Ein Himmel voller Schmetterlinge - Ester Bianka Zufelde - E-Book

Ein Himmel voller Schmetterlinge E-Book

Ester Bianka Zufelde

0,0

Beschreibung

Lucas, ein junger Politiker, begegnet der Liebe seines Lebens. Doch noch bevor er sie ansprechen kann, macht ihm ein Unfall einen Strich durch die Rechnung. Von jetzt auf gleich wird der erfolgsverliebte junge Mann vom Schicksal auf die Probe gestellt. Eigenartige Begebenheiten, Geister und ein furchtbarer Traum werfen seine Anschauung über das tatsächliche Leben über den Haufen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 378

Veröffentlichungsjahr: 2019

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gib dem Schicksal eine Chance

Inhalt

Prolog

Weitreichende Glücksmomente

Das einzig Richtige

Ein zerbrochener Traum

Verworrene Spiele

China

Klarheit

Ergötzen

Bewusstseinsverändernde Mächte

No Hope / Keine Hoffnung

Wispernde Stimmen

Tränen der Trauer

Pure Angst

Finster erscheinende Tage

Ein dubioser Hoffnungsschimmer

Nacktes Überleben

Dem Himmel so nah

Tag X

Seelenverwandt

Ein Himmel voller Schmetterlinge

Prolog

Sanft rauschend bahnt sich die Isar ihren Weg durch die Stadt München. Umringt von tausenden Bäumen in sattem Grün, von Häusern, die sich mal alt, mal neu stattlich zur Schau stellen. Straßen, welche ab und an ihren Weg begleiten, durch Brücken verbunden, die beharrlich in vollendeter Eleganz direkt über den Fluss verlaufen.

Das kühle fließende Nass ist ein Erholungsort für viele Menschen, die den steten Alltag, den Trubel, den dichten Verkehr für ein paar Stunden der Erholung, des Glücks entfliehen wollen. An warmen Sommertagen ist er umringt von ihnen. Kein Aussehen spielt eine Rolle, kein Glaube, kein noch so kleiner Makel kann die gute Stimmung der manchmal dicht an dicht gedrängten Menschen mannigfaltigster Herkunft trüben. Jeder von ihnen weiß seine eigene Geschichte zu erzählen. Jeder von ihnen trägt gute sowie schlechte Erinnerungen mit sich. Gedanken, Träume, Begebenheiten, die prägen, formen und einen den Weg für das noch bevorstehende Leben ebnen.

Schicksal könnte man meinen, nachdem ich mir einfach die Person herausgenommen hatte, welche nur wenige Meter von mir entfernt, halb liegend auf einer Picknickdecke saß. Ein Mann mit etwa dreiundvierzig, der mit einer kurzen blauen Hose und weißem Hemd, dessen Ärmel er etwas hochgekrempelt hatte, bekleidet war. Er beobachtete ein kleines asiatisches Mädchen. Allerliebst sah sie in ihrem gelben Kleidchen aus. Das Mädchen mit ihren geschätzten sechs Jahren spielte voller Begeisterung mit Steinen am Wasserufer. Nach und nach begann sie die unterschiedlich geformten Steine übereinanderzustapeln. Akribisch genau versuchte sie den fünften Stein auf die übrigen auszubalancieren. Gleichsam erreichte die Spannung ihren Höhepunkt, der schon wacklige Stapel fiel in sich zusammen. Die Mimik des Kindes wechselte sofort von freudestrahlend zu unendlich enttäuscht, bis hin zu einem traurigen Schniefen, das fast in einem Weinen enden sollte. Mitfühlend wirkte der Mann. Umgehend versuchte er das kleine Mädchen aufzumuntern. Er sprach ihr Mut zu, spornte sie an es noch einmal zu versuchen. Jeder erkannte sofort, dass diese beiden Menschen zusammen gehörten. Vielleicht war er der Vater des Kindes, vielleicht ein Onkel, vielleicht aber auch nicht.

Ein wunderschöner heißer Sommertag, zwei fremde Menschen, die mein Herz erreichten. Ich schwöre, ich kannte sie nicht. Fasziniert, ja interessiert an ihnen begann ich gedanklich den unbekannten Personen eine eigens kreierte Geschichte zu geben. Eine Geschichte, die wie eine Liebesromanze beginnt und im Verlauf von schwarzen Schatten, vom Leid verfolgt, ja gehetzt von der grausamen Realität ihren Höhepunkt erreicht, bevor sie hier für ein paar Stunden das kurze Glück genießen können. Ruhe finden, ehe die erbarmungslose Realität, das Schicksal erneut an ihre Seite tritt.

Ich muss gestehen, dass ich vor Ergriffenheit weinte, als ich sah, wie ein kleiner Schmetterling auf die Hand des kleinen Mädchens flog, sich gemütlich setzte. Wie glücklich sie doch war. Wie vorsichtig sie auf den Mann zusteuerte, der sie die ganze Zeit beobachtet hatte. Erst da erkannte ich sein Gesicht. Erst da sah ich das Leid in seinen Augen. Das Leid, was ihm das Leben auferlegte. Ich spürte die Sehnsucht, der dunklen Seite des Lebens zu entfliehen, um endlich die Freude des heiteren Daseins wiederzufinden.

So sind es die Augen des unbekannten Mannes gewesen, den ich einfach Lucas nannte, die mich inspirierten diese Geschichte zu schreiben. Eine Geschichte, die das Leben schreibt. Von Menschen, die ich nicht kannte. Von Menschen, die mich just inspirierten, reale Komponente, mit illusorischen Gedanken von mir verknüpft wurden. Ein Mann, obendrein ein kleines Mädchen, dessen Anblick mich mehr und mehr in ihren Bann zog.

1 Weitreichende Glücksmomente

Unklar, verworren beginnen die Tage des Lebens, bevor ihre Zeit gekommen ist.

Zehn Jahre zuvor, der Sommer hatte gerade begonnen. Es war Anfang Juni, die Luft war sehr warm und der Himmel zeigte sein strahlendes Blau über der Stadt München. Das dichte Blattwerk der Bäume verhalf den Leuten eine kühle Brise unter ihnen zu erhaschen. Der laue Wind, das Rascheln der Blätter, das Summen von Bienen in den Wipfeln. All das lud so manchen zum gemütlichen Verweilen ein.

Lucas saß damals auf einer Parkbank, nahe der Isar. Mit seinen dreiunddreißig Jahren stand er schon sehr erfolgreich im Leben. Schlank, dunkelhaarig, gleichmäßige Gesichtszüge, immer freundlich schauend. Ja, das gewisse Charisma wies er auf. Er genoss seine Mittagspause, die Ruhe, beobachtete verträumt den Verlauf des Flusses. Fixierte die klare Spiegelung der einzelnen Häuser, Bäume auf ihrer ruhig laufenden Wasseroberfläche. Er träumte, war glücklich es beruflich geschafft zu haben.

Jahre vorab stritt er noch unerbittlich mit seinen Eltern. Jede Kleinigkeit brachte die steten unterschiedlichen Ansichten zum Kochen. Immer wieder geriet er mit dem Gesetz in Konflikt. Das Dorf, aus dem Lucas stammte, absolut konservativ, nicht zugänglich für neue Ideen. Weltoffene Ideen, die er hervorbrachte. Er wollte überzeugen. Doch sein in ihren Augen eigensinniges Verhalten führte nur dazu, dass die Leute schon missbilligend tuschelten. Nicht weil er stahl oder Schwächere verprügelte. Nein, Lucas war ein weltoffener Andersdenkender, ein Kämpfer. Wenn man einen Menschen überhaupt so bezeichnen kann. Ein Mensch, der große Ideale hatte, sich für die Umwelt einsetzte, engagiert bei Greenpeace mitwirkte, demonstrierte, Flugblätter verteilte. Sich so manches Mal an Bäume kettete, um gegen ihre Rodung zu protestieren.

