Ein berauschendes Weihnachten - Mira Morton - E-Book

Ein berauschendes Weihnachten E-Book

Mira Morton

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Beschreibung

Liebe ist das schönste Weihnachtsgeschenk! Es gibt sie, diese Jahre, die gar nicht schnell genug zu Ende gehen können. Eines von diesen liegt hinter Ninnie. Nach einem Umzug, ihrer Scheidung und jeder Menge Problemen mit ihrer achtzehnjährigen Tochter wünscht sich Ninnie nur eines: ein perfektes Weihnachtsfest mit Sophie. Was ihr auch beinahe gelingt, bis Ninnie den Schokokuchen ihrer Tochter isst, singend um den Weihnachtsbaum tanzt und völlig allein gelassen, jedoch kichernd ihrer heimlichen Liebe die Tür öffnet …   Zauberhaft, magisch und voller Liebe – so sollte Weihnachten sein. Doch manchmal braucht selbst Weihnachten eine zweite Chance. Ein herzerwärmender und amüsanter Roman von Bestsellerautorin Mira Morton. Als Taschenbuch und E-Book erhältlich. Der Roman ist in sich abgeschlossen und nicht Teil einer Serie.

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Seitenzahl: 317

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Mira Morton

Ein berauschendes Weihnachten

Roman

Viel Spaß mit meinem Roman

und keep on dreamin´!

Herzlichst,

Facebook: www.facebook.com/MiraMorton.Autorin

www.miramorton.com

[email protected]

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform. Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des von der Autorin freigegebenen Textes kommen.

Alle in diesem Roman geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Weihnachtspunsch

Da waren sie wieder, ihre drei Probleme. Ninnie sah ihn zur Tür hereinkommen und umklammerte ihre Glastasse. Zwei ihrer Sorgenkinder waren männlich, doch das größte war ihre Tochter Sophie. Der Geruch von warmen Beeren und Zimt stieg zwar irgendwie tröstlich in ihre Nase, änderte aber nichts an der Tatsache, dass es ein Fehler gewesen war, zu diesem Punschtrinken zu kommen. Dabei hatte sie sich so sehr auf dieses Treffen mit all ihren Freunden am Vorabend von Weihnachten gefreut, denn das war seit Jahren Tradition.

Sie beobachtete ihn verstohlen. Hannes hielt Linda im Arm und hielt Hof. Er begrüßte alle und stellte jedem Einzelnen sein Flittchen vor. Es war das erste Mal, dass er sie mitbrachte, und Ninnie fand es unerhört. Immerhin war es diese Frau, die den Endpunkt ihrer Ehe in cremefarbenen Dessous markierte. So hatte sie Linda in ihrem Ehebett mit ihrem Mann überrascht. Dummerweise war sie von einem Wellnesswochenende mit Susi zu früh nach Hause gekommen. Aber Ninnie war auch klug genug, zu wissen, dass Linda nur das Symptom ihrer bereits kaputten Ehe gewesen war. Die Ursache waren sie beide selbst. Irgendwann am Weg hatten sie aufgehört, einander zu lieben.

Iris, die ihr gegenüber auf einem der wenigen hohen Hocker in Susis wundervoll dekoriertem Wohnzimmer saß, beugte sich zu Ninnie, rollte ihre Augen und flüsterte ihr ins Ohr: »Hübsch ist die aber nicht.«

»Für ihn offensichtlich schon.«

Iris schüttelte den Kopf, fuhr sich durch ihr kurzes brünettes Haar und kommentierte lapidar: »Ich verstehe die Männer einfach nicht. Aber wahrscheinlich macht sie Dinge im Bett, die wir nie tun würden! Was soll Hannes sonst an ihr finden?«

Ninnie sah sie an. »Können wir bitte das Thema wechseln?«

»Wenn du unbedingt willst? Ich hätte da ja schon noch einiges über dieses A… zu sagen. Allein, dass er sich herwagt.«

Ninnie sah Iris mit einem beinahe verzweifelten Blick an. »Bitte, lass es gut sein.«

Mitfühlend nickte Iris und hoffte innerlich, dass sie nie in ihrem Leben in die gleiche Situation wie Ninnie geraten würde, denn nach zwanzig Ehejahren stand ihre Freundin quasi mit nichts da. Statt der Villa wohnte sie nun mit ihrer Tochter in einer Dreizimmerwohnung. Statt in Hannes’ Anwaltskanzlei mitzuarbeiten, hatte sie sich irgendeinen Bürojob suchen müssen, und wenn es stimmte, zahlte er bloß für deren gemeinsame Tochter Sophie Alimente und Ninnie hatte bei der Scheidung nichts außer einer schäbig kleinen Abfindung bekommen. Iris hasste solche Männer und hoffte, dass ihr eigener es nie so weit treiben würde. Und wenn, würde sie ihn finanziell ruinieren. So gutmütig wie Ninnie wäre sie bestimmt nicht.

Auch Ninnie hing ihren Gedanken nach und wusste genau, warum er hier war: Ihre Freundesrunde wollte sich nicht zwischen ihr und ihm entscheiden. Nur eine hatte sich gegen seine Anwesenheit beim jährlichen Punschtrinken ausgesprochen, und das war ihre beste Freundin Susi. Die Gastgeberin. Aber Susi war bei ihrem Ehemann Marcus nicht damit durchgekommen.

Nicht, dass Marcus Ninnie nicht mochte. Das Gegenteil war der Fall, er war wirklich ein guter Freund von ihr. Hatte ihren Umzug mitorganisiert und sogar selbst tatkräftig Möbel geschleppt, was er in seinem eigenen Haus nie getan hätte. Dafür war er zu wohlhabend, für solche Arbeiten engagierte Marcus Menschen. Aber Marcus wollte Hannes nicht aus der alten Freundesrunde ausgrenzen und somit biss Susi auf Granit. In einem langen Telefonat hatte Ninnie Susi aber beruhigt. Sie würde es aushalten, Hannes mit Linda hier zu sehen. Doch das war, bevor die beiden hier aufgetaucht waren. Nun sah die Sache anders aus und binnen Sekunden hatte Ninnie ihr Urteil über die Blonde im roten Glitter-Minikleid und auf Stöckelschuhen, für die man einen Waffenschein brauchte, gefällt: ordinär, etwas dümmlich, aber perfekt für Hannes. Natürlich auch viel zu jung, und der Name konnte nicht echt sein, denn wer bitte hieß in Wien Linda, wenn er nicht zufällig Eltern aus dem angloamerikanischen Raum hatte, ebenso wenig wie ihre langen roten Nägel und ihre auffallend dichten Wimpern. Vom Busen mal ganz zu schweigen.

