E-Book 451-460 - Toni Waidacher - E-Book

E-Book 451-460 E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 1: Wen Amors Pfeil trifft E-Book 2: Liebesleid und Liebesfreud E-Book 3: Im Chaos der Gefühle E-Book 4: Geheimnisse des Herzens? E-Book 5: Spurlos verschwunden... E-Book 6: Wenn die niemand glauben will … E-Book 7: Wem darf man noch glauben? E-Book 8: Liebe lässt sich nicht erzwingen E-Book 9: Hör auf dein Herz, Simone E-Book 10: Liebe und Eifersucht

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Inhalt

Wen Amors Pfeil trifft

Liebesleid und Liebesfreud

Im Chaos der Gefühle

Geheimnisse des Herzens?

Spurlos verschwunden...

Wenn die niemand glauben will …

Wem darf man noch glauben?

Liebe lässt sich nicht erzwingen

Hör auf dein Herz, Simone

Liebe und Eifersucht

Der Bergpfarrer – Staffel 46 –

E-Book 451-460

Toni Waidacher

Wen Amors Pfeil trifft

Roman von Waidacher, Toni

Der gute Hirte von St. Johann hatte wieder einmal das Glück zweier junger Menschen gerettet. Die Missverständnisse, die es zwischen Miriam und Dennis gegeben hatte, waren beseitigt. In diesem Bewusstsein verließ Pfarrer Trenker die Bergklinik. Er war zufrieden.

Auf seinem Weg zurück in den Ort kam Sebastian auf die Idee, noch einmal bei ›Miriams und Sandras Lounge‹ vorbeizuschauen.

Marko Herbst, der Biker aus Hannover, saß nach wie vor an der Theke.

Sandra stand auf der anderen Seite. Als Sebastian den kleinen Gastraum betrat, musterte sie ihn erwartungsvoll.

»Grüaß euch«, grüßte der Bergpfarrer und lächelte. Er stellte sich neben Marko an den Tresen. Er nickte Miriams Schwester zu. »Bist du so gut und gibst mir eine Tasse Kaffee, Sandra?«, fragte er.

»Natürlich«, erwiderte sie. »Vorher aber würd’ ich gern hören, dass zwischen Miriam und Dennis wieder alles gut ist.«

»Ja, so ist es«, versetzte Sebastian lächelnd. »Die beiden sind wieder ein Herz und eine Seele. Ich hab’ selten so glückliche Menschen gesehen.«

Sandra Dippold atmete auf. »Gott sei Dank. Es hätt’ mir bis in die Seele wehgetan, wenn sich die beiden nimmer vertragen hätten.« Nach diesem Bekenntnis begab sich Sandra in die Küche, um für den Pfarrer eine Tasse Kaffee zu holen.

»Die Sandra ist weniger glücklich«, sagte Marko leise, sodass seine Worte in der Küche nicht zu vernehmen waren.

Sebastian sah ihn fragend an.

»Der Kerl heißt Alexander …« Marko brach ab, weil Sandra in den Gastraum zurückkehrte.

Sie schien jedoch zu spüren, dass ihre Person das Thema der beiden gewesen war, denn sie sagte: »Darf ich etwa net hören, was gesprochen wird?« Sie schaute von einem zum anderen.

»Es ist nix gesagt worden, was du net hören dürftest, Madel«, antwortete Sebastian. »Der Marko meint, dass du net ganz so glücklich bist.«

Sandras Miene überschattete sich für einen Moment. Sie stellte den Kaffee hin und winkte ab: »Das bildet er sich nur ein, Hochwürden. Bei mir ist alles gut. Und im Augenblick bin ich sogar sehr, sehr glücklich, weil sich zwischen meiner Schwester und dem Dennis wieder alles eingerenkt hat. Einige Zeit hat es ja anders ausgeschaut. Da hat’s den Anschein gehabt, als hätte der Dennis das Interesse an der Miri verloren. Und Miriam war schon dabei, die Konsequenzen zu ziehen.«

»Alles hat sich zum Guten gewendet, Dennis ist gesund, alle Missverständnisse sind geklärt«, sagte Sebastian. »Freud’ und Leid wechseln oftmals schnell«, philosophierte er. »Umgekehrt gilt natürlich das gleiche.« Er schaute Marko an. »Ihr Urlaub wird bald zu Ende gehen.«

Der Biker nickte. »Leider. Ich schätze aber, dass dies nicht mein letzter Urlaub im Wachnertal gewesen ist. Dieser Flecken Erde hat es mir angetan.« Er schoss Sandra einen schnellen Blick zu. »Und es ist nicht nur die Landschaft, die mich so sehr fasziniert.«

Sebastian, der Sandra gut im Blick hatte, glaubte, bei ihr eine leichte Verlegenheit feststellen zu können. Und ihm entging nicht Markos hintergründiges Lächeln. »Ja«, sagte Sebastian schmunzelnd, »bei uns hier ist die Welt noch in Ordnung. Wenn auch bei uns net immer alles glatt und reibungslos läuft, aber im Großen und Ganzen dürfen wir uns net beklagen.«

Jetzt kam Cornelia, Sandras Cousine, herein. Sie war für die verletzte Miriam als Bedienung eingesprungen. »Drei Halbe Helles, zwei große Radler und zwei Cola«, gab sie eine Bestellung auf. »Außerdem drei Haferl Kaffee und drei kleine Wasser.«

Sandra Dippold wiederholte die Bestellung und machte sich an die Arbeit.

Cornelia lächelte dem Pfarrer zu. »Der ganze Ort spricht über Ihre Heldentat, Hochwürden«, sagte sie und meinte die nicht ganz ungefährliche Aktion, als Miriam und Marko auf der Kachlachklamm in einen Frühjahrsschneesturm geraten waren und gerettet werden mussten.

»Alles halb so wild, Conny«, versetzte Sebastian. »Außerdem waren daran noch andere Retter beteiligt. Wie geht’s denn dir so, Madel?«

»Mir geht’s gut, Hochwürden. Im nächsten Jahr werden Benjamin und ich heiraten. Er ist im Moment noch hoch droben im Norden, in Bremen, stationiert, hat sich aber schon beim Gebirgsjägerbataillon in Mittenwald beworben. Ich hoff’ sehr, dass er bald eine Zusage erhält. Dann wär’ er in der Nähe, was unserer Beziehung auf keinen Fall schaden würd’.«

Sebastian hatte etwas Milch und Zucker in seinen Kaffee gerührt, nun trank er einen kleinen Schluck. »Das würd’ mich für euch freuen«, erklärte er dann. »Ist er schon Feldwebel, der Benny?«

»Vorige Woche ist er befördert worden«, antwortete Cornelia stolz.

»Dann bestell’ ihm meinen Glückwunsch«, bat Sebastian und trank wieder einen Schluck.

»Danke, ich werd’s ihm ausrichten«, versicherte Cornelia lächelnd und begab sich wieder nach draußen.

»Von welchem Alexander war eben die Rede?«, erkundigte sich Sebastian mit leiser Stimme bei Marko.

»Sein Familienname ist Renz.«

»Aber der ist doch mit der Katharina Donhauser zusammen«, murmelte Sebastian leicht irritiert.

»Ja, und genau das ist das Problem«, kommentierte Marko knapp.

»Ich verstehe«, murmelte der Bergpfarrer, und nun kam auch schon wieder Sandra aus der Küche, ein Tablett mit den drei Haferln Kaffee in den Händen. Wieder huschte ihr prüfender Blick zwischen Sebastian und Marko hin und her.

Sebastian sagte: »So, ich hab von den positiven Entwicklungen berichtet, jetzt geh ich wieder. Was bekommst du für den Kaffee?«

»Ich werd’ doch von Ihnen für den Kaffee nix verlangen, Hochwürden«, wehrte Sandra ab.

»Aber …«

»Ich bitt’ Sie«, ließ Sandra keinen Einwand zu. »Es wär’ ja noch schöner, Sie sind herzlich eingeladen.«

»Dann sag’ ich herzlichen Dank, Sandra. In den nächsten Tagen wird dir die Miriam kaum helfen können hier in eurem Wirtshäusl. Aber in der Conny hast du ja eine tüchtige Hilfe. Dann mach’ ich mich jetzt auf den Weg nach Haus’«, sagte er und schaute Marko an. »Ehe Sie wieder heimfahren, können S’ ja noch einmal im Pfarrhaus vorbeischauen, um auf Wiedersehen zu sagen.«

»Das werd’ ich ganz gewiss tun, Herr Pfarrer.«

»Pfüat euch!«, verabschiedete Sebastian sich dann und verließ das Lokal.

»Auf Wiedersehen, Hochwürden!«, rief ihm draußen Cornelia zu.

»Servus, Conny, bestell’ deinen Eltern die besten Grüße von mir.«

»Wird erledigt«, versicherte Cornelia.

