Echo einer Winternacht - Val McDermid - E-Book
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Echo einer Winternacht E-Book

Val McDermid

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Beschreibung

Der erste Cold Case für DCI Karen Pirie: ein psychologisch ausgefeilter und atmosphärisch dichter Krimi von Bestseller-Autorin Val McDermid Eine eisige Winternacht im schottischen Universitätsstädtchen St. Andrews, 1978: Im dichten Schneetreiben wollen vier Studenten auf dem Heimweg von ihrer Stammkneipe eine Abkürzung nehmen – und stolpern auf dem alten keltischen Friedhof über die blutüberströmte Leiche der Kellnerin Rosie Duff. Obwohl ihnen die Polizei nichts nachweisen kann, geraten Alex Gilbey und seine Freunde unter Mordverdacht, der Fall bleibt ungelöst. 25 Jahre später ist die junge Polizistin Karen Pirie für Cold Cases zuständig und rollt den Fall Rosie Duff wieder auf. Zeitgleich kommen kurz hintereinander zwei der vier Verdächtigen von damals auf mysteriöse Weise ums Leben. Alex Gilbey glaubt nicht an einen Zufall – er muss schnellstens herausfinden, wer es auf die Freunde abgesehen hat, bevor er selbst das nächste Opfer wird ... Die schottische Bestseller-Autorin Val McDermid beweist auch mit »Echo einer Winternacht«, dass sie »eine Meisterin ihres Fachs ist« (NDR). Wie in den anderen Bänden der Krimi-Reihe mit Karen Pirie wird ein Verbrechen in der Gegenwart mit einem Cold Case verknüpft, der weit in die Vergangenheit zurückweist. »Ein packendes und intelligentes Krimi-Drama rund um die Themen Freundschaft, Schuld und Moral.« SPIEGEL SPEZIAL Die Krimi-Reihe mit DCI Karen Pirie ist in folgender Reihenfolge erschienen: • Echo einer Winternacht • Nacht unter Tag • Der lange Atem der Vergangenheit • Der Sinn des Todes • Das Grab im Moor

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Seitenzahl: 777

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Val McDermid

Echo einer Winternacht

Ein Fall für Karen Pirie

Aus dem Englischen von Doris Styron

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

WidmungMottoPrologTeil I1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. KapitelTeil II19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. Kapitel43. Kapitel44. Kapitel45. Kapitel46. KapitelDanksagungLeseprobe »Ein Bild der Niedertracht«
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Für die, die davonkamen;und für die anderen,besonders den Thursday Club,die diese Flucht möglich machten.

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»Ich beschreibe mein Land,als schriebe ich für Fremde.«

 

Deacon Blue, »Orphans«,Text von Ricky Ross

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Prolog

November 2003, St. Andrews, Schottland

Er war im Morgengrauen immer gern auf dem Friedhof gewesen. Nicht weil der Tagesanbruch einen neuen Anfang versprach, sondern weil es für andere Besucher noch zu früh war. Sogar mitten im Winter, wenn das schwache Licht erst spät heraufdämmerte, konnte er sich darauf verlassen, allein zu sein. Ohne neugierige Blicke, die wissen wollten, wer er war und warum er mit geneigtem Kopf vor einem bestimmten Grab stand. Keine wissbegierigen Spaziergänger, die sein Recht hier zu sein anzweifelten.

Er hatte einen langen, mühsamen Weg zurückgelegt, bevor er sein Ziel erreichte. Aber bei der Beschaffung von Informationen war er sehr geschickt. Manche würden sagen, sogar richtig besessen. Er selbst sprach lieber von Ausdauer. Er hatte gelernt, offizielle und inoffizielle Quellen zu durchforsten, um dann nach Monaten schließlich die Antworten zu finden, die er suchte. Waren sie auch nicht zufriedenstellend, so hatten sie ihm wenigstens diesen Hinweis verschafft. Für manche bedeutete ein Grab das Ende. Nicht für ihn – er sah darin einen Anfang. Sozusagen.

Er war sich immer im Klaren gewesen, dass das allein nicht genügen würde. Also hatte er gewartet und auf ein Zeichen gehofft, das ihm den weiteren Weg zeigte. Und endlich war es so weit. Als die Färbung des Himmels nicht mehr der Außenseite einer Muschel, sondern der Innenseite ihrer Schale glich, griff er in die Tasche und zog einen Zeitungsausschnitt des Lokalblatts heraus.

POLIZEI VON FIFE ROLLT ALTE KRIMINALFÄLLE WIEDER AUF

Die Polizei gab diese Woche bekannt, dass alte Mordfälle in Fife, die bis zu dreißig Jahre zurückliegen, noch einmal gründlich untersucht werden sollen.

Chief Constable Sam Haig teilte mit, dass auf Grund neuer Arbeitsweisen der Gerichtsmedizin lange ruhende Fälle mit einiger Hoffnung auf Erfolg jetzt wieder aufgenommen werden könnten. Alte Beweisstücke, die Jahrzehnte in den Archiven der Polizei schlummerten, würden jetzt nach modernen Methoden wie z.B. der DNA-Analyse noch einmal untersucht, um zu sehen, ob man zu neuen Ergebnissen kommt.

Assistant Chief Constable James Lawson, der stellvertretende Chef der Kriminalpolizei, wird die Ermittlungen leiten. Er sagte dem Courier: »Mordfälle sind nie abgeschlossen. Wir schulden es den Opfern und ihren Familien, die Arbeit fortzusetzen.

Es ist vorgekommen, dass damals eine Person unter starkem Verdacht stand, wir aber nicht genug Beweismaterial hatten, um sie definitiv zu belasten. Aber mit den neuesten Methoden der Gerichtsmedizin könnte ein einziges Haar, ein Blutfleck oder ein Tropfen Sperma genügen, um eine Verurteilung zu erreichen. Es hat in England in letzter Zeit mehrere Beispiele dafür gegeben, dass Fälle nach zwanzig oder mehr Jahren noch mit Erfolg zu Ende gebracht wurden.

Eine Gruppe erfahrener Ermittler wird die Aufklärung dieser Fälle zu ihrer vorrangigen Aufgabe machen.«

ACC Lawson wollte nicht bekannt geben, welche Fälle ganz oben auf der Liste stehen.

Aber bestimmt dürfte der tragische Tod eines hiesigen jungen Mädchens, Rosie Duff, dazugehören.

Die Neunzehnjährige aus Strathkinness wurde vor fast 25 Jahren vergewaltigt, erstochen und tödlich verletzt liegen gelassen. Kein Verdächtiger wurde jemals wegen ihrer brutalen Ermordung verhaftet.

Ihr Bruder Brian, 46, der mit seiner Familie noch in Caberfeidh Cottage lebt und in der Papierfabrik von Guardbridge arbeitet, sagte gestern Abend: »Wir haben die Hoffnung, dass Rosies Mörder eines Tages seine gerechte Strafe bekommen wird, nie aufgegeben. Es gab damals Verdächtige, aber die Polizei konnte nicht genug Beweise finden, um sie zu überführen.

Es ist traurig, dass meine Eltern gestorben sind, ohne zu wissen, wer diese schreckliche Tat an Rosie verübt hat. Aber vielleicht bekommen wir jetzt die Antwort, die sie damals verdient gehabt hätten.«

Er konnte den Artikel auswendig und betrachtete ihn trotzdem immer wieder gern. Es war ein Talisman, der ihn daran erinnerte, dass sein Leben jetzt ein Ziel hatte. So lange hatte er nach jemandem gesucht, dem er die Schuld geben konnte, und kaum noch auf Vergeltung zu hoffen gewagt. Aber endlich konnte er vielleicht tatsächlich Rache nehmen.

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Teil I

   

1

1978, St. Andrews, Schottland

Es war vier Uhr morgens, mitten im Dezember. Vier verschwommene Schatten schwankten im Schneesturm, den der Nordostwind nach Lust und Laune vom Ural her über die Nordsee trieb. Stolpernd folgten die acht Füße der jungen Männer, die sich selbst die »Laddies fi’ Kirkcaldy« nannten, dem ihnen vertrauten Pfad. Sie hatten die Abkürzung über Hallow Hill gewählt, um zum Fife Park zu kommen, dem modernsten der zur Universität St. Andrews gehörenden Wohnheime, wo ihre permanent ungemachten Betten mit zerwühlten Laken und auf den Boden hängenden Decken auf sie warteten.

Das Gespräch ging um Dinge, die ihnen genauso vertraut waren wie der Weg. »Ich sag dir, Bowie ist der King«, nuschelte Sigmund Malkiewicz laut, und sein sonst meist unbewegtes Gesicht war nach den vielen Drinks entspannter. Ein paar Schritte hinter ihm zerrte Alex Gilbey die Kapuze seines Parkas enger ums Gesicht und kicherte in sich hinein, denn im Stillen kannte er die Antwort schon genau.

»Quatsch«, sagte David Kerr. »Bowie ist doch eine Flasche. Pink Floyd, die können Bowie jederzeit zeigen, wo’s langgeht. Dark Side of the Moon, das ist Spitzenklasse. Bowie hat nichts fertig gekriegt, was da rankommt.« Seine langen dunklen, von den schmelzenden Schneeflocken feuchten Locken hingen schwer herunter, und er strich sie sich ungeduldig aus dem Gesicht, das so traurig wie das eines verlassenen Kindes aussah.

