit Harry einverstanden erklärst? Wir können in einem Restaurant schick essen, und ich stelle euch ganz zwanglos vor. Vielleicht verliebst du dich ja in ihn.«

»Okay, du hast gewonnen.« Marina ließ resigniert die Schultern fallen. »Ich werde mir diesen fantastischen Harry einmal aus der Nähe ansehen – aber erwarte bitte keine Wunder.«

Isa strahlte über das ganze Gesicht. Endlich ließ sich die Freundin dabei helfen, der Einsamkeit zu entfliehen!

»Da gibt es allerdings ein Problem«, sagte Marina schließlich gedehnt. »Wer soll auf Nicky aufpassen, während du mich zu verkuppeln versuchst? Ich kenne niemanden, der dafür in Frage käme.«

Isa runzelte nachdenklich die Stirn. »Sieh’ doch mal in der Tageszeitung nach, da suchen doch ständig junge Mädchen und Frauen Babysitter-Jobs.«

»Oh, das ist eine gute Idee. Dann hätte ich immer für den Notfall jemanden, wenn ich mal dringend fort muß.«

»Genau.« Isa griff bereits zur Tageszeitung und schlug die Seiten mit dem Arbeitsmarkt auf. Tatsächlich fanden sich gleich mehrere Gesuche darunter.

»Dieses Mädchen hier scheint mir mit seinen vierzehn Jahren etwas zu jung und unerfahren zu sein, um auf ein Baby aufzupassen«, murmelte Marina und fuhr mit dem Finger die Spalten entlang. »Aber dies hier hört sich doch ganz passabel an: Junge Frau, 28, sucht Arbeit als gelegentlicher Babysitter, auch nachts.«

»Klingt gut. Ruf’ doch gleich mal an. Vielleicht kann sie schon am kommenden Wochenende herkommen«, schlug Isa vor.

Doch Marina wehrte ab. »Nicht so voreilig. Zuerst muß ich die Frau einmal kennenlernen, und wenn sie mir sympathisch ist, können wir alles weitere besprechen. Der Telefonnummer nach zu urteilen, wohnt sie direkt in der Stadt.«

Bereits nach dem ersten Läuten meldete sich eine weiche Frauenstimme. »Sonja Ulrich, was kann ich für Sie tun?«

Marina spürte schnell, daß diese Frau Kinder über alles liebte, und so hatte sie keinerlei Bedenken, sie zu einem Vorstellungsgespräch zu bitten.

*

Sonja Ulrich war klein, mollig und hatte etwas Gemütliches, Mütterliches an sich. Als sie Nicky sah, begannen ihre Augen zu strahlen.

»Sie müssen sehr glücklich sein, so ein süßes Baby zu haben«, sagte sie mit belegter Stimme und streichelte Nickys weiches Händchen. »Ich wäre sehr froh, wenn ich auf ihn acht geben dürfte.«

Marina fiel ein Stein vom Herzen. Ihren Sohn in der Obhut dieser reizenden Person zu wissen, würde ihr keine Gewissensbisse einbringen. »Wann hätten Sie denn Zeit?«

»Ich?« Sonja Ulrich riß erstaunt die Augen auf. »Ich habe immer Zeit. Sie können sich auf mich verlassen: Ich werde hier sein, wann immer Sie meine Hilfe benötigen.«

Bei einer Tasse Kaffee erzählte sie dann, daß sie geschieden sei und gerne wieder in ihrem erlernten Beruf als Kindergärtnerin arbeiten würde. »Bis es soweit ist, verdiene ich eben mein Geld mit Babysitten.«

Als sich die Frau wenig später verabschiedete, war Marina davon überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben…

*

Nun gab es keine Ausrede mehr für Marina, und sie mußte hilflos zusehen, wie ihre Freundin für den Samstag der kommenden Woche einen Tisch in einem Nobelrestaurant bestellte.

