E-Book 461-470 - Toni Waidacher - E-Book

E-Book 461-470 E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 1: Celines Weg ins Leben E-Book 2: Alte Liebe rostet nicht? E-Book 3: Leg die Karten auf den Tisch, Philipp E-Book 4: Philipps dunkles Geheimnis E-Book 5: Die Liebe macht dich stark … E-Book 6: Mein Herz gehört Nathalie E-Book 7: Anna – wo bist du? E-Book 8: Verlorenes Glück - gefundenes Glück E-Book 9: Ihr Bild in seinem Herzen E-Book 10: Aufregung um Angelika

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Inhalt

Celines Weg ins Leben

Alte Liebe rostet nicht?

Leg die Karten auf den Tisch, Philipp

Philipps dunkles Geheimnis

Die Liebe macht dich stark …

Mein Herz gehört Nathalie

Anna – wo bist du?

Verlorenes Glück - gefundenes Glück

Ihr Bild in seinem Herzen

Aufregung um Angelika

Der Bergpfarrer – Staffel 47 –

E-Book 461-470

Toni Waidacher

Celines Weg ins Leben

Roman von Waidacher, Toni

»Da kommt ja unsere neue Praktikantin«, freute sich Irma Reisinger, die Herrin über die Küche im Hotel ›Zum Löwen‹. »Das ist aber ein fesches Madel.«

Sie und ihr Gatte Sepp standen am Fenster in der Küche des Hotels und beobachteten die zweiundzwanzigjährige Celine Fiedler, wie sie aus ihrem Kombi stieg und aus dem Kofferraum eine prallgefüllte Reisetasche hob.

»Sakra, Sakra«, murmelte Sepp beeindruckt, »die ist in der Tat ausgesprochen hübsch.« Für diese Schwärmerei erntete von seiner Gattin einen schrägen und zugleich strafenden Blick. »Die wird den Burschen hier im Ort ganz schön den Kopf verdrehen.« Er grinste schelmisch. »Das könnt’ sogar den Bierumsatz steigern.«

»Komm’, gehen wir hinaus und begrüßen wir das Madel«, sagte Irma, drehte sich um und ging zur Tür.

Sepp folgte ihr. Auf dem Korridor kam ihnen Susanne, ihre älteste Tochter, entgegen.

»Die Neue ist da«, sagte Irma. »Kannst gleich mit hinausgehen und sie begrüßen.«

Da betrat Celine auch schon das Hotel. »Hallo«, grüßte sie. »Mein Name ist Celine Fiedler und ich will hier eine Praktikumsstelle antreten. Sind Sie die Familie Reisinger?«

»Drei Fünftel der Familie«, erwiderte Sepp. »Meine beiden anderen Töchter sind irgendwo im Haus unterwegs. Aber die wirst du auch noch kennenlernen. Also, ich bin der Sepp.« Er wies mit einer knappen Handbewegung auf seine Gattin. »Das ist die Irma, meine Frau. Da du hauptsächlich in der Küche eingesetzt wirst, Madel, wirst du zu neunzig Prozent mit ihr zu tun haben. Und das ist Susanne, unsere älteste Tochter. Sie macht während der Saison die Rezeption und den Schreibkram.«

Irma trat vor und reichte Celine die Hand. »Grüaß di, Celine. Wir haben alles vorbereitet. Du kannst nachher gleich dein Zimmer beziehen und dich ein bissel frisch machen. Hinterher werd’ ich dir das Haus zeigen. Im Moment ist ja fast nix los. Du hast also viel Zeit, dich einzugewöhnen. Wenn ab Mai dann die Gäste kommen, wird sich das ändern. Dann geht’s an manchen Tagen hoch her!«

»Ich freu’ mich schon auf die Arbeit hier«, erklärte Celine. »Ihr Hotel hat einen erstklassigen Ruf, Ihre Küche ist weit über die Grenzen des Wachnertals hinaus bekannt. Ich denk’, ich werd’ bei Ihnen alles lernen, was ich brauch’, um bald das Restaurant von meinen Eltern übernehmen zu können.«

»Vorweg möcht’ ich gleich mal eines klarstellen, Madel«, versetzte Irma. »Wir sagen hier net Sie zueinander. Das ist ein Familienbetrieb, und es geht familiär bei uns zu. Also ich bin die Irma, das ist der Sepp und das ist die Susi. Ich hoff’, du bist damit einverstanden.«

»Natürlich. Vielen Dank. Das ist mir auch viel lieber, als das unpersönliche Sie.« Der Anflug eines Lächelns huschte über Celines gleichmäßige Züge, sie wandte sich Susi zu, hielt ihr die Hand hin und sagte: »Servus, Susi. Wir beide werden zwar net allzu viel miteinander zu tun kriegen, wenn ich in der Küche arbeit’ und du mehr administrativ tätig bist, dennoch kann ich mir vorstellen, dass wir recht gut harmonieren.«

Tatsächlich war Celine die älteste Haustochter ausgesprochen sympathisch. Das galt natürlich auch für Irma und Sepp, altersmäßig aber fühlte sie sich mehr zu Susi hingezogen. Umgekehrt war es genauso. Sowohl das Hotelierehepaar als auch ihre Tochter hatten Celine auf Anhieb in ihr Herz geschlossen.

»Das denk’ ich doch«, lächelte Susi. »Du wirst auch mit der Mama und dem Papa kein Problem haben, ebenso wenig mit der Heidi und der Gitti.«

Auf der Treppe waren Schritte zu hören und Susi drehte sich halb herum. »Da ist ja die Gitti schon«, sagte sie.

Celine schaute ebenfalls zur Treppe und sah die jüngste der Haustöchter nach unten eilen. Lächelnd kam Gitti heran und streckte Celine die Hand hin. »Grüaß di, Celine, willkommen im Hotel ›Zum Löwen‹.«

Celine schüttelte ihre Hand. »Danke. Ihr seid alle so nett.«

»Du wirst in St. Johann nur nette Leut’ treffen«, erwiderte Gitti. »Allerdings gilt auch bei uns: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Du weißt sicher, was ich mein’. Aber ich denk’, deswegen brachen wir uns keine Gedanken machen. Du schaust recht umgänglich aus, und wir sind auch ziemlich unkompliziert.«

»Den Eindruck hab’ ich schon im ersten Moment gewonnen«, antwortete Celine. Sie fühlte sich tatsächlich von der ersten Sekunde an wohl und gut aufgehoben hier.

»Zeigst du der Celine das Zimmer, Susi?«, fragte Irma.

»Natürlich.« Susi holte einen Schlüssel aus der Rezeption. »Soll ich dir mit der Tasche helfen?«

»Nein, danke. Es geht schon.« Celine hob die Reisetasche auf, die sie abgestellt hatte, und folgte Susi zur Treppe.

»Vielleicht kannst in einer halben Stund’ etwa runterkommen, Celine«, rief Irma hinterher. »Dann zeig’ ich dir alles.«

»Das werd’ ich sicher schaffen. Ich war ja nur etwas über eine Stunde von Innsbruck herauf unterwegs. Da muss ich mich net groß frisch machen. Ich räum’ meine Tasche aus, und dann komm’ ich runter. Eine Frage hab’ ich noch. Ich hab’ meine Langlaufski mitgebracht. Sie liegen draußen im Auto. Kann ich sie hier im Haus irgendwo abstellen? Im Keller vielleicht.«

»Natürlich«, sagte Sepp. »Die Ski holen wir nachher herein. Jetzt geh’ erst mal auf dein Zimmer und pack’ deine Sachen aus.«

»Okay. Bis dann!« Celine folgte Susi die Treppe zum Obergeschoss empor.

Gitti verschwand in der Gaststube, Irma kehrte in die Küche zurück. Es war kurz vor elf Uhr und einige Mittagessengäste hatten sich angesagt. Der Hotelbetrieb lief auf Sparflamme, denn es war März, und im Winter bot das Wachnertal den Touristen so gut wie nichts. Es gab keine Pisten und Lifte. Dass das Wachnertal in eine Wintersporthochburg verwandelt wurde, hatte vor langer Zeit schon Pfarrer Trenker verhindert. Weitere Versuche, es dennoch dem Wintersport zu erschließen, waren erst gar nicht mehr unternommen worden. Ab und zu kamen vereinzelte Skitourengeher oder Skilangläufer in eine der drei Gemeinden, aber die taten der Natur nicht weh und waren willkommen.