Doch da waren sie nun und Ninnie musste damit leben. Sie seufzte und trank noch einen Schluck vom Beerenpunsch. Plötzlich fühlte sie sich inmitten ihrer Freunde sehr einsam. Hannes hatte sich an einen der Stehtische gelehnt und sah im perfekt maßgeschneiderten Anzug, seinen Arm um die Hüfte seiner jungen Gespielin gelegt, leider wirklich gut aus. Und glücklich. Er trug sein brünettes Haar jetzt länger, was Ninnie daran erinnerte, wie sie ihn vor zwanzig Jahren bei einem Musikfestival kennengelernt hatte.

Iris riss sie mit »Du, ich muss mal für kleine Mädchen! Halt mir den Platz frei, Ninnie, ja?« aus ihrem Gedankenstrudel.

»Na klar.«

Ihre Freundin stand auf und schien es nicht eilig zu haben, denn sie plauderte noch mit Susis Tochter Lena und deren Freund Benni.

Das mit dem Ich-halte-das-aus war gelogen, denn jetzt wusste Ninnie, dass sie es nicht tat. Nicht, weil ihr immer noch etwas an Hannes lag, nein, sondern deshalb, weil er ihr mit seiner bloßen Präsenz ihr Scheitern vor Augen führte. Für sie war die Ehe tatsächlich für immer gewesen. In guten wie in schlechten Zeiten. Wie sich herausgestellt hatte, galt das für sie, aber nicht für ihren Ex-Mann, und das schmerzte sie sehr. Noch mehr aber, dass Sophie, ihre gemeinsame Tochter, noch immer darauf hoffte, dass sie wieder zusammenkommen würden.

Aber das war für Ninnie gelaufen. Anscheinend verstand nur Susi, wie hart es nach einem Jahr Rosenkrieg, nun ja, zehn Monaten und siebenundzwanzig Tagen, für Ninnie war, Hannes immer wieder küssend mit seiner neuen Freundin zu sehen. Inzwischen war Ninnie selbst die Tatsache, dass er das Bett, ihr Ex-Bett in ihrem Ex-Haus, nun mit einer halb so alten Tussi teilte, völlig egal, aber dass sie mit ansehen musste, wie er sein neues Liebesglück so demonstrativ zur Schau stellte, das ging an die Nieren. Bisher hatte er sich das nicht getraut, denn dank ihm und seiner Spielchen war ihre Scheidung erst vor einem Monat durchgegangen.

Plötzlich sah sie, wie Hannes Anstalten machte, an ihren Tisch zu kommen. Aus purer Verzweiflung klammerte sie sich an der warmen Glastasse fest, doch dann hörte sie überraschend Linus’ Stimme neben sich: »Kann ich dir etwas Gutes tun, meine Schöne?«

Ihr Herz pochte im Hals und sie sah ihn verdutzt an. Er war doch gerade noch in ein Gespräch mit Marcus und Susi vertieft gewesen?

»Das ist lieb von dir, Linus. Vielleicht ja?« Sie lehnte sich in seine Richtung und Linus kam ihr entgegen. »Kannst du ihn mir vom Leib halten?«, flüsterte sie ihm verschwörerisch zu.

»Kann ich. Was hältst du davon, wenn ich dich hier vor allen küsse?«

Ninnies Augen wurden groß und sie befürchtete, dass sie rote Wangen hatte, aber er sprach gleich weiter: »Ich denke, das würde ihm gar nicht gefallen.«

»Nein«, kicherte Ninnie völlig verunsichert. Er hatte ihr angeboten, sie zu küssen! Sie wusste, dass das Spaß war, aber allein die Vorstellung ließ sie kurz schweben.

»Du denkst, ich mache das nicht?«

Ninnie schüttelte den Kopf und streckte gleichzeitig abwehrend beide Arme aus. »Bitte nicht! Ich weiß, du würdest es tun.«

»Autsch! Das nennt man eine Abfuhr, denn ich für meinen Teil habe mich bereits auf diesen Kuss gefreut. Dann wären wir Gesprächsthema Nummer eins.« Grinsend deutete Linus auf ihre Tasse. »Punsch? Eine Frau wie du sollte Champagner trinken. Soll ich dir ein Glas bringen?«

Ninnie fand es süß von ihm, wie sehr er sich um sie bemühte, wenn es leider auch bloß aus Mitgefühl war. Linus wollte sichtlich, dass sie sich gut fühlte. Doch da er, nach Sophie und vor Hannes, eines ihrer drei größten Probleme war, erzeugte er bei ihr genau das Gegenteil.

»Nein, danke. Punsch passt perfekt zu mir.«

Sollte sie ihn fragen, wo seine neue alte Freundin heute steckte? Laut Susi war Linus wieder mit seiner Ex-Freundin zusammen. Chantal. Dazwischen hatte es eine Nathalie und davor eine Clara gegeben.

Lieber nicht. Ich bin froh, dass Chantal nicht hier ist.

»Alles ist gut.«

Das war die größte Lüge überhaupt.

»Ich denke, wir waren trotzdem erfolgreich, denn die beiden sind nach draußen verschwunden.«

Kurz sah sie sich um. Tatsächlich. »Stimmt!«

»Wie geht es Sophie?«, wechselte er das Thema.

Typisch Linus. Er war immer der Einzige der Männer, der sie fragte, wie es ihrer Tochter und ihr ging.

