Echte Bäume weinen nicht - Gerbrand Bakker - E-Book

Echte Bäume weinen nicht E-Book

Gerbrand Bakker

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Beschreibung

Was ist »richtige« Natur? Bäume, die miteinander kommunizieren? Wilde, unberührte Landschaft? Ein frisch gemähter Rasen oder ein Geranienbeet? Und welche Rolle spielen wir Menschen darin? Gerbrand Bakker auf einer unkonventionellen Spurensuche.

Während die einen Pflanzen und Tieren ein verborgenes Wesen zuschreiben und sie zu ihrem besten Freund erklären, wehrt sich der niederländische Schriftsteller und Gärtner Gerbrand Bakker vehement gegen diesen Trend der Vermenschlichung. Bakker durchwandert Jahreszeiten, deutsche Wälder, walisische Berge, domestizierte und wuchernde Gärten und seine nordniederländische Heimat – und schreibt in seiner unvergleichlich schwärmerisch-ironischen Art über eine Natur, die sehr viel faszinierender und elementarer ist, als uns von den Baumverstehern vorgegaukelt wird.

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Seitenzahl: 262

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Gerbrand Bakker

Echte Bäume weinen nicht

Warum wir die Natur Natur sein lassen sollten

Aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann

Suhrkamp

Inhalt

Echte Bäume weinen nicht

Rasen

Aufregung

Unser eigener Garten

Kindliche Angst

Balsam bashings

Warum immer hoch zum Gipfel?

Neppgarten

Armes Gnu

Baumfäller

Der Anthropomorphismus von Peter Wohlleben

So laufen die Dinge

Ulmen

Renn um dein Leben

Wald

Flügelnussbaumwald

Zeeland

Miese Erde (Natur im Ausland)

Corvus cornix

Wege

Nasse Socken und der Baum, der alles sah

Schlangenadler

Schon sieben Tage ohne Tweet

Kaum noch Insekten

Schafskopf auf gleicher Höhe

Mauersegler als Synchronsprecher

Sorgfalt

Neuer Hund, oder doch nicht

Ängstlich und einsam

Garten voller Erinnerungen, oder doch nicht

Kleiber

Ivo und Wilma

Blumenerde

Totennatur

Entwässerungsgräben und Trockenplätze

Der letzte Gartentag

Nachbemerkung

Zitatnachweise

Echte Bäume weinen nicht

»The country: A damp sort of place where all sorts of birds fly about uncooked.«

Joseph Wood Krutch, The Twelve Seasons

Rasen

Am Strand von Dungeness steht ein altes Haus. Prospect Cottage. 800 Meter von einem Kernkraftwerk entfernt. Vom Cottage aus gesehen geht dahinter die Sonne unter. 1986 kaufte der britische Filmemacher Derek Jarman das Holzhaus. Strand, aber nicht, wie man ihn kennt. Kein Sand, sondern Kieselsteine. Einmal bin ich dort in der Nähe gewesen, in der Kleinstadt Rye. Doch weil ich mich damals noch nicht mit dem Gärtnern befasst habe – nicht einmal im Traum hätte ich an einen eigenen Garten gedacht –, sagte mir der Name Derek Jarman wenig. 1995 erschien Derek Jarman’s Garden, ein Fotoband über den Garten, den er über die Jahre angelegt hatte, mit Tagebucheinträgen und Gedichten. Jarman war damals schon ein Jahr tot. Er wurde 52 Jahre alt.

In meinen Augen ist sein Garten wunderschön, aber er liegt an einem Ort, bei dem schon der bloße Gedanke an einen Garten kaum möglich scheint. Wind, Salz, Kieselstrand. Und überall altes, verwittertes Holz und verrostete Metallteile. Steinkreise. Ein Garten ohne Zaun. Die schönsten Fotografien zeigen den Vordergrund gestochen scharf und das riesige Kernkraftwerk verschwommen in der Ferne. Ich kenne das Buch, weil ein Freund es mir einmal gezeigt hat, es lag in seinem Ferienhaus in Noordwijk. Auch ein Haus mit Garten, einem Garten, in dem ich ab und an mit angepackt habe. Jahre später habe ich mir das Buch selbst gekauft. Die Texte verraten, dass der Garten Jarman besonders am Ende Frieden geschenkt hat, auch wenn er nicht allzu viele Worte darüber verliert. Manchmal aber schreibt er Dinge, bei denen ich mich unwohl fühle. »Ich kann eine einzige Pflanze eine Stunde lang betrachten, das bringt mir großen Frieden. Ich stehe regungslos starrend da.« Vor den nahezu religiösen Beschreibungen eines passionierten Gärtners scheue ich immer ein wenig zurück. Aber wenn es ihm Spaß macht, warum nicht? Natürlich könnte Jarman das auch nur geschrieben und es in Wirklichkeit gar nicht getan haben. »Ich erinnere mich noch gut an den Rasenmäher, mit dem wir uns beim Grasschneiden abplagten. Ich bin heilfroh, dass es in Dungeness keinen Rasen gibt. Die schrecklichsten Rasenflächen – übrigens auch die hässlichsten Gärten – findet man entlang der Küste in Bexhill, Close und Crescent. Derartige Gärten hätten bei Gertrude Jekyll einen Herzanfall ausgelöst, mindestens aber würde sie sich im Grab umdrehen. Mir scheint ein gepflegter Rasen unnatürlich, ein öder Anblick und ziemlich schäbig – der Feind eines guten Gartens. Mit dem gleichen Aufwand wie für das Rasenmähen könnte man das ganze Jahr frisches Gemüse haben: Kletterbohnen, Blumenkohl und andere Kohlsorten, dazwischen Gartennelken und Päonien, Klatschmohn und Rittersporn; würde das nicht das Land verschönern und uns vor dem allgemein herrschenden Vorgartenterrorismus retten?«

