Eifersucht - Jo Nesbø - E-Book

Eifersucht E-Book

Jo Nesbø

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Beschreibung

Der Athener Ermittler Nikos Balli, ein Spezialist für das Mord-Motiv Eifersucht, ist seit dem Verlust seiner großen Liebe ein Getriebener. Auf der Insel Kalymnos soll er einen Vermissten finden, Julian. Er und sein Zwillingsbruder Franz waren in dieselbe Frau verliebt, Helena, Tochter eines Gastwirts der Insel. Es kam zum Streit, und seitdem hat man Julian nicht mehr gesehen. Sein Handtuch wurde am Strand gefunden, ist der junge Mann beim morgendlichen Schwimmen ertrunken? Balli ermittelt und stößt auf immer mehr Beweise, dass Franz seinen Bruder ermordet hat – aber dann wird Julian gefunden, gefesselt und entkräftet in einer Höhle. Doch wo ist Franz? Balli muss all sein Gespür aufbringen, seine eigene schmerzvolle Erfahrung, um den Kampf der Zwillinge um Helena zu stoppen ... Sieben erstklassige Stories, ein Motiv

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Eifersucht

Der Autor

JO NESBØ, 1960 geboren, ist Ökonom, Schriftsteller und Musiker. Er gehört zu den renommiertesten und erfolgreichsten Krimiautoren weltweit. Jo Nesbø lebt in Oslo.GÜNTHER FRAUENLOB, Jahrgang 1965. Er arbeitet seit über zwanzig Jahren als literarischer Übersetzer für Norwegisch und Dänisch. Zu den von ihm übersetzten Autoren zählen u.a. Lars Mytting und Gard Sveen. Er lebt in Waldkirch in der Nähe von Freiburg.

Das Buch

Der Athener Ermittler Nikos Balli, ein Spezialist für das Mordmotiv Eifersucht, ist seit dem Verlust seiner großen Liebe ein Getriebener. Auf der Insel Kalymnos soll er einen Vermissten finden, Julian. Er und sein Zwillingsbruder Franz waren in dieselbe Frau verliebt, Helena, Tochter eines Gastwirts der Insel. Es kam zum Streit, und seitdem hat man Julian nicht mehr gesehen. Sein Handtuch wurde am Strand gefunden, ist der junge Mann beim morgendlichen Bad ertrunken? Balli ermittelt und stößt auf immer mehr Beweise, dass Franz seinen Bruder ermordet hat – aber dann wird Julian gefunden, gefesselt und entkräftet in einer Höhle. Doch wo ist Franz? Balli muss all sein Gespür und all seine Erfahrung aufbringen, um den Kampf der Zwillinge zu stoppen.SIEBEN STORYS, EIN MOTIV

Jo Nesbø

Eifersucht

Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

ISBN 978-3-8437-2585-9© 2021 by Jo Nesbø© der deutschsprachigen Ausgabe 2021 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAutorenfoto: @ Stian BrochUmschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, MünchenUmschlagabbildung: FinePic®, MünchenE-Book Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

London

Eifersucht

Die Warteschlange

Abfall

Das Geständnis

Odd

Der Ohrring

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

London

»Oh, beware, my lord, of jealousy;It is the green-ey’d monster, which doth mock the meat it feeds on.«William Shakespeare, Othello

London

Ich habe keine Angst vorm Fliegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein ganz normaler Fluggast beim Start einer Passagiermaschine stirbt, beträgt eins zu elf Millionen. Was mit anderen Worten heißt, dass es achtmal wahrscheinlicher ist, an Bord eines Flugzeugs an einem Herzinfarkt zu sterben.

Ich wartete, bis die Maschine abgehoben hatte und sich die Flugkurve verflachte. Dann beugte ich mich zu der zitternden, weinenden Frau am Fenster hinüber und legte ihr mit leiser und wie ich hoffte beruhigender Stimme die Statistik dar.

»Wobei so eine Statistik nicht sonderlich hilft, wenn man Angst hat«, fügte ich hinzu. »Ich darf das sagen, denn ich weiß ganz genau, wie Sie sich fühlen.«

Du – die du bis zu diesem Moment ununterbrochen aus dem Fenster gestarrt hattest – drehtest dich langsam um und sahst mich an, als würdest du erst jetzt bemerken, dass jemand auf dem Platz neben dir sitzt. Die Business-Class hat den Vorteil, dass man sich dank des etwas größeren Abstands zwischen den Sitzen mit etwas Konzentration einbilden kann, man wäre allein. Es ist zudem ein ungeschriebenes Gesetz unter den Business-Class-Passagieren, dass man diese Illusion wahrt und sich die Gespräche auf den Austausch von Höflichkeiten und das praktisch Notwendige beschränken (»Ist es in Ordnung, wenn ich die Blende vor das Fenster ziehe?«). Der breitere Fußraum ermöglicht es, auch ohne größere Abstimmung aneinander vorbeizukommen, um auf die Toilette zu gehen oder an die Gepäckfächer zu gelangen. In der Regel kann man einander komplett ignorieren, auch wenn die Reise einen halben Tag dauert.