Flausen nannten seine Eltern die Ambitionen von ihm. Flausen, die er aus seinem Bewusstsein streichen und besser mit der Arbeit auf dem eigenen Bauernhof verbringen sollte. Denn letztendlich ist rundherum genug Natur, genug Umweltschutz. Das Vieh füttern, den Boden bewirtschaften und sich um den großen Wald kümmern. Ausreichend Arbeit, meinte sein Vater, ein Bauer der dritten Generation stetig. Schließlich war Lucas der einzige Sohn und somit baldiger Bauer. Seine zukünftige Aufgabe klar.

Aber Lucas hatte eine andere Lebensplanung, wollte etwas anderes. „Nur Bauer?“, zu sein, wie er es stets beteuerte, das war ihm eindeutig zu wenig.

Gekämpft hatte er stets für seine Ideale, bewies Rückgrat. Nach seiner Ausbildung in der Landwirtschaft ließ er sich in den Gemeinderat wählen, später in den Stadtrat. Heute, im Jahr 2015, ist er gewähltes Mitglied im Landtag. Trotz seiner vielen Arbeit, glücklich. Nur eines war noch nicht perfekt. Etwas schien noch zu fehlen. Während er auf dieser Bank saß und über all diese Dinge nachdachte, verspürte er wieder die Leere in seinem Herzen. Er fühlte sich allein, einsam.

Max, ein enger Freund, selbst Mitglied im Landtag, wollte ihn schon seit längerem mit seiner Schwester Helene verkuppeln. Lucas jedoch fühlte sich einfach nicht zu ihr hingezogen. Sie war hübsch, ohne Zweifel. Reihenweise lagen ihr die Männer zu Füßen. Dennoch, bei Lucas kamen keinerlei Gefühle auf.

„Was ist nur los mit mir?“, dachte er gerade noch. Es gab viele Frauen, die ihn mochten. Aber die Richtige wollte ihm nicht über den Weg laufen. Lucas bemühte sich. Obgleich ein kurzer Flirt, bedeutungslose Liebeleien waren alles, was sein Herz an Gefühl hervorbringen konnte. Das gewisse Etwas, das, was er bei den Frauen intuitiv suchte, fehlte einfach. Doch was das war und vor allem, was er bei ihnen suchte, konnte er einfach nicht herausfinden. Jede Bemühung seinerseits manövrierte ihn sofort ins Aus. Was machte er falsch?

Eine Frau Anfang achtzig setzte sich plötzlich neben ihm auf die Bank. Herausgerissen aus seinen Gedanken, und etwas überrascht blickte er in ein freundliches, sehr gepflegtes, obgleich von den vielen Jahren gezeichnetes Gesicht. Lucas lächelte kurz. Ohne weiter darüber nachzudenken betrachtete er die Frau. Als Außenstehender sah man sofort, dass er stierte, sie unverhohlen musterte. Ihm war das keinesfalls bewusst. Innerlich dachte er, wie sie wohl in jungen Jahren ausgesehen hatte. Welcher Typ Mann wohl zu ihr passte. Vielleicht wäre sie die Richtige in seinem Leben gewesen. Vielleicht hätte er sich Hals über Kopf in sie verliebt und ihr sein Herz zu Füßen gelegt, viele Kinder mit ihr gezeugt und darüber hinaus bis an ihr Lebensende die Zweisamkeit geteilt.

„Junger Mann. Habe ich sie erschreckt? Ist alles mit ihnen in Ordnung?“ Begann sie zu fragen, zerrte ihn förmlich aus seiner starrenden Haltung. Unwohl fühlte sie sich in diesem Moment.

Erschrocken von ihrer ängstlichen Art, versuchte er die Situation zu retten. „Nein, entschuldigen sie bitte! Alles in Ordnung.“ Schnell stand er auf, lächelte freundlich, wünschte der Frau noch einen schönen Tag und ging.

Ein leises wehklagendes Raunen hörte er noch von ihr. „Ach, jung müsste man noch einmal sein.“

Breit wurde das Lächeln, das sich jetzt über sein Gesicht zog, seine Stimmung aufhellte. Kurz überlegte Lucas, ob er ihr einen schelmisch blinzelnden Blick zuwerfen sollte. Ihr zeigen, dass man trotz des hohen Alters erkannte, wie schön sie einmal war und immer noch ist. Aber letzten Endes tat er nichts von all dem.

Lucas bekam Durst. Seine Schritte wurden schneller. Ihm fiel das kleine behagliche Kaffeehaus im Wiener Stil, nur wenige Straßen entfernt, ein. Es lag zwar etwas nah an der Straße, dennoch hielt sich der Verkehr in Grenzen und man konnte dort, unter dieser großen alten Kastanie, gemütlich sitzen. Nur noch ein paar Schritte, dachte er bei sich.

Vor dem Kaffee, das jetzt wenige Meter vor ihm lag, erblickte er eine junge unbekannte Frau mit langen, dunkelblond gelockten Haaren. Sie biss gerade in ein Croissant, dabei lief ihr etwas flüssige Schokolade übers Kinn. Schnell nahm sie ihre Serviette mit ihrer freien Hand, versuchte umgehend das Malheur dahinter zu verbergen. Lucas war wie gebannt, jede ihrer Bewegungen registrierte er wie im Rausch. Starr seine Haltung, starr sein Blick. Fasziniert beobachtete er von der gegenüberliegenden Straßenseite die schlanke Frau. Offenkundig war er gefangen von ihrer Aura.

Unbedingt wollte er diese Frau kennenlernen. Jeder fremde Gedanke war verschwunden. Lucas Herz spielte völlig verrückt. Wie in Trance ging er einen Schritt auf sie zu. Eine Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam. Berauscht von ihrem Anblick. Lucas befand sich auf einmal in einer anderen, völlig neuen Welt, die er nicht beschreiben konnte. Kribbeln im Bauch, schweißnasse Hände. Sein Herzschlag dröhnte förmlich, glich einem pochenden Schmerz im Innenohr. Gedanklich formte er Worte. Übte nervös.

Unerwartet traf es ihn. Wie ein Donnerschlag, heftig und unwiderruflich. Sekunden müssen es nur gewesen sein. Quietschende Reifen durchbrachen seinen sehnenden Blick. Ein dumpfer Schlag von der Seite, ein abrupter Sturz, starke Schmerzen am Hinterkopf waren alles, was er noch merkte, bevor sein Körper hilflos am Boden lag.

Stille, Dunkelheit umgaben ihn. Dann folgten wirre Gedanken, eigenartige Bilder. Er träumte von wilden Feldblumen, vom frischen Heu. Ganz plötzlich erblickte er einen Schatten über sich. Licht, das langsam aufleuchtete, immer greller wurde. Irritiert versuchte er zu erkennen, wer da gebeugt über ihm auftauchte. Immer noch vom Sturz benommen, von der Sehnsucht geplagt, hob Lucas langsam seine Hand, wollte dieses wunderschöne Gesicht berühren. Tat es.

„Ist mit ihnen alles in Ordnung?“, erklang eine raue, erregte Männerstimme in seinen Ohren.

Erschrocken zog er seine Hand zurück, kniff seine Augen zusammen, öffnete, schloss sie wieder. Das pure Chaos beherrschte seine Gedanken. Der erlebte Tag flog noch einmal an ihm vorbei. „Ist mit ihnen alles in Ordnung?“ Diesen Satz hörte er nun schon das zweite Mal. Die Parkbank, vergangene Gedanken, eine alte Frau, diese faszinierende Frau und dann … Ein rauer Ton. Eine tiefe Männerstimme, dessen verdutztes Gesicht er erst jetzt wahrnahm. Lucas ertappte sich dabei, wie er die Wange eines fremden Mannes zärtlich berührte. Rau, unrasiert.

