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Der Hamburger Privat-Detektiv Tobias Alff und seine attraktive Partnerin nehmen einen scheinbar gewöhnlichen Anfang an. Eine junge Frau wird vermisst. Die Suche führt die beiden Detektive aber schnell in lebensgefährliche Verhältnisse. Hat die Familie der Vermissten mit dem Verschwinden zu tun? Und welche Rolle spielen eine Spedition und die drei Nachtclubs? Als ihre Ermittlungen zu weit gehen und sie feststellen, dass es auch um Geldwäsche aus Drogengeschäften geht, geraten sie selbst in große Gefahr.
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Seitenzahl: 228
Veröffentlichungsjahr: 2020
Schneeregen schon Anfang Dezember und ein kalter Nordwind, der durch und durch geht. Der Winter scheint sich in Hamburg damit früh anzukündigen. Menschen eilen mit Regenschirmen und dicken Mänteln durch die Stadt. Alle wollen schnell noch etwas erledigen oder nach Hause. Es ist schon später Nachmittag. Feierabend für viele. Am Ende der Hamburger Elbchaussee steht ein kleines, aber wunderschönes Haus mit Jugendstil-Fassade. Das schmiedeeiserne Tor zum Grundstück ist etwa zwei Meter hoch und wird von innen elektrisch betätigt. Sieht man genauer hin, wird man mehrere Kameras entdecken. Der Garten ist großzügig angelegt und sehr gepflegt. In der beginnenden Dämmerung wirbelt der starke Wind eine Menge Laub umher.
Im Haus auf der hinteren Seite mit Blick zur Elbe befindet sich das Herrenzimmer. Ein typisch englisches Zimmer mit aufwendiger, dunkler Holzvertäfelung, dunkelgrüne englische Ledersessel, Jagdszenen auf mehreren großen Ölbildern und eine antiquarische Standuhr, die mit dunklen Glockenschlägen gerade 17 Uhr anzeigt. Der offene Kamin sorgt für wohlige Wärme und der Rauch einer teuren Zigarre aus Kuba erfüllt den Raum. Der alte Herr sitzt auf einen besonders schönen Ledersessel mit hoher Lehne ähnlich einem Ohrensessel. Er liebt die Ruhe. Nur das Knistern des im Kamin brennenden Holzes ist zu hören. Und er liebt den Genuss von teuren kubanischen Zigarren. In wenigen Minuten erwartet er zwei Männer, die ihm berichten werden und mit denen einige Dinge zu besprechen sind.
Zum einen wird Nr. 3 kommen. Ein großer kräftiger Mann, Mitte 40, stets korrekt gekleidet. Der alte Herr kennt auch seinen Namen, aber die anderen in der untergeordneten Organisation sollen seine Identität nicht kennen. Er ist der Verbindungsmann und hat die Aufgabe, für einen reibungslosen Geschäftsgang zwischen den verschiedenen Einheiten mit ihren unterschiedlichen Aufgaben zu sorgen. Der alte Herr hält ihn für absolut loyal. Anders schätzt er den anderen Mann ein, der jetzt auch erwartet wird. Er macht sich Sorgen um seine Zuverlässigkeit. Es geht um Henry Butt. Er leitet einen der Nachtclubs und spricht seit Jahren immer mehr dem Alkohol zu. Noch ehe der Club schließt, ist er oft schon betrunken. Seine Aufgabe war vor etwa 10 Jahren, den Hamburger Zweig zu führen. Das funktionierte einige Jahre gut. Er sollte ursprünglich auch alle drei Nachtclubs leiten und die richtigen Leute einsetzen. Wichtig war, für Ruhe zu sorgen, Skandale zu vermeiden und unauffällig zu bleiben. Nur so konnten alle Geschäfte unbemerkt ablaufen. Das schafft er jetzt nicht mehr. Henry Butt ist Alkoholiker, inzwischen Ende 50, kugelrund geworden und strahlt mit seine Halbglatze und seinem ständig roten Gesicht nur noch wenig Autorität aus.
