Ein Auftragskiller im Ruhestand - Uwe Harm - E-Book

Ein Auftragskiller im Ruhestand E-Book

Uwe Harm

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Beschreibung

Ein Auftragskiller befindet sich schon 8 Jahre im Ruhestand und erhält im Alter von 72 überraschend einen letzten Auftrag. Trotz seiner erheblichen gesundheitlichen Probleme nimmt er diesen Auftrag noch einmal an. Drei Personen soll er liquidieren. Unter diesen Opfern ist auch der Privatdetektiv Tobias Alff. Diese Geschichte ist fast eine Krimi-Komödie, teilweise sehr skurril und überraschend.

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Seitenzahl: 163

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Der Autor:

Uwe Harm, Jahrgang 1952, lebt im Herzen Schleswig-Holsteins und ist als Diplom-Rechtspfleger bekannter Autor in der juristischen Fachliteratur zum Betreuungs- und Erbrecht. Seit zwei Jahren befindet er sich im Ruhestand und widmet sich nun spannenden Kriminalgeschichten.

Dieser vierte Roman ist schon fast eine Kriminalkomödie, eine skurrile Geschichte um einen vom Alter und von diversen Gebrechen gekennzeichneten Auftragskiller, der sich im Ruhestand befindet und nun noch einen Auftrag erhält. Drei Menschen soll er erschießen. Darunter ist auch der Hamburger Privatdetektiv Tobias Alff.

„Der Kaffee ist gleich fertig!“ rief Tanja Kramer ihrem Mann zu, der sich im Schlafzimmer gerade noch die warmen Hausschuhe anzog. „Soll ich die Langspielplatte auflegen, die du schon rausgelegt hat? Leichte Klassik?“ –

„Ja“, rief Joseph Kramer zurück, „die habe ich ja schon gestern rausgelegt. Da sind so schöne Lieder drauf.“

Joseph Kramer setzte sich am Esstisch auf seinen Stammplatz. Die schöne Musik begann und seine Ehefrau schenkte ihm die erste Tasse Kaffee ein. Es war Frühstückszeit, immer um 8 Uhr.

„Wenn du morgen zum Orthopäden gehst, zieh‘ lieber die Schuhe mit dem Klettverschluss an. Die kannst du dort schneller an- und ausziehen.“ –

„Ja, das ist richtig.“ Kramer nickte dabei.

Joseph Kramer war ein ruhiger und unauffälliger Mann. Er pflegte wenig Kontakte, allenfalls zu den unmittelbaren Nachbarn und das auch nur, wenn man sich im Garten sah. Seine grauen Haare waren ausgedünnt, aber sehr ordentlich mit einem Scheitel seitlich mit etwas Pomade in Form gebracht. Die leicht gebeugte Haltung kam von einem alten Rückenleiden. Er genoss jeden Tag und freute sich über die kleinen Annehmlichkeiten, die jeder Tag so mit sich brachte, ob es ein gelungenes Frühstücksei war oder ein Nickerchen in seinem kleinen Garten. Das gemütliche Frühstück mit seiner Frau Tanja war für ihn immer die schönste Tageszeit. Der kleine Esstisch stand in einem kleinen Erker mit Fenster zum Garten. Nach der letzten Tasse Kaffee, immer schwarz, nicht zu stark, ohne Milch und Zucker, ging Joseph Kramer gewohnheitsmäßig zu seinem alten Schallplattenschrank und sortierte die Langspielplatte wieder ein, die sie zum Frühstück gehört hatten. Es war diesmal leichte Klassik. Zu den 12 Titeln auf der LP gehörte auch das berühmte Wolgalied. Manchmal rührte ihn die Melodie so, dass ihm einige Tränen über seine Wangen liefen. Die Langspielplatten waren alle noch aus Vinyl und älteren Datums. Es war eine gute Sammlung mit leichter Klassik und alten deutschen Volksliedern.

Joseph Kramer wurde auf der Krim geboren. Seine Familie gehörte zu den Russland-Deutschen. Sie reisten Ende der 60er-Jahre nach Rumänien aus und später, 1978, endlich nach Deutschland, der Sehnsuchts-Heimat. Bald darauf konnte er in der kleinen Stadt Bad Segeberg in Schleswig-Holstein ein bescheidenes altes Siedlungshaus kaufen.