Also wirklich, selbst wenn er es gewollt hätte, wäre dort niemals ein gepflegter Rasen gewachsen. Kann man etwas verabscheuen und ablehnen, das man selbst nie haben wird? Diese Abneigung gegen Rasenflächen ist seltsam. Das mag an seiner steifen britischen, bürgerlichen Herkunft liegen, der er gewiss entkommen wollte. Mein Rasen (»Es gibt hier keine Rasen«, sagt Nachbar Klaus streng, »nur Wiesen.«) ist eine Katastrophe, doch ich gebe nicht auf. Und sei es nur, damit Freunde sich auf ihm ausstrecken können. Die gibt es noch. Halbnackt im Gras, bei strahlendem Sonnenschein, die Körper längst nicht mehr jung und schön. Und noch etwas: Wenn man keinen Rasen hat, wo spielt man dann Badminton?

Derek Jarman zieht auch über die sogenannten National-Trust-Gärten her: »Der National Trust muß eine zentrale Gärtnerei haben, denn alle seine Gärten sehen ähnlich aus. […] Wenn ein Garten nicht verwildert aussieht, kann man ihn vergessen.« Hier unterscheiden wir uns erheblich, Jarman und ich, denn ich habe nichts gegen Rasen. Und vor allem habe ich nichts gegen die prachtvollen National-Trust-Gärten, auf die man überall in England stößt und die »so manikürt« wirken, »daß nicht eine Pflanze in der Lage zu sein scheint, ihren Nachbarn auch nur zu berühren«. Ich bin kein Garten-Nazi: Alles ist erlaubt, doch manchmal, wenn ich an einem Garten vorbeigehe, stöhne auch ich innerlich auf oder mache eine missbilligende Bemerkung. Aber nur ganz leise, warum sollte ich dem betreffenden Gärtner die Freude verderben?

Worin ich mich mit Jarman jedoch besonders verbunden fühle, ist das Machen. Das gemächliche Werden eines Gartens, in dem auch Gegenstände eine Rolle spielen. Objekte, Steine, Holzpfähle, verrostete Heugabeln und sogar ganze Bauwerke aus Ästen. In dem Buch gibt es eine Fotografie von Jarman, die ihn mit einer großen Tasche zeigt, auf der Jagd nach schönen Steinen. Das mache ich auch schon immer: spazieren gehen, aufsammeln, mit 30 Kilo auf dem Rücken nach Hause und nach der Verarbeitung des Gefundenen unendlich zufrieden sein. Die Plackerei, der Schweiß, das Selbermachen. Das Machen. Derek Jarmans Garten ist ein Kunstwerk. Mein Garten – was auch immer andere von ihm halten mögen – ist ebenfalls ein Kunstwerk: Er ist gemacht, gestaltet, dem vorrückenden Wald und dem Unkraut abgetrotzt.

Jarman hatte absichtlich keinen Zaun um seinen Garten gezogen, denn er hielt sein Kunstwerk für Natur. Tod dem Rasen! Ich finde das deutsche Wort Zaun so schön. Zaun und tuin, das niederländische Wort für Garten, gehören für mich zusammen. Wenn man mitten auf einer Weide, in einem Wald, in der Wüste oder wo auch immer einen Zaun aufstellt, einen geschlossenen Zaun, markiert man allein damit diesen Ort als Nicht-Natur. Ein Mensch tut etwas, greift ein, platziert ein Artefakt, ein Kunst-Werk. Von mir aus hätte Jarman seinen Garten gerne einzäunen können.

Jarmans Unerbittlichkeit, was das Wesen eines Gartens betrifft, was schön und gut ist und was nicht, spiegelt sich übrigens auch in seinem Charakter wider. Seine Filme sind oft visuelle, bunte Spektakel, aber nicht immer ganz einleuchtend. »Schwierige« Filme, Arthousefilme, mit Themen wie Homosexualität, Tod und Religion. Als er aufgrund seiner Aidserkrankung erblindete, drehte er Blue, einen einstündigen Film nur in Blau, mit Geräuschen, mit Stimmen, Textfetzen, Vogelgezwitscher, Gesang. Eigentlich eine filmische Wiedergabe des stundenlangen Anstarrens dieser einen Pflanze, vielleicht mit Frieden im Herzen, eine Art Halbschlaf voller Vergangenheit. Ein Auftakt des Todes. Statt einen für den Kinobesucher angenehmen, einfühlsamen und schönen Film zu machen, wollte Jarman etwas mitteilen, seine Gefühle und Gedanken offenlegen, wohl aber hauptsächlich für sich selbst. Und genau das hat er auch mit dem Garten um Prospect Cottage in Dungeness getan. Ist das immer so? Spiegelt ein Garten das Wesen des Gärtners wider? Kann man einem Garten ansehen, wie der Mensch ist, der ihn geschaffen hat?

