Ein Girlie packt aus - Nina Gold - E-Book

Ein Girlie packt aus E-Book

Nina Gold

0,0

Beschreibung

Geheime Enthüllungen eines Teenagers: Frisch und fröhlich aus dem Alltag einer (fast schon) Vierzehnjährigen erzählt, deren Leben von beinahe stündlich wechselnden Höhen und Tiefen gekennzeichnet ist. Originell und irre witzig führt Lara knapp sechs Wochen lang Buch über das gigantische Chaos, das sie um sich verbreitet. Riesiges Lesevergnügen für alle Teenies – und eine erstklassige "Verjüngungskur" für alle älteren Lese-Semester...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 179

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nina Gold

Ein Girlie packt aus

Edel:eBooks

Copyright dieser Ausgabe © 2013 by Edel:eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg.

Copyright © 1997 by Nina Gold

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-172-9

edel.comfacebook.com/edel.ebooks

Inhalt

Montag, 12. Februar 1996

Mittwoch, 14. Februar 1996 (Valentinstag)

Freitag, 16. Februar

Samstag, 17. Februar

Sonntag, 18. Februar

Montag, 19. Februar

Donnerstag, 22. Februar

Freitag, 23. Februar

Samstag, 24. Februar

Sonntag, 25. Februar

Montag, 26. Februar

Dienstag, 27. Februar

Mittwoch, 28. Februar

Donnerstag, 29. Februar

Freitag, 1. März

Sonntag, 3. März

Dienstag, 5. März

Mittwoch 6. März

Donnerstag, 7. März

Freitag, 8. März

Samstag, 9. März

Sonntag, 10. März

Montag, 11. März

Dienstag, 12. März

Mittwoch, 13. März

Donnerstag, 14. März

Freitag, 15. März

Samstag, 16. März

Sonntag, 17. März

Montag, 18. März

Dienstag bis Freitag, 22. März

Samstag,23. März

Sonntag, 24. März

Montag, 25. März

Dienstag, 26. März

Mittwoch, 27. März

Donnerstag, 28. März

Freitag, 29. März

Samstag, 30. März

Sonntag, 31. März

Montag, 1. April

Mittwoch, 3. April

Donnerstag, 4. April

Karfreitag, 5. April

Samstag, 6. April

Sonntag, 7. April

Montag bis Mittwoch, 10. April

Donnerstag, 11. April

Freitag, 12. April

Samstag, 13. April

Sonntag, 14. April

Montag, 15. April

Dienstag, 16. April

Mittwoch, 17. April

Donnerstag, 18. April

Freitag, 19. April

Samstag, 20. April

Sonntag, 21. April

Montag, 12. Februar 1996

Heute ist der wahrscheinlich schrecklichste Tag meines Lebens. Ein Voll-Flop. Zwei Events haben alles auf den Kopf gestellt und mich ins Chaos, nein, ins dunkle, absolute Nichts gestürzt. NIRWANA. Ich verstehe jetzt, warum Kurt Cobain sich eine Schrotflinte in den Mund gesteckt und abgedrückt hat, auch wenn ich auf seine Musik nicht gerade abfahre. Aber: TEENS sind die größte Minderheit des gesamten Weltalls. Getreten, geschubst, lächerlich gemacht, verachtet. Null Chance.

Nicht, daß ich nicht an Katastrophen gewöhnt bin, seit mein Vater vor einem Jahr das Haus verlassen hat. Aber das, heute, ist wirklich total abgespacet, der Megahammer, mein Ende.

Zeit, ein Tagebuch zu beginnen. Damit hinterher keiner sagen kann, er hätte nichts bemerkt und Lara Kwiatkowski – das bin ich – sei ein ganz normales Mädchen gewesen. Schon gar nicht meine sogenannte Mutter, die unten in der Küche mit den Töpfen klappert, als wäre nix gewesen, und wahrscheinlich wieder zwölf Fischstäbchen verbrennt, die sie mir später als nahrhaftes Essen hinknallt. Kein Wunder, daß in meinem Gesicht mehr Pickel sprießen, als in ’ner Großgärtnerei Petersilie.