Die alten Lieder kannte er schon aus der Zeit, als seine Eltern noch auf der Krim lebten. Die alten deutschen Volkslieder erzeugten immer die Sehnsucht nach der Heimat. Und auch jetzt wurde er regelmäßig sentimental, wenn er die schönen Lieder hörte.

Er schaute nun aber auf die Uhr. Es wurde Zeit für den täglichen Spaziergang an der schönen Seepromenade. Auch das gehörte seit langer Zeit zu den täglichen Ritualen. So früh am Morgen waren nur wenige Menschen unterwegs. Das liebte er. Die Morgen-Sonne schien an diesem Tag wie so oft wunderbar über den See und dann genoss Joseph Kramer die Stille und Ruhe. Nur eine Erkältung oder ein Unwetter konnte ihn von diesem Spaziergang abhalten. Mit einer leichten grünen Jacke und einen Handstock ging er aus dem Haus, ohne seiner Frau etwas zu sagen. Sie kannte das und sah ihm nur durch das Küchenfenster nach. Joseph Kramer war inzwischen 72 Jahre alt. Den Handstock nahm er nur zur Sicherheit mit, da ihm schon das eine oder andere Mal schwindelig wurde. So ging er in der Stille des Morgens die Seestraße hinab, überquerte den Wendehammer am Ende und wollte gerade auf die See-Promenade zugehen. Da fiel ihm das große rote „A“ auf. Es war mit roter Ölkreide sehr groß auf dem gepflasterten Fußweg geschrieben worden.

Joseph Kramer stutzte. Er erschrak sogar ein wenig. Sollte er tatsächlich nach 8 Jahren noch einen Auftrag erhalten? Er erinnerte sich an seinen letzten Auftrag. Das war im Winter 2012 und die Sache war damals schwierig gewesen. Er musste seine Planung dreimal ändern, um sicher zu gehen. Aber er hatte immer Erfolg. Das gelang ihm nur, weil er den gesamten Vorgang kleinteilig plante und vorbereitete. Manchmal war auch etwas Glück dabei. Einige der früheren Aufträge gingen ihm immer wieder Mal durch den Kopf. Gelegentlich bekam er sogar Albträume und schrak dann nachts hoch. Am Ende eines Auftrages bekam Joseph Kramer dann immer ein gutes Honorar. Bargeld natürlich. Eine größere Summe hatte er in all den Jahren zusammengespart und im Keller seines Hauses gut versteckt. Davon lebten sie neben der kleinen Rente.

Die Aufträge kamen immer auf diese Weise. Ein mit roter Öl-Kreide gezeichnetes „A“ auf dem Spazierweg bedeutete, dass am Ende des Weges auf der letzten Bank der Vermittler wartete. Kramer konnte sich das kaum vorstellen, aber er beeilte sich nun und erreichte bald die letzte Bank auf dem Weg am See entlang. Dort saß Victor. So nannte er sich immer, aber Kramer wusste natürlich, dass das nicht sein wirklicher Name war. Victor war auch älter geworden, aber er trug seinen Vollbart immer noch wie früher, sehr gepflegt, kurz und inzwischen aber grau geworden. Er trug eine schwarze Lederjacke, dazu Lederhandschuhe und sah nur kurz Kramer ins Gesicht. Kramer setzte sich neben ihn und wartete ab.

„Wie geht’s?“ fragte Victor und sein Blick blieb bei einer Entenschar auf dem Wasser hängen. Eine Entenfamilie zog mit sieben Küken an ihnen vorbei.

„Mir geht es gut. Aber nach 8 Jahren kommst Du wieder zu mir? Habt Ihr keine anderen Leute?“

Victor schwieg zunächst, warf einen kleinen Kieselstein ins Wasser und schaute sich dann prüfend um, ob sie wirklich allein waren.