»Die Kurzfassung lautet: Nachdem sie, wie du weißt, die Klasse wiederholt, angeblich viel besser. An ihren Noten sehe ich das noch nicht, aber sie hat sich einverstanden erklärt, morgen für ein oder zwei Stunden zu Hannes zu fahren und mit ihm Weihnachten zu feiern. Das ist schon mal ein Anfang.«

»Sie nimmt ihm Linda wohl noch immer ziemlich übel, oder?«

»Übel? Wenn Sophie könnte, hätte die Frau wohl kein Haar mehr am Kopf.«

 »Nun ja, es würde ihr recht geschehen!«, lächelte Linus sie an. »Und du? Kommst du zurecht?«

Das war ihr Stichwort, um sich bei ihm auszuweinen, aber sie unterband es mit einem schlichten »Danke, ja!«. Sie wollte nicht weiter ins Detail gehen, was er sofort verstand.

»Gut. Aber du weißt, wenn du etwas brauchst, ich bin für dich da.«

»Das ist lieb von dir, aber uns geht es gut. Danke, Linus.«

Er drückte freundschaftlich ihre Hand, was noch schlimmer war als der Umstand, wie lieb er sich immer um sie bemühte, denn jede seiner Berührungen löste in ihr ein Kribbeln aus.

Sie sah sich kurz um. Hoffentlich checkte weder er noch irgendjemand sonst, was in ihr vorging. Aber alle schienen in lockere Gespräche vertieft zu sein und wirkten verdammt glücklich. Locker. Gelöst. Geradezu gemeingefährlich entspannt. Nur sie war steif wie ein Brett und hoffte, dass Linus bald wieder abziehen würde, denn seine Nähe war kaum zu ertragen. Wie hatte sie sich in einen für sie völlig unerreichbaren Mann verlieben können?

Und genau das war passiert, auch wenn Ninnie nicht einmal wusste, wann genau es geschehen war. Ja, sie schwärmte von Linus. Dachte immer wieder an ihn und träumte sogar von ihm. Alles andere als jugendfrei. Aber all das war völliger Unsinn und Kinderkram und musste ein Ende finden.

Linus sah, wie sich ihre kleinen Fältchen auf der Stirn hin und her schoben und sie in sich versunken neben ihm saß. Zu gerne hätte er irgendetwas unternommen, um Ninnie aufzuheitern, aber im Moment war er zu wütend dafür. Hannes war so ein Idiot! Wie mies und stillos er sein Vorgehen gegenüber Ninnie und seiner eigenen Tochter fand, hatte Linus ihm sogar einmal ins Gesicht gesagt. Bewirkt hatte es bei Hannes allerdings rein gar nichts.

»Entschuldige mich, Ninnie. Ich wollte noch ein paar Takte mit Tom reden.«

Das war Iris’ Mann, bei dem nun auch Iris selbst am Weg zurück vom WC hängen geblieben war.

»Kein Problem. Mach nur.«

Er tätschelte kurz ihren Arm und ging ein paar Schritte an einen der anderen Tische. Ninnie sah ihm nach und deshalb auch, dass Susi, ihre beste Freundin seit der Schule, sich von ihrem Mann Marcus löste und zu ihr kam. Toll sah sie in ihrem knielangen nudefarbenen Kleid und mit dem hochgesteckten Haar aus. Und fröhlich wie immer, was an Susis vielen Sommersprossen liegen könnte.

»Und? Alles gut bei dir, Ninnie?«

Ja. Könnte sie sich in Luft auflösen und auf der Stelle nach Hause beamen, dann schon.

»Klar. Übrigens: Das Buffet ist ein Traum und deine Weihnachtsdeko ist dieses Jahr besonders schön, um nicht zu sagen opulent!«

Der hell erleuchtete Baum ragte bis in den ersten Stock hinauf, da die oberen Räume über eine Galerie erschlossen waren, von der man das große Wohnzimmer überblicken konnte. Überall in der supermodernen Villa standen hohe Kerzen in Glasvasen am Boden, hinter dem Buffet, das mit großen roten Maschen, Tannenzweigen und Glaskugeln dekoriert war, standen zwei Angestellte vom Cateringservice und waren immer am Sprung. Sie füllten Punsch nach, servierten Wein und räumten die leeren Teller ab. Es gab warmes und kaltes Fingerfood in verschiedenen Schälchen, kleine Gläser mit köstlichen Desserts, allesamt weihnachtlich dekoriert, und sogar heiße Kastanien, die im Freien gebraten wurden, und auch dort standen einige der Gäste.

»Danke«, sagte Susi lächelnd. »Aber ich musste kaum etwas selbst machen, da ich erstmals Monika von diesem süßen kleinen Dekoladen engagiert habe, du weißt schon, der unten an der Ecke, gleich nach der Bushaltestelle, um hier alles festlich zu gestalten.«

Ninnie nickte, denn sie kannte das Geschäft, das wirklich süß, aber auch verdammt teuer war. Bevor sie antworten konnte, tat Iris es, die ihnen soeben wieder Gesellschaft leistete: »Die Frau ist genial! Nächstes Jahr hole ich sie auch.«

Ninnie war nicht sonderlich verwundert, denn sie kannte ihre Freundinnen. So toll und sozial sie auch waren, Arbeit hatten beide nicht erfunden. Aber das mussten sie auch nicht, denn sie waren reich verheiratet. Das war Ninnie ebenfalls gewesen, doch sie hätte nie und nimmer Helfer engagiert, da sie viel zu gerne ihre Gäste selbst bewirtete. Auch wenn sie dafür tagelang beschäftigt gewesen war.

Während sich Iris und Susi neben ihr rege über das Catering und Monika vom Dekoladen unterhielten, nützte Ninnie ihren etwas abseits gelegenen Platz am Stehtisch, um ihre fröhlich plaudernden und lachenden Freunde zu beobachten. So bemerkte sie auch, dass Linus zu ihr herübersah. Kurz verhakten sich ihre Blicke und wieder einmal spürte sie diesen warmen Schauer, der sich in ihren Bauch ergoss und sie jedes Mal wieder erschrak.

Schnell sah sie zu Susi, die ihr jedoch gerade den Rücken zuwandte. Betrachtete den V-förmigen Ausschnitt des verwegen eng geschnittenen Cocktailkleids ihrer Freundin, die nun mit Iris über die Schulerfolge ihrer Kinder sprach. Ein Stich ins Herz für Ninnie. Ihre Tochter Sophie war immer eine außerordentlich gute Schülerin gewesen. Dass sie nun so aus dem Tritt geraten war, lag einzig und allein an ihrer Scheidung und damit an Hannes und ihr.