Die beiden Männer erscheinen pünktlich, grüßen leise und sitzen schweigend dem alten Herrn direkt gegenüber. Nur das Feuer im Kamin und gelegentlich ein Knarzen der Ledersessel ist zu hören. Alle drei haben jeweils ein Glas guten schottischen Whisky vor sich stehen und warten auf eine Anweisung des älteren Herrn mit der Zigarre, der sich den kurzen Bericht von Nr. 3 ruhig angehört hat. Der alte Herr bläst genüsslich eine kleine Rauchwolke aus, nimmt dann einen Schluck aus dem Whiskyglas und schaut ernst in die Runde. Sein Gesichtsausdruck ist eher nachdenklich. Er streicht seine grauen Haare mit einer Hand etwas zurück und wendet sich den beiden Männern zu:
„Ihr habt einen schlechten Job gemacht. Zwei schwere Fehler. Der Ort war nicht abgeschirmt und die junge Frau konnte fliehen. So etwas darf nicht passieren! Die Frau muss gefunden und ausgeschaltet werden.“
Die Stimme hebt sich dabei, wird etwas lauter und schneidender. Die beiden Gäste schweigen. Henry Butt greift nervös zum Glas und man sieht, dass seine Hand leicht zittert. Der ältere Herr mit der Zigarre sieht ihn prüfend an, lehnt sich dann aber wieder in seinem Sessel zurück. Er trägt einen schwarzen Nadelstreifen-Anzug, ein teurer Maßanzug mit perfektem Sitz. Die goldgestreifte Krawatte mit dunkelroter Grundfarbe ist sorgfältig gebunden und bildet einen schönen Kontrast zum blütenweißen Hemd. Als Nr. 3 das Wort wieder ergreifen will, kommt ihm der ältere Herr zuvor und er sieht dabei Henry Butt an:
„Ich will jetzt keine Erklärungen hören! Ihr wisst was zu tun ist. Ich sage es noch einmal: Das Mädchen muss ohne Spuren verschwinden. Wenn das nicht gelingt, bekommen wir große Probleme und müssten aus der Deckung. Das wäre fürs Geschäft mehr als schädlich.“
Die beiden anderen Männer nicken nur und ihnen ist klar, dass der Auftrag an Henry Butt gerichtet war. Henry Butt nimmt nervös noch einen Schluck von dem guten Whisky. Die Männer besprechen dann noch einige organisatorische Dinge, finanzielle Angelegenheiten, die immer neu vereinbart werden müssen. Nach der Besprechung nimmt Henry Butt dann den Alukoffer, der neben der großen stilvollen Standuhr für ihn bereit steht und alle verabschieden sich mit Handzeichen und zustimmenden Nicken.
Der ältere Herr drückt auf einen kleinen vergoldeten Klingelknopf und kurz darauf erscheint ein junges Mädchen, eine zierliche Asiatin, kaum 20 Jahre mit weißer Schürze über ein dunkelblaues Kleid und fragt leise nach den Wünschen. Sie nimmt die leeren Gläser unaufgefordert an sich und wischt mit einem feuchten Tuch den Tisch ab. Ohne sie anzusehen ruft er ihr nur zu:
„Bestell mir ein Taxi.“
*
Der kalte Nordwind pfeift immer wieder kurz und hörbar durch die Ritzen eines der alten Fenster im Büro des Detektivs Tobias Alff. Das Büro liegt in der Dorotheenstraße im Erdgeschoss. Eine alte dunkelblaue Tür führt in den Hausflur mit Treppe nach oben. Gleich links ist der Eingang zu seinem Büro. Gegenüber, rechts, befindet sich das Büro von Peter Hansen, einen guten Bekannten, der sich mit einem Hausmeisterservice seit zwei Jahren selbstständig gemacht hat. Alff sitzt mit einer dicken Wolljacke und einen Kaffeebecher in einen gemütlichen Ohrensessel und nascht von den Pralinen, die auf einem kleinen runden Beistelltisch noch in der Originalverpackung vor ihm liegen. Er ist kürzlich 50 geworden. Der Bauchumfang hat sich leider durch die Bequemlichkeit und Nascherei vergrößert. Aber ansonsten ist er von großer stattlicher Gestalt und besitzt noch volles dunkelblondes Haar. Auf dem alten Schreibtisch in der Mitte des Raumes liegen keine Akten oder sonstigen Papiere, nur eine Zeitung von gestern. Seit zwei Wochen ist er wieder als Kaufhausdetektiv tätig. Das ist dann immer eine Art Notmaßnahme, wenn über längere Zeit keine Aufträge eingehen. Ein öder Job. Zwei Diebinnen hat er dabei überführen können. Wie meistens, versuchen sie mit mehr Kleidung in die Umkleide zu gehen und kommen dann mit weniger heraus. Und dann kommt auch das Nachdenken. Lohnt sich sein Job überhaupt noch? Kann man mit 50 noch ganz was Neues anfangen? Und an eine Altersversorgung ist überhaupt nicht zu denken. Wenn er nicht Karin, seine Lebensgefährtin, hätte, wäre die Insolvenz schon lange fällig. Dass er diese Frau gefunden hat, ist für ihn ein Glücksfall. Sie ist fast immer gut gelaunt, optimistisch und denkt in allen Dingen mit. Mit diesen Gedanken greift er wieder zu den Pralinen und schaut auf die Uhr. Es ist kurz nach 17 Uhr. Jeden Moment würde Karin kommen. Sie hat ihn wie so oft schon zum Essen eingeladen.