„Wir haben zwei gute Leute. Einer ist seit Wochen in Rio. Ein schwieriger Fall. Der andere ist noch sehr jung und leider ein Hitzkopf, der zweimal fast gescheitert wäre. Der muss noch viel lernen. Meine Auftraggeber haben mir eine Liste gegeben. Drei Personen stehen darauf und ich habe gesagt, der Kramer macht es noch einmal.“

Joseph Kramer überlegte. Mit 72 Jahren, Arthrose in den Knien, das alte Rückenleiden und eine diagnostizierte Herzschwäche, die sich bei gewissen Wetterlagen mit Luftnot bemerkbar machte - und die Sehkraft hatte auch etwas nachgelassen. Aber ein schönes Honorar lockte natürlich. Denn das angesammelte Geld im Keller war schon weitgehend verbraucht. Er hatte sich verrechnet und dachte, dass er damit bis zum Lebensende – bei aller Sparsamkeit – auskommen würde. Aber das Leben ist eben mit den Jahren immer teurer geworden. Unvorhergesehene Kosten taten das Übrige.„Ja, ich mache es. Aber es wird länger als früher dauern. Ich bin immerhin schon

72. Und drei Personen! Das kostet auch etwas mehr als üblich.“ –

„Haben wir Dich je gelinkt?“ kam es etwas schroff von Victor. „Meine Auftraggeber haben eine schöne Summe bereitgestellt.“

Victor griff nun in die Innentasche der Lederjacke und holte einen Umschlag heraus. Er gab ihn Joseph Kramer. Im Kuvert befand sich ein kleiner Zettel mit drei Namen und Anschriften. Auf ein weiteres Blatt waren mehrere Fotos der drei Personen kopiert. Eine schöne Anzahlung war auch dabei.

„Und hier ist ein kleines einfaches Prepaide-Handy. Meine Nummer ist eingespeichert. Nur Probleme, Fragen und der Erfolg dürfen Anlass für einen Kontakt sein. Aber das war ja immer schon klar. Du kennst die Regeln.“

Kramer nahm das Handy an sich und auch ein passendes Ladegerät. Er nickte nur. Victor stand von der Bank auf und ging ohne Gruß. Joseph Kramer sah sich nun die Liste noch einmal genau an. Drei Namen standen darauf:

Rudi Diedrichsen,

Tamara Kunz und

Tobias Alff.

Er steckte alles wieder ein und begab sich auf den Rückweg. Seiner Frau gab er nur den Hinweis, dass er einen Auftrag hätte und wohl für einige Wochen verreisen müsste.

„Ich sage dann den Arzttermin ab.“ Mehr sagte sie nicht dazu.

Überhaupt war sie ähnlich wortkarg wie er. So war sie schon in jungen Jahren als sich beide kennenlernten. Andere Mädchen, zu denen er Kontakt suchte, nervten ihn schnell mit ihrem Gerede. Nur Tanja war anders und so kamen sie für ein Leben zusammen. Sie fragte nie, wusste aber auch nie, um welcher Art „Geschäfte“ es ging. Es war auch besser so.

In Russland bekam Joseph Kramer, als junger Mann, die militärische Ausbildung zum Scharfschützen. Er war der Beste. Seine Ruhe war dafür eine wichtige Voraussetzung. Er bekam damals schon geheime Aufträge. Später als die Familie nach Rumänien auswanderte, bot er sich dort an und wurde vom rumänischen Geheimdienst genutzt. In Deutschland schließlich bekam er von einem geheimnisvollen Vermittler Aufträge. Die Auftraggeber waren ihm der Vorsicht geschuldet immer unbekannt.

Seine Frau wunderte sich jetzt nur, dass es nach 8 Jahren wieder soweit war. Joseph Kramer war nämlich ein Auftragskiller, aber seit 8 Jahren im Ruhestand.

„Vergiss bitte deine Medikamente nicht!“

Seine Ehefrau machte sich um seine Gesundheit Sorgen. Jetzt mussten sie den Termin beim Orthopäden erneut verschieben. Kramer begann, sich vorzubereiten und forschte nach weiteren Informationen zu den drei Opfern.