Plötzlich drehte Susi sich wieder zu ihr um und Iris sagte: »Schade, dass ich schon verheiratet bin. Linus sieht mit jedem Jahr heißer aus.«

Ninnie konnte nicht glauben, dass sie in ihrer Unterhaltung nun da gelandet war, und sah daher fassungslos von einer zur anderen.

»Ja, nicht? Finde ich auch. Aber er sollte sich langsam abgewöhnen, diese Kinder zu daten«, mokierte Susi sich nicht zu Unrecht. »Andererseits finde ich sie wirklich nett, aber anstrengend.«

»Du musst es ja wissen, er lädt ja immer nur euch beide ein, mit ihm irgendwo hinzufliegen«, reagierte Iris ein wenig eifersüchtig. Aber Ninnie wunderte das kein bisschen, denn schließlich war Marcus Linus’ bester Freund seit der Schulzeit. »Weißt du, wie alt Chantal überhaupt ist?«

»Ich glaube, sechsundzwanzig.«

Iris grinste. »Also zwanzig Jahre jünger als er. Dass er das durchhält?«

»Sieh dir seinen Body an! So schmale Hüften und breite Schultern hat er nur, weil er täglich trainiert. Ich wünschte, er könnte Marcus auch davon überzeugen.«

Ihr Mann hatte in den letzten Jahren einiges an Gewicht zugenommen, was sie nicht wirklich störte, aber ein wenig abzunehmen und regelmäßiges Training würde ihm nicht schaden.

»Sags ihm doch einfach. Für Marcus tut Linus doch alles«, riet Iris ihr.

»Ja, das stimmt.«

Die beiden plauderten weiter über Linus’ Liebesleben und sein Vermögen, das jenseits von Ninnies Vorstellungsvermögen war. Wer konnte sich einige Milliarden auch schon wirklich vorstellen. Aber sie hörte nur mehr so halb hin, denn das Geld interessierte sie nicht. Viel mehr beschäftigte sie die Vorstellung von Linus mit Chantal. Das machte sie eifersüchtig, auch wenn ihr das überhaupt nicht zustand.

Im Vorbeigehen hielt ein Kellner ihnen ein Tablett mit frischem Punsch und kleinen Schüsselchen voll herrlich riechender Kastanien hin. Ninnie bediente sich sofort. Essen und Trinken war in der Not genauso gut wie Sex.

»Ninnie, wie geht es denn Sophie?«, wechselte Iris aus heiterem Himmel das Thema.

Wunderbar. Darüber wollte sie ebenso wenig wie über Linus oder Hannes sprechen. Und ganz sicher nicht mit Iris, die immer mit ihren Superkindern angab, dass es kaum zu ertragen war. Und zu jeder ihrer dummen Geschichten musste sie auch noch auf Iris’ Handy starren, um irgendein Foto zu bewundern. Sosehr sie Iris mochte, aber das ging ihr zunehmend auf die Nerven.

»Danke, eigentlich ganz gut.«

»Sie hat doch die Klasse wiederholt, oder?«

Iris wusste genau, dass es so war.

»Ja, hat sie. Aber es läuft jetzt wieder sehr gut.«

Wie sie das hasste!

»Super. Du, ich habe gehört, ihr habt eure Wohnung nun fertig eingerichtet. Wir warten schon alle so lange auf eine Einweihungsparty.«

Klar. Das war anscheinend das Einzige, was die meisten hier interessierte. Toll essen gehen, Partys feiern und so tun, als würden sich alle lieben. Manchmal stimmte es auch. Vor allem früher war es so gewesen. Aber mittlerweile hatte sich ihre Einstellung anscheinend geändert, was traurig war, denn sie hatten alles miteinander geteilt, sei es die Geburt eines Kindes, eine Hochzeit, ein Geburtstag oder selbst der Tod eines Elternteils. Ja, sie waren eine eingeschworene Clique von sieben Paaren gewesen, und das in Teilen seit über zwanzig Jahren. Wieso hatte sich das alles so verändert und fühlte sich plötzlich so leer an? Bedeutungslos? Als hätte sie nicht nur in ihrer Ehe eine Lüge gelebt, sondern in ihrem gesamten Leben mit Hannes?

»Vielleicht nächstes Jahr, Iris. Ihr verreist doch ohnehin alle über die Weihnachtsferien.«

Iris plusterte sich auf, warf gekonnt ihren Kopf nach hinten, wackelte in ihrem auffällig dunkelgrünen Kleid mit dem Hintern und lachte sie an. »Ja! Stimmt. Ich kann es kaum erwarten. Wir fliegen in zwei Tagen mit den Kids auf die Seychellen. Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich einen Urlaub brauche.«

Wer, wenn nicht Iris? Sie arbeitete nicht, hatte quasi für alles Personal, und das letzte Mal war sie Anfang November eine Woche auf Teneriffa gewesen.

»Kann ich mir denken.« Ninnie erhob sich, zupfte ihre schwarze Bluse zurecht, die sie zu einer schlichten schwarzen Hose trug, und fuhr fort: »Es tut mir leid, aber ich muss euch verlassen.«

»Wieso denn jetzt schon?«, warf Susi enttäuscht ein.

»Es tut mir leid, aber ich habe noch jede Menge zu tun und muss heute Abend noch den Baum fertig schmücken. Morgen habe ich ja«, Ninnie deutete in Richtung Terrassentür, »auch seine Eltern zu Gast.«

»Ich finde das toll von dir, dass du Hannes’ Eltern eingeladen hast«, erwiderte Susi und das war ehrlich gemeint, deshalb umarmte Ninnie Susi kurz innig und drückte sie einen Moment lang fest an sich.