Jetzt schämte er sich. Ihm wurde übel. Er wollte nur noch weg, sofort aufstehen. Doch dieser heftige Schmerz in seinem Kopf. Ein lauter, langer nicht endender Ton erklang auf einmal in seinen Ohren. Ein Ton, den man früher am Ende des Nachtprogramms zu hören bekam. Eintönig, nervend. Hinzu kamen weit entfernt, aufgeregt klingende Worte.

„Ich schwöre, ich habe den Mann nicht gesehen. Er war plötzlich da …“

Die Übelkeit in ihm war mittlerweile unerträglich für Lucas geworden. Sein Kopf schnellte zur Seite, er übergab sich. Gleich darauf wurde es totenstill und völlige Dunkelheit brach erneut über ihn herein.

Erst Stunden später wachte er im Krankenhaus auf. Lucas musste sich widerwillig eingestehen, dass er ohne zu überlegen auf die Straße getreten war, um eine Frau anzusprechen, deren Existenz er wenige Minuten zuvor noch nicht einmal kannte. Das machte ihn zornig.

„Ich Idiot“, waren die Worte, die er sich innerlich eingestand. „Midlife Crisis, früh hat sie mich erwischt. Ich will mein Leben mit einer Partnerin an meiner Seite füllen und bringe mich dabei fast um. Noch schlimmer, ich benehme mich wie ein rammdösiger Trottel.“

Zwei Rippen waren gebrochen und eine Gehirnerschütterung trug er von einem leicht vermeidbaren Unfall davon. Am Nachmittag kam ein junger Polizist, nahm ein Protokoll auf. An jede Kleinigkeit bis zum Unfall konnte sich Lucas erinnern, doch die Frau, die er so faszinierend anblickte, erwähnte er in keinster Weise. Er log. Schließlich würde der Beamte einen Lachanfall bekommen, dessen felsenfester Meinung war er. Wie konnte man sich auch in eine Frau verlieben, die man nur einen winzigen Augenblick wahrnahm? War es denn Liebe? Oder war es angehender Wahnsinn, getrieben von Verzweiflung, von der Sehnsucht nach Zweisamkeit? Er wusste es nicht. Dennoch, diese unbekannte Frau, ihre unbeholfene Art, ihr Aussehen, alles an ihr war für ihn Faszination pur, allgegenwärtig, nicht mehr wegzudenken.

Am Abend besuchte ihn sein Freund Max, der mit vollem Namen Maximilian Reindl hieß, obgleich die Kurzbezeichnung eindeutig besser zu ihm passte. Er war ein mächtiger breitschultriger Mann mit Bauch. Sein Gesicht freundlich, vielleicht ein wenig verschmitzt. Schon in der Schule fiel sein Name als erstes, wenn etwas Desaströses, etwas Unangebrachtes, ein kleiner Streich, egal was es war; was geschah, vorgefallen war. Es hieß immer „Max, das war dein letzter Streich.“ Lehrer, selbst Mitschüler hielten ihn stets als Ersten für den Verursacher. Damals schon dicklich, mit schwarzen Haaren, die sehr oft wild in alle Richtungen standen. Eben, wie der echte Spitzbube von Wilhelm Busch in einer seiner berühmtesten Erzählungen.

Lucas musste immer mit einem Lächeln an diese Geschichte denken, wenn er seinen besten Freund begrüßte. Und das seit er ihn, bei der ersten Begegnung im Landtag, über die Kurzfassung seines Namens aufklärte. Im Übrigen bekam jeder diese Geschichte zu hören und alle reagierten gleich. Standen kurz stutzend vor ihm, überlegten, ob er seine Äußerung ernst meinte oder sie nur verunsichern, gar veralbern wollte. Max hingegen blieb ruhig, gelassen, ernsthaft.

„Ah, ja jetzt wo du es sagst. Genau. Tatsächlich. Diese Ähnlichkeit, verblüffend“, kam dann die Antwort seines Gegenübers.

Doch heute ging es nicht um ihn. Besorgt wirkte sein Blick, nachdem er Lucas gegenüber stand. „Mensch du machst ja Sachen.“, sprach sein Freund, nachdem sie sich herzlich begrüßt hatten.

Lucas lächelte kaum merklich. Deutlich sah man, dass er unter Schmerzen litt. „Jetzt da ich dich sehe, geht es mir gleich besser.“

Max musterte ihn kurz. Während er grübelnd durch sein widerborstiges Haar mit den Fingern fuhr, lachte Lucas etwas lauter.

„Ha ha, selbst in dieser Situation kannst du über mein Aussehen lachen?“

„Oh, glaub mir! Die Schmerzen sind es wert. Hast du mal in den Spiegel geschaut?“

„Was? Nein.“ Er ging schnellen Schrittes ins angrenzende Bad, betrachtete sich.

„Oh, man.“, hörte Lucas Max Stimme. Er lachte wieder und umklammerte dabei vorsichtig den gebrochenen Rippenbereich.

Nachdem Max erneut vor ihm stand schossen die Worte wie aus der Pistole Lucas entgegen. „Hopfen und Malz verloren. Wie oft wollte ich mir diese schrecklichen Haare schon abschneiden lassen. Kahl. Verstehst du? Aber wie sieht das denn aus? Dick mit einem runden knuffigen Kopf gleicht einer Bowlingkugel. Oder noch treffender wäre, wie ein Deoroller.“

Lucas lachte erneut. „Hör schon auf. Ich habe Schmerzen du Depp!“

„Nun mal, Spaß bei Seite. Wie ist denn das passiert?“, er wies mit der Hand in Richtung der gebrochenen Rippen.

„Ich erzähle dir alles, aber ich bestehe auf dein Schweigen!“

Max wirkte irritiert, gleichzeitig gespannt und nickte. „Versprochen, ist doch Ehrensache.“

Danach folgte sein kompletter Bericht über den Unfallhergang. Selbst die unbekannte Schöne, die Verursacherin seines Unfalls, wurde in jedem winzigen Detail von ihm beschrieben. Seine Erwähnung über diese unbekannte Schöne glich eher der einen Ode. Lucas Augen leuchteten jedes Mal, wenn er von ihr sprach.

Erst schwieg Max, dann fragte er nachdrücklich „Du nimmst mich auf den Arm?“

„Nein, leider nicht.“

„Ich freue mich für dich. Ich weiß, du bist schon lange auf der Suche.“ Er überlegte noch einmal. „Was ist mit Helene, meiner Schwester? Sie lässt dich im Übrigen schön grüßen und entschuldigt sich, dass sie nicht hier sein kann. Sie steht unter immensen Druck. Du weißt, das Studium.“

„Ah, verstehe. Ist sie wieder auf Kosten deines Vaters in einem der Schickimicki Hotels, mit dem Vornamen Wellness, in Österreich?“

„Ja genau, sehr teuer, exquisit und hilft nicht. Ich bin da wohl das beste Beispiel.“, er deutete auf seinen Kopf und beide lachten.

Vier Tage später wurde er entlassen. Die Schwester von Max holte ihn ab. Sie hatte es immer noch nicht aufgegeben Lucas für sich zu gewinnen. Er genoss die Sorge, die sie ihm entgegenbrachte. Dennoch kamen keinerlei Gefühle in ihm auf.