Und wieder legten sie los. Wie Hexenmeister, die sich mit Zaubersprüchen bekriegen, warfen Sigmund und Davey einander Songtitel, Textzeilen und Fetzen von Melodien in einem Streitritual zu, das sich schon über die letzten sechs oder sieben Jahre erstreckte. Es war ihnen egal, dass die Musik, bei der heute die Fenster ihrer Studentenbuden klirrten, eher von The Clash, The Jam oder The Skids kam. Selbst ihre Spitznamen zeugten noch von ihrer früheren Leidenschaft. Vom ersten Nachmittag an, an dem sie sich nach der Schule in Alex’ Zimmer versammelt hatten, um sich sein frisch erworbenes Album Ziggy Stardust and the Spiders from Mars anzuhören, war es unvermeidlich gewesen, dass der charismatische Sigmund, der ausgestoßene Messias, für alle Zeiten Ziggy heißen würde. Und die anderen würden sich mit den Spiders zufrieden geben müssen. Alex nannte man Gilly, obwohl er sich gegen diesen läppischen Namen wehrte, der für jemanden mit dem stämmigen Körperbau eines Rugbyspielers nicht passte. Aber über seinen Familiennamen, den er nun mal zufällig hatte, ließ sich kaum streiten. Und keiner zweifelte auch nur einen Moment daran, dass für das vierte Mitglied ihrer Gruppe nur Weird – der komische Kauz – in Frage kam. Denn seltsam war dieser Tom Mackie, daran ließ sich nicht deuteln. Als der Größte seines Jahrgangs sah er mit seinen langen, schlaksigen Gliedern absonderlich aus, was zu seiner Persönlichkeit passte, denn er hatte eine Vorliebe fürs Ausgefallene.

Dann blieb nur noch Davey übrig, ein treuer Pink-Floyd-Anhänger, der sich hartnäckig weigerte, einen Spitznamen aus dem Bowie-Spektrum anzunehmen. Eine Weile hatte er sich widerstrebend Pink nennen lassen, aber als sie zum ersten Mal »Shine on, You Crazy Diamond« hörten, gab es keine weitere Diskussion mehr. Davey war eben einfach der Crazy Diamond, er sprühte unerwartet Feuer in alle Richtungen, war aber außerhalb seiner gewohnten Umgebung gereizt und empfindlich. Aus Diamond wurde bald Mondo, und der Name Mondo Davey Kerr blieb ihm für den Rest des Schuljahres und bis zur Universität erhalten.

Alex schüttelte verwundert den Kopf. Obwohl er nach viel zu viel Bier benebelt war, fragte er sich, was ihre Viererbande all diese Jahre zusammengehalten hatte. Schon beim Gedanken daran stieg eine Wärme in ihm auf, die der heftigen Kälte entgegenwirkte, als er plötzlich über eine hoch stehende Wurzel stolperte, die unter der weichen Schneedecke verborgen lag. »Scheiße«, murmelte er und rempelte Weird an, der ihm einen gutmütigen Schubs gab, so dass Alex strauchelnd nach vorn schoss. Er versuchte mit den Armen fuchtelnd das Gleichgewicht zu halten, ließ sich dann vom Schwung weiter torkelnd den Hang hinauftragen, wobei der kalte Schnee auf seinen geröteten Wangen ihn wach machte. Als er die Kuppe erreichte, sanken seine Beine plötzlich in eine unerwartete Mulde, und er fiel kopfüber hinein.

Aber sein Sturz wurde von etwas Weichem gebremst. Alex versuchte verzweifelt sich aufzusetzen und drückte gegen das, worauf er gefallen war. Er spuckte den Schnee aus, rieb sich mit kribbelnden Fingern die Augen und schnaufte durch die Nase, um die eiskalten schmelzenden Flocken loszuwerden. Als er sich umsah, was ihn so weich hatte fallen lassen, erschienen gerade die Köpfe seiner Kameraden am Abhang, die über seine absurde Lage grinsten.

Selbst in dem unheimlichen, schwachen Licht auf dem Schnee konnte er erkennen, dass das Hindernis, das seinen Sturz gebremst hatte, nichts Pflanzliches war. Der Umriss eines menschlichen Körpers war unverkennbar. Die schweren weißen Flocken begannen zu schmelzen, sobald sie auftrafen, und so konnte Alexander sehen, dass es eine Frau war, deren nasse dunkle Haarsträhnen sich auf dem Schnee wie die Locken der Medusa ausbreiteten. Ihr Rock war bis zur Taille hochgeschoben, ihre schwarzen, bis zu den Knien reichenden Stiefel sahen deshalb an den weißen Beinen umso unpassender aus. Er sah merkwürdige dunkle Flecken auf ihrer Haut, und die helle Bluse klebte eng an ihrer Brust. Alex starrte eine Weile darauf, ohne etwas zu begreifen, dann betrachtete er seine Hände und sah dieselben dunklen Flecken auf seiner eigenen Haut.

Blut. In dem Augenblick, als der Schnee in seinen Ohren schmolz und er ihr schwaches röchelndes Atmen hörte, kam ihm die Erkenntnis.

»Guter Gott«, stotterte Alex und versuchte vor dem entsetzlichen Fund zurückzuweichen. Aber er stieß immer wieder an etwas, das sich wie eine niedrige Steinmauer anfühlte, als er rückwärts kriechen wollte. »Mein Gott.« Er sah verzweifelt hoch, als könne der Anblick seiner Freunde den Bann brechen und all dies verschwinden lassen. Dann schaute er auf das entsetzliche Bild im Schnee zurück. Es war nicht die Halluzination eines Betrunkenen. Es war Realität. Er wandte sich an seine Freunde. »Hier oben liegt ein Mädchen«, rief er.

Weird Mackies Stimme kam gespenstisch zurück. »Du Glückspilz.«

»Nein, mach keinen Quatsch, sie blutet.«

Weirds Gelächter klang laut durch die Nacht. »Also doch kein Glück, Gilly.«

Alex spürte eine plötzliche Wut in sich aufsteigen. »Ich mach keinen Spaß, verdammt noch mal. Kommt hier rauf. Ziggy, komm her, Mensch.«

Jetzt hörten sie, wie ernst Alex’ Stimme klang. Ziggy wie immer voran, stapften sie durch den Schnee zur Kuppe des Hügels. Ziggy lief mit Schwung den Hang hoch, Weird stürzte der Länge nach in Alex’ Richtung hin, und Mondo kam als Letzter und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen.

Nach seinem Sturz landete Weird Hals über Kopf auf Alex, wodurch sie beide auf die Frau fielen. Dann warfen sie sich herum und versuchten freizukommen, wobei Weird albern kicherte. »Hey, Gilly, so nah bist du ja noch nie an ’ne Frau rangekommen.«

»Du hast zu viel Stoff intus«, sagte Ziggy zornig, zog ihn zurück, kauerte neben der Frau und fühlte am Hals ihren Puls. Es war noch ein Klopfen zu spüren, aber erschreckend schwach. Die Angst machte ihn augenblicklich nüchtern, als ihm klar wurde, was er da in dem trüben Licht sah. Er war nur Medizinstudent und hatte noch kein Examen, aber er konnte eine lebensbedrohliche Verletzung einschätzen, wenn er sie vor sich hatte.

Weird hockte sich auf die Fersen zurück und runzelte die Stirn. »He, Mann, weißt du, wo wir hier sind?« Niemand beachtete ihn, aber er sprach trotzdem weiter. »Das hier ist der piktische Friedhof. Diese Buckel im Schnee, wie kleine Mauern, sind Steine, die sie als Grabeinfassungen benutzten. Mensch, Alex hat eine Leiche auf dem Friedhof gefunden.« Und er begann zu kichern, was hier, wo alle Geräusche vom Schnee gedämpft wurden, unheimlich klang.

»Weird, halt verdammt noch mal die Klappe.« Ziggy fuhr mit den Händen weiter über den Leib der Frau, und seine tastenden Finger spürten dabei eine beängstigend tiefe Wunde. Er legte den Kopf zur Seite, um sie besser sehen zu können. »Mondo, hast du dein Feuerzeug?«

Mondo trat zögernd heran und zog sein Zippo heraus, ließ das Rädchen schnippen und kam mit dem schwachen Lichtschein auf Armeslänge an den Körper der Frau und ihr Gesicht heran. Er hielt sich die freie Hand vor den Mund, konnte aber sein Stöhnen nicht unterdrücken. Seine blauen Augen waren vor Entsetzen aufgerissen, und die Flamme zitterte in seiner Hand.

Ziggy zog scharf die Luft ein, seine Gesichtszüge wirkten in dem flackernden Licht unheimlich. »Scheiße«, stöhnte er. »Es ist Rosie von der Lammas Bar.«

Alex konnte sich nicht vorstellen, dass er sich jemals schlimmer fühlen könnte. Ziggys Worte waren wie ein Stich in sein Herz. Mit einem leisen Ächzen wandte er sich ab und erbrach Bier, Pommes und Knoblauchtoast in den Schnee.

»Wir müssen Hilfe holen«, sagte Ziggy entschieden. »Sie lebt noch, aber sie wird nicht lange in diesem Zustand bleiben. Weird, Mondo – zieht eure Mäntel aus.« Während er sprach, streifte er seine eigene Schaffelljacke ab und legte sie vorsichtig um Rosies Schultern. »Gilly, du bist der Schnellste. Geh und hol Hilfe. Geh zu einem Telefon. Weck jemanden auf, wenn’s sein muss. Aber hol jemand her, ja? Alex?«

Völlig benommen kam Alex auf die Beine, rannte den Hügel wieder hinunter, dass seine Stiefel den Schnee aufwirbelten, und versuchte zugleich, den Halt nicht zu verlieren. Er trat aus der Baumgruppe in den Schein der Straßenlaternen, die die neueste Sackgasse eines in den letzten Jahren entstandenen Wohngebiets beleuchteten. Auf dem schnellsten Weg dorthin zurück, wo sie hergekommen waren, das war am besten.

