E-Book 1968-1977 - Diverse Autoren - E-Book

E-Book 1968-1977 E-Book

Diverse Autoren

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. E-Book 1: Hoppla, jetzt kommen wir! E-Book 2: Hurra, wir erben! E-Book 3: Das Glück der Erde E-Book 4: Nur er weiß, wer Susannes Vater ist E-Book 5: Zwei Kinder verstehen die Welt nicht mehr E-Book 6: Die Überraschung hat einen Namen E-Book 7: Wenn Kinder wieder glücklich sind E-Book 8: Helfen kann nur Dr. Herold E-Book 9: Wir brauchen keinen neuen Papi! E-Book 10: Das Baby gibt den Ton an

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Inhalt

Hoppla, jetzt kommen wir!

Hurra, wir erben!

Das Glück der Erde

Nur er weiß, wer Susannes Vater ist

Zwei Kinder verstehen die Welt nicht mehr

Die Überraschung hat einen Namen

Wenn Kinder wieder glücklich sind

Helfen kann nur Dr. Herold

Wir brauchen keinen neuen Papi!

Das Baby gibt den Ton an

Mami – Staffel 25 –

E-Book 1968-1977

Diverse Autoren

Hoppla, jetzt kommen wir!

atharina und Moritz wollen selbst entscheiden

Roman von Horn, Eva-Maria

»Ich halte es einfach nicht mehr aus, Mama. Wenn ich noch länger hier bleibe, ersticke ich.«

Elisabeth drückte die Hände gegen ihre schmal gewordenen Wangen. Frau Reuther konnte nicht sprechen, ein abgrundtiefes Mitleid mit ihrer Tochter würgte sie.

»Hör auf, Theater zu spielen, Elisabeth Bergmann. Du hast schon als Kind gern eine Schau abgezogen, das kennen wir zur Genüge. Jeder weiß, daß du in den letzten Wochen einen Streifen mitgemacht hast, und Mama und ich haben dir geholfen, so gut wir konnten. Aber jetzt ist es vorbei. Sieh mich nicht so vorwurfsvoll an, Mama.« Kampflustig gab Manuela, die beliebte Apothekerin der kleinen Stadt, den Blick zurück.

»Mama, Elisabeth badet in Selbstmitleid. Mitleid, Mama, hilft ihr gar nichts. Und du, Mama, machst dich noch krank, so sehr leidest du mit.«

»Du kannst doch überhaupt nicht mitreden«, klagte Elisabeth weinend. Elisabeth ließ sich in den formschönen Ledersessel fallen. Er, wie alles in diesem Zimmer, sah ein wenig schäbig aus, aber es war eine behagliche, abgenutzte Eleganz, wie die Aktentasche eines Mannes, von der er sich aus Anhänglichkeit nicht trennen mochte.

»Nur weil ich nicht verheiratet bin?« spöttelte Manuela. »Deine Meinung trifft nicht zu, meine Liebe. Ich beurteile auch Bilder und kann nicht malen.«

»Bitte, zankt euch nicht«, bat Frau Reuther erschöpft. »Es ist doch jetzt wirklich nicht der passende Augenblick.« Wie verschieden doch ihre beiden Töchter waren, nicht nur äußerlich.

Manuela hatte immer im Schatten ihrer schönen Schwester gestanden, dabei war sie keineswegs unattraktiv. Aber neben Elisabeths Schönheit verblaßte ihr Aussehen. Elisabeth mit ihren weichen, ein wenig gelockten blonden Haaren, den großen blauen Augen, den fein geschwungenen Wimpern zog alle Blicke auf sich. Immer waren Elisabeth alle Herzen zugeflogen, die Männer verspürten einen enormen Beschützerinstinkt und rissen sich darum, ihr gefällig zu sein. Elisabeth war immer, so lange Manuela denken konnte, der Mittelpunkt jeder Gesellschaft gewesen. Manuela hatte gelernt, damit zu leben. Heimlich spottete sie über die Männer, die sich nach ihrer Meinung lächerlich machten, um Elisabeths Gunst zu erringen.

Aber es gab etwas, das Manuela bis heute nicht verwunden hatte. Elisabeth war verreist gewesen, Manuela war mit der Mutter zu einem Ball gegangen, den sie nur unlustig besuchte.

Und da war ihr Rudolf begegnet. Rudolf Bergmann. Sie sahen sich und beide verliebten sich auf den ersten Blick ineinander. Den ganzen Abend tanzten sie zusammen, und Rudolf wich nicht von ihrer Seite. Sehr zum Ärger der Mütter heiratsfähiger Töchter, die alle ein Auge auf den reichen Junggesellen geworfen hatten, der neu war in der kleinen Stadt.

Alles war wunderbar gewesen, Manuela hatte das Gefühl, als schwebte sie auf Wolken.

Ja, bis Elisabeth zurück war. Nie, nie, würde Manuela den Augenblick vergessen. Sie bummelte mit Rudolf durch den Park der Stadt. Sie hielten Händchen, und wenn sie sich unbeobachtet fühlten, küßte Rudolf sie.

Und dann kam Elisabeth. Hoch zu Roß, in einem Reitanzug, den sie schon seit ewigen Zeiten trug. Das blonde Haar war achtlos zu einem dicken Pferdeschwanz gebunden, er wippte auf ihrem Rücken, als sie achtlos vom Pferd sprang.

Und von diesem Augenblick an hatte Rudolf, trotz seines schlechten Gewissens, nur noch Augen für Elisabeth gehabt. Es dauerte nur drei Monate, und sie waren verheiratet.

Manuela schüttelte gewaltsam die Erinnerung ab, sie spürte die Augen der Mutter, als blickten sie in ihr Herz. Sie hatte nie mit der Mutter darüber gesprochen, sie wußte nicht einmal, was ihre Mutter bemerkt hatte…

Sie war mit diesem Kummer, der ihr beinahe das Herz gebrochen hatte, ganz allein fertig geworden. Sie wurde nach dem Studium die rechte Hand ihres Vaters; als er starb, war sie die Besitzerin der Apotheke, und jeder im Städtchen glaubte, sie sei vollkommen glücklich und wollte nicht heiraten.

Frau Reuther hustete die Enge aus der Kehle.

»Du möchtest verreisen, Elisabeth?« fragte sie mit einem Blick, der voll Mitleid für ihre beiden Töchter war.

»Ja, Mama. Das kann ich allerdings nur« – Elisabeth sah dabei auf ihre Schwester, die äußerlich völlig gelassen im Sessel saß, die Beine, die in eleganten Hosen steckten, nachlässig übereinander gelegt – »das kann ich nur, wenn die Zwillinge zu euch kommen dürfen. Ich weiß, daß das eine Zumutung ist. Moritz und Katharina leiden sehr unter der Scheidung. Allerdings kann ich das nicht so richtig begreifen. Rudolf hat sich kaum um sie gekümmert, er war ja selten zu Hause. Ich bin überzeugt«, sie schnupfte in ihr Taschentuch, »es waren nicht nur berufliche Gründe, die ihn von seiner Familie fern hielten. Ganz bestimmt steckte eine Frau dahinter.«

Manche Frauen sehen häßlich aus, wenn sie weinten und sich vor Kummer verzehren, dachte Manuela. Bei meiner schönen Schwester ist das anders.

»Hör auf, Elisabeth.« Manuela bemühte sich um einen neutralen Ton. »Wenn er zu Hause war, bist du nicht gerade die liebevolle Ehefrau gewesen. Ich habe es oft genug miterlebt. Ich gebe dem Richter recht. Schuld an dieser Krise habt ihr beide. Du hast dich schon immer sehr wichtig genommen und hast wenig Gespür für die Bedürfnisse des anderen. – Nein, laß mich ausreden.« Sie wirkte energisch ab, als Elisabeth empört etwas einwenden wollte. »Versuchen wir doch, ruhig zu sein. Du willst also euer schönes Haus für eine Weile schließen und erwartest, daß die Kinder zu uns kommen. Ich finde diese Lösung nicht gut. Ich finde, es war von Rudolf sehr anständig, daß er dir das Haus überließ. Du kannst mich ruhig so entrüstet ansehen, Elisabeth. Du hast immer nur vermutet, daß Rudolf eine Geliebte hat. Aber du warst es schließlich, die sich einen Geliebten zugelegt hat.«

»Aber doch nur, weil ich mich so hintergangen fühlte«, rief Elisabeth weinend. »Ich hatte das Gefühl, sogar die Richterin verstand es besser als du.«

»Bleiben wir doch bei dem Jetzt, Elisabeth.« Mit ihrer Ruhe trieb sie Elisabeth beinahe zur Hysterie. Frau Reuther bemerkte es voller Angst. »Ich finde, Mama hat in der letzten Zeit sehr viel Nerven gelassen. Die Zwillinge sind wirklich sehr lebhaft, und ich habe dir oft genug gesagt, daß du die Zügel strenger halten mußt.«

»Du willst also sagen, sie sind schlecht erzogen.« Bei der schrillen Stimme zuckte die alte Dame sichtlich zusammen.

»Ja, das kann man sagen«, nickte Manuela gleichmütig. Mit einer für sie typischen Bewegung strich sie sich das braune Haar an den Ohren zurück.

»Die beiden können sehr nervig sein, und das möchte ich Mama im Augenblick nicht zumuten. Sie waren sich einfach viel zu oft selbst überlassen, und das weißt du auch, Elisabeth. Ich mag sie, und darum mache ich dir den Vorschlag, der für die Kinder und besonders für Mama am besten ist.