*

Zurück im Pfarrhaus empfing Sophie Tappert den Pfarrer: »Wenn ich Ihren zufriedenen Gesichtsausdruck seh’, Hochwürden, dann bin ich mir sicher, dass zwischen der Miriam und dem Dennis wieder gut ist.«

»Ja, die beiden schweben auf rosaroten Wolken. Sandra hingegen scheint ein Problem zu haben. Der Marko hat angedeutet, dass sie wegen dem Renz-Alexander ziemlich unglücklich sein soll.«

Sophie stutzte. »Alexander ist doch mit der Katharina verbandelt. Der wird doch net gleichzeitig der Sandra schöne Augen machen?«

»Ich weiß net, was da los ist«, murmelte Sebastian. »Aber Sandra muss sich dem Marko Herbst anvertraut haben, denn er scheint ihr Problem zu kennen. Vielleicht hören S’ sich mal ein bissel um, Frau Tappert.«

»Mach ich, Hochwürden«, versprach die Haushälterin. »Ich muss nachher eh in den Supermarkt. Wenn man was Neues hören will, dann ist der Herrnbacher die erste Adresse, wo man’s erfährt. Ich kann mir aber net vorstellen, dass der Alexander bei Sandra irgendwas versucht. Dazu ist er zu anständig. Ich unterhalt’ mich hin und wieder mit Katharinas Mutter, und die erzählt mir jedes Mal, dass der Alex ihre Tochter regelrecht auf Händen trägt.«

»Irgendetwas ist jedenfalls zwischen der Sandra und dem Alexander«, mutmaßte Sebastian. »Andernfalls hätte Marko net so eine seltsame Andeutung von sich gegeben. Wir haben leider net miteinander reden können, weil Sandra fast ständig dabei war. Katharina und Sandra kennen sich gut, sie sind doch schon zusammen in die Schule gegangen.«

»Das ist leicht möglich«, sagte Sophie. »Die beiden müssten ungefähr Mitte zwanzig sein.«

Sebastian ging in sein Arbeitszimmer, schloss die Tür hinter sich und setzte sich an den Schreibtisch. Nachdem der Computer hochgefahren war, sichtete er seine neuen Mails. Eine kam von Lukas Berger, der als seine rechte Hand auf ›Hubertusbrunn‹ fungierte.

Lukas teilte mit, dass am übernächsten Montag eine Schulklasse aus Kiel ankommen würde, und sich für Anfang Juni eine Klasse aus Frankfurt sowie eine weitere aus Wien angemeldet hatten.

Lukas war erst vor zwei Wochen auf das Jagdschloss zurückgekehrt. Den Winter über, wenn keine Schüler oder Jugendgruppen zu betreuen waren, kehrte er nach Ulm zurück, von wo er stammte, und arbeitete bei den Eltern eines Schulfreundes, die eine Spedition betrieben, als Fahrer. Die Beziehung mit Charlotte ›Lotte‹ Brenner, aus Waldeck, die vor längerer Zeit ein Praktikum auf Schloss Hubertusbrunn abgeleistet hatte, war vor einiger Zeit in die Brüche gegangen. Danach hatte Lukas geschworen, sich nie wieder zu verlieben, nachdem vorher auch schon seine Verlobung mit Marcella Fontana geplatzt war.

Lukas war ein tüchtiger und zuverlässiger Bursche, und der Bergpfarrer war froh, dass er ihn den Sommer über hatte, wenn sich die Schulklassen und Jugendgruppen auf Hubertusbrunn gewissermaßen die Türklinke in die Hand gaben.

Es klopfte an der Tür und Sophie Tappert schaute herein. »Ich geh’ dann mal, Hochwürden. Brauchen S’ irgendetwas?«

Sebastian drehte sich mitsamt dem Bürostuhl der Tür zu. »Nein, danke, ich brauch’ nix. Der Lukas hat mir mitgeteilt, dass sich für Anfang Juni zwei Klassen aus Frankfurt und Wien angemeldet haben.«

»Das Interesse an Ihrem Jugendprojekt wird immer größer. Die Mundpropaganda macht viel aus, denk’ ich.« Die Haushälterin lächelte verschmitzt. »Wahrscheinlich ist Hubertusbrunn schon in halb Europa ein Geheimtipp, Hochwürden. Wenn’ so weitergeht, dann müssen S’ anbauen.«

Sebastian zuckte lächelnd mit den Schultern und machte dann die Geste des Geldzählens.

»Tja, das liebe Geld«, seufzte Sophie. Sie lachte. »Aber für drei Mahlzeiten täglich reicht’s. Wir haben ein Dach über’m Kopf und erfreuen uns bester Gesundheit. Wir dürfen net klagen.« Sophie verließ das Pfarrhaus.

Sebastian widmete sich wieder dem Computer. Er merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Irgendwann aber vernahm er Geräusche an der Haustür und im Flur, und dann erklang auch schon Sophie Tapperts Stimme: »Da bin ich wieder, Hochwürden.«

Sebastian erhob sich und ging in die Küche, wo die Haushälterin zwei Taschen mit ihren Einkäufen auf dem Tisch abgestellt hatte. »Na, haben S’ was in Erfahrung gebracht?« Es war nicht die Neugier, die ihn fragen ließ. Es war immer gut zu wissen, was sich in St. Johann tat. Sollten sich nämlich Probleme, gleich welcher Art, abzeichnen, hatte er schon zig Mal durch frühzeitiges Eingreifen viel Kummer und Leid verhindert. Er wartete nicht, bis das Kind in den Brunnen gefallen war, er handelte …

»Und ob«, antwortete Sophie. »Ich hab’ Cornelia Dippolds Mutter getroffen …«

Sebastian nickte, Sandras Cousine, Cornelia, war er ja heute schon begegnet.

»Sandra hat sich schon vor einiger Zeit mal der Conny anvertraut, Hochwürden. Sie ist in den Alexander verliebt. Bis vor zwei Jahren etwa soll er oft im Lokal der Schwestern gewesen sein, und hat dort auf Teufel komm’ raus mit der Sandra geflirtet. Aber dann hat er sich in Katharina Donhauser verliebt und ist seitdem der Lounge der Dippold-Schwestern ferngeblieben.«

»Das heißt also, dass er nix mehr von der Sandra will«, stellte Sebastian fest. »Sie aber trauert immer noch der glücklichen Zeit nach.«

»Ja. Der Conny hat sie gebeichtet, dass es ihr sehr zusetzt«, sagte Sophie. »Sie hat den Alexander nämlich sehr gern gemocht und war sehr enttäuscht, als doch nix daraus wurde. Ob sie den Burschen immer noch liebt, oder ob nur ihr Stolz verletzt ist, weiß Cornelia auch net so genau. Aber die unglückliche Geschicht’ macht der Sandra immer noch zu schaffen.«

»Es ist net gut, einer unerfüllten Liebe nachzuhängen«, murmelte Sebastian. »Daran kann ein Mensch, der sensibel ist, zerbrechen.«

»Alexander und Katharina sind seit fast zwei Jahren ein Paar«, sagte Sophie. »Und wenn Sandra in der ganzen Zeit net drüber hinweggekommen ist, dass Alexander einer Anderen den Vorzug gegeben hat, dann muss sie sehr sensibel sein.«

»Hat ihr Alexander vielleicht wieder Hoffnungen gemacht?«, fragte der Bergpfarrer.

»Das weiß ich net, Hochwürden. Diese Frage wird Ihnen nur der Alexander oder die Sandra beantworten können.«

»Natürlich. Danke, Frau Tappert.« Nachdenklich gestimmt kehrte Sebastian in sein Arbeitszimmer zurück.

*

Alexander Renz war ein Mann von neunundzwanzig Jahren, dunkelhaarig und eins fünfundachtzig groß. Er verfügte über eine kräftige Figur, ohne jedoch dick zu wirken.

Als er an diesem Abend in ›Miriams und Sandras Lounge‹ erschien, war das Erstaunen bei Sandra groß. Sie starrte ihn mit großen Augen ungläubig an und vergaß vor Überraschung sogar, seinen Gruß zu erwidern. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals hinauf, und ihre Kehle war wie zugeschnürt.

Er schwang sich auf einen der Barhocker und stieß hervor: »Gib mir bitte ein Bier, Sandra.«

Jetzt fand Sandra ihre Sprache wieder. »Grüaß di, Alex. Dich hab’ ich ja schon eine ganze Ewigkeit nimmer bei uns gesehen. Hast du dich vielleicht verirrt?« Sie musterte ihn fragend.

»Es ist nix!«, stieß er unwirsch hervor. »Bitte, gib’ mir ein Bier. Und schenk’ mir einen Obstler ein! Einen Doppelten!«

Conny kam herein. »Ich brauch’ drei Bier und zwei Weizen, Sandra, zwei Viertel Zweigelt und drei große Wasser …« Jetzt erkannte sie den Burschen, der an der Theke hockte. »Da schau an, der Alex. Was ist denn mit dir los? Du machst ja ein Gesicht als hätt’s dir die Petersilie verhagelt. Hast’ etwa Ärger mit deiner Kathi?«

Er presste die Lippen zusammen und nickte. »Ja.«

»Und deshalb willst du dich bei mir betrinken?«, hakte Sandra ein und ihre Stimme klang ziemlich spitz. »Das ist doch hoffentlich net dein Ernst. Ich schätz’ mal, dass du die Strecke an den See net gelaufen, sondern mit dem Auto gefahren bist. Willst du nachher betrunken zurückfahren?«

»Das geht dich nix an, Sandra«, brummte Alexander. »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Aber ich kann mir ja eine andere Kneipe suchen …« Er rutschte vom Barhocker und wollte sich abwenden.

»Du kriegst dein Bier und deinen Schnaps«, sagte Sandra schnell. »Du musst mir aber versprechen, dass du dich hinterher net ans Steuer setzt.«

Alexander nickte und setzte sich wieder.

Sandra schenkte das Bier und den Doppelten ein und stellte beides vor ihm hin.

Alexander kippte den Obstler in einem Zug herunter, japste und schüttelte sich.

»Sich ekeln, aber das Zeug dennoch reinsaufen!«, rief Conny. »Was ist denn geschehen, weil du dich partout betrinken möchtest?«

»Sie will nach Mallorca auswandern!«, knurrte Alexander. »Sie hat ein paar Sendungen angeschaut, in denen Mallorca-Auswanderer vorgestellt worden sind, und jetzt ist sie davon überzeugt, dass wir auf der Insel unser Glück finden werden.« Er tat einen tiefen Zug von seinem Bier und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen.