Dein Gesichtsausdruck sprach Bände, es überraschte dich, dass ich die Business-Class-Regel Nummer eins gebrochen hatte. Deine lässig-elegante Kleidung – eine Hose und ein Pullover, die auf den ersten Blick farblich nicht zusammenpassten, es aber vermutlich doch taten, wenn man das Gesamtbild betrachtete – verriet mir, dass es schon eine ganze Weile her sein musste, dass du Economy geflogen warst, wenn du es überhaupt jemals getan hattest. Aber du hast geweint, und warst es damit nicht du, die die unsichtbare Wand zwischen uns eingerissen hat? Andererseits hast du dich weinend von mir abgewandt und mir damit deutlich zu verstehen gegeben, dass du deine Gefühle nicht mit deinem Sitznachbarn teilen willst.

In dieser Situation kein tröstendes Wort zu finden kam mir kaltherzig vor, weshalb ich einfach hoffte, du würdest mein Dilemma verstehen.

Dein Gesicht war blass und verweint und trotzdem seltsam, fast elfenartig schön. Oder waren es die Blässe und die Tränen, die es so anziehend machten? Ich hatte schon immer eine Schwäche für das Zerbrechliche, Verwundbare. Ich reichte dir eine der Servietten, die die Flugbegleiterinnen vor dem Start unter unsere Wassergläser gelegt hatten.

»Danke«, sagtest du, nahmst die Serviette und warfst mir ein Lächeln zu, um dir dann unter dem Auge die verlaufene Schminke wegzuwischen. »Aber das glaube ich nicht.« Mit diesen Worten drehtest du dich wieder zum Fenster, legtest die Stirn an die Plexiglasscheibe, als wolltest du dich verstecken, und hast wieder geweint und gezittert. Was glaubtest du nicht? Dass ich wusste, wie es dir ging? Egal, ich hatte meinen Teil getan und würde dich für den Rest des Flugs in Ruhe lassen. Ich wollte mir einen halben Film anschauen und dann vielleicht ein bisschen schlafen. Mehr als eine Stunde würde das aber sicher nicht werden. Egal, wie lang diese Flüge dauern, richtig schlafen kann ich nie, ganz besonders dann nicht, wenn ich den Schlaf brauche. Ich würde nur sechs Stunden in London sein und dann gleich wieder nach New York zurückfliegen.

Die Anschnallleuchte verlosch, und eine Flugbegleiterin machte die Runde und füllte die leeren Wassergläser auf, die auf der soliden breiten Armlehne zwischen uns standen. Vor dem Start hatte der Kapitän durchgegeben, dass der Flug von New York nach London in dieser Nacht fünf Stunden und zehn Minuten dauern werde. Um uns herum kippten bereits einige der Passagiere die Lehnen nach hinten und zogen die Decken über sich, während andere im Licht der Bildschirme auf das Essen warteten. Sowohl die Frau neben mir als auch ich hatten dankend abgelehnt, als die Flugbegleiterin vor dem Start mit der Speisekarte gekommen war. Zu meiner Freude fand ich unter der Rubrik Classics den Film Der Fremde im Zug und wollte gerade die Kopfhörer aufsetzen, als ich deine Stimme hörte.

»Es geht um meinen Mann.«

Ich hielt die Kopfhörer in der Hand und wandte mich dir zu.

Die Mascara umrahmte deine Augen so dramatisch wie Theaterschminke. »Er betrügt mich mit meiner besten Freundin.«

Ich weiß nicht, ob du wahrgenommen hast, wie seltsam es war, dass du sie noch immer als deine beste Freundin bezeichnet hast, aber ich hatte nicht vor, dich zu korrigieren.

»Das tut mir leid«, sagte ich. »Ich wollte mich nicht einmischen …«

»Das muss Ihnen nicht leidtun. Es ist doch schön, wenn Menschen sich kümmern. Wir achten viel zu wenig aufeinander. Und haben doch so eine Wahnsinnsangst vor allem Aufwühlenden, Traurigen.«

»Da haben Sie wohl recht«, sagte ich und wusste nicht, ob ich die Kopfhörer beiseitelegen sollte.

»Ich tippe, dass sie es jetzt gerade miteinander treiben«, sagtest du. »Robert hat immer Lust auf Sex. Und Melissa auch. Bestimmt schlafen sie jetzt in meinen Seidenlaken miteinander.«

Mein Hirn zeichnete automatisch das Bild von einem Ehepaar Mitte dreißig, in dem er das Geld verdient, viel Geld, und sie das Bettzeug aussucht. Unsere Gehirne sind wahre Experten in Sachen Stereotypien. Manchmal irren sie sich. Manchmal haben sie recht.

»Das muss sich schrecklich anfühlen«, sagte ich möglichst neutral.

»Ich will sterben«, sagtest du. »Sie irren sich also, was das Fliegen angeht. Ich hoffe geradezu, dass das Flugzeug abstürzt.«

»Ich habe aber noch so viel zu erledigen«, erwiderte ich und machte eine besorgte Miene.