Ich ziehe in die Villa. Dann sind die Kinder in ihrer gewohnten Umgebung. Ich werde nur vormittags in der Apotheke arbeiten, dann ist ja eure tüchtige Frau Burger da. Die Zwillinge gehen doch noch in den Kindergarten?«

»Ja.« Elisabeths Stimme klang ausgesprochen kleinlaut. »Aber die Leiterin beschwert sich ständig über sie. Diese Frau versteht es einfach nicht, mit Kindern umzugehen.« Elisabeth war voller Entrüstung. »Dafür wird sie schließlich bezahlt, und studiert hat sie es. Ich hätte nicht übel Lust, mich über sie zu beschweren. Sie hat die Kinder überhaupt nicht im Griff, sie machen, was sie wollen.«

»Da sind deine Kinder ganz sicher mit von der Partie. Vermutlich sind sie es sogar, die für die Unruhe sorgen und Frau Behrend den Nerv rauben.«

»Ich wußte gar nicht, wie du über die Zwillinge denkst. Bis jetzt habe ich geglaubt, du liebst sie.« Elisabeths Augen füllten sich mit Tränen. Sie hatte schon als Kind auf Kommando weinen können.

»Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun«, erklärte Manuela und lachte sogar ein wenig dabei. »Natürlich mag ich sie. Und wenn ein anderer so von ihnen sprechen würde, würde ich ganz bestimmt aus der Haut fahren. Aber sie können wahre Teufel sein.«

»Sie können aber auch so brav sein, wie kleine Engel«, behauptete Frau Reuther, sie musterte ihre älteste Tochter ängstlich. Nur nicht noch eine Szene, das hielten ihre Nerven nicht aus. Um Elisabeth abzulenken, fragte sie: »Weißt du denn, wohin du fahren willst? Um diese Zeit wirst du überall ein Hotelzimmer bekommen.«

Elisabeth spielte mit den kostbaren Ringen, die sie trug. Völlig ohne Neid betrachtete Manuela sie. Es waren vier Ringe, und jeder hatte vermutlich ein Vermögen gekostet. Rudolf war immer sehr großzügig gewesen.

Das Leben ohne Rudolf würde für Elisabeth hart werden. Er hatte ihr alle Steine aus dem Weg geräumt, er hatte ihr nie Vorhaltungen gemacht, wenn sie das Geld mit vollen Händen ausgab. Als Vermögensberater verdiente Rudolf sehr gut. Aber über welche Mittel Elisabeth in Zukunft verfügte, wußte Manuela nicht.

Sie hatte auf das Gespräch der beiden nicht geachtet, so sehr war sie in Gedanken versunken.

Sie zuckte erst zusammen, als Elisabeth von dem Haus in Kampen sprach.

»Das Ehepaar Hinrichs wohnt ja noch immer in der Kellerwohnung, sie werden sich schon um mich kümmern können. Ich hätte sie längst entlassen und ein junges Paar eingestellt. Aber das war auch bezeichnend für Rudolfs Starrsinn. Er wollte es nicht, und so sind sie noch immer da. Dabei ist der alte Mann so klapprig, daß er kaum den Garten richten kann.«

»In meinen Augen spricht das für Rudolf«, erklärte Manuela heftiger, als sie wollte. »Im übrigen, Elisabeth, wenn du nach Kampen fährst, warum nimmst du die Kinder dann nicht mit? Sie haben sich in dem Haus immer sehr wohl gefühlt, und Seeluft würde ihnen guttun. Immerhin haben sie nicht weniger gelitten als du.«

»Manuela hat recht«, warf Frau Reuther zögernd ein. »Die Kinder sehen richtig krank aus. Vielleicht würde es ihnen wirklich gut tun, mit dir zusammen an der See zu sein. Kinder können ein solcher Trost sein, Elisabeth.«

»Eben wurde noch erklärt, daß sie kleine Teufel sind«, schluchzte Elisabeth.

Wie immer schmolz Frau Reuther, sie stand auf und legte ihre Arme um Elisabeths Schultern.

»Nun wein’ doch nicht. Es war doch nur eine Idee von uns. Natürlich soll es so gemacht werden, wie du es willst. Ich bin überzeugt, die Ruhe in Kampen wird dir guttun.«

Manuela musterte ihre Schwester skeptisch, aber sie sagte nichts.

Elisabeth fing den Blick der Schwester auf. Und einen winzigen Augenblick war es Manuela, als flackerten Elisabeths Augen unruhig.

Die Haustür wurde geöffnet und mit einem Knall ins Schloß geworfen. Frau Reuther strahlte.

»Das sind die Kinder.« Und besorgt setzte sie im gleichen Augenblick hinzu: »Sie werden doch den Weg nicht ohne Begleitung gemacht haben? Es ist immerhin eine Hauptstraße zu überqueren.«

Die Tür flog auf. Herein kamen die Zwillinge. Beide trugen Lederhosen, die aussahen, als wären sie mit Speck eingerieben worden, sie trugen die gleichen bunten Hemden und sogar das Haar war gleich geschnitten. Unmöglich konnte ein Fremder sehen, wer das Mädchen und wer der Junge war.

Energisch drängte sich der große Hund ins Zimmer. Es war nicht zu übersehen, daß Moses’ Fell, das von Natur aus weiß war, vor Dreck starrte. Ja, sogar Erdklumpen hingen daran. Aber das störte Moses ebenso wenig wie die Kinder. Der Hund bellte freudig, wollte auf dem schnellsten Weg zu Frau Reuther kommen, die er nun einmal in sein Hundeherz geschlossen hatte.

Aber seine dicken Pfoten rutschten auf dem Parkettboden aus, fanden auch keinen Halt an den Brücken, die jedes Sammlerherz höher schlagen ließen.

»Paß auf, Moses«, schrien die Zwillinge wie aus einem Mund. »Denk an Mamas Nerven.«

Aber wie sollte so ein dicker großer Hund aufpassen, wenn alles ganz von allein passierte? Sein unfreiwilliges Rutschen wurde von dem kleinen Teetisch aufgehalten, der mit erlesenem Porzellan und köstlichen kleinen Kuchen gedeckt war. Die Perserbrücke wellte sich unter einer Pfote, und mit dem Kopf schlug er an das zierliche, gedrechselte Bein. Wie sollte er wissen, warum er nach dem weißen Damastzipfel schnappte?

Der Schrei kam aus vielen Kehlen. Es klirrte, Tassen und Gabeln flogen Moses um den Kopf. Er heulte vor Entsetzen, versuchte fortzulaufen, aber die Brücke hinderte ihn daran. Vor Wut biß er hinein.

»Laß das, Moses.« Katharina kniete schon neben ihm. Von unten herauf sah sie die Großmutter an. »Omi«, ihre helle Kinderstimme klang beschwörend, »du hast selbst gesagt, daß die Brücken richtige Fallen sind, und dann hast du noch gesagt, daß der Parkettboden viel zu glatt ist.«

»Stimmt«, erklärte Moritz eifrig. »Das hast du gesagt. Du erinnerst dich ganz bestimmt noch daran.«

Der Ärger war bei Frau Reuther längst verflogen. Voll Stolz und Liebe musterte sie ihre Enkel. Ihr noch immer schönes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.

»Ja, das habe ich gesagt. Und ich bitte darum, daß niemand Moses beschimpft. Der arme Hund hat sich bestimmt noch ärger erschrocken als ich.«

»Das schöne Geschirr«, brauste Elisabeth auf. »Habt ihr überhaupt eine Ahnung, was ein Gedeck kostet? Und wie seht ihr aus? Wie Straßenkinder. Und der Hund paßt zu euch.«

Katharina hockte noch immer auf dem Boden, vorsichtig suchte sie die Scherben zusammen. Kleinlaut murmelte sie:

»Wir dachten, du freust dich, wenn wir kommen. Weil du doch heute morgen so traurig warst.«

»Aber nachdem du telefoniert hast, warst du nicht mehr traurig«, nickte Moritz erleichtert. Treuherzig sah er seine Mutter an, während er sich zwischen die Knie seiner Großmutter stellte.

»Wir dachten nämlich«, setzte er unsicher hinzu, »du hast dich mit Papa besprochen… und weil du doch sagtest, ich komme bestimmt, dachten wir, Papa ist hier.«

Die Zwillinge waren völlig verstört, als sie die Reaktion der Mutter sahen.

Zuerst wurde sie kalkweiß und dann brandrot.

»Was seid ihr doch für Ungeheuer.« Ihre Stimme klang schrill, und am liebsten hätte Frau Reuther sich die Ohren zugehalten. »Ist es schon so weit, daß ihr meine Gespräche belauscht?«

Mit einem Schlag verschwand die Hysterie, als sie die entsetzten Gesichter ihrer Kinder sah.

Was war denn nur los mit ihr? Manchmal war ihr, als hauste ein Dämon in ihrem Herzen, der sie Dinge sagten ließ, die sie weder dachte noch sagen wollte.

Weinend sprang sie auf, lief aus dem Zimmer, sie nahm sich nicht einmal die Zeit, die Tür zu schließen.

»Das sind die Nerven.« Moritz atmete tief. Er drückte sich eng an die Großmutter, als suchte er Schutz. Ja, er brauchte Schutz und das Gefühl der Sicherheit, zuviel hatte sich in seinem bisher so behüteten Leben geändert.