»Danke, Susi. Aber toll? Ich tue das nur für Sophie, denn du weißt ja, wie nervig meine Ex-Schwiegermutter ist. Da muss alles perfekt sein, und wehe, wir singen nicht um Punkt siebzehn Uhr Stille Nacht vor dem Christbaum.«

»Ja, ich kenne sie«, grinste Susi. »Aber es ist euer erstes Weihnachtsfest in der neuen Wohnung, also sollte Rita besser dankbar sein, dass du sie überhaupt einlädst.«

»Dankbar?«, seufzte Ninnie. »Ich glaube, sie weiß gar nicht, wie sich das anfühlt.«

Und leider war das die Wahrheit.

»Da hast du auch wieder recht!«

Wie gerne hätte Ninnie ihre eigenen Eltern eingeladen, aber beide waren bereits verstorben. Ihre Mutter an Krebs, ihr Vater an einem Herzanfall. Wie sollte sie also die einzigen Großeltern, die ihre Tochter noch hatte, nicht einladen? Denn Hannes wollte die Weihnachtsferien ja in der Karibik verbringen. Er hatte vor, morgen abzufliegen. Das hatte Susi ihr gesteckt. Kein Wunder, im Gegensatz zu ihr war ihm Weihnachten nie wichtig gewesen.

»Danke noch einmal für die tolle Einladung.«

Sie küsste ihre beiden Freundinnen zum Abschied und verabschiedete sich in Windeseile von allen anderen. Hannes und Linda, die zu ihrem Pech justament in diesem Moment von der Terrasse kamen, ignorierte sie einfach. Der Einzige, den sie nicht zum Abschied küsste und dem sie keine frohen Weihnachten wünschen konnte, war Linus, was Ninnie leidtat. Aber da sie ihn nirgends sah, verzichtete sie darauf, ihn zu suchen, und rauschte in den Vorraum ab.

Weihnachtsengel

So stand Ninnie nun vor dem großen Wandschrank im weitläufigen Eingangsbereich mit der riesigen afrikanischen Statue, öffnete die Schiebetür und suchte. Irgendwo musste doch ihr schwarzer Mantel sein?

Ah ja. Da war er.

Sie schlüpfte in den ersten Ärmel und plötzlich wurde der Mantel von hinten hochgehalten. Verwundert drehte Ninnie sich um und sah direkt in seine hellblauen Augen. Ihr Herz begann wie immer, unangemessen wild zu schlagen.

»Äh, danke.«

Schnell schlüpfte sie auch in den zweiten Ärmel und Linus ließ den Mantel los.

»Gern geschehen. Du willst schon gehen?«

»Ja. Muss ich«, log sie ihn an. Es war erst sechs Uhr am Abend und sie hätte auch locker noch ein, zwei Stunden bleiben können, um anschließend den Baum fertig zu schmücken, denn einen Großteil hatte sie bereits erledigt. Aber noch länger ertrug sie diese Feier nicht.

Zu ihrer Verwunderung suchte Linus ebenfalls nach seinem Mantel und zog ihn an.

»Du gehst auch schon?«

Vermutlich lag es an Chantal, die schon irgendwo mit ihren gefährlich langen Beinen und ihrem langen blonden Haar auf ihn wartete. Musste wohl der Barbie-Effekt sein, auf den er stand. Also nie im Leben auf eine zwar sehr schlanke, aber sehr kleine Frau mit langem dunkelbraunem Haar wie sie.

»Ja, ich habe noch ein Date.«

Stich, Herzstolpern, Blick zu Boden.

Warum fragte sie auch?

»Verstehe.«

Er hielt die Tür auf und vor ihm trat sie in den beleuchteten Vorgarten von Susis Haus. Die Kälte schlug ihr wie eine Wand entgegen. Zur Busstation war es nicht weit und anschließend würde sie die U-Bahn nehmen.

Direkt auf der Straße angekommen, drehte Ninnie sich noch einmal kurz um. »Dann wünsche ich dir noch einen schönen Abend und fröhliche Weihnachten, Linus.«

»Ich dir auch, Ninnie. Und Sophie ebenfalls. Genießt eure Ferien.«

Linus machte einen Schritt auf sie zu und küsste sie auf beide Wangen. Schnell und flüchtig. Wie Freunde einander eben küssen. Oder war es vielleicht doch ein wenig mehr? Denn er sah ihr dabei für einen Moment tief in die Augen, was ihren Bauch in Aufruhr versetzte. Schnell versuchte Ninnie wie immer, diese seltsamen Gefühle zu verdrängen oder zumindest zu ignorieren.

»Danke, aber ich habe keine, nur die Feiertage, dann muss ich zurück an die Arbeit.«

In die Werbeagentur, wo sie einen Job im Büro gefunden hatte. Zwar nicht top bezahlt, aber wenigstens etwas.

»Dann eben nur die Feiertage«, schmunzelte er und sah mit seinem braunen Hut und dem kurzen Wollmantel wie ein Star aus. Aber das war Linus ja irgendwie auch.

Gedankenverloren sagte Ninnie: »Danke, du auch«, und ging los. – In Richtung der Bushaltestelle.

Unter den Sohlen ihrer Stiefel knirschte der festgetretene Schnee, der noch nicht geräumt worden war, doch das bemerkte sie gar nicht, denn ihre Gedanken waren bei ihm. Linus.

Unglaublich. Mit dem Renovieren einer kleinen Wohnung hatte er begonnen, und nun war er einer der reichsten Österreicher. Kaufte bankrotte Firmen, sanierte sie und verkaufte sie wieder. Nicht nur hier, auch in Deutschland. Er war des Öfteren in den Nachrichten, gab aber kaum Interviews, dafür hatte er einen Sprecher, und was er privat tat, wusste auch niemand wirklich. Zumindest nicht die Öffentlichkeit. In ihrer Runde aber natürlich alle. Jetzt war er also schon wieder mit Chantal zusammen. Das wievielte Mal war das? Mindestens das fünfte oder sechste Mal. Selbst Marcus fand sie schrecklich. Nun ja, kein Wunder, dass die Frauen bei ihm nun Schlange standen. Was hatte sie sich gedacht? Dass ein Traummann wie Linus nach der Trennung von Nathalie vor ein paar Monaten alleine blieb?

»Fährst du mit dem Bus?«

Ninnie fuhr vor Schreck zusammen, denn sie hatte seinen Tesla nicht kommen hören. Hinter der heruntergelassenen Scheibe erschien sein Gesicht.