Als er sich aus dem Schrank im Nebenzimmer, das als kleines Schlafzimmer eingerichtet ist, ein weißes Hemd herausnimmt, klingelt das Telefon. Er hat noch einen Festnetzanschluss mit einem cremefarbenen Endgerät aus den 70er-Jahren. Das wird wohl Karin sein, die eine Verspätung ankündigt, denkt sich Tobias Alff, als er zum Schreibtisch eilt. Er nimmt den Hörer ab und meldet sich aber immer geschäftsmäßig. Am anderen Ende hört er nicht Karins Stimme, sondern die Stimme einer anderen unbekannten Frau:
„Herr Alff! Ich habe Ihre Adresse im Internet gefunden. Meine Tochter ist seit zwei Wochen spurlos verschwunden. Die Polizei ist ratlos und macht nichts. Damit kann ich mich nicht abfinden. Können Sie morgen am frühen Nachmittag zu mir kommen? Ich möchte Sie beauftragen.“ –
„Ja, ich schaue gerade auf meinen Terminkalender. Das ist zeitlich möglich. Ich komme so um 14 Uhr, wenn es recht ist. Sagen Sie mir nur Ihre Adresse.“ –
„Hier in Hamburg, Mittelweg 12. Mein Name ist Anna Torres.“ – „O. k., ich bin pünktlich.“
Kurz nach dem Telefonat kommt Karin ins Büro. Den dicken schwarzen Wintermantel öffnet sie nur leicht, weil es ihr auch im Büro zu kalt ist. Auch den Wollschal nimmt sie nicht ab. Alff und sie leben seit 4 Jahren zusammen, seit drei Jahren in ihrer Wohnung und gleichzeitig unterstützt sie ihn bei seiner Arbeit. Glücklicherweise auch dadurch, dass sie immer wieder Mal die Büromiete bezahlt. Die Detektivarbeit macht ihr Spaß und die notwendige Buchhaltung hat sie auch übernommen. Sie hält die Ordnung im Büro aufrecht, mit der Tobias Alff seine Probleme hat. Ihre blonden Haare trägt sie heute offen und Tobias Alff sieht unter ihrem Mantel ein dunkelrotes kurzes Kleid mit Glitzerpartikel. Dazu schwarze Strümpfe und wieder rote High Heels.
„Wo willst Du mich denn heute ausführen?“ fragt er lachend und zieht dabei ein weißes Hemd zu seiner guten Jeans an.
„Ich habe einen Tisch für uns im Restaurant des Hotels Hafen Hamburg reserviert. Ich dachte, dass wir einfach mal wieder elegant ausgehen sollten.“ –
„Dann ziehe ich auch mein schwarzes Sakko an und nehme eine Krawatte. Übrigens ist ein neuer Auftrag in Sicht. Morgen um 14 Uhr sind wir beide bei der Auftraggeberin. Ihre Tochter ist spurlos verschwunden. Da solltest Du mitkommen.“ –
„Ja, das kann ich einrichten“, erwidert sie und geht gedanklich ihre Termine durch.
Sie ist Fitnesstrainerin und gibt auch privat für Frauengruppen Kurse. Ihre Zeit kann sie dadurch weitgehend selbst gestalten. Ihr Einkommen reicht allemal, um sich eine schöne Wohnung leisten zu können. Und auch, um gelegentlich Tobias zu unterstützen. Tobias Alff zieht noch einen dunklen Mantel über und beide fahren in Karins roten Golf zum Hotel. Im Restaurant mit Blick über den Hafen essen sie gut zubereiteten Fisch, trinken korrekt temperierten Grauburgunder aus der Pfalz und flirten am Tisch wie Neuverliebte.
