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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. »Traute Rauscher«, sagte Denise von Schoenecker und ließ nachdenklich den Briefbogen sinken. Dann blickte sie ihren Mann an. »Erinnerst du dich noch, Alexander?« Alexander von Schoenecker faltete das landwirtschaftliche Wochenblatt zusammen, in dem er eben gelesen hatte. »Nein, mein Herz. Müsste ich mich erinnern?« »Düsseldorf – Romeo und Julia«, half Denise ihrem Mann. In den Augen des Gutsbesitzers blitzte es auf. Vor einem knappen halben Jahr hatte er zusammen mit seiner Frau die Vorstellung im Schauspielhaus besucht. Es war das herausragende Ereignis während eines ziemlich langweiligen Kongresses gewesen. »Unvergesslich«, murmelte er. »Wie kommst du gerade jetzt darauf?« »Weil ich hier einen Brief dieser bezaubernden jungen Schauspielerin habe. Sie hat ein Problem.« »Wieder einmal!« Alexander lächelte. »Wie ich dich kenne, wirst du es schnellstens zu deinem eigenen machen.
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2021
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»Traute Rauscher«, sagte Denise von Schoenecker und ließ nachdenklich den Briefbogen sinken. Dann blickte sie ihren Mann an. »Erinnerst du dich noch, Alexander?«
Alexander von Schoenecker faltete das landwirtschaftliche Wochenblatt zusammen, in dem er eben gelesen hatte. »Nein, mein Herz. Müsste ich mich erinnern?«
»Düsseldorf – Romeo und Julia«, half Denise ihrem Mann.
In den Augen des Gutsbesitzers blitzte es auf.
Vor einem knappen halben Jahr hatte er zusammen mit seiner Frau die Vorstellung im Schauspielhaus besucht. Es war das herausragende Ereignis während eines ziemlich langweiligen Kongresses gewesen.
»Unvergesslich«, murmelte er. »Wie kommst du gerade jetzt darauf?«
»Weil ich hier einen Brief dieser bezaubernden jungen Schauspielerin habe. Sie hat ein Problem.«
»Wieder einmal!«
Alexander lächelte. »Wie ich dich kenne, wirst du es schnellstens zu deinem eigenen machen. Worum handelt es sich überhaupt?«
»Sie schreibt, es betreffe ihre kleine Nichte. Ob sie herkommen dürfte, um mit mir darüber zu reden.«
»Ich brauche dich wohl nicht zu fragen, was du antworten wirst«, bemerkte Alexander liebevoll. »Wie ist sie überhaupt auf dich gekommen, Denise?«
»Vielleicht weniger auf mich als auf Sophienlust. Sie muss davon gehört haben. Wie und auf welche Weise ist ja auch egal. Ich werde ihr morgen antworten und sie einladen, uns zu besuchen. Abgesehen von ihren Kümmernissen freue ich mich darauf, diese begabte Künstlerin nun auch persönlich kennenzulernen. Du doch auch, Alexander, oder?«
»Hm …« Er räusperte sich. Um die Wahrheit zu sagen, er war wirklich sehr stark von der schauspielerischen Leistung Traute Rauschers beeindruckt gewesen. Auch wenn ihm ihr Name im Moment nicht geläufig gewesen war, so hatte er doch weder ihr liebliches Gesicht noch ihr ausdrucksstarkes und leidenschaftliches Spiel vergessen. Er stand auf und warf ein Buchenscheit in den Kamin.
Um Denises schön geschwungenen Frauenmund huschte ein winziges Lächeln. Sie spürte nicht einmal einen Hauch von Eifersucht.
Ganz im Gegenteil – es freute sie sogar, bei ihrem Alexander eine liebenswerte Schwäche zu entdecken. Überdies wusste sie genau, dass seine große Liebe zu ihr und das Verstehen, das zwischen ihm und ihr bestand, durch kein äußeres Ereignis getrübt werden konnte.
Denise lehnte sich zurück und legte die schlanken Beine auf das marokkanische Sitzkissen. Wieder einmal fand sie, dass die Abende in Schoeneich, wenn draußen der Wind um die Mauern pfiff und ein lebendiges Feuer nicht nur den Raum, sondern auch die Herzen erwärmte, wunderbar waren.