»Von wem redest du?«, fragte Conny. »Doch wohl net von deiner Katharina … «

»Doch! Von wem sonst?«

Sandra, die am Zapfhahn stand, zeigte sich betroffen und fassungslos. »Sie will nach Mallorca?«, entfuhr es ihr. »Was will sie denn dort?«

»Sie ist wie besessen«, versetzte Alexander. »Sie redet nur noch vom Auswandern.«

»Und du?«, fragte Cornelia. »Du machst net den Eindruck, als wärst du von ihrer Idee begeistert.«

»Begeistert! Ich? Ich wehr’ mich mit Händen und Füßen dagegen. Stell’ dir vor, was sie mir heut’ Abend an den Kopf geschmissen hat.«

»Ich denk«, sagte Conny schmunzelnd, »du wirst es uns gleich sagen.«

»Sie hat gesagt, dass sie notfalls auch ohne mich nach Malle auswandert.«

Von Sandra kam ein überraschter Laut, sodass Cornelia und Alexander sie kurz musterten. »Dann kann’s aber mit ihrer Liebe net besonders weit her sein«, meinte Sandra und vermied es, Alexander anzusehen.

Ihr Herz schlug einen wilden Rhythmus in ihrer Brust. Bis vor etwa zwei Jahren war sie fest davon überzeugt gewesen, dass Alex ihre Gefühle erwidern würde. Sie träumte von einer gemeinsamen Zukunft. Er hatte sie allerdings gewaltig enttäuscht, als er sich von ihr abwandte und mit Katharina zusammenzog. Jetzt saß er vor ihr, verzweifelt, regelrecht am Boden zerstört, weil Katharina gedroht hatte, eigene Wege zu gehen, sollte er nicht bereit sein, ihre Zukunftspläne mitzutragen.

Eigentlich hätte sie triumphieren können. Unwillkürlich fragte sie sich, ob bei ihm vielleicht auch noch etwas von dem vorhanden war, was er mal für sie empfunden hatte – bis er sich – von einem Tag auf den anderen – für Katharina entschied.

Sie war nie darüber hinweggekommen, hatte getrauert, war gekränkt gewesen, hatte sich eingeredet, ihn zu hassen und ihm gewünscht, dass sein Glück mit Katharina nur von kurzer Dauer sein würde. Und sie hatte nie aufgehört, ihn zu lieben; ein Zustand, der sie mehr und mehr unglücklich gemacht hatte.

Was würde jetzt geschehen? Sandra verspürte plötzlich Beklemmung. Sie lauschte in sich hinein und empfand keinerlei Triumph, als sie sich sagte, dass Katharinas Pläne womöglich der Beziehung mit Alexander den Todesstoß versetzen würden.

»Sie verrennt sich in etwas, das ich net nachvollziehen kann«, murmelte Alexander und trank wieder von seinem Bier.

Sandra hatte die Bestellung fertig gemacht, Cornelia nahm das Tablett und verschwand damit nach draußen.

Alexander fragte: »Was ist denn das für einer, mit dem deine Schwester droben bei der Kachlachklamm war? Die Miriam ist doch mit dem Dennis zusammen. Was hat denn der dazu gesagt, dass sich seine Braut mit einem anderen Mannsbild in den Bergen herumtreibt?«

»Keine Sorge. Die beiden haben alle Missverständnisse geklärt«, antwortete Sandra und sah vor ihrem geistigen Auge das Gesicht Marko Herbsts. Unwillkürlich verglich sie ihn mit Alexander. Auch Marko sah gut aus, war sehr sympathisch und schien ehrlich und anständig zu sein … Schnell verdrängte sie diese Gedanken.

»Dann passt’s ja«, brummte Alexander und fragte nicht weiter nach. »Ich versteh’s einfach net. Wie kann man sich von einer Fernsehsendung bloß so beeinflussen lassen?« Er war wieder zu seinem Problem zurückgekehrt. »Die Kathi denkt doch wirklich, dass einem auf Mallorca die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Die Meisten, die das auch gemeint haben, sind doch gescheitert.«

»Ist sie etwa unzufrieden mit dem, was sie hier hat?«, fragte Sandra und gab sich sogleich selber die Antwort. »Anscheinend. Sonst würd’ s’ sich ja erst gar net mit solchen Gedanken befassen. Was nennt sie denn als Grund, der sie nach Mallorca zieht?«

»Sommer, Sonne, Meer. Sie will dort eine Boutique eröffnen und ist fest davon überzeugt, dort net nur glücklich, sondern auch reich zu werden.«

Sandra schaute skeptisch. »Ich denk’, es ist recht blauäugig, anzunehmen, dass auf Mallorca alles gut und schön ist. Aber vielleicht besinnt sich die Kathi noch und lässt diese Idee wieder sausen. Für dich darf ihre Schnapsidee jedenfalls kein Grund sein, dich zu betrinken, Alex. Du machst damit nix besser. Geh’ heim und red’ ganz vernünftig mit ihr. Nenn’ ihr Argumente, überzeug sie, dass auch auf Mallorca net alles Gold ist, was glänzt.«

Ein groß gewachsener Mann betrat die Bierlounge. Marko!

Sandra spürte ein Kribbeln in der Magengegend, ein Lächeln verzauberte ihr hübsches Gesicht, und ihre Augen begannen zu strahlen. ›Was ist los mit dir?‹, dachte sie. ›Warum freut dich sein Erscheinen, und warum lässt es dich kalt, wenn der Alex Zoff mit seiner Freundin hat? Vor drei Tagen hättest du noch ein Stoßgebet zum Himmel geschickt, dass sich die beiden noch mehr zerstreiten.‹

»Guten Abend«, grüßte Marko und kam zum Tresen. Er grinste. »Heut’ bin ich zu Fuß da, Sandra«, sagte er. »Darum werd’ ich mir einen schönen Rotwein genehmigen.« Er warf einen Blick auf das Bierglas vor Alexander und legte den Kopf ein wenig schief: »Oder soll ich doch lieber ein Bier trinken?«

»Das müssen S’ schon selber wissen, Marko«, erwiderte Sandra lachend.

Alexander hörte den Namen und sein Gesicht zuckte zu Marko herum. Unverhohlen musterte er ihn. »War nicht die Miriam mit einem Marko oben bei der Klamm, als sie vom Schneesturm überrascht wurden?«

Markos Blick kreuzte sich mit dem Alexanders. »So ist es«, sagte er. »Dieser Marko bin ich. Und wer – wenn ich fragen darf –, sind Sie?«

»Mein Name ist Alexander – Alexander Renz. Sandra und ich sind alte Freunde.«

Sandra verzog den Mund. Es klang wie Hohn in ihren Ohren.

Marko reichte Alexander die Hand. »Ihren Namen habe ich schon gehört. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Alexander ergriff die Hand und schüttelte sie. »Mich freut im Moment gar nix«, brummte er. »Nehmen Sie’s aber net persönlich, Marko.«

Markos warf Sandra einen fragenden Blick zu.

Um die etwas peinliche Situation zu kaschieren fragte sie: »Was möchten S’ jetzt, Marko? Ein Glaserl Wein oder ein Bier?«

»Bitte ein Bier. Es schaut so appetitlich aus.«

»Sehr gern«, sagte Sandra und schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln.

Alexander entging es. Er starrte blicklos auf einen unbestimmten Punkt hinter der Theke. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders.

*

Alexander hatte eine ganze Weile stumm vor sich hin gebrütet. Sein zweites Bier rührte er kaum an. Dann wurde er unruhig und begann, alle Augenblicke auf die Uhr zu schauen. Als Cornelia wieder einmal herein kam, sagte er: »Zahlen bitte, Conny.« Den Blick auf Sandra richtend fügte er hinzu: »Ich werd’ deinen Rat befolgen und noch einmal mit der Kathi reden. Vielleicht …« Er brach ab.

Cornelia rechnete seine Zeche zusammen, und nannte ihm den Betrag. Er zahlte und rutschte vom Barhocker.

»Du fährst aber nimmer mit dem Auto«, sagte Sandra.

»Nein …«

»Dann lass’ deinen Autoschlüssel hier«, ließ Sandra nicht locker. »Ich trau’ dir net. Du kannst es nämlich kaum erwarten, mit der Kathi zu reden.«

»Wenn ich’s dir sag’ – ich fahr net!«, stieß Alexander fast ein wenig aggressiv hervor.

»Bitte … «, beschwor ihn Sandra.

In seinem Gesicht arbeitete es.

»Es wäre unvernünftig«, sagte Marko.

»Okay, von mir aus.« Alexander zog den Schlüsselbund aus der Tasche seiner Jeansjacke, nahm den Autoschlüssel ab und legte ihn auf den Tresen.

»Wir stellen dir dein Auto vor die Haustür«, erklärte Sandra und schaute Marko an. »Sie können und dürfen doch sicherlich noch fahren.«

»Natürlich«, antwortete Marko. »Wenn Alexander nichts dagegen hat.«

»Hab’ ich net«, brummte Alexander. »Dann geh’ ich jetzt. Gute Nacht.«

»Was fahren Sie für ein Auto?«, rief ihm Marko hinterher.

»Es ist metallic-blau«, antwortete Alexander und nannte auch die Zulassungsnummer.

»Wir werfen den Schlüssel in den Briefkasten«, sagte Sandra.

»Danke«, sagte Alexander über die Schulter, dann verließ er das Lokal, und Sandra legte den Autoschlüssel in ein Fach im Tresen. »Es macht Ihnen doch nix aus, Marko?«

»Ich hab’ zwar auch ein Bier getrunken«, versetzte der Gefragte, »aber damit dürfte ich noch unter der Promillegrenze liegen.«

Gegen elf Uhr schloss Sandra das Lokal. Sie gab Marko Alexanders Autoschlüssel, dann gingen sie nebeneinander zum Parkplatz. »Am besten, Sie fahren hinter mir her, Marko. Ich weiß, wo Alexander und Katharina wohnen.«

Etwas später waren sie auf dem Weg. Sandra lotste Marko bis vor das Gebäude, in dem sich die Wohnung von Alexander und seiner Verlobten befand.