„Übrigens“ berichtet Karin zwischendurch, „meine Schwester hat uns für den übernächsten Sonnabend zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen. Es soll bei ihr diesmal alles stilvoll zugehen. Es gibt sogar einen Dresscode. Abendgarderobe oder zumindest förmlich gekleidet. Sie hofft, dass dann auch der Kunstmaler etwas angemessener gekleidet erscheint und nicht wie zum letzten Sommerfest.“
Sie lacht bei dem letzten Gedanken und sieht noch vor Augen, mit welch unmöglicher Kleidung er auf dem Sommerfest erschienen war. Er ist inzwischen der Lebensgefährte ihrer Mutter.
„Reicht dann, wenn ich dieses Sakko zum weißen Hemd trage?“ fragt Tobias und bestellt noch einen Grauburgunder, als eine Service-Kraft an ihrem Tisch vorbeigeht.
„Ja, auf jeden Fall, aber diesmal auch mit Krawatte. Aber was ich anziehe, weiß ich noch nicht. Vielleicht muss ich mir noch ein passendes Kleid kaufen.“
Sie gönnen sich noch mehr von dem guten Weißwein und lassen sich am Ende doch lieber mit dem Taxi zu ihrer Wohnung in Altona fahren. Karin hat dort ihre schöne 2 ½ -Zimmer-Wohnung, die sie sehr geschmackvoll eingerichtet hat und seit drei Jahren lebt auch Tobias Alff dort bei ihr.
*
In der Disco „Frida B.“ in der Friedrichstraße ist am Samstagabend volles Haus. Überwiegend junge Leute tanzen zu Laser-Lichtblitzen und lauter Musik. Die Tanzfläche ist fast überfüllt. Zwei DJ wechseln sich ab und heizen die Tänzer weiter ein. Vor dem Lokal stehen einige kleine Gruppen und rauchen in der Kälte der Nacht. Am Eingang ist ein Kommen und Gehen. Zwei große Männer mit schwarzen Lederjacken, die äußerlich kaum zu den üblichen Gästen passen und auch eher um die 40 sind, drängeln sich durch den Eingang. Sie kommen nicht zum Tanzen. Sie gehen langsam am Rand um die Tanzenden herum und scheinen jemanden zu suchen. Dann kommt der Wechsel der DJ. Immer nach etwa einer Stunde wechseln sich zwei DJ ab und der gerade abgelöste DJ geht durch die Tür, die auch zu den Toiletten führt. Eines der hinteren Räume gegenüber den Toiletten ist dem Personal vorbehalten, wenn die eine Pause benötigen. Und der DJ geht dort in die zweite Tür rechts. Die beiden Männer mit den Lederjacken folgen ihm und betreten ohne anzuklopfen das Hinterzimmer. Ein schmuckloser Raum, mit zwei kleinen Tischen und unbequemen Holzstühlen, einen 4-fach-Spind und ein Regal mit abgestellten Flaschen und vielen Kartons. Zwei Neonröhren sorgen für kaltes Licht. Eine Tür am Ende des Raumes führt offenbar nach draußen zu einem Hinterhof. Der DJ sitzt dort auf einem der Holzstühle und steckt sich gerade eine Zigarette an. Vor ihm steht eine Flasche Bier auf dem Tisch.
„Hey, hier ist nur für Personal!“ giftet er die beiden an.
Die beiden Männer reagieren nicht. Sie stellen sich vor ihm fast drohend hin und einer zeigt dem DJ wortlos das Foto einer jungen Frau mit langen rotblonden Haaren:
„War die hier oder ist die heute hier?“
Der junge DJ sieht beide abwechselnd an. Einer der Männer hat ein schiefes Gesicht. Das linke Auge und der linke Mundwinkel hängen ein wenig, die Augenbrauen scheinen zusammengewachsen. Der andere Mann, der noch etwas größer ist, hat einen gefährlich kalten Gesichtsausdruck und sie machen beide den Eindruck, dass eine Diskussion oder gar Rückfragen nicht empfehlenswert sind. Der DJ sieht sich das Foto genauer an.
„Ja, war früher schon mal hier. Aber heute nicht. Hab‘ ich schon länger nicht gesehen.“ –
„Hast du eine Idee wo sie sein könnte?“ –
„Nein, ich kenne sie ja nicht, nur so vom Sehen, weil sie doch ganz gut aussieht. Nur deshalb ist sie mir aufgefallen.“
Die beiden Männer gehen wortlos und suchen an diesem Abend noch vier weitere Discos auf. Aber niemand hat diese junge Frau gesehen oder kennt sie näher. Sie belästigen noch etwas gröber und drohender einige Obdachlose, die nach Leergut suchen oder sich ein Nachtlager am Gehweg einrichten und zeigen ihnen das Foto. Auch einige Junkies werden angesprochen und zwei freche Typen werden hart an eine Wand gedrückt und massiv körperlich bedroht. Aber auch da hat niemand diese junge Frau gesehen.