»Sie ist ganz komisch in der letzten Zeit«, schluchzte Katharina. Sie rückte nah an Moses heran und grub ihre Hände in sein Fell. Beruhigend, als wollte er sie trösten, leckte Moses über ihre Arme. »Omi, meinst du, daß sie wieder richtig wird? Ich meine, so wie früher? Früher hat sie nur geweint, wenn sie sich zankten, ich meine Papa und sie.« Ihre grauen Augen blickten ängstlich auf ihre Großmutter. Hoffentlich glaubte niemand, daß sie petzen wollte. »Und mit uns hat sie oft gelacht, und so schön spielen konnte man mit ihr. Sie war wirklich…«, mit gekrauster Nase suchte Katharina nach Worten, während ihre Finger noch immer Moses kraulten. »Man merkte gar nicht, daß sie erwachsen war«, half Moritz seiner Schwester. »Unsere Freunde sind ganz begeistert von ihr.«

Manuela hätte nicht zu sagen gewußt, warum die Worte der Kinder an ihr nagten.

»Manuela«, bat die ein wenig zittrige Stimme ihrer Mutter. »Ich werde mit den Zwillingen in die Küche gehen und einmal nachsehen, was die gute Magda in ihrem Kühlschrank hat. Und du, Manuela«, sie sah ihre Tochter bittend an, »geh doch zu Elisabeth hinauf. Mit solch einem Kummer sollte man niemanden allein lassen.«

Manuela schüttelte die Gedanken, die sie nicht analysieren konnte, mühsam ab.

»Ja, Mama. Mach dir nur keine Sorgen.« Und zu den Zwillingen sagte sie in einem munteren Ton: »Ich glaube, Magda hat heute morgen Hefeteilchen gebacken. Sie dufteten durch das ganze Haus.«

»Klasse«, seufzte Moritz, dem es in diesem Augenblick einfiel, wie groß sein Hunger war.

»Hefeteilchen ißt Mami auch so gern.« Katharina stellte sich auf ihre Füße und zog die einstmals weißen Kniestrümpfe hoch. »Soll ich mit dir zu Mami gehen und ihr sagen, daß es Hefeteilchen gibt, Tante Manuela?«

Frau Reuther krampfte sich das Herz zusammen. Wie mitleiderregend das kleine Gesichtchen war, in dem sich die großen Kinderaugen mit Tränen füllten. Warum mußten Menschen, die sich doch einmal liebten, einander nur so weh tun?

Wie sehr die Zwillinge unter der Trennung litten, das spürte doch jeder.

*

»Moses braucht Wasser.« Moritz sah auf den hechelnden Hund hinunter. »Wirklich Pech für so einen klugen Hund, daß er nicht sprechen kann. Aber ich weiß immer, was er sagen will«, prahlte er.

Frau Reuther legte ihre Hände auf die Schultern ihrer Enkelkinder, als wollte sie sich stützen. Es war rührend, wie steif sich die Kinder hielten, vor lauter Angst, sie könnten die Hand abstreifen.

»Wie seid ihr nur auf den Namen Moses für den Hund gekommen?«

Frau Reuther kannte die Geschichte längst, aber sie wußte, wie sie die Kinder ablenken konnte. Zu traurig hatte Katharina ausgesehen, als Manuela energisch den Kopf geschüttelt hatte. Und ohne ein Widerwort fügte sich das Kind.

»Aber, Oma.« Moritz öffnete, ganz Kavalier, die Tür. Es lag noch gar nicht lange zurück, daß er die Klinke nicht erreichen konnte. Dann stellte er sich wieder nahe neben seine Omi, damit sie sich stützen konnte. »Du kennst dich doch in der Bibel aus, Omi. Und du kennst doch die Gesichte von den gemeinen Brüdern, die den Jüngsten einfach in ein Boot setzten, damit sie ihn los wurden.«

»Nein, falsch«, widersprach die gründliche Katharina. »Sie haben ihn an Sklavenhändler verkauft.«

»Werft ihr da nicht einiges durcheinander?« wollte Manuela amüsiert wissen. »Hieß der nicht Josef? Sieh mich nicht so ärgerlich an, Moritz, wir können ja heute abend, wenn ich euch zu Bett bringe, in der Bibel schmökern.«

»In der Bibel schmökert man nicht.« Moritz mußte nun einmal das letzte Wort haben. »Die Bibel liest man, weil sie ein frommes Buch ist. Das solltest du aber wirklich wissen, Manuela, wo du doch schon so alt bist.«

»Du meinst, so alt wie Methusalem«, lachte Manuela und fuhr mit der Hand durch Moritz’ Haar.

»Wer ist das?« wollte Moritz wissen. »Kenn ich den?«

Jetzt lächelte auch Frau Reuther. Und in ihrer liebevollen Art erklärte sie, während sie mit den Zwillingen durch die Diele zur Küche ging: »Der hat lange, lange Zeit vor uns gelebt.«

Einen Moment beschäftigten Manuelas Gedanken sich mit der Mutter. Mutter verstand es wunderbar, mit Kindern umzugehen. Nie hatte sie als Kind das Gefühl gehabt, nicht ernst genommen oder ausgelacht zu werden. Sie behandelte die Kinder, als wären sie erwachsen.

Genauso muß ich es machen, nahm Manuela es sich vor. Die Zwillinge sollten in ihr die Mutter sehen.

Manuela stand wie festgewachsen inmitten des Zimmers. Sie horchte tief in sich hinein, erschrocken von den Gedanken, die in ihrem Kopf herumschwirrten.

Das, was sich als Wunsch formte, wollte sie nicht analysieren. Dieser Wunsch durfte auf keinen Fall Gewalt über sie bekommen.

Sie warf energisch das braune Haar zurück. Auch die Zwillinge hatten braune Haare und ihre grauen Augen mit den lustigen braunen Pünktchen darin.

Gut, sie würde zu Elisabeth hinaufgehen, weil sie es der Mutter versprochen hatte.

Aber an ihrem Unglück trug sie ganz allein die Schuld. Sie war die Ehefrau Rudolfs gewesen. In Manuelas Augen war er einfach vollkommen. Er sah blendend aus, verfügte über bestechende Manieren, war erfolgreich, war reich…

Er hatte Elisabeth genauso verwöhnt, wie es die Eltern getan hatten. Jawohl, er hatte jede Laune entschuldigt, sie mit Geschenken überhäuft. Als die Zwillinge geboren wurden, hatte er sich vor Dankbarkeit schier umgebracht, als wäre Elisabeth die einzige Frau auf der Welt, die diese Leistung vollbracht hatte.

*

Elisabeth lag auf dem Bett. Als Manuela das Zimmer betrat, richtete sie sich auf und strich sich wie ein Kind über das nasse Gesicht.

Wie unbarmherzig Manuela ihre Schwester musterte, wußte sie nicht einmal. In dem schönen, so vollkommenem Gesicht gruben sich die ersten feinen Fältchen ein. In den Augenwinkeln hockten sie, und in den Mundwinkeln hockten sie auch. »Sieh mich ruhig so kritisch an. Ich weiß, wie ich aussehe, wie eine Frau, die der Kummer verzehrt.«

»Oh, Himmel, werde nicht theatralisch.« Manuela wedelte mit der Hand, als könnte sie etwas verscheuchen.

Wieso nisteten sich die Gedanken ausgerechnet jetzt in ihren Kopf ein? grübelte sie ängstlich. Sie haßte ihre Schwester doch nicht mehr.

Damals, ja, damals hatte sie sie gehaßt. Und es war grausam schwer gewesen, diese Gedanken zu verbergen.

Einen winzigen Augenblick tauchte sie in die Vergangenheit, die Erinnerung überschwemmte sie.

Sie sah sich wieder an Rudolfs Seite durch den Stadtpark bummeln, sie spürte sogar seine Nähe, seinen Mund auf ihrem Mund. Sie spürte das Glück, das sie damals in sich trug. Das sie wärmte, sie erfüllte von Kopf bis Fuß.

Wie konnte sie auch diesen Augenblick vergessen, als Elisabeth kam? Hoch zu Roß, die abgetragene Kleidung unterstrich ihre Schönheit nur noch.

Und von diesem Augenblick an war Rudolf für sie verloren gewesen. Es war wie immer, Elisabeth erschien auf der Bildfläche, und alle Männer sahen nur noch sie.

Ihre Liebe zertraten beide mit den Füßen.

Manuela nahm sich gewaltsam zusammen. Sie hatte gar nicht zugehört, was Elisabeth stammelte, vom Schluchzen unterbrochen.

»Nie, nie hätte ich mir träumen lassen, daß es zu einer Scheidung kam. Niemals. Ich habe bis zuletzt geglaubt, Rudolf würde einlenken, mich um Verzeihung bitten… Manuela, hilf mir doch, ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.«

Es war noch immer Elisabeths Mädchenzimmer. Als sie es als junge Frau verlassen hatte, war nichts darin geändert worden.

Manuela ließ sich in den Korbsessel fallen, der nahe am Fenster stand. Sie hatte mit Vorwürfen, mit Wut auf Rudolf gerechnet, aber nicht mit diesem Geständnis.

»Manuela, du bist nie verheiratet gewesen, vermutlich auch nie verliebt«, schluchzte Elisabeth. »Du weißt nicht, wie es ist, wenn du erfahren mußt, daß der Mann, der zu dir gehört… der dein Mann ist, sich eine Geliebte zulegt. Was hat diese Frau, was ich nicht habe?