»Ich bin so glücklich, Alexander«, sagte sie leise aus ihren Gedanken heraus. »Ich müsste noch viel mehr tun, um etwas davon weiterzugeben.«
Alexander von Schoenecker setzte sich auf die Lehne von Denises Sessel und legte den Arm um die Schultern seiner Frau. »Noch mehr?«, sagte er zärtlich. »Jetzt untertreibst du aber wirklich. Manchmal habe ich Sorge, du könntest dich übernehmen.«
»Ach wo. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch die Kraft. Heißt es nicht so?«
Das stimmte. Seitdem Denise nach dem Willen der früheren Besitzerin Sophienlusts das Kinderheim leitete, waren mit den Aufgaben auch ihre Kräfte gewachsen. Denise verstand es meisterhaft, ihre verschiedenen Wirkungsbereiche miteinander zu verbinden, sodass weder Sophienlust noch ihre eigene Familie zu kurz kam. Allerdings stieß Denise bei Alexander von Schoenecker auch auf großzügiges Verständnis, ebenso bei ihrem Sohn Dominik, der einmal das Erbe seiner Urgroßmutter Sophie von Wellentin antreten würde. Nick, wie der Gymnasiast allgemein genannt wurde, besaß trotz seiner erst fünfzehn Jahre bereits ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein. Er interessierte sich für alles, was Sophienlust betraf, und setzte sich mit jugendlichem Feuereifer ein, wenn es um das Schicksal der dem Heim anvertrauten Kinder ging.
Sogar der kleine Henrik, der aus der Ehe von Denise und Alexander hervorgegangene Sprössling, fand es ganz in Ordnung, fast ebenso viel in Sophienlust wie in Schoeneich zu sein. Ebenso nahm Andrea von Lehn, die mit einem Tierarzt verheiratete Tochter Alexanders aus seiner ersten Ehe, lebhaften Anteil an den kleinen und großen, manchmal erheiternden, sehr oft aber auch dramatischen und erschütternden Begebenheiten in Sophienlust. Daran hatte auch die Geburt ihres ersten Kindes nichts geändert. Das von allen mit Spannung erwartete Ereignis lag nun schon eine Weile zurück, und der kleine Peter sah inzwischen, wie seine beiden Onkel Nick und Henrik erklärten, bereits recht menschlich aus.
Denise schmiegte sich in Alexanders Arme. Hier fühlte sie sich geborgen und beschützt, hier war die Quelle, aus der sie immer wieder neue Kraft schöpfte. Sie wusste, Alexander verstand sie auch ohne viele Worte.
Vielleicht war es die Harmonie dieser beiden Menschen, die ausstrahlte und – wie ein Stein, den man ins Wasser wirft – immer weitere Kreise zog. Man konnte Denise von Schoenecker nicht begegnen, ohne von ihrer Persönlichkeit angerührt zu werden. Vermutlich war dies auch das Geheimnis ihrer Erfolge. Niemand führte Buch darüber oder hätte zu zählen vermocht, wie oft es ihr schon gelungen war, anderen Menschen mit Rat und Tat beizustehen. Es war ihre Lebensaufgabe, ein winziger Dank für das eigene Glück. Nicht von Anfang an war es ihr in den Schoß gefallen. Auch sie hatte ihre dunklen Stunden voller Tränen und verzweifelter Gedanken gehabt, aber sie waren jetzt Vergangenheit. Mit hinein in die Gegenwart genommen hatte sie die Fähigkeit, andere zu verstehen. Wer auch immer zu ihr kam, durfte mit ihrer Hilfe rechnen.
Jetzt würde es also Traute Rauscher sein, jene Frau mit der dunklen, samtigen Stimme, den übergroßen leuchtenden Augen und den ausdrucksvollen Gebärden.
Denise sah dem Besuch der Schauspielerin erwartungsvoll entgegen. Es würde reizvoll sein festzustellen, ob die im Scheinwerferlicht magisch wirkende Anziehungskraft dieser Frau der nüchternen Wirklichkeit standhielt.
