Ein Chefarzt spielt Schicksal - Britta Winckler - E-Book

Ein Chefarzt spielt Schicksal E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Die große Arztserie "Die Klinik am See" handelt von einer Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Immer wieder sah Dr. Hendrik Lindau, Chefarzt der Klinik am See, auf seine Uhr und verstand nicht, daß seine Tochter noch nicht da war. Er hätte eigentlich schon längst in der Klinik sein sollen. Statt dessen saß er immer noch in der gemütlichen Stube des Doktorhauses und wartete auf Astrid, die das Wochenende mit ihrem Verlobten, dem Kinderarzt Dr. Alexander Mertens, in München verbracht hatte. Es war nicht so, daß Dr. Lindau sich etwa Sorgen über das Ausbleiben Astrids gemacht hätte. Es war lediglich zwischen ihm und ihr verabredet gewesen, daß sie bis spätestens halb neun wieder zurück sein sollte, weil er mit ihr zusammen in die Klinik fahren wollte. Astrid sollte zugegen sein, wenn er mit den für diesen Vormittag angesagten beiden Repräsentanten der Medizin- und Sanitäranlagen-Firma die letzte Besprechung wegen der restlichen Einrichtung in der neuen, fast fertigen Kinderstation in der Klinik führte. Immerhin sollte Astrid, die vor wenigen Wochen mit glänzenden Noten ihr Examen als Kinderärztin bestanden hatte, diese Kinderstation nach Ende ihrer Ferien leiten. Zunächst allein – natürlich unter seiner Aufsicht – und dann aber zusammen mit ihrem Verlobten, sobald dessen Vertrag mit der Kinderklinik in München abgelaufen war. Es war daher nur recht und billig, wenn er Astrid ein Mitspracherecht bei der endgültigen Einrichtung einräumte. Irgendwie freute sich Dr. Lindau schon diebisch auf Astrids Gesicht und auf ihre Reaktion, wenn er ihr heute ihr zukünftiges Tätigkeitsfeld vorführen würde. Obwohl sie sich schon über eine Woche wieder in Auefelden befand – es war die zweite Woche ihrer Ferien

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Die Klinik am See – 3–

Ein Chefarzt spielt Schicksal

Den unglücklichen Liebenden muss geholfen werden

Britta Winckler

Immer wieder sah Dr. Hendrik Lindau, Chefarzt der Klinik am See, auf seine Uhr und verstand nicht, daß seine Tochter noch nicht da war. Er hätte eigentlich schon längst in der Klinik sein sollen. Statt dessen saß er immer noch in der gemütlichen Stube des Doktorhauses und wartete auf Astrid, die das Wochenende mit ihrem Verlobten, dem Kinderarzt Dr. Alexander Mertens, in München verbracht hatte.

Es war nicht so, daß Dr. Lindau sich etwa Sorgen über das Ausbleiben Astrids gemacht hätte. Es war lediglich zwischen ihm und ihr verabredet gewesen, daß sie bis spätestens halb neun wieder zurück sein sollte, weil er mit ihr zusammen in die Klinik fahren wollte. Astrid sollte zugegen sein, wenn er mit den für diesen Vormittag angesagten beiden Repräsentanten der Medizin- und Sanitäranlagen-Firma die letzte Besprechung wegen der restlichen Einrichtung in der neuen, fast fertigen Kinderstation in der Klinik führte. Immerhin sollte Astrid, die vor wenigen Wochen mit glänzenden Noten ihr Examen als Kinderärztin bestanden hatte, diese Kinderstation nach Ende ihrer Ferien leiten. Zunächst allein – natürlich unter seiner Aufsicht – und dann aber zusammen mit ihrem Verlobten, sobald dessen Vertrag mit der Kinderklinik in München abgelaufen war. Es war daher nur recht und billig, wenn er Astrid ein Mitspracherecht bei der endgültigen Einrichtung einräumte.