Marko stellte das Auto ab und gab Sandra den Schlüssel, die damit zur Hoftür das Anwesens ging und ihn in den Briefkasten warf.

Dann wies sie hinauf zu einem Fenster in der ersten Etage, aus dem noch Licht fiel, und sagte leise: »Die beiden sind noch wach. Wahrscheinlich diskutieren s’ jetzt. Hoffentlich kriegt sich die Kathi wieder ein.«

»Käme es Ihnen denn nicht gelegen, wenn die beiden sich trennen würden?«, fragte Marko. »Sie hängen doch immer noch an Alexander. Das wäre doch …«

»Ich hab’ mit der Sache abgeschlossen«, unterbrach Sandra ihn geradezu barsch. Sofort aber legte sie ihm die Hand auf den Arm und sagte: »Entschuldigen Sie, Marko. Ich wollt’ net schroff sein. Steigen S’ bei mir ein, ich bring’ Sie zum Hotel.«

»Das sind doch nur ein paar Gehminuten«, versetzte er. »Und wahrscheinlich ist es gar nicht Ihre Richtung.«

»Es ist spät, und sie werden auch müd’ sein. Also stellen S’ sich net an, steigen S’ ein, und lassen S’ sich von mir heimbringen.«

Marko wehrte sich nicht länger und setzte sich auf den Beifahrersitz ihres Autos.

Sandra fuhr an. »Ich wollt eben net so heftig reagieren«, entschuldigte sie sich noch einmal. »Vielleicht bin ich doch noch nicht völlig drüber hinweg, dass mir die Kathi damals den Alexander weggeschnappt hat. Aber wenn ich Ihnen sag’, dass ich dabei bin, mich davon freizumachen, dann müssen S’ mir das glauben.«

Verstohlen fixierte Marko ihr Gesicht von der Seite. Die Dunkelheit im Auto verhinderte, dass er Einzelheiten erkennen konnte. »Was halten Sie davon, Sandra, wenn wir beide noch ein kleines Stück durch die Nacht spazieren?«, fragte er spontan.

»Gern!«, kam es ebenso spontan von Sandra zurück. Es war, als hätte sie auf eine solche Einladung gewartet.

Marko glaubte den Grund für ihren Meinungswechsel zu kennen und fühlte ein warmes Gefühl in der Brust. Dass sie ihm nicht abgeneigt war, hatte er längst bemerkt. Ihre anfänglichen Ressentiments gegen ihn waren ausschließlich darauf zurückzuführen gewesen, dass sie besorgt war, er, Marko, könnte ihrer Schwester den Kopf verdrehen und deren Verlobung mit Dennis endgültig scheitern lassen. Doch da war jetzt ja alles wieder gut.

Sandra fuhr zum Ortsrand und stellte ihr Auto am Straßenrand ab. Wenig später spazierten sie nebeneinander auf einem Feldweg zwischen Wiesen und Feldern dahin.

Es war eine laue, sternenklare Mainacht, die Grillen zirpten und Fledermäuse zogen in der Dunkelheit lautlos ihre Bahnen auf der Jagd nach Insekten. Der Mond stand über den Bergen im Süden und versilberte ihre Gipfel mit seinem überirdischen Licht.

Marko wollte es nun genau wissen. »Woher rührt der plötzlicher Meinungswechsel, Sandra?«, fragte er.

»Was meinen S’ denn damit, Marko?«, kam ihre Gegenfrage.

»Ich spreche von Ihrer so jäh veränderten Einstellung zu Alexander. Heute Nachmittag haben Sie mir noch erzählt, dass Sie ihn immer noch lieben, obwohl er seit zwei Jahren mit einer Schulfreundin von Ihnen zusammen ist.«

»Das hat bis heute Nachmittag auch gegolten«, versetzte Sandra. »Aber jetzt weiß ich, dass es dumm wär’, etwas nachzuweinen, was man doch net kriegen kann – etwas, das man vielleicht gar nimmer möcht’.« Sie hob die Schultern, ließ sie wieder nach unten sacken und endete: »Außerdem …« Sie brach ab.

»Warum reden Sie nicht weiter?«, wollte Marko wissen.

»Ich weiß net, wie ich’s ausdrücken soll«, erwiderte sie. »Was halten S’ davon, Marko, wenn wir du zueinander sagen?«

»Ich frage mich, warum wir solange damit gewartet haben«, versetzte er lächelnd.

Sandra lachte auf. »Ja, das ist die Frage. Darf ich dich was fragen, Marko?«

»Natürlich, frag’.«

»Du warst ein bissel verliebt in Miriam, stimmt’s?«

»Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass sie mir nicht sehr gut gefallen hätte. Aber sie ist verlobt, und ich werde mich hüten, mich in eine Beziehung zu drängeln.« Marko zögerte ein wenig, suchte nach Worten, und fuhr schließlich fort: »Bei dir sieht das anders aus. Und da du auch von deiner unglücklichen Liebe zu Alexander geheilt zu sein scheinst …« Er verstummte vielsagend.

»Das hast du bewirkt«, gestand Sandra.

Marko blieb stehen, griff nach ihrer Hand, und zwang sie mit sanfter Gewalt, ebenfalls anzuhalten.

Sie wandte sich ihm zu. Im Mond- und Sternenlicht wirkte ihr Gesicht makellos und gelöst. Ihre Augen glänzten. »Heißt das …?«

»Ja.«

»Ich hab es mir so sehr gewünscht«, murmelte er. »Denn mir geht es genauso …« Er brach ab, zog sie an sich heran und küsste sie. Fast erschrocken lag sie in seinen Armen, aber dann begann sie, seine Küsse zu erwidern.

»Ich liebe dich«, murmelte er.

Ihre Antwort bestand darin, dass sie sich fest an ihn schmiegte, ihre Arme um seinen Nacken schlang und ihn immer inniger küsste.

*

Am folgenden Morgen holte Sandra ihre Schwester vom Krankenhaus ab.

Miriams Knöchel war dick bandagiert, als Gehhilfe benutzte sie zwei Krücken. Die Reisetasche, in der sich Miriams Sachen befanden, trug Sandra.

In der Halle begegnete den beiden Schwestern ein Pfleger, er lachte und rief: »Den Ausflug zur Klamm wirst du wohl net so schnell vergessen, Miriam. Dein Abenteuer hat sich schnell herumgesprochen. Darfst du etwa schon wieder heim?«

»Ja«, antwortete Miriam. Sie und Sandra waren stehengeblieben.

Der Pfleger kam näher und sagte ernst: »Das hätt’ schlimm ausgehen können. Hast du dir denn net den Wetterbericht angeschaut, ehe ihr aufgestiegen seid?«

»Doch«, antwortete Miriam. »Für das Gebiet um den Kogler war kein Unwetter angesagt. Aber du weißt ja selber, wie das ist, Armin. Es braucht sich bloß der Wind zu drehen …«

Der Pfleger schaute Sandra an. »Schätzungsweise bringst du die Miriam nach Haus’. Oder fahrt ihr hinaus zum See?«

»Die Miri muss ihren Knöchel schonen«, antwortete Sandra. »Drum ist’s wohl besser, ich bring’ sie heim. Wie ich sie kenn’, würd s’ draußen in der Lounge net ruhig sitzen bleiben.«

»Das passt gut«, sagte Armin. »Bei uns auf der Station hat ein älteres Ehepaar gelegen, das ebenfalls in dieser Stund’ entlassen wird. Die beiden wohnen im ›Löwen‹. Sie sind vor ein paar Tagen eingeliefert worden, weil sich bei ihnen Vergiftungserscheinungen gezeigt haben. Das Auto der beiden steht beim Hotel. Und bis ich ein Taxi hergeholt hab …« Er winkte ab. »Sicher, sie könnten auch mit dem Bus fahren, aber der nächste kommt erst in einer Stund’. Du könntest mir den Gefallen erweisen und die Leut mitnehmen, Sandra.«

»Natürlich, das ist doch keine Frage. Wir warten hier.«

»Das ist ein feiner Zug von dir, Sandra«, sagte Armin. »Ich sag’ den beiden Bescheid. Es dauert allenfalls noch eine Viertelstunde. Du weißt schon, der Arztbrief …« Armin eilte davon.

In der Eingangshalle der Klinik gab es eine Cafeteria. Sandra wies auf einen der Tische. »Setzen wir uns dort hin. Ich hätt’ nix gegen ein Tasserl Kaffee. Magst du auch einen?«

»Klar.« Miriam humpelte mit den Krücken los. Sie war froh, endlich einen Stuhl zu erreichen, auf den sie sich ausruhen konnte.

Sandra ging zur Verkaufstheke und besorgte zwei Tassen Kaffee. »Den geb’ ich aus«, erklärte sie, als sie sich setzte.

»Danke.« Miriam nahm einen Schluck.