Alex lief mit gesenktem Kopf mitten auf der Straße, rutschte hin und wieder aus und versuchte das Bild dessen loszuwerden, was er gerade vor sich gesehen hatte. Aber das war genauso unmöglich, wie im Pulverschnee gleichmäßig und zügig voranzukommen. Wie konnte diese erschütternde Gestalt zwischen den piktischen Gräbern Rosie von der Lammas Bar sein? Heute Abend waren sie gerade dort gewesen, hatten gut gelaunt und lärmend im warmen gelben Licht der Bar gesessen, ein Glas Tennent nach dem anderen getrunken und noch einmal die Freiheit des Studentenlebens genossen, bevor sie dreißig Meilen weiter in die steifen Zwänge weihnachtlicher Familienfeiern zurückkehren mussten.

Er hatte selbst mit Rosie gesprochen und mit ihr in der ungeschickten Art Einundzwanzigjähriger geflirtet, die nicht sicher sind, ob sie noch dumme Jungs oder schon Männer von Welt sind. Er hatte sie – und das nicht zum ersten Mal – gefragt, wann sie mit der Arbeit fertig wäre, und hatte ihr sogar gesagt, zu wessen Party sie dann gehen wollten. Er hatte die Adresse auf die Rückseite eines Bierdeckels gekritzelt und ihn ihr über den feuchten Tresen hingeschoben. Sie hatte ihn mit einem mitleidigen Lächeln an sich genommen. Er hatte den Verdacht, dass er direkt im Abfalleimer gelandet war. Was sollte auch eine Frau wie Rosie mit einem grünen Jungen wie ihm anfangen? Bei ihrem Aussehen und ihrer Figur konnte sie sich die Männer aussuchen und sich jemanden nehmen, mit dem sie Spaß haben konnte, nicht aber einen armen Studenten, der mühsam mit seinem Stipendium auskommen musste, bis er seinen Ferienjob antrat und Supermarktregale einräumte.

Wie konnte es nur Rosie sein, die da blutend im Schnee des Hallow Hill lag? Ziggy musste sich getäuscht haben, sagte sich Alex immer wieder und bog dann links auf die Hauptstraße ab. Es konnte jedem passieren, sich beim flackernden Schein von Mondos Zippo zu täuschen. Und Ziggy hatte ja nie besonders auf die dunkelhaarige Bedienung an der Bar geachtet. Das hatte er Alex und Mondo überlassen. Es musste irgendein armes Mädchen sein, das Rosie ähnlich sah. So war es bestimmt, beruhigte er sich. Ein Irrtum, bestimmt war es einfach ein Irrtum.

Alex zögerte einen Moment, holte Luft und fragte sich, in welche Richtung er laufen sollte. Es gab viele Häuser in der Nähe, aber in keinem war noch Licht. Selbst wenn er jemanden wecken konnte, bezweifelte er, dass man mitten im Schneesturm einem verschwitzten jungen Mann mit einer Bierfahne die Tür öffnen würde.

Dann fiel ihm etwas ein. Um diese Zeit stand nachts immer ein Polizeiauto am Haupteingang des Botanischen Gartens, nur eine Viertelmeile von hier entfernt. Sie hatten es oft genug gesehen, wenn sie frühmorgens nach Hause wankten, und den prüfenden Blick des Polizisten in dem Wagen wohl bemerkt, während sie versuchten, möglichst nüchtern zu erscheinen. Weird ließ sich bei dem Anblick immer zu einer seiner Tiraden über Korruption und Arbeitsscheu der Polizei hinreißen. »Sie sollten lieber die richtigen Gangster da draußen jagen und die grauen Männer in Nadelstreifen schnappen, die uns beklauen, statt mit einer Thermoskanne Tee und einer Tüte Kekse die ganze Nacht hier zu hocken und darauf zu hoffen, dass sie irgendeinen Besoffenen erwischen, der in eine Hecke pisst, oder einen Trottel, der zu schnell nach Hause fährt. Faule Kerle.« Vielleicht würde heute Nacht Weirds Wunsch zum Teil in Erfüllung gehen. Denn es sah so aus, als würde der faule Kerl in der grünen Minna mehr zu tun bekommen, als er erwartet hatte.

Alex wandte sich in Richtung Canongate und begann wieder zu laufen, der frische Schnee knirschte unter seinen Stiefeln. Als er Seitenstechen bekam, sein Laufen zu einem unregelmäßigen Humpeln und Hüpfen wurde und er nach Luft schnappen musste, wünschte er, er hätte sein Rugbytraining nicht aufgegeben. Nur noch ein paar Dutzend Meter, sagte er sich. Jetzt, wo Rosies Leben vielleicht davon abhing, wie schnell er rannte, durfte er nicht schlappmachen. Der Schnee fiel inzwischen noch dichter, so dass er kaum weiter als zwei Meter sehen konnte, wenn er nach vorn spähte.

Er sah das Polizeiauto erst, als er fast schon davor stand. Während sein schweißbedeckter Körper gerade dabei war, sich erleichtert zu entspannen, umklammerte schon wieder die Angst sein Herz. Vom Schock und der Erschöpfung ernüchtert, wurde Alex klar, dass er keinerlei Ähnlichkeit mit der Sorte ehrenwerter Bürger hatte, die normalerweise ein Verbrechen meldete. Er war zerzaust und verschwitzt, blutbefleckt und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Irgendwie musste es ihm gelingen, den Polizisten, der schon halb aus seinem Streifenwagen gestiegen war, zu überzeugen, dass er sich das alles nicht einbildete und es sich auch nicht um irgendeinen Streich handelte. Einen halben Meter vor dem Wagen kam er zum Stehen, wartete, bis der Fahrer ausgestiegen war, und bemühte sich, möglichst wenig bedrohlich auszusehen.

Der Beamte setzte seine Mütze auf dem kurzen dunklen Haar zurecht und schaute Alex argwöhnisch von der Seite an. Trotz seines dicken Uniformanoraks sah Alex, wie angespannt seine Körperhaltung war. »Was gibt’s, Junior?«, fragte er. Obwohl er ihn so herablassend ansprach, wirkte er kaum älter als Alex selbst und strahlte ein Unbehagen aus, das gar nicht zu seiner Uniform passte.

Alex versuchte wieder zu Atem zu kommen, schaffte es aber nicht. »Am Hallow Hill liegt ein Mädchen«, platzte er heraus. »Sie ist überfallen worden. Sie blutet ziemlich stark und braucht Hilfe.«

Der Polizist kniff gegen den Schnee die Augen zusammen und runzelte die Stirn. »Sie ist überfallen worden, sagen Sie. Woher wissen Sie das?«

»Sie ist überall blutig. Und …« Alex unterbrach sich, um nachzudenken. »Und sie ist für das Wetter nicht richtig angezogen. Sie hat keinen Mantel an. Hören Sie, können Sie einen Krankenwagen und einen Arzt holen, oder so? Mann, sie ist wirklich schwer verletzt.«

»Und Sie haben sie ganz zufällig mitten im Schneesturm gefunden, was? Haben Sie vielleicht etwas zu viel getrunken?« Die Worte klangen überheblich, aber die Stimme verriet Angst.

Alex konnte sich vorstellen, dass so etwas in dem stillen Vorort von St. Andrews nicht oft mitten in der Nacht vorkam. Irgendwie musste er jedoch diesen Trottel davon überzeugen, dass es ihm ernst war. »Natürlich hab ich etwas getrunken«, sagte er und konnte seine Frustration nicht mehr bezähmen. »Warum sollte ich sonst zu dieser Zeit hier draußen sein? Also, ich habe mit meinen Freunden eine Abkürzung zum Studentenheim genommen, und wir haben dabei allerhand Quatsch gemacht, ich bin bis oben auf den Hügel vorausgerannt, dann gestolpert und direkt auf sie gefallen.« Seine Stimme wurde laut und eindringlich. »Bitte. Sie müssen helfen. Sie könnte da draußen sterben.«

Der Polizist sah ihn prüfend an, es kam Alex wie mehrere Minuten vor, dann stieg er in den Wagen, begann ein unverständliches Gespräch auf seinem Funkgerät und streckte schließlich den Kopf heraus. »Steigen Sie ein. Wir fahren zum Trinity Place hoch. Aber ich hoffe, dass Sie nicht nur herumalbern, Junior«, sagte er grimmig.