*
Ein paar Tage später war es so weit. Denise von Schoenecker und Traute Rauscher saßen zusammen im Biedermeiersalon von Sophienlust unter dem großen Ölgemälde, das Sophie von Wellentin darstellte, die mit ihrem Testament für die Entstehung des Kinderheims Sophienlust gesorgt hatte.
Zwischen den beiden Damen stand ein zierlicher Tisch mit Tee und knusprigem Gebäck, dessen Zubereitung die Stärke der Köchin Magda war. Noch hatte Traute Rauscher nicht über ihr Anliegen gesprochen. Denise war viel zu klug, um Fragen zu stellen. Sie spürte sehr deutlich die leichte Befangenheit, die auch die Routine der Schauspielerin nicht zu überdecken vermochte. Aber gerade das machte ihr die Besucherin besonders sympathisch.
»Ich habe viel über Sophienlust gehört«, meinte Traute Rauscher endlich. »Trotzdem übertrifft die Wirklichkeit alle Vorstellungen. Ich finde, es ist ein kleines Paradies.«
»Wir nennen es ›Das Haus der glücklichen Kinder‹, erwiderte Denise lächelnd. »Nicht, weil hier absolut alle glücklich sind. Das ist auf dieser Welt wohl auch nicht möglich. Trotzdem sind sehr viele Kinder hier glücklich geworden, und das ist auch unser Ziel.«
Traute Rauscher blickte die schöne Frau mit dem schwarzen Haar und dem feingeschnittenen Gesicht nachdenklich an. »Sie haben sich eine große Aufgabe gestellt, Frau von Schoenecker.«
»Ach, sie kam eigentlich ganz von selbst auf mich zu.« Denise überlegte kurz, ob sie der Besucherin etwas aus ihrem Leben erzählen sollte, und fand, dass es ihr das Reden vielleicht leichter machen würde.
Also berichtete sie von ihrer Laufbahn als Tänzerin und von ihrer ersten Ehe mit Dietmar von Wellentin, die auf so tragische Weise durch den plötzlichen Tod ihres Mannes noch vor der Geburt ihres Sohnes Nick geendet hatte. »Nick ist der Urenkel Sophie von Wellentins«, sagte sie mit einer Handbewegung zu dem Bild hin. »Jetzt geht er ja noch in die Schule, aber eines Tages wird er das alles hier übernehmen. Ich bin sozusagen nur die Sachwalterin.«
»Oh nein!«, unterbrach Traute Rauscher sie impulsiv. »Viel eher halte ich Sie für den guten Geist. Ich habe mich, ehrlich gesagt, ein bisschen vor dieser Unterredung gefürchtet. Es ist doch eigentlich eine ziemliche Anmaßung, als gänzlich Fremde hier hereinzuschneien. Aber nun habe ich Sie kennengelernt und wage es auch, meine Bitte vorzutragen.«
»Sie brauchen keine Hemmungen zu haben, Frau Rauscher«, sagte Denise. »Was Sie mir auch anvertrauen werden, es bleibt selbstverständlich alles unter uns.«
»Wie ich Ihnen schon schrieb, handelt es sich um meine Nichte Sonny«, begann die Besucherin langsam. »Aber ich glaube, ich muss ein wenig weiter ausholen. Hoffentlich stehle ich Ihnen nicht zu viel Zeit?«
»Durchaus nicht. Ich werde uns noch Tee eingießen, ja? Nehmen Sie doch noch von dem Gebäck.«
»Tee sehr gern. Ich bin in letzter Zeit immer so durstig. Dafür hapert es mit dem Appetit.«
Das sieht man, dachte Denise. Das Gesicht der jungen Schauspielerin war von einer durchscheinenden Blässe. Um den Mund lag ein müder Zug. Auch die Hände, die sie in ruhelosem Spiel ineinander verschlang, wirkten überaus zart und kraftlos. War das alles einem geheimen Kummer zuzuschreiben, oder war die junge Frau etwa krank? Denise lehnte sich bequem zurück. Sie war sicher, schon bald Näheres darüber zu erfahren.