Sepp kam ebenfalls in die Küche. »Was sagst zu dem Madel?«, fragte er. »Ich glaub’, es war kein Fehler, ihr die Praktikantenstelle zu geben. Die Celine scheint mir ein offenes, ehrliches Wesen zu besitzen.«

»Ja, man muss sie mögen«, erwiderte Irma. »Irgendwie aber hab’ ich mich des Eindrucks net erwehren können, dass das Madel ein bissel traurig ist.«

»Meinst du? Mir ist nix aufgefallen.«

»Du bist ja auch bei Weitem net so einfühlsam wie ich. Empathie nennt man das, Sepp. Hast du das Wort schon einmal gehört? Ein empathischer Mensch kann sich in einen anderen einfühlen. Ich bin ein solcher Mensch. Drum ist mir aufgefallen, dass das Madel irgendwas bedrückt.«

Sepp zuckte mit den Achseln. »Mag schon sein. Jeder von uns hat irgendein Packerl mit sich herumzuschleppen. Warum net auch das Madel. Aber nachdem du so einfühlsam bist, wirst du sicher auch sehr bald wissen, was der Celine zu schaffen macht. Und dann kannst du ja versuchen, ihr Mut zu machen und ihr zu helfen, die Schwermut abzuschütteln.«

»Spott’ du nur, Sepp. Empathie ist eine Gabe, über die net jeder verfügt. Das kann man auch net lernen. Man hat’s, oder man hat’s net. Ich …«, Irma legte die Hand an ihr Herz, »… hab’s. Du …«, jetzt stach ihr Zeigefinger auf Sepp zu, »… hast es net. Drum ist dir auch net aufgefallen, dass das Madel ein bissel traurig schaut.«

»Ja, ja, ist schon gut, Irma. Du hast halt ein großes Herz, Irma. Da kann ich net mithalten.«

»Aber geh’, Sepp, jetzt spiel’ doch net den Beleidigten. Das war doch net ernst gemeint. Ich weiß doch, dass du der gutmütigste und großherzigste Mensch aller Zeiten bist. Und das bissel Einfühlungsvermögen, das dir fehlt, machst du doch damit wett.«

»Jetzt nimmst mich auf den Arm, gell?«

»Das würd’ mir net im Traum einfallen«, lächelte Irma spitzbübisch und hauchte ihm einen schnellen Kuss auf die Wange. »Jetzt muss ich aber zusehen, dass ich alles vorbereit’. In einer halben Stund’ kommen der Birkmüller-Karl und seine Familie zum Essen. Der Karl feiert seinen fünfzigsten Geburtstag.«

»Dann wird er endlich so alt, wie er ausschaut«, brummte Sepp.

»Sehr einfühlsam«, lächelte Irma und schüttelte gleichzeitig den Kopf.

*

Zwei Tage waren vergangen. Irma und Celine werkelten in der Küche des Hotels. Jetzt, am frühen Nachmittag, war die Küche wieder blitzblank und Irma sagte: »So, Madel, jetzt haben wir uns ein Tasserl Kaffee verdient. Sei so gut, und deck’ für uns im Aufenthaltsraum den Tisch. Ich brüh’ derweil den Kaffee auf.«

»Ja, ein Tasserl Kaffee wär’ jetzt gut«, bemerkte Celine. »Wir können ihn aber auch aus dem Automaten …«

»Wir trinken einen anständig gefilterten Kaffee, Madel. Der Kaffee aus dem Automaten ist zwar auch net schlecht, aber wenn ich die Zeit hab’, dann brüh’ ich den Kaffee selber auf. Gegen den selbst gebrühten kommt der Automatenkaffee net an.«

»Das stimmt. Ich hab’ nur gedacht, dass du dir die Arbeit sparen könntest.«

»Das ist doch keine Arbeit, Madel.«

Celine lächelte. »Dann deck’ ich mal.« Sie sagte es und verließ die Küche. Gleich darauf konnte Irma das Klappern von Porzellan vernehmen.

Als sie wenig später mit der Kanne voll Kaffee in den Aufenthaltsraum kam, stand Celine am Fenster und schaute gedankenverloren hinaus in den leeren Biergarten, in dem während der Saison unter den alten Kastanienbäumen Tische und Stühle für Touristen und einheimische Gäste standen.

Irma stellte die Kanne auf den Tisch. Celine hatte sich zu ihr herumgedreht. Sie schien gedanklich aus weiter Ferne zurückzukehren. Langsam kam sie zum Tisch.

Irma schenkte schon die Tassen voll. »Setz dich, Madel. Jetzt machen wir es uns bequem.« Als sie saßen, forschte sie eine ganze Weile in Celines hübschem Gesicht. »Was ist denn los mit dir, Celine?«, fragte sie dann.

»Ich weiß net, was du meinst«, versetzte Celine, ohne Irma anzusehen.

»Erzähl’ mir nix«, sagte die erfahrene Frau. »Dich bedrückt was. Du bist manchmal mit deinen Gedanken ganz woanders.«

Celine ließ den Kopf hängen. Eine Weile schien sie sich nicht entschließen zu können, Irma zu erzählen, was ihr auf der Seele lag. Schließlich aber seufzte sie und murmelte: »Ich bin so gut wie verlobt. Er heißt Florian Weißgerber und ist siebenundzwanzig Jahr’ alt.«

»Das belastet dich?«, fragte Irma ziemlich ratlos.

»Ja. Wir sind seit zwei Jahren zusammen. Aber im Lauf der Zeit hab’ ich feststellen müssen, dass ich den Flori zwar sehr gern mag und er mir ausgesprochen sympathisch ist, dass ich ihn aber net so lieb hab’, wie’s notwendig wär, um mit ihm auf Dauer glücklich zu werden.«

»Puh«, machte Irma, »das ist natürlich ein Problem. Auf der einen Seite, Madel. Auf der anderen ist’s aber auch keins. Schenk’ dem Burschen einfach reinen Wein ein, trenn’ dich von ihm und such dir den Richtigen.«

»Das ist net so einfach«, seufzte Celine. »Der Flori ist gelernter Restaurantfachmann und meinen Eltern gerade recht gekommen. Er ist gewissermaßen ihr Wunschkandidat als Schwiegersohn. Wenn ich denen sag’, dass ich mich vom Flori trenn’, fallen die aus allen Wolken.«

»Aber es geht doch um dein Glück, Madel, und net um das, was deine Eltern wollen.«

»Ich weiß, und ich denk’ mir, notgedrungen würden sie’s auch respektieren. Dennoch wären s’ sicherlich enttäuscht, und darum sträubt sich alles in mir, ihnen die Wahrheit zu gestehen.«

»Du musst in Herzensangelegenheiten in erster Linie auf dich selber schauen, Madel«, erklärte Irma. »Denn es ist dein Leben! Deine Eltern wollen doch gewiss net, dass du unglücklich wirst, oder dass deine Ehe früher oder später in die Brüche geht. Du musst Nägel mit Köpfen machen. Und wenn du irgendwann in nächster Zeit an einem deiner freien Tage heimfährst, dann musst du mit ihnen und auch mit dem Flori Tacheles reden.«

»Mir tut der Flori ja auch leid«, sagte Celine mit dünner Stimme. »Er liebt mich wirklich und würd’ mir glatt die Sterne vom Himmel holen. Leider ist dieser Funke auf mich net übergesprungen.«

»Liebe kann man net erzwingen«, philosophierte Irma. »Mach’ dich frei, Madel, dann kannst du der Zukunft ohne Scheu entgegensehen. Irgendwann kommt der Richtige, und wenn deine Eltern merken, dass du mit ihm glücklich bist, wird er ihnen auch willkommen sein.«

»Ich werd’ wohl irgendwann reinen Tisch machen müssen«, murmelte Celine. »Alles andere wär’ net fair.«

»Das seh’ ich auch so«, pflichtete Irma bei.

Sie tranken ihren Kaffee und sprachen über Belangloses.

Spät am Abend, als Irma und Sepp wieder in ihrer Wohnung waren, erzählte Irma ihm von Celines Problemen. »Ich hab’ der Celine geraten, die Beziehung mit dem Florian Weißgerber zu beenden. So etwas kann man ja im Guten erledigen. Ihre Eltern werden schließlich auch einsehen, dass sie an der Seite eine Mannes, den sie net liebt, auf die Dauer zugrunde gehen würd’.«

»Tja«, machte Sepp, »das mit der Liebe ist halt so eine Sach’. Da kann man nix übers Knie brechen. Du hast dem Madel gut geraten, Irma. Im Übrigen aber ist’s net unsere Angelegenheit, und drum ist’s besser, wenn wir uns raushalten. Wir haben uns net ins Privatleben unserer Angestellten einzumischen.«

»Du hast ja recht, Sepp. Aber ich mag das Madel, und in einem Rat seh’ ich keine Einmischung in ihr Privatleben.«

»Du weißt schon, wie ich’s gemeint hab’«, erwiderte Sepp. »Gegen einen Ratschlag ist sicher nix einzuwenden.«

*

Endlich fand Sebastian die Zeit, mit dem Bundscherer-Xaver zu reden. Max hatte ihm berichtet, dass der Xaver ziemlich wütend auf ihn wäre, weil er gegen den Bau einer Biogasanlage plädiert und sogar Bürgermeister Bruckner auf seine Seite gezogen hatte. Nun drohte die Biogas-Firma, das Vorhaben aufzugeben. Damit wäre der Verkauf des Bundschererhofs an die Gesellschaft gescheitert und Xavers Pläne, sich und seine Frau Maria ins Betreute Wohnen einzukaufen, auch.

Sebastian verabschiedete sich von seiner Haushälterin: »Ich hab’ mir den Nachmittag freigehalten, um mit dem Bundscherer-Xaver zu reden. Sollt’ jemand anrufen, bitten S’ ihn, es noch einmal später zu versuchen. Sollt’s was Wichtiges sein, geben S’ dem Anrufer meine Handynummer.«

Sophie versprach es und wünschte dem Pfarrer eine glückliche Hand im Umgang mit dem verbitterten Xaver.

Sebastian zog sich warm an und nahm die Handschuhe, dann verließ er das Haus. Er hatte sich entschlossen, den Weg zum Bundschererhof zu Fuß zurückzulegen. Er, der passionierte Wanderer und Bergsteiger, nahm jede Gelegenheit wahr, das Auto in der Garage stehen zu lassen.