Ich bin… ja, ich bin noch nie so verletzt worden. Mir war, als würde ich mit Füßen getreten. Er hat mich gedemütigt. Oh, ich kann nicht erklären, wie sehr er meinen Stolz verletzte.«

Manuela legte ihre Beine übereinander, kühl musterte sie ihre aufgewühlte Schwester.

Und nicht das kleinste Fünkchen Mitleid war in ihr.

»Du vergißt, daß du selbst einen Geliebten hattest oder hast. Ich denke, ihr habt euch nichts vorzuwerfen.«

Elisabeth schrie die Worte heraus, ihre Stimme überschlug sich förmlich.

»Aber das stimmt doch gar nicht. Das habe ich doch nur aus verletztem Stolz gesagt. Ja, ja, ich wollte mich an Rudolf rächen, ja. Du weißt genau, daß Lucas Eigenmann mir schon immer den Hof gemacht hat. Er hörte auch nicht damit auf, als ich verheiratet war. Rudolf und ich haben uns oft darüber amüsiert.«

Das Blut rauschte in Manuelas Ohren.

»Und warum hast du das nicht wenigstens am Gericht klar gestellt?« Die eigene Stimme klang ihr fremd im Ohr.

»Hätte man mir denn geglaubt? Außerdem konnte ich das einfach nicht. Du kannst ruhig aussprechen, was du denkst. Ja, ich bin nicht so klug wie du und ich habe mich sehr töricht benommen.«

»Das kann man laut sagen«, murmelte Manuela. »Warum erzählst du mir das alles?«

Es war unglaublich, aber sogar jetzt war sie noch schön. Wenn sie als Kind so verweint, voll Reue zu dem Vater gekommen war, hatte er sie voll Mitleid in die Arme genommen und getröstet. Und bei den Lehrern war es genauso gewesen.

Immer, immer hatten es die Menschen ihr leicht gemacht.

»Weil du mir helfen mußt«, bat Elisabeth. Ihre großen blauen Augen bettelten wie ihre Stimme. Und vermutlich war sie sicher, nicht umsonst gebeten zu haben.

»Wenn ich es richtig verstanden habe«, Manuelas Stimme klang spröde und distanziert, »hast du dich doch in Kampen mit ihm verabredet. Das Telefongespräch war doch eindeutig.«

Trotz funkelte aus Elisabeths Augen. Wie ein schmollendes Kind sah sie aus.

»Ja, das habe ich.« Sie warf den Kopf zurück, die blonden Haare, die wie Seide glänzten, umtanzten das aparte Gesicht.

»Ich will dir auch sagen, warum. Wenn schon jeder glaubt, daß ich einen Geliebten habe, dann kann ich ihn mir auch zulegen. Manuela«, ihre Stimme wurde leiser, beinahe fassungslos.

»Ich habe es versucht, Lucas zu verführen, meine ich. Ich dachte… ich war mir sicher… jedenfalls habe ich es mir ganz leicht vorgestellt. Wir waren allein auf seinem Segelboot, saßen in der Kajüte. Ich hatte Sekt mitgebracht.

Und weißt du, was er sagt? Nein, das kannst du nicht wissen. Er nahm mich in die Arme, strich über mein Haar, als wäre ich ein Kind. Laß uns nichts tun, Elisabeth, was wir morgen bereuen. Wir wollen doch nicht unsere wundervolle Freundschaft aufs Spiel setzen.«

Elisabeth preßte die Lippen zusammen, ausgesprochen beleidigt sah sie aus.

»Zuerst empfand ich die Worte als Kränkung, es war ja eine Abfuhr, mit der ich nie gerechnet hatte.

Und um die Beleidigung voll zu machen, erzählte er mir von einem Mädchen, in das er bis über beide Ohren verliebt ist. Aber seinen Eltern paßte die Verbindung nicht. Warum soll ich dir die andere Ohrfeige nicht auch noch beichten?

Stell dir vor… er sagte mir ins Gesicht, mit einem etwas verlegenem Lächeln allerdings, aber unverblümt, er war mit mir herumgezogen, wie er es nannte, um seine Eltern zu täuschen. Ich hätte ihn am liebsten umgebracht.

Aber du wärest stolz auf mich gewesen. Du hast dich immer meisterhaft beherrschen können, und niemand hat spüren können, was du dachtest.

Ich habe das große Verständnis gespielt. Und ich habe ihn und seine Freundin nach Kampen eingeladen. Jetzt könnte ich mich ohrfeigen, ich muß total verrückt gewesen sein. Sie werden unter meinen Auge turteln. Und jeder wird glauben, ich bin mit meinem Liebhaber dort.«

»Vermutlich wolltest du Rudolf quälen und dich an ihm rächen. Alles aus gekränkter Eitelkeit heraus. Und dann ist dir die Sache davon gelaufen.«

»Genau, sie ist mir über den Kopf gewachsen, und ich kann nur noch einmal sagen, ich habe nie, nie mit solch einer Unerbittlichkeit gerechnet. Manuela«, Elisabeths Stimme klang beschwörend, »du kennst mich wie niemand sonst. Dir habe ich noch nie etwas vormachen können. Du hast mir schon so oft geholfen, immer wußtest du, was das Beste war. Ich bin so froh, daß ich eine so kluge Schwester habe. Das ist wirklich ein wahrer Segen.«

Ein amüsiertes Lächeln spielte dabei um ihren Mund. Das ganze war doch einfach verrückt. Ein normaler Mensch konnte diese Geschichte niemals glauben. Wer hatte schon einmal Ähnliches gehört? Niemand.

Aber Manuela glaubte ihr. Nur ein so törichter, eitler, egozentrischer, überspannter Mensch wie Elisabeth konnte so ein Durcheinander anstellen. Und auch das paßte zu ihr, daß sie überzeugt war, Manuela würde es wieder in Ordnung bringen.

»Du mußt mit Rudolf sprechen.« Elisabeths Eifer vertiefte Manuelas Zorn. »Auf niemanden hört er so wie auf dich. Es hat mich manchmal wütend gemacht, wenn er dich mir als Vorbild präsentierte.«

Und jetzt lachte sie sogar. Ein spöttisches, amüsiertes Lächeln flog dabei um ihren vollen Mund.

»Und soll ich dir sagen, wie Rudolf reagieren wird?« Ein glucksendes Lachen folgte. »Zuerst wird er natürlich sprachlos sein. Vermutlich bleibt ihm der Mund offenstehen. Und dann wird er toben, aber in deiner Gegenwart nimmt er sich natürlich zusammen. Und du kannst mir glauben, tief in seinem Herzen wird er ungeheuer erleichtert sein. Und vermutlich wird er dann so lachen, daß er kaum Luft bekommt. Ich höre förmlich, wie er sagt: ich habe sie immer für töricht gehalten, aber so etwas…

Weißt du, Manuela, Männer mögen es, wenn ihre Frauen ein wenig naiv und töricht sind. Eine Frau sollte nicht klüger sein als der Mann. Sie fühlen sich gern überlegen.«

Das Lachen verschwand aus ihrem Gesicht. Sie legte die Hand auf Manuelas Arm. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Zu ihrem Ärger rührte es Manuela sogar, dabei wußte sie doch, daß dieses egoistische Geschöpf auf Kommando weinen konnte. »Du mußt mir helfen. Bitte. Und ich schwöre dir, daß ich in Zukunft klüger bin. Ganz bestimmt. Die letzte Zeit war so entsetzlich, die werde ich nie vergessen. Sag ihm, daß ich in Kampen bin, in unserem wunderschönen Haus, das wir zusammen eingerichtet haben. Und dann kann er sich selbst von den Tatsachen überzeugen, Lucas und seine Freundin werden ihn besser mit der Wirklichkeit vertraut machen als Worte. Die beiden sind nämlich so was von verliebt. Da kann man direkt neidisch werden.«

Am liebsten wäre Manuela aufgesprungen, am liebsten hätte sie ihrer Schwester nicht einen Blick mehr gegönnt.

»Ich glaube«, schnaubte sie, während sie auf die Füße sprang, »in deiner Erziehung ist vieles versäumt worden. Papa hätte dich häufiger übers Knie legen sollen.«

»Häufiger? Er hat mich nie geschlagen. Ich war sein Liebling. Das weißt du doch.«

»Ja, das weiß ich.« Manuelas Stimme klang spröde, während sie zur Tür ging. Keine Sekunde länger konnte sie mit Elisabeth zusammensein. »Und es hat mich oft traurig gemacht. Papa konnte aus lauter Liebe zu dir zu mir sehr ungerecht sein. Ich nehme jetzt die Kinder und gehe mit ihnen in eure Villa.«

»Ja, das ist das beste«, nickte Elisabeth eifrig. »Dort in ihrer gewohnten Umgebung sind die kleinen Spatzen am besten aufgehoben. Manuela, es fällt mir so schwer, um Verzeihung zu bitten, du weißt das. Ich habe es schon als Kind nicht über die Lippen gebracht.

Aber Mama und dich möchte ich um Verzeihung bitten. Durch mich kam so viel Kummer und Unruhe ins Haus. Aber es wird alles gut, das weiß ich.

Manuela, stellst du es dir nicht reizend vor, wenn Rudolf und ich wieder heiraten? Die Zwillinge können Blumen streuen, sie werden viel Spaß dabei haben. Denk doch nur, die Kinder sind auf der Hochzeit ihrer Eltern dabei.«

Manuela floh aus dem Zimmer. Bevor sie die Treppe hinunter ging, blieb sie stehen und preßte erschöpft beide Hände gegen die Schläfen.

Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf würde zerspringen. Oh, diese Elisabeth. Der Teufel sollte sie holen.

*

Im Auto waren die Kinder sehr still gewesen, auf Manuelas Geplauder hatten sie nur einsilbig reagiert. Aber als der Wagen vor den Garagen hielt, rissen sie schon die Türen auf und stürmten heraus. Beinahe wäre Katharina über Moses gestolpert, der es ebenso eilig hatte wie seine kleinen Freunde.

»Wir gehen zu Trudchen. Die wartet bestimmt schon auf uns«, rief Moritz über die Schulter zurück.

»Ich komme auch gleich«, war Manuelas Antwort. Trudchen war als junges Mädchen in Rudolfs Elternhaus gekommen, sie sollte sich um Rudolf kümmern, streng beaufsichtigt von Rudolfs Großmutter. Als Rudolf dann sehr gut auf sich selbst aufpassen konnte, wurde sie die Hilfe in der Küche. Rudolf hatte sie mit in die Ehe gebracht, wie Elisabeth so oft amüsiert erklärt hatte. Sie war im Hause Bergmann eine wichtige Persönlichkeit.

Einen Moment blieb Manuela hinter dem Lenkrad sitzen. Sie sah auf das Haus. Nein, es war kein Haus, auch auf Besucher wirkte es wie ein kleines Schlößchen, mit seinem vorgebauten Erker, den vielen Fenstern, die zu Manuela hinunter starrten.

Manuela sah über die gepflegten Rasenflächen, mächtige Platanen säumten die Auffahrt. Das Haus war so gebaut worden, daß die alten Bäume stehen bleiben konnten.

Es war ein Traum, der Manuela umfing. Sie war hier zu Hause. Es war ihr Haus, das anmutig unter dem Himmel stand. Es war für sie gebaut, für sie und Rudolf. Die blaue Haustür war weit geöffnet, als könnte es das Haus nicht erwarten, daß sie es betrat.

Manuela holte tief Atem und versuchte, den Bann, der sie umfing, abzuschütteln. Du bist doch sonst so vernünftig, redete sie sich ins Gewissen. Verirr dich nicht in Hirngespinste. Es wird nicht lange dauern, und Elisabeth wird hier wieder ihren Einzug halten, an der Seite des geliebten Rudolfs.

Sie ging über den Kiesweg, schritt die Treppen hinauf. Und tief in ihrem Innern hauste der verzweifelte Wunsch, die Träume möchten Wirklichkeit werden.

Daß diese Villa ihr Zuhause war… die Zwillinge ihre Kinder und Rudolf ihr Mann.

Beinahe bekam Manuela Angst vor diesem fremden Ich, das sich in ihrem Herzen breitzumachen begann.

Einen Augenblick blieb sie in der Diele stehen. Ungehindert fiel das Licht durch die hohen Fenster, die Türen zu den Zimmern waren einladend geöffnet. Alles strahlte vornehme Ruhe aus. Tief atmete sie den Duft nach Blumen, Bohnerwachs und Rudolfs Tabak in sich hinein, der Geruch war aus diesem Haus nicht fortzudenken.

Ganz wichtig war es, Trudchen zu begrüßen. Trudchen mußte mit ihrer Anwesenheit in diesem Haus einverstanden sein.

Manuela war es gewohnt, sich auf andere Menschen einzustellen. Sie klopfte und betrat die Küche. Es war ein wunderschöner Raum, er war in Sonnenlicht gebadet, eine breite Tür führte auf die hintere Terrasse hinaus.

Die Kinder saßen auf ihren hohen Stühlen vor dem weißgescheuerten Tisch. Moritz hielt mit beiden Händen eine dickbauchige Tasse. Man brauchte nicht zu raten, was in der Tasse war. Man sah es an Moritz’ Mund, den ein brauner Kakaorand zierte.

»Guten Tag, Frau Trudchen.« Manuela wußte nie, wie sie die alte Frau anreden sollte.

Trudchen strahlte über ihr faltiges rotes Gesicht und putzte sich die Hand an der blütenweißen Schürze ab, bevor sie Manuelas Hand nahm.

»Grüß Gott, Fräulein Reuther. Die Kinder haben mir schon alles erzählt. Es ist recht, daß sie für eine Weile Ihre Schwester ersetzen. Die Kinder brauchen nun einmal jemanden, der sich um sie kümmert, und da sind Fremde völlig fehl am Platz. Frau Bergmann wird sich rasch erholen, sie ist ja noch jung.«

Sie schnupfte, sah auf die Zwillinge, die mit Kakao und Plätzchen beschäftigt waren. Sie hatte Schwierigkeiten mit ihren neuen Zähnen. Und wenn sie versuchte, leise zu sprechen, klang es wie ein Zischen.

»Solch einen Unsinn, sich scheiden zu lassen, habe ich noch nie gehört. Und das habe ich Herrn Bergmann auch gesagt. Jawohl. Wenn das seine Mutter erfährt, habe ich ihm gesagt, dann dreht sie sich im Grabe um. Jawohl. Den Menschen geht es zu gut, nur deshalb kommen sie auf solch eine verrückte Idee.«

Sie drehte sich zum Herd. Der war das einzige altmodische Gerät hier im Haus. Aber da Trudchen sich geweigert hatte, den modernen Herd mit der komischen Platte und den vielen Knöpfen zu benutzen, war es so gemacht worden, wie Trudchen es wollte.

Laut klapperte sie mit den Töpfen, die Kinder sahen ängstlich auf. Wenn Trudchen mit den Töpfen solchen Lärm machte, war sie sauer.

Verstohlen wischte Katharina mit dem Hemdzipfel, der ihr aus der Hose hing, über den Kakaofleck auf dem Tisch.

»Frau Trudchen, ist es Ihnen recht, wenn ich das Gästezimmer neben dem Kinderzimmer bewohne?«

Trudchen nickte erfreut. Sie mochte es, wenn man ihr die Schlüsselgewalt im Haus erteilte.

»Das ist recht, Fräulein Reuther. Wenn ich nur gewußt hätte, daß Sie kommen, dann hätte ich für frische Blumen gesorgt und das Bett wäre bezogen.«

»Das kann ich doch selbst machen, Sie haben schließlich Arbeit genug. Aber wollen Sie nicht Manuela zu mir sagen? Ich komme mir so fremd vor, wenn Sie mich so förmlich anreden. Ich möchte mich hier doch wie zu Hause fühlen.«

»Ja, dann bin ich so frei«, strahlte Trudchen über das ganze Gesicht. Es wurde noch roter, als es sowieso schon war. »Wir werden schon gut miteinander auskommen, da bin ich mir sicher. Nicht jede Frau hat eine so hilfsbereite Schwester wie unsere Frau Bergmann.«

Sie hatte Angst vor ihrer eigenen Rührung und drehte sich den Kindern zu.

»Ihr seht aus wie Ferkel, besonders du, Katharina. Ein Mädchen kann nicht früh genug anfangen, auf sich zu achten. Und das sage ich euch«, sie wedelte mit ihrer verarbeiteten roten Hand durch die Luft, »wenn ihr eure Tante ärgert, wie ihr oft genug eure Mutter genervt habt, dann bekommt ihr es mit mir zu tun, das sage ich euch, darauf könnt ihr Gift nehmen. Dann gibt es eine Woche lang Erbsensuppe oder Böhnchengemüse und keinen Tag Nachtisch.«

Die Kinder zogen die Köpfe ein, selbst Moses schob sich auf seine Pfoten und wagte nicht zu bellen. Diese Stimme flößte ihm genauso Respekt ein wie den Kindern.

»Kommt, ich glaube, wir sind Trudchen jetzt im Weg. Magda kann es auch heute noch nicht leiden, wenn jemand in der Küche ist, wenn sie kochen muß. Hilfst du mir, meine Sachen aus dem Auto zu holen, Moritz? Katharina, ich hoffe auf deine Hilfe, wenn ich auspacke. Ich glaube, eure Großmutter hat ein Geschenk für euch in meinen Koffer gelegt.«

»Die liebe Dame«, murmelte Trudchen gerührt, »sie verwöhnt die Zwillinge viel zu sehr. Ich hoffe nur, sie benehmen sich anständig, wenn sie bei ihr sind.«

»Mustergültig«, behauptete Manuela und zwinkerte den Zwillingen zu. »Mama behauptet, sie wären die reinsten Engel.«

»So was hört man ja gern«, nickte Trudchen erfreut. Ihr graues, leider schon sehr spärliches Haar trug sie in einem Knoten auf dem Hinterkopf, jetzt strich sie eine vorwitzige Strähne an ihren Platz. »Ich habe für heute nur etwas ganz Leichtes vorgesehen.« Ganz unglücklich sah sie aus. »Ich dachte doch, Frau Bergmann würde kommen, und sie ißt abends leider nichts. Für Frau Bergmann zu kochen macht keine Freude«, teilte sie Manuela seufzend mit. »Sie ißt wie ein Spatz, und immer trage ich volle Schüsseln in die Küche zurück.«

»An mir werden Sie mehr Freude haben«, versprach Manuela ihr. Sie schob die Kinder aus der Küche. Moses war schon hinausgeschlichen und wartete vor der Treppe auf sie. Manuela nickte Trudchen zu, lächelte dabei und schloß die Tür hinter sich.