»Sonny ist das einzige Kind meiner Schwester Gilda, die mit einundzwanzig Jahren einen Spanier geheiratet hat, Paco Vanessa, übrigens sehr gegen den Willen meines Vaters. Unsere Mutter starb schon sehr früh.« Traute schwieg und trank einen Schluck Tee. Ihre Kehle war wieder einmal wie ausgedörrt. Vielleicht sollte ich doch wieder einmal einen Arzt aufsuchen?, überlegte sie.
»Gilda hat ihr Medizin-Studium in Madrid beendet«, fuhr Traute Rauscher fort. »Und dort kam auch Sonny zur Welt. Eigentlich heißt sie Sonja, aber wir nennen sie Sonny. Sie müssen wissen, Frau von Schoenecker, Gilda und ich, wir waren immer sehr eng miteinander verbunden, mehr, als es bei Schwestern üblich ist. Deshalb merkte ich auch bald, dass Gildas Ehe ein Fehlschlag war. Nicht, dass sie viel darüber geschrieben hätte. Es war eigentlich mehr zwischen den Zeilen zu lesen. Gilda hat sich nicht beklagt, aber es waren auch keine glücklichen Briefe, die ich erhielt. Ich habe mir sehr viel Sorgen um sie gemacht. Einmal wollte ich Gilda besuchen, doch sie schrieb mir ab. Mit einer ganz fadenscheinigen Ausrede. Heute weiß ich, dass sie sich schämte. Sie ist sehr stolz und wollte nicht zugeben, dass sie den falschen Mann geheiratet hat.«
»Sie sind auch später nicht nach Spanien gefahren?«, warf Denise ein.
»Nein. Es kam nie dazu. Ich wollte es stets, denn ich sehnte mich danach, meine Schwester wiederzusehen. Auch Sonny kannte ich ja noch nicht. Aber ich war in den letzten Jahren auch beruflich sehr angespannt. Ich habe ein festes Engagement in Düsseldorf, und in den Theaterferien kam das Fernsehen. Natürlich sollte man auch einmal Pause machen, aber wie das so ist – ist man erst einmal in der Mühle drin, findet man nicht so leicht einen Weg heraus. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass Gilda meinen Besuch gar nicht mehr wünschte. Ja, und dann erkrankte mein Vater schwer. Es war ein langes Leiden, und ich mochte ihn nicht allein lassen.«
»Aber warum kam Ihre Schwester nicht einmal nach Düsseldorf? Besonders dann, als es Ihrem Vater so schlecht ging?«
Traute zuckte die Achseln. »Das habe ich zuerst auch nicht begriffen, denn ich schrieb Gilda natürlich, dass Vater erkrankt war. Nun – jetzt ist sie da und hat mir erzählt, dass Paco sie daran hindert, nach Düsseldorf zu kommen. Ach, es ist eine echte Tragödie. Gilda hat unendlich viel ausgestanden. Doch nun hat sie sich endlich zu einem Entschluss durchgerungen. Sie kam nicht nur zu Vaters Beisetzung. Sie will für immer hierbleiben und Vaters Praxis fortführen.«
»Sie will sich also scheiden lassen«, sagte Denise. »Ist ihr Mann denn damit einverstanden?«
»Natürlich nicht. Paco hat einen recht einleuchtenden Grund für seine Weigerung. Unser Vater war sehr vermögend. Sie verstehen?«
Denise nickte. Wieder einmal die alte Geschichte. Man sprach von Liebe und meinte Geld!
»Sonny ist ein so liebes Kind«, sprach Traute weiter. »Ich habe mich in der letzten Zeit sehr um sie gekümmert. Sie findet es nämlich herrlich, eine Tante zu haben, die Schauspielerin ist. Es ist auch ihr heißester Wunsch, einmal in meine Fußstapfen zu treten. Nun, bis dahin fließt noch viel Wasser den Rhein hinab. Es ist ein schöner, aber auch ein sehr schwerer Beruf. Möglich, dass Sonny sogar Talent hat – so weit man das in diesem Alter überhaupt schon sagen kann. Ich ließ sie in der Märchenaufführung unseres Theaters mitwirken. Es war eine ganz winzige Rolle, nur ein Satz. Aber sie hat es sehr nett gemacht. Warten Sie, ich muss ein Bild von ihr bei mir haben.« Traute öffnete ihre Handtasche und reichte Denise eine Fotografie.