Bittere Tränen der Reue wird sie – also Mutti – noch vergießen, wenn sie eines Tages diese Aufzeichnungen einer mißverstandenen, vernachlässigten, ungeliebten Tochter liest. Wenn es zu spät ist, und ich in der Twilight Zone dem großen Daddy Longbart da oben mal klarmache, was so Sache ist in seinem Universum.

Wahrscheinlich werden Auszüge aus diesen Enthüllungen über eine grausame, alleinerziehende Mutter in die Broschüren des Kinderschutzbundes aufgenommen. So als warnendes Beispiel. Mutter muß dann natürlich vor Gericht, und ich glaub nicht, daß die Richter sie danach überhaupt noch an mein Grab ranlassen.

Ganz normales Mädchen! Ich. Pah! Die peilt nix, die Alte. Normal. ICH HABE MINUS VIER DIOPTRIEN UND MUSS AB SOFORT EINE BRILLE TRAGEN. EINE BRILLE! FÜR IMMER. ICH BIN INVALIDE. HALBBLIND, zur Häßlichkeit verdammt.

Das hab ich schriftlich. Vom Arzt.

Das kommt davon, daß ich mir früher immer selber Winnie der Pooh und Karlsson vom Dach vorlesen mußte und nicht wie normale Kinder einfach ein paar nette Videos ansehen durfte, wenn ich nicht einschlafen konnte.

MINUS VIER DIOPTRIEN. Dabei bin ich erst 13 Jahre, neun Monate und drei Tage alt. Außerdem noch Jungfrau, und wo andere einen Busen haben, kleben bei mir zwei Druckknöpfe. Und jetzt auch noch eine Brille. Auf der Nase natürlich. Wie küßt man mit Brille? Wie küßt man überhaupt?

Und meine sogenannte Mutti meint nur, stell dich nicht so an, andere tragen auch Brillen.

Jaaaa, meine Großmutter zum Beispiel, aber die ist immerhin schon 60 und hat ihre letzte Houseparty oder Tecchnosause nu bestimmt hinter sich. Oder Stefan Raab oder Wigald Boning brauchen Sehhilfen, aber das sind Komiker. Deshalb die Brillen.

Und Mutti? Mutti hat nix anderes zu tun, als mit mir zum Optiker zu rennen und sich kaputtzulachen, als der mir ein riesiges Ungetüm von Horngestell auf die Nase klemmt und allen Ernstes behauptet, »Jungens mögen Mädchen mit einem gewissen intellektuellen Touch«.

Dem hätt ich gern eine getoucht, und meiner Mutter auch. Die flirtete nämlich hemmungslos mit diesem Hilfsverkäufer, der brutal nach Bac-Deo oder irgend so ’nem antiseptischen Asidiesel roch, und meinte nur, »ich glaube, meine Larissa ist da eher konservativ, sie hätte gern das Aussehen und den IQ von Anne Nicole Smith oder Claudia Schiffer«.

Meine Mutter ist ja sowas von peinlich, voll palle malle. Und geizig. Sie hat gefärbte Kontaktlinsen glattweg abgelehnt. Zu teuer. Für mich, ihre einzige Tochter. Und das sagt eine, die einmal im Monat zum Friseur geht und alle naselang ihre Nase rümpft, wenn ich mich mal ein bißchen nach meinem Geschmack style. Dann heißt es immer, »Kind, zieh das aus, wir können gern bei Hettlage ein paar hübsche Sommersachen für dich kaufen«. Für sowas ist Geld da. Hettlage! Warum nicht gleich ein nettes Kommunionskleidchen für die sehbehinderte Halbidiotin?

Also, die Brille ist Fakt. Morgen muß ich sie abholen. Aber selbst, wenn ich das überleben würde und mich mit dem Dasein einer einsamen, unverstandenen alten Jungfrau abfinden könnte, bleibt immer noch die zweite Katastrophe.