*
Im XXL-Club, der sich auf einem Hinterhof an der Hafenstraße befindet, sind zu Mitternacht noch einige Gäste da. Es sind ältere Männer über 50 eher über 60. Die Wände sind mit rotem Stoff bespannt, bunte und überwiegend rote Strahler schaffen eine eindeutige Atmosphäre, wie sie in solchen Clubs erwartet wird. Ein großes Schild preist einen Badeservice an und ein Foto in einem Glaskasten darunter zeigt einen Mann in einer großen Wanne oder einem Whirlpool. Zwei nackte junge Frauen stehen in der Wanne um ihn herum und spielen mit dem Schaum. Die Musik ist nicht aufdringlich laut. Es wird 70er- und 80er-Rockmusik gespielt. Die Gäste im großen Clubraum schauen den drei nackten Mädels an den Stangen zu, die sich auf einer etwas erhöhten Bühne befinden und sich dabei fast akrobatisch verrenken. An der Bar sind Tamara und Lara, beide mit Strapsen und freien Oberkörper. Tamara ist schon länger dort angestellt und genießt das Vertrauen von Henry Butt, der den Nachtclub seit Jahren leitet. Sie ist mit Anfang 50 noch sehr attraktiv, rot gefärbte lockige Haare und üppige gut geformte Brüste. Lara ist Anfang 20, blonde lange Haare, etwas größer als Tamara, aber sehr dünn mit wenig Busen. Sie hat ein herbes Gesicht. Sie bringt gerade einem älteren Gast eine Flasche Champagner. Die Rechnung wird weit überhöht sein. Deshalb setzt sich Lara noch als Extra auf seinen Schoß und küsst ihn kurz. Er greift ungeniert an ihre Brüste und lacht triumphierend, greift dann auch zwischen ihre Beine und es ist klar, dass er schon reichlich angetrunken ist.
„Das kostet aber Extra!“ flüstert sie ihm ins Ohr.
„Hier, steck schon mal ein!“ und er drückt einen Hundert-Euro-Schein in ihren Slip. „Wir gehen nachher nach oben!“
Sie nickt und entzieht sich sanft seinen Händen. An der Bar organisiert sie ihre kurze Abwesenheit und da kommt der Gast ihr schon nach, reichlich angetrunken mit schwankenden Gang. Lara führt ihn die Treppe nach oben. Er ist korrekt gekleidet und macht den Eindruck, über mehr Geldmittel zu verfügen als der Durchschnitt. Das Entkleiden fällt ihm angesichts des Alkoholpegels schwer und Lara hilft ihm dabei. Er legt sich dann nackt auf den Rücken in das breite Bett und zappelt feixend wie ein dicker Käfer, der aus einer unglücklichen Rückenlage nicht hoch kommt. Lara merkt, dass er scheinbar ganz spezielle Wünsche hat. Er kneift sie etwas schmerzhaft und greift hektisch an ihre Brust. Sein Atem geht schnell. Als Lara dann seinen Penis mit geübten Griffen in die Hand nimmt, bleibt der trotzdem weiter schlaff. Der dicke Mann betatscht sie noch gierig und atmet nun schwer. Dann macht er plötzlich schlapp, sinkt auf das breite Bett zurück und Lara wartet einen Moment. Der Alkoholkonsum lässt den Mann unvermittelt einschlafen.
Henry Butt ist in diesem Moment eingetroffen. Man sieht ihm an, dass er ziemlich angetrunken ist. Er gibt an der Bar ein Zeichen und Tamara weiß, dass er jetzt Bier braucht. Er zieht seine Lederjacke aus und wirft sie über einen Hocker neben dem Tresen. Sein blau gestreiftes Hemd ist im Achselbereich und auch am Hals durchgeschwitzt. Es riecht bereits unangenehm. Die breiten Hosenträger sind zu stramm eingestellt und ziehen seine weite und ausgewaschene Jeans hoch über den dicken kugelrunden Bauch. Er wirkt angespannt. Tamara schenkt ihm zusätzlich zum Bier noch Wodka in ein Glas ein. Er stützt sich mit den Armen auf den Tresen und trinkt im Nu das große Glas Bier aus. Dann wird er ruhiger und winkt Tamara zu sich, die schon am anderen Ende des Tresens Gläser aus der Spülmaschine nimmt.