*

Der Hamburger Privatdetektiv Tobias Alff war kurz vor 11 Uhr am Vormittag in seinem Büro in der Dorotheenstraße in Hamburg angekommen. Er hatte wieder schlecht geschlafen. Das war immer der Fall, wenn es auch nachts sehr warm war. Aber auch das Essen am Vortag war zu spät und zu üppig. Von der deftigen Kartoffelsuppe mit Einlage hatte er einfach einen Teller zu viel genommen. Aber hauptsächlich waren es mehrere Prellungen am Körper, die ihm heftige Schmerzen bereiteten. Eine böse Verwechslung führte dazu, dass er vor zwei Tagen, spät in der Nacht von zwei Männern Prügel bezogen hatte. Der Auftrag war klar. Ein Spanner, der sich in einer Wohnsiedlung nachts herumtrieb und insbesondere bei den Frauen Angst verbreitete, sollte gestellt werden. Deshalb musste Alff natürlich spät nachts vor Ort sein und mit etwas Glück diesen Spanner entdecken und stellen. In der Siedlung gab es aber gerade deswegen seit Tagen freiwillige Nachtwachen einiger Nachbarn. Dummerweise hielten die ihn für den Spanner und stellten nun den Detektiv. Da half keine Erklärung. Schon saß der erste Boxhieb in der Magengegend. Die Luft blieb weg und aufklärende Worte waren nicht möglich. Die beiden Männer der Nachtwache hatten aber auch einen Knüppel dabei und schlugen nun munter zu. Alff wurde windelweich geprügelt.

Er öffnete im Büro zuerst alle Fenster wegen der sommerlichen Hitze, die schon Ende Mai einsetzte. Dann wurde es Zeit für den ersten Kaffee. Aber jede Bewegung schmerzte.

Tobias Alff ließ sich in den alten Ohrensessel fallen. Das war sozusagen ein Erbstück von seinem Vater, der wegen zunehmender Demenz nicht mehr allein leben konnte und nun bei seiner Schwester, Tante Irmchen, wohnte. Alff öffnete zum Kaffee ein Kuvert, ein Brief von der Hamburger Sparkasse, der die Kontoauszüge seines Geschäftskontos enthielt. Er wusste, dass die finanzielle Lage wieder schwierig war. Die wenigen Kontoauszüge und ein unpersönliches Standard-Anschreiben belegten trotz Überweisung der letzten beiden guten Honorare immer noch ein Minus von ca. 2.000 Euro. Tobias Alff lehnte sich in seinen Ohrensessel zurück und atmete schwer aus. Er musste seine Partnerin wohl wieder bitten, die fällige Miete zu übernehmen.

Karin Sommer war seit einigen Jahren seine Partnerin. Sie war 35 Jahre alt, außerordentlich attraktiv, klug und selbstbewusst, eine Frau, nach der sich die Männer interessiert umschauten. Sie hatte ein eigenes gutes Einkommen. Ihr Fitness-Club für Frauen – sie war seit etwa einem Jahr Geschäftsführerin und Mitinhaberin - lief gut und so unterstützte sie ihren Lebenspartner immer wieder, wenn die Auftragslage schlecht war. Sie war eine richtige Power-Frau.

Am Nachmittag kam sie etwas früher ins Büro, weil ein Rückenkurs ausgefallen war. Sie trug ein lachsfarbenes leichtes Sommerkleid. Der weite Ausschnitt vorn wie hinten verriet jedem Mann schnell, dass sie keinen BH drunter trug. Ihre langen blonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Seit sie vor mehreren Monaten selbst bei dem in ihrem Club angebotenen Kickbox-Kurs mitmachte, war ihr Körper erkennbar sportlich fit, ohne dass die weiblichen Rundungen darunter litten. Tobias Alff hatte dagegen mit Sport nichts im Sinn. Auf Drängen seiner Partnerin fuhr er jetzt häufiger mit dem Rad ins Büro. Er war inzwischen 50 geworden und als Detektiv hatte er vor über 20 Jahren natürlich auch ein wenig Kampftechnik gelernt, aber den Sport nicht lange weiter betrieben. Er war vom Naturell her eher bequem und liebte gutes, deftiges Essen. Aber die Figur verriet schon eine Weile, dass die Lebensweise dringend verändert werden müsste.

Alff ließ sich wieder in seinen Sessel fallen. Er mied dieses Thema und nickte nur zustimmend, wenn seine Partnerin zu mehr Sport mahnte. Nachdem sich Karin Sommer auch einen Kaffee gemacht hatte und sich zu ihm setzte, reichte er ihr stumm die Kontoauszüge.

Karin Sommer schlug die Beine übereinander und betrachtete die Kontoauszüge gründlich, schüttelte den Kopf und legte die Auszüge wieder auf den Schreibtisch. Sie kannte das und würde auch jetzt wieder die Büromiete zahlen. Beide saßen eine Weile stumm mit ihrem Kaffeebecher gegenüber.

„Was macht dein Rücken?“ –

Der Detektiv atmete bei dieser Frage tief durch und setzte eine leidende Miene auf.