Mein Garten ist zum Teil eingezäunt und die Einfahrt mit einem Tor verschlossen. Errichtet für meinen Hund Jasper, der nie bei mir bleiben wollte. Es ist sein Zaun, sein Tor. Gleichzeitig ist es auch mein Zaun. Ich mag die Eindeutigkeit eines Zauns. Die Sicherheit. Die Übersicht. Das sind Dinge, die ich in meinem Leben brauche. Mein Zaun soll weder Mensch noch Tier fernhalten.

Aufregung

Vor ein paar Jahren hat die Tageszeitung Trouw einige Schriftsteller gebeten, Artikel zum Thema »Lernen« zu schreiben. Im Sinne von: etwas, das man früher nicht konnte, nun aber schon. Mein Text ging ungefähr so (beim erneuten Lesen füge ich hinzu und lasse weg, es kann ja nur besser werden):

Früher bemerkte ich es nicht einmal, wenn ich mich in einem Garten befand. Ein Garten war ein Ort, wo man saß und Getränke zu sich nahm oder Fleisch verkohlen ließ; ein Übergangsgebiet zwischen Straße und Vorder- oder Hintertür. Damals achtete ich auf Zargen, Dachrandpaneele, Fensterbänke und Haustüren. In meiner Freizeit war ich Anstreicher. Immer hatten Sträucher – meistens die stacheligen – unter mir zu leiden, weil die Mistdinger der Leiter im Weg standen und ich zu der Zeit ziemlich aufbrausend war. Einmal ist mir eine rotblättrige Berberitze in die Quere gekommen. In voller Absicht rammte ich meine Leiter mitten in sie hinein, und noch einmal, und noch einmal. Später, viel später, sollte ich eine Gärtnerlehre machen. So trat der Garten in mein Leben.

»Der Garten.« Nicht mein Garten. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Die Gärten anderer Leute, vollendet, wie sie sind, wurden von mir – manchmal gemeinsam mit Gartenkumpel Han – nur gepflegt. Alles an ihnen war fertig, das Einzige, was ich tun musste oder wir tun mussten, war, die Auswüchse zu beseitigen, damit der Garten erneut fertig aussah. Muschelpfade rechen. Äste absägen. Hecken schneiden. Ordnung halten oder wiederherstellen.

Ich habe auch Gärten entworfen. Entwürfe richten sich in erster Linie nach den Wünschen der Auftraggeber. Natürlich bringt man sein eigenes Können ein, besonders beim Zeichnen, bei der Auswahl des Materials und der Entwicklung eines Bepflanzungsplans, aber es bleibt eine übernommene Arbeit. Ein Auftrag. Und es ist schon vorgekommen, dass ich, nachdem ich zum vierten Mal ein und denselben Garten entworfen hatte – das Ehepaar aus Almere konnte sich einfach nicht einigen –, den ganzen verdammten Papierkram mit einem kurzen Schreiben in einen Briefumschlag gesteckt habe: »Hier der allerletzte Entwurf, und wagen Sie es ja nicht, mich dafür zu bezahlen.« Aufbrausend will ich auch heute noch manchmal sein. Denn: Ein Gärtner ist kein Paartherapeut, schönen Dank auch. Ein Gärtner will draußen sein, er hat nämlich einfach keine Lust, eine Stunde lang in einer viel zu warmen Küche bei einem Kaffee zu sitzen und sich Dinge anzuhören, von denen er nichts wissen will. Oder im Garten immerzu von Auftraggebern mit ellenlangen Geschichten über die bevorstehende Scheidung aufgehalten zu werden.

Seit einem Jahr besitze ich ein Haus in Deutschland. Zum Haus gehören 1600 Quadratmeter Grund mit Anhöhe: Das Haus liegt mit seiner gesamten Rückseite an einem Hang. Das Erste, was ich getan habe: Ich habe keinen Entwurf gezeichnet. Sosehr ich es auch mag, mit meinen grünen Stiften in allen Farbnuancen, mit Geodreiecken oder mit dem Speziallineal, mit dem sich der Maßstab leicht ändern lässt, herumzuhantieren. Kein Entwurf. Nur bei Neubauprojekten ist ein Garten jungfräulich. Mein Garten war das nicht, auch wenn ich, als letztes Jahr im April endlich der Schnee geschmolzen war, außer einer verirrten Pfingstrose und einem uralten Rhabarber keine weiteren mehrjährigen Pflanzen entdecken konnte. Er war, und ist es teilweise immer noch, ein Urwald aus Brombeeren, Giersch und Brennnesseln. Grob gesagt, besteht mein deutscher Garten aus vier Teilen: dem Vorgarten, einem seitlichen Garten mit Terrassen (ich habe selbst zwei neue Schiefermauern gebaut und eine instand gesetzt), einem Garten hinterm Haus, praktisch in gleicher Höhe mit der Dachrinne, und einem schönen Stück Wald.