„Nochmal Tamara! Denk nach! Was hat Marco über andere Freunde oder Angehörige gesagt. Oder über frühere Mädchen oder was er sonst noch so macht.“
Tamara überlegt und schüttelt dezent den Kopf.
„Nein, mir fällt da nichts weiter ein. Er war ja immer nett und offen, aber Privates … auch nicht angedeutet. Er hat sich hier auch nicht wieder gemeldet. Was ist denn mit ihm los?“ –
„Wir suchen ihn und vor allem seine neue Freundin. Das ist sehr ernst. Besser, wenn du davon nichts gehört hast.“
Tamara nickt nur. Von oben kommt Lara wieder an die Bar. „Er ist eigeschlafen“, sagt sie mit einem ironischen Unterton zu Tamara.
„Ich mach schon mal die Rechnung für ihn fertig. Weck ihn in einer Stunde“, erwidert Tamara und greift einen nicht bedruckten Schreibblock.
Der Chef sieht zu Lara und winkt sie zu sich: „Komm‘ kurz mit!“
Beide gehen in ein Hinterzimmer für Personal. Sie sind dort allein. Und Lara ist nervös. Sie befürchtet, dass es um die Auseinandersetzung vor drei Tagen geht. Da war Henry Butt schon sehr angetrunken und schlug ihr mehrmals ins Gesicht und schrie sie an, weil sie seinen Anweisungen widersprochen hatte. Lara schlug dabei reflexartig zurück, erschrak aber über ihre Reaktion, blieb aber vor ihm stehen. Henry Butt war außer sich, schrie laut herum, konnte sich aber angetrunken wie er war kaum auf den Beinen halten und als er wieder zuschlagen wollte, schubste Lara ihn nur etwas zurück und der kleine rundliche Mann musste sich an einem Stuhl festhalten, um nicht umzufallen. Zum Glück kam dann Tamara dazu und stellte sich dazwischen.
Aber Henry Butt wollte jetzt etwas anderes.
„Lara! Wir suchen Marco. Denk nach! Hat er mal irgendetwas zu dir gesagt über Freunde, Freizeit usw.? Hat er etwas über seine neue Freundin gesagt?“ –
„Ich dachte einmal, dass er was von mir will. Ich hätte nicht Nein gesagt. Aber dann hatte er die neue Freundin. Er hat mich dann richtig abblitzen lassen. Wir haben dann eine Weile nicht miteinander geredet. Und dann war er ja auch schon nicht mehr hier. Mehr weiß ich nicht.“
Der Chef gibt ihr ein eindeutiges Handzeichen. Sie geht daraufhin sofort wieder an die Bar zurück und Tamara kommt ins Hinterzimmer. Sie bringt den Wodka mit, den Henry Butt auf dem Tresen stehen gelassen hat.
Eine Stunde später wird der ältere Gast oben geweckt. Er liegt nackt und schnarchend auf dem Rücken. Tamara kommt herauf und klatscht laut in die Hände: „Wir schließen gleich!“ Der dicke Mann schreckt auf und kommt ächzend hoch. Er zieht sich sehr langsam und wenig geordnet an. Unsicher auf den Beinen kommt er die Treppe herunter. An der Bar erhält er die handgeschriebene Rechnung präsentiert: 1.500 Euro für 2 Flaschen Schampus, mehrere Schnäpse und zwei Dienste. Dabei stimmt es nicht. Nur einmal hat er Sex verlangt und das hat kaum begonnen, da war es schon beendet. Er protestiert deswegen laut und Tamara erzählt ihm, dass noch diverse kostenpflichtige sexuelle Annäherungen dabei waren und hier zum Sonderpreis aufaddiert wurden. Der dicke Mann wird noch lauter und streitet fast alles ab, was auf dieser Rechnung steht. Er will höchstens 200 Euro zahlen. Es wird so laut, dass von hinten der Türsteher Fiete kommt und ihm die Rechnung bestätigt. Fiete sieht mit seinem schiefen Gesicht unheimlich aus und lässt auch keine Widerrede zu. Er stellt sich drohend vor den dicklichen Mann. Der Gast ist dann doch von der Rechnung überzeugt und zahlt bar 500 Euro, gibt Fiete auf Verlangen eine Kreditkarte, damit er vom Automaten, der nur um zwei Ecken weiter zu finden ist, die restlichen 1.000 Euro ziehen kann. Der Gast muss warten und sieht ungeduldig auf seine Uhr. Fiete kommt schnell zurück, gibt ihm die Kreditkarte und begleitet ihn zur Tür. Der dicke Mann torkelt angetrunken in die Nacht.