Um zum Bundschererhof zu gelangen, musste er den Ort durchqueren. Auf den Gehsteigen waren fast keine Menschen zu sehen. Er staunte nicht schlecht, als ihm zwei unbekannte Männer entgegenkamen, die Ski mit sich trugen. Mit dem zweiten Blick stellte der Bergpfarrer fest, dass es sich um Langlaufski handelte. »Grüß Gott«, grüßte Sebastian, als er näher kam. »Skifahrer sehen wir kaum bei uns in St. Johann«, fügte er hinzu. »Darum überrascht es mich, heut’ gleich zweien zu begegnen.«

Es waren junge Männer, etwa Mitte zwanzig. Sie hatten angehalten und erwiderten Sebastians Gruß. »Wir sind heute Vormittag angekommen«, sagte einer der beiden, unter dessen Strickmütze blonde Haare hervorlugten. »Eben weil das Wachnertal kein Wintersportgebiet ist, haben wir es ausgewählt.«

Sebastian reichte ihm die Hand. »Pfarrer Trenker«, stellte er sich vor.

»Trenker«, murmelte der Blonde. »Wir wohnen in der Pension ›Edelweiß‹. Der Inhaber heißt auch Trenker.«

»Das ist mein Cousin Andreas«, erklärte Sebastian und gab auch dem anderen Burschen die Hand.

Der sagte: »Mein Name ist Julian Drexler. Das ist Dominik Schrödl. Wir kommen aus Heilbronn. Es ist so, wie es der Dominik eben schon gesagt hat, Herr Pfarrer. Wir wollen auf den Skiern frei die Gegend erkunden und net kilometerweit eine vorgegebene Loipe befahren. Außerdem mögen wir den Trubel nicht, der in den Skigebieten gang und gäbe ist.«

»Wie gefällt es Ihnen denn bei uns?«, fragte Sebastian lächelnd. Die beiden Burschen waren ihm sympathisch. »Und wie lang’ wollen S’ denn bleiben?«

»Wir haben zwei Wochen gebucht«, antwortete Dominik Schrödl, der Bursche mit den blonden Haaren. »Wie schon gesagt«, fügte er hinzu, »sind wir erst kurz hier. Der erste Augenschein verspricht jedoch eine wunderbare Landschaft. Ich kann mir vorstellen, dass es hier im Sommer ganz besonders schön ist.«

»Das kann ich nur bestätigen«, nickte Sebastian. »Wenn S’ mal keine Lust zum Langlaufen haben, dann schauen S’ sich unsere Kirche an. Sie ist auf jeden Fall sehenswert. Vielleicht will’s der Zufall, dass wir uns noch einmal treffen. Würd’ mich freuen. Jetzt muss ich aber weiter. Ich wünsch’ Ihnen einen schönen Aufenthalt in St. Johann und einen guten Schnee zum Langlaufen. Geben S’ nur acht auf den Steilhängen. Da können S’ leicht eine Lawine auslösen und mit in die Tiefe gerissen werden.«

»Darauf hat uns auch Ihr Cousin hingewiesen«, erwiderte Dominik. »Wir passen schon auf.«

»Na denn«, sagte Sebastian schmunzelnd, »dann bleibt es mir nur, Ihnen Hals- und Beinbruch zu wünschen.«

»Auf Wiedersehen«, kam es wie aus einem Mund von den beiden, dann setzten sie ihren Weg fort.

Sebastian musste fast drei Kilometer marschieren, dann erreichte er den Bundschererhof. Die Haustür war verschlossen und so klingelte er. Gleich darauf hörte er, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte, die Tür wurde aufgezogen und vor ihm stand der alte, hagere Xaver.

Überrascht sah er Sebastian an. »Sie, Herr Pfarrer? Was führt Sie denn zu uns?«

»Ich will mit dir reden, Xaver. Mir ist nämlich zu Ohren gekommen, dass du auf mich zornig bist, weil ich gegen den Bau der Biogasanlage bin.«

»Na ja, irgendwie schon, Herr Pfarrer«, erwiderte Xaver leicht überrumpelt. »Sie wissen ja, warum ich den Hof verkaufen möcht’. Wenn’s nix draus wird, können die Maria und ich net ins Senioren-Domizil. Ich hab’ doch nur den einen Interessenten. Und wenn Sie mir den vergraulen …« Der alte Landwirt brach ab.

»Wir sollten darüber net zwischen Tür und Angel reden, Xaver«, sagte er sanft. »Gehen wir hinein. Ich will dir erklären, warum ich die Biogasanlage hier im Wachnertal verhindern möcht’. Und vielleicht finden wir ja eine Alternative für dich.«

»Na ja, treten S’ näher, Herr Pfarrer.« Xaver ließ Sebastian an sich vorbei. »Geradeaus«, dirigierte er, »die letzte Tür links.«

Sebastian machte sich auf den Weg. Ob es ihm möglich war, den Xaver zu besänftigen, und auch bei seinem Problem zu helfen, stand momentan noch in den Sternen. Er hatte sich aber vorgenommen, nichts unversucht zu lassen.

*

Sebastian ging voraus, Xaver Bundscherer folgte ihm mit schlurfenden Schritten. Nach kurzem Klopfen trat er in das Wohnzimmer.

Auf der Couch saß Maria Bundscherer, und schaute ihn erstaunt an, der Fernseher lief.

»Habe die Ehre, Maria«, grüßte Sebastian, trat vor die Bäuerin hin und reichte ihr die Hand. »Wie geht’s denn allweil so?«

Maria ergriff die dargebotene Hand und erwiderte: »Net so gut, Hochwürden. Das Kreuz, die Hüften … Schauen S’ sich nur um. Alles verkommt, weil ich nimmer kann. Um mich fortzubewegen brauch’ ich einen Stecken oder das Gehwagerl.«

»Setzen S’ sich doch, Herr Pfarrer«, sagte Xaver. Und als sich Sebastian in einen der alten Sessel gesetzt hatte, fügte er hinzu: »Mir geht’s net viel besser. In der Früh’ komm’ ich kaum aus dem Bett raus, weil mich alles schmerzt. Ich brauch’ zwar keinen Rollator, aber schwere Arbeiten kann ich auch kaum noch verrichten.«

»Hast du schon mal dran gedacht, eine Haushaltshilfe zu beschäftigen?«, fragte Sebastian.

Xaver zuckte die Achseln. »Was nützt’s uns, wenn der Haushalt gerichtet wird? Im Stall stehen vierzig Kühe, die müssen versorgt werden. Wer bestellt meine Felder und Äcker, wer geht in den Wald, und wer mäht die Wiesen? Wenn wir den Hof net bewirtschaften haben wir kein Einkommen, außer der kleinen Rente. Und die ist zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Wenn der Pöllinger abspringt, werden die Maria und ich hier draußen vor die Hunde gehen.«

»Und daran gibst du mir die Schuld, Xaver, gell?«

Der Bauer knetete seine verarbeiteten Hände, suchte nach Worten und antwortete schließlich: »Na ja, Herr Pfarrer, Sie sind doch wegen der Biogasanlage auf die Barrikaden gegangen und haben auch den Gemeinderat auf ihre Seite gezogen. Und jetzt hat der Pöllinger gedroht, dass er die Finger von dem Geschäft lassen will. Für die Maria und mich wär’ das eine Katastrophe. Wie ich schon gesagt hab’ …«

»Verkauf’ deinen Hof dem Gregg Powell und verpacht’ dein Land an die Bauern hier«, sagte Sebastian. »Mit dem Geld, das dir der Powell zahlt, kannst du dich ins Senioren-Heim einkaufen.«

Xaver schüttelte eigensinnig den Kopf. »Ich will alles los sein, Herr Pfarrer. Es gibt keine Erben. Wenn wir alles verkaufen, können wir uns mit dem Geld noch ein paar schöne Jahre machen. Die Maria könnt’ in eine Klinik gehen und ihre Hüften richten lassen …«

»Ist sie denn net versichert?«, fragte Sebastian entsetzt.

»Nein. Ich hätt’ die Maria damals privat versichern müssen. So viel Geld haben wir net gehabt.«

»Da hast du am falschen Fleck gespart, Xaver«, sagte der Pfarrer. »Aber das kannst du net mir anlasten. Deine Landwirtschaft hat doch genug abgeworfen, um die Maria freiwillig zu versichern.«

»Ich weiß, ich kenn’ mein Versäumnis. Das wär’ ja alles kein Problem, wenn mir die Biogasgesellschaft den Hof abkaufen würd’. Die Maria und ich hätten bis an unser Lebensende ausgesorgt. Sie, Herr Pfarrer, machen mir das kaputt. Und darum bin ich schon ein bissel sauer auf Sie.«

»Das ist aber net fair, Xaver. Net nur mir gegenüber ist’s unfair, sondern auch den Menschen gegenüber, die hier leben. Ich werd’ dir sagen, warum ich gegen diese Biogasanlage bin. Man würd’ für den Betrieb der Anlage im Wachnertal halt nimmer so viel Getreide und Gemüse anbauen, sondern fast nur noch Mais …«

»Und was wär so schlimm daran?«, unterbrach Xaver.

»Das wär’ eine Form von Artenrückgang. Dadurch, dass es auf Maisfeldern kaum oder keine Kleinlebewesen und kleinere Pflanzen gibt, verschwinden die letzten Tiere und sogar die Vögel bleiben aus, weil sie zu wenig Nahrung finden. Maisfelder sind ökologische Ödnis, Brachland. Und wenn die Bauern durch die Anlage gute Verdienstmöglichkeiten wittern, werden sie bald nur noch Mais anbauen. Die Natur nähm’ großen Schaden, Xaver. Von anderen Risiken ganz zu schweigen.«

»Aber ich muss doch an mich und die Maria denken, Herr Pfarrer.«

»Durch den Maisanbau steigen die Nitratwerte im Grundwasser. Und sollt es zu einem Unfall kommen, was ja net der erste wär’, würden die Giftstoffe unsere Bäche und damit auch den Achsteinsee verseuchen. Dann wär’ auch unsere Trinkwasserversorgung nimmer gesichert.«

Jetzt war Xaver nachdenklich geworden.