Den eigenen Garten habe ich letztes Jahr besitzen gelernt. Und jetzt, im neuen Jahr, lerne ich das immer noch. Manchmal ist es auf eine Weise entmutigend, wie ich es bei der Arbeit in den Gärten anderer nie empfunden habe. Denn: Aus so einem Garten gehe ich am Ende des Tages fort. Mein Garten aber ist immer hier. Er gehört mir. Gelegentlich bemerke ich, dass Besucher sich besonders aufmerksam umsehen. Der Garten eines Gärtners, na, da bin ich ja mal gespannt. Dann werde ich jedes Mal ganz aufgeregt. Genau aus dem Grund habe ich keinen Entwurf gezeichnet. Ich habe mir von Anfang an gesagt: »Dieser Garten soll langsam wachsen.« In diesem einen Jahr habe ich alle Tulpenzwiebeln ausgebuddelt und an anderer Stelle wieder gesteckt. Gerade erst habe ich Holunderbüsche umgesetzt (wieso gibt es die eigentlich in keinem Gartencenter zu kaufen?). Die geerbte Pfingstrose wurde schon drei Mal verpflanzt. Ich habe Dinge getan, über die ich im Nachhinein dachte: Nein, das ist wirklich viel zu kitschig, das geht nicht. Doch kurz darauf: Warum denn nicht? Immerhin ist es mein Garten, und wenn ich einen kitschigen Garten will, bitte sehr.

Übrigens, eine Beobachtung, die meine Aufregung etwas dämpft: Wie oft blättert die Farbe an den Fensterrahmen eines Malerbetriebs ab? Und auch die Dachrinne eines Dachdeckers kann undicht sein. Vielleicht gehört es einfach zum Schicksal eines Gärtners, dass sein Garten weniger schön und weniger gepflegt ist als die anderen Gärten, in denen er arbeitet.

Ich habe gelernt, Zement anzurühren. Das macht Spaß. Man schüttet ein paar Dinge zusammen (Sand, Zement, Wasser), und schon kann man bauen. Zement ist übrigens nicht das richtige Wort, ich sollte Mörtel schreiben. Mörtel ist die Kombination aus Wasser, Sand und Zement. Die Terrasse vorm Haus besteht aus Fliesenresten. Ich habe sie zum Teil mit falsch angerührtem Mörtel repariert, und so fingen die Fugen nach ein paar Monaten zu bröckeln an. Dieser Teil kommt nächsten Sommer noch mal dran. Später habe ich die Terrasse verbreitert und Natursteinverlegemörtel verwendet. Der scheint mehr zu taugen. Ich habe also gelernt, unbrauchbaren, falschen Mörtel herzustellen. Nachbar Klaus – ein Fliesenleger und mein Berater in diesen Dingen – sagt »so viele Teile Sand, so viele Teile Zement«. Aber nicht jedes Mauerwerk erfordert das gleiche Mischverhältnis. Die Schiefermauern, die neben dem Haus die nach oben ansteigenden Terrassenflächen voneinander trennen, benötigen – laut Nachbar Klaus – ein Eins-zu-eins-Verhältnis. Der Boden drückt dagegen, auf diese Mauern wirken enorme Kräfte. Doch auch hier wieder: bröckelnder Mörtel. Vielleicht muss ich länger mischen und kneten. Nachbar Klaus hat ein praktisches Elektrogerät dafür, ich mache es mit der Hand, weshalb ich immer nur kleine Mengen produziere. Und jeder Eimer Mörtel ist in seiner Zusammensetzung ein wenig anders. Vielleicht sollte ich lieber meinem eigenen Mörtelgefühl vertrauen und etwas weniger auf Nachbar Klaus hören.

Ich habe gelernt, der Besitzer eines Gartens zu sein. Ich kenne nun die Verantwortung, die das Zähmen der Natur im kleinen Maßstab mit sich bringt. Und mehr noch als in den Gärten anderer ist mir bewusst, dass man niemals wirklich etwas falsch machen kann: Ein Garten lebt, wächst, stirbt ab, kann eine Weile »blöd« sein und einen Monat später »hübsch«. Ich lerne, geduldig zu sein und einen ganzen Sommertag im Liegestuhl zu verbringen, um in den blauen Himmel zu starren. Morgen ist auch noch ein Tag, um etwas einzupflanzen oder wieder auszugraben. Und wenn nicht morgen, dann eben übermorgen.

