Ein Glückskeks zum Verlieben - Rita Roth - E-Book
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Ein Glückskeks zum Verlieben E-Book

Rita Roth

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Beschreibung

Manchmal musst du für dein Glück etwas riskieren, damit es den Weg zu dir findet. Nachdem Paulina vom Glück verlassen wurde, beschließt sie, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. In der Hoffnung, wieder auf die Sonnenseite des Lebens zu gelangen, wenn sie anderen eine Freude bereitet, bastelt sie für eine Mottoparty Glückskekse. Jeder der anonym Beschenkten hat einen Wunsch frei, den Paulina erfüllt. Während ihrer Mission als selbsternannte Glücksfee lernt sie nicht nur die unterschiedlichsten Menschen und deren Wünsche kennen, sondern schöpft auch selbst wieder Hoffnung für ihr eigenes Happy End. Denn immer wieder läuft sie dem unverschämt gutaussehenden Pascal über den Weg, der ihren Puls schneller schlagen lässt, und plötzlich hat Paulina nicht nur Glückschaos im Herzen, sondern auch Schmetterlinge im Bauch.  Doch dann wird sie mit einer Entscheidung Pascals konfrontiert, die ihre alten Ängste und Zweifel wieder aufleben lassen ...   Eine humorvolle Geschichte über die Liebe und das Glück – und wie man beides wiederfinden kann.

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Ein Glückskeks zum Verlieben

Rita Roth

Für Ada.

Prolog

Zwei Monate früher

Die Mottoparty – Glück! –, auf der ich nur meiner Freundin Ludmilla zuliebe gewesen bin, war genau so verlaufen, wie sie es mir prophezeit hatte. Bevor der Song Close your Eyes, make a wish abgespielt wurde, hatte der DJ das Partyvölkchen aufgefordert, sich aus einer Silberamphore auf einem Stehtisch einen Glückskeks zu angeln. Dann sollten die Gäste ihre Augen schließen und intensiv an einen Herzenswunsch denken.

Ich stand hinter einer üppigen Grünpflanze und sah zu, wie ein Großteil der Gäste der Aufforderung nachkam. Auch ich schloss für einen Moment die Augen, nippte an meinem Cocktail und dachte an meinen Herzenswunsch.

Nein, es war nicht einer, es waren drei Wünsche, die mir in den Sinn kamen und erfüllt werden wollten. Und sollten. Man darf doch auch mehrere Wünsche haben! Oder?

Die Sache mit den Glückskeksen war Punkt eins auf meiner Liste. Der ist somit abgehakt. Mein Abenteuer beginnt jetzt, in diesem Augenblick. Schließlich waren die kleinen Glücksbringer mein Beitrag zu dieser dämlichen Mottoparty. Es war meine Idee, und ich, Paulina Kleemann, habe sie in einer einsamen Nacht gebastelt und mit einer besonderen Botschaft versehen. Habe ich schon erwähnt, dass ich Mottopartys hasse?

Lu hat während des Songs neben mir gestanden und mich so verschwörerisch angegrinst, als hätten wir eine Bank ausgeraubt und stünden als stille Beobachter des Polizeieinsatzes mitten in der Menge. Sie war es, die die Glückskekse heimlich auf dem Stehtisch platziert hat. Niemand weiß, von wem sie sind. Außer Lu natürlich.

Wir haben auf das Glück, auf unsere Herzenswünsche und das Leben angestoßen, und als der Song verklungen und mein Glas geleert war, gab es für mich keinen Grund mehr, noch länger zu bleiben. Ich habe meine Mission erfüllt. Was also, bitte schön, soll ich noch auf dieser hippen Party, auf der alle glücklich zu sein scheinen?

Mich hat das Glück verlassen. Ich bin sauer auf das Glück, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass es wieder zu mir zurückkehrt. Nun bin ich sehr gespannt, was aus dem Projekt wird und wann ich den ersten Anruf bekomme.

1

Auf meinem Esstisch spielt das Wunschkonzert des Lebens eine ziemlich schräge Glücksmelodie. Eng beschriebene Notizzettel liegen verstreut auf zwei Quadratmetern massiver Eiche herum. Meine Freundin Lu will gleich vorbeikommen, da muss ich wohl noch schnell ein bisschen Ordnung in das Chaos bringen. Doch das nervige Brummen meines Handys hält mich davon ab.

›Anonymer Anrufer‹, steht auf dem Display. Es würde mich nicht wundern, wenn das wieder jemand ist, der meine Telefonnummer in einem Glückskeks gefunden hat. Ich atme tief durch, und dann zwitschere ich fröhlich: »Paulina hier, wer da?«

»Hallo Glückskeks!«, begrüßt mich ein Mann mit einer wohlklingenden, tiefen Stimme. Dann kommt erst mal nichts außer Schweigen. Gott sei Dank kein schweres Atmen oder gar Stöhnen. Sein Schweigen wird nur von Räusperern unterbrochen. Als ich ihn frage, ob er einen Frosch im Hals hat, fängt er an zu hüsteln. Auch nicht besser. Nach seiner Schweigeminute findet er jedoch die Sprache wieder und kommt nun ohne Umschweife zur Sache. Der Unbekannte fragt mich aus, was es mit seinem Glückskeks, auf dem meine Nummer und der Monat März vermerkt sind, denn wohl auf sich hat. Geduldig erkläre ich ihm, was dahintersteckt, aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass dieser Mensch einen Fragebogen vor sich liegen hat, den er nun Punkt für Punkt abarbeitet.

Mit einer Ruhe und Besonnenheit, die ich normalerweise nur bei Angstpatienten in unserer Praxis an den Tag lege, beantworte ich all seine Fragen. Die Stimme des Unbekannten ist verdammt angenehm, fast schon sexy, sie geht mir jedenfalls unter die Haut, sodass ich es nicht fertigbringe, den Mann abzuwimmeln. Vermutlich habe ich schon Fusseln am Mund von meinen Beteuerungen, dass ich ihm nichts verkaufen und ihn auch nicht an eine Sexhotline weiterleiten will. So ähnlich stelle ich mir Gespräche bei der Telefonseelsorge vor, als ich ihm abschließend erkläre, dass das Leben im Allgemeinen kein Wunschkonzert ist, es bei ihm aber eine Ausnahme macht.