Der Wagen schlitterte mit den für dieses Wetter ungeeigneten Reifen die Straße hoch. Die wenigen Autos, die davor auf der Straße gefahren waren, hatten Spuren hinterlassen, die jetzt nur noch als schwache Eindrücke auf der glatten weißen Oberfläche zu sehen waren, ein Beweis dafür, wie heftig es schneite. Der Polizist fluchte leise, als das Auto in der Kurve fast an einem Laternenpfahl gelandet wäre. Am Ende des Trinity Place wandte er sich an Alex. »Also, dann zeigen Sie mir mal, wo sie liegt.«

Alex lief los und folgte dabei seinen eigenen, schnell im Schnee verschwindenden Spuren. Mehrmals schaute er sich um, ob der Polizist noch hinter ihm war. Einmal brauchten seine Augen ein paar Momente, um sich auf die tiefere Dunkelheit einzustellen, als das Licht der Straßenbeleuchtung von den Bäumen verdeckt wurde, und er fiel fast der Länge nach hin. Der Schnee ließ die Landschaft in einem eigenen, seltsamen Licht erscheinen, das die dichten Büsche größer und den Weg zu einem schmaleren Band als sonst werden ließ. »Hier lang«, sagte Alex und bog nach links ab. Ein kurzer Blick über die Schulter bestätigte ihm, dass sein Begleiter direkt hinter ihm war.

Aber der Polizist zögerte. »Sind Sie sicher, dass Sie keine Drogen genommen haben, Junior?«, sagte er misstrauisch.

»Kommen Sie«, drängte Alex, als die dunklen Schatten über ihm sichtbar wurden. Ohne zu warten, ob der Polizist ihm folgte, eilte Alex den Hang hinauf. Er war fast dort, als der junge Beamte ihn überholte und unvermittelt ein paar Schritte vor der kleinen Gruppe stehen blieb.

Ziggy kauerte noch neben der Frau, sein Hemd war von Schnee und Schweiß durchnässt und klebte an seinem dünnen Oberkörper. Weird und Mondo standen hinter ihm, hatten die Arme verschränkt, die Hände unter die Achseln gesteckt und die Köpfe zwischen die Schultern gezogen. So versuchten sie zwar nur, sich ohne ihre Mäntel warm zu halten, boten aber dadurch einen eher ungünstigen und arrogant wirkenden Anblick.

»Was ist denn hier los, Jungs?«, fragte der Polizist und versuchte, aggressiv zu klingen, um gegenüber ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit seine Autorität zu behaupten.

Ziggy richtete sich mühsam auf und strich sich die nassen Haare aus den Augen. »Sie kommen zu spät. Sie ist tot.«

2

Nichts in den einundzwanzig Jahren seines Lebens hatte Alex auf eine Vernehmung durch die Polizei mitten in der Nacht vorbereitet. Bei Krimis im Fernsehen oder im Kino sah das immer so planmäßig aus. Aber tatsächlich war die mangelnde Organisation bei der ganzen Sache irgendwie nervenaufreibender, als es jede militärisch präzise Aktion hätte sein können. Die vier waren als aufgeregter chaotischer Haufen auf der Wache angekommen. Man hatte sie schnell den Abhang hinuntergetrieben, und im Blaulicht der Streifen- und Krankenwagen schien dann niemand genau zu wissen, was man mit ihnen vorhatte.

Sie standen fröstelnd eine Weile, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkam, unter einer Straßenlaterne und wurden dort von dem Polizisten, den Alex geholt hatte, und einem seiner Kollegen, einem grauhaarigen, missmutigen Mann mit hängenden Schultern, mit finsteren Blicken beobachtet. Keiner der Beamten sprach mit den vier jungen Männern, obwohl sie sie keinen Augenblick aus den Augen ließen.

Schließlich kam ein entnervt aussehender Mann in einem zwei Nummern zu großen Mantel und mit Schuhen, deren dünne, glatte Sohlen für das Gelände völlig ungeeignet waren, zu ihnen herüber. »Lawson, Mackenzie, nehmt diese Jungs mit auf die Wache und haltet sie dort getrennt. Wir sind bald unten, um mit ihnen zu reden.« Dann drehte er sich um und stolperte wieder in Richtung des schrecklichen Fundorts davon, der jetzt hinter Zeltbahnen verschwunden war, durch die gespenstisches grünes Licht auf den Schnee fiel.

Der jüngere Polizeibeamte warf seinem Kollegen einen besorgten Blick zu. »Wie kriegen wir sie denn zur Wache?«

Er zuckte die Schultern. »Du wirst sie in deinen Streifenwagen quetschen müssen. Ich bin im Sherpa Van heraufgekommen.«

»Können wir sie nicht damit runterbringen? Dann könntest du sie im Auge behalten, während ich am Steuer sitze.«

Der ältere Mann schüttelte den Kopf und schob die Lippen vor. »Wenn du meinst, Lawson.« Er wies auf die vier Studenten. »Los, steigt ein. Und treibt keinen Unfug, klar?« Er führte sie zum Polizeiwagen und rief Lawson über die Schulter zu: »Lass dir von Tam Watt die Schlüssel geben.«

Lawson machte sich auf den Weg den Hügel hinauf und ließ sie bei Mackenzie. »In eurer Haut möcht ich nicht stecken, wenn der Chef da runterkommt«, sagte er beiläufig, als er hinter ihnen einstieg. Alex zitterte, aber nicht wegen der Kälte. Langsam ging ihm auf, dass die Polizei ihn und seine Freunde eher als eventuelle Verdächtige statt als Zeugen ansehen würde. Man hatte ihnen keine Gelegenheit gegeben, sich zu unterhalten, sich abzusprechen. Die vier tauschten besorgte Blicke untereinander. Selbst Weird war jetzt nüchtern genug, um zu verstehen, dass es hier nicht um irgendein beklopptes Spiel ging.

Als Mackenzie sie zum Wagen trieb und einsteigen ließ, waren sie ein paar Sekunden ohne Aufsicht. Gerade Zeit genug für Ziggy, um ihnen so leise wie möglich zuzuraunen: »Sagt verdammt noch mal nichts über den Landrover.« Ihre Blicke zeigten, dass alle ihn sofort verstanden hatten.

»Verdammt, ja«, sagte Weird und fuhr bei dem erschreckenden Gedanken zusammen. Mondo kaute stumm an seinem Daumennagel. Alex nickte nur.

Auf der Polizeiwache ging es nicht viel gelassener zu als am Fundort. Der Dienst habende Beamte beklagte sich heftig, als zwei Uniformierte mit vier Personen ankamen, die daran gehindert werden sollten, miteinander zu sprechen. Es zeigte sich, dass es nicht genug Büros gab, um sie getrennt zu befragen. Weird und Mondo wurden in unverriegelte Zellen gebracht, während man Alex und Ziggy in den beiden Vernehmungsbüros des Reviers sich selbst überließ.

Der Raum, in dem Alex saß, war bedrückend eng – kaum drei Schritte in jeder Richtung, wie er sofort feststellte, als man ihn dort hineingeführt hatte. Es gab keine Fenster, und die niedrige Decke mit den schon grau gewordenen Styroporplatten machte alles nur noch bedrohlicher. Es gab einen abgenutzten Holztisch und vier nicht dazu passende Stühle, die genauso unbequem aussahen, wie sie waren. Alex probierte einen nach dem anderen aus und blieb schließlich auf dem sitzen, der ihn an den Oberschenkeln nicht ganz so stark drückte wie die anderen.

Er fragte sich, ob hier Rauchen erlaubt sei. Nach der muffigen Luft zu urteilen wäre er wohl nicht der Erste. Aber er war ein wohlerzogener Junge, und da kein Aschenbecher zu sehen war, ließ er es erst mal. In seinen Taschen fand er dann die zerknüllte Silberfolie von einer Rolle Drops, glättete sie vorsichtig und bog die Ränder nach oben, um einen Aschenbecher daraus zu basteln. Dann nahm er seine Packung Bensons heraus und machte sie auf. Noch neun. Das würde eine Weile reichen.

Alex zündete sich seine Zigarette an und dachte, seit er auf der Wache angekommen war, jetzt zum ersten Mal über seine Lage nach. Beim Überlegen wurde ihm alles klar. Sie hatten eine Leiche gefunden und wurden deshalb wohl verdächtigt. Jedermann wusste schließlich, dass bei der Untersuchung eines Mordfalls die ersten Kandidaten für eine Verhaftung entweder die waren, die das Opfer zuletzt lebend gesehen hatten, oder diejenigen, die die Leiche fanden. Beides traf auf sie zu.

Er schüttelte den Kopf. Die Leiche. Er fing schon an genauso zu denken wie sie. Aber es ging hier nicht einfach um eine Leiche. Es war Rosie. Jemand, den er kannte, wenn auch nur flüchtig. Er vermutete, dass ihn dies alles noch verdächtiger machte. Aber daran wollte er jetzt gar nicht denken, sondern diese entsetzlichen Dinge verdrängen. Wann immer er die Augen schloss, sah er die Bilder vom Hügel wie Filmszenen vor sich ablaufen. Rosie, schön und sexy, lag verwundet und blutend im Schnee. »Denk an etwas anderes«, sagte er laut vor sich hin.

Er fragte sich, wie die anderen auf die Vernehmung reagieren würden. Weird war völlig weggetreten, das stand fest. Er hatte mehr intus als nur ein paar Drinks. Alex hatte ihn mit einem Joint in der Hand gesehen, aber bei Weird wusste man nie, was er sonst noch genommen hatte. Es war auch LSD herumgegangen. Alex selbst hatte mehrmals abgelehnt. Er hatte nichts gegen einen Joint, wollte sich aber nicht das Hirn kaputtmachen. Weird war allerdings auf jeden Fall immer offen für alles, was der Erweiterung seines Bewusstseins dienen konnte. Alex hoffte inständig, dass die Wirkung all dessen, was er geschluckt, eingeatmet oder geschnieft hatte, bis zu seiner Vernehmung abgeklungen sein würde. Andernfalls war es eher wahrscheinlich, dass Weird die Bullen wirklich ziemlich verärgern würde. Und jeder Dummkopf wusste, dass das während der Ermittlungen zu einem Mordfall nicht gerade eine gute Idee war.