»Was hat sie denn nur?« fragte Moritz flüsternd. »Als wir kamen, war sie schon so komisch. Sie hat mir doch wirklich einen Kuß gegeben, dabei weiß sie genau, daß ich das nicht mag, höchstens von Mama. Und jetzt knurrt sie, als wäre sie sauer.«

Katharina drückte sich nah an Manuela, was diese beglückt zur Kenntnis nahm. »Das ist nur, weil jetzt bei uns alles anders ist.« Ihre Augen, die so sehr Manuelas Augen glichen, blickten Manuela verzweifelt an. »Ich weiß gar nicht, was das heißt«, klagte sie. »Geschieden… heißt das, daß wir jetzt keinen Vater mehr haben? Papa sagt, es ändert sich nichts… aber er hat einen großen Koffer gepackt, als ob er verreisen wollte… und Mama hat ihm beim Packen nicht geholfen. Das hat sie doch sonst immer getan.

Heißt denn scheiden, daß sie noch immer böse miteinander sind?«

»Sei doch nicht solch ein Schaf«, belehrte Moritz sie. Die Treppe war breit genug, daß sie zu dritt nebeneinander gehen konnten. »Papa hat es uns doch erklärt. Sie sind jetzt nicht mehr verheiratet, das heißt das. Fang bloß nicht an zu heulen«, warnte er seine Schwester. Dabei schluckte er selbst an seinen Tränen.

»Aber Papa hat gesagt, er besucht uns oft, und wenn wir ihn sprechen wollen, dann können wir ihn immer, sogar mitten in der Nacht, auf seinem Handy erreichen.«

Moses stand schon vor der Tür des Kinderzimmers, sein buschiger Schwanz wedelte voll Begeisterung.

Aber Moritz hatte keinen Blick für ihn. Auf keinen Fall sollte Manuela seine Schwester für blöde halten. Treuherzig sah er zu ihr hinauf.

»Du denkst vielleicht, Katharina ist nicht helle. Aber da irrst du dich, für ein Mädchen ist sie ganz schön clever. Und daß ich mehr weiß als sie, ist doch klar, schließlich bin ich der Ältere.«

Katharina schrie voll Entrüstung: »Der spinnt, Tante Manuela! Der ist nur drei Stunden früher als ich auf die Welt gekommen. Was sind denn drei Stunden?«

Manuela war froh, daß sich die Kinder selbst von dem unangenehmen Thema abgelenkt hatten. Wenn das Gespräch noch einmal auf die Scheidung kam, mußte sie genau wissen, was sie antworten sollte.

»Ich finde«, sie blieben neben Moses stehen, »ich sollte zuerst deinen Koffer holen, Manuela. Manuela hat auch noch Kleinkram ins Auto gepackt, den kannst du tragen, Katharina.«

Die hatte sich eigentlich vorgenommen zu schmollen. Aber jetzt entschied sie sich anders. »Was Großmama wohl für uns eingepackt hat«, flüsterte sie ihrem Bruder zu, als sie die Treppe hinunter rannten.

Moses starrte ihnen nach und überlegte angstrengt, ob er ihnen folgen sollte. Aber er war müde, und die Gesellschaft der netten Frau, die so gut roch, war auch nicht zu verachten.

Die Haustür flog krachend ins Schloß.

»Großmama hat immer tolle Ideen, Kathi. Ich bin richtig gespannt. Was du noch wissen sollst, Kathi«, belehrte er sie in dem Ton, der sie auf die Palme brachte. »Wenn Papa und Mama auch geschieden sind, von Großmama haben sie sich nicht scheiden lassen, und wir sind überhaupt nicht geschieden.«

Er öffnete den Kofferraum und wuchtete den Koffer heraus. »Der ist ganz schön schwer, du würdest ihn nicht tragen können. Nein, du brauchst das gar nicht zu probieren, ich bin nämlich ein Kavalier, hat Großmama gesagt. Meinst du, daß unser Geschenk so schwer ist? Nun nimm doch schon die Tasche ’raus, wir können Manuela doch nicht ewig warten lassen.«

Manuela kam ihnen an der Treppe entgegen. »Ich wußte gar nicht, daß du so stark bist, Moritz.« Sie nahm ihm den Koffer ab, lächelte Katharina zu. »Und du Arme schleppst dich mit dem übrigen Krempel ab. Ihr beide seid wirklich lieb.«

Die Bewunderung tat den Kindern sichtlich wohl. Sie überboten sich darin, Manuela zu helfen.

»Ich finde«, erklärte die fröhlich, während sie mit Moritz’ Hilfe den Koffer die Treppe hinauf trug, »wir sollten zuerst das Geschenk auspacken.«

»Weißt du denn, was es ist?« wollte Moritz wissen und folgte ihr ins Gästezimmer. Die Luft war abgestanden, und auf den hübschen Möbeln lag Staub. Katharina öffnete sofort das Fenster.

»Puh, hier stinkt es«, behauptete sie. »Ich helfe dir gleich. Wir müssen unbedingt Staub wischen, und ich suche dir die Bettwäsche heraus. Wir haben nämlich richtig tolle. Wir Kinder haben unsere eigene, die kannst du auch haben, wenn du willst.«

Bei dem Geplapper ließ sie kein Auge von dem Koffer, der von Manuela geöffnet wurde. Oben auf den Sachen lag etwas, das in ein weißes Tuch eingeschlagen war.

»Ich pack es aus«, erklärte Moritz bestimmt. »Weil ich der Ältere bin.«

Katharina war diese Behandlung offensichtlich gewohnt, sie begnügte sich damit, ihm einen Vogel zu zeigen.

»Wir gehen in unser Zimmer und packen es zusammen aus«, bestimmte Moritz nach kurzem Zögern. Der Grund war eigentlich: er genoß die Vorfreude. Er spürte sie am ganzen Körper, und in ihm kribbelte es vor Aufregung.

Manuela nahm sich vor, den Koffer auszupacken. Aber mit einem Kleid in der Hand blieb sie stehen und horchte ins Nebenzimmer. Sie schloß die Augen, und liebliche Bilder gaukelten in ihrem Kopf.

Sie war Rudolfs Frau, und die Zwillinge waren ihre Kinder… Sie dachte an Rudolf, und Röte schoß in ihre Wangen.

Energisch öffnete sie die Augen und wollte das gefährliche Bild verscheuchen, ja, sie hatte Angst, daß die Träume Gewalt über sie bekamen… beinahe hatte sie Angst vor sich selbst.

»Oooooo!« Moritz’ Stimme mußte sogar in der Küche zu hören sein. »Sieh doch nur, Kathi, Kasperlepuppen. Wie konnte Omi denn nur wissen, daß wir uns die gewünscht haben?«

»Ja, wirklich«, staunte Kathi, »vielleicht stimmt das wirklich, was sie einmal sagte. Sie sagte, ich kann in euer Herz hineinsehen. Oh, sind die schön.«

Moritz stürmte zu Manuela ins Zimmer. »Manuela, wir haben Kasperlepuppen. Und sie sind einfach wunderschön. In welchem Geschäft hat Omi sie gekauft?«

Manuela hielt ein Kleid in der Hand… allerdings schon eine ganze Weile.

»In keinem Geschäft, Moritz. Die Köpfe habe ich geschnitzt, und angezogen hat Omi sie. Gefallen sie euch?«

»Du kannst schnitzen?« Moritz wurde von Bewunderung und Zweifel hin und her gerissen. »Richtig schnitzen, mit dem Messer?«

»Das glaube ich nicht«, erklärte Kathi nach kurzem Überlegen, »Mami sagt doch immer, daß du ein richtiger Blaustrumpf bist und in der Apotheke am besten aufgehoben bist. Mit dem Messer schnitzen können bestimmt nur Künstler.«

Das war ja interessant, wie über sie in diesem Haus gesprochen wurde. Aber ihren Ärger ließ sie sich nicht anmerken.

»Wir besorgen uns Holz, Schnitzmesser habe ich. Und dann zeige ich es euch.«

»Meinst du, ich kann das auch?« Moritz zappelte vor Aufregung. »Wirst du es mir zeigen? Wirst du es mich lernen?«

»Lehren heißt das«, verbesserte ihn Kathi spitz, die sich schon wieder ausgestoßen fühlte. »Papi hat uns das erst vor kurzem erklärt.«

Moritz achtete nicht auf sie. »Manuela. Jetzt haben wir Puppen, aber kein Kasperlehaus. Wenn wir das hätten, dann könnten wir die Kinder aus dem Kindergarten zu uns einladen. Das würde ein Spaß werden.«

Keine Arbeit war ihr zu viel, wenn sie die Kinder auf ihre Seite ziehen konnte.

»Überhaupt kein Problem«, erklärte sie eifrig. »Morgen besorgen wir uns Holz, und dann basteln wir ein Häuschen zusammen.«

Katharina schlug begeistert in die Hände. »Und dann malen wir es rot an und die Großmama muß uns einen Vorhang nähen. Rot muß er sein, und lauter Sterne sollen darauf leuchten.«

»Mensch«, seufzte Moritz abgrundtief. »Das ist ’ne Wucht. Manuela, du bist wirklich Spitze.«

*

Erst am Abend, als sie in ihren Betten lagen, überfiel sie das Heimweh.

Manuela hatte Katharina gebadet, die sich die Fürsorge gern gefallen ließ. Moritz hatte darauf bestanden, alles allein zu machen. Aber jetzt sah er genauso wie seine Schwester aus, als wollte er jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.