Nach seinem Wunsch befragt, druckst er herum, erst mal fällt ihm nichts ein. Er meint, er hat alles und ist wunschlos glücklich. Ha, wer’s glaubt! Aber so schnell lasse ich nicht locker, jetzt will ich’s erst recht wissen und komme immer wieder darauf zurück, worüber er sich zumindest ein ganz kleines bisschen freuen könnte. Nach längerem Zögern fällt ihm dann doch noch etwas ein. Ich hab’s doch gewusst! Zufrieden vor mich hingrinsend mache ich eine Notiz, dass Mister März einen Baum pflanzen möchte.

»Wenn’s mehr nicht ist …« Ich lache ins Telefon. »Das sollte nicht so schwierig sein. Also, wenn es nicht gerade eine alte Eiche ist, die umgepflanzt werden soll.«

»Keine Angst, es ist ein junger Baum, ein Ginko«, sagt er nun deutlich amüsiert.

»Na also. Geht doch«, rutscht es mir raus. Ich lasse mir die Adresse geben, und wir verabreden uns für den ersten Mittwoch im März. Mister März hat angebissen, er ist neugierig geworden und will meinen vollen Namen wissen, und auch, ob ich wirklich zupacken kann.

»Paulina Kleemann?«, wiederholt er, als hätte er mich nicht verstanden. Ich buchstabiere meinen Namen und sage meinen üblichen Spruch dazu auf. »Kleemann wie das Kleeblatt.«

Mit einem tiefen Seufzer lege ich Mister März anschließend zu den anderen Notizzetteln.

Was habe ich mir bloß bei der Aktion Glückskeks gedacht? Wieso sind die Menschen nicht hellauf begeistert, wenn man ihnen etwas Gutes tun will? Als mir die Idee in den Sinn kam, habe ich mir das ganz anders vorgestellt! Irgendwie einfacher, mit mehr Begeisterung und Freude. Was ist denn daran nicht zu verstehen? Jeder hat doch Wünsche und Träume. Wieso tun einige sich so schwer damit, sie auszusprechen?

An der Glückskeksbotschaft kann es nicht liegen. Die ist unmissverständlich. Alles Wesentliche steht drin, sogar der Monat, in dem ich die Wunschfee spielen will. Idiotensicher! Selbst Lu hat es sofort kapiert und mir spontan ihre Unterstützung angeboten.

Für alle Fälle vergewissere ich mich noch einmal, was ich auf die Zettel in den Keksen geschrieben habe, auch wenn ich den Text im Schlaf runterleiern könnte.

Glück gehabt!

Du hast einen Wunsch frei! Vielleicht ist es auch ein Stück vom Glück? Ruf mich an und sag mir, was du dir wünschst, wobei ich dir helfen oder womit ich dir eine Freude machen kann.

Aber …

Es geht nur mittwochs ab 14:00 Uhr – der Monat steht auf der Rückseite.

Ich kann nicht zaubern!

Es darf nix kosten (für mich!)

Kein Sex!!!

Nichts Kriminelles!

Freue mich von dir zu hören, dein Glückskeks.

Ruf mich an!!!

Daneben meine Handynummer.

Mittlerweile haben wir Anfang Februar, und ich bin zufrieden, dass das neue Jahr nicht eintönig vor sich hindümpelt. Meine freien Nachmittage bekommen wieder einen Sinn! Denn ich werde viel Gutes tun. Genauer gesagt, einmal im Monat.

Der Anruf von Mister März hat mich ganz hibbelig gemacht und lenkt mich vom weiteren Sortieren der Zettel ab. Das kann aber auch warten, bis Lu bei mir ist.

»Puh!«, stöhne ich. In meinem Kopf herrscht das gleiche Durcheinander wie auf dem Tisch. Jetzt brauche ich erst mal eine hochprozentige heiße Schokolade. Natürlich mit Sahne. Schon allein der Duft entspannt mich und hebt meine Stimmung.

Mit einem dampfenden Becher Kakao vor mir sinniere ich über die Glücksidee nach, die mir in einer Vollmondnacht gekommen ist. Ich träumte von einem Baum voller Glückskekse. Einer davon fiel herab und mir direkt in die Hände. Auf dem Zettel stand der Spruch ›Geteiltes Glück ist doppeltes Glück‹.

Das war’s! Damit war mein Entschluss besiegelt. Ich will das Glück anlocken, indem ich anderen eine Freude mache.

Zugegeben, es ist eine verrückte Idee, die von meiner Freundin Ada hätte sein können. Leider Gottes hat sie mit neunundzwanzig den Kampf gegen die Leukämie verloren. Damit fing es bei mir an, dass ich den Glauben an das Glück, das mich bislang regelrecht gestalkt hat, verloren habe. Von Zeit zu Zeit kommt Ada mich im Traum besuchen, und dann jubelt sie mir Sachen unter, die mich nicht so schnell wieder loslassen.

Von ihr hab ich auch den schwarzen Bowler-Hut geerbt, ohne den ich so gut wie nie aus dem Haus gehe. Auf der Party, bei der Lu und ich die Glückskekse unters Volk gebracht haben, trug ich ihn auch. Schnief. Meine Augen füllen sich mit Tränen, wie so oft, wenn ich an Ada denke. Sie fehlt mir so sehr. Aber ich will nicht jammern, denn das hat sie uns verboten. Traurig sein ja, aber nicht jammern. Meine wunderbare Freundin, mit der ich jede Menge Glücksmomente teilen konnte.