Bei Mondo war das etwas anderes. Die Sache würde ihn auf ganz andere Art und Weise verstören. Wenn man es recht betrachtete, war Mondo sensibler, als gut für ihn war. In der Schule war immer auf ihm herumgehackt worden, er wurde Flasche genannt, zum Teil wegen seines Aussehens und auch, weil er sich nie wehrte. Seine Haare hingen in festen Löckchen um sein elfenzartes Gesicht, seine großen saphirblauen Augen waren immer weit offen wie die einer Maus, die aus einem Loch herausspäht. Die Mädchen mochten das, sicher. Alex hatte einmal mitbekommen, dass zwei sich kichernd unterhielten, Davey Kerr sehe genau wie Marc Bolan aus. Aber in der High School von Kirkcaldy konnte etwas, das einem die Gunst der Mädchen versprach, auch Prügel auf der Toilette einbringen. Hätte Mondo nicht die anderen drei hinter sich gehabt, wäre es ihm ziemlich dreckig gegangen. Aber man musste ihm anrechnen, dass er das nie vergaß und ihnen ihre Gefälligkeiten verzinst zurückzahlte. Alex wusste, dass er die Französischprüfung ohne Mondos Hilfe nie geschafft hätte.

Aber der Polizei würde Mondo allein gegenüberstehen. Alex sah ihn förmlich vor sich, wie er mit gesenktem Kopf, ab und zu einen verstohlenen Blick wagend, an der Nagelhaut seines Daumens nagte oder mit dem Deckel seines Zippo-Feuerzeugs spielte. Sie würden die Geduld verlieren und glauben, dass er etwas zu verbergen hatte. Niemals, nicht in tausend Jahren, würden sie Mondos großem Geheimnis auf die Spur kommen, dass es nämlich in neunundneunzig von hundert Fällen gar kein Geheimnis gab – nichts Mysteriöses, das sich in einem Rätsel versteckte. Er war einfach ein Junge, der auf Pink Floyd abfuhr, gerne Fisch und Chips mit reichlich Essig aß und außerdem auf Tennent-Bier und Bumsen stand. Und der merkwürdigerweise Französisch sprach, als hätte er es auf dem Schoß seiner Mutter gelernt.

Allerdings gab es heute Nacht doch ein Geheimnis. Und wenn einer von ihnen nicht dichthalten konnte, dann wäre es bestimmt Mondo. Bitte, lieber Gott, lass ihn den Landrover für sich behalten, dachte Alex. Im besten Fall würden sie alle gemeinsam dafür angeklagt werden, ohne die Zustimmung des Besitzers damit gefahren zu sein. Im schlimmsten Fall würden die Bullen feststellen, dass einer von ihnen – oder sie alle – ein perfektes Transportmittel gehabt hatten, um das sterbende Mädchen an einen stillen Ort zu verfrachten.

Weird würde nichts sagen, er hatte am meisten zu verlieren. Er war derjenige gewesen, der, als er ins Lammas gekommen war, Henry Cavendishs Schlüsselbund geschwenkt und dabei breit gegrinst hatte wie der Gewinner auf einer Swinger-Party.

Alex selbst würde nichts verraten, da war er sich sicher. Geheimnisse hüten war eine seiner Spezialitäten. Wenn ein Verdacht dadurch vermieden werden konnte, dass er die Klappe hielt, hatte er keine Zweifel, dass er das packen würde.

Auch Ziggy würde nichts sagen. Bei Ziggy stand immer die Sicherheit an erster Stelle. Schließlich war er derjenige, der sich weggeschlichen und den Landrover weggebracht hatte, als er merkte, wie benebelt Weird inzwischen war. Er hatte Alex auf die Seite genommen und gesagt: »Ich habe die Schlüssel aus Weirds Manteltasche und geh jetzt und stelle den Landrover woanders hin, damit er nicht in Versuchung kommt. Er hat schon ein paar Leute um den Block spazieren gefahren, es ist Zeit, damit Schluss zu machen, bevor er sich oder sonst jemanden umbringt.« Alex hatte keine Ahnung, wie lange Ziggy weg gewesen war, aber als er zurückkam, hatte er ihm gesagt, der Landrover sei sicher hinter einem der Industriegebäude bei der Largo Road abgestellt. »Wir können ihn morgen früh holen«, hatte er hinzugefügt.

Alex hatte grinsend erwidert: »Oder wir könnten ihn einfach da stehen lassen. Eine nette kleine Denksportaufgabe für Hurra-Henry, wenn er nächstes Semester zurückkommt.«

»Lieber nicht. Sobald er merkt, dass seine kostbare Kiste nicht da geparkt ist, wo er sie hat stehen lassen, würde er zur Polizei gehen und uns die Hölle heiß machen. Und unsere Fingerabdrücke sind ja überall dran.«

Und er hatte recht gehabt, dachte Alex. Zwischen den Laddies fi’ Kirkcaldy und den beiden Engländern, die zusammen das Haus mit sechs Zimmern auf dem Unigelände bewohnten, herrschte keine besonders herzliche Atmosphäre. Henry würde die Tatsache, dass Weird sich den Landrover ausgeliehen hatte, auf keinen Fall als lustigen Streich betrachten. Henry konnte an vielem, was seine Mitbewohner taten, nichts Lustiges finden. Deshalb würde Ziggy nichts sagen. Das stand fest.

Aber Mondo vielleicht doch. Alex hoffte, dass Ziggy mit seiner Warnung so weit in Mondos immer an sich selbst interessierte Gedankenwelt eingedrungen war, dass er über die Konsequenzen nachdachte. Wenn Mondo der Polizei sagte, dass Weird sich das Auto eines anderen Studenten geschnappt hatte, würde das nicht bedeuten, dass er damit aus dem Schneider war. Sondern dadurch würden sie alle vier in der Patsche sitzen. Außerdem war er auch selbst gefahren, als er dieses Mädchen aus Guardbridge nach Hause brachte. Überdenk die Sache gründlich, wenigstens dies eine Mal im Leben, Mondo.

Wenn man einen kühlen Denker brauchte, dann war Ziggy der Mann dafür. Hinter seiner scheinbaren Offenheit für alles, seinem lässigen Charme und der schnellen Auffassungsgabe spielte sich noch einiges ab, von dem niemand etwas wusste. Alex war seit neuneinhalb Jahren Ziggys Vertrauter, und er hatte das Gefühl, dass er gerade erst mal die Oberfläche geritzt hatte. Ziggy überraschte einen oft mit einer Einsicht, brachte einen mit einer Frage aus der Fassung, ließ einen etwas mit anderen Augen betrachten, weil er die Welt wie einen Zauberwürfel gedreht und sie anders gesehen hatte. Alex wusste das eine oder andere über Ziggy, was, da war er ziemlich sicher, Mondo und Weird noch unbekannt war. Das verhielt sich deshalb so, weil Ziggy wollte, dass Alex Bescheid wusste, und er sicher war, dass seine Geheimnisse bei ihm immer gut aufgehoben wären.

Er stellte sich vor, wie Ziggy sich den Ermittlern gegenüber verhalten würde. Dem Anschein nach würde er entspannt und gelassen in sich ruhen. Wenn jemand die Bullen überzeugen konnte, dass ihre Beziehung zu der Leiche auf dem Hallow Hill vollkommen unverdächtig war, dann wäre das Ziggy.

 

Detective Inspector Barney Maclennan warf seinen nassen Mantel auf den nächsten Stuhl in seinem Büro. Es war etwa so groß wie ein Klassenzimmer und damit weitläufiger als normalerweise nötig. St. Andrews wurde von der oberen Polizeibehörde von Fife nicht als Zentrum für die Aufdeckung spektakulärer Kriminalfälle eingestuft, was seinen Niederschlag in der nicht gerade üppigen Personalausstattung der Polizei fand. Maclennan war nicht aus Mangel an Ehrgeiz Chef der Kriminalpolizei in dieser Randzone des britischen Empire, sondern weil er ein unbequemer Zeitgenosse und einer dieser aufsässigen Polizisten war, die sich die Vorgesetzten lieber vom Leib hielten. Normalerweise ärgerte es ihn, dass es nicht viel Interessantes zu tun gab, aber das hieß nicht, dass er die Ermordung eines jungen Mädchens in seinem Revier begrüßte.

Sie hatte sofort identifiziert werden können. In dem Pub, in dem Rosie Duff arbeitete, verkehrten gelegentlich einige der uniformierten Polizisten, und PC Jimmy Lawson, der erste am Tatort, hatte sie sofort erkannt. Wie die meisten anderen Beamten vor Ort hatte er völlig schockiert gewirkt und ausgesehen, als sei ihm übel. Maclennan konnte sich nicht erinnern, wann in ihrem Gebiet zum letzten Mal ein Mord geschehen war, der nicht auf reine Familienangelegenheiten zurückging. Deshalb hatten diese jungen Polizisten nicht genug gesehen, um für einen Anblick wie den auf dem verschneiten Hügel abgehärtet zu sein. Ja, selbst er hatte erst zwei Mordopfer gesehen, aber niemals etwas so Erschütterndes wie Rosie Duffs Leiche nach ihrer Vergewaltigung.