»Wird Mami morgen kommen?« flüsterte Kathi erstickt und wischte mit dem Handrücken über ihre Augen.

»Oder wenigstens Papi«, schniefte Moritz. »Wenn die beiden auch geschieden sind, dann sind wir es doch nicht. Papi hat doch gesagt, es ändert sich nichts.«

»Jetzt hört mir einmal zu.« Zum Glück schliefen die Zwillinge noch in einem Zimmer. Manuela saß in dem Korbsessel, der zwischen den beiden Betten stand. »War euer Papi früher jeden Abend da?«

»Nee, natürlich nicht«, kam es wie aus einem Mund.

»Und war Mami nicht manchmal verreist? Und ihr seid zu uns gekommen, oder Trudchen ist mit euch allein gewesen?«

»Klar.«

»Na, also. Dann weiß ich wirklich nicht, warum ihr die Ohren hängen laßt.«

»Das geht überhaupt nicht«, kicherte Moritz, der zwischen Lachen und Weinen schwankte. »Die Ohren hängen lassen, meine ich. Das kann nur Moses. Wo ist der überhaupt?«

Als hätte er nur auf sein Stichwort gewartet, kam Moses herein. Sogar die Kinder waren entsetzt, so schmutzig sah er aus. »Moses.« Er wußte es bestimmt nicht, aber Moritz ahmte täuschend ähnlich die Stimme seines Vaters nach. »Wie siehst du aus? Wo hast du dich herumgetrieben? Du stinkst ja fürchterlich.«

»Schimpf ihn nicht aus. Er ist doch nur ein Hund, und wie soll er wissen, wo er sich dreckig macht? Platz, Moritz. Manuela, dich stört sein Stinken doch nicht, oder?«

»Nein.« Dabei stieg ihr der penetrante Geruch empfindlich in die Nase. »Ich werde ihn später baden.«

»Das hat er aber nicht gern«, gab Moritz zu bedenken. »Der ist schon mal aus der Wanne gesprungen und durchs Haus gejagt. An dem Abend hatte Mama Gäste, und die Frauen haben furchtbar geschrien, als Moritz durch das Zimmer in den Garten rannte. Vielleicht dachten sie, er wäre ein Gespenst, so wie er aussah. Er war nämlich voller Schaum.«

»Und Mami war furchtbar wütend auf uns«, seufzte Katharina.

»Manchmal können Erwachsene ganz schön ungerecht sein, besonders Eltern. Mal lachen sie über etwas, und mal flippen sie aus. Was hast du da eigentlich auf dem Schoß, Manuela?«

»Ein Buch. Ich wollte nämlich auch eine Überraschung für euch haben, und da habe ich gedacht, ich kaufe ein Buch, aus dem ich euch abends vorlese. Jim Knopf und Lukas, der Lokimotivführer, heißt es. Ich finde die Geschichte toll, ich glaube, ihr werdet auch begeistert sein.«

Moses hatte sich erschöpft auf den bunten Teppich fallen lassen und stank vor sich hin. Katharina legte sich zurück, getröstet durch Manuelas Nähe, sie war ja die Schwester von Mami. Und schon darum mußte man sie liebhaben. Sie streckte den Finger in den Mund. Moritz zögerte, legte sich dann aber auch zurück.

»Moritz weiß nicht, ob du weißt, daß er nur einschlafen kann, wenn er seinen Fritzi in der Hand hat«, klärte Katharina sie auf. Für einen Moment hatte sie die Finger aus dem Mund genommen.

»Natürlich weiß ich das«, erklärte Manuela verwundert. »Omi hat ihn schließlich genäht. Ich hatte als Kind einen Teddybären, von dem ich mich nicht trennen mochte. Ich habe ihn sogar heute noch. Er sieht entsetzlich abgegriffen aus, und ein Auge fehlt ihm.«

»Nimmst du ihn abends mit ins Bett?« wollte Moritz wissen. Seine Augen glänzten vor Aufregung.

»Jetzt nicht mehr, Moritz. Aber sehr lange glaubte ich, nicht ohne ihn einschlafen zu können.«

»Und dann?«

»Mit einem Mal war das vorbei. Früher habe ich mich furchtbar geschämt und glaubte, daß nur ich ein Schlaftier brauchte. Bis ich dahinter kam, daß beinahe jeder so ein Betthupferl nötig hatte, man sprach nur nicht darüber.«

Man sah Moritz an, wie erleichtert er war. Unter dem Kopfkissen zog er etwas hervor, er umschloß es mit seiner Hand, legte es nahe an sein Gesicht. Das Gebilde war einmal aus einem weißen Stoff genäht worden. Sehr geschickt hatte Frau Reuther einen Kopf geformt, Augen und Nase hineingestickt, natürlich auch Ohren und Mund.

Jetzt war das alles kaum zu erkennen, es war ein graues verknautschtes Knäuel, aber Moritz liebte seinen Fritzi.

Zufrieden lagen die Zwillinge in den Kissen. »Jetzt mußt du vorlesen«, verlangte Katharina schläfrig. Und Manuela las, so lange, bis die tiefen Atemzüge der Kinder ihr verrieten, daß sie fest eingeschlafen waren.

Sie blieb noch eine Weile sitzen, das Buch auf dem Schoß. Sie ließ die Ruhe auf sich wirken, ihr war, als wären die Mauern Arme, die Geborgenheit ausströmten. Es lag lange zurück, daß sie sich so beschützt, so wohlig sicher fühlte. Das Haus war wie ein warmer Mantel, der sie einhüllte, daß keine Kälte sie erreichte.

»Hallo.« Manuela fuhr zusammen, ganz intensiv hatte sie an Rudolf gedacht. Und jetzt stand er da. Sie starrte ihn an, einen Augenblick überzeugt, daß ein Spuk sie narrte.

In Manuelas Augen sah er einfach umwerfend aus. In dem grauen Anzug mit dem weißen Hemd und der bunten Krawatte sah er aus wie ein Mensch aus Fleisch und Blut.

»Ich wollte dich nicht erschrecken«, flüsterte er und kam auf Zehenspitzen ins Zimmer. Er ging zum Bett der Kinder und sah auf sie hinunter.

Keinen Blick ließ Manuela von dem sprechenden Männergesicht. Sie sah genau, wie er die Zähne zusammenbiß. Er schluckte, drehte den Kopf zu Manuela.

»Wo ist Elisabeth?«

»Gehen wir besser hinunter«, gab sie ebenso leise zurück und erhob sich. Ihre Glieder schienen aus Blei und in ihren Ohren sauste es, als strömte Wasser über ihrem Kopf zusammen.

Immer, wenn Rudolf in ihrer Nähe war, überfiel sie dieses unheimliche Gefühl, das ihren

Kopf etwas umnebelte und die Glieder so steif machte, daß sie glaubte, eine richtige Marionette zu sein.

Sie nahm sich gewaltsam zusammen, auf Zehenspitzen gingen sie aus dem Kinderzimmer und die Treppe hinunter. Sie spürte seine Nähe und war sich dessen auf schmerzliche Weise bewußt.

Er öffnete die Tür der Bibliothek für sie. Bevor er sie schloß, fragte er ungeduldig:

»Wo ist Elisabeth? Ich denke, um diese Zeit sollte sie zu Hause sein.«

Er zog einen Sessel für sie zurecht, sie war froh, daß sie sich setzen konnte. Ihr Herz hämmerte, und das Brausen in ihren Ohren verstärkte sich.

»Du wunderst dich hoffentlich nicht, daß ich gekommen bin.« Nervös durchmaß er mit langen Schritten das Zimmer.

Es war ein so wunderschöner Raum, mit viel Geschmack und Geld war das Zimmer eingerichtet. Die Farben der Polster, der Gardinen, der Teppiche waren sorgfältig aufeinander abgestimmt.

»Warum sagst du denn nichts?« wollte er ungeduldig wissen. Er blieb vor dem Kamin stehen, mit Delfter Kacheln war er geschmückt, und im Winter ging nie das Feuer darin aus.

Wie schmal er geworden war. Sie kannte ihn eigentlich nur braungebrannt, immer hatte er jugendlichen Elan ausgestrahlt. Mitleid für ihn überkam sie.

»Ich habe mit Elisabeth noch einiges zu besprechen«, erklärte er nervös. Die Hand legte er auf den Kaminsims, achtlos schob er die kostbare Meissner Vase zur Seite. »Es ist doch nur verständlich, daß ich hierher ins Haus komme, wenn etwas zu erledigen ist.«

»Natürlich. Wo wohnst du jetzt?« Er hörte genau das Mitleid in ihrer Stimme und er sah es in ihren Augen. Es berührte ihn, es war wie das zärtliche Streicheln einer Hand.

»In der Stadt, keine zwei Minuten von meinem Büro entfernt. Zum Glück habe ich damals die drei Eigentumswohnungen gekauft. Zwei sind vermietet, eine wurde gerade frei.«

Er sah sich im Zimmer um und warf einen Blick durch die breite Terrassentür in den Garten hinaus. Seine Stimme klang belegt. »Die Wohnung ist wunderschön, aber mit diesem Haus nicht zu vergleichen. Wo ist Elisabeth?« setzte er in einem anderen Ton herausfordernd hinzu. »Oder meinst du, ich habe zu dieser Frage kein Recht mehr, weil wir geschieden sind.«

»Ich denke gar nichts, Rudolf.« Es war schön, seinen Namen auszusprechen, wenn nur ihr Herz nicht so ungeduldig in ihrer Brust hämmern würde. »Elisabeth war heute morgen bei meiner Mutter. Sie sagte, daß sie Abstand braucht und verreisen wollte.«

»Im Davonlaufen war sie schon immer groß«, spöttelte er. Er steckte die Hand in die Hosentasche, klimperte mit den Schlüsseln. »Darf man fragen, wohin sie gefahren ist?«

»Nach Kampen.«

Er starrte sie an, sein Gesicht entspannte sich, er lächelte sogar.