Als er gerade das Gebäude des Krankenhauses mit Helene an seiner Seite verlassen wollte, bemerkte er zwei junge Krankenpflegerinnen, die sich gerade mit einem Becher Kaffee in der Hand unterhielten. Sie lachten.

Lucas war von diesem Lachen der Frauen fasziniert. Gebannt blieb er abrupt stehen. Obwohl ihre Gesichter nur teilweise zu sehen waren. Neugierde packte ihn. Etwas war sehr anziehend an dieser Situation. Die beiden jungen Frauen, das hatte er schon bemerkt, drehten sich jetzt genau in seine Richtung, kamen auf ihn und Helene zu.

Lucas traf die Erkenntnis wie ein Blitz. „Sie? Aa…“, mehr Worte konnte er nicht aus seinem Mund herausbringen. Regungslos wirkte sein Körper. Der Gedanke, das Leben wollte ihm einen Streich spielen. Trugbild, Täuschung, tauchten die Wörter in seinem Unterbewusstsein auf.

Eine der jungen Frauen lächelte mitfühlend und sprach. „Herr Berger. Wie ich sehe, werden sie entlassen. Das ist schön, dass es ihnen wieder gut geht. Sie machen aber auch Sachen. Einfach auf die Straße laufen.“

Lucas wollte antworten. Aber außer ein langgezogenes „Aa…“ und ein unangenehmes lautes Schlucken kam nichts über seine Lippen. Er fühlte sich zittrig, irgendwie unwohl. Sein Herzton dröhnte förmlich in seinen Ohren. Er wollte so viel sagen, so viel fragen, aber die Worte waren alle aus seinem Bewusstsein gelöscht.

Alle starrten einander an. Verwirrend und peinlich wirkte diese Situation jetzt für jeden Einzelnen.

Helene ergriff das Wort. „Verzeihen sie! Kennen sie Lucas?“

Die junge Frau lachte, wandte sich von Lucas ab. „Oh entschuldigen sie bitte! Ich habe den Krankenwagen gerufen und bin mit ihrem Mann ins Krankenhaus gefahren. Wir verfügen hier über sehr gutes Personal. Na ja und wie sie sehen, ist ihr Mann wieder gesund.“ Kamen die Worte aus dem Mund einer achtundzwanzigjährigen Frau, die gemeinsam mit ihrer Kollegin jetzt beiden freudestrahlend gegenüberstand.

Helene, die ein Jahr älter war, wirkte überrascht. Ihr gefielen die freundlichen Worte. Schließlich dachte sie, dass sie mit ihm verheiratet wäre.

Bei Lucas hingegen klappte die Kinnlade nach unten. Wieder wollte er etwas sagen, aber es kam einfach kein Wort über seine Lippen. Seine Gedanken hüpften nervös umher. Wie ein Idiot kam er sich vor. Endlich stand sie vor ihm. Eine Frau, die er seit Tagen nicht mehr aus seinem Kopf bekam. Er war fasziniert von ihrer Stimme. Nicht nur, dass sie in seinen Augen sehr attraktiv war, wenn nicht die Schönste überhaupt. Nein. Darüber hinaus hatte sie auch eine wunderschön klingende Stimme.

„Ach sie haben mich ins Krankenhaus gefahren? Sie waren meine Retterin in der Not.“, gelang es ihm endlich, zu sprechen.

„Na ja, jeder hätte das gemacht. Ich war gerade in der Nähe.“ Wieder lächelte sie ihn freudestrahlend an.

„Schön.“ Floh das Wort aus seinem Mund. Aber als er noch etwas mehr sagen wollte, kam nichts. Keine Stimme. Kein Ton. Wieder einmal wurde er in ihrer Gegenwart starr, bewegungsunfähig. „Schön. Sag was du Trottel!“ Er versuchte zu lächeln. Für die anderen Beteiligten sah es eher wie ein verzerrtes Lachen aus.

Helene wurde diese Situation zu bunt. So kannte sie Lucas gar nicht. „Warum benimmt sich Lucas vor dieser fremden Frau wie ein verliebter Trottel?“, dachte sie noch ... Wie ein Blitz traf es sie, abwechselnd wich ihr Blick zu beiden. „Er gehört mir!“ Hörte sie sich innerlich vor Wut schreien. „Ich bedanke mich im Namen meines Mannes, ich meine Lucas. Vielen Dank noch einmal, dass sie ihn gerettet haben.“ Sie schmiegte sich jetzt wie eine schnurrende Katze an ihn. Ihre ganze Körperhaltung sprach. Er gehört zu mir! Es sah beinahe so aus, als ob sie ihre Krallen ausfahren wollte, um der jungen unbekannten Frau die Augen auszukratzen.

Die junge Krankenpflegerin zuckte etwas, lächelte dennoch erneut. Ihr war diese Situation unangenehm. Sie wollte nur noch schnell weg, bereute bereits, dass sie diesen Mann überhaupt angesprochen hatte.

Noch einmal gelang es Lucas zu sprechen. „Verzeihen sie bitte mein unmögliches Verhalten.“ Er dachte seine charismatische, wortgewandte Haltung kehrte endlich zurück. Das Auftreten eines standfesten Politikers. „Sie müssen verstehen ...“

Die junge Frau lächelte erneut.

„Ich meine … Ich dachte, ich kenne sie, aber…“, log er. Was für ein Desaster. „Reiß dich zusammen Lucas Berger!“, beschwor er sich innerlich. „Du bist Politiker, ein Mann der Stunde, kannst mit Worten umgehen. Denk!“ „Vielen Dank, dass sie an meiner Seite waren. Gerade in der Not ist es schön zu sehen, dass es noch rettende Engel gibt.“ „Oh man was war das denn? … Wie war doch gleich ihr Name?“

Helene schnappte nach Luft, als sie bemerkte wie die Augen von Lucas zu leuchten begannen. Sie war für ihn einfach nicht mehr existent. Er betete diese fremde Frau geradezu an. Und um dem Ganzen noch eine Krone aufzusetzen, schob er Helene einfach von sich weg. Gut, er war vorsichtig, wollte sie auch bestimmt nicht demütigen, dennoch begriff sie in dieser Sekunde ein für alle Mal, dass sie nicht im Mittelpunkt der ganzen Szenerie stand, sondern eine wildfremde, durchschnittlich aussehende Frau. Für Helene, die erfolgsverwöhnt war, wenn es um Männer ging, brach sprichwörtlich eine Welt zusammen.

„Oh entschuldigen sie bitte. Mein Name ist Jasmin. Jasmin Rosenberg. Und das ist meine Kollegin Katrin. Ich meine Katrin Bern.“

Kurz reichten sie einander die Hand, worauf sofort ein spontanes „Schön sie kennenzulernen Jasmin. Ich meine Frau Rosenberg.“, aus Lucas Mund folgte.

Sie lächelte kurz. Wurde etwas verlegen, als er seine Hand, welche er ihr entgegengestreckt hatte, fest umschlungen hielt und nicht mehr losließ. Da war er wieder der selbstbewusste Charmeur, den die Frauen zu Füßen lagen. Doch gegen Lucas Erwartung blieb sie entspannt.

„Jasmin ist vollkommen in Ordnung. Ich muss jetzt leider wieder an die Arbeit. Hat mich wirklich gefreut.“

Lucas stutzte kurz, dachte keinesfalls daran loszulassen. In Gedanken formte er schon die nächsten Sätze.

Helene stupste ihn ungeduldig an. „Lucas, die junge Frau muss an ihre Arbeit!“, drängte sie ihn.

„Was, ach ja, natürlich.“ Endlich ließ er ihre Hand los.