»Äh, ja. Die Haltestelle ist ja gleich da vorne.«

Automatisch sprang die Beifahrertür auf. »Komm, steig ein. Ich bringe dich nach Hause.«

Ninnies Herz klopfte bis in den Hals. Das war aber süß von ihm. Ob sie seine Blicke, die sie immer wieder erhaschte, doch richtig gedeutet hatte? Vielleicht war er ja auch ein klein wenig an ihr interessiert?

Blödsinn. Er hatte doch gerade gesagt, dass er ein Date mit Chantal hatte. Ninnies Puls beruhigte sich wieder und etwas enttäuscht sagte sie: »Ist nicht nötig, du hast es sicher eilig, aber danke.«

Noch immer über den Beifahrersitz gebeugt, sah er sie an und zog die Augenbrauen hoch. »Du willst lieber mit dem Bus fahren, als von mir chauffiert zu werden?«

Natürlich nicht!

»Ich gehe gerne ein paar Schritte. Nach dem vielen Punsch tut mir das gut.«

Er verdrehte die Augen. »Jetzt steig schon ein, Ninnie, bevor ich dir das ernsthaft glaube.«

Mit einem Seufzer tat sie es.

»Wo wohnst du denn jetzt?«

Ninnie nannte Linus die Adresse.

»Tatsächlich?«

Wieso lächelte er so verschmitzt?

»Mitten in der Stadt also. Gute Wahl.«

Geräuschlos fuhr er los.

»Ja, mag sein. Ich wollte, dass Sophie öffentlich überall hinkommt.«

Wieder einer seiner kurzen, aber sehr intensiven Blicke von der Seite. »Wie findet sie die neue Wohnung?«

»Nun ja, langsam gewöhnt sie sich dran, aber anfangs hat sie die Wohnung gehasst und das Haus sehr vermisst. Vor allem den Garten.«

Und ihr großes Zimmer, um genau zu sein.

»Das ist sicher schwer …« In dem Moment unterbrach ihn sein Telefon. »Entschuldige, da muss ich kurz drangehen.« Er nahm den Anruf über die Freisprechanlage entgegen. Ninnie nickte nur.

»Wie lange willst du mich noch warten lassen?«, blaffte ihn eine helle Frauenstimme an und Ninnies Herz sackte vollends in sich zusammen. Das war Chantals Stimme!

»Ich bin schon am Weg. Sorry, hat etwas länger als angenommen gedauert.«

Das blonde Gift fuhr seine Fangzähne aus und er ließ sich alles geduldig gefallen, was sie ihm an den Kopf warf. Ninnie war es peinlich, Ohrenzeuge der Schimpftirade zu werden, die seine neue alte Freundin hier vom Stapel ließ, aber was blieb ihr übrig? Zumindest konnte sie aus dem Fenster sehen, um Linus das Gefühl zu geben, nicht zuzuhören. Aber es tat ihr weh. Wie konnte er sich das alles so widerspruchslos gefallen lassen? Er sah gut aus, war groß, supererfolgreich und ein Denker. Eloquent. Intelligent und extrem lustig. Aber jetzt gerade benahm er sich wie ein Waschlappen, dem das Hirn bei dieser Tussi wohl wieder einmal in die Hose gerutscht war. Vielleicht aus Gewohnheit?

»Vergiss es!«, brüllte sie durch die Anlage. »Ich gehe jetzt!«

Chantal legte einfach auf.

Linus atmete laut aus und sagte gedankenverloren: »Sorry.«

»Hör mal, wenn ich schuld an deiner Verspätung bin, tut es mir wirklich leid. Du kannst mich auch gerne an irgendeiner U-Bahn-Station rauslassen.«

»Sicher nicht, Ninnie. Das macht Chantal immer. Du kennst sie.«

Ja. Leider.

Ninnie konnte nicht anders, daher fragte sie: »Und warum lässt du dir das gefallen?«

Linus fuhr sich etwas genervt durchs braune Haar. »Ich weiß es nicht.«

Aber Ninnie wusste es. Ihm war es egal, was sie sagte, solange er das von ihr bekam, was er wollte: Sex. Und ein paar Abende in Restaurants, bei seinen Kurztrips oder sonst wo. Vielleicht hatte er Angst, allein zu sein?

»Dann seid ihr also wieder fix zusammen? Warum hast du sie heute nicht mitgebracht?«

»Nun ja, ich wollte es nicht. Deshalb ist sie ja so wütend auf mich. Aber ja, wir versuchen es noch einmal. Wie es ausgeht, werden wir sehen.«

Dass etwas in Ninnie gerade gestorben war, versuchte sie, mit Empathie und Fröhlichkeit zu überspielen, denn den Zweifel, der in seinem letzten Satz lag, hatte sie nicht mehr wahrgenommen.

»Du wirst sehen, Linus, diesmal wird es sicher besser laufen. Das zeigt doch alleine schon, dass ihr wieder zueinandergefunden habt.« Sie fand zum Kotzen, was sie da sagte, aber es war das einzig Richtige. »Kauf Chantal am Weg ein paar Blumen und sie wird sich sicher ganz schnell wieder einkriegen. Es ist doch nichts passiert, außer dass du offensichtlich ein paar Minuten zu spät dran bist.«

Linus schickte ihr einen ungläubigen Blick. »Nicht alle Frauen sind so verständnisvoll und unkompliziert wie du. Hannes ist ein echter Idiot.«

Ninnie versuchte, zu lächeln. »Ja, ist er. Aber ich bin froh, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun habe.«

»Bist du?«

Heftig nickte sie. »Oh ja. Zu tausend Prozent.«

»Das sind ja neunhundert mehr als nötig«, grinste er.

»Stimmt. Du, da vorne wohne ich.«

»In dem Haus?«

Linus parkte seinen Wagen direkt davor.

»Ja, wieso?«

Es war ein wirklich schöner Altbau. Fünf Stockwerke hoch, ohne Lift zwar, aber dafür gab es auf jedem Stockwerk nur eine Wohnung, was Ninnie als sehr angenehm empfand. Direkt daneben war ein traumhaft schöner und frisch renovierter Altbau, ein richtiges Stadtpalais mit einer umwerfenden Dachterrasse. Rundum Glasscheiben. Mehr konnte man von unten leider nicht sehen. Noch war niemand eingezogen, aber Ninnie war schon gespannt auf ihre neuen Nachbarn.