Irgendwie freute sich Dr. Lindau schon diebisch auf Astrids Gesicht und auf ihre Reaktion, wenn er ihr heute ihr zukünftiges Tätigkeitsfeld vorführen würde. Obwohl sie sich schon über eine Woche wieder in Auefelden befand – es war die zweite Woche ihrer Ferien – und im Doktorhaus in ihrem früheren Zimmer wieder Quartier bezogen hatte, war es ihr noch nicht vergönnt gewesen, die neue Station zu sehen. Er, ihr Vater, hatte das noch hinausgeschoben, weil die Gesamteinrichtung noch nicht ganz fertig gewesen war. Nun aber war es soweit. Fast jedenfalls. Nur ein paar Kleinigkeiten, allerdings ziemlich wichtige, fehlten noch. Über die aber wollte er Astrid selbst bestimmen und entscheiden lassen.

Das Schrillen des Telefons unterbrach in diesem Augenblick die Überlegungen des Chefarztes der Klinik am See. In seinen Augen leuchtete es kurz auf, als er den Anrufer an der Stimme erkannte. Es war Astrid. »Wo bist du denn, Mädchen?« fragte er. »Ich warte schon eine ganze Weile auf dich.« Ohne Vorwurf sagte er es.

»Paps, entschuldige bitte, aber… nun ja, um ehrlich zu sein – Alexander und ich haben etwas verschlafen.« Astrids Stimme klang fröhlich.

Dr. Lindau schmunzelte und dachte an die Zeit zurück, als er selber noch ein ganz junger Mann war. Hatte er da nicht auch dann und wann verschlafen, wenn er mit Astrids Mutter ein Wochenende verbracht hatte? »Na, Hauptsache, es geht dir gut, Astrid«, gab er lächelnd zurück.

»Ich fühle mich ausgezeichnet, fast wie im siebten Himmel«, entgegnete die frischgebackene junge Ärztin und lachte silberhell.

Kann ich mir denken, ging es Dr. Lindau durch den Sinn. »Wo bist du jetzt?« fragte er aber laut. »Noch bei deinem Alexander?«

»Der ist schon weg in die Klinik«, kam es zurück. »Ich bin noch in seiner Wohnung, räume nur noch rasch das Frühstücksgeschirr weg und fahre dann gleich los.«

»Freut mich, Mädchen«, erwiderte Dr. Lindau. »Allerdings werde ich nicht hier im Hause auf dich warten, denn das dauert mir dann doch etwas zu lange. Ich fahre jetzt in die Klinik…«

»Dann komme ich direkt dorthin«, entgegnete Astrid.

»Das wollte ich eben auch sagen«, gab Dr. Lindau zurück. »Wann glaubst du, daß du hier sein wirst?« fügte er fragend hinzu.

»In spätestens anderthalb Stunden«, kam die Antwort.

»In Ordnung«, beendete Dr. Lindau das Gespräch. »Ich erwarte dich also in der Klinik, und zwar in meinem Büro. Ade bis nachher…«

Fast sanft ließ er den Hörer auf die Gabel fallen. Minuten später saß er schon in seinem Wagen und fuhr zur Klinik am See.

»Ich wollte schon bei Ihnen zu Hause anrufen«, empfing Marga Stäuber ihren Chef, als der das Vorzimmer betrat.

»Weshalb?« fragte Dr. Lindau interessiert. »Ist etwas geschehen?«

»Eigentlich nichts besonderes«, antwortete die Sekretärin.

Dr. Lindau, schon in der geöffneten Tür zu seinem Sprechzimmer stehend, drehte sich um und sah Marga Stäuber fragend an. »Sie sagen das in einem Tonfall, der mich neugierig macht«, meinte er. »Also doch etwas Besonderes«, setzte er hinzu. »Klären Sie mich auf!«

»Frau Sieber hat es erwischt«, erklärte die Schwester ruhig.

»Meine Assistentin?« Dr. Lindau stutzte. »Erwischt? Was meinen Sie damit?« fragte er. »Hatte sie einen Unfall?«

Marga Stäuber lächelte verschmitzt. »Vielleicht könnte man es auch so nennen«, erwiderte sie.