Sein verlorener Blick schien sich wieder in der Realität zu befinden. „Auf Wiedersehen, hat mich wirklich sehr gefreut und noch einmal vielen Dank.“

Die jungen Krankenpflegerinnen hatten den beiden noch nicht ganz den Rücken zugedreht, als Helene wieder nach Lucas Hand griff, um sie gefühlvoll zu umschließen. Wie froh ist sie daraufhin gewesen, als er diese Berührung zuließ. Innerlich wusste sie genau, was seine Blicke Jasmin gegenüber bedeuteten. Auch jetzt fixierte er die Frauen. Helene wurde unruhig. Sie überlegte angestrengt, wollte gerade etwas sagen, doch Lucas Worte kamen ihr zuvor.

„Warum hast du behauptet, wir wären verheiratet?“

Verdutzt, gleichzeitig erschrocken über diese Aussage ließ sie seine Hand wieder los. „Ich, ich habe mich versprochen!“, versuchte sie glaubhaft zu vermitteln. Innerlich kochte Helene vor Wut. Warum interessierten sich immer die attraktiven, erfolgreichen Männer für andere. Sie war doch hübsch, klug. Bald erfolgreiche Anwältin, doch die Männer? Wenn es für sie ernst wurde, endete alles in einem Desaster. Niedergeschlagen erkannte sie abermals, dass sie einem Mann verfallen war, eine Zukunft mit ihm plante, sogar schon Gardinen für eine gemeinsame Wohnung gedanklich kaufte, die noch unter ferner liefen zu betrachten war.

Lucas erkannte Helenes Kränkung. Er mochte sie. Sie war so etwas wie eine kleine Schwester, eine Freundin für ihn, mehr konnte er sich einfach nicht vorstellen.

„Entschuldige, aber verheiratet? … Wie utopisch ist das denn bitte?“, versuchte Helene einer Eskalation auszuweichen. Ihr Lächeln wirkte jetzt aufgesetzt.

Eindringlich, forschend blickte er in ihr Gesicht. „Ja sicher utopisch. Wenn ich zu forsch war, entschuldige ich mich hiermit.“

„Schon gut. Ist einfach nicht dein Tag“, sprach sie, tat belanglos.

Lucas indes war überglücklich. Innerlich strahlte er. Er wusste jetzt, wo er die junge Frau wiederfinden wird, kannte endlich ihren Namen.

Jasmin und ihre Kollegin Katrin, die alle nur Cat nannten, betraten indes ihre Station.

„Ach Cat, ich habe mich gerade zum Narren gemacht. Hast du gesehen, wie mich Herr Berger angestarrt hat?“

Cat schmunzelte, blieb jedoch stumm.

„Ich bin einfach naiv zu denken, ich müsste mich vorstellen. Ihm erklären, dass ich einer der Ersthelfer vor Ort war. Es ist schließlich meine Pflicht Menschen in Not zu helfen. Ich komme mir so dumm vor. Ich wollte keinen Dank von ihm. Es hat mich überwältigt. Zudem war ich einfach nur froh, dass es ihm besser geht und er schon entlassen wurde. … War ich zu aufdringlich?“

„Quatsch. Wie kommst du darauf?“

„Wie wohl? Ich hätte ihn nie ansprechen dürfen.“

„Ist doch alles gut. Das verstehe ich nicht. Warum regst du dich auf?“

„Na, hast du ihn etwa nicht erkannt? Dieser Mann, Herr Lucas Berger sitzt im Landtag.“

„Ja und?“

„Er ist ein Politiker.“

„Ach und deshalb ist er kein Mensch, wie jeder von uns. Sondern etwas Besonderes?“

„Ja.“

„Mensch wach auf! Menschen haben ihn gewählt. Deshalb kam er dorthin, wo er jetzt ist. Du musst aufhören dich vor solchen Leuten klein zu machen! Schließlich sind sie nichts Besseres.“

„Ich weiß nicht. Wenn er sich jetzt wegen meiner Aufdringlichkeit bei unserer Klinikleitung beschwert. Dieser Mensch hat doch gewaltigen Einfluss.“

„Du spinnst. Warum sollte er das tun? Du hast ihn gerettet. Wach auf!“

„Aber das ist doch…“

„Nichts aber! Dieser komische Kauz, der wie angewurzelt vor dir stand, sah ehrlich gesagt wie ein verliebter Trottel aus und nicht wie ein standfester Politiker.“ Jetzt lachte Cat laut.

Jasmins ernstes Gesicht wich einem Lächeln. „Ja, da hast du recht. Ich denke, diese Helene ist die Richtige für ihn.“

„Nicht Helene. Du hast es ihm angetan. Du.“

Beide blieben stehen, blickten sich an.

„Ich?“

„Na, steht noch jemand neben dir?“

Verblüfft, innerlich zweifelnd wirkte Jasmins Blick in dieser Sekunde. „Meinst du das ernst?“

Cat lachte noch einmal laut, hakte sich freudestrahlend bei ihrer Freundin ein. „Komm, blindes Aschenputtel! Wir gehen wieder an die Arbeit.“

Jasmins Gesichtsfarbe wurde vor Verlegenheit rot. Sie sprach jedoch kein weiteres Wort.

Nachdem ihre Spätschicht beendet war, folgte ein freier Tag. Die Begegnung mit einem Politiker hatte Eindruck bei ihr hinterlassen, obgleich die Behauptung von Cat vorrangig durch ihren Kopf schwirrte. Sie versuchte diese Gedanken zu verdrängen, den Politiker zu vergessen. Doch es gelang ihr einfach nicht. Wie auch, schließlich standen mal wieder Wahlen an und sein Gesicht zierte nicht nur viele Zeitschriften, auch in der Stadt begegnete ihr andauernd das Gesicht des Mannes auf unzähligen Wahlplakaten.

In ihrem Kopf durchlebte sie diese Begegnung mehrere Male. Das Wort verliebt, ließ ihr einfach keine Ruhe. Diesen Moment während er ihr in die Augen sah … War das etwas, was ihr zeigen sollte, dass er Gefallen an ihr fand? War er wirklich in sie verliebt? Er kannte sie doch nicht, hatte sie erst bemerkt, nachdem sie ihn höflich ansprach. Er war ein Unfallopfer, bei dem sie zufällig die Ersthilfe vornahm, ihn ins Krankenhaus begleitete. Mehr nicht. Er konnte sie keinesfalls wahrgenommen haben. Oder etwa doch? Letztendlich kam sie zu dem Schluss, dass sich ihre Freundin geirrt hatte. Schließlich sah Cat in fast allen Blicken, die ihr wildfremde Männer zuwarfen, Liebesbekundungen.

Drei Nachtschichten folgten. Wie immer war sie allein auf der Station. Der permanente Mangel an Pflegekräften ist in dieser Klinik allgegenwärtig gewesen. Und die flüchtige Begegnung mit Lucas war aus ihren Gedanken verschwunden.

Die dritte Nachtschicht begann. Die Patienten schienen ohne Komplikationen die Nacht zu verbringen. Sie saß im Stationszimmer, es war drei Uhr morgens, las ein Buch, als ein lautes Türknallen Jasmin aufschrecken ließ.

Abrupt stand sie auf, ging schnellen Schrittes, betrat den Flur der Station. Keine Menschenseele, alles schien leer. Langsam schritt sie den Gang ab. Vorsichtig öffnete sie leise jede der Patiententüren, doch alles war ruhig. Niemand schien aufgewacht. Eigenartig kam ihr diese Situation vor. Die Station wirkte ruhig, lautlos. Zu ruhig in ihren Augen.