»Ach, nur so.«

Linus beugte sich zu ihr und verabschiedete sie wieder mit zwei Küsschen, was Ninnie als ungewöhnlich empfand, da sie wusste, dass er diese Küsserei unter Freunden, also den weiblichen, denn die männlichen umarmten sich nur kurz oder gaben einander ohnehin nur die Hand, im Grunde aus ganzem Herzen hasste, und sie hatten sich ja bereits voneinander verabschiedet. Nicht nur einmal hatte er das lautstark geäußert, aber Susi sagte dazu immer, dass er, Linus Howard Wagner, wie sie ihn dann neckend immer nannte, da einfach durchmüsse. Das brachte Linus immer zum Lachen, denn selbst er wusste, dass der Vergleich mit dem Phobiker Howard Hughes zwar eine Übertreibung, aber auch nicht ganz von der Hand zu weisen war.

Wie gerne hätte Ninnie ihm geraten, Chantal, das Biest, einfach zu vergessen und stattdessen mit ihr gemütlich ein Glas Wein bei Weihnachtsmusik zu trinken, aber das kam nicht infrage, daher sagte sie zum Abschied nur: »Ich hoffe, zwischen euch renkt sich alles wieder ein. Vergiss die Blumen nicht, und fröhliche Weihnachten euch beiden.«

Schnell stieg sie aus, hörte noch, wie er ihr »Euch beiden auch« nachrief, und sperrte die Haustür auf.

Wieder zuhause, machte Ninnie sich sofort an die Arbeit. Kurz hatte sie einen Blick in Sophies Zimmer riskiert, aber die hatte ihr deutlich mit einem genervten Blick zu verstehen gegeben, dass sie nicht gestört werden wollte, da ihre Tochter gerade mit ihrer besten Freundin Elena chattete.

Auch gut, dachte sie, suchte über ihren Fernseher eine Weihnachts-Playlist, wählte eine an und machte sich daran, den Weihnachtsbaum fertig zu dekorieren.

Kurz betrachtete sie den weißen Engel in ihrer Hand. Er war handbemalt und ihre Mutter hatte ihn ihr irgendwann einmal geschenkt. Seitdem war ein Christbaum für sie ohne diesen Engel kein Christbaum.

Gerade als sie den Engel auf der Leiter stehend an der Baumspitze befestigen wollte, rutschte er ihr aus der Hand und fiel mit einem dumpfen Krach auf den Boden. Zerschellte in lauter Einzelteile.

»Neiiin!« Ninnie sah schockiert auf die Splitter. »Nicht Mamas Engel!«

Sie hätte ahnen können, dass das, justament am Vorabend von Weihnachten, kein gutes Omen war. Doch sie beruhigte sich selbst mit dem Gedanken, dass so etwas eben passieren konnte und sie einen neuen, ähnlichen Engel finden würde. Traurig war sie dennoch, doch sie hatte keine Zeit, lange darüber nachzudenken, denn ihre innerliche Liste an Arbeiten, die noch anstanden, war viel zu lang und außerdem fragte sie sich immer wieder, was Linus für sie war. Wieder einmal ging er ihr einfach nicht aus dem Kopf. Es war wohl besser für sie, wenn sie ihn nicht sah. Daher nahm sie sich vor, die nächsten Einladungen ihrer Clique einfach nicht anzunehmen. Je länger sie ihn nicht sah, desto besser war es für sie.

Doch da war er schon wieder. Lächelte sie an und streckte ihr seine Hand entgegen. Was sollte das? War er bloß eine Fantasie, um der grausamen Realität zu entfliehen, dass sie allein war? Ein Hirngespinst, das, wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, schon lange vor dem Scheitern ihrer Ehe ganz zaghaft begonnen hatte, sich schleichend und beinahe unmerklich in ihren Gedanken einzunisten? Sicher war, dass sie sich im letzten Jahr allmählich tatsächlich in ihn verliebt hatte. Weil sie gerne in seiner Nähe war. Gerne mit ihm redete und sich von Linus immer wahrgenommen und gesehen gefühlt hatte. Ganz im Gegensatz zu Hannes oder den anderen Männern. Und ja: Er zog sie an. Wie ein Magnet und ganz und gar nicht jugendfrei. Wie oft war Linus der letzte Gedanke, den sie vor dem Einschlafen dachte? Wie oft führte sie mit ihm Zwiegespräche, von denen er nie erfahren durfte? Sie wusste es nicht, aber sie wusste, dass sie auch diese Gedanken wegschieben musste, denn dieses Weihnachtsfest sollte etwas Besonderes werden. Sophie zuliebe.

Aus all diesen Gründen und weil sie auch noch zusammenräumen und ihre Einkaufsliste für morgen früh schreiben musste, schenkte sie diesem kleinen Unglück nur einen weiteren Seufzer, stieg von der Leiter und rief: »Sophie! Holst du mal Besen und Schaufel? Leider ist mir Omis Engel runtergefallen.«

Sie lauschte und ärgerte sich. Wie immer keine Antwort. Was auch immer im Kopf ihrer Tochter vorging, sie verstand es nicht und leider sagte Sophie es ihr auch nicht. Vermutlich hatte sie jedoch noch immer die Kopfhörer auf und sprach in ihrem nagelneu eingerichteten Zimmer, das sie sofort mit jeder Menge Postern von Manga-Figuren verschandelt hatte, nach wie vor mit Elena und träumte sich weg.

Wieso brachte Sophie Weihnachten so wenig Interesse entgegen? Ninnie tat das alles doch nur für sie. Das meiste zumindest. Dass sie ihre Großeltern eingeladen hatte, auf jeden Fall.

 Entnervt ausatmend klaubte sie die größeren Scherben des weißen Porzellan-Engels selbst auf, warf sie in der Küche in den Müll, um den kleinen Scherben dann mit dem Staubsauger zu Leibe zu rücken.