»Was willst du diesem Harry eigentlich sagen, wenn du ihn einlädst?« fragte Marina skeptisch. »Etwa, daß es da eine alleinerziehende Mutter gibt, die sich schrecklich alleine fühlt und für sich einen Mann sowie für ihr Kind einen Vater sucht?«

Isa winkte ab. »Ach was. Ich werde ganz diplomatisch vorgehen und ihn einfach fragen, ob er Lust hat, mal wieder mit mir und einer Freundin essen zu gehen.«

»Und du meinst, daß er anbeißt?«

»Natürlich, er hat mich doch schon oft gefragt, wann wir wieder einmal etwas unternehmen wollen – in allen Ehren selbstverständlich.«

Marina konnte ein Schmunzeln kaum unterdrücken. »Ich schätze, Harry ist hoffnungslos in dich verliebt.«

»Da liegst du leider ganz falsch. Harry und ich kennen uns noch vom Gymnasium her, und uns hat nie mehr als eine lockere Freundschaft miteinander verbunden.«

»Und wie kommst du darauf, daß ich ihm und er mir gefallen könnte?« bohrte Marina weiter.

Isa lächelte verschmitzt. »Ihr würdet gut zusammen passen, das ist alles. Freust du dich auf den Abend?«

»Ungeheuerlich«, murmelte Marina ohne große Begeisterung. Nein, sie wollte diesen Mann eigentlich gar nicht kennenlernen – doch Isa war so glücklich über ihre Zustimmung, daß sie sie nicht enttäuschen wollte.

*

Pünktlich um neunzehn Uhr stand Sonja Ulrich vor der Tür. Sie musterte wohlwollend ihr elegantes Gegenüber und sagte lächelnd: »Der Mann, mit dem Sie sich treffen, ist ein Glückspilz.«

Verdattert blickte Marina an ihrem schwarzen, enganliegenden Kleid hinunter. »Woher wissen Sie, daß ich mit einem Mann verabredet bin?«

Sonja lachte glockenhell. »Keine Frau würde sich für ein Treffen mit einer Freundin so in Schale werfen.«

Marina unterließ es, Sonja zu erklären, daß sie sehr wohl mit einer Freundin ausgehen wollte, und führte die Babysitterin statt dessen in die Küche. »Hier ist Nickys Fläschchen, er bekommt es in einer Stunde, es muß nur noch erwärmt werden. Danach müssen seine Windeln gewechselt werden…«

»Soll ich den Kleinen auch baden?«

»O nein! Das habe ich bereits heute nachmittag getan. Sie müssen ihn dann nur noch ins Bettchen legen, dann können Sie im Wohnzimmer fernsehen oder lesen. Der Inhalt meines Kühlschranks steht Ihnen selbstverständlich auch zur Verfügung.«

Sonja Ulrich seufzte und strich über ihre üppigen Hüften. »Wenn ich Ihre Figur hätte, würde ich sicherlich von Ihrem freundlichen Angebot Gebrauch machen. Aber so nehme ich strikt meine letzte Tagesmahlzeit um siebzehn Uhr ein.«

Marina gefiel die lockere Art der anderen immer mehr. »Ich werde nicht allzu spät zurück sein und Ihnen dann ein Taxi rufen.«

»Nicht nötig. Ich bin mit meinem eigenen Wagen da.«

Es klingelte, und Marina öffnete die Tür. Isa stieß einen bewundernden Pfiff aus. »Also, gegen dich komme ich mir heute abend direkt wie ein Mauerblümchen vor.«

Marina verabschiedete sich schnell von Sonja Ulrich, ließ jedoch ihre Handynummer zurück. »Nur für den Fall, daß etwas mit Nicky sein sollte…«

»Keine Sorge, ich werde auf den Knirps achten, als wäre es mein eigenes Baby«, erwiderte Sonja munter. »Jetzt sollten Sie sich aber auf den Weg machen.«

»Bin schon weg.« Marina winkte der Babysitterin noch einmal zu, bevor sie die Wohnungstür hinter sich ins Schloß zog.