Ein Knall, direkt hinter ihr, der eindeutig das Zuschlagen einer Tür gewesen sein musste. Ihr ganzer Körper zuckte zusammen. Sie drehte sich um, erschrak von Neuem. Ein nebelhaftes schwarzes Knäuel, fast halb so hoch wie der Flur. Unwirklich schien dieses Gebilde zu schweben. Als ob dieses Ding sie beobachtete. Jasmin merkte regelrecht wie Gänsehaut ihren Körper erfasste. Langsam erkannte sie die Form eines schwarzen Hundes. Dieser eilte direkt auf sie zu. Panisch versuchte sie zu fliehen. Doch bewegen konnte sie sich nicht.

Jasmin wollte schreien. Kein Wort glitt über ihre Lippen. Ohne Unterlass kam dieses Gefühl über sie. Angstschweiß kam derart übereilt in ihr auf. Ein lauter, dumpf klingender Ton, hallte in ihren Ohren, der Schlag ihres Herzens. Sie wollte schlucken, sie konnte nicht. Das Gebilde, das jetzt eindeutig ein bösartig blickender Hund gewesen war, eilte rasend schnell auf ihre Person zu. Krampfhaft schloss sie ihre Augen, kniff sie förmlich zusammen. Die einzige Regung ihres Körpers. Wind, der plötzlich eiskalt an ihr vorbeihuschte. Dann wurde es wider erwartend warm um sie herum. Stille trat ein.

Als Erstes gelang es ihr, zu schlucken. Vorsichtig öffnete sie ihre Augen. Ihr Herz schlug immer noch wild in ihrer Brust. Doch mit großer Erleichterung stellte sie fest, dass der furchteinflößende Hund verschwunden war.

Noch taumelnd, benommen vor Angst lehnte sie sich an die nächste Wand. Ihr Herz verlangsamte endlich seinen rasenden Schlag und wenige Sekunden später war sie endlich in der Lage weiter zu gehen.

„Ich fange eindeutig an zu spinnen. Zu viele Nachtschichten, zu viel allein, zu viele gruselige Bücher.“ Jasmin dachte den Schreck überwunden zu haben, als sie plötzlich von hinten an der Schulter berührt wurde. Sofort kehrte das Unbehagen in ihr zurück. Und obwohl die Gänsehaut ihren Körper erneut einnahm, war sie dieses Mal in der Lage sich zu bewegen, sich schnell umzudrehen. Der Patient aus Zimmer sechs stand vor ihr. Sie hatte ihn zuvor weder gesehen noch gehört. Erst jetzt spürte sie die eisige Kälte, die ihn umgab.

„Schwester Jasmin. Haben sie auch den schwarzen Hund gesehen, der gerade in meinem Zimmer gewesen ist?“, fragte dieser mit zitternder Stimme vorsichtig. Eindeutig hatte der Patient Angst. Er war schon weit über achtzig, litt an fortgeschrittener Demenz. Sein Gesicht wirkte aschfahl und das Zittern seines Körpers verstärkte sich vehement.

Jasmin bewegte sich kurz. Irgendwie versuchte sie damit, die Gänsehaut von ihrem eigenen Körper zu verbannen. „Aber Herr Hartmann, was bitte schön soll denn ein Hund im Krankenhaus? Bitte gehen sie in ihr Bett. Ich begleite sie.“, versuchte sie so behutsam wie möglich zu sprechen. „Er hatte also auch diesen Hund gesehen. Dennoch, in diesem Stadium der Krankheit sieht man Einiges, was gar nicht existiert. Vielleicht bin ich auch …?“ Schnell verwarf sie diese Gedanken.

Nachdem sie den Patienten an die Hand nahm, erschrak sie noch einmal, denn er war eindeutig unterkühlt. „Herr Hartmann, ich muss sie jetzt schleunigst ins Bett bringen. Kommen sie bitte!“

Zurück im Krankenzimmer huschten beide Augenpaare im Raum umher. Nachdem keiner etwas Ungewöhnliches, oder gar einen Hund erblickt hatte, merkte man förmlich wie entspannt die Situation wurde. Herr Hartmann hatte sofort wieder andere Gedanken. Er sprach von seinen Kindern, glaubte in Jasmin eine seiner Töchter zu erkennen und plauderte freudestrahlend über alte Zeiten mit ihr.

„Er muss ein lustiger Mensch gewesen sein?“, dachte sie, als sie ihn mit der Bettdecke zudeckte. Gedanklich rief sie sich die Tabletteneinnahmen des Patienten auf. Sie strich vorsichtig über seine Hand, die mittlerweile warm gewesen war. Fühlte behutsam seinen Puls, strich über seine Stirn. „Eigenartig, alles normal.“ Jasmin lächelte ihn mitfühlend an. „Bitte versuchen sie zu schlafen! Der Tag bricht bald an.“

„Wer sind sie? Was wollen sie an meinem Bett!“ Er wirkte auf einmal aufgebracht.

Jasmin hingegen holte tief Luft, bevor sie ruhig zu sprechen begann. „Herr Hartmann, sie sind im Krankenhaus. Ich bin Schwester Jasmin. Schlafen sie etwas! Nach dieser Nacht können sie wieder nach Hause.“

„Nach Hause.“ Er lächelte. „Ist gut. Ich schlafe jetzt, dann darf ich nach Hause.“

Vorsichtig strich Jasmin erneut über seine Stirn, war gleichzeitig froh, ihn sofort mit diesem Satz beruhigt zu haben. Er lächelte abermals, drehte sich auf die Seite, sein Blick von ihr abgewandt und schloss gleich darauf die Augen.

Auch Jasmin lächelte mild. Der Patient tat ihr leid. Instinktiv stellte sie sich innerlich die Frage. „Was würde wohl ihre Zukunft vorsehen, vorbereitet haben?“ Eine kurze Zeit verstrich, in der sie gebannt an seinem Bett stand, ihn beobachtete, während er zu schlafen schien. Gerade beschloss sie zu gehen, als sich der Patient in einer abrupten Bewegung erneut umdrehte, ihren Arm packte und mit weit aufgerissenen Augen seiner tiefen Stimme Ausdruck verlieh. Zischelnd, warnend sprach er. „Jasmin, das Herz einer anderen. Lotus, Tränen und Schmerz. Verbunden für immer. Flieg, kleiner Schmetterling flieh!“, dann lächelte er wieder, wandte seinen Körper abermals ab und schlief sofort ein.

Jasmins Herz raste erneut, ihre Haltung war sehr steif. Ihre Augen hatte sie immer noch starrend auf Herrn Hartmann gerichtet. Ihr schmerzendes Handgelenk als Beweis der Wahrheit, keine Einbildung, unmöglich. Vorsichtig berührte sie es. „Ah…“, wich der flüsternde Schmerzenslaut über ihre Lippen.

Verwirrt, ängstlich konnte sie nur langsam aus dieser angespannten Haltung ausbrechen. Ihr Herzschlag dröhnte erneut vor Aufregung in ihren Ohren. Langsam verließ sie das Patientenzimmer „Was um alles in der Welt, war das? Ich fange an zu spinnen. Ich darf einfach keine Horrorfilme mehr schauen, geschweige denn derartige Bücher lesen. Sonst ende ich noch wie dieser Patient Herr Hartmann. Armer Mann.“, versuchte Jasmin sich zu beruhigen. Dieses ungute, beunruhigende Gefühl konnte sie dennoch nicht von sich abschütteln.

Im Stationszimmer angekommen, nahm sie eine Tasse, füllte sie mit Kaffee und ließ sich erschöpft auf ihren Stuhl fallen.