Als die Idee in meinem Kopf herumspukte, durchforstete ich das Internet nach Backrezepten für Glückskekse. Die Herstellung ist im Grunde nicht kompliziert, man braucht nur wenige Zutaten fürs Glück. Allerdings muss man zügig weitermachen, wenn die Kekse gebacken sind und in Form gebracht werden sollen. Das war mir zu viel Aufwand, ich suchte nach einer Alternative und fand Bastelanleitungen für schicke Glückskekse aus Papier.

Die kleinen bunten Dinger waren schnell gefaltet, und es hat mir einen Riesenspaß gemacht, die Zettel mit meiner Glücksbotschaft hineinzustecken. Einen Joker habe ich zusätzlich fabriziert, die Nummer dreizehn. Darauf ist kein Monat vorgegeben, der Empfänger darf selbst entscheiden, wann er bereit ist für sein Glück. Glückskekse mit den üblichen Sinnsprüchen habe ich natürlich ebenfalls daruntergemischt. Schließlich muss es auch Nieten geben.

Als sie fertig waren, habe ich sie Lu gezeigt und ihr das Versprechen abgenommen, niemandem zu erzählen, von wem sie sind. Dafür durfte Lu die Glücksbomben auf der Party heimlich unter die Gäste bringen.

»Ihh!«

Da habe ich wohl ein wenig zu lange meinen Gedanken nachgehangen. Auf meinem Kakao kräuselt sich eine eklige Schwabbelhaut. Angewidert löffle ich den Schmand ab, da klingelt es an der Tür. Dreimal kurz – das ist Lu.

***

Ein Schwall kalter Luft strömt mit Ludmilla herein. Sie ist etwas aus der Puste, als sie bei mir in der vierten Etage vor der Tür steht.

»Herein in die gute Stube! Du bist ja ganz verfroren«, sage ich. Resolut ziehe ich sie ins Warme, damit sie bloß nicht auf die Idee kommt, sich übers Geländer zu beugen und einen Flirt mit meinem Nachbarn von unten anzufangen. Das leise Knarzen seiner Tür ist verdächtig und löst bei mir ständig Alarmbereitschaft aus. Aus tiefster Seele wünsche ich mir, dass Dominik den heutigen Abend nicht zuhause verbringt. Denn wenn Lu wieder Ohrenzeugin seiner lustvollen Spielchen wird, ist kein vernünftiges Gespräch mehr möglich. Das Haus ist verdammt hellhörig und Ludmillas Interesse an dem Kerl beängstigend.

Das ist übrigens der einzige Nachteil an meiner Wohnung, abgesehen von der Miete. Meine Freunde beneiden mich um den Blick ins Grüne und auf die Kirchtürme der Stadt. Meinen Nachbarn Dominik und sein ausschweifendes Liebesleben nehme ich dafür mehr oder weniger gern in Kauf. Er ist ein netter Kerl, der zugegebenermaßen verdammt gut aussieht.

»Hier riecht es nach Schokolade.« Lu lacht. »Du brauchst wohl Nervennahrung? Oder willst du deine Glückshormone ankurbeln?«, lästert sie. »Da gibt es doch viel bessere Methoden, die vor allem nicht auf die Hüften gehen.«

Ich zeige auf das Chaos auf dem Tisch. »Sieh dir das mal an, Lu! Das sagt doch wohl alles. Willst du auch eine heiße Schokolade?«

»Wenn sie mit Schuss ist, gern!«

Sie lässt sich auf einen Stuhl plumpsen und streicht mit ihren perfekt manikürten Händen über die Tischplatte. »Wow! Dein neuer Tisch ist aber mega schön. Auf den Fotos kommt das gar nicht so raus. Massive Eiche?«, fragt sie. Über die vielen Schnipselchen darauf verliert sie kein Wort. »Das ist also dein neues Schätzchen?«

Die abgerundeten Ecken haben es ihr besonders angetan. Sie murmelt etwas von extrem kinderfreundlich, das mich aufhorchen lässt. Und dann sprudeln noch weitere Ideen aus ihr raus, was man auf dem Tisch alles machen kann. Tanzen, meint sie, eher nicht, sie hat da so ihre eigenen Fantasien. »Hast du denn nichts Anständiges zu trinken im Haus?«

»Alkohol gibt’s nicht«, sage ich bestimmt. »Jedenfalls nicht eher, bis wir die Glückskandidaten abgearbeitet haben. Du glaubst ja nicht, mit was für Wünschen die ankommen«, erinnere ich meine Freundin an den Grund unseres Treffens. Lu zieht eine Grimasse, sie presst ihre vollen, dunkelrot geschminkten Lippen fest aufeinander und legt die Stirn in Dackelfalten. Ob sie das heimlich vorm Spiegel geübt hat? Es sieht zum Piepen aus, und ich versuche es nun auch. Ausgerechnet in dem Moment, als ich so richtig bescheuert dreinschaue, macht sie ein Foto und droht, es ins Internet zu stellen, wenn ich ihr nichts Anständiges zu trinken gebe.

»Er ist wirklich ein Traum, nicht wahr?« Ich klopfe auf die massive Tischplatte.

Lu kennt die wahre Geschichte, die hinter dem Kauf steckt, deshalb will ich heute mit ihr den Tisch einweihen.

»Der bleibt dir wenigstens immer treu, im Gegensatz zu Darius. Alles richtig gemacht.« Sie streichelt über die soften Kanten. »Eigentlich war eure Trennung doch längst überfällig. Du hast ja wieder mal Schwein gehabt, dass du den Flug noch rechtzeitig stornieren und das Geld in dies Schätzchen hier investieren konntest. Ich sag’s ja immer, du hast das Glück gepachtet.«

»Ha, ha!«

Geräuschvoll schlürfe ich den letzten Tropfen Schokolade aus dem Becher und wische mir die Schokospuren aus den Mundwinkeln. Auch ohne in den Spiegel zu schauen, weiß ich, dass sie da sind.