»Wenn du mich fragst«, sagte Isa, als sie die Treppe hinuntergingen, »mit Frau Ulrich hast du einen guten Fang gemacht.«

»Das denke ich auch.« Marina stieg vorsichtig die Stufen hinab. Sie war es nicht mehr gewohnt, diese hochhackigen Schuhe zu tragen, und fügte nachdenklich hinzu: »Es ist das erste Mal seit Nickys Geburt, daß ich wieder ausgehe.«

»Selber schuld, ich habe dir schon oft genug angeboten, etwas zu unternehmen.«

»Etwas mulmig ist mir schon, Nicky zum ersten Mal in seinem Leben alleine zu lassen.«

Isa blieb abrupt stehen. »Du läßt ihn doch nicht allein, sondern bei einer sehr netten erfahrenen Frau, die ihn bestimmt gut versorgt. Also vergiß mal für ein paar Stunden, daß du Mutter bist, und konzentriere dich auf das Frausein.«

Kichernd zog Marina die andere den Rest der Stufen hinunter. »Und du konzentrierst dich bitte für ein paar Stunden darauf, Freundin und nicht Kupplerin zu sein.«

Ebenfalls kichernd versprach Isa, während des Essens nichts anderes zu tun, als gütig lächelnd in die Runde zu blicken.

*

Der ominöse Harry war noch nicht da, als die beiden bildhübschen jungen Frauen gutgelaunt das Restaurant betraten.

»Möchten die Damen noch warten, oder darf ich Ihnen einen Aperitif servieren?« nästelte der Ober, ohne eine Miene zu verziehen.

Isa nickte. »Der Herr, auf den wir warten, wird zwar jeden Augenblick erscheinen, doch ich denke, schon jetzt einen Aperitif zu sich zu nehmen, wäre nicht zu unhöflich.«

»Keineswegs«, beeilte sich der befrackte Kellner zu sagen und stakte davon.

Marina konnte kaum ein Lachen verkneifen. »Seit wann redest du denn so gestelzt?«

»Immer, wenn es darauf ankommt«, gab Isa achselzuckend zurück, und ergänzte augenzwinkernd: »Ich weiß eben, was sich gehört.«

»Da bin ich aber beruhigt.« Marina fühlte sich wohl und genoß das gedämpfte Gemurmel der anderen Gäste und das Klappern des Bestecks auf den Tellern. Es tat gut, wieder einmal etwas anderes zu sehen als die enge Wohnung, den Supermarkt um die Ecke und die Parkanlage, in der sie fast täglich mit Nicky im Kinderwagen spazieren ging.

»Da kommt er«, raunte Isa ihr unvermittelt zu, und ohne es eigentlich zu wollen, strich Marina sich unbewußt mit einer nervösen Geste über die Haare.

»Isa!« hörte sie eine sanfte Männerstimme hinter sich. »Wie schön, daß du endlich wieder einmal Zeit für mich hast!«

»Hoffentlich stört es dich nicht, daß ich eine Freundin mitgebracht habe. Dummerweise hatte ich vergessen, daß ich für heute bereits mit Marina eine Verabredung hatte.«

Während sich Marina noch fragte, wie Isa es fertig brachte zu lügen, ohne rot zu werden, verneigte sich Harry leicht vor Marina und sagte lächelnd: »Wie könnte mich deine charmante Begleitung wohl stören? Gestatten Sie, mein Name ist Harald Bünting. Meine Freunde nennen mich einfach Harry.«

»Ach ja?« Marina nickte gequält und nannte auch ihren Namen, obwohl die Vorstellung eigentlich Isa hatte übernehmen wollen.

Zu ihrem großen Entsetzen erhob diese sich jedoch und sagte entschuldigend: »Ich möchte mir nur mal schnell die Nase pudern. Ihr habt doch nichts dagegen?«

Marina und Harry schüttelten mechanisch den Kopf – was hätten sie auch sonst tun sollen?