Woran mein Auge jetzt, ein paar Jahre nach dem Schreiben des Artikels, hängen bleibt, ist diese Aufregung, dieses Gefühl, einen Garten zu besitzen, der – für einen Gärtner – nicht schön genug ist, der die Erwartungen der Besucher nicht erfüllt. Das ist etwas, das zu mir gehört. Wenn sich schon Jarmans verbissene, urteilende und prüfende Art in seinem Garten widergespiegelt hat, ist dann mein Garten nicht auch ein Spiegelbild meiner Aufregung, oder besser, meiner Unsicherheit? Teilweise schon. Erst gestern habe ich das wieder einmal erlebt, als ich am Rand der Terrassenflächen seitlich vom Haus das letzte Ziergras (Carex morrowii »Variegata«) ausgebuddelt habe. Ursprünglich hatten dort sieben Büschel gestanden, umgeben von einem Zaun, den ich aus geschnitzten Zweigen geflochten hatte. Der wackelige Zaun war schon längst umgefallen. Die Terrasse, die ich vor zwei Jahren mit einem Sammelsurium aus Fliesen und Klinkern gepflastert hatte, wurde plötzlich zu einer jungfräulich unberührten Fläche. Nein halt, vielleicht ein wenig zu unberührt. Also grub ich neun Buchsbaumsträucher aus, die etwas höher am Hang standen, und setzte sie in Reih und Glied in dieses Stück Erde. Ich beendete das Ganze, indem ich sie zurechtstutzte, schön akkurat. So flattert in meinem Garten alles hin und her. Eine Folge der Weigerung, einen Entwurf zu zeichnen.

Während meiner Ausbildung zum fachkundigen Gärtner fühlte ich mich in der Gruppe wie ein Eindringling, wie jemand, der aus rätselhaften Gründen in die Lehre geht und dort eigentlich nichts zu suchen hat. Fast alle arbeiteten im Grünen, manche in den Grünanlagen einer Gemeinde, andere bei einer Gärtnerei und einer bei einem Blumenzwiebelzüchter. Ich war Schriftsteller (in jener Zeit von zwei etymologischen Wörterbüchern für Jugendliche und einem Jugendroman, Birnbäume blühen weiß), einer aus der Großstadt, einer ohne schmutzige Hände und de facto arbeitslos. Und obwohl ich den anderen während dieser drei Jahre in nichts nachgestanden habe – ich bin noch immer sehr stolz auf die Zwei plus, die ich für das Pflastern bekommen habe (aber die Vier minus im Heckenschneiden habe ich auch nicht vergessen) –, blieb dieses Gefühl bestehen. Das gehört anscheinend zu mir, ist ein wesentlicher Zug meines Charakters. Dabei glaube ich nicht, dass ich wirklich als Gärtner gearbeitet hätte, selbst wenn 2006 nicht Oben ist es still erschienen wäre – obwohl, so etwas kann man nie mit Sicherheit sagen.

Von Baumpflegern oder Gärtnern kriege ich ab und zu einen Rüffel, wenn ich in ihren Augen wieder einmal einen blödsinnigen Artikel für De Groene Amsterdammer oder später für Trouw geschrieben habe. Ich erinnere mich an den höhnischen Leserbrief einer bekannten Amsterdamer Baumpflegerin, nachdem ich mich über das Fällen der Ulmen für die Sanierung der Javastraat ausgelassen hatte. Die Ulmen sollten durch spezielle Ahornbäume ersetzt werden, die Acer rubrum »Red Sunset«, die prachtvolle Herbstfarben hat. Ich hätte von nichts eine Ahnung, schrieb die Frau in dem Leserbrief, die Ahornbäume würden dahinsiechen, viel zu wenig Licht in der Straße! Kürzlich radelte ich durch die Javastraat, die Bäume gedeihen prächtig, kein einziger siecht dahin. Ich werde im Spätherbst noch einmal durch die Javastraat radeln.

Aus dem einen oder anderen Grund habe ich mich also immer als einen ziemlich unbeholfenen Gärtner empfunden, obwohl mein Diplom in der Schublade meines Spiegelschranks in Amsterdam liegt. »Den einen oder anderen Grund« kann ich jedoch nicht genau benennen. Ist das meine Art? Liegt es vielleicht an meiner Unsicherheit, derentwegen ich hier in meinem Eifelgarten immer wieder alles verändere? Man könnte das angesichts des ständigen Umpflanzens und Umsetzens mit Ja beantworten. Andererseits: Man ist durch die Dynamik eines Gartens, durch das Wachsen und die anderen Entwicklungen einfach gezwungen, Pflanzen und Sträucher zu entfernen oder umzusetzen. Spiegelt mein Garten meine Unsicherheit wider? Können Besucher das an ihm ablesen? Nein; sie sehen ja nicht die wochen- und monatelange Arbeit, die Veränderungen – hoffentlich zum Besseren –, sie sehen nur das Resultat. Keiner wird bemerken, dass ich erst gestern die Buchsbäume an den Terrassenrand gepflanzt habe. Für sie hat es den Anschein, als hätte es hier schon immer so ausgesehen.