»Du hast gut reden. Wieso glaubt ihr alle, ich hätte mehr Glück als Verstand? Du weißt genau, wie sehr ich mich darauf gefreut habe, die Weihnachtstage mit Darius in New York zu erleben. Wir hatten es so lange im Voraus geplant. Ich habe es mir wahnsinnig romantisch vorgestellt.«

Wieder läuft der Film vom weihnachtlichen New York vor meinem inneren Auge ab. Mit Darius Hand in Hand durch die City bummeln, shoppen, und abends bei Kerzenschein seine Frage, ob ich ihn heiraten will. Ich hätte Ja gesagt! Für einen kleinen Moment verirre ich mich in kitschige Traumwelten. Lu holt mich zurück, indem sie den gesamten Inhalt ihrer Handtasche auf die einzig freie Stelle des Tisches kippt.

»Hab ich dir mitgebracht. Hier, schau mal.«

Zum Vorschein kommen jede Menge Pröbchen aus der Parfümerie, in der sie arbeitet. Düfte, Lippenstifte, Rouge meiner Lieblingsmarke, Cremes gegen Fältchen und Augenringe und welche mit aufpolsternder Wirkung.

»Du bist ja jetzt wieder auf dem Markt, da muss man schon ein bisschen an sich arbeiten.«

»Meinst du, ich hab das nötig?«, will ich wissen. »Wie gut, dass ich meinen Job noch nicht gekündigt hatte«, komme ich noch einmal auf die Trennung zurück. »Ada hatte so verdammt recht, als sie mir damals schon sagte, dass Darius und ich nicht füreinander bestimmt sind. Aber ich wollte es ja nicht hören.«

Kurz vor ihrem Tod hatte Ada mir eindringlich ans Herz gelegt, meine Beziehung zu Darius zu klären.

Lu nickt. Auch ihr hat Ada einen letzten Rat gegeben, über den Lu aber nicht reden will. »Sei froh, dass es so gekommen ist. Glaubst du, Ada hat auch mit Darius gesprochen? Zugetraut hätte ich es ihr.«

Wir schweigen und denken an unsere gemeinsame Freundin, dann wechseln wir das Thema.

»Wollten wir nicht den Tisch einweihen?«, erinnert Lu. »Aber Pauli, bitte nicht mit Kakao!«

»Nicht mit Kakao?«, albere ich, wohl wissend, dass ich sie damit auf die Palme bringe.

Echtes Entsetzen flammt in ihrem Blick auf. Dabei sollte sie mich doch besser kennen! Bevor sie auf dem Absatz kehrtmacht, hole ich ihren Lieblingsprosecco, frische Antipasti und Käse aus dem Kühlschrank.

»Worauf warten wir noch?«, fragt sie ungeduldig. »Auf deinen netten Nachbarn? Hast du das Schnuckelchen als Dessert eingeladen?«

»Ludmilla!« Ich verdrehe die Augen.

»Könnte doch sein. Dann eben nicht. Dann lass uns endlich beginnen!«

»Mit wem denn? In welcher Reihenfolge?« Unschlüssig spiele ich mit den Notizen.

»Oh, Paulina! Du bist doch sonst nicht so umständlich. Hier, nimm den!« Lu greift wahllos einen Zettel heraus. »Also, wer ist dran?«

»August!«

»Ist August männlich oder weiblich?«

Schmunzelnd erzähle ich von der Anruferin. »Sie heißt Susanne und wünscht sich, mit mir in den Sternenhimmel zu schauen.«

Ludmillas Augenbraue schnellt in die Höhe. Sie will Näheres von mir erfahren.

»Susanne ist verwitwet und kommt ganz gut allein klar, sagt sie. Aber manchmal, da gibt es so Momente, in denen ihr Nähe oder eine Person zum Reden fehlt, oder auch um sich gemeinsam über etwas zu freuen. Sie hat lange über einen Wunsch nachgedacht, den ich ihr erfüllen könnte. Es scheint ein echter Herzenswunsch von ihr zu sein, in einer Sommernacht zu zweit in den Himmel zu schauen. Vielleicht noch ein Glas Wein dazu, mehr nicht. Sollte ich da etwa Nein sagen?«

»Nö. Da bist du auch nicht der Typ für.« Lu lacht. »Und wo soll die Sternstunde stattfinden?«

»In ihrem Garten hinterm Haus. Kann aber auch ein anderer Ort sein, wenn mir das nicht recht ist.«

»Hattest du nicht gesagt, dass du nur mittwochnachmittags die Wunschfee spielen willst?«

»Ja, hatte ich. In der Theorie hatte ich das auch so vor. Aber manchmal muss man eine Ausnahme machen. Wenn ich sie damit beglücken kann, dann geht mir die Nacht eben flöten. In unserem Alter steckt man das ja noch ganz gut weg.«

»Meinst du?« Lu kichert, ihre Augen blitzen, und ich ahne, was ich mir gleich anhören muss. »Ich kriege das sicher noch locker hin, schließlich bin ich noch keine dreißig.«

So einen Spruch hab ich erwartet.

»Zicke!«

Ich strecke ihr die Zunge raus und mache sie darauf aufmerksam, dass sie im kommenden Jahr auch ihren runden Geburtstag feiert. Den geringen Altersunterschied sieht uns sowieso keiner an.

Die Augustdame bleibt noch ein Weilchen unser Gesprächsthema. Wir philosophieren über Tod und Trauer und wälzen die Frage hin und her, ob es an der neuen Situation auch etwas Gutes gibt.

»Das Schicksal ist Susanne wohlgesonnen, sonst hätte sie nicht den August gezogen. Das ist doch der perfekte Monat für Sternschnuppen. Da kann sie unendlich viele Wünsche ins Universum schicken«, sage ich.

»Bis dahin hast du auch schon Routine als Wunscherfüllerin. Bin echt gespannt, was du bei deinem Experiment alles erlebst. Ob wohl schräge Vögel darunter sind?«

»Die sind bei mir in bester Gesellschaft.«

Am liebsten wäre es mir, wenn es sofort losginge und ich dem ersten Kandidaten einen Wunsch erfüllen könnte.