Schüchtern lächelte Harry sein reizendes Gegenüber an und fragte: »Sind Sie eine Arbeitskollegin von Isa?«

»Eine frühere«, erwiderte Marina knapp und war froh, daß der Ober in diesem Augenblick die bestellten Aperitifs brachte. Schon nach den wenigen Minuten, die sie nun Harry kannte, war ihr klar, daß er niemals als Lebenspartner für sie in Frage kommen würde.

Nicht, daß Harry unansehnlich war – im Gegenteil, er sah blendend aus, und Marina bemerkte, daß einige Frauen an den anderen Tischen ihn bewundernd musterten. Doch einmal mehr wurde ihr bewußt, daß sie nach wie vor Nils liebte, selbst wenn Harry ihr zuliebe einen Kopfstand gemacht hätte.

»Ich arbeite für ein großes Unternehmen«, erzählte Harry. »Mein Aufgabenbereich ist sehr vielseitig, und ich komme viel in der Welt herum. Manchmal fehlt mir eine Familie, doch bisher hatte ich nie genügend Zeit, mich nach einer passenden Partnerin umzusehen. Sind Sie verheiratet?«

»Nein, ich war eine ganze Weile verlobt. Und nun erziehe ich meinen Sohn alleine.«

Harrys Augen leuchteten auf. »Ich liebe Kinder über alles!« Automatisch rückte er etwas näher, und Marina war heilfroh, als sie Isa entdeckte.

Gequält lächelnd erwiderte sie, daß es gar nicht so einfach war, alleine für ein Kind zu sorgen, und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, als sie Harrys Reaktion darauf bemerkte.

»Ich bewundere Sie wegen Ihres Mutes. Ach ja, zu zweit geht alles viel einfacher, meinen Sie nicht?«

»Na, habt ihr euch gut unterhalten?« fragte Isa vergnügt, als sie den Tisch wieder erreicht hatte.

»Blendend«, gab Harry strahlend zurück, und Marina bereute, daß sie sich zu diesem Treffen hatte überreden lassen.

Unvermittelt überkam sie eine so übergroße Sehnsucht nach Nils und ihrem Sohn, daß sie begann, unruhig auf ihrem hochlehnigen Polsterstuhl hin- und herzurutschen. Nach einem erstaunten Blick von Isa zwang sich Marina jedoch, wieder stillzusitzen und geduldig zu lächeln.

Auch Harry schien ihre innere Nervosität zu merken, denn er fragte: »Ist Ihnen nicht gut?«

»Marina fehlt nichts«, beeilte sich Isa zu sagen. »Es ist das erste Mal, daß sie ihren Kleinen in der Obhut eines Babysitters läßt. Stimmt’s?«

»So ist es. Ich bin ein wenig bange, ob alles klappt.«

Isa machte eine wegwerfende Handbewegung. »Unsinn, was soll denn nicht klappen? Sonja Ulrich macht einen sehr kompetenten Eindruck, finde ich. Bei ihr ist unser kleiner Sonnenschein in den besten Händen.«

Harry hörte interessiert zu. »Wie alt ist denn Ihr Söhnchen?«

»Drei Monate und vier Tage.« Marina griff zur Speisekarte. »Sollten wir nicht endlich unser Essen bestellen? Ich sterbe gleich vor Hunger.«

*

»Schade, daß es bei dir nicht gefunkt hat«, bemerkte Isa auf dem Heimweg. »Harry hat nämlich großes Interesse, dich näher kennenzulernen.«

Marina seufzte. »Ich bestreite ja nicht, daß ich ihn nett finde – aber solange ich Nils liebe, wird mir kein anderer Mann gefährlich werden können.«

Isa warf einen bezeichnenden Blick nach oben. »Du bist ein hoffnungsloser Fall.«

»Es tut mir leid, daß deine Mühe so ganz umsonst war, aber ich hatte dich gewarnt, daß ich noch nicht soweit bin. Und jetzt möchte ich nur noch nach Hause zu meinem kleinen Prinzen.«

»Du tust so, als wären wir einen ganzen Monat lang fort gewesen.«

Marina reckte sich. »Wenn du selbst erst ein Baby hast, verstehst du mich bestimmt.«

Isa grinste und warf der anderen einen schnellen Seitenblick zu. »Gleich bist du ja wieder bei deinem Sohnemann.«

Tatsächlich bog Isa im nächsten Augenblick in die Straße ein, in der beide Frauen wohnten. Sehnsüchtig glitten Marinas Blicke hinauf zu den Fenstern ihrer Wohnung.