*
Tobias Alff zieht sich Auftragsgebern gegenüber immer etwas förmlicher an. Eine gute Stoffhose, weißes oder blaues Hemd und dunkelblaues Sakko. Karin hat dieselbe Einstellung. Sie hat eine enge Marken-Jeans, weiße Bluse und auch ein Sakko angezogen. Wegen der Witterung – und es regnet wieder bei kaltem Nordwind – haben beide einen dunklen Wintermantel an. So erscheinen sie bei Familie Torres im Mittelweg Nr. 12. Eine schöne alte Stadtvilla, weiß mit viel Zierrat und eine dunkelblaue verzierte breite Haustür mit schönen Messingbeschlägen. Frau Torres öffnet. Sie ist Mitte 40, sieht jünger aus, dunkelblonde mittellange Haare, die sie offen trägt. In einem knielangen königsblauen Hauskleid führt sie die beiden Gäste durch den geräumigen Eingangsbereich mit geschwungener Treppe nach oben in ein großes Wohnzimmer. Karin sieht sofort, dass Frau Torres teuren Goldschmuck trägt. Mehrere Ringe, einen Armreif und eine Halskette. Alles wirkt teuer und elegant. Weiß ist überall die Hauptfarbe, wodurch sich die alten teilweise antiquarischen Möbel sehr schön hervorheben. Sie bittet Platz zu nehmen und beide setzen sich auf eine lachsfarbene Couch. Auf Nachfrage bitten sie nur um Mineralwasser. Frau Torres setzt sich gegenüber in einen ebenfalls lachsfarbenen Sessel. Inzwischen sind auch der Ehemann und eine Tochter erschienen.
„Darf ich zunächst vorstellen. Mein Ehemann, Lorenzo Torres und unsere Tochter Mia. Unser Sohn Matteo ist heute nicht da. Er ist 14 und mit einem Schulfreund unterwegs. Ja, kommen wir gleich zur Sache. Es geht um meine Tochter Marie, die ich in die Ehe eingebracht habe. Sie ist 19 geworden und seit zwei Wochen spurlos verschwunden ohne Nachricht ohne ein Wort.“
Frau Torres kommen die Tränen. Sie muss kurz unterbrechen.
„Die Polizei ist eingeschaltet. Die haben aber keine Spur oder Idee, wo sie suchen sollten. Ich möchte nichts unversucht lassen und habe Sie deshalb angerufen und gebe Ihnen hiermit den Auftrag, meine Tochter zu suchen.“
Frau Torres bricht jetzt richtig in Tränen aus und ihr Ehemann reicht ihr ein Papiertaschentuch. Herr Torres scheint Mitte 50 zu sein, schlank, nicht besonders groß, leicht angegraute Haare, gekleidet mit guter Schurwollhose und weißen Hemd. Goldene Manschettenknöpfe zieren seine Ärmelenden und einige goldene Ringe seine Finger. Er wirkt beherrscht, zeigt keine Regung während seine Frau den Fall erzählt. Bisher stand er hinter seiner Frau, jetzt setzt er sich in einen der anderen Sessel.
„Herr Alff! Ich glaube nicht, dass Sie mehr erreichen als die Polizei. Aber meiner Frau zu Liebe sollen Sie den Auftrag erhalten. Ihr übliches Honorar zahle ich Ihnen gern, auch einen Vorschuss heute noch. Wir haben ja selbst nichts unversucht gelassen, die Tochter meiner Frau zu finden. Wie wollen Sie vorgehen?“ –
„Also üblicherweise suchen wir nach Hinweisen in den privaten Sachen. Gibt es Fotos, die eine Spur sein könnten, gibt es Briefe, E-Mails usw. oder wissen Freundinnen und auch Zufallsbekannte mehr. Wir würden also gern uns zuerst im Zimmer Ihrer Tochter umsehen.“
Frau Torres nickt und hat sich wieder gefangen und sieht ihren Ehemann irgendwie fragend an. Karin merkt, dass sie offenbar ihrem Ehemann völlig gehorsam ist. Ihre Unsicherheit ist fast greifbar.