„Man, was für eine Nacht“, murmelte sie vor sich hin. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es erst drei Uhr dreißig war. „Oh Gott! Noch so ein Moment und ich wechsle den Job. Ich bin einfach nicht für Nachtschichten geeignet.“

Endlich traf die Frühschicht ein. Die Übergabe im Stationszimmer endete nach knapp zwanzig Minuten. Sie erwähnte den Vorfall mit Herrn Hartmann, vermied dennoch von ihrer unheimlichen Begegnung zu sprechen. Jetzt nachdem die Station belebt, der Tag angebrochen war, hatte sich ihre Meinung gegenüber dem Erlebten ohnehin geändert. Sie beschwichtigte ihre Fantasie mit dem Gedanken, vollkommen übermüdet Dinge gesehen zu haben, die nicht existent sein konnten, sein durften.

Auf dem Heimweg ging sie gedanklich die vergangene Nacht durch. Eigentlich wollte Jasmin abschalten, den neuen Tag genießen. Aber innerlich war sie gefangen in dem Moment der erlebten Angst. Herr Hartmann ließ ihr einfach keine Ruhe. Wieder bemerkte sie Furcht in sich aufsteigen. Ihr Handgelenk, das plötzlich phantomartig zu schmerzen begann. Vorsichtig berührte sie die Stelle, an der man die stark erröteten Abdrücke seiner Hand noch deutlich erkannte. Diese unheimliche Situation, die bereits in der Vergangenheit lag, lief plötzlich wie ein dauernd wiederkehrender Filmabschnitt vor ihrem geistigen Auge ab. Der unsanfte feste Griff. Ihr stark schmerzendes Handgelenk, letzten Endes warnend, unheimlich klingenden Worte. Worte, die sie fortwährend auf dem Nachhauseweg leise zu sich sprach. „Jasmin, das Herz einer anderen. Lotus, Tränen und Schmerz. Verbunden für immer. Flieg, kleiner Schmetterling flieh!“

Was hatte das alles zu bedeuten? Hatte sie sich alles nur eingebildet? War es diese permanente Müdigkeit, die ihre Sinne durcheinanderbrachten? Jasmin wusste es nicht. Kurz dachte sie daran, was ihre beste Freundin und Kollegin sagen würde. Schicksal. Frag nach deinem Schicksal. Wie oft hatte Cat darum gebeten, sie zu einer spirituellen Sitzung zu begleiten. Aber Jasmin empfand diese Wahrsagerei als Humbug und Geldschneiderei. Ihr war bewusst, dass es mehr auf dieser Welt gab, als man bisher beweisen konnte. Doch Vorsehung und dummer Aberglaube an schwarze Hunde, Wahrsagen, Dämonen waren bisher nur dumme Geschichten für sie. Sie zwang ihren Verstand gerade jetzt, diese Erfahrung zu verleugnen. Zwang sich, nichts von alldem zu glauben oder gar als real zu betrachten. Übermüdung, Kurzzeitträume bläute sie als Erklärung ihrem Verstand ein.

Müde und erschöpft kam sie in ihrem kleinen Reich an. Eine anderthalb Zimmer Wohnung, die eine halbe Stunde von ihrem Arbeitsplatz entfernt war. Klein, fein, noch bezahlbar, dachte sie jedes Mal, wenn sie die Wohnungstür aufschloss und Katze Jacky ihr freudig entgegensprang.

Jacky war schon eine alte Katze, die sie von Zuhause mitgenommen hatte. Schneeweiß mit einem dicken schwarzen Fleck, der das rechte Auge wie eine Augenklappe umrahmte. Über zehn Jahre begleitete sie schon ihr Leben.

„Ach Jacky, du hast es gut. Nur schlafen und fressen.“

Zärtlich trug sie ihre Katze in die Küche, machte ihr eine große Dose Katzenfutter auf. Beobachtete sie, während jeder Bissen aufgeregt von ihr heruntergeschluckt wurde.

Jasmins Müdigkeit kehrte zurück. Sie duschte, ging anschließend sofort ins Bett. Noch bevor ihr Bewusstsein in die Traumwelt abglitt, bemerkte sie Jacky, welche schnurrend auf ihr Bett sprang, sich anschmiegte und wohlige Wärme verbreitete.

Den ganzen Tag verschlief sie. Eigentlich stellte Jasmin immer den Wecker auf fünfzehn Uhr. Doch dieses Mal hatte sie vergessen ihn anzustellen. Es war schon einige Minuten nach neunzehn Uhr, als Jasmin munter wurde, da ihre Katze das immer noch leicht schmerzende Handgelenk behutsam abschleckte.

„Ach Jacky, lass mich doch schlafen! Der Wecker hat noch nicht geklingelt. Ich bin so müde. Wenn du wüsstest, was ich in der letzten Nacht durchgemacht habe, würdest du mich schlafen lassen!“, raunte sie leise.

Jacky indes ließ sich nicht beirren und hörte nicht auf.

„Ja, ja schon gut! Wie spät ist es denn?“ Genervt tastete Jasmin mit der Hand nach dem Wecker. Sie erschrak, nachdem sie erkannte, dass der Abend schon angebrochen war. Sofort richtete sie sich auf und blieb am Bettrand sitzen.

„Danke Jacky, Jack. Danke meine kleine Piratenbraut, dass du mich geweckt hast.“

Die Katze setzte sich auf ihren Schoß, legte sich und schnurrte.

„Ach meine Kleine. Wenn ich dich nicht hätte, würde ich mein ganzes Leben verschlafen.“, sagte sie liebevoll zu ihr.

Die Wohnung wirkte auf Jasmin in diesem Moment wie ein Backofen. Sie riss das Fenster auf. Doch statt der erwartend erfrischenden Brise wurde der Raum zuerst vom Straßenlärm durchflutet, bevor ein kühler Windhauch ihr entgegentrat. Die Sonne war schon hinter den Häusern der gegenüberliegenden Straßenseite verschwunden. Eigentlich war die Straße nicht stark befahren, obgleich die aneinandergereihten Autos, direkt vor ihrem Fenster, etwas anderes vermittelten. Ihr fiel die große Baustelle nur ein paar Häuserblocks entfernt ein. Jasmin verdrehte genervt die Augen, wollte dennoch das laue Lüftchen genießen. Sie streckte ihren Körper genussvoll und atmete erwartungsvoll die Luft tief in ihre Lunge, bevor ein kratzender Hustenreiz ihre gute Stimmung niederdrückte, zum Erliegen brachte.

Dieselgestank lag in der Luft. Abermals wurde ihr schmerzlich bewusst, dass sie in einer Stadt lebte und nicht wie früher auf dem Land. Obgleich, Jasmin hatte sich dafür entschieden. Mehr erleben, Leute kennenlernen, flippig sein, anonym und nicht zu gläsern wie auf dem Dorf. Wo jeder, jeden kennt. Weg vom Tratsch, weg vom Klatsch und der Boshaftigkeit mancher Leute. Einfach sorglos das Leben genießen. Ohne beobachtende und beurteilende Blicke auf sich zu spüren.

Als sie gerade einen frischgebrühten Kaffee in ihre Tasse goss, klingelte es an der Tür. Trotz der aufwühlenden Hustenattacke, der innerlichen Aufregung, ausgelöst durch steten Dieselgestank, der einfach nicht aus ihrer Wohnung entweichen wollte, wirkte Jasmin verschlafen. Heftig rieb Jasmin ihre Augen, bevor sie einen Blick durch ihren Türspion wagte, der im ersten Moment nur kleine lilafarbene funkelnde Sterne zum Vorschein brachte, bevor stete Dunkelheit zu erkennen war.

„Cat.“, fluchend wich das Wort aus ihrem Mund. Sie riss die Tür auf. „Muss das sein? Warum hältst du immer den Türspion zu?“

Cat zuckte mit ihren Schultern. „Angewohnheit, denke ich!“

„Dich hätte ich fast vergessen, wenn ich ganz ehrlich bin.“ Eindeutig war ihr anfänglicher Wutausbruch verschwunden und Reue im Wortlaut kam zum Vorschein.