»Eigentlich wollte ich noch warten, ehe ich es dir verrat’«, sagte Sandra lächelnd, »aber ich schaff’s net, es länger für mich zu behalten.«

Mit erwartungsvollem Blick musterte Miriam sie. »Du machst mich neugierig. Also red’ schon.«

Sandra lächelte und sagte: »Marko und ich sind ein Paar!«

Wenn sie Miriam erklärt hätte, dass mittags die Welt untergehen würde, hätte diese nicht verblüffter sein können. »Du – und – der – Marko …«, stammelte sie. »… ihr – ihr seid – ein Paar?«

»Er war gestern den ganzen Nachmittag über bei mir im Lokal. Schon währenddessen hab’ ich gemerkt, dass es bei mir gefunkt hat. Ihm ist es auch so ergangen. Wir sind nachts noch spazieren gegangen, und wir haben uns geküsst.«

»Ich werd’ narrisch!«, stieß Miriam hervor. »Und ich hab schon befürchtet, dass du ewig am Alex hängst und irgendwann an deinen Gefühlen, die er net erwidert, verzweifelst.«

»Das weißt du ja auch noch nicht! Alexander war gestern in der Lounge und wollt’ sich betrinken, weil er ein Problem mit der Kathi hat. Als er vor mir an der Theke gesessen hat, ist mir klar geworden, dass ich eigentlich nix mehr für ihn empfind’.«

Miriam hatte ihre Überraschung überwunden. »Na, Gott sei Dank«, sagte sie. »Seit zwei Jahren bet’ ich, dass du endlich aufhörst, dem Alexander hinterher zu trauern. Nun scheinen meine Gebete erhört worden zu sein.«

»Und was sagst du dazu, dass der Marko und ich …?« Sandras Miene verriet Anspannung, denn Miriams Meinung war ihr ausgesprochen wichtig.

»Ich kann dich dazu nur beglückwünschen, Schwester«, sagte Miriam. »Der Marko ist ein toller Typ. Ich denk’, auf ihn ist hundertprozentig Verlass. Ich freu’ mich für dich, Sandra. Habt ihr aber schon dran gedacht, dass in wenigen Tagen sein Urlaub zu Ende geht? Er wird nach Hannover zurückkehren, und dann werden zwischen euch gut siebenhundert Kilometer liegen.«

»Wir haben drüber gesprochen«, erwiderte Sandra. »Marko ist bereit, nach St. Johann zu ziehen und sich hier eine Arbeit zu suchen.«

»Ist das net alles ein bissel überstürzt?«, gab Miriam zu bedenken.

»Eine Fernbeziehung zu führen, ist auch net erstrebenswert«, versetzte Sandra. »Ah, der Armin kommt mit dem Ehepaar. Reden wir später drüber, Miriam.«

Der Pfleger und das Ehepaar Kastner näherten sich.

Johann Kastner trug eine kleine Reisetasche.

»Hoffentlich machen wir Ihnen keine allzu großen Umstände«, sagte Isolde Kastner, als sie bei Sandra und Miriam angelangt waren. »Ich bin Isolde Kastner«, stellte sie sich sogleich vor, »das ist mein Mann Johann. Ihren Namen hat uns Armin schon genannt, Frau Dippold. Wir wissen auch, dass Sie zusammen mit Ihrer Schwester am See ein gemütliches Lokal betreiben.«

»Das sind überhaupt keine Umstände«, antwortete Sandra, »da ich ja sowieso in den Ort fahr’. Im Gegenteil, es freut mich, wenn ich Ihnen helfen kann. Ich werd’ Sie beim Hotel rauslassen.« Sie wies auf Miriam. »Das ist meine Schwester Miriam. Sie hat einen kleinen Unfall gehabt.«

»Auch das hat uns der Armin erzählt«, meldete sich Johann Kastner zu Wort. »Gott sei Dank ist die Sache ziemlich glimpflich ausgegangen. Es wär’ uns lieb, wenn Sie uns zum Haus des Herrn Brandhuber chauffieren könnten.«

»Zum Brandhuber-Loisl möchten S’«, zeigte sich Sandra ziemlich verdutzt. »Was möchten S’ denn von dem alten Bazi? Hoffentlich wollen S’ ihm nix abkaufen. Was der als Wunder-Natur-Medizin verkauft, ist meist einfacher Tee.«

Armin grinste. »Der Loisl hat im Verdacht gestanden, den Herrschaften schädliche … hm … Medizin angedreht zu haben«, erklärte er. »Das war allerdings falscher Alarm. Sein Tee war net dran Schuld. Sie haben wahrscheinlich auf dem Weg von der Streusachhütte ins Tal verseuchtes Wasser getrunken.«

»Wir haben ihn angezeigt«, sagte Isolde Kastner, »und ihm damit eine Menge Scherereien bereitet. Darum möchten wir mit ihm sprechen und uns bei ihm entschuldigen.«

»Na, mir soll’s recht sein«, sagte Sandra. »Ich fahr’ Sie halt zu seinem – Haus.«

»Sie sind sehr freundlich«, gab Isolde Kastner zu verstehen.

»Ich sag’ auch herzlichen Dank«, erklärte Armin und wandte sich an die Eheleute. »Ihnen wünsche ich alles Gute und noch ein paar erholsame Tage in St. Johann. Und wenn S’ wieder einmal auf einen Berg gehen, dann nehmen S’ sich genügend Wasser mit.«

»Das tun wir auf jeden Fall«, versicherte Johann Kastner.

Sandra trank im Stehen den letzten Schluck Kaffee. »Von mir aus können wir los«, sagte sie dann.

Miriam stemmte sich ächzend hoch und griff nach ihren Krücken, die sie gegen den Tisch gelehnt hatte. »Warum passiert ausgerechnet mir so etwas?«, murmelte sie, stemmte sich auf die Griffe der Krücken und humpelte in Richtung Ausgang.

*

»Wir sind da«, sagte Sandra wenig später.

»Ich sehe aber nirgendwo ein Haus«, erklärte Johann Kastner. Er schaute suchend durch das Seitenfenster.

»Ich seh’ auch keines«, gab Isolde zu verstehen. »Nur diese windschiefe Hütte, in diesem verwilderten Garten. Aber da wird wohl kaum jemand wohnen. Ein anständiger Windstoß und die Hütte fällt auseinander.«

»Doch, doch, das ist Loisls Haus«, sagte Sandra. »Er bezeichnet es zumindest so.«

»Das darf doch nicht wahr sein«, erregte sich Isolde. »Der arme Mann haust hier ja wie ein wildes Tier.«

»Er lebt da«, sagte Miriam. »Das ist sein Besitz. Sie müssen wissen, der alte Kurpfuscher entstammt einer reichen Bauernfamilie. Er hat viel geerbt – und null Komma nix alles wieder unter die Leut’ gebracht. Das, was Sie da sehen, ist von dem ganzen Erbe übrig geblieben.«

»Er hat sicher die falschen Berater gehabt«, meinte Johann Kastner.

»Soweit ich das aus den Erzählungen der Leut’ weiß, hat der Loisl überhaupt keinen Berater gehabt«, übernahm es Sandra, die Aussage zu kommentieren. »Wahrscheinlich wär’s besser gewesen, er hätt’ sich einen genommen.«

»Er hat also alles verjubelt«, konstatierte Johann Kastner.

»Ja. Und heut’ lebt er von seiner obskuren Kräutermedizin«, warf Miriam ein. »Wobei sich diese Einnahmen in Grenzen halten dürften, denn dem alten Gauner kauft fast keiner was ab. Hin und wieder erwischt er halt einen Dummen …« Miriam biss sich auf die Lippen.

»Danke«, sagte Johann. »Zu diesen Dummen gehören wir auch.«

»War eine rein rhetorische Aussage«, ruderte Miriam betreten zurück. »Nehmen Sie’s bitte net persönlich.«

Johann Kastner lachte. »Wir sind Ihnen nicht böse. Wir wissen ja selber, dass wir uns hereinlegen haben lassen. Vielen Dank dafür, dass Sie uns in den Ort chauffiert haben. Meine Frau und ich sind noch ein paar Tage in St. Johann, und wir werden ganz sicher mal bei Ihnen am See vorbeischauen.« Er stieg aus und half seiner Gattin beim Verlassen des Autos.

»Auf Wiedersehen«, rief Sandra. »Würd’ mich freuen, wenn S’ mal in unserer Lounge vorbeikämen.«

Miriam winkte. »Servus!«

»Gute Besserung«, wünschte ihr Johann Kastner.

»Dem kann ich mich nur anschließen«, sagte seine Gattin. »Schonen Sie den Knöchel, dann sind Sie bald wieder fit.«

Die Schwestern fuhren davon.

Johann und Isolde Kastner gingen zum Gartentor, das schief in den Angeln hing und völlig morsch aussah. Auf dem Holz wuchs graugrünes Moos.

Johann Kastner ließ seinen ungläubigen Blick in die Runde schweifen. Alles war heruntergekommen und schien dem Verfall preisgegeben zu sein. »Das darf doch nicht wahr sein«, murmelte er. Dass hier jemand wohnte, überstieg sein Begriffsvermögen. »Hallo«, rief er in den Garten hinein. »Ist jemand zu Hause?«

Weder im Garten noch in der Hütte rührte sich etwas.

»Vielleicht hört er uns nicht«, meinte Isolde. »Wir sollten an seine Tür klopfen.«

»Dann fällt diese Bruchbude ein«, meldete Johann seine Bedenken an, setzte sich aber in Bewegung und betrat das von Unkraut überwucherte Gartengrundstück. Die alten Obstbäume, die hier wuchsen, waren nie ausgeschnitten worden, ebenso wenig die Sträucher.

Die Tür der Hütte war geschlossen. Das Fenster daneben wies weder eine Jalousie noch einen Laden auf.

Johann pochte gegen die Tür.

Isolde ging zum Fenster und versuchte, ins Innere der Hütte zu blicken. Sie konnte nichts sehen, weil es drinnen ziemlich dunkel und die Scheibe stark verschmutzt war.

»Er scheint nicht zu Hause zu sein«, meinte Johann. »Versuchen wir es halt am Abend noch einmal. Dann ist er sicher da.«

Als sie das Grundstück verließen, sahen sie auf der anderen Straßenseite einen Halbwüchsigen in den Ort eilen. »Hallo, junger Mann«, rief ihn Johann an.