»Es gäb’ noch einiges mehr, was gegen die Biogasanlage spricht, Xaver. Aber jetzt kannst du sehen, welche Konsequenzen es für das Wachnertal hätt’, wenn auf deinem Land eine Biogasanlage entsteht. Du hast dein Leben lang deine Nachbarn und all die anderen Leut’, mit denen du gut bekannt warst und die hier noch viele Jahre leben müssen, geachtet und respektiert. Plötzlich würdest du sie Gefahren aussetzen, die in ihrer Tragweite gar net abschätzbar sind. Das Wachnertal – du hast es dein Leben lang geliebt -, würd’ net mehr so sein, wie’s mal war.«

Lange Zeit schwiegen sowohl Xaver als auch Maria.

Plötzlich aber sagte sie: »Wenn ich das alles hör’, Xaver, dann mein’ ich, dass wir sehr egoistisch gedacht haben. Ich glaub’, dass wir das, was die Anlage dem Tal brächt’, tatsächlich net verantworten könnten.«

»Aber es geht doch auch um uns«, stieß Xaver mit weinerlicher Stimme hervor. »Wir schaffen die harte Arbeit net mehr. Und es gibt nur den einen Interessenten. Die sind sogar bereit, den von mir geforderten Preis zu zahlen.« Er griff sich an die Stirn. »Es ist zum Verzweifeln. Ich will doch net schuld sein, wenn das Tal Schaden nimmt. Aber ich kann doch auch net in Kauf nehmen, dass wir beide, du und ich, Maria, hier draußen bis an unser Ende dahinsiechen.«

»Ich versteh’ dich sehr gut, Xaver«, gab Sebastian zu. »Und ich versprech’ dir, dass ich nach einer Lösung such’. Ich will nur net, dass du auf mich wütend bist, weil du meinst, ich mach’ die Biogasanlage aus Spaß an der Freud’ madig. Es gibt schwerwiegende Gründe für mein Veto. Und das wirst du ja wohl net abstreiten.«

»So weit hab’ ich nie gedacht«, gestand Xaver. »Ich hab’ immer geglaubt, eine Biogasanlage wär’ was Gutes. Bio ist doch immer gut, heißt es doch immer. Aber ich weiß jetzt, worum’s Ihnen geht.«

»Ich weiß net, wie’s weitergeht«, gab Sebastian zu verstehen. »Ich vermut’ aber, dass die Biogasgesellschaft abspringt. Wir werden eine Lösung für dein Problem finden, Xaver. Das versprech’ ich dir. Und wenn ihr ins Altersheim oder ins Betreute Wohnen geht, dann will ich, dass du deinen Frieden mit mir wieder gefunden hast.« Sebastian erhob sich.

»Es wär’ ungerecht, dem Herrn Pfarrer die Schuld an unserer Lage zu geben«, sagte Maria. »Und ich denk’ auch, dass sich für uns was anderes ergibt, wenn der Pöllinger uns absagt.«

»Tapfere Worte, Maria«, lobte Sebastian. »Steck ihn ruhig an, mit deiner positiven Einstellung.«

Jetzt stemmte sich auch Xaver ächzend aus seinem Sessel hoch und hielt ihm die Hand hin. »Ich hab’ halt nach einem Sündenbock gesucht, Herr Pfarrer, und hab’ Sie ausgewählt. Das tut mir leid, jetzt, wo S’ mir erklärt haben, was Ihnen wichtig ist.«

»Dann hab’ ich erreicht, was ich erreichen wollt’, als ich mich auf den Weg zu euch gemacht hab’. Ihr werdet eure alten Tage net hier draußen verbringen müssen, Xaver. Das versichere ich dir. Wir finden eine Lösung.«

»Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr Pfarrer.«

Sebastian verabschiedete sich und trat den Heimweg an.

*

Celine war seit vier Tagen in St. Johann. Sie hatte sich gut eingewöhnt, die Arbeit machte ihr Spaß, und die Menschen waren ausgesprochen angenehm und freundlich. Sie fand praktisch keine Zeit lange über ihre Probleme zu grübeln.

Es war der Abend des vierten Tages, als Irma Reisinger fragte: »Na, Celine, wie fühlst du dich bei uns? Kommst du einigermaßen zurecht?«

»Ich fühl’ mich hervorragend«, antwortete Celine. »Es gibt hier nix, was ich als negativ empfinden würd’. Ihr seid alle so nett, der Ort ist bezaubernd, und die Berge rings um das Tal sind noch so ursprünglich, geradezu unberührt, meint man. Es ist anders, als bei uns in Innsbruck. Dort ist fast jeder Hügel für den Wintersport erschlossen, und die Stadt ist fremdenverkehrsmäßig total überlaufen.«

»Es freut mich, wenn’s dir bei uns gefällt«, sagte Irma lächelnd. »Morgen hast du deinen ersten freien Tag. Fährst du heim?«

»Nein. Ich werd’ auf meinen Skiern ein bissel die Gegend erkunden. Das Skilanglaufen ist meine große Leidenschaft. In der Natur kann ich mich total entspannen. Ich freu’ mich schon drauf.«

»Dir ist aber schon klar, dass es hier keine Loipen gibt, Madel«, sagte Irma. »Im Tiefschnee sich selbst einen Weg bahnen zu müssen, ist ziemlich anstrengend.«

»Ich bleib im Tal«, lachte Celine, »ich will ja Langlaufen und net Skitouren gehen.«

»Dann bin ich schon beruhigt«, erklärte Irma. »In den Bergen rund ums Tal ist’s auch net ungefährlich. Der alte Schnee ist gefroren, und der Neuschnee liegt nur lose drauf. Die Gefahr von Lawinen besteht immer. Aber ich glaub’, ich brauch’ dir darüber nix erzählen, Madel. Du bist ja selber ein Kind der Berge.«

»Das bin ich, mit Herz und Seele, Irma.«

»Na, dann wünsch’ ich dir viel Vergnügen, morgen, beim Langlaufen. Nimm’ dir nur eine Brotzeit und was zu trinken mit, denn der Sport ist anstrengend und du wirst froh sein, wenn du was dabei hast, wenn dein Magen rebelliert.«

»Ich werd’ dran denken«, versprach Celine.

»Wie soll’s jetzt mit deinem Fastverlobten weitergehen?«, fragte Irma. Als sie bemerkte, dass sich Celines Miene überschattete, fügte sie sofort hinzu: »Du musst mir darauf net antworten, Madel, wenn du net drüber reden möchtest. Es war dumm von mir …«

»Mach’ dir keine Gedanken, Irma. Ich hab’ drüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich ihn net länger hinhalt’. Sobald ich heimkomm’, red’ ich mit ihm und auch mit meinen Eltern. Ich hoff’ nur, dass ich keinen allzu großen Ärger provozier’.«

Irma Reisinger nickte beipflichtend.

An diesem Abend lag Celine lange wach in ihrem Bett. Irmas Frage hatte ihr Innerstes wieder aufgewühlt. Ihre Entscheidung stand fest, doch da waren auch Zweifel. Am Ende ihrer Überlegungen aber stand immer die Erkenntnis, dass sie Florian nicht liebte. Sie könnte ihm eine gute Freundin sein, aber keine Lebensgefährtin. Was sie für ihn empfand, reichte dafür nicht.

Am folgenden Morgen fühlte sie sich unausgeschlafen. Sie duschte ausgiebig, putzte sich die Zähne, zog sich an und richtete ihre Haare. Beim Frühstück ließ sie sich Zeit. Dann kochte sie Tee, den sie in eine Thermoskanne füllte, und richtete sich einige Wurst- und Käsebrote und verstaute alles in ihrem roten Rucksack.

In der Zwischenzeit war es hell geworden. Celine schaute sich auf ihrem Mobiltelefon den Wetterbericht an und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass ein sonniger, wenn auch kalter Wintertag zu erwarten war. Sie zog ihre Langlaufmontur an, dann verließ sie ihr Zimmer und stieg die Treppe hinunter.

Im Flur begegnete ihr Gitti. »Ah, guten Morgen, Celine«, grüßte die jüngste der Haustöchter freundlich. »Ausgeschlafen?«

»Nein.«

»Was! Hast etwa net schlafen können?«

»Ich bin immer wieder wach geworden.« Celine lachte leise. »Aber die Kälte draußen wird den letzten Rest von Müdigkeit vertreiben.«

»Gib auf dich acht«, riet Gitti. »Und viel Spaß.«

»Danke.«

Celine holte ihre Ski aus dem Keller, verließ das Hotel, legte sich die ›Bretter‹ auf die Schulter und marschierte zum westlichen Ortsrand, hinter den bewaldeten Hügeln erhoben sich einige Zweitausender weit in den blauen Himmel. Die Kälte prickelte auf der Gesichtshaut der jungen Frau. Aber sie fühlte sich frei wie ein Vogel.

Auch der Ort begeisterte sie. Ihr gefielen die im alpenländischen Stil erbauten Häuser zu beiden Seiten der Straße. Sie betrachtete die riesigen Balkone mit den kunstvoll gearbeiteten Brüstungen, die weit vorspringenden Dächer und die bemalten Fensterläden. Die Fassade des einen oder anderen Gebäudes war mit einer Lüftlmalerei versehen.