Nach der Aussage des Polizeiarztes sah es aus, als sei sie missbraucht und durch einen Stich in den Unterleib verletzt worden. Ein einziger furchtbarer, tödlicher Einstich, der sich bis nach oben durch ihre Eingeweide zog. Und wahrscheinlich hatte es eine Weile gedauert, bis der Tod eintrat. Schon allein der Gedanke daran löste bei Maclennan den Impuls aus, den Verantwortlichen grün und blau zu schlagen. Bei solchen Gelegenheiten hatte man das Gefühl, das Gesetz sei bei der Durchsetzung des Rechts eher ein Hindernis als eine Hilfe.

Maclennan seufzte und zündete sich eine Zigarette an, setzte sich an seinen Schreibtisch und machte sich Notizen zu dem wenigen, was er bis jetzt wusste. Rosemary Duff, neunzehn Jahre alt. Beschäftigt in der Lammas Bar. Wohnhaft in Strathkinness bei ihren Eltern und zwei älteren Brüdern. Die Brüder arbeiteten in der Papierfabrik draußen in Guardbridge, ihr Vater war Gärtner im Craigtoun Park oben. Maclennan beneidete Detective Constable Iain Shaw und die Polizistin nicht, die er in das Dorf geschickt hatte, um die Nachricht zu überbringen. Natürlich würde er später selbst mit der Familie sprechen müssen, das war ihm klar. Aber es war jetzt wichtiger, dass er diese Ermittlung in Gang brachte. Schließlich hatten sie nicht gerade Überfluss an Kriminalbeamten, die sich mit großen Ermittlungsverfahren auskannten. Wenn sie vermeiden wollten, von den Oberen im Präsidium zur Seite gedrängt zu werden, musste Maclennan die Sache ins Rollen bringen und dafür sorgen, dass sie kompetent aussah.

Er schaute ungeduldig auf seine Uhr. Bevor er die Vernehmung der vier Studenten angehen konnte, die behaupteten, die Leiche gefunden zu haben, brauchte er einen weiteren Kripobeamten. Er hatte DC Allan Burnside angewiesen, so schnell wie möglich wieder zur Wache zurückzukommen, aber er war noch nicht da. Maclennan seufzte. Hier draußen war er ja nur von Trotteln und Angebern umgeben.

Er zog die feuchten Schuhe aus und drehte sich mit dem Stuhl, damit er die Füße auf die Heizung legen konnte. Mein Gott, was für eine scheußliche Nacht, um mit den Ermittlungen zu einem Mord anzufangen. Der Schnee hatte den Tatort in einen Albtraum verwandelt, sämtliche Indizien verdeckt und alles noch hundertmal schwieriger gemacht. Wer konnte sagen, welche Spuren der Mörder hinterlassen hatte und welche von den Zeugen stammten? Natürlich unter der Annahme, dass Mörder und Zeugen nichts miteinander zu tun hatten. Maclennan rieb sich die schläfrigen Augen und dachte über seine Strategie für die Vernehmungen nach.

Alles herkömmliche Wissen sagte ihm, er solle zuerst mit dem jungen Mann sprechen, der die Leiche tatsächlich entdeckt hatte. Ein gut gebauter Junge, breitschultrig, von seinem Gesicht war wegen der großen, herabgezogenen Parkakapuze nicht viel zu sehen gewesen. Maclennan lehnte sich zurück und schaute in sein Notizbuch. Alex Gilbey, der war es. Aber er hatte bei ihm irgendwie ein komisches Gefühl. Nicht unbedingt, dass er verschlagen gewirkt hätte, aber er war Maclennans Blick nicht mit der Mitleid erregenden Unschuldsmiene begegnet, auf die man bei den meisten Jungs in seiner Lage gestoßen wäre. Und er sah jedenfalls kräftig genug aus, um die sterbende Rosie den leicht ansteigenden Hallow Hill hinauftragen zu können. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Mörder die Entdeckung des toten Opfers eingefädelt hätte, um sich selbst zu entlasten. Nein, er würde den jungen Mr. Gilbey noch ein Weilchen schwitzen lassen.

Der Dienst habende Kollege hatte ihm gesagt, dass in dem zweiten Vernehmungsraum der Medizinstudent mit dem polnischen Namen saß. Das war derjenige, der so hartnäckig darauf hingewiesen hatte, dass Rosie noch lebte, als sie sie fanden, und behauptete, er hätte alles getan, um sie am Leben zu erhalten. Er war ihm ziemlich gelassen vorgekommen, cooler als Maclennan selbst unter solchen Umständen gewesen wäre. Er beschloss, mit ihm anzufangen. Sobald Burnside endlich auftauchte.

 

Das Vernehmungsbüro, in dem Ziggy saß, war identisch mit dem, wo Alex sich befand. Irgendwie gelang es Ziggy, es sich darin bequem zu machen. Er saß locker auf dem Stuhl, halb an die Wand zurückgelehnt, und sah vor sich hin. Er war so erschöpft, dass er leicht hätte einschlafen können, hätte er nicht jedes Mal, sobald er die Augen schloss, Rosie klar vor sich gesehen. Das theoretische Studium der Medizin hatte Ziggy nicht auf die brutale Wirklichkeit vorbereitet, dass ein menschliches Wesen so gewaltsam zerstört werden konnte. Sein Wissen hatte einfach nicht ausgereicht, um Rosie zu helfen, als es darauf ankam, und das machte ihn wütend. Er wusste, er sollte Mitleid mit der toten Frau haben, aber sein Frust ließ keinen Raum für ein anderes Gefühl. Nicht einmal für Angst.

Aber Ziggy war auch klug genug zu wissen, dass er eigentlich Angst haben müsste. Rosie Duffs Blut war überall an seinen Kleidern, unter seinen Fingernägeln, wahrscheinlich sogar an seinen Haaren. Er erinnerte sich, dass er sich das nasse Haar aus der Stirn gestrichen hatte, als er verzweifelt festzustellen versuchte, woher das Blut kam. Das war nicht so schlimm, wenn die Polizei ihm glaubte. Aber dank Weirds merkwürdiger Auffassung von einem harmlosen Streich war er auch der Mann ohne Alibi. Dass die Polizei das Fahrzeug fand, das sich am allerbesten für einen Schneesturm eignete – und das überall seine Fingerabdrücke aufwies –, konnte er sich absolut nicht leisten. Normalerweise war Ziggy so umsichtig, aber jetzt konnte sein Leben durch ein einziges unvorsichtiges Wort zerstört werden. Er wollte gar nicht daran denken.

Es war fast eine Erleichterung, als die Tür aufging und zwei Beamte hereinkamen. Er erkannte den einen, der den Streifenpolizisten gesagt hatte, sie sollten sie zur Wache bringen. Ohne seinen riesigen Mantel war er ein dünner, kleiner Mann, seine unscheinbaren braunen Haare waren etwas länger als üblich. Die Bartstoppeln zeigten, dass er mitten in der Nacht geweckt worden war, obwohl sein ordentliches weißes Hemd und der gepflegte Anzug aussahen, als kämen sie direkt aus der Reinigung. Er ließ sich auf den Stuhl Ziggy gegenüber fallen und sagte: »Ich bin Detective Inspector Maclennan, und dies hier ist Detective Constable Burnside. Wir müssen uns ein bisschen mit Ihnen unterhalten.« Er nickte Burnside zu. »Mein Kollege wird sich Notizen machen, und dann werden wir eine Aussage für Sie formulieren, die Sie unterzeichnen.«

Ziggy nickte. »Geht in Ordnung. Fragen Sie nur.« Er richtete sich auf. »Könnte ich vielleicht eine Tasse Tee haben?«

Maclennan wandte sich an Burnside und nickte. Burnside stand auf und verließ den Raum. Maclennan lehnte sich auf dem Stuhl zurück und betrachtete seinen Zeugen genauer. Komisch, wie diese Haarschnitte der sechziger Jahre wieder in Mode gekommen waren. Dieser dunkelhaarige junge Mann, der ihm da gegenübersaß, hätte ganz gut zu den Small Faces gepasst, wie sie vor einem Dutzend Jahren aussahen. Nach Maclennans Ansicht wirkte er nicht polnisch. Er hatte die helle Haut und roten Wangen der Leute aus Fife, obwohl seine braunen Augen etwas ungewöhnlich waren. Breite Backenknochen gaben seinem Gesicht eine scharf geschnittene, exotische Note. Ein bisschen wie dieser russische Tänzer, Rudolph Nerejow oder wie immer der hieß.

Burnside war gleich wieder zurück. »Der Tee kommt«, sagte er, setzte sich und nahm seinen Stift.

Maclennan legte die Unterarme auf den Tisch und verschränkte die Finger. »Zuerst die Angaben zur Person.« Sie gingen schnell die Details durch, dann sagte der Beamte: »Eine schlimme Sache. Sie sind bestimmt ziemlich erschüttert.«

Ziggy hatte das Gefühl, im Land der Klischees gelandet zu sein. »Das kann man wohl sagen.«

»Ich hätte gern in Ihren eigenen Worten gehört, was sich im Laufe der Nacht zugetragen hat.«

Ziggy räusperte sich. »Wir waren auf dem Rückweg nach Fife Park …«

Maclennan unterbrach ihn mit erhobener Hand. »Fangen Sie mal ein bisschen früher an. Wir wüssten gern über den ganzen Abend Bescheid.«

Ziggy verließ der Mut. Er hatte gehofft, den Besuch in der Lammas Bar nicht erwähnen zu müssen. »Okay. Wir vier, wir wohnen im selben Haus in Fife Park, also essen wir meistens gemeinsam. Gestern Abend war ich dran mit dem Kochen. Wir haben Eier, Pommes und Bohnen gegessen und sind gegen neun Uhr runter in die Stadt gegangen. Wir wollten später noch zu einer Party, planten aber, vorher ein paar Bier zu trinken.« Er hielt inne, um sicherzugehen, dass Burnside mitschreiben konnte.