Der Bursche blieb stehen. »Was ist denn?«

»Kennen Sie den Herrn Brandhuber? Wenn ja, haben Sie vielleicht eine Ahnung, wo er sein könnte?«

»Natürlich kenn’ ich den Loisl«, antwortete der Bursche. »Tagsüber treffen S’ den kaum zu Haus’ an. Da streift er auf den Wiesen oder im Wald herum und sucht irgendwelche Kräuter. Ich rat’ Ihnen aber, falls Ihnen was wehtut, lieber einen Arzt aufzusuchen, als dem Loisl was abzukaufen. Gesund ist von seiner Medizin nämlich noch keiner geworden.«

»Danke«, rief Johann und der Bursche eilte weiter. »Mir scheint«, sagte Johann, »dieser Loisl, wie ihn alle nennen, ist nicht gut angesehen in St. Johann.«

»Er scheint mir ein ausgesprochener Spitzbube zu sein«, brachte es Isolde auf einen Nenner.

Die beiden machten sich auf den Weg zum Hotel. Es ging ihnen wieder gut. Das alkalihaltige Wasser, das sie getrunken hatten, hatte bei beiden zwar für eine schwere Magenverstimmung gesorgt, aber keine Schäden hinterlassen. Sie wollten noch ein paar erholsame Tage in St. Johann verbringen und dann nach Kassel zurückkehren.

*

»Tu’ mir einen Gefallen«, sagte Miriam, »und nimm mich mit hinaus zum See. Wenn ich den ganzen Tag allein daheim herumsitz’, fällt mir wahrscheinlich die Decke auf den Kopf.«

»Nur, wenn du mir versprichst, dass du auf deinen fünf Buchstaben sitzen bleibst und deinen Fuß schonst«, forderte Sandra.

»Ich versprech’s dir«, sagte Miriam und hob die rechte Hand zum Schwur.

Sandra lächelte. »Na schön.«

Sie fuhren hinaus zum See. Es war noch vor neun Uhr und die anderen Lokale und Läden an der Uferpromenade hatten noch geschlossen.

Der Tag versprach wieder sonnig zu werden. Das bedeutete, dass auf Sandra eine Menge Arbeit zukommen würde.

Es war ziemlich anstrengend für Miriam, den Weg vom Parkplatz bis zur Lounge zurückzulegen. Aber sie war hart im Nehmen. Schließlich saß sie und Sandra rückte ihr einen Stuhl zurecht, sodass sie das verletzte Bein hoch lagern konnte.

Sandra kehrte zusammen, legte Tischdecken auf und rückte Tische sowie Stühle zurecht, sodass nach einer halben Stunde alles für das Tagesgeschäft vorbereitet war.

Tatsächlich erschienen auch schon die ersten Badegäste. Sie breiteten ihre Decken auf der Liegewiese aus und sonnten sich. Einige ganz Mutige probierten das noch recht eisige Wasser des Achsteinsees.

Sandra setzte sich zu ihrer Schwester.

Miriam sagte: »Wo waren wir, den Marko betreffend, stehengeblieben? Ach ja, du hast gemeint, dass eine Fernbeziehung net erstrebenswert ist. Und ich war der Meinung, dass mir das alles ein bissel überstürzt erscheint.«

»Wir lieben uns«, murmelte Sandra verträumt. »Der Marko meint, dass es hier und in der Umgebung mehrere Krankenhäuser gibt, bei denen er sich bewerben kann. Natürlich muss er in Hannover seine Kündigungszeit abwarten. Das heißt, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis er endgültig nach hier umziehen kann.«

»Und du meinst, es ist net nur ein Strohfeuer, das schnell wieder herunterbrennt?«, fragte Miriam.

»Nein. Ich bin mir sicher: Es ist Liebe.«

»Was sind das denn für Probleme, die Alexander und Kathi ­miteinander haben?«, fragte Miriam. Sie hatte das glückliche Strahlen in den Augen ihrer Schwester wahrgenommen und wollte ihre Euphorie nicht dadurch dämpfen, indem sie weitere Bedenken anmeldete. Daher wechselte sie das Thema.

»Die Kathi will nach Mallorca auswandern und der Alexander hält von dieser Idee rein gar nix«, antwortete Sandra.

»Was will die?«, brach es verblüfft aus Miriam Kehle. »Wie kommt Kathi denn auf so eine Schnapsidee?«

»Sie hat’s aus dem Fernsehen, da laufen immer wieder Sendungen, die über die Schicksale deutscher Auswanderer berichten«, sagte Sandra. »Viele gehen nach Mallorca und versuchen dort ihr Glück. Bei dem einen oder anderen klappt’s, viele aber scheitern kläglich. Die Kathi scheint sich eine ganze Menge davon zu versprechen, sich auf Mallorca eine Existenz aufzubauen.«

»Das macht der Alex auf keinen Fall mit«, sagte Miriam im Brustton der Überzeugung. »Der ist viel zu bodenständig und lebt gern hier, wo er seine freunde und auch sein Auskommen hat.«

»Die Kathi hat gedroht, notfalls auch allein auszuwandern«, sagte Sandra. »Und das hat den Alex ganz besonders hart getroffen. Sie stellt ihre Idee über ihre Liebe.«

»Das tät’ jeden von uns treffen«, murmelte Miriam. »Ach, Sandra, du glaubst gar net, wie glücklich ich bin, weil zwischen dem Dennis und mir wieder alles gut ist. Wir treffen uns heut’ Abend …«

»Warum erst am Abend? Ich denk’, er ist noch krank geschrieben«, sagte Sandra erstaunt.

»Er ist trotz Krankschreibung heut’ wieder zur Arbeit gegangen.« Miriam lächelte bedeutungsvoll. »Jetzt geht’s ihm nämlich wieder gut.«

Sandra lachte. »Die Liebe hat ihn schnell wieder von seinem Leiden geheilt«, sagte sie. »Sie ist anscheinend ein erstklassiges Allheilmittel.«

Miriam lächelte verträumt. »Ich werd’ ihn dann gleich mal anrufen. Das hab’ ich ihm versprochen.«

»Guten Morgen, ihr beiden!«, erklang eine fröhliche Stimme. Es war Cornelia, die sich wieder bereiterklärt hatte, für Miriam einzuspringen und an ihrer Stelle die Gäste zu bedienen.

Weder Sandra noch Miriam hatten sie kommen hören. Jetzt wandten sie sich ihr zu und erwiderten ihren Gruß.

»Ich hab’ es mir schon gedacht, Miri, dass du dich net in deine Bude hockst und die Daumen drehst«, sagte Cornelia. »Ich befürcht’ allerdings, dass dich das müßige Herumsitzen hier auch sehr schnell anödet.«

»Schau’n wir mal«, versetzte Miriam. »Vielleicht krieg’ ich Gesellschaft, und dann ist’s gewiss nimmer so langweilig.«

»Von deinen Verehrern, wie?«, sagte Cornelia und grinste. »Lass dich nur net von deinem Dennis erwischen.«

Von der Liegewiese her näherten sich zwei Kinder, ein Bub und ein Mädchen, von ungefähr zehn Jahren. »Kann man schon was zu Trinken kaufen?«, fragte das Mädchen.

Sandra erhob sich. »Natürlich könnt ihr was haben. Was darf ich euch denn geben?«

»Eine Flasche Wasser und eine Cola. Es ist für unsere Eltern. Die Flaschen bringen wir wieder.«

»Dann kommt mal mit herein«, sagte Sandra und ging in das Lokal. Die beiden Kinder folgten ihr.

Auch Cornelia begab sich in die Bar und ließ Miriam alleine. Sie nahm ihr Smartphone zur Hand und wählte Dennis’ Nummer. Das Rufzeichen erklang einmal, dann meldete er sich schon. »Hallo, Schatz, bist du schon zu Hause?«, fragte er.

»Ich sitz’ auf der Terrasse der Lounge und hab’ nur an dich gedacht«, versetzte sie lachend.

»Das will ich auch schwer hoffen«, versetzte Dennis. »Wie geht’s dir denn?«

»Gut. Weißt du das Neueste schon?«

»Du wirst es mir gleich sagen, schätz’ ich.«

»Sandra und Marko sind ein Paar.«

»Sag’ bloß! Du lieber Himmel, das ist aber schnell gegangen. Ich frag’ mich jedoch, wie die beiden sich das vorstellen. Er lebt und arbeitet in Hannover, sie ist hier in St. Johann. Meinst du, das geht gut?«

»Ich weiß es net, Liebling. Im Moment ist die Sandra jedenfalls der glücklichste Mensch auf der Welt.«

»Also hat sie ihre fixe Idee, Alexander betreffend, überwunden?«

»Da gibt’s auch was Neues zu berichten«, sagte Miriam, dann erzählte sie Dennis von Kathis Ambitionen, nach Mallorca auszuwandern.

»Oh je! Nun ja, man kann nur abwarten, wie sich alles entwickelt«, gab Dennis zu verstehen. »Aber das ist net unsere Sach’. Wir beide sind uns einig, und das ist für mich wichtig. So, Schatz, ich muss weiterarbeiten, denn ich hab’ einen ganzen Berg Akten auf dem Schreibtisch liegen. Ich liebe dich.«

»Bis heut’ Abend, Liebling.«

»Hast du net was vergessen?«

»Ich liebe dich.« Miriam hauchte einen Kuss ins Telefon, dann unterbrach sie die Verbindung, lehnte sich auf dem Stuhl zurück, schloss die Augen und hielt das Gesicht in die Sonne. Der Schmerz, der von ihrem Knöchel ausstrahlte, war erträglich.

Sie hörte die Stimmen ihrer Schwester und Cornelias, dann vernahm sie die der beiden Kinder, die wieder ins Freie kamen und sich entfernten. Gleich darauf summte jemand in ihrer Nähe eine Melodie, und sie öffnete die Augen.

Es war Sandra, die begann, die Sonnenschirme aufzuspannen und dabei einen sehnsuchtsvollen Song von Peter Maffay vor sich hinsummte.