Celine stellte sich vor, wie es hier aussah, wenn im Sommer an den Balkonen und auf den Fensterbänken in farbiger Vielfalt Geranien, Petunien und Weihrauch blühten. ›Die leben hier im Paradies‹, dachte sie. ›Net nur die Schönheit des Orts und seiner Umgebung macht das aus, sondern die Ruhe, die über allem liegt. Worte wie Stress und Hektik kennt man hier wahrscheinlich gar net.‹

Sie dachte nicht an zu Hause; weder an ihre Eltern, noch an Florian Weißgerber. Innsbruck war in weite Ferne gerückt.

Am Ortsrand schnallte sie sich die Ski an die Füße, dann fuhr sie los. So weit das Auge reichte, lagen Äcker, Felder und Wiesen unter einer unberührten, weißen Schneedecke. Nachdem vor kurzer Zeit einige Tage Tauwetter eingesetzt hatte und dann die Temperaturen wieder unter den Gefrierpunkt gesunken waren, war die untere Schneedecke gefroren. Auf dem Harsch, der verhinderte, dass Celine mit den Skiern einsank, lag nun eine zehn Zentimeter hohe Schicht Neuschnee.

So fand Celine fand die allerbesten Voraussetzungen für ihren Sport vor. Sie kam schnell vorwärts. Die Berge im Westen rückten näher. Celine stutzte, als sie vor sich im Schnee etwas ausmachte, das wie eine Spur aussah, die ein anderer Langläufer gezogen hatte. Sie verlief quer zu der Richtung, in die sie sich bewegte.

Tatsächlich war es eine Spur, die von Skiern stammte. Zu beiden Seiten waren die Abdrücke von Skistöcken im Schnee zu erkennen. Sie verrieten Celine, dass hier zwei Langläufer hintereinander gefahren waren, der hintere also in der Spur des vorderen.

Celine bog ab und folgte der Spur. Sie wusste selbst nicht zu sagen, warum sie das machte. Vielleicht war es die Neugier, zu erfahren, wer außer ihr noch hier draußen unterwegs war. Vielleicht suchte sie, ohne von einem bewussten Willen geleitet zu werden, Gesellschaft bei ihrem Sport.

Der Gelände stieg leicht an, es kostete Celine aber keine Mühe, ihren Vorgängern in der Spur nachzufolgen. Nun erreichte sie den Kamm des Hügels und blieb stehen. Vor ihren Skispitzen fiel das Gelände ab; im Gegensatz zu dem leichten Anstieg, den Celine hinter sich hatte, sogar ziemlich steil. Der Hang lief in einer weitläufigen Ebene aus, die bis zu den Bergen reichte. Mitten auf dieser Fläche bewegten sich die beiden Skifahrer, deren Spur Celine gefolgt war.

Sie waren zu weit entfernt, als dass Celine Einzelheiten erkennen hätte können. Sie konnte nicht einmal feststellen, ob es Männer oder Frauen waren. Sollte sie ihnen folgen? Ja oder nein. Sie entschied sich für ja und fegte in Schussfahrt den Abhang hinunter. In der Ebene angekommen begann sie zu spurten.

*

Es handelte sich um Julian Drexler und Dominik Schrödl, die Celine von der Kuppe des Hügels aus gesehen hatte. Sie liefen auf ihren Skiern durch den frischen Schnee auf einen Waldrand zu. Das Duo war seit dem Morgen unterwegs und hatte eine Reihe von Kilometern hinter sich gebracht. Obwohl es kalt war schwitzten die Burschen in den gefütterten Anzügen.

Jetzt ging es auf Mittag zu und sie beschlossen, am Waldrand eine Pause einzulegen. Sie hatten Hunger und waren durstig, außerdem wollten sie eine halbe Stunde ausruhen. Obwohl sie ziemlich sportlich waren, hatte ihnen der Vormittag auf den Skiern einiges abverlangt.

Beim Waldrand angelangt schnallten sie die Skier ab, rammten die Stöcke in den Schnee, schwangen die Rücksäcke vom Rücken und gingen damit zu einem Felsen, der kniehoch aus dem Schnee ragte und beiden Platz zum Sitzen bot. Zunächst einmal mussten sie ihn jedoch vom Schnee befreien.

Julian und Dominik hatten sich ihrer Handschuhe entledigt und öffneten nun ihre Rücksäcke, nahmen jeweils einen Packen Brote sowie die Thermoskanne mit Tee heraus und machten sich daran, die Brote auszupacken. Plötzlich stieß Julian hervor: »Träume ich, oder kommt da tatsächlich ein Skifahrer auf unserer Spur?«

Dominik schaute in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und sah ebenfalls den Langläufer, der auf seinen Skiern elegant über die Ebene heran glitt. »Sieht aus, als wär’s ein Kind, vielleicht ein Halbwüchsiger«, murmelte er.

Schließlich kam der Langläufer näher. »Das ist eine junge Frau«, stieß er hervor.

»In der Tat«, bestätigte Julian die Beobachtung seines Freundes. »Und eine hübsche noch dazu.«

Als Celine heran war, standen die beiden Burschen auf und gingen ein paar Schritte auf sie zu. Jeder hielt einen dampfenden Becher mit Tee in der einen Hand, ein belegtes Brot in der anderen.

»Grüaß Euch!«, grüßte Celine und öffnete die Bindungen der Skier.

»Grüß Gott«, antworteten Julian und Dominik. Und Julian fügte hinzu: »Wer hätte das gedacht …«

Celine hatte sich der Skier und Stöcke entledigt, kam auf sie zu und nahm dabei ihren Rucksack ab. »Was? Dass noch ein Dritter in diesem Gebiet auf Skiern unterwegs ist?«

»Genau das hab’ ich gemeint«, grinste Julian, während Dominik die junge Frau schweigend musterte. »Ist das nicht leichtsinnig, solche Touren alleine zu machen? Wo kommen Sie denn her?«

Celine hatte ihren Rucksack auf den Felsen gestellt und öffnete ihn nun. »Aus St. Johann«, antwortete sie. »Ich mach’ dort im Hotel ein Praktikum und hab’ heut’ meinen freien Tag. Ihr beide seid aus dem Württembergischen, gell? Ich erkenn’ das an eurem Tonfall.« Sie lachte amüsiert. »Schaffe, schaffe, Häusle baue«, sagte sie dann. »Zwei waschechte Schwaben.«

»Heilbronn«, versetzte Julian. »Wir wohnen in der Pension ›Edelweiß‹. Ich heiße Julian Drexler, das ist mein Freund Dominik Schrödl. Haben Sie auch einen Namen?«

»Natürlich. Celine – Celine Fiedler. Ich komm’ von Innsbruck herauf. Meine Eltern betreiben dort unten ein Restaurant. Ich soll bei ihnen als Köchin einsteigen, und irgendwann einmal soll ich den Laden übernehmen.«

»Setzen S’ sich zu uns«, lud Dominik sie ein. »Wir wollten uns gerade ein wenig stärken. Julian und ich werden hinterher noch ein paar Kilometer machen. Wenn Sie möchten, können Sie sich uns anschließen.«

»Das tu’ ich sehr gern’«, erklärte Celine. Sie holte den Stapel eingepackter Brote aus dem Rucksack, und nahm sich eines der belegten Brote. »Wie sind S’ denn auf St. Johann gekommen? Hier gibt’s doch keine Loipen.«

Julian antwortete, dass sie St. Johann extra ausgewählt hatten, weil sie den Rummel in den Wintersportgebieten meiden wollten. Er biss von seinem Brot und kaute.

Dominik saß kauend neben ihm.

»Da geht’s euch genauso wie mir«, sagte Celine. »Ich bin auch net scharf auf Remmidemmi. Ich bin lieber allein in einer schönen, ruhigen Umgebung. Wenn’s auch anstrengender ist, sich die Spur selber zu bahnen. Ich möcht’ das hier …«, sie vollführte eine umfassende Armbewegung, »… net gegen die bestangelegteste Loipe der Welt eintauschen.«

»Wir sind ebenso begeistert«, erklärte Julian und der Blick, mit dem er die hübsche Celine bedachte, ließ diese leicht erröten. Er brachte unübersehbar zum Ausdruck, dass Julian sehr, sehr gut gefiel, was seine Augen sahen.

Verlegen begann Celine in ihrem Rucksack zu kramen. »Ich hab’ gedacht, ich hätt’ ein Packerl Taschentücher dabei«, murmelte sie.

Julian hatte schon ein Päckchen aus seinem Rucksack geholt und reichte es ihr. »Gehört zur Ausrüstung«, grinste er und versuchte, einen Blick von ihr zu erhaschen. Seine braunen Augen funkelten unternehmungslustig.

Celine nahm das Päckchen Papiertücher und zupfte eines heraus. Als sie Julian die Packung zurückgeben wollte, winkte er ab. »Behalten Sie sie, Celine. Ich darf doch Celine sagen? Wenn wir schon gemeinsam eine Skitour machen, macht es den Umgang miteinander leichter.«

»Natürlich«, erwiderte Celine. »Und vielen Dank für die Tücher.« Sie verstaute das Päckchen in ihrem Rucksack.

Schließlich hatten sie gegessen und getrunken, verstauten den Rest ihrer Brotzeiten in den Rucksäcken, zogen die Handschuhe an und stiegen wieder auf die Bretter.

»Fährst du wieder voraus, Dominik?«, fragte Julian.

Dominik Schrödl nickte.

»Dann bilde ich den Schluss«, bestimmte Julian. »Sie fahren in der Mitte, Celine. Ist das für Sie okay?«

Sie schaute den blonden Dominik an. Er schien recht wortkarg zu sein, um nicht zu sagen, zurückhaltend. Jetzt strahlte sie ihn an und sagte: »Ihr Freund hat ihnen die wenig dankbare Aufgabe zugeteilt, für uns die Spur zu bereiten. Es ist der mühsamste Part, den Sie da übernehmen.«

»Ich hab’ kein Problem damit«, erklärte Dominik ernst.