In einem spiegelt mein Garten sehr wohl mein Wesen wider, und das ist die Form. Die Form und der bereits erwähnte Zaun. Ich brauche Linien, ich brauche akkurat geschnittene Hecken, ich brauche Struktur. Genau wie ich in meinem Alltag das Bedürfnis nach Struktur und Klarheit habe. Einmal war ich in den Gärten der Gartenarchitektin Mien Ruys in Dedemsvaart, zusammen mit Toos und Anita, die beide in der Gartengestaltung tätig sind. Bei einer Rabatte, die von Holzschwellen begrenzt wurde, sagte ich: »Also, hier könnte alles mal ordentlich zurückgeschnitten werden.« Sie sahen mich an, als wäre ich verrückt geworden. Das ist doch gerade schön, fanden sie, diese überhängenden Pflanzen, die die strengen Linien der Holzschwellen – eine »Erfindung« von Mien Ruys – abmildern. Ich für meinen Teil hätte die beiden auch anschauen können, als wären sie verrückt geworden. Diese Schwellen lagen da ja nicht umsonst, sie markierten eine Grenze. Man vergisst manchmal, dass das englische Wort border, das bei Gartengesprächen gedankenlos als einheimisches Wort in der Bedeutung »Rabatte« in den Mund genommen wird, wörtlich »Grenze« bedeutet. Ich will diese Grenze erkennen können. Sonst erscheint alles viel zu »natürlich«. Doch um Natur zu erleben, sollte man woanders hingehen, jedenfalls nicht in die Gärten von Mien Ruys.

Die letzten drei Sätze des Trouw-Artikels sind übrigens gelogen. Ich fand und finde es noch immer fast unmöglich, einfach zum Spaß Zeit in einem Liegestuhl zu verbringen. Das gehört auch zu meinem Wesen. Oder es liegt an meiner Erziehung.

Unser eigener Garten

Die eben erwähnte Toos heißt mit vollem Namen Toos Rottinghuis. Seit kurzem ist sie in Rente. Davor hat sie für das Büro Mien Ruys, Gartengestalter & Landschaftsarchitekten, gearbeitet, das seinen Sitz in einem schönen Gebäude an der Amstel in Amsterdam hat. Toos hat sich um die Finanzen gekümmert und alles berechnet, was zur Realisierung eines Gartenentwurfs nötig ist. Manchmal ging es um riesige Projekte, zum Beispiel um das Areal eines noch zu errichtenden Pflegeheims. Ich habe Toos auf der Eisbahn kennengelernt. Später waren wir zusammen beim Leichtathletiktraining. Sie hat mir während der Gärtnerausbildung gelegentlich beigestanden; meine Rechenkünste sind lange nicht so ausgeprägt wie ihre.

Das Büro bringt eine Gartenzeitschrift heraus, Onze eigen tuin (Unser eigener Garten). Ich habe sie abonniert. Hin und wieder bittet mich Leo den Dulk um einen Artikel. Leo ist Redaktionsmitglied des Blattes und hat eine Biografie über Mien Ruys geschrieben, die im Juni 2017 unter dem Titel Zoeken naar de heldere lijn (Die Suche nach der klaren Linie) erschienen ist. Mir gefällt Mien Ruys (1904–1999). Klare Linien. Die schon erwähnten Schwellen, die knallhart eine Grenze markieren. Herrlich. Mien Ruys ist auch die Erfinderin der Waschbetonplatte. Die finde ich zwar weniger schön, um nicht zu sagen hässlich, aber man kann sie umdrehen, und dann hat man eine stinknormale, vielleicht etwas grobe Betonplatte. Den Trick habe ich in ziemlich vielen Gärten angewendet, eine komplette Terrassenoberfläche einfach umgedreht. Das kostet nichts, doch der Effekt ist dramatisch.

Im Februar 2016 habe ich den folgenden Text geschrieben. Ich kann mich nicht mehr an die Vorgabe erinnern, aber es wird etwas mit der Begrünung von Städten zu tun gehabt haben.

Im Oostelijk Havengebied von Amsterdam säumen Ulmen die Uferstraßen. Ich nenne sie immer Pyramiden-Ulmen, offiziell handelt es sich um Ulmus »Columella«. Bin ich in Amsterdam, wohne ich in diesem Viertel und laufe mit meinem Hund Jasper die Straßen entlang. Die Gegend sollte ursprünglich eine Mischung aus Wohnhäusern und Wasser werden. Stein und Wasser. Doch als sich die Menschen ansiedelten, fanden sie es hier zu nackt und zu kahl, und so dauerte es nicht lange, bis Bäume gepflanzt wurden. Viele dieser Ulmen wurden mit der Zeit ersetzt, denn die Menschen, die sie sich so sehr gewünscht hatten, besaßen auch Autos, und beim Einparken – immer dann besonders heikel, wenn sich daneben ein Abgrund voller Wasser auftut – wurden die Ulmen erbarmungslos umgefahren oder ernstlich beschädigt. Deshalb hat man um die Stämme dicke, hufeisenförmige Metallkonstruktionen angebracht. An den Uferstraßen im Oostelijk Havengebied wurde es ziemlich schnell voll. Vor allem als die Bewohner neben den Ulmen noch mehr Grün anpflanzten und Zinkkästen mit Sträuchern und Stauden aufstellten. Inzwischen ist es ein Rosenstockparadies, überdacht (oder eben gerade nicht, denn die Columella wächst kerzengerade nach oben) von den dunklen, gekräuselten Blättern der Ulmen.