»Was ist passiert?«

»Na ja, wie das eben passiert, wenn zwei Verliebte…« Die Sekretärin unterbrach sich und deutete zum Sprechzimmer hin. »Sie liegt im Untersuchungsraum. Vor zehn Minuten ist sie zusammengeklappt.«

Dr. Lindau sah seine Sekretärin irritiert an. »Zusammengeklappt? Verliebte? Was soll das?« fragte er. In der nächsten Sekunde aber begriff er. In seinen Augen blitzte es verstehend auf. »Manchmal ist Ihre Ausdrucksweise wirklich unnachahmlich, Frau Stäuber«, hielt er seiner Sekretärin vor. Er sagte es nicht vorwurfsvoll oder gar ärgerlich, vielleicht ein wenig ironisch nur. »Sie wollen sicher andeuten, daß Frau Sieber schwanger ist, wie?« fragte er.

Marga Stäuber nickte. »Das nehme ich jedenfalls an«, antwortete sie.

Dr. Lindau versagte sich weitere Fragen und verschwand im Sprechzimmer. Mit ein paar Schritten war er dann im Untersuchungsraum, in dem sich seine Assistentin gerade von der Liege erhob.

»Langsam, Bettina! Bleiben Sie liegen!« Dr. Lindau drückte die junge Frau sanft zurück. »Wie geht es denn?« fragte er freundlich.

»Ein Schwächeanfall, Herr Doktor, nichts weiter«, erwiderte Bettina Sieber und wollte sich erneut erheben, wurde aber von ihrem Chef zurückgehalten.

»Schwächeanfälle haben ihre Ursachen«, meinte Dr. Lindau. »Die aber wollen wir jetzt erst einmal feststellen.«

Bettina Sieber errötete. »Ich… ich… glaube, daß… daß ich die Ursache… kenne…«, kam es verhalten und stockend über ihre Lippen. »Ich glaube… glaube, daß ich… schwanger bin.«

»Sie glauben es, wissen es aber nicht genau, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe«, sagte Dr. Lindau.

»Nun ja, ich kann es mir denken, denn meine… meine…«, Bettina Sieber sprach nicht weiter. Verlegen sah sie zur Seite. Sie schien sich offensichtlich vor ihrem Chef zu genieren.

Dr. Lindau kannte das. »Bettina, jetzt denken Sie mal nicht daran, daß ich Ihr Chef bin, sondern sehen Sie in mir nur Ihren Arzt«, redete er der jungen Frau ermunternd zu. »Als solcher aber rate ich zu einer Untersuchung, damit Sie wissen, woran Sie sind.« Um seine Lippen huschte ein Lächeln. »Als medizinisch-technische Assistentin und gleichzeitige Sprechstundenhilfe eines Chefarztes sollten Sie wissen, wie wichtig eine Untersuchung ist, um eventuellen späteren Komplikationen keinen Raum zu lassen.«

Minuten später war dann auch schon alles wieder vorbei.

»Wie fühlen Sie sich?« wollte Dr. Lindau wissen, während er sich die Hände wusch. »Schwindelgefühl?«

»Nein, Herr Doktor.« Bettina Sieber war wieder wie immer. Sie lächelte. »Es ist also wahr?« fragte sie.

»Daß Sie schwanger sind? Ja…« Dr. Lindau wandte sich der Assistentin zu. »Gratuliere, auch wenn noch einige Monate Zeit ist.« Verwundert sah er Bettina Sieber an. »Sie machen plötzlich ein Gesicht, das gar nicht glücklich aussieht«, sagte er. »Sagen Sie mir jetzt um Gottes willen nur nicht, daß Sie das Baby nicht haben möchten!« Seine Miene wurde ernst. »Sie wissen, wie ich darüber denke.«

»Nein, nein, Herr Doktor, das ist es nicht«, entgegnete Bettina Sieber ha­stig. »Ich will das Baby und mein Freund bestimmt auch.«

»Freut mich«, meinte Dr. Lindau. »Dann werden ja auch wohl bald die Hochzeitsglocken läuten, nehme ich an.«

Bettina Sieber nickte. In ihren Augen leuchtete es auf. »Wenn er von der nächsten Fahrt zurück ist – er fährt ja zur See –, werde ich ihn aufs Standesamt schleppen«, erklärte sie betont burschikos.