Für einen Moment hast du mich nur angestarrt. Kaum dass ich den Satz ausgesprochen hatte, war mir klar, wie unsensibel und unangebracht meine Worte wirken mussten. Der Scherz mag schlecht gewesen sein, das Timing war noch schlechter. Schließlich hattest du gerade erst zum Ausdruck gebracht, sterben zu wollen, und dafür sogar ein plausibles Motiv genannt. Ich konnte nur hoffen, dass du den Scherz als befreiende Ablenkung empfinden würdest. Man nennt das comic relief, wenn es denn funktioniert. Aber wie dem auch sei, ich bereute meinen Kommentar und hielt den Atem an. Doch du hast nur gelächelt. Wie das flüchtige Kräuseln der Oberfläche einer Pfütze, das gleich darauf wieder verschwunden war, aber ich atmete wieder.

»Entspannen Sie sich«, hast du leise gesagt. »Nur ich werde sterben.«

Ich sah dich fragend an, aber du hast jeden Blickkontakt vermieden und an mir vorbei zu den anderen Sitzreihen geschaut.

»In der zweiten Reihe da vorne sitzt jemand mit einem Säugling«, sagtest du. »Ein Kind in der Business-Class, das vielleicht die ganze Nacht schreit. Was sagen Sie dazu?«

»Was soll man dazu sagen?«

»Man soll sagen, dass die Eltern doch eigentlich wissen sollten, dass diejenigen, die extra viel bezahlt haben, um hier zu sitzen, dies möglicherweise getan haben, weil sie schlafen müssen. Vielleicht haben sie gleich morgen früh ein Meeting oder müssen zur Arbeit.«

»Tja. Solange die Fluggesellschaft Säuglingen nicht den Zugang zur Business-Class verwehrt, kann man den Eltern keinen Vorwurf machen, dieses Angebot auch zu nutzen.«

»Dann sollte die Fluggesellschaft für diese Täuschung bestraft werden.« Du bist dir vorsichtig mit einem Papiertaschentuch, das meine Serviette ersetzt hatte, unter dem anderen Auge entlanggefahren. »In der Werbung für die Business-Class zeigen sie Bilder von tief schlafenden Passagieren.«

»Auf lange Sicht wird die Gesellschaft ihre Strafe schon bekommen. Die Bereitschaft, mehr zu zahlen, wird sicher abnehmen, wenn man dafür nicht auch mehr bekommt.«

»Und warum tun sie das dann?«

»Die Eltern oder die Fluggesellschaft?«

»Dass die Eltern das tun, verstehe ich. Sie haben mehr Geld als Schamgefühl. Aber die Fluggesellschaft hat doch Einbußen, wenn ihr Businessprodukt an Wert verliert?«

»Sie verlieren aber auch in Sachen Bewertung, wenn sie als wenig kinderfreundlich an den Pranger gestellt werden.«

»Dem Kind ist es doch wohl egal, ob es in der Business- oder in der Economy-Class schreit.«

»Da haben Sie recht. Ich meinte weniger säuglingselternfreundlich.« Ich lächelte. »Die Fluggesellschaften haben bestimmt Angst davor, dass ein solches Verhalten als Form von Ausgrenzung aufgefasst werden könnte. Man könnte das Problem natürlich lösen, indem man weinende Passagiere aus der Business- in die Economy-Class verweist, wo sie dann ihren Platz mit einer freundlich lächelnden Person mit Billigticket tauschen müssen.«

Dein Lachen war weich und anziehend, und dieses Mal erreichte es auch deine Augen. Der Gedanke liegt nahe – und er war definitiv in meinem Kopf –, warum jemand einer derart attraktiven Frau untreu sein sollte? Aber so ist es ja: Es geht nicht um äußere Schönheit. Und auch nicht um innere.

»Was machen Sie beruflich?«, fragtest du.

»Ich bin Psychologe und arbeite in der Forschung.«

»An was forschen Sie?«

»Am Menschen.«

»Natürlich. Und was finden Sie heraus?«

»Dass Freud recht hatte.«

»Womit?«

»Menschen sind, mit ein paar wenigen Ausnahmen, nicht viel wert.«

Du hast gelacht. »Amen, Herr …«

»Nennen Sie mich Shaun.«

»Maria. Aber das ist nicht wirklich Ihre Meinung, oder?«

»Dass Menschen abgesehen von wenigen Ausnahmen nicht viel wert sind? Warum sollte das nicht meine Meinung sein?«

»Sie haben bewiesen, dass Sie sich um andere kümmern, und Fürsorge ist für einen echten Misanthropen sinnlos.«

»Na dann. Warum sollte ich lügen?«

»Genau deshalb: Sie kümmern sich. Deshalb haben Sie mir auch nach dem Mund geredet und mich mit Ihrer vermeintlichen eigenen Flugangst getröstet. Und mein Bekenntnis, dass ich betrogen werde, haben Sie mit der Aussage aufgefangen, dass die Welt voller schlechter Menschen ist.«