Ihr Fernseher stimmte das nächste Lied an und Ninnie nahm völlig automatisch eine weitere Glaskugel aus der Schachtel, um sie an den Baum zu hängen, der schön groß war, aber nicht ganz bis an die Decke reichte. Geduldig hing sie eine Kugel nach der anderen, kleine Figuren und am Schluss noch weiße und goldene Ketten auf die Tanne.

Kurz betrachtete sie ihr Werk. Ja. Er war schön geworden. Die Kerzenhalter mit echten Kerzen hatte sie schon heute Nachmittag angebracht, also war sie fertig. Genau so stellte sie sich einen Christbaum vor. In Gold, Silber und Weiß, dicht behangen und richtig festlich. Nur die Spitze sah nackt ohne den Engel aus. Vielleicht fand sie morgen irgendwo einen, wenn sie einkaufen ging.

»Mom?«

Sie fuhr herum. »Ja, Schatz?«

Oh, Sophie hatte sich umgezogen. Stand nun in einem rot-grün gemusterten Wollkleid zu einer dicken Strumpfhose im selben Grün und geschminkt in der Tür. Süß sah sie aus.

»Ich geh noch mal weg.«

Jetzt? Am Abend vor Weihnachten?

Aber Sophie war achtzehn, also sagte sie nur: »Wohin denn?«

»Nur zu Elena. Ein paar Freunde kommen auch noch.«

»Ich dachte, du wolltest mir noch helfen?«

»Wobei denn? Du hast doch schon alles fertig gemacht. Übrigens: Der Baum ist toll!«

Nichts war fertig, aber das war der erste Abend von Sophies Weihnachtsferien und den wollte sie ihr nicht gleich vermiesen.

»Ja, nicht? Danke, Schatz. Also geh schon, aber pass auf dich auf. Du weißt, draußen in der Kommode ist das Notgeld, also nimm dir im Ernstfall ein Taxi.«

Ihre Tochter schüttelte den Kopf. »Mom! Ich bin schon erwachsen, also mach dir keine Sorgen. Ich nehme die U-Bahn.«

»Sophie! Ich werde mir auch noch Sorgen um dich machen, wenn du sechzig und selbst Oma bist!«

»Mom!«, rief Sophie, verdrehte die Augen, drückte ihr einen Kuss auf die Wange und verschwand ohne ein weiteres Wort in Richtung Vorzimmer.

Und jetzt?

Plötzlich war es wieder da, dieses dunkle Gefühl der Einsamkeit. Es hüllte sie ein wie eine Decke, doch statt Wärme zu spenden, hinterließ es Erfrierungen auf ihrer Seele. Nur kleine Punkte zwar, aber dennoch.

Ninnie schüttelte unwillkürlich den Kopf. Aus jetzt. Ich werde noch staubsaugen, alle Kartons zurück in die Schränke packen, dann hole ich mir ein Glas Wein und werde die letzten Päckchen bei einem richtig kitschigen Weihnachtsfilm einpacken. Das klingt doch nach einem Plan.

Vier Stunden später, es war bereits kurz nach Mitternacht, war sie endlich fertig. Das Wohnzimmer blitzte, sie hatte in ihrem Überschwang auch gleich den Tisch festlich gedeckt und dekoriert, die Päckchen lagen unter dem Baum und der Film hatte sie tatsächlich in Weihnachtsstimmung versetzt. Es war eine Schnulze gewesen, aber genau das hatte sie gebraucht.

An sich wollte Ninnie warten, bis Sophie nach Hause kam, aber ihr fielen immer wieder vor dem Fernseher die Augen zu, also schleppte sie sich erst ins Bad und dann nur noch ins Bett. Morgen war Weihnachten und danach konnte sie sich endlich zwei Tage lang entspannen. Ihr fiel auf, dass dieses Gefühl, diese Ruhe und das Beinahe-Stillstehen der Zeit, welches sie so sehr an Weihnachten liebte, erst eintrat, nachdem der Trubel rund um den Heiligen Abend vorbei war.

Tannenduft

Heute ist Weihnachten!

Als der Wecker um sieben Uhr morgens klingelte, fühlte Ninnie sich todmüde, krabbelte aber sofort aus dem Bett, da sie vor dem großen Ansturm auf die Geschäfte einkaufen wollte. Ein kurzer Blick ins Zimmer ihrer Tochter genügte, um zu wissen, dass sie nicht vor Mittag mit Sophies Unterstützung rechnen konnte, so tief und fest wie ihre Tochter noch zusammengerollt schlief. Dabei sah sie aus wie ein Engel! Leise zog sie Sophies Tür wieder zu und dachte: Na gut, dann mach ich mich mal allein an die Arbeit.

Ninnie schaffte alle Punkte ihrer Liste und noch unzählige kleine Handgriffe mehr und so hatte sie kurz nach ein Uhr mittags alle Vorbereitungen geschafft: Das Fleisch war geschnitten, die Saucen für das Fondue waren in kleinen Schälchen vorbereitet und ein bunter Blattsalat war gewaschen. Alles wartete im Kühlschrank auf den großen Auftritt und sie hatte auch die traditionelle Flasche Champagner eingekühlt. Die Nachspeise, ein Zimt-Parfait, hatte sie bereits vor zwei Tagen zubereitet und lag in der Tiefkühltruhe. Der Beerenspiegel, auf dem sie es später servieren würde, stand zum Auskühlen am Herd. Weihnachtslieder laut mitsingend war sie durch ihre Altbauwohnung gefegt, die nun glänzte, zusammengeräumt und liebevoll dekoriert dem großen Moment entgegensah.

Erst hatte sie Sophies Zimmer nicht angerührt, da Ninnie der Meinung war, das müsse Sophie selbst erledigen. Doch dann fiel ihr ein, dass ihre Schwiegereltern noch nie hier gewesen waren und sicher auch dieses Zimmer sehen wollten, daher hatte sie Sophie gegen Mittag mit einem Kuss und einer heißen Tasse Tee aus dem Bett geworfen, unter deren Protest Staub gesaugt, alles achtlos Herumliegende in einen Kasten geräumt und zum Schluss, nachdem Sophie endlich ins Badezimmer gegangen war, das Bett gemacht.