Dr. Lindau lachte leise. »Schleppen?« fragte er. »Will er denn nicht so gern in den Hafen der Ehe einlaufen?«

»Doch, ja, natürlich«, versicherte Bettina. »Er liebt mich doch.«

*

Wie Musik empfand Astrid Lindau das leise Motorengeräusch ihres Wagens, auf den sie sehr stolz war, denn er war das Geschenk ihres Vaters für das mit Auszeichnung bestandene Doktorexamen.

Als sie jetzt durch Rottach fuhr, drängte es sie plötzlich, beim Tennis-Club kurz vorbeizufahren, um zu sehen, was sich dort tat. Bei dem herrlichen Sommerwetter konnte es durchaus möglich sein, daß sich trotz des erst frühen Vormittags irgendein Tennispartner dort aufhielt, mit dem sie ein paar Worte wechseln konnte. Astrid dachte dabei an Sabine Hornbach, die um zwei oder drei Jahre jüngere Pastorentochter, mit der sie bisher immer am liebsten gespielt hatte. Es war Astrid auch keineswegs unlieb, daß sich gerade durch diese gemeinsamen Spiele zwischen ihr und der oft etwas scheu und zurückhaltend wirkenden Sabine ein beinahe freundschaftliches Verhältnis entwickelt hatte. Jedenfalls konnte sie die Tochter des einzigen evangelischen Pastors in dieser fast durchweg katholischen Gegend sehr gut leiden und war gern mit ihr zusammen. Sie wußte aber auch, daß Sabine sehr an ihr hing und zu ihr das größte Vertrauen hatte.

Kurz vor dem Staatsexamen hatte Sabine ihr sogar den Mann vorgestellt, in den sie sich unsterblich verliebt hatte und dessen Frau sie eines Tages werden wollte. Es war ganz klar, daß Sabine nur zu gern auch ihr, Astrids, Urteil über diesen Peter von Stahmen gehört hätte.

Astrid erlebte jenen Tag – es war eigentlich nur eine knappe Stunde gewesen – jetzt wieder im Zeitraffertempo, als sie dem Tennis-Club zufuhr.

Peter von Stahmen, ein wirklich gutaussehender junger Mann von 26 Jahren, hatte sich verabschiedet und die beiden jungen Frauen allein zurückgelassen.

»Was sagst du zu ihm?« wollte Sabine wissen.

»Er sieht gut aus«, anerkannte Astrid ausweichend, denn auf eine ganz bestimmte Weise erschien ihr dieser junge Adelige, der, wie sie bei der Unterhaltung erfahren hatte, vom Geld seiner schwerreichen verwitweten Mutter in den Tag hineinlebte, zu glatt. Vor allem aber mochte sie keine reichen Nichtstuer, die nur irgendwelchen mehr oder minder nutzlosen Hobbys nachgingen statt einer ernsthaften und sinnvollen Arbeit. Sie hatte gewiß keine Aversion gegen Sabines Freund, aber er war andererseits auch keineswegs der Typ des Mannes, für den sie etwas empfinden könnte.

»Und er liebt mich«, erklärte Sabine leise.

»Du ihn aber auch«, meinte Astrid.

»Sehr sogar«, gestand Sabine. »Wir werden eines Tages heiraten.« Bei diesen letzten Worten legte sich ein Schatten über ihr Gesicht.

Astrid bemerkte das. »Probleme?« fragte sie interessiert.

Sabine zuckte mit den Schultern. »Mein Vater«, sagte sie, »er mag Peter nicht und will nicht, daß ich mit ihm…«

»Weshalb?« fiel Astrid der Tennisfreundin ins Wort. »Etwa weil du die Tochter eines evangelischen Pastors bist und er aus einer streng katholischen Familie stammt?«

»Ich weiß es nicht«, gab Sabine etwas kläglich zurück. »Verstehst du, daß ich glücklich, aber auch unglücklich bin?« fragte sie.

Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte Astrid alle diese erinnernden Gedanken beiseite. Sie sah drüben auf dem einen der beiden Plätze zwei junge Männer ihr Spiel machen. Von Sabine konnte sie aber nichts entdecken.

Nun ja, dachte sie, es ist ja auch erst früher Vormittag. Doch in diesem Augenblick stutzte sie, als sie zwei Personen aus dem Club kommen sah, nämlich Sabine und ihren Freund Peter von Stahmen. Weder sie noch er hatten Tennis-Dreß an.

Astrid steckte den Kopf aus dem Seitenfenster und rief Sabines Namen. Und sie wurde erhört.

Sabine winkte, sprach ein paar ha­stige Worte mit ihrem Freund, gab ihm einen schnellen flüchtigen Kuß auf die Wange und kam dann zu der im Wagen wartenden Astrid, während sich Peter von Stahmen in einer anderen Richtung entfernte.

»Hallo, Astrid, daß man dich wieder einmal hier sieht…« Sabine neigte sich zum Seitenfenster nieder. »Ich hatte so sehr gehofft, daß du kommen würdest.«

»Tut mir leid, daß ich in den vergangenen zwei Wochen nicht dazu gekommen bin«, erwiderte Astrid. »Aber du weißt ja – das Examen und alles was da drum und dran ist.«

»Ach ja, ich habe gehört, daß du deinen Doktor gemacht hast«, warf Sabine ein. »Herzlichen Glückwunsch.« Ihr schwaches Lächeln verschwand. Ihre Miene wurde ernst. »Ich… ich… bin ja so froh, daß ich dich jetzt getroffen habe, Astrid«, stieß sie hervor. »Ich muß mit dir sprechen.«

»Gern«, antwortete Astrid, »aber nicht jetzt, denn mein Vater erwartet mich schon in der Klinik.«

»Schade.« Sabine war sichtlich enttäuscht.

»Probleme, Sabine?« fragte Astrid.

Die Pastorentochter nickte. »Große sogar«, gestand sie. »Deshalb muß ich mit dir reden. Ich brauche deine Hilfe. Du hast gesagt, daß ich mich immer an dich wenden kann, wenn…«

»Ja, natürlich«, fiel Astrid der Tennisfreundin ins Wort. »Was bedrückt dich? Wenn ich kann, helfe ich dir.«

»Du bist die einzige, die mir helfen kann, Astrid.« Bittend sah Sabine die junge Kinderärztin an. »Können wir uns nicht irgendwohin setzen, damit wir in Ruhe reden können?« fragte sie.

»Sei nicht böse, Sabine, aber ich habe es jetzt wirklich eilig, denn ich möchte meinen Vater nicht warten lassen.« Prüfend sah Astrid die Pastorentochter an. »Ist es denn dringend?« fragte sie.

Sabine nickte nur. In ihren Augen begann es verräterisch feucht zu glänzen.

Astrid entging das nicht. Sie fühlte, daß sich Sabine in einem beinahe verzweifelten Zustand befand. Ihr tat die sympathische junge Frau richtig leid.

Ganz kurz überlegte sie. »Also hör zu, Sabine«, erklärte sie dann mit fe­ster Stimme. »Ich komme am Nachmittag wieder, und dann kannst du mir sagen, was für Kummer du hast. Einverstanden?«

Dankbar blickte Sabine die frischgebackene Ärztin an. »Ja«, flüsterte sie. »Um vier, wenn es dir recht ist. Ich werde drüben im See-Café auf dich warten.«

»In Ordnung.« Astrid startete den Wagen. »Bis heute nachmittag also«, rief sie der Tennisfreundin zu und gab Gas. Jetzt hatte sie es wirklich eilig. »Bin schon unterwegs, Paps«, murmelte sie. Wenig später fuhr sie aus Rottach heraus und weiter nach Auefelden.