»Na, eigentlich bin ich doch hier der Psychologe.«

»Sehen Sie, sogar Ihre Berufswahl verrät Sie. Geben Sie ruhig zu, dass Ihre eigene Behauptung Sie widerlegt. Sie sind als Mensch sehr viel wert.«

»Ich wünschte, es wäre wirklich so, Maria. Ich fürchte aber, meine vermeintliche Fürsorge ist nur das Resultat einer bürgerlichen, sehr britischen Erziehung. Ich bin – außer für mich selbst – für niemanden von großem Wert.«

Du wandtest mir deinen Körper beinahe unmerklich weiter zu. »Dann ist es die Erziehung, die Ihnen Wert gibt, Shaun. Und wenn schon. Ihre Taten machen Ihren Wert aus, nicht was Sie denken oder fühlen.«

»Ich glaube, Sie übertreiben. Meine Erziehung führt lediglich dazu, dass ich die Regeln des guten Benehmens nicht gerne breche, ich opfere mich damit aber nicht auf. Ich passe mich an und vermeide, soweit möglich, Unannehmlichkeiten.«

»Als Psychologe haben Sie doch auf jeden Fall gesellschaftlichen Wert.«

»Ich fürchte, dass ich auch auf diesem Gebiet eine Enttäuschung bin. Ich bin weder intelligent noch arbeitsam genug, um ein Mittel gegen Schizophrenie finden zu können. Sollte das Flugzeug jetzt abstürzen, würde die Welt nur einen ziemlich langweiligen Artikel zum Thema Bestätigungsverzerrung verpassen, der in einer wissenschaftlichen Zeitschrift erscheinen soll, die von einer Handvoll Psychologen gelesen wird.«

»Kokettieren Sie gerade?«

»Und wie. Auch das zählt zu meinen Lastern.«

In diesem Moment hast du richtig herzlich gelacht. »Nicht einmal Frau oder Kinder, die Sie vermissen würden, sollten Sie so plötzlich verschwinden?«

»Nein«, antwortete ich kurz. Ich hatte den Sitz am Gang und konnte das Gespräch nicht dadurch beenden, dass ich mich zum Fenster drehte und so tat, als hätte ich dort unten auf dem nächtlichen Atlantik etwas Interessantes entdeckt. Und das Magazin aus der Tasche des Sitzes vor mir zu nehmen kam mir zu demonstrativ vor.

»Entschuldigung«, sagtest du leise.

»Ist schon in Ordnung«, antwortete ich. »Wie meinten Sie das vorhin: Nur ich werde sterben?«

Unsere Blicke begegneten sich, und zum ersten Mal sahen wir einander. Möglicherweise rationalisiere ich hier etwas im Nachhinein, aber ich glaube wirklich, dass wir beide etwas wahrnahmen und schon in diesem Moment ahnten, dass unsere Begegnung das Potenzial hatte, etwas zu verändern, ja bereits alles verändert hatte. Vielleicht hattest auch du diesen Gedanken, denn du hast dich etwas über die Lehne in meine Richtung gebeugt, dann aber innegehalten. Dein Parfüm ließ mich an sie denken, es war ihr Duft, sie war zurück.

»Ich werde mir das Leben nehmen«, flüstertest du.

Dann hast du dich zurückgelehnt und mich angesehen.

Ich wusste nicht, was mein Gesicht in diesem Moment ausdrückte, wohl aber, dass du die Wahrheit gesagt hast.

»Wie wollen Sie das machen?«, war alles, was mir dazu in den Sinn kam.

»Soll ich erzählen?«, fragtest du und sahst mich mit einem unergründlichen, beinahe heiteren Lächeln an.

Ich lauschte in mich hinein. Wollte ich das hören?

»Wobei das so eigentlich nicht stimmt«, schobst du hinterher. »Zum einen werde ich mir nicht das Leben nehmen, das habe ich bereits getan. Zum anderen tue ich das nicht selbst, sondern die.«

»Die?«

»Ja. Ich habe vor …« Du warfst einen Blick auf deine Uhr. Eine Cartier. Sicher ein Geschenk von diesem Robert. Vor oder nach seinem Seitensprung? Danach. Diese Melissa war sicher nicht die Erste, er war ihr die ganze Zeit untreu.

»… vier Stunden einen Vertrag unterschrieben.«

»Die?«, wiederholte ich.

»Die Selbstmordfirma.«

»Sie meinen … wie die in der Schweiz? Also aktive Sterbehilfe?«

»Ja, nur noch aktiver. Und mit dem Unterschied, dass sie dich auf eine Art töten, die nicht nach Selbstmord aussieht.«

»Oh?«

»Sie sehen so aus, als würden Sie mir nicht glauben.«

»Ich … doch, ja, ich bin nur verblüfft.«

»Das verstehe ich gut. Das muss auch unter uns bleiben. Der Vertrag enthält nämlich eine Verschwiegenheitsklausel, eigentlich darf ich mit niemandem darüber reden. Es ist nur so …« Ein Lächeln huschte über dein Gesicht, während deine Augen sich erneut mit Tränen füllten.