»Der Dominik spielt doch gern den Leithammel«, gab Julian grinsend zu verstehen. »Er braucht die Herausforderung.« Er versuchte Celines Blick zu bannen, aber die schenkte ihm nur flüchtig Beachtung und schaute wieder Dominik an.

»Im Sport geh’ ich auch gern an meine Grenzen. Ich fahr’ im Sommer sehr viel Rad. Wenn’s die Arbeit zulässt, bin ich damit in der Gegend unterwegs. Ich bin sogar schon die Zillertaler Höhenstraße hinaufgefahren.«

»Donnerwetter!«, lobte Julian. »Da geht es ja höllisch steil hinauf.« Er schnitt ein Gesicht, das ausdrücken sollte, wie beeindruckt er war. »Ich seh’ es schon«, rief er dann, »wir haben sehr viele Gemeinsamkeiten. Ich bin Mountainbiker.«

»Über Stock und Stein - das ist net so meins«, versetzte Celine, und wieder suchte ihr Blick Dominik. »Machst du auch Radsport?«

»Ja. Der Julian und ich fahren meistens miteinander. Wir sind zwar Mountainbiker, aber keine Extremsportler. Wir fahren halt auf Rad- oder Waldwegen. Wie all die anderen Freizeitradler auch.«

Julians Lächeln lag, nachdem sie ihn zum dritten Mal nur einen flüchtigen Blick geschenkt hatte, wie eingefroren um seinen Mund. »Fahren wir endlich los«, drängte er plötzlich, als gefiele es ihm nicht, dass Celine seinem Freund mehr Aufmerksamkeit schenkte als ihm.

»Fertig?«, fragte Dominik an Celine gewandt.

»Ja.« Sie nickte und ihre Blicke versanken für einen Moment ineinander.

Julian bemerkte es und biss die Zähne zusammen. Seine Brauen hatten sich zusammengeschoben. Er fühlte sich missachtet.

Dominik fuhr los, Celine folgte, den Schluss bildete Julian.

Es ging am Waldrand entlang, und als der Wald endete, fuhren sie wieder querfeldein über ebenes Terrain, dann wandten sie sich nach Norden und stiegen schließlich auf einen flachen Hügel, um ihn auf der anderen Seite in Schussfahrt hinunterzurauschen.

Sie waren drei geübte Langläufer, verfügten über eine sehr gute Kondition, und hatten ihren Spaß.

Als die Sonne unterging, erreichten sie den Ortsrand von St. Johann. Sie schulterten die Ski und marschierten in den Ort hinein. Beim Hotel verabschiedeten sich Julian und Dominik von Celine. Während die beiden ihren Weg zur Pension ›Edelweiß‹ fortsetzten, trug Celine ihre Ski in den Keller. Sie zog in dem geheizten Raum auch die Skistiefel aus, denn sie hatte am Morgen schon ein Paar Hausschuhe bereitgestellt.

Als sie später unter der Dusche stand, dachte sie an – Dominik. Der blondhaarige Bursche mit den blauen Augen, die so offen in die Welt blickten, gefiel ihr.

*

Als sie später nach unten kam, um zu Abend zu essen, fragte Irma: »Na, wie war’s? Du schaust so richtig frisch aus. Die gute Luft hier im Wachnertal ist dir anscheinend sehr gut bekommen, Madel.«

»Stimmt. Es war ein herrlicher Tag. Das Tal ist wunderschön. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Diese unberührte Bergwelt …« Celine war regelrecht ins Schwärmen geraten. Ihre Augen blitzten.

»Dass das Tal seine Ursprünglichkeit bewahrt, dafür sorgt schon unser Pfarrer«, erzählte Irma. »Er hat schon so manchen Unsinn verhindert. Und ich bin mir sicher, dass sich hier auch nix verändert, so lang er aktiv ist. Auch die Firma aus Innsbruck, die in unserer Gemeinde eine Biogasanlage errichten wollte, ist schon fast abgeschreckt. In dem Fall ist es unserem Bergpfarrer sogar gelungen, den Bürgermeister, samt Gemeinderat, auf seine Seite zu ziehen. Jetzt muss man halt abwarten, wie sich die Sach’ weiterentwickelt.«

»Gegen Mittag bin ich sogar auf zwei andere Langläufer gestoßen«, wechselte Celine das Thema. »Zwei Burschen, Schwaben, aus Heilbronn.« Sie lächelte versonnen. »Wir sind den ganzen Nachmittag zu dritt gefahren. Sie wohnen in der Pension ›Edelweiß‹.«

»Die betreibt der Cousin unseres Pfarrers«, erklärte Irma.

»Der Julian und der Dominik sind insgesamt zwei Wochen zum Skifahren nach St. Johann gekommen«, erzählte Celine. »Ihnen ist der Rummel in den Wintersportgebieten zuwider. Die beiden sind recht nett.«

»Wenn dir das Skifahren so viel Spaß macht, dann kannst du ruhig an den Nachmittagen während der Zeit, in der wir noch keine Gäste haben, zwei – drei Stunden deiner Leidenschaft frönen, Madel«, gab Irma zu verstehen. »Du musst net im Hotel herumsitzen und Daumen drehen. In der Saison werden sicher eine Menge Überstunden anfallen. Die kannst du jetzt schon abfeiern.«

»Oh, danke, das ist sehr nett, Irma«, freute sich Celine. »Kann ich jetzt irgendwie helfen? Es werden sicherlich doch wieder einige Leut’ zum Abendessen erscheinen.«

»Du hast heut’ deinen freien Tag«, erklärte Irma. »Mit den paar Gästen werden die Heidi und ich schon fertig.«

Celine aß in der Gaststube eine Kleinigkeit und kehrte dann auf ihr Zimmer zurück, schaltete den Fernsehapparat ein und legte sich aufs Bett.

Als das Zimmertelefon klingelte, zuckte sie zusammen. Sollte ihr Einsatz unten doch notwendig geworden sein? Sie nahm ab.

Es war Heidi, die lachend sagte: »Hallo, Celine. Bei mir in der Gaststube sitzen zwei nette Herren, die fragen lassen, ob du ihnen net ein bissel Gesellschaft leisten möchtest.«

Celine verspürte ein Kribbeln in der Magengegend. »Ah«, machte sie, »der Dominik und der Julian, meine zwei Langlaufgefährten von heut’ Nachmittag. Sei so gut und sag’ den beiden, dass ich gleich runterkomm’.«

»Damit bereit’ ich ihnen sicher eine große Freude«, versetzte Heidi.

Celine legte den Hörer auf, ging ins Bad, richtete ihre langen, blonden Haare, und nach einem letzten, prüfenden Blick in den Spiegel verließ sie ihr Zimmer.

Von Julian kam ein aufgekratztes ›Hallo!‹, als sie die Gaststube betrat, und er grinste sie an.

Dominik lächelte freundlich und nickte ihr zu.

Celine zeigte sich vollkommen unbefangen, obgleich sie spürte, dass ihr Herz höher schlug. »Grüaß euch«, sagte sie. »Ich hab’ euch wohl den Mund wässrig gemacht, als ich erzähl hab’, dass hier im Hotel erstklassiges Essen geboten wird.«

»Wir sind nicht nur wegen des Essens gekommen«, versetzte Julian und funkelte Celine mit seinen dunklen Augen an. »Aber bitte, setzen Sie sich doch zu uns.«

»Danke.« Celine ließ sich nieder, fühlte Dominiks Blick auf sich gerichtet und lächelte ihn an. »Seid ihr denn net müd’?«, fragte sie. »Wenn man den ganzen Tag auf den Skiern steht, kann das schon ganz schön schlauchen.«

»Nicht, wenn man über eine gute Kondition verfügt«, erwiderte Julian. »Sie sehen es ja an sich selber.«

Heidi kam zum Tisch. »Was möchtest du denn gern trinken, Celine?«, erkundigte sie sich.

Vor jedem der beiden Männer stand ein Bier. Celine sagte: »Bring’ mir bitte ein kleines Mineralwasser, Heidi. Auf was Alkoholisches werd’ ich nur müde.«

»Sie sind natürlich unser Gast, Celine«, gab Julian zu verstehen.

Dominik nickte nur beipflichtend.

Nachdem Heidi das Wasser vor Celine hingestellt und sich wieder entfernt hatte, sagte Julian: »Wir würden Sie auf unsere nächste Tour gern wieder mitnehmen, Celine. Hätten Sie Lust, uns zu begleiten?«

»Das ist net so einfach«, meinte Celine. »Ich arbeit’ nämlich hier im Hotel. Aber das hab’ ich euch ja schon erzählt.«

»Aber im Moment ist doch nix los hier«, mischte sich nun Dominik ein. »Da sitzen Sie doch nur herum und schlagen den Tag tot.«

Amüsiert lachte Celine auf. »Ganz so ist’s auch wieder net. Wir haben Mittag- und Abendessengäste. Und ich bin ja net hier, um den Hotelbetrieb zu erlernen, sondern weil ich ins Restaurant meiner Eltern einsteigen werd’. Es ist das Kochen, bei dem ich der Irma auf die Finger schau’.

»Aber ein paar Stunden werden Sie sich doch mal freinehmen können«, meldete sich Julian wieder zu Wort und schaute Celine mit einem geradezu verzehrenden Blick an.

Bei Celine löste dieser durchdringende Blick Verlegenheit aus. Sie spürte, wie sehr er sie begehrte. Hatte er sich in sie verliebt, war es eine Art Liebe auf den ersten Blick, oder tatsächlich nur das reine Begehren?