Wüsste man es nicht besser, wäre eigentlich alles in Ordnung. Aber ich weiß es nun einmal besser, und ich erinnere mich noch an die Kargheit, an die Kombination aus Stein und Wasser. Und an den Himmel natürlich, der Himmel ist immer dabei. Stein und Himmel und Wasser. Schön war das. Eine Stadt war das. Streng und übersichtlich und doch jeden Tag anders, denn Wasser ist glatt oder es bewegt sich, und Wolken segeln durch die Luft oder ziehen träge vorüber. Es regnet, hagelt, stürmt oder schneit, oder der Himmel ist strahlend blau. Mich hat das an Gemälde aus dem 17. Jahrhundert erinnert, mit den neuen Grachten, bei denen die Kaufmannshäuser im Mittelpunkt stehen und auf denen daher kaum oder gar kein Grün abgebildet ist. Grün nimmt die Aussicht auf die Häuser. Ein berühmtes Gemälde ist das von Gerrit Adriaensz. Berckheyde. Eigentlich muss ich statt »ist das« »sind die« schreiben. Er hat die Herengracht zwischen 1671 und 1685 insgesamt vier Mal gemalt. Ein in diesem Zusammenhang interessantes Detail: Die junge Bepflanzung, die es in jenen Jahren schon gegeben haben dürfte, hat er einfach weggelassen. Er malte ein in seinen Augen ideales Bild und sparte sich die Stämme und Blätter.

Für eine Weile gab es eine vergleichbare Situation, als während des Umbaus des Pflegeheims Amstelhof zur Hermitage die Nieuwe Herengracht neu gestaltet wurde. Nur kurz, sehr kurz, standen an einer Seite des Gebäudes keine Bäume. Es war wunderbar. Es strahlte. Die weiße Amstelbrücke, das Wasser, die Backsteine der Nieuwe Herengracht und die riesige, monumentale Seitenmauer der Hermitage. Mehr nicht. Das genügte. Wo auch immer ich in der Stadt zu tun hatte, ich radelte jedes Mal durch die Nieuwe Herengracht. Mittlerweile stehen dort natürlich längst wieder Bäume. Ulmen, um genau zu sein. Sie sind noch recht klein, doch bevor man sich versieht, wird das Gebäude – kommt man von der Stopera auf die Amstel zu – dem Auge vollkommen entzogen sein.

Während des Umbaus ist übrigens der Garten, den Mien Ruys in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts für das Pflegeheim entworfen hatte, verschwunden. Auf der Webseite der Hermitage steht: »Ein Museumsgarten hat natürlich eine ganz eigene Funktion. Van Gessel hat sich von dem Ort selbst inspirieren lassen. Vieles, was er vorgefunden hat, ließ er entfernen, aber die großen, über 200 Jahre alten Kastanien stehen heute noch. Sie sind die Prunkstücke des Gartens.« Natürlich, niemand macht dem neuen Gartenarchitekten einen Vorwurf, die alten Kastanienbäume sind ja gerettet! Damit ist alles wieder gut. Darüber schreibe ich nichts, denn ich habe mir den neuen Garten noch nicht angeschaut, und außerdem hat es nichts mit dem Thema zu tun. Den alten Mien-Ruys-Garten habe ich gerade noch rechtzeitig besucht, gemeinsam mit Toos Rottinghuis.

Wenn ich wie Berckheyde malen könnte, würde ich, mutwillig wie er, »überflüssiges Grün« weglassen. Aber ich kann absolut nicht malen. Schreiben ist mein Beruf, und deswegen schreibe ich jetzt auf, dass ich fürchte, ziemlich streng zu sein: Wenn man Grün möchte – viel und wucherndes und grenzenloses Grün –, dann sollte man nicht in einer Stadt wohnen. Eine Stadt ist eine Stadt, das Land ist das Land.

Ich mache das nicht absichtlich, ich sitze nicht mit dem Ziel an meinem Laptop, dem Leser von Onze eigen tuin meine trotzige Meinung aufzudrängen. Ehrlich. Genau wie man die Schönheit eines Waldes oder einer ausgedehnten Heidefläche besingen kann, kann man das auch mit der Schönheit von Stein, Himmel und Wasser tun. Der Rote Platz vor dem Kreml in Moskau erscheint aufgrund seiner leeren Weite so prachtvoll, lediglich an seinen Rändern wächst hier und da ein wenig Grün.

Anscheinend ist meine Fantasie mit mir durchgegangen. Denn kurz nach Erscheinen des Artikels fuhr ich mit dem Rad wieder einmal durch die Nieuwe Herengracht und bemerkte zu meiner Überraschung ein paar alte Ulmen an der Uferstraße. Die müssen da schon während des Umbaus des Pflegeheims gestanden haben. Oder wurden sie von einer Spezialfirma zeitweise entfernt und danach wieder eingepflanzt. Ich sehe doch immer noch diese kahle Uferstraße vor mir. Ich muss dem einmal nachgehen.

Noch ein Onze-eigen-tuin-Text: »Die Zukunft des Gartens«

Der allerschönste zukunftslose Garten ist selbstverständlich der Barockgarten. Streng konzipiert und nur dazu da, um gestutzt und klein gehalten zu werden; um hundert Jahre nach seinem Entstehen noch immer in demselben Zustand zu sein; um als ultimativer Beweis dafür zu dienen, dass der Mensch wie Gott ist und dass alles, was Natur ist, von ihm gebändigt werden kann. Ein zukunftsloser Garten, was für eine gute und vor allem friedvolle Idee.