»… so unerträglich einsam. Und Sie sind ein Fremder. Und Psychologe. Sie unterliegen doch der Schweigepflicht, oder?«

Ich räusperte mich. »Was Patienten angeht, ja.«

»Dann bin ich jetzt Ihre Patientin. Ich sehe ja, dass Sie im Moment Zeit für eine Konsultation haben. Wie hoch ist Ihr Honorar, Doktor?«

»Ich fürchte, so einfach ist das nicht, Maria.«

»Natürlich nicht. Vermutlich verstößt das gegen die Spielregeln in Ihrem Metier. Aber als Privatperson können Sie mir doch zuhören?«

»Es stellt mich als Psychologen vor ein ethisches Dilemma, wenn eine suizidale Person sich mir anvertraut, ohne dass ich einzugreifen versuche.«

»Sie verstehen das nicht. Es ist zu spät, Sie können nicht mehr eingreifen, ich bin bereits tot.«

»Sie sind tot?«

»Der Vertrag ist unwiderruflich, ich werde im Laufe der nächsten drei Wochen getötet werden. Sie erklären einem vorher, dass es keinen Notausgang gibt, wenn man seinen Namen erst auf das Dokument gesetzt hat. Sonst würde es im Nachhinein nur alle möglichen juristischen Zweifelsfälle geben. Sie sitzen neben einer Toten, Shaun.« Du hast gelacht, aber dieses Mal klang dein Lachen hart und bitter. »Vielleicht können Sie einfach mit mir trinken und mir zuhören?« Dein langer, schlanker Arm ging nach oben zum Serviceknopf. Dann schallte ein leises, einsames Pling durch das Dunkel der Kabine. Es klang wie ein Sonar.

»Okay«, sagte ich. »Ich werde Ihnen aber keinen Rat geben.«

»Das ist gut so. Und Sie versprechen mir, es niemandem zu erzählen, auch nicht nach meinem Tod?«

»Das verspreche ich, wobei das für Sie ja keinen Unterschied machen würde.«

»Oh doch. Wenn ich gegen die Verschwiegenheitsklausel verstoße, können die mich verklagen und eine Menge Geld aus meinem Nachlass fordern, sodass für die Organisation, der ich mein Geld zugedacht habe, kaum etwas übrig bleibt.«

»Womit kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte die Flugbegleiterin, die lautlos neben uns aufgetaucht war. Du hast dich über mich gebeugt und für uns beide Gin Tonic bestellt. Der Ausschnitt deines Pullovers fiel etwas nach vorn. Ich sah nackte, blasse Haut und realisierte, dass dein Geruch doch nicht der ihre war. Deiner war etwas süßlich, würzig, wie Benzin. Ja, Benzin. Und eine Holzart, deren Namen ich mir nicht merken kann. Es war ein beinahe maskuliner Duft.

Nachdem die Flugbegleiterin das Servicelämpchen ausgeschaltet hatte und wieder verschwunden war, hast du dir die Schuhe ausgezogen, dich seitlich auf den Sitz gesetzt und katzengleich die Füße unter dich gezogen. Ich sah nur zwei schlanke, in Nylon gehüllte Knöchel, die mich unweigerlich ans Ballett denken ließen.

»Die Selbstmordfirma hat ihren Sitz in ziemlich schicken Räumlichkeiten in Manhattan«, sagtest du. »Eine Anwaltskanzlei. Angeblich ist das juristisch alles in Ordnung, was ich tatsächlich auch glaube. Zum Beispiel nehmen sie niemandem das Leben, der eine psychische Krankheit hat. Man muss erst eine gründliche psychiatrische Analyse über sich ergehen lassen, bevor man den Vertrag unterzeichnen kann. Und im Vorfeld alle eventuellen Lebensversicherungen gekündigt haben, damit sie nicht von der Versicherungsgesellschaft verklagt werden können. Es gibt auch noch eine ganze Reihe anderer Klauseln, die wichtigste ist aber die Verschwiegenheitsklausel. In den USA ist das Vertragsrecht zwischen zwei freiwilligen erwachsenen Partnern viel weitreichender als in den meisten anderen Ländern, aber natürlich fürchten sie die Reaktionen, falls das publik würde. Es ist gut möglich, dass die Politik dem Ganzen dann einen Riegel vorschieben würde. Sie machen keine Werbung. Ihre Klienten sind ausnahmslos wohlhabende Menschen, die sie vom Hörensagen kennen.«

»Durchaus verständlich, dass sie keine Publicity wollen.«

»Natürlich bauen auch ihre Klienten auf die Diskretion, Selbstmord ist ja ähnlich mit Scham belegt wie Abtreibung. Abtreibungskliniken tun nichts Ungesetzliches, schreiben ihr Tätigkeitsgebiet aber auch nicht in Großbuchstaben über ihre Eingangstüren.«