Teenager aller Länder kommen nicht mehr ohne Tempotücher aus. Take That lösen sich auf. Kam eben, um 16 Uhr Ortszeit, im Radio und dann nochmal auf VIVA. Ich bin fassungslos, voll empty. Die Welt ist nicht mehr dieselbe. TT nie mehr live, nie mehr im Fernsehen, überhaupt nie mehr. Ich habe sofort eine Kerze unter meinen Bravo-Starschnitt gestellt. Blind vor Tränen bin ich dann zum Telefon getorkelt, um Thea anzurufen, sie ist die Vizepräsidentin unseres Take-That-Fanclubs. Völlig niedergeschmettert, am Ende meiner Kräfte habe ich ihre Nummer gewählt.

Am anderen Ende meldete sich eine Metzgerei Schlütgen.

Da konnte ich nur noch schluchzen. Es tut so weh, wenn man in der Stunde des größten Kummers sooo allein ist und eine vollkommen herzlose Mutter wie meine hat. Die meinte nämlich nur, »es ist wirklich höchste Zeit für die Brille, du erkennst ja nicht mal mehr die Zifferntasten vom Telefon, und warum riecht es aus deinem Zimmer so angebrannt?«.

Ich HASSE meine Mutter. Auch wenn sie auf verständnisvoll gemacht hat, nachdem ich meinen verkohlten Starschnitt im Klo runtergespült und eine halbe Flasche Cola auf die kokelnden Fenstervorhänge geschüttet hatte, um den Zimmerbrand zu vertuschen.

Vergleicht die die Trennung von Take That doch glatt mit ihrer Trauer über den Tod von John Lennon. Irgend so ein lenorweicher Sanges-Opi, der so blöd war, sich in die Schußlinie eines Irren zu stellen. Kann ich nur sagen, selbst schuld. Außerdem ist das fast ein halbes Jahrhundert oder so her. Ich bin die Jugend, ich bin die Hoffnung, ich bin am Ende.

In zwei Tagen schreiben wir einen Mathetest. Na, dann gute Nacht.

Mittwoch, 14. Februar 1996 (Valentinstag)

Sie liegt vor mir und starrt mich mit toten Gläsern an. MEINE BRILLE. Ich muß wirklich extrem kurzsichtig sein. Wahrscheinlich könnte ich auf der Straße mit meiner Behinderung echt Geld abgreifen. »Äh, Alter hasse ma fünf Mark für die Aktion Sorgenpunk«. Ich seh schlimmer aus als eine Kreuzung aus Butthead, Al Bundy und dieser abgegreisten Polittussi Rita Süssmuth. Na, jedenfalls muß ich beim Optiker wirklich vollkommen blind gewesen sein. Ich glaub einfach nicht, daß ich mir dieses knallrote Riesengestell Marke Ilona Christen sehenden Auges ausgesucht habe. Wenn ich sie aufsetze, leuchten meine Pickel doppelt grell. Ich kann gar nicht soviel Popcorn essen, wie ich kotzen möchte.

Die kann ich einfach nicht tragen. Auch wenn der Typ vom Berliner »Take-That-Sorgentelefon« heute nachmittag meinte, daß Mark und Gary sicher NICHTS gegen Mädchen mit Brille hätten. Meint er. Haha. Weiß er aber nicht. Wahrscheinlich war das auch nur so ein zauselbärtiger Sozialfuzzi, der sich mit den Pappecken seiner Gizeh-Blättchenpackung die Müslireste aus den Zähnen polkt. So hörte sich das am Telefon jedenfalls an.

Ich schluchze meinen tiefsten Kummer in den Hörer und am anderen Ende höre ich nur Geraschel und Gekruschel und sowas wie ein schmatzendes Lachen.

Thea glaubt auch nicht, daß der Typ den Durchblick hat. Sie ist sooo cool und hat den Kerl einfach alle Hits von Take That aufzählen lassen. Konnte der nicht. Eine Stunde hat sie den Gruftie gepiesackt, bis er wimmernd aufgelegt hat.

Bin gespannt, was Mutti zu unserer nächsten Telefonrechnung sagt. Ich tu einfach, als könnt ich sie nicht lesen, wenn sie mir den graurosa Streifen unter die Nase hält. Haha.

Das Lachen einer Verzweifelten.