»Für Februar hat sich immer noch niemand gemeldet. Der wäre ja die Nummer eins.«

»Und wenn der Februar seinen Keks nicht behalten, sondern weggeworfen hat? Oder so gut weggesteckt, dass er ihn nicht wiederfindet? Oder verloren?« Lu fallen etliche Gründe ein, weshalb sich jemand nicht melden könnte.

»Das ist dann persönliches Pech! Den März habe ich jedenfalls schon fest im Terminkalender. Eben hat er angerufen, kurz bevor du geklingelt hast. Ein komischer Typ, aber mit einer Stimme … Hammer! Bin irre gespannt auf Mister März. Wenn der so ist wie seine Stimme, also, ich weiß nicht …«

»Hey! Das sind ja ganz neue Töne. Du willst dich doch nicht etwa verlieben? Sind das schon Frühlingsgefühle?«

Lu pickt mit ihren Krallen einen weiteren Zettel heraus.

»Mal ganz ehrlich, Pauli, würdest du jeden Wunsch erfüllen? Ich meine, es könnte ja sein, dass jemand auf dumme Gedanken kommt.«

»Bestimmt nicht!«, rufe ich aus. »Mit Sicherheit werde ich für niemanden die Putzfrau spielen. Nein, nein, nein! Wenn mir einer dumm kommt, dann kann der mich mal kennenlernen. Dann ist der raus.«

»Gott sei Dank!«, sagt Lu. Das scheint sie zu beruhigen.

Auf dem nächsten Zettel steht der Wunsch ›Hilfe beim Umzug‹. »Bei dem hat sich ziemlich viel angesammelt, und der Typ würde sich freuen, wenn ihm jemand beim Ausmisten unter die Arme greift.«

Darin bin ich gut, das mache ich doch mit links. Zumindest seit Darius mit dieser amerikanischen Tussi zusammen ist und nicht zurückkommen wird.

»Einpacken und loslassen! Da bin ich auf dem Weg zum Profi«, sage ich. Wobei immer noch Klamotten meines Ex in meinem Kleiderschrank hängen.

»Aber nur, wenn es um Sachen und Krimskrams geht.« Lu grinst. »Mit den Gefühlen ist das ne andere Sache. Aber das weißt du ja selbst.«

Sie hat ja recht. Aber das müssen wir nicht schon wieder thematisieren. Es ist Zeit für Prosecco. Ich decke meinen wunderschönen Tisch, entzünde Kerzen und lasse den Korken knallen. Fasziniert sieht Lu den aufsteigenden Bläschen in ihrem Glas hinterher.

»Soll ich dir mal verraten, was ich auf gar keinen Fall loslassen will?«, hole ich sie aus ihrer Proseccomeditation zurück.

»Was denn?«, erwidert sie, immer noch dem Prickeln zuschauend.

»Was ich auf gar keinen Fall loslassen will, ist meine Wohnung. Ich werde alles tun, damit ich hier wohnen bleiben kann. Und wenn ich nur noch von Nudeln und Ketchup lebe.«

»Darauf sollten wir anstoßen!« Wir lassen die Gläser aneinanderklingen.

»Auf diese Wohnung!«

»Das wäre der Horror, wenn ich hier rausmüsste. Für mich allein ist die Wohnung auf Dauer zu teuer, ich werde mir was einfallen lassen müssen. Habe ich dir überhaupt erzählt, dass Darius angeboten hatte, seinen Mietanteil ein halbes Jahr lang weiterzuzahlen?«

»Dann brauchst du dir ja noch keine Sorgen zu machen, das ist echt großzügig von ihm!«

»Das hat er nur gesagt, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.«

»Na und? So hast du wenigstens genügend Zeit, einen Plan zu machen, falls du es nicht allein stemmen kannst.«

»Na ja …«, kommt es zögerlich von mir.

Wieder schnellt Lus schwarze Augenbraue in die Höhe. »Erzähl mir jetzt nicht, du hast sein Angebot abgelehnt?«

»Hmm«, mache ich.

»Fuck!«

Lu springt auf und gießt die Gläser randvoll. Ich bin sicher, sie wird gleich eine Lösung für mein Problem parat haben.

»Mit meinen Ersparnissen werde ich nicht lange hinkommen. Hab schon überlegt, ob ich mir einen Nebenjob suchen soll.«

»Nun mal langsam. Du musst ja nichts überstürzen.«

Lu kann manchmal so furchtbar vernünftig sein. Man traut es ihr überhaupt nicht zu. Also, ich meine, sie sieht nicht danach aus, und bei Männern ist sie gern auch unvernünftig. Aber wenn es um ganz alltägliche, praktische Dinge oder ums Geld geht, dann bleibt sie immer auf dem Boden.

»Vorher solltest du erst einmal darüber nachdenken, wie du besser haushalten kannst. Es gibt bestimmt Möglichkeiten, an der einen oder anderen Stelle etwas einzusparen. Wenn das nicht funktioniert, dann suchst du dir einen gutaussehenden Untermieter. Ein Schnuckelchen, der leidenschaftlich gern für dich kocht und auch handwerklich was draufhat. Und der dich krault, wenn dir danach ist.«

»Untermieter? Nicht dein Ernst!«

Ehe ich mich über diesen abwegigen Vorschlag auslassen kann, meldet sich erneut mein Handy. Den Klingelton Get lucky muss ich schnellstens ändern. Get lucky ist out!

»Soll ich für dich rangehen?«, fragt Lu angeheitert.

Geistesgegenwärtig schnappe ich nach meinem Smartphone.

»Paulina hier. Wer dort?«

Lu verdreht die Augen und fängt an zu feixen, sodass ich den Anrufer kaum verstehen kann. Das geht meinem Gesprächspartner nicht anders, und ich muss jeden Satz wiederholen.

»Welche Schuhgröße ich habe?«, rufe ich ins Handy. Hab ich mich verhört? Ich nehme den Anrufer mit ins Schlafzimmer, da kann ich wenigstens ungestört sprechen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hat er keine Fragen mehr und legt auf. Völlig perplex starre ich auf mein Smartphone, bevor ich zu Lu zurückgehe.