*

Je näher Sabine dem Haus kam, in dem sie mit ihrem Vater wohnte, desto langsamer wurden ihre Schritte. Bangigkeit ergriff sie bei dem Gedanken, daß Astrid ihr nicht würde helfen können oder vielleicht nicht helfen wollen. An die Reaktion ihres gestrengen und auf Sitte und Moral pochenden Vaters mochte sie gar nicht denken. Sie hatte richtiggehend Angst vor der nächsten Zukunft. Diese Angst war seit kurzem zu einer richtigen Verzweiflung geworden. Noch nie in ihrem jungen Leben hatte sich Sabine so unglücklich gefühlt wie jetzt. Darüber half auch nicht hinweg, daß sie Peter liebte und von ihm wiedergeliebt wurde. In den Augen ihres Vaters war das sicher eine verbotene Liebe. Er wußte zwar noch nichts von dieser innigen Beziehung zwischen ihr und dem Sohn der schwerreichen Konsul- und Industriellenwitwe aus Tegernsee – das glaubte sie jedenfalls – aber der Tag, an dem sie sich ihrem Vater offenbaren mußte, rückte bedenklich näher. Vor diesem Tag aber fürchtete sie sich, denn seit kurzem wußte sie, daß sie ein Kind von Peter bekommen würde. Noch befand sie sich im Anfangsstadium ihrer Schwangerschaft. Sehr bald jedoch würde, nein, mußte Vater es bemerken.

Sabine konnte sich vorstellen, wie Vater reagieren würde, wenn er das erfuhr. Er würde sie verstoßen, denn in seinen anerzogenen und in seinem Denken verankerten Vorstellungen von Moral und Sitte war kein Platz für Liebe und Zeugung ohne Einhaltung der göttlichen Gesetze. Die aber besagten seiner Meinung und Auslegung nach, daß eine Liebe zwischen zwei Menschen und deren eventuelle Folgen als sündig anzusehen waren, wenn göttliche und auch weltliche Gesetze nicht die Grundlage dazu bildeten.

Mit schweren Gedanken betrat sie wenig später das Haus und stand bald darauf ihrem Vater gegenüber. Es kostete sie einige Mühe, sich unbefangen zu geben.

»Du kommst etwas spät«, empfing Pastor Hornbach, ein hochgewachsener Mann mit schon leicht ergrautem Haar, seine Tochter.

»Ich war noch im Tennis-Club, entschuldige bitte…«

Prüfend sah Pastor Hornbach seine Tochter an. »Setz dich bitte, ich muß mit dir reden!« Er deutete auf einen Sessel.

Unmerklich zuckte Sabine zusammen, kam aber der Aufforderung des Vaters nach. Ein ungutes Gefühl beschlich sie.

Pastor Hornbach ging einige Male im Zimmer hin und her und sagte kein Wort. Plötzlich aber blieb er dicht vor Sabine stehen. »Was hast du mit diesem Peter von Stahmen?« schoß er die Frage ab.

Sie kam für Sabine so unvorbereitet, daß sie den Vater verwirrt ansah, dann aber sofort wieder verlegen den Blick senkte.

»Also doch«, kam es über des Pastors Lippen. Er war ein guter Beobachter und Menschenkenner. Vor allem kannte er seine Tochter. Er wußte, daß sie nicht lügen konnte.

»Woher… weißt du, daß Peter…?« Sie stockte.

Pastor Hornbach zog sich einen Stuhl heran und setzte sich Sabine gegenüber. »Es ist mir schon vor einiger Zeit zu Ohren gekommen«, beantwortete er Sabines Frage. »Allerdings gebe ich zu, daß ich bisher geglaubt habe, es handle sich dabei nur um sogenannte Clubfreundschaft, um eine Art Kameradschaft, wie sie in Vereinen nun mal nicht unüblich ist«, fuhr er fort. »Inzwischen aber kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, daß mehr dahintersteckt. Ist es so, Mädchen?« fragte er. Mit einer fast zärtlich anmutenden Bewegung faßte er nach Sabines Hand und hielt diese fest.