»In unser Haus. Wir sind darin sehr glücklich gewesen, Manuela. Wenn ich an Kampen denke…« Er fuhr mit der Hand über sein Gesicht, ging zu der Sitzgruppe hinüber und ließ sich in den Ohrensessel fallen.

»Manuela, ich begreife es noch immer nicht, daß wir geschieden sind. Ich hoffe noch immer, daß sich alles wieder einrenken läßt. Ich muß von Sinnen gewesen sein, daß ich in die Scheidung einwilligte. Manuela, Elisabeth ist wie ein verwöhntes, trotziges Kind, das man gar nicht ernst nehmen sollte. Es ist ihr im Leben einfach alles zu leicht gemacht worden. Immer, immer hat sie ihren Willen durchsetzen können. Und ich habe das, was deine Eltern taten, fortgesetzt. Man sollte ihr einfach nicht böse sein.

Diese Affäre mit Lucas«, er winkte geringschätzig ab, aber Manuela glaubte zu spüren, daß er sich etwas vorzumachen versuchte. »Wir werden noch einmal in Ruhe über alles reden. Ich weiß, ich weiß, wir hätten das vor der Scheidung tun müssen. Aber die Zeit war wie verhext, wir haben uns beide wie beleidigte Kinder benommen. Ich war beruflich sehr in Anspruch genommen, habe mich bewußt mit Arbeit betäubt.

Elisabeth und ich müssen einfach behutsamer miteinander umgehen. Meinst du nicht auch, daß sie froh ist, wenn ich ihr diesen Vorschlag mache? Sie kann doch nicht im ernst in Lucas verliebt sein. Und wenn sie nach Kampen fährt, warum nimmt sie die Kinder denn nicht mit?«

Manuela machte nur ein unglückliches Gesicht.

»Ich werde morgen zu ihr fahren… das ist überhaupt die beste Idee. Wir haben uns in Kampen noch immer wundervoll verstanden und viel Spaß miteinander gehabt. Kampen ist wirklich der richtige Rahmen für unsere Versöhnung.«

Sie befeuchtete die ausgetrockneten Lippen mit der Zungenspitze. Die Worte kamen ohne ihren Willen aus ihrem Mund… sie wollte es nicht sagen…

»Ich glaube, es ist kein guter Gedanke, dorthin zu fahren.« Er sah die Unsicherheit in ihren Augen, richtig unglücklich sah sie aus. Natürlich nur aus Mitleid für ihn.

»Sie ist also nicht allein!« brauste er auf. Brandrot wurde er, und einen Moment hatte Manuela sogar Angst vor ihm, so verändert war sein Gesicht. Er ballte die Fäuste und schlug durch die Luft, als wollte er den Gegner zerschmettern.

»Das darf doch nicht wahr sein. Das darf sie mir, uns doch nicht antun… Nun sag doch etwas, Manuela.«

Sie legte die Hände ineinander und machte ein ratloses, unglückliches Gesicht.

»Meiner Schwester ist in ihrem ganzen Leben noch nie ein Wunsch abgeschlagen worden, Rudolf. Der Tod unseres Vaters war ihr erster Kummer, aber da warst du da. Solange ich denken kann, rissen sich alle darum, ihr zu gefallen. Immer gab es Menschen, die ihre Wünsche erfüllten. Das muß einen Menschen ja sicher, vielleicht auch überheblich machen.

Sie war sich deiner sehr sicher, Rudolf. Und dann erfuhr sie, daß es eine andere Frau in deinem Leben gab. Wie hat sie es erfahren?«

»Ich Narr rede im Schlaf. Und ich habe wiederholt den Namen Astrid gesagt, das machte sie stutzig. Am anderen Morgen sprach sie mich darauf an. Natürlich hätte ich sagen können, das war doch nur ein Traum. Aber ich Esel glaubte, ihr die Wahrheit sagen zu müssen.«

»Eine verbreitete Angewohnheit«, nickte sie. »Man erleichtert sein Gewissen und belastet den anderen.«

»Aber sie machte mir keine Szene, sie lachte so boshaft… ich hatte sie noch nie so gesehen. Sie erklärte mir, daß wir quitt wären, sie hätte schon längst einen Liebhaber.«

Manuela setzte sich tiefer im Sessel zurecht und drückte den Rücken ins Polster.

Er sah zu ihr hinüber, seine Augen brannten. Einen Augenblick verspürte sie den brennenden Wunsch, zu ihm zu gehen und ihn in die Arme zu schließen, als wäre er ein trostbedürftiges Kind. Sie legte die Hände auf die gepolsterte Lehne und umklammerte sie haltsuchend.

Es klopfte. Beide starrten auf die Tür, einen Moment hatte Manuela lächerliche Angst, weil sie glaubte, Elisabeth stünde dort.

Aber es war Trudchen. Sie trug ein Tablett, auf dem eine Flasche Wein und die kostbaren Römer standen, die nur selten benutzt wurden.

»Ich dachte mir, es ist ein guter Anlaß, um eine Flasche Wein zu trinken. Ich habe einen guten ausgesucht. Gekühlt habe ich ihn auch.«

Sie schnupfte, während sie das Tablett auf den Zylindertisch stellte. »Daß ich das noch erleben muß. Das Herz könnte einem brechen. Aber so geht es Leuten, denen es zu gut geht.«

»Lassen Sie nur, Trudchen.« Rudolf strich über ihren runden Arm. »Ich bediene uns schon. Aber Sie haben recht, die Menschen können sehr dumm sein. Trudchen kann es sich erlauben, mir den Kopf zu waschen. Ich kann nicht zählen, wie oft sie mich früher getröstet hat.«

Sehr ungern ging Trudchen hinaus, sie entbehrte »ihren Jungen« so sehr. Es durfte doch einfach nicht sein, daß seine Frau allein mit den Kindern hier wohnte.

Der Wein mundete köstlich. Sie tranken sich zu und schwiegen. Aber sie schwiegen nicht, weil sie sich nichts zu sagen hatten. Es war sie Stille, die es nur unter guten Freunden gibt.

Er hielt das Glas in der Hand und fuhr mit dem Zeigefinger über den Rand des Glases. Das feine silberne Geräusch war der einzige Laut.

»Weißt du, Manuela, daß ich selten mit Elisabeth so gesessen habe, wie jetzt mit dir? Dazu fehlte ihr einfach die Ruhe. Ich habe auch nie mit ihr über Probleme sprechen können, vielleicht habe ich es auch nie versucht, weil… ja, weil ich eben in ihr das Kind sah. Das klingt lächerlich, aber doch ist es so. Elisabeth war eine kapriziöse Ehefrau, voller Launen, oft voll verrückter Einfälle.

Anfangs hat mich das amüsiert, ich fand sie bezaubernd. Aber nach und nach kehrte auch bei uns der Alltag ein. Und wenn ich erschöpft nach Hause kam und sie überhaupt nicht daran dachte, ein wenig Rücksicht auf mich zu nehmen, rebellierte ich. Anfangs innerlich, und dann bin ich auch schon mal geplatzt.

Aber natürlich hielt Elisabeth mich für launenhaft, ungerecht. Und immer war ich es, der sie aus ihrem Schmollwinkel holte. Ich hatte in der Zeit einigen beruflichen Ärger, oft wußte ich nicht, wo mir der Kopf stand.

Und wenn ich abends erschöpft nach Hause kam und Ruhe brauchte, schließlich muß ein Körper auch tanken, dann stand Elisabeth für gewöhnlich schon ausgehfertig da und wurde wütend, wenn ich eine Verabredung vergessen hatte. Ich kann mich wirklich nicht erinnern, daß wir einmal allein zu Hause blieben und es uns gemütlich machten. Und blieben wir wirklich einmal zu Hause, dann langweilte sie sich, schloß sich im Schlafzimmer ein, schmollte…«

Er trank das Glas mit einem Zug leer, goß das Glas wieder voll und vergaß, auch Manuela zu bedienen.

Er war gefangen in Erinnerungen, vermutlich hatte er noch nie mit jemandem darüber gesprochen und mußte die Sache einfach los werden.

Manuela hörte zu, ganz still saß sie da, vielleicht hatte er sogar vergessen, daß sie bei ihm war.

»Ich war nach den ewigen Streitereien froh, daß ich nach Amerika fliegen mußte. Es war ein neuer Kunde, steinreich… er hatte schon Vermögensberater, aber er hatte von mir gehört.

Schon am ersten Abend lud Mister Timmer mich in sein Haus ein. Und da traf ich Astrid. Ein langbeiniges, fröhliches Mädchen, gar nicht besonders hübsch, aber bezaubernd in ihrer Art. Während des Essens spielte sie die Hausfrau, ganz reizend machte sie das. Sie war so… ich finde nicht die richtigen Worte. Sie verstand es, unauffällig zu sein, wenn du begreifst, was ich ausdrücken will. Nie spielte sie sich in den Vordergrund, erwartete nie im Mittelpunkt zu stehen.