Miriam lächelte. Nach fast zwei freudlosen Jahren, in denen Sandra um eine Liebe trauerte, die es wahrscheinlich nur in ihrer Vorstellung gegeben hatte, schien sich Sandra endlich frei gemacht zu haben, und sie war wieder für die schönen Dinge des Lebens empfänglich.

Sandra bemerkte, dass Miriam sie beobachtete, und schenkte ihr ein bezauberndes Lächeln. Miriam hob die rechte Hand und zeigte: Daumen hoch! Dann schloss sie wieder die Augen, und Sandra summte weiter ihr Lied.

Miriam döste ein. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie eingenickt war, als das Dröhnen eines schweren Motorrads erklang und sie aufschreckte.

Soeben fuhr ein Biker in schwarzer Lederkombi, mit schwarzem Sturzhelm und verdunkeltem Visier auf den Parkplatz. Das blubbernde Motorengeräusch, das die Maschine im Stand produzierte, erstarb, der Biker nahm den Helm ab und hängte ihn an die Lenkstange des Motorrads.

Es war Marko. Schnell kam er näher.

*

Grinsend setzte er sich zu Miriam an den Tisch. »Hallo! Freut mich, Sie den Umständen entsprechend gesund und munter anzutreffen.«

»Danke«, sagte Miriam. »Sie haben unseren missglückten Ausflug wohl recht gut überstanden.« Sie lächelte. »Und der Humor ist Ihnen scheinbar auch net abhanden gekommen. Sandra hat mir schon alles erzählt. Mir scheint, Sie gehören zur schnellen Truppe. Wie haben Sie’s geschafft, das Herz meiner Schwester so schnell zu erobern?«

»Liebe auf den zweiten Blick«, versetzte Marko.

»Wieso auf den zweiten?«

»Auf den ersten Blick war ich in Sie verliebt gewesen«, gestand der Biker.

Miriam errötete leicht.

»Aber Ihr Verlobungsring hat mir meine Grenzen aufgezeigt«, fuhr Marko fort. »Wär’ wohl auch sinnlos gewesen, Sie anzubaggern. Der Pfarrer hat berichtet, dass bei Ihnen und Dennis wieder Einklang herrscht.«

»Dank seiner Hilfe«, erklärte Miriam und nickte. »Ja, bei uns herrscht wieder eitel Sonnenschein. Gott sei Dank, kann ich nur sagen.«

In der Bar dudelte ein Telefon, dann erklang Sandras Stimme. Jetzt kam Cornelia heraus und zog die Tür hinter sich zu. »Es ist der Alexander«, sagte sie. »Möchten Sie was trinken, Marko?«

»Ein Glas Wasser bitte.« Er schaute Miriam an. »Ich bin eigentlich nur hergekommen, weil ich Sandra sagen wollte, dass ich heute mit der Clique eine Tour unternehme. Die anderen haben sich nämlich schon beschwert, dass ich sie völlig vernachlässige. Wir wollen in den Vinschgau fahren.«

Cornelia machte kehrt, um das Wasser zu holen.

Es war aber nicht Cornelia, die es schließlich brachte, sondern Sandra. Sie lächelte etwas verkrampft. »Grüaß di, Schatz. Du siehst so gesattelt und gespornt aus und erweckst net den Anschein, dass du bleiben willst.« Sie stellte das Glas Wasser vor ihn hin.

Marko erzählte ihr, dass er mit seiner Clique über den Reschenpass nach Südtirol fahren wollte. »Wir sind aber am späten Nachmittag wieder zurück«, endete er. »Und dann hast du mich wieder am Hals. Du hast mit dem Alexander telefoniert?« Er musterte sie fragend.

Sandras Lächeln verflüchtigte sich. »Seine Aussprache mit Katharina gestern Abend hat in einem Fiasko geendet«, sagte sie. »Sie haben sich gestritten, und die Kathi hat mitten in der Nacht die Wohnung verlassen und ist zu ihren Eltern gegangen, um dort zu übernachten. Ehe sie aber gegangen ist, hat sie den Alex vor die Wahl gestellt: Entweder er wandert mit ihr nach Mallorca aus, oder sie geht ohne ihn. In diesem Fall, müsse er sich klar sein, dass es das Ende ihrer Beziehung bedeuten würd’.«

»Und jetzt ist er am Boden zerstört, wie?«, fragte Miriam.

»Und warum weint er sich plötzlich bei dir aus?«, fragte Marko und fixierte Sandra durchdringend, als suchte er nach einer verräterischen Reaktion in ihrem Gesicht. »Zwei Jahre lang hat er dich ignoriert.«

»Er besinnt sich halt auf unsere frühere Freundschaft«, versetzte Sandra.

»Ich hab’ zwar nichts gegen den Burschen«, knurrte Marko, »dafür kenne ich ihn auch viel zu wenig, aber dass er plötzlich bei dir Trost und Zuspruch sucht, gefällt mir nicht. Er hat dich zwei Jahre lang nicht gebraucht. Es ist eine Sache zwischen ihm und seiner Freundin.«

Sandra schaute ihn geradezu erschreckt an. »Du bist doch net etwa eifersüchtig, Schatz. Alexander hat halt niemand, dem er sich anvertrauen möcht’.«

»Ich bin nicht eifersüchtig«, erwiderte Marko. »Aber ich finde es von ihm fast schon ein bisschen unverschämt, dass er sich jetzt plötzlich wieder daran erinnert, dass es dich auch noch gibt. Will er etwa wieder auf dich zurückgreifen, für den Fall, dass ihn seine Freundin sitzen lässt?«

»Wie redest du denn?«, stieß Sandra entsetzt hervor.

»Ist doch wahr«, brummte Marko. »Erst hat er dich verschmäht, und jetzt kommt er gekrochen und will sich gewissermaßen an deiner Brust ausweinen.«

»Er ist ein Freund«, wehrte sich Sandra.

Marko zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck von dem Wasser. »Ich will dir nicht dreinreden, Liebling«, murmelte er. »Aber einer, der einen Freund zwei Jahre lang links liegen lässt, hat jeden Anspruch auf Entgegenkommen und Verständnis verspielt. Das ist meine Meinung.« Er trank das Glas leer und erhob sich. »Die anderen warten schon. Ich melde mich, wenn wir über den Pass sind.« Er trat vor Sandra hin, schaute ihr tief in die Augen, legte den Arm um ihre Mitte und zog sie ein wenig näher an sich heran. »Lass es den Alexander merken, dass du nicht die bist, die er einfach wieder aus der Ecke hervorholen kann, in der er dich vor zwei Jahren abgestellt hat.«

»Ich versteh’ schon, was du meinst, Marko. Aber er tut mir leid, und ich kann net aus meiner Haut.«

»Das musst du selber wissen.« Es war deutlich, dass er kein Verständnis für ihre Einstellung aufbringen konnte. »Ich fahr dann mal, damit die anderen nicht zu lange auf mich warten müssen. Bis heute Nachmittag.« Er gab Sandra einen flüchtigen Kuss.

»Tschüss«, sagte sie leise, »und gib auf dich Acht, damit du heil zurückkommst.«

»Dazu hab’ ich allen Grund«, erklärte Marko. »Auf Wiedersehen. Und denk’ über meine Worte nach.« Er klopfte sich gegen die Brust. »Spürst du denn da drin nichts?«

»Was sollt’ ich denn spüren?«

»Es gibt ein Wort dafür, und es heißt Stolz.«

»Der Alexander und ich – wir waren immer Freunde«, murmelte Sandra mit gesenktem Blick. »Auch wenn die Freundschaft fast zwei Jahre lang auf Eis gelegen hat – jetzt ist er in Not, und ich kann ihm ein bissel Zuspruch net verweigern.«

»Du bist zu gutmütig. Leute wie du werden leicht ausgenutzt.«

»Mag sein.« Sie lächelte. »In einer harten Welt ein weiches Herz zu haben, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Mut! Servus, Marko. Hals- und Beinbruch.«

»Tschüss, Miriam!«, rief Marko, ließ Sandra los und entfernte sich.

»Pfüat di, Marko!«, erwiderte Miriam. »Er ist net besonders erfreut drüber, dass sich der Alex mit seinen Problemen an dich gewendet hat, Sandra«, sagte sie an ihre Schwester gewandt, die Marko hinterher schaute. »In gewisser Weise muss ich ihm sogar zustimmen. Du warst für den Alex zwei Jahre lang Luft. Und jetzt bist du ihm plötzlich wieder recht.« Miriam stutzte, weil sich Sandras Augen mit Tränen füllten. »Du hast doch net etwa plötzlich wieder Gefühle für ihn?«, stieß sie hervor.

»Er tut mir leid«, murmelte Sandra mit erstickter Stimme. »Aber was soll ich denn tun? Er braucht in der Tat jemand, dem er sein Herz ausschütten kann. Soll ich ihn in seiner Not auch noch vor den Kopf stoßen?«

»Und ich hab’ geglaubt, du bist geheilt«, stieß Miriam leicht verärgert hervor. Sie schwenkte den Blick hinüber zum Parkplatz, wo sich Marko gerade den Helm aufsetzte. Gleich darauf heulte der Motor seiner Maschine auf, er winkte noch einmal herüber, dann fuhr er davon.

Sandra wandte sich ab und ging ins Lokal.

Diese Entwicklung gefiel Miriam nicht.

*

Immer mehr Badegäste kamen, und auch die Terrasse ihrer Bierlounge wurde von den Urlaubern frequentiert. Bald hatten Sandra und Cornelia alle Hände voll zu tun, um die Wünsche der Durstigen zu befriedigen.

Cornelia hatte Miriam einige Zeitschriften bei einem Kiosk in der Nähe besorgt, und Miriam las nun den Klatsch über Stars und Sternchen und über den Adel Europas.