»Merkwürdig«, murmelte sie, während Isa sich nach einem Parkplatz umsah. »Wieso brennt denn kein Licht?«

»Wo brennt kein Licht?«

»In meiner Wohnung. Ob Frau Ulrich eingeschlafen ist?«

»Bestimmt nicht, so spät ist es doch gar nicht. Vermutlich ist sie im Kinderzimmer, das Fenster können wir von hier aus doch gar nicht sehen.«

Marina musterte ihre Freundin zweifelnd und fragte: »Meinst du wirklich?«

Isa rangierte ihren Kleinwagen in eine Parklücke. »Na sicher. Oder sie sieht im Dunkeln fern – das tu ich gelegentlich übrigens auch.«

Doch Marina wurde von einer plötzlichen Unruhe erfaßt, die sie sich kaum erklären konnte. Sie sprang aus dem Auto, obwohl der Motor noch lief.

»He, was ist denn nur mit dir los?« rief Isa ihr kopfschüttelnd nach, doch das hörte Marina nicht mehr. Sie lief, so schnell es ihre hochhackigen Schuhe erlaubten, über die Straße und suchte mit bebenden Fingern nach dem Haustürschlüssel.

»Würdest du mir bitte einmal erklären, welcher Teufel dich eben geritten hat?« fragte Isa außer Atem. »Man könnte meinen, daß es in deiner Wohnung brennt.«

»Verdammt, wo ist nur der Schlüssel?« Marina wühlte hektisch in ihrer kleinen Abend-Handtasche, dann endlich hatte sie ihn gefunden und steckte ihn erleichtert aufatmend ins Schloß. »Isa, ich habe ein ungutes Gefühl. Vielleicht ist Nicky plötzlich krank geworden, und deshalb hält sich Frau Ulrich in seinem Zimmer auf…«

»Innerhalb von zweieinhalb Stunden?« Isa schlüpfte hinter Marina ins Treppenhaus. »Ich bin sicher, sie hätte im Restaurant angerufen, wenn etwas mit dem Kleinen passiert wäre.«

Marina blieb ruckartig stehen. »Da hast du natürlich recht. Aber wieso habe ich dann so ein mulmiges Gefühl?«

»Reine Einbildung, denke ich. Gleich wirst du feststellen, daß Klein-Nicky fest schläft und Frau Ulrich vor dem Fernseher eingedöst ist.«

Sie waren vor Marinas Wohnungstür angekommen, kein Laut war von innen zu hören.

»Würdest du für einen Moment mit hineinkommen?« bat Marina gedämpft. »Ich habe einfach Angst, etwas Entsetzliches vorzufinden.«

Isa blickte ihre Freundin verdutzt an und gab ebenso leise zurück: »Du liest wohl zu viele Krimis. Aber wenn es dich beruhigt, begleite ich dich natürlich.«

»Danke«, hauchte Marina und drehte den Schlüssel im Schloß um. Drinnen war alles dunkel, die Wohnzimmertür stand weit offen, während die Tür zum Kinderzimmer angelehnt war.

Marina streifte ihre unbequemen Schuhe von den Füßen, eilte in Nickys Zimmer und tastete sich im Halbdunkel zu seinem Bettchen. Vom Flur her drang ein schwacher Lichtschein direkt zum Kopfteil des Bettchens – doch von dem Baby war keine Spur zu sehen.

Mit bebenden Händen schaltete Marina das Deckenlicht an. Es gab keinen Zweifel, Nicky befand sich nicht in diesem Raum.