Heute haben wir nämlich außerdem den Mathetest geschrieben. Besser gesagt, die anderen haben ihn geschrieben. Ich hab nur die weißen Kreidehieroglyphen auf der Tafel angestarrt. Herr Nussek, das ist unser Mathelehrer, genannt »das Ding aus dem Sumpf«, weil er immer so grün schimmernde Zähne hat, fragte mich, ob ich eine Brille bräuchte. Ich sofort die Augen sperrangelweit aufgerissen und wie ’ne Blöde losgepinnt. Der wird sich wundern. Aber vielleicht krieg ich ein paar Punkte für eigenständige Denkleistung, immerhin bin ich die Einzige in der Klasse, die sich neben den Ergebnissen auch die ganzen Aufgaben selbst ausgedacht hat. Wir werden sehen.

Na, jedenfalls die Brille konnte ich unmöglich aufsetzen. Nicht, solange Gabor noch mit mir in eine Klasse geht. Bevor es Take That in meinem Leben gab, war nämlich Gabor so ziemlich der coolste Junge, den ich kenne. Auch wenn daraus niemals Liebe wurde, soll ich ihm etwa mit BRILLE entgegentreten? NUR ÜBER MEINE LEICHE.

Wenn die dann eines Tages aufgebahrt ist, wird er neben Mutti – falls das Gericht sie zur Beerdigung läßt – weinend an meinem Sarg zusammenbrechen. Ich hoffe, die Beerdigungsexperten können Pickel wegschminken, jedenfalls sehen aufgebahrte, weibliche Leichen im Fernsehen meistens zum Anbeißen aus. Oder setzt man kurzsichtigen Toten etwa Brillen auf? Muß ich Thea unbedingt fragen. Sofort. Das wäre ja noch schöner, wenn man nicht mal als Leiche seine Ruhe vor Optikern, Müttern und anderen Monstern hätte.

PS: Valentinstag hatte leider keine positiven effects auf mein Dasein. Null Blumen, Pralinen, Love-letters. Nur ’ne Karte von Daddy. »Du bist der Hammer«. War’n vorgedrucktes Ding mit Grüßen von dem blöden Baumarkt, den er leitet. Hab ihm ’ne passende Antwort auf den Anrufbeantworter gebellt: »Du hast ’ne Schraube locker«. Gott schütze mich vor allen Heimwerkern.

Freitag, 16. Februar

Das Ding aus dem Sumpf, also Herr Nussek, hat mich heut nach der Stunde zu sich zitiert. Thea hat mich total mitleidig angestarrt, konnte aber nicht helfen. Ich also nach vorn zu seinem Schreibtisch, um mir die volle Ladung abzuholen. Mann, war der sauer, total überdreht. Also, ich glaube kaum, daß der Kultusminister weiß, welche Nervenwracks an bundesdeutschen Schulen auf harmlose Minderjährige losgelassen werden.

Nussek begann gleich mit Lautstärke zehn, aber der Regler war bei ihm noch nach oben hin offen, voll Hifidiletiti.

»Noch nie ist mir eine derartige Frechheit untergekommen« oder so ähnlich ging es los. Meine Güte, dabei kennt der noch nicht mal die Klasse 12 und Ratte, den Lehrerkiller mit der Kettensäge oder seine Gangsta-Kumpels Speiche und Kröte. Mal ganz ehrlich, liest der keine Zeitungen? Überall werden diese sogenannten Pädagogen vor bewaffneten Schülern gewarnt, vor Schmetterlingsmessern, Tschakos, Gaspistolen und abgesägten Schrotflinten. Und dieses Ding aus dem Sumpf kriegt die Krise, weil eine vollkommen unbewaffnete, emotional vernachlässigte Scheidungswaise, also ich, einen etwas fantasievoll geratenen Mathetest abgibt. Ist das etwa normal? Immerhin hab ich mich echt total bemüht.

Glaubt der mir nicht. Er fühlte sich irgendwie angemacht und faselte was von wegen er wäre doch nicht unser Clown. Nein, weiß Gott nicht, genausowenig wie Godzilla als Comedynummer durchgehen würde. Dachte ich, hab ich aber natürlich nicht gesagt. Jedenfalls beschallte der mich so etwa eine Viertelstunde und verlangte dann, meine Mutter zu sehen. Das wäre ja noch schöner. Ich also erzählt, meine Mutter sei schwer erkrankt, Depressionen in Folge von Alkoholmißbrauch, nachdem mein Vater sie vor einem Jahr verlassen hat. Ich meine, so ganz gelogen war das nicht. Erstens schnieft Mutti manchmal verdächtig, wenn sie im Wäschepuff ganz unten noch eine alte Socke von Papa findet, zweitens kippt sie abends bei unseren Fischstäbchen oder anderem Tiefkühlmüll locker zwei Gläser Weißwein und drittens ist Papa ja nun wirklich weg.