»War das wieder einer für eine gute Tat von dir?«, säuselt sie, ohne den Blick von ihrer Lieblingsserie im Fernseher abzuwenden.

»Das war Mister Februar höchstpersönlich!«, sage ich voll aufgeregt, aber immer noch verwundert. Nach dem Anruf frage ich Lu, ob sie noch ein Tröpfchen Sekt für mich hat, das kann ich jetzt brauchen. Dabei wedele ich ihr mit meinen Notizen vor der Nase herum.

»Ich habe mein erstes Date als Glückskeks! Nächsten Mittwoch schon. Mit einem Herrn Valentin, der mich zum Kaffee zu sich nach Hause eingeladen hat. Er möchte, dass ich ihm etwas vorlese«, teile ich ihr in einem übermütigen Singsang mit. Von seinen seltsamen Fragen erwähne ich nichts, aber Lu hat mehr mitbekommen, als mir lieb ist, und will Einzelheiten.

»Der war irgendwie crazy drauf«, fange ich an, von dem Telefonat zu erzählen. »Ich sollte ihm mein Aussehen beschreiben. Komisch, nicht?«

»Was solltest du? Das hast du aber hoffentlich nicht gemacht?«

»So schlimm war’s auch nicht. Haare und Figur interessierten ihn am meisten. Und dann fragte er nach meiner Kleider- und Schuhgröße.«

»Auch nach deiner Körbchengröße? Da gehst du auf keinen Fall hin!«, sagt Lu. »Du hast das aber hoffentlich nicht beantwortet?«

Sie guckt mich an wie jemand, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, als ich das bejahe.

»Doch, schon.« Ich grinse. »Ich hab ihm erzählt, ich bin eine kleine Person mit langen dunklen Locken und tiefbraunen Augen.« Ich sehe meine Freundin an. »So wie du«, pruste ich nun los. »Der wird sich wundern, wenn ich bei ihm auftauche. Wohnt übrigens in einer sehr vornehmen Gegend, der Herr. Er behauptet, den Glückskeks mit meiner Nummer rein zufällig gefunden zu haben.«

»Gefunden?«, stößt Lu verächtlich aus. »Paulina Kleemann, da gehst du nicht alleine hin! Das verbiete ich dir. Ich komme mit.«

»Vergiss es, Ludmilla. Mir passiert schon nichts. Ich schick dir ne Nachricht aufs Handy, wenn ich da bin. Du kannst mich sowieso nicht retten, du bist auf der Arbeit.«

Lu schnaubt. Doch dann verstummt sie und legt einen Finger auf die Lippen. Mit großen Augen und rosigen Wangen lauscht sie den eindeutigen Geräuschen, die aus der Wohnung unter mir hochschallen. Dominik ist wieder einmal am Vögeln. Echt ausdauernd, der Kerl. Wir wechseln einen Blick und prosten uns kichernd zu. Lu feuert das Pärchen auf liederliche Weise sogar noch an. Hoffentlich hören die uns unten nicht. Aber das ist unwahrscheinlich, denn seine Partnerin schreit gerade: »Ich komme!«

Wir halten uns den Bauch und ich mir die Hand vor den Mund, sonst hört man mein Lachen womöglich doch noch.

»Das Programm ist tausendmal besser als jede Serie! Den Nachbarn musst du mir unbedingt vorstellen!«

»Never!« Den Gefallen werde ich Ludmilla mit Sicherheit nicht tun.

2

 

 

Mit gemischten Gefühlen fiebere ich dem Tag entgegen, an dem ich Herrn Valentin vorlesen soll. Ich habe keine Ahnung, wie alt er ist und aus welchem Buch ich lesen soll. Ich denke, er ist schon etwas älter, aber das sehe ich ja dann, wenn es so weit ist.

Vielleicht ist er blind, haben Lu und ich überlegt. Möglich wär’s, aber das glaube ich nicht. Im Grunde weiß ich nichts über ihn, außer seiner Adresse. Die ich natürlich sofort gegoogelt habe. Das Haus liegt in Blankenese, und wenn er zur richtigen Seite hin wohnt, kann er direkt auf die Elbe blicken. Beneidenswert. Wer in dem Stadtteil Eigentum besitzt, der hat es normalerweise nicht nötig, sich von Glückskeksen auf zwei Beinen etwas vorlesen zu lassen.

Lu meinte, ich soll bloß vorsichtig sein, und hat mir ins Gewissen geredet, für alle Fälle mein Pfefferspray einzustecken. Sie wollte sogar versuchen, sich freizunehmen und mich zu dem seltsamen Vogel zu begleiten. So weit kommt es noch! Das habe ich ihr ganz schnell wieder ausgeredet, auch ihren Vorschlag, in einem schicken Café am Elbstrand auf mich zu warten. Was soll denn schon passieren? Zu einer bestimmten Uhrzeit werde ich sie anrufen, damit sie nicht Himmel und Hölle in Bewegung setzt und eine filmreife Rettungsaktion ins Leben ruft.

 

***

 

»Frau Kleemann, in der Sieben wartet eine Zahnreinigung«, erinnert mein Chef mich an den nächsten Patienten. Ich hab wohl ein bisschen geträumt und darüber die Zeit vergessen. »Ist alles in Ordnung?« Normalerweise lasse ich meine Patienten nicht länger als zwei Minuten warten, dafür bin ich bekannt.

»Bin schon unterwegs«, rufe ich ihm zu und biege rasant um die Ecke, hinein ins Behandlungszimmer.

Der Patient ist zum ersten Mal bei uns und erfreulicherweise nicht genervt wegen der kleinen Verspätung. Mit einem warmen Lächeln, das mir einen ersten Blick auf sein makelloses Gebiss ermöglicht, begrüßt er mich. Bei dem gibt es nicht viel zu tun, die vertrödelte Zeit hole ich schnell wieder auf. Routiniert fahre ich den Behandlungsstuhl in die Liegeposition, erläutere jeden Handgriff und diktierte alles in die sprachgesteuerte Software, mit der wir die Behandlungsschritte erfassen.