„Lorenzo und später die Polizei haben schon das Zimmer gründlich untersucht und nichts gefunden, dass uns weiterhilft. Aber Sie sollen das Zimmer gern selbst untersuchen. Wir bringen Sie nach oben und lassen Ihnen Zeit.“
Karin hat bei dem Gespräch alle genau beobachtet. Sie hatte schon oft in den Gesichtern und im Verhalten mehr gesehen als Tobias. Frau Torres war ganz offensichtlich voller Sorge und Verzweiflung. Ihr Ehemann, der nicht der richtige Vater ist, erscheint ihr eher etwas zu unbeteiligt. Er hält den Auftrag im Grunde für überflüssig. Und die Betonung „die Tochter meiner Frau“ deutet doch auf einen gewissen emotionalen Abstand hin. Dem Namen nach ist er Italiener und damit bekanntermaßen wie viele Italiener auf Familie bedacht. Aber eben auf seine Familie. Und die Tochter Mia saß die ganze Zeit wie unbeteiligt geradezu gelangweilt daneben und hat nur auf ihr Smartphone gesehen. Sie scheint ihre Halbschwester nicht zu vermissen.
Im Obergeschoss werden Karin und Tobias in das Zimmer von Marie geführt. Ein geräumiges Zimmer und für eine 19jährige junge Frau noch mit zu viel jugendlichen Ausschmückungen. Auf einem Sofa sitzen diverse Puppen und Stofftiere, an der Wand Poster mit Stars aus dem Sportbereich. Der kleine Schreibtisch wirkt wie ein Kinderschreibtisch. Ein schön verzierter weißer Schminktisch mit Spiegel trifft schon eher das Alter der Tochter. Karin setzt sich zuerst an den Schreibtisch und durchsucht die Schubladen. Der wenige Inhalt gibt keine Hinweise. Tobias fotografiert die Wände, die Einrichtung und die Stecktafel mit den vielen Fotos. Es gibt aber im Zimmer weder ein PC oder Laptop auch kein Zubehör, das auf solche Geräte hätte schließen können. Die wenigen Bücher im Regal sind teilweise noch Jugendbücher, zum Teil Bücher über Leichtathletik – offenbar ein besonderes Interesse der Marie – und einige Schulbücher. Karin prüft auch, ob sich in den Büchern lose Zettel befinden. Ein beliebtes Versteck für Geheimnisse. Aber es findet sich nichts. Karin betrachtet dann sorgfältig die vielen Fotos an der Stecktafel über dem Schreibtisch. Familienfotos von früheren Urlaubsaktivitäten mit Abbildungen von Marie als sie noch Kind war. Auch Familienfeiern, meist ohne Marie und ältere Fotos von Marie aus Kindheitstagen. Einige ausgeschnittene Fotos aus Zeitschriften, die Frisuren oder Kleidung anpreisen und zwei Fotos mit Schäferhunden. Karin findet die Auswahl merkwürdig. Kein aktuelles Foto oder von Freundinnen oder Partys. Tobias macht noch einige Fotos von der Gesamtansicht und einige aus der Nähe. Im Kleiderschrank findet Karin einen leeren Rucksack und sonst nur Alltagskleidung, keine für Partys oder festliche Angelegenheiten. War sie in der Familie Außenseiter, das schwarze Schaf oder hat sie sich selbst auf Abstand gehalten? Weder unter der Matratze noch hinter oder unter den Schreibtisch- und Kommodenschubladen finden sich Zettel oder Gegenstände. Karin gewinnt den Eindruck, dass sich Marie hier nicht wirklich zuhause gefühlt haben kann.
Das Zimmer nebenan gehört Mia. Karin klopft an und wird herein gebeten. Mia sitzt auf einem roten Sofa und liest gerade Comics. Das Zimmer ist genauso groß wie das von Marie, aber mit teuren Möbeln aus Buchenholz eingerichtet. Vor dem Fenster steht ein Stuhl mit Notenständer davor. Ein Cello liegt seitlich auf dem Boden. Alles wirkt aufgeräumt.
„Du sag mal, hatte Marie keine Freundinnen? Oder einen festen Freund? Und in welche Disco ging sie üblicherweise?“ –
„Keine Ahnung! Die war ja immer für sich. Es ist ja auch nur meine Halbschwester. Ich glaube, meistens ging sie ins Frida B. Jedenfalls hatte sie damit einige Male angegeben, weil ich da noch nicht rein darf.“ –
„Habt ihr euch nicht so gut verstanden?“ –
„Na ja, Streit hatten wir selten. Sie war mir einfach egal. Wir hatten einfach keine Gemeinsamkeiten.“ –