»Stimmt.«

»Natürlich basiert die gesamte Geschäftsidee auf einem Zusammenspiel von Scham und Diskretion. Die Klienten zahlen bereitwillig hohe Summen, um physisch und psychisch so angenehm und unerwartet wie nur möglich ins Jenseits befördert zu werden. Das Wichtigste dabei ist, dass weder Familie noch Freunde oder sonst jemand auch nur auf die Idee kommt, es könne sich um Selbstmord handeln.«

»Und wie stellen die das an?«

»Das erfahren wir natürlich nicht, es soll aber eine Vielzahl von Möglichkeiten geben, damit der Vertrag innerhalb von drei Wochen nach der Unterzeichnung erfüllt wird. Man nennt uns auch keine Beispiele, denn sonst würde man bewusst oder unbewusst bestimmte Situationen meiden, und das weckt dann nur unnötige Furcht. Wir erfahren nur, dass es vollkommen schmerzfrei sein wird und wir es nicht kommen sehen werden.«

»Ich verstehe ja, dass es für manche Leute wichtig ist, ihren Selbstmord zu kaschieren, aber warum für Sie? Wäre das nicht sogar eine Möglichkeit, sich zu rächen?«

»An Robert und Melissa, meinen Sie?«

»Ihr Selbstmord würde bei den beiden nicht nur Scham-, sondern auch Schuldgefühle auslösen. Robert und Melissa würden sich schuldig fühlen und sich mehr oder minder bewusst gegenseitig Vorwürfe machen. Das sehen wir immer wieder. Haben Sie mal einen Blick auf die Scheidungsrate von Eltern geworfen, die ihre Kinder durch Selbstmord verloren haben? Oder die Selbstmordrate dieser Eltern?«

Dein Blick ruhte fest auf mir.

»Tut mir leid«, sagte ich und spürte, dass ich etwas rot wurde. »Ich dichte Ihnen Rachegelüste an, nur weil ich sie hätte, da bin ich mir sicher.«

»Sie haben das Gefühl, sich selbst dadurch in ein schlechtes Licht gestellt zu haben, Shaun?«

»Ja.«

Dein Lachen war hart und kurz. »Das ist vollkommen in Ordnung, denn natürlich will ich Rache. Aber Sie kennen Robert und Melissa nicht. Würde ich mir das Leben nehmen und einen Brief hinterlassen, in dem ich Robert Untreue vorwerfe, würde er das nur leugnen. Er würde darauf pochen, dass ich wegen Depressionen behandelt wurde, was auch stimmt, und behaupten, ich hätte schließlich zusätzlich Paranoia entwickelt. Melissa und er waren sehr diskret, es ist gut möglich, dass wirklich niemand davon weiß. Ich tippe, dass Melissa nach der Beerdigung ein halbes Jahr lang einen anderen Typ aus Roberts Finanzkreisen daten würde. Einfach um ihr Gesicht zu wahren. Die sind alle geil auf sie, und irgendwie hat sie es immer geschafft, nicht wie ein Flittchen zu wirken, obwohl sie eins ist. Danach werden Robert und sie sich dann endlich finden und vermutlich als das Paar auftreten, das durch die gemeinsame Trauer um mich zusammengekommen ist.«

»Okay, Sie sind vielleicht eine größere Misanthropin, als ich es bin.«

»Mit Sicherheit. Wirklich zum Kotzen ist aber, dass Robert dann sicher auch noch so etwas wie Stolz empfinden würde.«

»Stolz?«

»Dass eine Frau nicht damit leben konnte, ihn nicht für sich allein zu haben. Er würde das so sehen. Und auch Melissa würde das so empfinden. Mein Selbstmord würde seinen Wert nur steigern und die beiden noch glücklicher machen.«

»Meinen Sie das im Ernst?«

»Aber sicher. Kennen Sie René Girards Theorien über die mimetische Begierde?«

»Nein.«

»Girards Theorie besagt, dass wir über unsere basalen Bedürfnisse hinaus keine Ahnung haben, was wir wollen. Deshalb ahmen wir unsere Umgebung nach. Wir finden gut, was andere gut finden. Wenn nur genug Leute um einen herum sagen, Mick Jagger sei sexy, will man ihn irgendwann selbst haben, obwohl man ihn anfangs hässlich fand. Wenn ich Roberts Wert durch einen Selbstmord steigere, will Melissa ihn nur noch mehr, und ich mache die beiden dadurch noch glücklicher.«

»Verstehe. Und wenn es so aussieht, als wären Sie durch einen Unfall oder eine natürliche Ursache gestorben?«

»Dann hat das den gegenteiligen Effekt. Dann bin ich vom Schicksal aus dem Leben gerissen worden. Robert wird dadurch anders über mein Ableben und mich als Person denken. Ich werde langsam, aber sicher zur Heiligen, sodass er sich an dem Tag, an dem Melissa ihn zu nerven beginnt – und der Tag wird kommen –, nur noch an meine guten Seiten erinnert und vermissen wird, was wir hatten. Ich habe ihm vor zwei Tagen in einem Brief erklärt, dass ich ihn verlasse, weil ich meine Freiheit brauche.«

»Heißt das, er weiß gar nicht, dass Sie über seinen Seitensprung mit Melissa Bescheid wissen?«