Denise sah ein reizendes kleines Mädchen, das hingebungsvoll mit einer Kupfergießkanne Rosen und Margariten in einem Blumenkasten begoss. Es trug ein weißes, buntbesticktes Kleidchen mit einem schwarzen Samtgürtel. Ein ebensolches Band raffte das blonde Haar am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammen. »Sonny nimmt ihre Aufgabe sehr ernst«, meinte Denise lächelnd.
»O ja, das tut sie immer. Es machte damals auch gar nichts aus, dass es Theaterblumen waren. In ihrer Fantasie waren die Blumen lebendig und voller Duft. Aber zurück zu Gilda. Sie hat inzwischen die Scheidung eingereicht. Es gibt wohl keinen Zweifel an ihrem Ausgang. Paco hat so viel auf dem Kerbholz, dass er nicht mit einem günstigen Urteil rechnen kann.«
»Das würde bedeuten, dass Sonny Ihrer Schwester zugesprochen wird.«
»Genau. Nur – bis es so weit ist, wird noch eine geraume Zeit vergehen. Und vorläufig steht das Gesetz auf Pacos Seite. Er ist Gildas Mann und Sonnys Vater. Zwei Tatsachen, die wir so gern vergessen würden, aber nicht vergessen können. Ich fürchte nun, dass Sonny Gefahr droht. Ich habe ein unbestimmtes Gefühl der Angst …«
»Sehen Sie da nicht etwas zu schwarz, Frau Rauscher?«, warf Denise ein.
Traute schüttelte den Kopf. »Sie kennen Paco nicht. Er ist unberechenbar. Und er hat schon einmal den Versuch gemacht, Sonny zu entführen.«
»Tatsächlich?«
»Noch in Spanien. Gilda war damals mit Sonny bei Freunden am Meer. Vielleicht hatte Paco angenommen, sie würde nicht mehr nach Hause zurückkehren. Auf jeden Fall tauchte er eines Tages auf und zerrte Sonny in sein Auto. Nur der Wachsamkeit eines Hundes war es zu verdanken, dass man aufmerksam wurde und ihm Sonny abnahm. Er versuchte sich natürlich herauszureden, aber niemand schenkte ihm Glauben. Wenn es wirklich eine harmlose Spazierfahrt hätte sein sollen, hätte er sich nicht in aller Heimlichkeit an das Kind heranzumachen brauchen. Meine Schwester bekam fast einen Nervenzusammenbruch. Aber dieser Vorfall gab dann auch den letzten Anstoß für ihre Entscheidung.«
Traute Rauscher hielt erschöpft inne. Sie erlitt einen Hustenanfall und presste ein feines Tuch an die Lippen. »Bitte, entschuldigen Sie«, sagte sie, als sie wieder atmen konnte. »Ich muss mich erkältet haben.«
Denise akzeptierte es mit einem Kopfnicken, obwohl sie nicht so recht an die Harmlosigkeit von Trautes Zustand glauben konnte. »Was kann ich nun für Sie tun?«, erkundigte sie sich.
»Sehr viel. Eigentlich alles. Gilda verzehrt sich fast in ihrer Sorge um Sonny. Und ich nicht minder. Es wäre uns außerordentlich geholfen, wenn wir das Kind an einem sicheren Platz wüssten.«
»Natürlich nehmen wir Sonny gern auf«, erklärte Denise bereitwillig. »Wenn allerdings ihr Vater hier auftaucht …«
»Das ist es ja. Ich will ganz offen sein, Frau von Schoenecker. Es ist durchaus möglich, dass mein Schwager eines Tages in Sophienlust erscheint. Wie ich ihn kenne, wird er alles daransetzen, Sonnys Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Und Paco ist klug oder, besser gesagt, gerissen«, fügte sie mit einem bitteren Lächeln hinzu.