Obwohl er von einer Mentholwolke umnebelt ist, steigt mir sein männlich herber Duft in die Nase. Wahnsinn, riecht der gut! Wieder kommt mir Valentin in den Sinn. Aber so geht das nicht! Das bevorstehende Date wird auf der Stelle wieder ausgeblendet. Als ich mit der Zahnreinigung fertig bin, mache ich ihm ein Kompliment zu seinen ebenmäßigen und gepflegten Zähnen.

»Jahrelang Zahnspange getragen«, sagt er breit grinsend.

Ich muss schmunzeln bei der Vorstellung, wie dieser sündhaft attraktive Mann mit einer Zahnspange ausgesehen haben mag, und frage mich, ob er möglicherweise ein Model ist. Vielleicht so’n Typ wie in den Versandhauskatalogen, die Herrenunterwäsche präsentieren. Krampfhaft bemüht, nicht laut loszugackern, gebe ich ihm einen Spiegel in die Hand, wobei mir die feinen hellblonden Härchen auf seinem Handrücken und den Fingern auffallen. Er trägt keinen Ring, und es ist auch kein heller Streifen zu erkennen, wo einer gesteckt haben könnte.

Erfreut gehe ich über diese Tatsache hinweg, bin sofort wieder zahnmedizinische Fachkraft und mache meinen Patienten, Pascal Schubert, auf eine kritische Stelle an einem Backenzahn aufmerksam. Er nimmt es zur Kenntnis und sieht aus, als ob er noch eine Frage hätte. Seine klaren blauen Augen verwirren mich. So intensiv, wie er mich anschaut. Er hat jedoch keine Frage zu der weiteren Behandlung, stattdessen fragt er nach meiner Handynummer.

»Wie bitte?«

Ich nehme ihm den Spiegel aus der Hand. Wieder fallen mir die blonden Härchen auf, die mich reizen, darüber zu pusten oder zu streichen, und es kommt mir vor, als wäre sein Duft noch intensiver geworden. Aber das liegt sicher daran, dass die Menthol- und Desinfektionswolke sich verflüchtigt hat. Da sind nur noch sein strahlendes Lächeln, wasserblaue Augen und seine schön geschwungenen Lippen.

Ich muss mich schnellstens abwenden, sonst merkt er, wie ich ihn anstarre. Ich nehme den Block, auf dem wir normalerweise den nächsten Termin festhalten, und kritzle meine Nummer darauf. Dann erlöse ich ihn von dem Papiertuch auf seiner Brust und entlasse ihn mit den Worten: »Frühestens in drei Monaten.«

»Darf ich nicht eher anrufen?«

Er wedelt mit meiner Nummer herum und zwinkert dabei so süß, dass ich laut lachen muss. Zum Glück sind wir allein, unsere Auszubildende ist schon im Behandlungszimmer nebenan.

»Äh. Ich meinte den Termin für die nächste Zahnreinigung«, stottere ich.

Pascal Schubert schenkt mir ein frisch poliertes Lächeln, bei dem ein Grübchen in dem sonst so markanten Gesicht erkennbar wird. Wir stehen nur noch auf Armeslänge voneinander entfernt, und ich muss mich zurückhalten, ihn nicht wieder in den Zahnarztstuhl zu befördern und zu küssen, was mich selbst überrascht und was ich natürlich auch nicht tue.

»Da hab ich ja noch einmal Glück gehabt«, sagt er, steckt meine Telefonnummer ein, dreht sich in der Tür zu mir um und geht mit den Worten: »Danke, Paulina Kleeblatt! Wir seh’n uns.«

Welcher Teufel hat mich gerade geritten, ausgerechnet einem Patienten meine private Nummer zu geben? Das habe ich noch nie gemacht! Bisher habe ich Beruf und Privatleben strikt getrennt. Mein Verhalten von eben ist typisch für Lu, aber nicht für mich. Sie hat mir schon des Öfteren Anekdoten von Kunden erzählt, die sie nach deren Besuch in der Parfümerie gedatet hat.

Bin ich neuerdings wieder empfänglich für männliche Reize, frage ich mich. Der Typ ist eine Augenweide, auch von hinten betrachtet. Was er wohl beruflich macht, falls er kein Model ist? Sportler könnte er sein, oder aber ein durchtrainierter Banker. Ich muss mal in seiner Patientenakte nachsehen, da finde ich vielleicht einen Hinweis.

Anschließend ist nur noch ein Patient zu verarzten, dann ist Feierabend. Endlich. Ich war heute nicht ganz bei der Sache, zu sehr abgelenkt wegen meines Dates mit Valentin. Und dann noch dieser Herr Schubert, dem ich meine Nummer gegeben habe. Verrückt!

 

***

 

Seit ich in Hamburg wohne, war ich noch nicht in Blankenese, aber das sind ja auch erst vier Jahre. Es gibt in meiner Wahlheimat noch viel zu entdecken.

Mein Navi fragt an, ob es mir den Weg von der S-Bahnstation zu Valentin Hesses Adresse zeigen soll. Ja, soll es. Gern verlasse ich mich auf die Stimme, die mich durch enge Gässchen leitet, in denen kein Autoverkehr möglich ist. Unzählige Stufen treppauf muss ich laufen, bis ich an meinem Ziel ankomme und mir einen ersten Eindruck verschaffen kann. Mir ist, als wäre ich auf Urlaub im Süden, aber ich bin im Norden Deutschlands, in der Hansestadt Hamburg. Das ist schon krass.

Das kleine am Hang gelegene Haus ist umgeben von einem tristen Gartenstück. Im Sommer, wenn alles blüht, sieht das bestimmt zauberhaft aus, doch jetzt liegt die Natur noch im Winterschlaf. Das schmiedeeiserne Tor quietscht beim Aufstoßen melodisch, das ist wohl ein gutes Omen. Noch einmal rücke ich meinen Hut, der mir Glück bringen soll, zurecht und bin bereit für mein erstes Abenteuer.