Sie spürte nicht nur Verlegenheit, sondern auch Unbehagen, und so war sie bemüht, seinem Blick auszuweichen. Er war ihr zwar nicht unsympathisch, aber er war auch nicht der, in den sie sich verlieben hätte können. Dieses Mehr an Gefühl, das den Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe ausmachte, fehlte.

Unwillkürlich schaute sie Dominik an, und in seinen blauen Augen las sie etwas, das beruhigend und Vertrauen einflößend war. Dominik war zwar ein sehr zurückhaltender Mann, der nicht leicht zu durchschauen war, der aber Ruhe ausstrahlte. Auf ihn konnte man sich gewiss verlassen.

Bei ihm verspürte Celine etwas, das sie nicht einmal bei Florian Weißgerber gefühlt hatte, ein Gefühl, das sie nicht zu benennen wagte.

»Das ist sicher zu machen«, ging Celine auf Julians letzte Worte ein. Sie schaute Dominik an. »Ich brauch’ nur eine Handynummer. Wenn ich nachmittags frei bekomm’, ruf’ ich auch an.«

Julian wollte schon ansetzen, um seine Telefonnummer zu nennen, doch jetzt war Dominik schneller. »Ich schreib’ sie auf, Celine. Einen Moment. Die Bedienung hat sicher einen Zettel und etwas zum Schreiben.«

Er erhob sich nach dem letzten Wort und ging zu Heidi hin, die hinter der Theke stand und ihm lächelnd entgegenblickte. Natürlich hatte sie einen Block und einen Kugelschreiber.

Dominik notierte seine Handynummer, bedankte sich und kehrte zum Tisch zurück. »Bitte«, sagte er, als er Celine das schmale Blatt Papier reichte.

»Vielen Dank.« Celine nahm den Zettel und diktierte Dominik ihre Handynummer, die der Bursche sofort in sein Smartphone tippte.

Julian beobachtete alles mit erstarrten Zügen. Er merkte mit untrüglichem Instinkt, dass sich zwischen seinem Freund und der schönen Celine etwas anbahnte. Ihm begegnete Celine zwar freundlich, aber zurückhaltend. Es war enttäuschend. Denn er war vom ersten Moment an Feuer und Flamme gewesen, nachdem sie draußen am Waldrand zu ihm und Dominik gestoßen war. Jetzt begann die Flamme zu erkalten, denn er merkte, dass sie nicht auf ihn, sondern auf Nick stand. Und das ärgerte ihn. Er begann es schon zu bereuen, dass er den Vorschlag gemacht hatte, Celine im Hotel zu besuchen, um mit ihr den Abend zu verbringen. Da war er noch zuversichtlich gewesen …

›Eigentlich hättest du es wissen müssen‹, sagte er sich. ›Sie hat schon den ganzen Nachmittag über kaum Notiz von dir genommen, sondern nur Augen für Dominik gehabt.‹

Er fühlte sich, obwohl er nur ein Jahr älter war, Dominik gegenüber wie ein großer Bruder. Und als solcher glaubte er auch Vorrechte – vor allem bei den Frauen -, zu besitzen. Bisher war immer er es gewesen, der die Mädels mit seiner Art und seinen losen Sprüchen bestochen hatte. Der weniger wortgewandte und sich nie in den Vordergrund spielende Dominik hatte immer die zweite Geige gespielt.

Dieses Mal schien es, dass er, Julian, den Kürzeren ziehen würde. Das nagte in ihm und ließ keine frohe Stimmung mehr in ihm aufkommen.

Er ließ es sich nicht anmerken, sondern beteiligte sich so ungezwungen wie möglich an den Gesprächen. Als er und Dominik sich zwei Stunden später von Celine verabschiedeten, war sein Händedruck kurz und lasch. Ihm war klar, dass er keine Chance bei ihr hatte und zog daraus seine Konsequenzen.

*

Als Celine am Morgen in der Küche mit Irma zusammentraf, lächelte die Hoteliersgattin verschwörerisch und fragte: »Das waren ja zwei recht fesche Burschen gestern Abend. Ich nehm’ an, es waren die zwei, mit denen du nachmittags auf der Piste warst.«

Celine nickte. »Das waren Dominik und Julian.«

»Ich weiß. Du hast mir ihre Namen gestern schon verraten. Welcher ist denn der Dominik, und welcher der Julian?«

»Der Dominik ist der mit den blonden Haaren.«

»Deine Augen leuchten regelrecht, wenn du von ihm sprichst«, erklärte Irma und lächelte dazu vielsagend.

Celine errötete. »Er ist sehr nett, der Dominik, wenn auch recht zurückhaltend, vielleicht sogar schüchtern.«

»Und der Julian?«

»Der …« Celine schob die Unterlippe etwas vor und schien nach Worten zu suchen. »Der Julian ist ziemlich direkt. Ich glaub, der hält sich für unwiderstehlich.«

»Und das behagt dir net, gell? Dominik ist dir sympathischer.«

Celine nickte. »Er hat eine angenehme Art an sich; weder anmaßend noch aufdringlich. Allerdings kann man nur sehr schwer hinter seine Fassade blicken. Man müsst’ ihn näher kennenlernen, dann ging’ er vielleicht auch mehr aus sich heraus.«

»Du hast dich doch net etwa in den Burschen verschaut, Madel?«

»Ich weiß net. Er gefällt mir und wenn er noch ein wenig auftaut, denk’ ich, kann man mit ihm Pferde stehlen. Ja, ich mag ihn sehr gern, und ich freu’ mich schon, wenn ich ihn wiederseh’. Er hat mir seine Handynummer gegeben. Falls ich mir nachmittags mal ein paar Stunden freinehmen kann, soll ich ihn anrufen. Denn fahren er, sein Freund und ich wieder gemeinsam Ski.« Ein Schatten schien über ihr ebenmäßiges Gesicht zu huschen.

Irma entging es nicht. »Jetzt denkst du daran, dass du gebunden bist, net wahr?«

»Ja. Und das bevorstehende Gespräch mit Florian raubt mir auch den Schlaf. Das gleiche gilt für die Auseinandersetzung mit meinen Eltern.«

»Die werden einsehen, dass du dich net an einen Mann binden kannst, an dessen Seite du unglücklich sein wirst.«

»Ich fürcht’ mich dennoch vor dem Gespräch. Der Papa und die Mama werden enttäuscht sein, und das versetzt mir einen Stich, wenn ich nur dran denk’.«

»Du musst sie einfach davon überzeugen, dass der Florian net der Richtige für dich ist. Dass er der Richtige für euer Restaurant wär’, darf dich in deiner Entscheidung net beeinflussen, Madel. Du willst doch glücklich werden. Und das wirst du nur mit einem Mann, den du liebst.«

»Es wird sich net vermeiden lassen, dass ich die Konsequenzen zieh’«, murmelte Celine.

»Du bist doch kein ängstliches oder verschüchtertes Wesen, Madel, du besitzt doch Courage und Selbstbewusstsein. Also gib dir einen Ruck und mach’ Klarschiff. Du wirst sehen, du wirst dich wie von einer schweren Last befreit fühlen. So, jetzt überlass’ ich dir die Küche. Ich geh’ zum Herrnbacher und erledige einige Besorgungen.«

Vor dem kleinen Supermarkt fand sie einen Parkplatz, in den sie den Kleinwagen rangierte. Sie stieg aus, verschloss den Polo und wandte sich dem Geschäft zu. In dem Moment kam Sophie Tappert heraus. »Grüaß di, Sophie«, rief Irma.

Sophie kam sofort näher. »Grüaß Gott, Irma«, grüßte sie. »Wie geht’s denn allweil so? Sind alle wohlauf? Noch zwei Monate, dann werden wieder die ersten Touristen bei euch anklopfen.«

»Wird auch Zeit«, antwortete Irma. »Aber das ist jedes Jahr das gleiche. – Ja, wir erfreuen uns alle bester Gesundheit, was ich von dir auch hoff’.«

»Ich hab’ gehört, dass seit ein paar Tagen ein Madel aus Innsbruck bei euch ein Praktikum macht«, sagte Sophie.

»Celine, heißt sie, ihre Eltern betreiben in Innsbruck ein Restaurant, und da soll sie mal als Chefköchin einsteigen. Sie hat ihre Lehre absolviert, und ich soll ihr den letzten Schliff verleihen.« Irma lächelte. »Außerdem muss ich ihr als Seelentröster beistehen.«

»Wieso das denn?«, fragte Sophie. Sie wechselte ihren prallgefüllten Leinenbeutel in die andere Hand. Plastiktüten zu nehmen weigerte sie sich.

»Das Madel ist net glücklich«, seufzte Irma. »Mir hat die Celine ihr Herz ausgeschüttet. Sie ist mit einem Mann so gut wie verlobt, den sie zwar gern mag, den sie aber net liebt. Ihren Eltern wär’ er allerdings sehr willkommen, weil er gelernter Restaurantfachmann ist.«

»Wenn s’ ihn net liebt, warum ist sie dann mit ihm liiert?«, fragte Sophie etwas befremdet.

»Weil s’ am Anfang der Meinung war, es wär’ Liebe. Aber nach und nach ist ihr klar geworden, dass es dem net so ist. Und jetzt hat s’ ein Problem, aus der Nummer wieder herauszukommen. Die Celine scheut sich, reinen Tisch zu machen. Und sie hat Angst, dass ihre Eltern arg enttäuscht sein könnten.«

»Das ist sicher net einfach für das Madel«, meinte Sophie mitfühlend.