Der Nusse war dann auch ziemlich beeindruckt, hat seine Stirn in fürchterliche Dackelfalten gelegt – ich hätt mich fast naß gemacht, so pofig sah das aus – und dann gemeint, ich solle Bescheid sagen, wenn Mutti wieder auf dem Damm wäre.

Da kann der warten bis zur letzten Folge Lindenstraße. Aber das hab ich natürlich nicht gesagt, sondern nur irgendwie beklommen geguckt. Das scheint mit kurzsichtigen Augen ganz gut zu klappen.

Morgen ist Daddy-Tag, mal gucken, ob der das mit den Kontaktlinsen checkt.

Samstag, 17. Februar

Wieviel Chaos braucht ein Mensch? Wenn einer ein bißchen was abhaben will, von mir kann er reichlich kriegen. Ich glaub, wenn ich morgens aufstehe, wirft Daddy Longbart da oben irgendeine Software in den Diskettenschacht seines Universalcomputers, die das Prügelspiel »Mortal Combat against Lara« abspult. »Finish her«.

Ich stand noch im Badezimmer und wusch mir zum dritten Mal mein – dank Fischstäbchen – vollkommen entstelltes Gesicht mit Day Clear (von wegen it works, meine Pickel sind fleißiger), als Daddy unten dingdong machte. Mutti also zur Tür und fünf Minuten später fliegen die Fetzen. Ich nix wie runter, um zu retten, was zu retten ist. Und worüber streiten sich die Alten? Nein, nicht um mich, um ihre einzige kleine, zartbesaitete Tochter, sondern darum, wer gefälligst Bobo unseren Cockerspaniel in Pflege nehmen soll, »weil LARA dieses Stinktier mit dem Arsch nicht mehr anschaut«, O-Ton meine Mutter! Manchmal ist ihre Sprache voll shocking.

Und was sagt mein stolzer Erzeuger? Verteidigt er mich etwa, erklärt er meiner Mutter endlich mal in ruhigem, sachlichem Ton, wie schwer ICH zu leiden habe, weswegen ich mich unmöglich um einen schwererziehbaren Hund mit chronischem Durchfall und Mundgeruch kümmern kann? Nein.

»Du hast mich damals gezwungen, deinem Augenstern diesen Köter zu kaufen«, war alles, was er vorbrachte. Und schon war ich Zeuge eines weiteren kleinen Handgemenges im Haus Kwiatkowski.

Das übliche. Papi faselte was von sowieso keine Zeit und Überstunden, um Mutti zu finanzieren. Mutti keifte von ihrem Scheißjob an der Registrierkasse in der Buchhandlung, um überhaupt was Anständiges auf den Tisch zu stellen. (Haha, ich sage nur Fischstäbchen.) Und dann war wieder Papa dran, der alte Streitigkeiten aufkochte, »du hast dich nie um was gekümmert«, während Mutti wieder mit der Nummer anfing, sie habe ihre Ausbildung abgebrochen, um mich zu bekommen und nicht, um Papi den »Arsch nachzutragen«. Zwei alte Hasen, die ihre Kriegserlebnisse aufwärmten, während Bobo übrigens heftig bellend an der Tür kratzte und schließlich nicht mehr Herr seiner Gedärme war. Junge, Junge, das gab dem Krach dann noch mal richtig Dampf.

Na, jedenfalls von einem gemütlichen Daddytag konnte danach nicht mehr die Rede sein. Mein Alter war vielleicht sowas von mürrisch, intergalaktisch mürrisch. Und was war der Dank dafür, daß ich mich aus allem raus- und während des Krachs nur am Treppengeländer festgehalten habe? Mister Dad macht mir Vorhaltungen, ich solle mich um Bobo kümmern, Mutti stünde ja am Rande eines Nervenzusammenbruchs wegen meiner Faulheit.