›Bin gut behütet‹, schreibe ich Lu. Ich hänge ein Selfie an und die Info, dass ich jetzt reingehe. Von Pascal erzähle ich ihr erst mal nichts, das ist alles noch viel zu frisch. Ich kann es ja selbst kaum glauben, dass er mich noch am selben Tag angerufen hat. Kaum war ich zuhause, da klingelte mein Handy, und ich dachte, es ist ein neuer Glückskandidat. Aber nein, es war Pascal Schubert, der mich ausgerechnet heute daten wollte. Heute! An meinem freien Nachmittag.

Er wollte sich nicht damit zufriedengeben, dass ich keine Zeit für ihn habe. Wahrscheinlich ist er es gewohnt, dass ihm die Mädels zu Füßen liegen und alles absagen, wenn er sich mit ihnen treffen will. Nicht mit mir! Familiäre Verpflichtungen habe ich vorgeschoben, damit er endlich Ruhe gibt, und ihm ein Date für den nächsten Mittwoch angeboten, auf einen Kaffee. Hätte ich ihm erzählen sollen, was bei mir tatsächlich anliegt, oder mich als Glückskeks outen sollen?

Wie ein Glückskeks auf zwei Beinen fühle ich mich nämlich, als ich den Klingelknopf mit dem Namen Hesse drücke. Es dauert nicht mal eine Minuten, und ein älterer Herr öffnet. Er bittet mich herein, nachdem ich seine Frage, ob ich die Paulina bin, mit der er telefoniert hat, mit Ja beantwortet habe. Seinem Wunsch nachkommend rede ich ihn mit Vornamen an. Wir bleiben allerdings beim Sie, was mir sehr recht ist. Neugierig sehe ich mich in dem lichten Wohnzimmer mit den riesigen Fensterfronten um. Herr Valentin muss wohlhabend sein, das erkennt man schon auf den ersten Blick.

»Nun, Paulina«, sagt er mit einer Stimme, die weitaus jünger klingt, als er aussieht, »da haben Sie mich aber ganz schön veräppelt. Von wegen klein, dunkelhaarig und mollig. Wenn ich ehrlich sein darf, dann bin ich ein bisschen enttäuscht von Ihnen.« Er schaut mir in die Augen. Wir sind etwa gleich groß. Er ist bestimmt schon ein wenig geschrumpft und war früher mal so um eins achtzig. Jetzt sind es eben ein paar Zentimeter weniger.

»Das tut mir aber leid, Valentin«, erwidere ich scheinheilig, wobei ich ihm zuzwinkere. »Ich muss gestehen, ich bin auch etwas enttäuscht von Ihnen. Ich hatte mit einem jüngeren Herrn gerechnet.«

Wir sehen uns an und erkennen den Schalk in den Augen unseres Gegenübers. Das Eis ist gebrochen, mein Einsatz wird eine gute Tat werden, dessen bin ich mir sicher.

»Dann passt das mit der Schuh- und Kleidergröße ja wohl nicht.« Eine kaum merkliche Traurigkeit liegt in Valentins hellen Augen, als er das sagt. »Im Schrank hängen immer noch die hübschen Kleider von meiner Frau. Ich kann mich einfach nicht von ihnen trennen.« Er seufzt. »Es wäre so schön gewesen, wenn Sie zum Vorlesen ein Kleid von ihr getragen hätten.«

Augenblicklich tut es mir von Herzen leid, ihn angeschwindelt zu haben.

»Darf ich mal sehen?«

Die Mode aus dem letzten Jahrhundert muss ich mir unbedingt angucken. Nicht nur, weil ich eine Schwäche für diese Retroklamotten habe, sondern auch wegen Lu, mit deren Maßen ich mich bei dem betagten Herrn vorgestellt habe. Vielleicht sollte ich sie fragen, ob sie nicht die Bekanntschaft einen reizenden älteren Herrn … Nein, unmöglich!

Valentin freut sich über mein Interesse und will mir alles zeigen. Müssen wir in sein Schlafzimmer?, frage ich mich, als wir eine schmale Treppe in die oberen Gemächer hochsteigen. Auf dem ersten Absatz bleibt er stehen. Er klopft an eine Tür und sagt: »Da sind wir schon. Das ist die Kammer des Schreckens.«

Witzbold!

Ein wunderschöner, massiver Kleiderschrank füllt die Kammer aus. Ich bin schon ganz hibbelig, was sich hinter den mit Schnitzereien verzierten Türen verbirgt. Die anderen Regale, die angefüllt sind mit Vorräten und Werkzeug, bemerke ich erst auf den zweiten Blick.

»Bitte schön!« Valentin dreht den Schlüssel um, öffnet eine Tür, und schon umfängt mich ein verblassender Duft aus dem Schrankflügel. Er sieht mein Schnuppern und lacht. Und dann kommt er mir mit der Antwort auf meine Frage zuvor, seit wann seine Frau nicht mehr lebt.

»Das sind bald zwanzig Jahre«, sagt er leise, seine Hand legt er aufs Herz. »Aber hier drinnen, da ist sie immer noch ganz lebendig.«

»Hätte sie denn nichts dagegen, wenn eine fremde Frau ihre Kleider anprobiert?«

Kaum ausgesprochen, sehe ich meine verstorbene Freundin Ada vor Augen. Als ihre Tage gezählt waren, hat sie uns mit ihren Sachen reich beschenkt. Es bereitete ihr noch einmal eine Riesenfreude, uns in ihren Lieblingsklamotten zu sehen.

Valentin lässt mir aber keine Zeit für meine Grübeleien. »Im Gegenteil«, erwidert er. »Sie sagt mir schon lange, dass ich endlich aufräumen und mich von den Kleidern trennen soll. Aber …«, wieder ein abgrundtiefer Seufzer, »ich kann das nicht. Ich bin mir sicher, mein Lisettchen schaut von oben zu, wenn ihre Kleider spazieren geführt werden.«