»Wo sind Sie etwas trinken gegangen?«

»In der Lammas Bar.« Die Worte schienen in der Luft zwischen ihnen zu hängen.

Maclennan zeigte keine Reaktion, fühlte aber, wie sich sein Pulsschlag beschleunigte. »Sind Sie dort öfter eingekehrt?«

»Ziemlich regelmäßig. Das Bier dort ist billig, und sie haben nichts gegen Studenten, nicht wie in manchen anderen Lokalen hier.«

»Sie haben also Rosie Duff gesehen? Das Mädchen, das jetzt tot ist?«

Ziggy zuckte die Schultern. »Ich habe eigentlich nicht weiter auf sie geachtet.«

»Was, so ein hübsches Mädchen, die haben Sie nicht bemerkt?«

»Als ich mir was geholt hab an der Bar, hat mich jemand anderes bedient.«

»Aber Sie müssen doch sonst schon mal mit ihr gesprochen haben?«

Ziggy holte tief Luft. »Wie ich schon sagte, ich habe eigentlich nie besonders auf sie geachtet. Mädchen hinter der Bar anzumachen ist nicht so mein Ding.«

»Sind Ihnen wohl nicht gut genug, was?«, sagte Maclennan sarkastisch.

»Ich bin kein Snob, Inspector. Ich bin selbst in einer Siedlung mit Sozialwohnungen aufgewachsen. Es macht mir nur keinen Spaß, im Pub den Macho rauszuhängen, okay? Ja, ich wusste, wer sie war, aber ich habe nie mehr mit ihr gesprochen als: ›Vier Tennent, bitte.‹«

»Haben Ihre Freunde sich mehr für sie interessiert?«

»Nicht, dass ich es bemerkt hätte.« Ziggys Gelassenheit wich einem plötzlichen Argwohn gegenüber der Gesprächsführung.

»Sie haben also ’n paar Gläser Bier im Lammas getrunken. Was dann?«

»Wie ich schon sagte, wir gingen zu einer Party. Bei Pete, einem im sechsten Semester, der Mathematik studiert, ein Freund von Tom Mackie. Er wohnt in St. Andrews, in Learmonth Gardens. Die Nummer weiß ich nicht. Seine Eltern waren nicht da, und er gab eine Party. Wir sind ungefähr um Mitternacht angekommen, und es war fast vier, als wir weggingen.«

»Waren Sie alle zusammen bei der Party?«

Ziggy lachte schnaubend. »Sind Sie je auf einer Studentenfete gewesen, Inspector? Sie wissen doch, wie das ist. Man kommt zusammen durch die Tür, holt sich ein Bier, dann geht der eine hier-, der andere dorthin. Wenn man genug hat, sieht man nach, wer noch aufrecht steht, sammelt sie ein und torkelt zusammen in die Nacht hinaus. Der gute Hirte, das bin immer ich.« Er lächelte ironisch.

»Sie sind also zu viert angekommen und auch zusammen wieder weggegangen, aber Sie haben keine Ahnung, was die anderen in der Zwischenzeit gemacht haben?«

»So ungefähr, ja.«

»Sie könnten nicht einmal schwören, dass keiner wegging und nach einer Weile wiederkam?«

Wenn Maclennan erwartet hatte, dass Ziggy dies beunruhigte, sah er sich enttäuscht. Stattdessen neigte er nachdenklich den Kopf zur Seite. »Wahrscheinlich nicht, nein«, gab er zu. »Ich war die meiste Zeit im Wintergarten im hinteren Teil des Hauses. Zusammen mit zwei Engländern. Tut mir leid, an ihre Namen kann ich mich nicht erinnern. Wir haben über Musik, Politik und Ähnliches gesprochen. Ich habe mich ziemlich aufgeregt, als es um die Dezentralisierung in Schottland ging, wie Sie sich denken können. Ein paarmal bin ich ins Wohnzimmer gegangen, um mir ein Bier und etwas zu essen zu holen, aber nein, ich war nicht der Hüter meiner Brüder.«

»Gehen Sie meistens alle zusammen nach Haus?« Maclennan war nicht sicher, was er damit erreichen wollte, aber es schien ihm, als sei es eine passende Frage.

»Es kommt darauf an, ob jemand sich eine geangelt hat.«

Jetzt war er entschieden in der Defensive, dachte der Polizist. »Kommt das oft vor?«

»Manchmal.« Ziggys Lächeln war etwas gezwungen. »Na ja, wir sind ja gesunde, kräftige junge Männer, verstehen Sie?«

»Aber Sie vier gehen normalerweise gemeinsam nach Haus – ganz bieder?«

»Also wissen Sie, Inspector, nicht alle Studenten sind sexbesessen. Manche von uns wissen, wie privilegiert wir sind, hier sein zu können, und das wollen wir nicht kaputtmachen.«

»Sie sind also lieber in der Gruppe zusammen? Wo ich herkomme, würden die Leute Sie vielleicht für schwul halten.«

Ziggys Gelassenheit verließ ihn einen Moment. »Na und? Ist ja nicht verboten.«

»Das kommt darauf an, was und mit wem Sie es tun«, sagte Maclennan, und alle vorgeschützte Freundlichkeit war verschwunden.

»Hören Sie, was hat das alles damit zu tun, dass wir eine sterbende junge Frau gefunden haben?«, verlangte Ziggy zu wissen und beugte sich vor. »Was wollen Sie damit sagen? Dass wir schwul sind und darum ein Mädchen vergewaltigt und ermordet haben?«

»Das sind Ihre Worte, nicht meine. Es ist allgemein bekannt, dass manche Homosexuelle Frauen hassen.«

Ziggy schüttelte ungläubig den Kopf. »Wo ist das bekannt? Bei Leuten mit Vorurteilen, die keine Ahnung haben? Hören Sie mal, nur weil Alex, Tom und Davey die Party mit mir zusammen verlassen haben, macht das noch keine Schwulen aus ihnen, ja? Sie könnten Ihnen eine Liste von Mädchen geben, um Ihnen zu beweisen, wie sehr Sie sich täuschen.«

»Und wie steht’s mit Ihnen, Sigmund? Könnten Sie das auch?«

Ziggy saß unbeweglich da und zwang seinen Körper, ihn nicht zu verraten. Eine Welt so groß wie ganz Schottland lag zwischen dem, was legal war, und dem, wofür man Verständnis erwarten konnte. Er war an einer Stelle angekommen, wo die Wahrheit sich nicht zu seinem Vorteil auswirken würde. »Können wir auf das Thema zurückkommen, Inspector? Ich verließ die Party gegen vier Uhr mit meinen drei Freunden. Wir gingen Learmonth Place entlang, bogen bei Canongate links ein und weiter am Trinity Place entlang. Der Hallow Hill ist eine Abkürzung nach Fife Park …«

»Haben Sie sonst jemanden gesehen, als Sie auf den Hügel zugingen?«, unterbrach ihn Maclennan.

»Nein. Aber die Sicht war nicht gerade gut wegen des Schnees. Jedenfalls gingen wir auf dem Fußweg unten am Hügel entlang, und Alex fing an, den Hang hochzulaufen. Ich weiß nicht, warum, ich ging vor ihm und sah nicht, was ihn dazu brachte. Als er oben ankam, stolperte er und fiel in ein Loch. Dann rief er uns auch schon zu, wir sollten hochkommen, da läge eine junge Frau und sie blute.« Ziggy schloss die Augen, schlug sie aber hastig wieder auf, weil er das tote Mädchen wieder vor sich sah. »Wir liefen zu ihm hoch und fanden Rosie, die im Schnee lag. Ich habe ihren Puls an der Halsschlagader gefühlt. Er war sehr schwach, aber noch zu spüren. Sie schien aus einer Bauchwunde zu bluten. Fühlte sich wie ein ziemlich langer Schnitt an. Vielleicht acht bis zehn Zentimeter. Ich sagte zu Alex, er solle Hilfe holen, die Polizei rufen. Wir haben sie mit unseren Mänteln zugedeckt, und ich versuchte, Druck auf die Wunde auszuüben. Aber es war zu spät. Sie hatte zu viele innere Verletzungen, zu viel Blut verloren. Innerhalb von ein paar Minuten starb sie.« Er tat einen tiefen Atemzug. »Ich konnte nichts mehr tun.«

Die Intensität seiner Worte ließ selbst Maclennan einen Augenblick schweigen. Er sah zu Burnside hinüber, der eifrig alles niederschrieb. »Warum haben Sie Alex Gilbey gebeten, Hilfe zu holen?«

»Weil Alex nüchterner war als Tom. Und Davey verliert bei Krisen immer die Nerven.«

Es war logisch. Fast zu logisch. Maclennan schob seinen Stuhl zurück. »Einer meiner Leute wird Sie jetzt nach Haus bringen, Mr. Malkiewicz. Wir brauchen Ihre Kleidung für die Untersuchung durch die Gerichtsmedizin. Und Ihre Fingerabdrücke, damit Sie als Verdächtiger ausgeschlossen werden können. Und wir möchten später noch einmal mit Ihnen reden.« Es gab bestimmte Dinge, die Maclennan über Sigmund Malkiewicz wissen wollte. Aber die konnten warten. Sein Unbehagen in Bezug auf diese vier jungen Männer wuchs von Minute zu Minute. Er wollte Druck anwenden. Und er hatte das Gefühl, dass der, der in Krisen die Nerven verlor, vielleicht auch derjenige war, der jetzt einknicken würde.