»Gestern hat s’ beim Skifahren zwei junge Burschen getroffen, die ebenfalls mit ihren Skiern unterwegs waren. Die zwei sind am Abend ins Hotel gekommen und haben ziemlich lang mit der Celine zusammengesessen. In den einen der beiden hat sie sich, wenn mich net alles täuscht, verliebt. Wenn’s so ist, würd’ das für sie alles nur noch schwerer machen.«

»Die jungen Leut’ machen sich das Leben oft selber schwer«, philosophierte Sophie. »Sie stürzten sich meist viel zu schnell in irgendwelche Abenteuer. Irgendwann werden ihnen die Augen geöffnet und sie erkennen, dass alles nur ein Strohfeuer war. Und dann kommt der große Katzenjammer.«

»Die Celine ist eigentlich ein Mensch, der schon abwägt, ehe er etwas in Angriff nimmt«, verteidigte Irma ihre Praktikantin. »Aber auch der Vorsichtigste kann sich mal täuschen.«

»Natürlich, Irma«, stimmte Sophie zu. »Ich hab’ das ganz allgemein gemeint und net auf diese Celine bezogen. Jeder kann sich irren. Gerade in Sachen Liebe sind die jungen Leut’ oft blind und taub. Man erlebt’s ja immer wieder. Jetzt muss ich aber weiter. Mittags kommt der Max zum Essen, und ich weiß noch net mal genau, was ich den beiden Trenkers kochen soll.«

»Dir fällt schon was ein, Sophie«, versetzte Irma schmunzelnd. »Wenn ich den Max so schwärmen hör’, dann werd’ ich neidisch und frag’ mich, warum man dir noch keinen Stern verliehen hat.«

Sophie lachte. »Auf diesem Gebiet neigt der Max halt sehr zur Übertreibung.«

»Der weiß schon, von was er redet«, erwiderte Irma lachend. »Also dann, servus.«

»Servus. Grüße an Sepp und deine Madeln.«

»Danke, richt’ ich aus.«

Sophie machte sich auf den Heimweg. Im Pfarrhaus traf sie auf Sebastian. »Ich hab’ die Reisinger-Irma getroffen«, erzählte sie. »Bei ihr ist zurzeit eine Praktikantin aus Innsbruck. Die Irma soll dem Madel den letzten Schliff als Köchin verpassen, damit’s im Restaurant seiner Eltern als Chefköchin einsteigen kann.«

»So. Wie lang’ bleibt denn das Madel in St. Johann?«

»Das hab’ ich net gefragt. Ich denk’ aber, schon eine Weile, zumindest bis in die Saison hinein. Im Moment wird’s nämlich kaum viel lernen können, nachdem der ›Löwe‹ kaum Gäste hat.«

»Dann werd’ ich die junge Frau sicher irgendwann auch kennenlernen«, sagte Sebastian Trenker.

»Sie heißt Celine. Die Irma hat mir erzählt, dass die Celine einen Freund hat, den sie net liebt. Scheint eine recht verzwickte Sach’ zu sein. Ihre Eltern wollen den Burschen nämlich als Schwiegersohn, weil er vom Fach ist. Gestern hat die Celine beim Skifahren zwei junge Männer aus Heilbronn getroffen, und die Irma meint, dass sie sich in einen von ihnen verliebt hat. Na ja, oft kommt die Liebe des Lebens erst nach dem Fehler des Lebens.«

»Den beiden Burschen bin ich begegnet, als ich auf dem Weg zum Bundschererhof war. Ich glaub’, die beiden sind net verkehrt.«

»Das hat die Irma auch gesagt«, erklärte Sophie. »Ganz sicher ist sie sich ja auch gar net, dass sich die Celine in einen der beiden verliebt hat. Sie vermutet’s nur ganz stark.«

»Das Madel ist jung«, versetzte Sebastian. »Die beiden Burschen, mit denen’s Ski fährt, werden bald wieder nach Haus’ zurückkehren. Solche Urlaubsflirts enden, sobald sich die jungen Leut’ aus den Augen verlieren. Das Madel wird schon noch den Richtigen finden.«

»Jeder Topf findet irgendwann seinen Deckel«, murmelte Sophie und begab sich in die Küche.

Sebastian kehrte in sein Büro zurück.

*

»Du warst, als wir gestern Abend vom Hotel aus nach Hause gegangen sind, ausgesprochen wortkarg«, warf Dominik Schrödl seinem Freund Julian vor. Sie saßen beim Frühstück, hatten allerdings schon gegessen und wollten nur noch ihren Kaffee austrinken. »Und auch heut’ bist du recht komisch. Was ist denn los? Ich hab’ dir doch nix getan. Oder doch?«

»Es ist nix!«, brummte Julian unwirsch und vermied es, seinen Freund anzuschauen. »Kein Mensch kann ständig gut gelaunt sein.«

»Ich kenne dich, und ich merke es, wenn dir eine Laus über die Leber gelaufen ist. Also, sag’, was ist passiert? Als wir gestern Abend zum Hotel gegangen sind, warst du ja auch noch guter Stimmung. Das hat sich erst im Laufe des Abends geändert. Und jetzt bist du sauer. Sag’ mir, was los ist, damit ich mich darauf einstellen kann.« Dominik hatte mit Nachdruck gesprochen und Julian dabei ernst ins Gesicht geschaut.

»Na schön, wenn du es unbedingt wissen willst«, stieß Julian mit leicht aggressivem Tonfall hervor. »Ich hab’ mich in die Celine verknallt.«

Einen Moment lang biss Dominik die Zähne zusammen. Dann fragte er mit belegter Stimme: »Und das macht dich so übellaunig?«

»Sie beachtet mich kaum. Und dabei hab’ ich mir immer wieder Mühe gegeben, ihre Aufmerksamkeit zu erringen. Sie aber hat nur Augen für dich gehabt.«

»Das bildest du dir ein.«

»Nein. Ich habe doch Augen im Kopf. Sie hat mich ignoriert.«

»Aber die Celine hat mit dir doch ganz normal geredet. Ich hab’ nichts davon bemerkt, dass sie zu dir auf Distanz gegangen wäre.«

»Ja, sie hat mit mir geredet, aber dich dabei angeschaut. Du bist ihr Favorit.«

»Selbst, wenn es so wäre«, sagte Dominik. »Das ist doch kein Grund, dass du sauer auf mich bist.«

»Ich bin nicht sauer auf dich, ich bin lediglich schlecht gelaunt. Es muss dir doch aufgefallen sein, dass sie sich fast ausschließlich für dich interessiert hat. Du warst ja auch ganz fix dabei, als sie um eine Telefonnummer gebeten hat, um mit uns Verbindung aufnehmen zu können.«

»Ich habe mir nichts dabei gedacht …«

»Halt mich bloß nicht für dümmer, als ich vielleicht ausschau’«, blaffte Julian.

»Na ja …« Dominik druckste herum und fand wohl nicht die richtigen Worte, um zu sagen, was ihm auf der Zunge lag.

»Sei ehrlich: Du hast dich ebenso in die Celine verliebt wie ich«, sagte Julian. »Mir sind die Blicke nicht entgangen, die du mit ihr gewechselt hast.«

»Wenn jemand mit mir spricht, dann schau’ ich ihn an. Das verlangt der Anstand. Das hat doch nichts mit verliebten Blicken oder flirten zu tun.«

»Egal.« Julians Hand fuhr mit einer wegwerfenden Geste durch die Luft. »Mir ist klar, dass ich bei der Celine keinen Zug machen kann, und darum werde ich auch keinen Versuch mehr starten.«

»Ich kenne dich nimmer, Julian«, murmelte Dominik. »Frauen, die dir die kalte Schulter gezeigt haben, waren bisher doch immer eine Herausforderung für dich? Seit wann gibst du so schnell auf?«

»Weil wir gar nicht die Zeit haben, uns groß reinzuhängen. Wir wollen Skifahren, und es liegt mir fern, einem Phantom hinterher zu jagen, wenn ich weiß, dass ich es in der kurzen Zeit nicht erwischen kann.«

»Für ein Abenteuer wäre die Celine auch viel zu schade«, gab Dominik zu bedenken.

»Nun, ans Heiraten denke ich ganz bestimmt nicht bei einer Urlaubsbekanntschaft. Daran, mich fest zu binden, habe ich überhaupt noch keinen Gedanken verschwendet. Eine Weile möcht’ ich mich schon noch frei ausleben.«

»Wenn das deine Einstellung ist«, versetzte Dominik, »dann ist das eben so. Meine Einstellung ist eine andere. Aber das weißt du ja.«

»Unsere verschiedenen Anschauungen sind sicher auch der Grund für unsere gute Freundschaft, Dominik. Gegensätze ziehen sich an, sagt man.«

»Wenn du dich damit abgefunden hast, dass du bei der Celine auf Granit beißt, dann kannst du ja auch deine schlechte Laune wieder ablegen«, gab Dominik zu verstehen.

»Schon geschehen.« Jetzt grinste Julian wieder. Seine Übellaunigkeit schien tatsächlich verflogen zu sein. Er war eben ein Mensch, der sich über Rückschläge, die das Schicksal für ihn parat hielt, schnell hinwegsetzte; ein Beweis dafür, dass er im Grunde ein recht sorgloser Zeitgenosse war.

So schien es zumindest im Moment.

Nachdem sie ihren Kaffee getrunken hatten, gingen sich auf ihre Zimmer, zogen die Skianzüge an und schnappten sich ihre Rucksäcke, und schon bald sah man sie, jeder seine Skier auf der Schulter, in Richtung Ortsende marschieren, als hätte es nie was gegeben.

*