»Hm.« Denise biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Noch besaß Sonnys Vater das Sorgerecht für das Kind. Wenn er die Hilfe der Behörden in Anspruch nahm, konnte sie kaum etwas gegen ihn tun. Das sagte sie auch Traute Rauscher.
»Ich glaube, deswegen kann ich Sie beruhigen«, versicherte die junge Schauspielerin eifrig. »Paco hat nicht gern etwas mit der Polizei zu tun. Er wird auch nie den geraden Weg wählen, sondern immer den krummen.«
»Das ist etwas anderes. Wenn er nicht mit handfesten Unterlagen kommt, werde ich schon mit ihm fertig. Das kann ich Ihnen beinahe versprechen. Wie ist übrigens das Verhältnis zwischen Sonny und ihrem Vater?«
»Ich weiß es nicht genau. Ich habe die beiden noch nie zusammen erlebt. Gilda meinte einmal, Sonny habe Angst vor ihm. Vielleicht ist es ein instinktives Gefühl der Abwehr. Sonny selbst erwähnt Paco ganz selten. Es sieht jedenfalls nicht so aus, als habe sie besondere Sehnsucht nach ihm. Ich habe allerdings keine Ahnung, wie sie reagieren würde, wenn er plötzlich vor ihr stünde. Sie wird im nächsten Monat sechs, ist also doch noch recht klein.«
»Natürlich«, pflichtete Denise ihr bei. »Dann wollen wir uns also jetzt den Kopf nicht schon heiß machen. Bringen Sie Sonny nach Sophienlust, wann immer Sie wollen. Wir werden gut auf sie aufpassen.«
Traute bedankte sich in bewegten Worten. »Wie kann ich das nur jemals gutmachen? Ich muss mir etwas ausdenken.«
Denise wehrte ab. »Davon kann gar keine Rede sein. Mir ist klar, dass Sonny Hilfe braucht. Zu diesem Zweck wurde Sophienlust gegründet. Für Ihre Schwester wird es auch beruhigend sein, das Kind in guter Hut zu wissen.«
»Gilda ahnt noch nichts von meinem Plan«, bekannte Traute. »Ich wollte zuerst mit Ihnen sprechen. Sie ist aber bestimmt einverstanden. Denn nicht nur die Scheidung und die Sorge um Sonny beanspruchen ihre Kräfte, sondern auch die Praxis unseres Vaters. Gilda ist mit Leib und Seele Ärztin. Sie opfert sich für ihre Patienten auf.«
»Hat sie ihren Beruf auch in Spanien ausgeübt?«
Traute lachte kurz auf. »O ja. Sie hat alle damit ernährt. Ihre eigene Familie und Pacos zahlreiche Anverwandte. Paco selbst ist Meister im Geldausgeben. Vorausgesetzt, andere haben es verdient. Bitte, denken Sie jetzt nicht, dass ich Paco schlechtmachen will, Frau von Schoenecker. Er ist wirklich so. Ich gebe mir redliche Mühe, gerecht zu sein und seine sicher auch vorhandenen positiven Seiten herauszufinden. Leider ist es mir bis jetzt aber noch nicht geglückt, gute Eigenschaften bei ihm zu entdecken.«
»Wenn die Scheidung über die Bühne gegangen ist, ohne dass Ihr Schwager weitere Torheiten begangen hat, werden Sie ihn vielleicht milder beurteilen, Frau Rauscher.«
»Ich wollte, es wäre so. Aber nun will ich Sie nicht länger aufhalten. Ich werde mich wieder auf den Weg machen.«
»Muss das wirklich sein?«, erkundigte sich Denise. »Wir hatten eigentlich alle damit gerechnet, dass Sie heute Abend unser Gast sein würden.«
Traute zögerte. »Ich weiß nicht«, sagte sie unentschlossen.
Da spielte Denise ihren letzten Trumpf aus. »Sie dürfen es meinem Mann nicht antun, unsere Einladung nicht anzunehmen. Seit er Sie als Julia gesehen hat, zählt er zu Ihren glühendsten Verehrern. Übrigens mein Sohn Nick ebenfalls. Er hat kürzlich eine Kriminalkomödie mit Ihnen im Fernsehen gesehen und war hell begeistert von Ihnen.«