Ich schon wieder. Woran bitte bin ich denn noch Schuld? Mein zweiter Bic Mäc schmeckte unter diesen Umständen natürlich wie Leukoplast mit Ketchup. Beinahe hätte ich ihn halb liegengelassen, aber nach einer Woche Tiefkühlfraß freut man sich auf eine gesunde, nahrhafte Mahlzeit. Trotzdem, eine schöne, satte Magersucht, das wäre die richtige Strafe für meine sogenannten Eltern.

Papi biß sich beim Thema Faulheit fest und fing glatt ein Verhör in Sachen Schule an. Meine Güte, als ich die beiden im Doppelpack hatte, wars wirklich einfacher, da haben sie mich stereo niedergemacht, jetzt krieg ich die Vorträge mono und zwar von jedem einzeln und in Extraportion. Als Papa endlich fertig war und wir drei Runden durch den Kölner Zoo getrabt waren – für wie alt hält der mich eigentlich? –, sprach er mich endlich auf meine Augen an.

»Ist dir was reingeflogen, du kneifst sie ständig zusammen.« Ein echter Schnellmerker, ich hatte schon Gesichtsmuskelkater. Dann klärte ich Papi über meinen dramatischen Gesundheitszustand auf, und er wirkte tatsächlich leicht sauer. »Ja hat deine Mutter denn keine Augen im Kopf? Du brauchst eine Brille.«

Das war nicht gerade der beste Einstieg in die Verhandlungen, ich probierte es trotzdem und meinte, der Arzt meinte, Kontaktlinsen wären in meinem schwierigen Fall bei weitem heilsamer.

Papi hat versprochen, sich die Sache durch den Kopf gehen zu lassen, er wäre aber knapp bei Kasse, weil er jetzt eben Miete und die Rate für unser Reihenhaus abzahlen müsse. Okay, aber muß ich Mitleid haben mit einem Gruftie, der in flammend neuen Joop-Jeans – würg – auf jugendlich macht, während seine einzige Tochter vielleicht nie mehr richtig sehen wird? Zum Schluß gabs die neue Bravo, ein Sixpack Cola-Light und eine Tüte Minisnickers. Echt großzügig, fast wie beim Kindergeburtstag.

Sonntag, 18. Februar

9 Uhr

Ich werde einen Schadensersatzprozeß gegen die Hersteller von Day Clear anstrengen. Heute morgen, Mutti schlief noch, und Bobo mußte wieder vergeblich um seinen Spaziergang winseln, habe ich vor dem Badezimmerspiegel nachgezählt. Ich habe zur Zeit neun Pickel, exakt einen mehr als gestern. Da kann doch was nicht stimmen. Werde von jetzt an Buch führen. Täglich. Wenn sich die Pickel ausdehnen, ist Day Clear reif. Teenager aus aller Welt werden mich unterstützen.

10 Uhr 30

Mutti schläft immer noch. Statt Frühstück sechs Snickers und eine Cola Light. Immerhin besser als Muttis Müsli – würg. Bobo hat sich beruhigt, ich schau lieber nicht nach, warum.

Habe inzwischen einen ausführlichen Brief an die Chefredaktion der Bravo geschrieben, wegen der Sache mit Day Clear.

Sehr geehrte Redaktion,

ich möchte Sie hiermit auf einen Umstand aufmerksam machen, in dem sich eine Reihe Ihrer Leser befindet. Es handelt sich um das Problem Akne. Wie viele meiner Altersgenossen bin ich Opfer einer hemmungslosen Werbekampagne, die mit dem Versprechen »it works« für Millionen von Mark das Antipickelmittel Day Clear anbietet. It works not, muß ich nun leider sagen. Hiermit möchte ich eine Kampagne gegen Day Clear ins Leben rufen. Sind Ihnen Geheiminformationen über die Firma bekannt? Könnte es sein, daß die Firma ihren Produkten einen Pickelwachsstoff beimischt, der Unreinheiten erst sprießen läßt? Kann es sein, daß die Firma Millionen von jungen Menschen in aller Welt abhängig macht?