»Ja, aber in unserem Garten lassen wir der Natur freien Lauf, wie Romke van de Kaa«, haben Bekannte zu mir gesagt, die einfach keine Lust oder keine Zeit hatten, sich um ihren Garten zu kümmern. Der Rasen wurde nicht mehr gemäht, und zwischen dem Gras wucherte üppig das Unkraut. So kann ich das auch, dachte ich. Jemand anderem die Schuld geben und sich selbst ins rechte Licht rücken. Am 13. April 2014 war ich bei der Saisoneröffnung der Gärten von Mien Ruys. Es war ein Riesenspektakel, denn es wurden drei Ereignisse zugleich gefeiert. Mien Ruys wurde vor 110 Jahren geboren, die Stiftung Gärten Mien Ruys feierte ihr neunzigjähriges Bestehen, und die Zeitschrift wurde 60. Es gab zahlreiche Vorträge. Da musste man sich entscheiden. Also bin ich nicht zu dem Vortrag gegangen, in dem über den Wucher-vor-dich-hin-Garten gepredigt wurde, sondern zu dem über die bald erscheinende Biografie von Frau Ruys. Giersch und Brennnesseln nicht herauszureißen, sondern etwas dazwischenzu-setzen und Gras um Baumwurzeln herum wachsen zu lassen – das langweilt mich, ehrlich gesagt, ein bisschen. Denn in zehn Jahren wird man Vorträge halten, bei denen man stolz das ultimative, wenn auch nicht umweltfreundliche Bekämpfungsmittel gegen Giersch präsentiert. Und dann müssen alle wieder dieses fürchterliche Unkraut jäten, was sogar noch unangenehmer sein wird, da man vorsichtig mit dem umgehen muss, was man zehn Jahre zuvor zwischen den Giersch gepflanzt hat und unbedingt wird retten wollen.

Gartentrends. Jedes Jahr gibt es einen neuen Gartentrend. Doch wie man diese Trends auch dreht und wendet, immer geht es um Fläche, Boden, Bepflasterung, Bepflanzungsmaterial, einen Bretterzaun oder ein Gatter. Ein Garten ist ein Garten. Immer. Auf BBC schaue ich manchmal die Chelsea Flower Show. Jedes Jahr gibt es etwas Neues, doch trotzdem sieht alles genau gleich aus und im Jahr darauf wieder. Auch Gardeners’ World schaue ich mir gerne an, und das vor allem, weil sich in diesem Programm nie etwas verändert, bis auf den Moderator vielleicht. Gardeners’ World bleibt immer unverändert, das Pensum für nächstes Wochenende ist jedes Jahr dasselbe, Monty Don und Carol Klein sind immer und ewig entzückt und begeistert. Herrlich, so schön übersichtlich und ruhig. Im Gegensatz zur Langlebigkeit dieser Sendung erscheinen jedes Jahr neue – und meist ziemlich teure – Gartenbücher. Bücher, die man eine Saison später nicht mehr im Buchladen findet, weil es dann modernere, trendigere Gartenbücher gibt. Gartenbücher haben eine kurze Lebensdauer, handelt es sich doch um einen Markt des Angebots, nicht unbedingt der Nachfrage. Die Gartenbuchverlage bieten ständig etwas Neues, etwas Anderes. Bestimmt werden Gartentrendwatcher hinzugezogen, und weil Trendwatcher ja sonst überflüssig wären, kommen auch sie jedes Jahr und jede Saison mit etwas Neuem, etwas Anderem.

2024 wird in Dedemsvaart natürlich wieder gefeiert. Dann besteht die Stiftung Gärten Mien Ruys nämlich 100 Jahre. Es wird Vorträge geben. Menschen, die in diesem Jahr da waren, werden wiederkommen und neue natürlich auch. Gartenliebhaber werden begeistert und entzückt sein, genau wie sie es in diesem Jahr waren. Es werden Pflanzen gekauft, die Gärten selbst bewundert, es wird auf Unterschiede hingewiesen und angemerkt, dass es doch eigentlich so »wie immer« ist. Es wird Kaffee und Tee geben, getrunken aus dem üblichen eklektischen Sammelsurium von Tassen, es wird Felco-Baumscheren zu kaufen geben und vielleicht immer noch die Filzhüllen für das iPhone 8s.

Die Zukunft des Gartens? Es gibt keine Zukunft für den Garten. Was es aber gibt, ist die Zukunft jedes einzelnen Gartens, ist der Garten, den man selbst anlegt und pflegt. Hierfür holt man sich auch Ideen aus teuren Büchern und Gartenzeitschriften, Ideen, die, wie sich vielleicht herausstellt, wegen der Bodenart, Lage, Anzahl der Sonnenstunden nicht durchführbar sind. Möglicherweise rennen wir in drei Jahren dem Nachfolger des Gartenarchitekten Piet Oudolf hinterher, und in zwölf Jahren dem Nachfolger des Nachfolgers. In der Zwischenzeit gibt es unseren eigenen Garten. Der wächst und blüht und gedeiht.