„Jede Bewegung schmerzt! Immerhin haben die beiden Männer sich inzwischen entschuldigt.“ –

„Ja, Prellungen schmerzen sehr. Da wirst du noch lange mit zu tun haben.“ –

„Ich hätte das Honorar deswegen erhöhen müssen. Sozusagen mit einem Gefahrenzuschlag.“

Der Detektiv stand auf und stellte seinen Kaffeebecher auf die winzige Ablage der Küchenzeile im hinteren Flurbereich ab.

„Wir wollen uns doch noch ein neues Marketing-Konzept überlegen“, rief seine Partnerin ihm zu und begann dabei mit einem anderen Thema wieder das Gespräch, „und zwar mit regelmäßigen Kleinanzeigen in den Werbeblättern und ich denke auch an Radiowerbung. Ohne Werbung kommst du nicht weiter.“

Tobias Alff nickte zustimmend. Er dachte seit Wochen darüber nach, einen kleinen Nebenjob zu suchen, damit wenigstens eine gewisse Summe regelmäßig eingeht. Er könnte für ein Unternehmen Taxi fahren. Karin kannte diese Überlegungen. Aber jetzt, nachdem sie den Kaffeebecher zurückgestellt hatte, war die Buchhaltung dran. Das war immer ihre Aufgabe. Karin setzte sich an den PC, nahm den Karton mit den Belegen und aktualisierte die Bücher. Aber plötzlich hielt sie inne:

„Morgen melde ich Dich in Langenhorn bei dem Sportclub von Sabine an. Die haben neuerdings auch für Männer eine kleine Muckibude. Und sie kann auch gut massieren. Das wäre für deinen Rücken jetzt genau das Richtige!“ –

„Ich dachte, der Club ist nur für Frauen! Anders kann ich mir das bei Sabine auch gar nicht vorstellen.“ –

Tobias Alff kannte diese Sabine. Sie war eine gute Bekannte seiner Partnerin. Aber er mochte sie nicht besonders.

„Nein, unten im Erdgeschoss hat sie seit einem halben Jahr einen kleineren Raum für Männer eingerichtet“, antwortete Karin, „eigentlich wollte sie da nur Jugendliche trainieren, aber inzwischen sind auch einige Männer dort. Mit Sabine bin ich jetzt übrigens häufiger in Kontakt, weil wir demnächst eine Kickbox-Sparte für Frauen in Hamburg etablieren wollen.“ –

„Na gut“, kam es fast resignierend zurück, „ich schau mir ihre Angebote nächste Woche an.“

Alff wusste, dass diese Sabine eine harte Trainerin war. Sie würde ihn nicht schonen. Dem Detektiv schien, als durchlebe er gerade eine ganz schlechte Phase.

Karin schaute auf die Uhr und stand abrupt auf. Fast hätte sie es vergessen.

„In einer Stunde kommen die beiden Handwerker. Wir müssen jetzt alles hier vorbereiten. Die sollen doch mit dem Bad anfangen, oder?“ –

„Ja, stimmt! Und der Container kann auch jeden Moment kommen.“

Tobias Alff war froh, dass nun sein Büro von Grund auf saniert werden sollte. Das war nur möglich, weil Karin sich finanziell beteiligte und sogar ihre Schwester etwas dazugegeben hatte. Das Bad war sehr alt und sollte nun zuerst völlig neu gemacht werden. Alle alten Objekte waren nur noch zu entsorgen. So hatten sie nach Eintreffen der beiden Handwerker und des Containers den ganzen restlichen Tag zu tun.

*

Am Hans-Albers-Platz in Hamburg St. Pauli saß Rudi Diedrichsen an der Bar seines Nachtclubs mit dem Namen „Thai-Club“. Es war kurz vor 23 Uhr. Er trug wie immer eine schwarze Jeans und ein schwarzes Tshirt, genau genommen ein sogenanntes Muskelshirt. Seine dünnen dunkelblonden Haare hatte er mit Gel nach hinten gelegt und am Ende zu einem kleinen Zopf gebunden. Die Arme waren auffallend muskulös und überall tätowiert. Und die überdurchschnittliche Körpergröße und Masse machte auf andere immer einen gefährlichen Eindruck. Am Tresen trank er schon sein drittes Bier. Er schwitzte, denn die Hitze im Club schien noch unerträglicher zu sein als im Freien.