3

Mit Baudelaires Gedichten würde er es schaffen. Zusammengekauert auf einer so harten Matratze, dass sie diesen Namen kaum verdiente, ging Mondo Les Fleurs du Mal durch. Der Titel schien auf ironische Art und Weise zu den Ereignissen der Nacht zu passen. Der melodische Klang der Sprache wirkte beruhigend und verdrängte die Wirklichkeit von Rosie Duffs Tod und der Polizeizelle, in die er ihn gebracht hatte. Die Texte halfen ihm, sich aus seinem Körper über die Wirklichkeit zu erheben und an einen anderen Ort zu versetzen, wo der wohlklingende Fluss der Silben allein sein Bewusstsein erfüllte. Er wollte sich nicht mit Tod, Schuld, Angst oder Misstrauen auseinander setzen.

Aber sein Zufluchtsort schwand unvermittelt dahin, als die Tür der Zelle mit lautem Knall aufging. PC Jimmy Lawson stand groß und bedrohlich über ihm. »Auf die Beine, Junior. Sie werden verlangt.«

Mondo rutschte ein Stück zurück, weg von dem jungen Polizisten, der irgendwie vom Retter zum Verfolger geworden war.

Lawsons Lächeln war alles andere als beruhigend. »Sie brauchen sich nicht gleich in die Hose zu machen. Na los, Beeilung. Inspector Maclennan mag es nicht, wenn er warten muss.«

Mondo kam langsam auf die Beine und folgte Lawson aus der Zelle in den hell erleuchteten Flur. Hier war für Mondos Geschmack alles zu scharf umrissen und klar definiert. Es gefiel ihm hier wirklich nicht.

Auf dem Flur ging Lawson um eine Ecke und riss dann eine Tür auf. Mondo blieb zögernd auf der Schwelle stehen. Am Tisch saß der Mann, den er oben auf dem Hallow Hill gesehen hatte. Er sieht zu klein für einen Polizisten aus, dachte er. »Mr. Kerr, nicht wahr?«, fragte der Mann.

Mondo nickte. »Ja«, sagte er. Der Klang seiner eigenen Stimme überraschte ihn.

»Kommen Sie herein und nehmen Sie Platz. Ich bin Inspector Maclennan, dies ist Constable Burnside.«

Mondo setzte sich den beiden Männern gegenüber und hielt den Blick auf den Tisch gesenkt. Burnside brachte die Formalitäten mit einer Höflichkeit hinter sich, die Mondo erstaunte, da er nur Gebrüll und Machogehabe wie in manchen Fernsehserien erwartet hatte.

Als Maclennan die Gesprächsführung übernahm, kam ein etwas strengerer Ton hinein. »Sie kannten Rosie Duff«, sagte er.

»Ja.« Mondo schaute immer noch nicht auf. »Na ja, ich wusste, dass sie im Lammas Barkellnerin war«, fügte er hinzu, als es still um ihn blieb.

»Gut aussehendes Mädchen«, sagte Maclennan. Mondo reagierte nicht darauf. »Das müssen Sie doch wenigstens bemerkt haben.«

Mondo zuckte die Achseln. »Ich hab nicht weiter darüber nachgedacht.«

»War sie nicht Ihr Typ?«

Mondo hob den Blick, ein Mundwinkel hob sich zu einem zögernden Lächeln. »Ich glaube, dass ich jedenfalls nicht ihr Typ war. Sie hat mich nie beachtet. Es gab immer Männer, an denen sie mehr Interesse hatte. Ich musste im Lammas immer warten, bis ich bedient wurde.«

»Das muss Sie doch geärgert haben.«

Da blitzte plötzlich Panik in Mondos Augen auf. Langsam wurde ihm klar, dass Maclennan schlauer war, als er es einem Polizisten zugetraut hätte. Er würde strategisch klug vorgehen und seinen Verstand beisammenhalten müssen. »Eigentlich nicht. Wenn wir es eilig hatten, habe ich für meine Runde einfach Gilly hingeschickt.«

»Gilly? Meinen Sie Alex Gilbey?«

Mondo nickte und senkte wieder den Blick. Er wollte diesem Mann nicht die Gefühle zeigen, die in ihm tobten. Tod, Schuld, Angst, Misstrauen. Er wollte unbedingt aus der ganzen Sache raus, aus dieser Polizeiwache, aus diesem Fall. Er wollte dabei keinen anderen in die Bredouille bringen, aber das hier konnte er nicht aushalten. Er wusste, dass er es nicht durchstehen konnte, und er wollte sich schließlich nicht so verhalten, dass diese Bullen von ihm dachten, er sei verdächtig oder schuldig. Denn er war ja nicht der Verdächtige. Er hatte Rosie Duff nicht angequatscht, wie gern er es auch getan hätte. Er hatte keinen Landrover gestohlen. Er hatte ihn nur geliehen, um ein Mädchen nach Guardbridge nach Hause zu fahren. Er war nicht über eine Leiche im Schnee gestolpert. Das ging auf Alex’ Konto. Er saß wegen der anderen in der Scheiße. Wenn Sicherheit für ihn hieß, die Aufmerksamkeit der Bullen von sich abzulenken, würde Gilly das nie erfahren. Und selbst wenn er es erführe, war Mondo sicher, dass Gilly ihm verzeihen würde.

»Also mochte sie Gilly, was?«, beharrte Maclennan unnachgiebig.

»Keine Ahnung. Soviel ich weiß, war er einfach ein Gast wie jeder andere für sie.«

»Aber einer, den sie mehr beachtete als Sie.«

»Na ja, das machte ihn ja nicht gerade zu etwas Besonderem.«

»Wollen Sie damit sagen, dass Rosie viel geflirtet hat?«

Mondo schüttelte ärgerlich über sich selbst den Kopf. »Nein. Überhaupt nicht. Es war ja ihre Arbeit. Sie war Barkellnerin, da musste sie nett zu den Leuten sein.«

»Aber nicht zu Ihnen.«

Mondo zog nervös an seinen Locken, die ihm über die Ohren fielen. »Sie verdrehen ja alles. Passen Sie auf, sie bedeutete mir nichts, und ich bedeutete ihr nichts. Also, kann ich jetzt bitte gehen?«

»Noch nicht ganz, Mr. Kerr. Wessen Idee war es, heute Nacht über den Hallow Hill zurückzugehen?«

Mondo runzelte die Stirn. »Keiner hatte die Idee. Es ist einfach der kürzeste Weg nach Fife Park zurück. Wir gehen oft da lang. Niemand hat daran einen Gedanken verschwendet.«

»Und hatten Sie jemals zuvor das Bedürfnis, zum piktischen Friedhof hinaufzugehen?«

Mondo schüttelte den Kopf. »Wir wussten, dass er da oben ist, wir sind raufgegangen, als er ausgegraben wurde, und haben ihn uns angesehen wie halb St. Andrews auch. Deshalb sind wir noch keine komischen Außenseiter.«

»Das habe ich auch nicht gesagt. Aber Sie haben doch nie zuvor auf Ihrem Rückweg zum Wohnheim diesen Umweg gemacht?«

»Warum sollten wir?«

Maclennan zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Dumme- Jungen-Streiche. Vielleicht haben Sie ein paarmal zu oft Carrie gesehen.«

Mondo zog wieder an einer Locke. Tod, Schuld, Angst, Misstrauen. »Ich interessiere mich nicht für Horrorfilme. Hören Sie, Inspector, Sie verstehen das alles falsch. Wir sind nur vier normale Typen, die irgendwie in etwas Außergewöhnliches reingeraten sind. Nicht mehr und nicht weniger.« Er breitete die Hände mit einer Geste aus, die ihre Unschuld beteuern sollte, und er hoffte und betete, dass sie überzeugend war. »Es tut mir leid, dass dem Mädchen das passiert ist, aber es hat nichts mit mir zu tun.«

Maclennan lehnte sich zurück. »Das sagen Sie.« Mondo erwiderte nichts, sondern stieß nur einen langen frustrierten Seufzer aus. »Was war bei der Party? Wo waren Sie da?«

Mondo rutschte auf seinem Stuhl zur Seite, der Wunsch, sich davonzumachen, sprach aus jeder Bewegung. Würde das Mädchen etwas sagen? Er glaubte kaum. Sie hatte sich ins Haus schleichen müssen, weil sie schon Stunden zuvor hätte zurück sein sollen. Und sie war keine Studentin, hatte fast niemanden auf der Party gekannt. Mit etwas Glück würde sie überhaupt nie erwähnt und nie befragt werden. »Hören Sie, warum ist Ihnen das wichtig? Wir haben doch nur die Leiche gefunden, verstehen Sie?«

»Wir müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen.«

Mondo sagte höhnisch: »Sie tun nur Ihre Arbeit, was? Na ja, Sie verschwenden Ihre Zeit, wenn Sie meinen, wir hätten etwas mit dem zu tun, was ihr passiert ist.«

Maclennan zuckte die Achseln. »Trotzdem wüsste ich gern etwas über die Party.«