Gerne stelle ich Ihnen meine diesbezüglichen Selbststudien zur Verfügung. Tag für Tag werde ich den genauen Stand meiner Pickel, ihre Verbreitung und ihr Auftauchen notieren. Es wäre schön, wenn Sie auch andere Teenager für meine Idee begeistern könnten.

Mit freundlichem Gruß Lara Kwiatkowski

PS: Könnten Sie mir wohl den Take-That-Starschnitt aus Heft 2/95 nochmal schicken, meiner ist einer Brandkatastrophe zum Opfer gefallen.

PPS: Da ich eine minderbemittelte Scheidungswaise bin, fände ich es nett, wenn Sie mich einmal zu einem Treffen mit der Kelly-Family einladen könnten.

PPPS: Wie sehen die Teilnahmebedingungen für den Modelwettbewerb »Gesicht ’96« aus?

Bin gespannt auf die Antwort. Vielleicht laden sie mich zu einer Talkrunde ein, oder ich bekomme eine wöchentliche Kolumne. Thomas Gottschalk soll auch mal bei der Bravo angefangen haben. Muß nur meinen Stiel nochwas abpfeilen, was schwer ist bei solchen Eltern. Unten kreischt Mutti. Ich nehme an, sie hat Bobos Morgengabe entdeckt.

21 Uhr 30

Letzte Eintragung ins Logbuch. Ich wünschte, ich wäre tot.

Erst wurde ich von meiner Mutter – trotz meines entstellten Gesichts – gezwungen (!), mit Bobo Gassi zu gehen. Hat man in diesem Haus nie einen freien Tag? DANN entdeckte sie, nachdem sie Bobos Haufen endlich entfernt hatte, ihren kompletten Putzfimmel, und ich durfte den Keller fegen, den Rasen mähen und mein Zimmer staubwischen. Dabei ist Kinderarbeit in Deutschland gesetzlich verboten, sagt unser Sozio-Lehrer. Wenn der wüßte, wie es im Hause Kwiatkowski zugeht, würde er die Jugendfürsorge informieren. Aber Mutti? Mutti meint nur, Bewegung täte mir gut, sonst würden die Snickers bald ansetzen. Pah, die ist bloß sauer, wenn Papi mir mal was schenkt.

Aber das war nicht alles. Der Finish kam um sechs Uhr abends. Mit einem Dingdong von der Türklingel. Mutti macht auf – keifend wie immer – wer steht draußen? NUSSEK.

Ich dacht, ich werd nicht mehr. Hat der ’nen kompletten Knall? Was mischt dieser Kaktuskopf sich in meine Privatsphäre. Noch dazu sonntags. Hätte Mutti ihm auch ruhig sagen können. Aber wie sie eben so ist, bittet die den glatt rein und schickt mich raus.

Leider sind die Türen in unserem Haus richtig massiv – Papa bekommt als Baumarktleiter ordentlich Rabatt –, und ich konnte aber auch gar nichts verstehen, außer einigen Kieksern und Erschreckensrufen meiner Mutti. Und dann kläffte der blöde Hund dazwischen. Draußen, vor der Tür, also bei mir. Deshalb hab ich auch Mutti nicht auf die Tür zugehen hören, bis es zu spät war. »LARA« brüllte sie mir mitten ins Gesicht, in der Annahme, sie müsse mich aus meinem Zimmer zitieren. Ich hab so harmlos wie möglich geguckt und Bobo gestreichelt.

»Du scheinst ja schon alles gehört zu haben. Wir sprechen uns noch, Fräulein«, war der einzige Kommentar von meiner Erziehungsberechtigten, und »Herr Nussek und ich gehen jetzt noch zusammen ein Glas Wein trinken, wir haben uns viel zu erzählen«.

WEIN TRINKEN. Mit meiner Mutter. Und das nach allem, was ich Nussek über sie erzählt habe. Der Mann hat das Gehirn eines BSE-Whoppers. Er geht mit einer Alkoholikerin Wein trinken, und die Scheidungswaise bleibt allein zu Hause.

Ich geh mal lieber ins Bett, bevor Muttern wieder eintrudelt und ihre Drohung, wir sprechen uns noch, wahr macht.