Seine thailändische Lebensgefährtin Pia stand hinter dem Tresen. Sie war sehr zierlich, hatte kaum Busen und hätte leicht als Teenager geschätzt werden können, wenn nicht das Gesicht einige deutliche Altersspuren aufgewiesen hätte. Sie trug einen schwarzen Minirock und ein netzartiges Oberteil, das nichts verbarg. Von einer nur mit einem Latex-Minirock und Netzshirt bekleideten sehr jungen asiatischen Service-Kraft nahm sie gerade eine Getränkebestellung für einen älteren Herrn entgegen. Eine Flasche Schampus und 3 Gläser sollten es sein. Der Gast saß mit einem weiteren Herrn älteren Semesters und einer der Thai-Mädchen an einem runden Tisch und alle waren bestens gelaunt. Es wurde laut gelacht. Sie waren sich einig, später auf eines der Zimmer im Obergeschoss zu gehen, um zu dritt Spaß zu haben.

Rudi Diedrichsen war dagegen schlecht gelaunt. Das war er oft, aber seit zwei Tagen fast ununterbrochen. Grimmige Furchen an der Stirn und verkniffene Lippen waren das untrügliche Zeichen dafür und auch ein Hinweis, dass er nun sehr leicht reizbar war. Ein wichtiger Transport über den Landweg vom Irak über die Türkei, Bulgarien und dann nach Hamburg war nicht angekommen und wurde wahrscheinlich in Bulgarien überfallen. Der Lkw samt Ladung war nun verschwunden und hätte schon vor zwei Tagen in Hamburg eintreffen müssen. Von den beiden zuverlässigen Fahrern gab es kein Lebenszeichen. Diedrichsen hatte unzählige Male versucht, die Fahrer telefonisch zu erreichen. Aber es gab keine Reaktion. Diese Route, die seit langer Zeit gut funktionierte, war offenbar verraten worden. Das Problem: Die Ladung mit Kokain und einigen anderen Substanzen für die Herstellung von Partydrogen war verschwunden. Es waren erhebliche Werte. Der Umsatz brach damit ein, weil keiner der Zwischen-Dealer beliefert werden konnte. Er konnte alle zwar vertrösten, weil eine zweite Lieferung bevorstand, aber Diedrichsen hatte so eine seltsame Ahnung. Da gab es neue Gegner im Drogengeschäft. Überhaupt war die Konkurrenz auf dem Gebiet immer groß und das Geschäft gefährlich. Diedrichsen musste auf jeden Fall jetzt reagieren.

Der Thai-Club trug sich zwar noch knapp selbst, aber sein zweiter Club, der XXL-Club, der nur für die Geldwäsche existierte, musste immer bezuschusst werden und zwar mit den Erlösen aus dem Drogengeschäft. Und Bolle Holland mit seiner Motorradgang musste außerdem bezahlt werden. Auf ihn war Diedrichsen angewiesen. Sie kassierten die Schutzgelder, waren auch sonst für das „Grobe“ zuständig und verbreiteten bei Bedarf Angst und Schrecken.

Nach einem weiteren halben Liter Bier, den er in einem Zug einsog, ging er in ein hinteres Zimmer, in dem auch ein kleiner Schreibtisch stand. Gegenüber waren die Garderobenräume, eigentlich nur mit Vorhängen abgetrennte kleine Abteile, wo sich die Thai-Mädchen für die Striptease-Show zurechtmachen. Dort saß auch die Transe Nuri, ein Halbbruder von Pia und machte sich missmutig für den Auftritt zurecht. Der Transvestit war fast noch zierlicher als Pia, sah total mädchenhaft aus, hatte durch die jahrelange Hormoneinnahme kleine gut geformte Brüste und träumte davon, eines Tages im berühmten Pulverfass professionell auftreten zu können. Nuri war schwierig, launisch und fordernd. Als Diedrichsen auf die Uhr sah und merkte, dass es Zeit für seinen Auftritt war, schaute er hinter den Vorhang. Die Transe Nuri saß vor dem Spiegel, hatte nur einen silberfarbenen Slip an und fing sofort zu zetern an:

„Vor nur vier Gästen führe ich meine Show nicht vor! Ich habe meine Show immer weiter verbessert. Es ist inzwischen echte Kunst! Das kann man nicht einfach so billig wegtun.“