»Ich habe all ihre Textnachrichten auf seinem Handy gelesen, aber zu niemandem ein Wort gesagt. Nur zu Ihnen.«

»Und was wollten Sie mit diesem Brief dann bezwecken?«

»Anfangs wird er erleichtert sein, nicht derjenige sein zu müssen, der geht. Er spart die Kosten für die Scheidung und steht als good guy da, auch wenn er über kurz oder lang mit Melissa zusammenkommen wird. Aber irgendwann wird die Saat, die ich durch diesen Brief gesät habe, aufgehen. Dass ich ihn für die Freiheit verlassen habe, ist okay, aber mein Weggehen heißt irgendwie ja auch, dass es da draußen noch Bessere als ihn für mich gibt. Und dass ich vielleicht bereits jemanden gefunden habe. Wenn Roberts Gedanken erst an diesem Punkt angelangt sind …«

»… haben Sie die Theorie über die mimetische Begierde auf Ihrer Seite. Deshalb haben Sie die Selbstmordfirma ins Spiel gebracht.«

Du hast mit den Schultern gezuckt. »Wie hoch ist die Selbstmordrate bei Eltern von Kindern, die sich das Leben genommen haben?«

»Was?«

»Und welcher Elternteil ist es, der sich das Leben nimmt? Doch wohl die Mutter, oder?«

»Da sagen Sie etwas«, antwortete ich und starrte auf den Rücken der Lehne vor mir, während ich deinen Blick auf mir spürte und du auf eine ausführlichere Antwort wartetest. Ich wurde von zwei breiten, niedrigen Gläsern gerettet, die wie durch Zauberhand durch das Dunkel heranschwebten und auf der Armlehne zwischen uns landeten.

Ich räusperte mich. »Ist es nicht unerträglich, so lange warten zu müssen? Immer mit dem Gefühl aufzuwachen, dass man an diesem Tag bestimmt ermordet wird?«

Du hast gezögert, wolltest mich nicht so einfach vom Haken lassen. Schließlich sagtest du dann aber doch: »Nicht, wenn sich der Gedanke, dass man auch noch diesen Tag überleben könnte, schlimmer anfühlt. Natürlich überkommt uns manchmal die Panik vor dem Tod, und dann meldet sich auch der vollkommen unerwünschte Selbsterhaltungstrieb, aber das macht nichts, solange die Furcht vor dem Sterben geringer als die vor dem Leben ist. Sie als Psychologe müssten das wissen.« Das Wort Psychologe hast du übertrieben betont.

»Bis zu einem gewissen Grad, ja«, antwortete ich. »Ich denke gerade aber an Forschungen zu Nomadenstämmen in Paraguay, bei denen ein Stammesrat darüber entscheidet, wann die Alten so schwach sind, dass sie eine zu große Last für den Stamm sind und deshalb getötet werden müssen. Die Betreffenden wissen nicht, wie und wann das passieren wird, akzeptieren aber, dass es so ist. Sie wissen, dass ihr Stamm nur deshalb die Strapazen der langen Wanderungen in der kargen Region überstanden hat, weil sie die Schwachen geopfert und damit den anderen das Weiterleben gesichert haben. Vielleicht haben die heute zum Tode Verurteilten früher selbst ihre schwächliche Großtante im Dunkeln vor der Hütte erschlagen. Trotzdem zeigen die Forschungsergebnisse, dass die Unsicherheit den Stammesmitgliedern extremen Stress verursacht, der seinerseits wiederum eine wichtige Ursache für die geringere Lebenserwartung bei diesen Stämmen ist.«

»Natürlich ist das Stress«, sagtest du, hast gegähnt und dich ein wenig gestreckt, sodass dein Fuß mein Knie berührt hat. »Mir wäre es lieber, es würde nicht drei Wochen dauern, aber ich denke, es braucht seine Zeit, bis man die beste und sicherste Methode gefunden hat. Wenn es wie ein Unfall aussehen und trotzdem schmerzfrei sein soll, bedarf das sicherlich genauer Planung.«

»Kriegen Sie Ihr Geld zurück, wenn dieses Flugzeug abstürzt?«, fragte ich und trank einen Schluck Gin Tonic.

»Nein. Die Chefetage der Firma betont, dass sie hohe Ausgaben für jeden ihrer suizidalen Klienten haben und sich deshalb dagegen absichern müssen, dass die Klienten ihnen freiwillig oder unfreiwillig zuvorkommen.«

»Hm, dann haben Sie also noch maximal 21 Tage zu leben.«

»Bald nur noch zwanzig und einen halben.«

»Genau. Was wollen Sie in dieser Zeit unternehmen?«

»Tun, was ich früher nicht getan habe. Mit Fremden reden und trinken.«

Du nahmst dein Glas und leertest es in einem Zug. Mein Herz begann zu hämmern, als wüsste es bereits, was geschehen würde. Dann hast du dein Glas abgestellt und mir eine Hand auf den Arm gelegt. »Und dann habe ich Lust, mit Ihnen zu schlafen.«

Ich wusste nicht, was ich antworten sollte.

