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Vier Geschichten über Liebe und Lust, Trauer und Frust: Eine reife Frau kann erst nach der Bestattung ihres Ex-Mannes den Zorn verwinden. Ein kontrollsüchtiger Rechtsanwalt verliert nach dem Genuss einer Backware für eine Nacht die Kontrolle. Eine alte Dame mit mörderischem Plan hat ein gesundheitliches Problem (Krimipreis M-V). Und der Tränenfluss einer Physikstudentin versiegt nach einer außergewöhnlichen Begegnung.
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Seitenzahl: 24
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Christiane Schünemann
Ein Koffer voller Tränen
Kurzgeschichten
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Rostock-München-Meer
Und am Morgen erwachte ich
Tanz auf dem Terrazzo
Ein Koffer voller Tränen
Impressum neobooks
Sie war spät dran. Zu spät? Mit Stau auf der Autobahn von Rostock nach Warnemünde hatte sie nicht gerechnet, aber es waren immer noch Urlauber da.
In zehn Minuten würde die Motoryacht Rugard am Neuen Strom ablegen. Sie hatte überlegt, ob sie überhaupt an dieser Fahrt teilnehmen sollte. Sie hatte den letzten von zwölf Plätzen bekommen. Ihre Söhne Hannes und Jost wären sowieso nicht mitgefahren, auch wenn es noch freie Plätze gegeben hätte.
Ihre Wimpern hatte sie heute nicht getuscht, obgleich sie glaubte, nicht weinen zu müssen.
Auf dem Parkplatz neben dem Bahnhof fand sie einen freien Platz. Sie raffte den schwarzen Mantel und die Handtasche aus dem Auto und rannte durch den Bahnhofstunnel zum Neuen Strom.
Die Rugard war noch fest, aber ein Matrose war schon dabei, die Gangway an Land zu ziehen. Er hielt inne, als er sie kommen sah, und half ihr an Bord.
Die drei Reihen auf dem Deck waren besetzt. Sie nickte den Fremden zu, die alle schwarz gekleidet waren. Es gab nur noch einen freien Platz: mittschiffs, mit der Stuhllehne zur Reling. Sie sank keuchend auf den Stuhl, es stach in ihren Seiten.
Ihr gegenüber saß eine junge Frau, die sie unverhohlen musterte. Das war sie also: die Witwe! Gut sah sie aus! Ihr langes blondes Haar hatte sie locker hochgesteckt. Die Witwe und sie taxierten einander wie Boxerinnen vor dem Kampf.
Der Kapitän in blauer Uniform trat aus der Kajüte und begrüßte die Anwesenden mit gesenkter Stimme. Er erklärte den Ablauf der Fahrt und der Zeremonie. Ungefähr fünfundzwanzig Minuten würde es dauern, bis die Rugard die Position erreicht hätte. Es war Windstärke vier, in Böen fünf. Der Steuermann würde versuchen, das Schiff trotz Wellengangs auf der Position zu halten. Wem es während der Fahrt zu kalt oder zu nass sei, könne in die Kajüte hinter ihm gehen. Darin waren zwei Lederbänke und ein Tisch. An einem Rahmen hing ein kleiner Holzkasten, darin steckten Kotztüten.
Es war kühl, obwohl es erst Mitte September war. Die Sonne schien, aber erste Wolken zogen auf.
Sie zog ihren Mantel an. Den Mantel hatte sie längst in die Kleidersammlung geben wollen, aber sie war in einem Alter, in dem man immer öfter einen schwarzen Mantel brauchte.
Die Rugard legte ab und fuhr durch den Neuen Strom. Von Land aus betrachtet sahen die zwölf schwarzen Gestalten an Bord vermutlich aus, als sei eine Schar Krähen auf das Deck geknallt.