Plötzlich fiel ein Schatten auf sie und eine sonore Stimme sagte: »Grüß dich, Miriam.«

Sie hob den Blick und schaute in das lächelnde Gesicht Pfarrer Trenkers. »Ah, Hochwürden, grüß Gott.«

»Darf ich mich ein bissel zu dir setzen, Madel?«

»Natürlich, bittschön, nehmen S’ Platz.« Miriam wies auf einen freien Stuhl. »Kommen S’ mich besuchen, oder hat es einen anderen Grund, der Sie zum See geführt hat?«

»Beides. Wie geht’s dir denn, Madel? Hast du den Schreck von eurer missglückten Tour verarbeitet?«

»Ja. Mein verstauchter Knöchel wird mich allerdings noch einige Zeit daran erinnern. Eigentlich war’s leichtsinnig von mir, zur Klamm aufzusteigen, obwohl einige Unwetterwarnungen ausgegeben worden sind.«

»Für das Gebiet um den Kogler waren keine Unwetter vorausgesagt«, wandte Sebastian an.

»Ein Sturm kann da oben schnell die Richtung ändern«, versetzte Miriam. »Aber es ist ja gut ausgegangen. Marko und ich stehen tief in Ihrer Schuld und der Ihres Bruders, Dennis und Tobias net zu vergessen!«

»Ich bin der Meinung, dass es für jeden eine Selbstverständlichkeit sein muss zu helfen, wenn Not am Mann ist«, sagte Sebastian. »Es freut mich, wenn du die ganze Sach’ ohne größeren Schaden überstanden hast. Darf ich dich was fragen, Madel?«

»Klar. Was haben S’ denn auf dem Herzen, Hochwürden?«

»Ich hab’ gestern mit dem Marko gesprochen, und er hat seltsame Andeutungen hinsichtlich der Sandra gemacht. Sie wär’ recht unglücklich, hat er gemeint, und schuld daran soll der Renz-Alexander sein. Was hat sie denn für ein Problem? Der Alexander ist doch mit der Donhauser-Kathi verlobt.«

»Bis vor etwa zwei Jahren hat es den Anschein gehabt, dass er in meine Schwester verliebt wär’«, antwortete Miriam. »Dann hat er sich in die Kathi verliebt. Es stimmt, Sandra hat der Geschicht’ mit dem Alex zwei Jahre lang nachgetrauert. Aber gestern hat sie einen Schlussstrich gezogen. Sie hat sich in den Marko verliebt.«

»Hab’ ich das eben richtig gehört?«, entfuhr es Sebastian verblüfft. »Sprichst du von dem Marko, mit dem du oben bei der Klamm warst?«

»Ja. Allerdings ist gestern auch der Alexander plötzlich wieder hier aufgetaucht, nachdem er fast zwei Jahre lang nix mehr von sich hat hören lassen. Er hat ein Problem mit der Kathi. Sie will nach Mallorca auswandern, der Alex aber hat net das geringste Interesse an der Insel.«

»Mallorca? Was will denn die Kathi dort?«, fragte Sebastian betroffen.

»Sie möcht’ sich wahrscheinlich irgendeinen Traum erfüllen, Hochwürden. Ich weiß es net. Vorhin hat Alexander wieder angerufen und mit der Sandra geredet. Er und die Kathi haben sich gestern Abend gestritten. Kathi hat gesagt, dass sie gegebenenfalls auch ohne ihn auswandert, hat die Wohnung verlassen und bei ihren Eltern übernachtet.« Miriam atmete durch. »Zwei Jahr’ lang war ihm die Sandra egal«, machte sie dann ihrer Verärgerung Luft. »Sie hat gelitten, weil sie ihn einfach net vergessen konnt’. Nun war sie endlich soweit, damit abzuschließen und mit Marko einen Neuanfang zu wagen, da kommt der Alexander daher und stürzt sie, von einer Minute, auf die andere, in einen Gewissenskonflikt.«

»Was will er von der Sandra?«, fragte Sebastian.

»Ich hab’ keine Ahnung. Vielleicht sucht er Trost.« Miriam zuckte mit den Schultern. »Möglicherweise schaut er sich auch schon nach einem Ersatz für die Kathi um. In der Beziehung der beiden wird es sicherlich net erst seit gestern kriseln.«

»Das wär’ ja allerhand«, murmelte Sebastian.

»Marko war vorhin auch hier«, berichtete Miriam. »Er fährt heut’ mit seiner Clique nach Südtirol hinunter. Er hat der Sandra geraten, dem Alex zu zeigen, dass sie auch ihren Stolz hat.«

»Und?«

»Sandra meint, dass Alexander jemanden braucht, dem er sein Herz ausschütten kann.«

»Hat er ihr etwa wieder Hoffnungen gemacht?«, erkundigte sich Sebastian.

»Gesagt hat Sandra in dieser Hinsicht nix. Ausschließen möcht’ ich’s allerdings net. Möglicherweise hat sie mit der Geschichte doch noch net ganz abgeschlossen und gibt sich wieder irgendwelchen Hoffnungen hin.«

»Ich geh’ mal hinein zu ihr«, sagte Sebastian und erhob sich.

»Vielleicht wär’s besser, Sie würden mit dem Alexander reden, Hochwürden«, meinte Miriam. »Wenn er die Sandra in Ruhe lässt, dann findet sie auch ihr inneres Gleichgewicht wieder. Marko liebt sie wirklich, und heut’ Früh’, als mich Sandra vom Krankenhaus abgeholt hat, hat sie mir erzählt, dass sie sich in ihn ebenfalls Hals über Kopf verliebt hat.«

»Du hast recht, Madel«, stimmte Sebastian zu, »es ist sicherlich besser, ich red’ mit dem Alex. Ich glaub’ zwar net, dass er irgendwelche Hintergedanken hat, wenn er sich mit seinen Problemen an Sandra wendet. Nach allem, was ich jetzt weiß, ist es jedoch dem seelischen Wohlbefinden deiner Schwester gewiss net zuträglich, wenn er sie wieder in sein Leben – und in seine Probleme – einzubeziehen versucht.«

»Um sie möglicherweise wieder fallen zu lassen, wie eine heiße Kartoffel, sollt’ sich mit der Kathi alles wieder einrenken«, fügte Miriam hinzu.

»Ich red’ mit ihm«, versprach der Bergpfarrer. »Wie ich ihn kenn’, wird er sich gut gemeinten Worten net verschließen.«

»Danke, Hochwürden. Nix würd’ mich glücklicher machen, als zu wissen, dass sich Sandra endlich endgültig von ihrer unglücklichen Liebe zum Alexander befreit hätt’.«

»Ich werd’ das Kind schon schaukeln«, versicherte Sebastian, dann wünschte er Miriam eine baldige Genesung und einen schönen Tag, und dann machte er sich auf den Rückweg in den Ort.

*

Die vier Motorräder tuckerten auf einer schmalen Landstraße, die sich zwischen bewaldeten Bergen dahinschlängelte, in Richtung Süden. Es war wieder ein herrlich sonniger Tag. Die Halstücher der Biker flatterten im Fahrtwind.

Hin und wieder ging die Fahrt an einem idyllisch gelegenen Dorf vorbei, das eine oder andere Mal führte die Straße auch mitten durch eine dieser kleinen, malerischen Ortschaften hindurch. Freundliche Menschen winkten den ruhig fahrenden Bikern zu.

Marko fuhr vorne. Er bestimmte das Tempo. Seine Gedanken waren bei Sandra. Er liebte sie wirklich, und zwar von ganzem Herzen, und er stellte sich immer wieder die bange Frage, ob ihre Liebe zu ihm stark genug war, um der emotionalen Belastung, der sie so plötzlich und wie aus heiterem Himmel durch Alexander ausgesetzt war, standzuhalten.

Zwei Jahre lang hatte sie unter ihrer unerfüllten Liebe zu leiden gehabt. Zwei Jahre lang hatte Alexander sie nicht beachtet. Nun drohten Probleme mit seiner Verlobten, jener Frau, der er vor knapp zwei Jahren den Vorzug vor Sandra gegeben hatte, und sofort streckte er seine Fühler wieder in Sandras Richtung aus.

Und das am Tag nach ihrem Geständnis, dass sie sich in ihn unsterblich verliebt habe, und ihrer Beteuerung, dass die andere Sache für sie ein für alle Mal abgeschlossen sei. Er fand: Ihre Reaktion nach dem Telefonat mit Alexander am Vormittag ließ einen anderen Schluss zu. Marko trug schwer an seinen Zweifeln.

Einige Autos kamen der Bikergruppe entgegen. Die kurvige Straße ließ keine hohen Geschwindigkeiten zu. Manchmal ging es an senkrechten Felswänden vorbei, die mit Metallnetzen gegen Steinschlag gesichert waren, dann war es wieder ein schwindelerregend tiefer Abgrund, an dem die Straße entlang führte und lediglich von einer kniehohen Leitplanke begrenzt wurde.

Vor dem blauen Himmel zogen vereinzelte weiße Wolken, weiße Wolkengebilde verhüllten auch die Gipfel der vegetationslosen, kahlen Felsen des Hochgebirges. In den Schattenfeldern lag dort hoch oben noch der Schnee. Die Sonne näherte sich ihrem Zenit und ließ die Luft über dem Asphalt flirren.

Marko hätte sich frei fühlen können wie ein Vogel, wenn die nagenden Gedanken nicht gewesen wären. Wenn er sich einer Kurve näherte, nahm er das Gas zurück. Hin und wieder musste er sogar zurückschalten. Sobald er aus der Kurve fuhr, konnte er wieder Gas geben und hochschalten. Es waren Vorgänge, die bei ihm in Fleisch und Blut übergegangen waren und automatisch abliefen.