»Ich gehe jetzt auf die Toilette«, sagtest du. »Wenn Sie in zwei Minuten nachkommen, werde ich noch dort sein.«

Ich spürte so etwas wie einen inneren Jubel, und das war nicht nur Begierde. Ich nahm meinen ganzen Körper wahr, eine Art Wiedergeburt, ein Gefühl, wie ich es lange nicht mehr gehabt hatte, sehr lange, und von dem ich nicht geglaubt hatte, es noch einmal empfinden zu können.

»Ach ja«, sagtest du. »Ich bin nicht so stark, ich muss wissen, ob Sie auch kommen werden?«

Ich trank einen Schluck, um Zeit zu gewinnen. Du starrtest beim Warten auf mein Glas.

»Was, wenn ich eine Lebensgefährtin habe?«, fragte ich und hörte, dass meine Stimme heiser klang.

»Haben Sie nicht.«

»Oder ich Sie nicht attraktiv finde oder homosexuell bin?«

»Haben Sie Angst?«

»Ja. Frauen, die die sexuelle Initiative ergreifen, machen mir Angst.«

Du hast mein Gesicht studiert, als würdest du nach etwas suchen. »Okay«, sagtest du dann. »Das kaufe ich Ihnen ab. Tut mir leid, so ein Verhalten sieht mir eigentlich gar nicht ähnlich, aber ich habe keine Zeit zu verlieren. Was tun wir also?«

Ich spürte, dass ich wieder zur Ruhe kam. Mein Herz schlug noch immer schnell, aber die Panik und der Fluchtinstinkt wurden schwächer. Ich drehte das Glas in der Hand. »Fliegen Sie von London direkt weiter?«

»Reykjavík. Ich habe eine Stunde. An was denken Sie?«, fragtest du nickend.

»Ein Hotel in London.«

»Welches?«

»Langdon.«

»Das Langdon ist gut. Die Mitarbeiter lernen dort die Namen aller Kunden, die länger als eine Nacht bleiben. Außer sie haben den Verdacht, dass es sich um irgendeinen außerehelichen Kontakt handelt. Dann sind ihre Gehirnwindungen wie mit Teflon beschichtet. Aber wir werden da ja nicht länger als einen Tag bleiben.«

»Sie meinen …«

»Ich kann den Flug nach Reykjavík auf morgen umbuchen.«

»Sicher?«

»Ja. Freuen Sie sich?«

Ich lauschte in mich hinein. Ich freute mich nicht. »Aber was, wenn …«, begann ich, hielt aber inne.

»Sie haben Angst, dass die zuschlagen könnten, während Sie mit mir zusammen sind?«, fragtest du und hobst dein Glas, um mit mir anzustoßen. »Dass Sie es plötzlich mit einer Toten zu tun bekommen könnten?«

»Nein«, sagte ich lächelnd. »Ich meinte, was, wenn wir uns ineinander verlieben? Und Sie unterzeichnet haben, dass Sie sterben wollen. Auf einem Vertrag, der nicht rückgängig gemacht werden kann.«

»Dafür ist es zu spät«, sagtest du und legtest die Hand auf meine Armlehne.

»Sage ich doch.«

»Nein, ich meinte das andere. Wir haben uns bereits ineinander verliebt.«

»Haben wir das?«

»Ein bisschen. Doch. Genug, damit ich mich freue, vielleicht noch drei Wochen zu haben.«

Das Licht des Mondes, das durch das Fenster hinter dir schien, legte sich wie eine matte Gloriole um deinen Kopf.

»Was denkst du?«, fragtest du.

»Ich denke, dass ich bald aus diesem Traum aufwachen werde, denn das kann doch nicht wahr sein.« Du hast lächelnd meine Hand gedrückt, bist aufgestanden und hast gesagt, dass du gleich wieder da bist.

Während du auf der Toilette warst, kam die Flugbegleiterin und holte unsere Gläser. Ich fragte sie nach zwei Extra-Kopfkissen.

Als du zu deinem Platz zurückkamst, hattest du dich frisch geschminkt.

»Das ist nicht für dich«, sagtest du, als du meinen Blick bemerktest. »Die verschmierte Schminke hat dir gefallen, nicht wahr?«

»Mir gefällt beides«, sagte ich. »Und für wen schminkst du dich dann?«

»Was glaubst du?«

»Für die?«, fragte ich und nickte in Richtung Kabine.

Du schütteltest deinen Kopf. »Ich habe mir erst kürzlich die Ergebnisse einer Umfrage besorgt, in der die Mehrheit der Frauen angegeben hat, sie würden sich für das eigene Wohlbefinden schminken. Aber was meinen sie mit Wohlbefinden? Ist das nur die Abwesenheit von Unbehagen? Das Unbehagen, so gesehen zu werden, wie sie eigentlich sind? Ist Schminke dann nicht im Grunde eine aufgemalte Burka?«

»Schminkt man sich nicht eher, um etwas hervorzuheben, als um etwas zu verstecken?«, fragte ich.