„Das sehe ich“, brachte Cat freudestrahlend heraus. „Entschuldigung angenommen.“ Sie trat ein. „Woher weißt du, dass ich es bin? Könnte doch auch ein Perverser sein.“

„Weil nur du den Türspion zuhältst. Ein Triebtäter ist bestimmt nicht so dumm. Keiner, glaube mir. … Geh ins Wohnzimmer! Ich muss noch duschen.“

„Was hast du? Warum bist du so genervt? Lass dir ruhig Zeit. Hast du eine Flasche Wein, die wir vorher trinken könnten?“

„Bedien dich! Du weißt, wo er steht.“

Cat betrat die Küche. Im selben Moment sprang die Katze laut fauchend vor ihre Füße.

„Jacky du Mistvieh! Du hast mich erschreckt. Lass mich in Ruhe! Ich lasse dich schließlich auch in Ruhe!“

Beide starrten einander an.

„Du verstehst, was ich sage? Habe ich recht?“

Die Katze drehte ihren Kopf etwas zur Seite, begann zu schnurren. Dann drehte sich Jacky um und verschwand erhobenen Hauptes in das kleine Wohnzimmer, kletterte den riesigen Kratzbaum empor und machte es sich nach einem langen, ausgedehnten Gähnen gemütlich. Cat folgte ihr wenig später, setzte sich mit einem Glas Wein in der Hand gegenüber dem Kratzbaum auf die Couch.

„Wie ich sehe, hast du den Wein gefunden“, sprach Jasmin, während sie ihre Haare mit einem großen gelben Handtuch trocknete und sich in einem weißen Bademantel gehüllt, zu ihr auf die Couch setzte.

„Sag mal…? Wie alt ist deine Holzbeinkatze eigentlich?“

„Nenn sie nicht so! Sie heißt Jacky. Verwegen, dennoch sehr lieb und verschmust.“

„Sie ist ein Holzbeinmistvieh!“

„Was hat sie denn dieses Mal getan, dass du schon wieder so überaus abwertend über meine Kleine sprichst?“

„Sie hat mich fast zu Tode erschreckt, als ich deine Küche betrat.“

„Ihr zwei werdet wohl auch nicht mehr warm miteinander?“ Fragte Jasmin, lächelte sanft. „Komm zu Frauchen! Jacky, Jack.“

Die Katze sprang von ihrem Kratzbaum direkt auf ihren Schoß, legte sich darauf, begann sofort zu schnurren. Jasmin indes streichelte ihre Jacky liebevoll.

Cat beobachtete die beiden und nippte an ihrem Glas. „Du brauchst dringend einen Liebhaber. Diese Katze ist kein Mann.“

„Das weiß ich. Sie ist ein liebes Wesen, das ich sehr lieb habe. Diese Katze begleitet mich schon sehr lange, leistet mir Gesellschaft. Verstehst du das?“ Vorsichtig umfasste sie ihre Katze unter den Vorderpfoten. Beide sahen einander an. Jasmin lächelte. Die Katze hatte jetzt eher einen gelangweilten Gesichtsausdruck. Behutsam küsste sie ihre Jacky auf die Stirn.

„Iii… Du solltest dieses mäusejagende Wollknäuel nicht küssen!“

„Warum? Schau doch! Sie liebt es.“

„Wer weiß, welche Krankheiten in ihr schlummern.“

„Du übertreibst. Sie ist kerngesund und außerdem gehe ich regelmäßig zum Tierarzt.“

„Mh…“ Cat überlegte kurz. „Du hast meine Frage nicht beantwortet. Wie alt ist deine Holzbeinkatze?“

Jasmin dachte nach. „So in etwa 10 oder vielleicht doch schon 11 Jahre.“

„Na dann, sollte sie bald den Löffel abgeben.“

„Hör auf, so zu reden! Außerdem heißt sie Jacky. Meine süße kleine Jacky, Jack.“

„Jacky, Jack mit Holzbein.“ Erwiderte Cat und prostete Jasmin mit dem Weinglas zu.

„Ich finde es sehr süß, dass ihre vordere rechte Beinbehaarung rot ist.“

„Wenn du mich fragst…“

„Ja, ja. Dann sieht es so aus, als ob sie zu ihrer Augenklappe noch ein Holzbein hat.“

„Ja und ne Buddel voll Rum. Die mit Holzbein sind immer die Bösen.“ Sprach Cat erneut, prostete ihr zu und trank danach einen großen Schluck.

„Die mit Holzbein?“, fragte Jasmin. Sie war eindeutig etwas beleidigt. „Jacky hat kein Holzbein. Es handelt sich hier auch um ein Lebewesen und nicht um eine erfundene bösartige und hinterlistige Person aus dem Buch „Die Schatzinsel“, von Robert Louis.“

„Sag ich doch, böse. Der schwarze Fleck um ihr Auge bedeutet Tod.“

„Hör bitte auf! Eher vielleicht wie eine Augenklappe. Eine Bedeutung wie verwegen, tapfer. Zum Beispiel: Dieser Schauspieler, der Jack Sparrow in „Fluch der Karibik“ spielte. Verwegen, doch lieb, irgendwie auch lustig, einfühlsam ...“

„Du verwechselst wohl Jack Sparrow mit Jack The Ripper.“ Unterbrach Cat Jasmin.

„Ich find das nicht mehr lustig. Überhaupt nicht. Ich glaube, du solltest keinen Wein mehr trinken! Wie kannst du meine Katze mit einem Serienmörder vergleichen!“, schnaubte Jasmin jetzt wütend.

Gerade wollte sich Cat entschuldigen, denn sie hatte die ganze Sache wirklich übertrieben, da klingelte es erneut an Jasmins Tür.

„Erwartest du noch jemanden?“

„Nein.“ Sprach sie. Beide sahen einander verwundert an.

Jasmin stand auf, ging zur Tür, sah durch ihren Spion.

Blumen waren alles, was sie sah.

„Ja bitte, wer sind sie?“ Kamen die Worte irritiert aus ihrem Mund, als sie die Tür einen Spalt öffnete und vorher akribisch darauf achtete die Kette vorzulegen.

„Sind sie Jasmin Rosenberg?“

„Ja. Wer will das wissen?“

„Ich habe eine Lieferung für sie abzugeben.“

Cat tauchte an ihrer Seite auf. „Mach schon auf!“, eindeutig war sie neugieriger als ihre Freundin.

Jasmin entfernte die Türkette und öffnete.

„Aber ich habe nichts bestellt.“

„Ich soll den nur für sie abgeben.“ Erwiderte er, nachdem er ihr den Strauß entgegenstreckte. „Bezahlt ist er schon.“

„Beeindruckend. Ich wusste es.“, sprach Cat. „Nimm ihn endlich.“

„Wer schickt mir denn Blumen?“

„Nimm ihn!“

„Danke“, Jasmin lächelte den jungen Mann an. „Danke“, und nahm den Strauß entgegen.

„Nichts zu danken. Einen schönen Abend wünsche ich noch.“

„Ihnen auch“, rief sie ihm hinterher, während er schon die Treppenstufen hinunterrannte.

„Von wem ist er denn?“ Cat wirkte aufgeregt. Insgeheim jedoch war sie sich sicher, wer ihrer Freundin einen derart imposanten Strauß zukommen ließ.

Jasmin hingegen stand regungslos da, fixierte den Strauß und wirkte vollends irritiert. „Keine Ahnung.“ Verträumt roch sie an den Blüten.



Tausende von E-Books und Hörbücher

Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.