Ein makabrer Fund im Paradies - Hans Schaub - E-Book

Ein makabrer Fund im Paradies E-Book

Hans Schaub

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein makabrer Fund in der neuen Wohnüberbauung im "Paradies" verunsichert die bislang wenigen Bewohner. Was und wo gefunden wurde, wirft Fragen auf und ruft nach Erklärungen. Wachmeister Heierle, Chef vor Ort, vertraut auf seine langjährigen Erfahrungen und seine Spürnase. Sein Verdacht und die Spur, der er folgt, werden nicht von all seinen Kollegen geteilt. Er wird auf ein Abstellgleis gestellt; ein Kollege leitet die Untersuchungen. Bis ein tödlicher Vorfall im Umfeld der in den Fall involvierten die Spur von Wachtmeister Heierle wieder heiß werden lässt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 183

Veröffentlichungsjahr: 2018

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Ein makabrer Fund im Paradies

Hans Schaub

Ein makabrerFund im Paradies

Kriminalroman

© 2018 Hans Schaub

Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7469-8591-6

Hardcover:

978-3-7469-8592-3

e-Book:

978-3-7469-8593-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Und sie bewegt sich doch.

Der standhafte Galileo Galiliei

1.Auflage 2018

Vorwort

Wachtmeister Heierle ermittelte bereits in meinem letzten Kriminalroman, Bigler und der Franzose.

Nur wenige Jahre vor seiner Pensionierung verhalf ihm ein personeller Engpass bei der Kriminalpolizei zum Karrieresprung. Dennoch lässt ihn der Frust über die späte Beförderung nicht los. Die offensichtliche Überlegenheit seiner jüngeren Kolleginnen und Kollegen im digitalisierten Umfeld versucht er durch sein Wissen und die langjährige Erfahrung in der Polizeiarbeit wettzumachen. Dabei vertraut er seinem Bauchgefühl, das ihm schon oft bei der Aufklärung des jeweiligen Falles geholfen hat.

Im Fall Bigler und der Franzose waren die Fährten derart verzwickt gelegt, dass er am Ende scheiterte und die Indizien, die quasi vor seinen Füssen lagen, nicht interpretieren konnte.

Im neuen Fall, dem eines makabren Fundes in der Neubausiedlung Im Paradies, glaubt er bereits auf der Fahrt zum Tatort entscheidende Fakten zu erkennen, die ihn auf eine heiße Spur lenken.

Der Fund

Auf dem Steg aus behelfsmäßig ausgelegten Brettern, die den erdigen Grund bedeckten, begegnete Frau Böhm dem Erstmieter der Überbauung, Luigi Nardo. „Und, wie haben Sie sich eingelebt, ist alles in Ordnung in Ihrer Wohnung?“

„Abgesehen von einem kleinen Problem im Bad, das sich bis heute nicht, wie gehofft, von selbst erledigt hat, ist alles bestens.“

„Was stört Sie, wie kann ich Ihnen helfen?“

„Das Wasser in der Dusche läuft nur langsam ab. Immer wieder muss man während des Duschens unterbrechen, sonst läuft die Wanne über. Ist das Wasser weg, stinkt es aus dem Ablauf. Mit Raumspray überdecken wir den strengen Geruch, der aus dem Abfluss steigt. Ich vermute, dass mit dem Siphon etwas nicht stimmt.“

Frau Böhm hob ihre Stimme, sodass das Paar, das sie zu einer Wohnungsbesichtigung begleitete, sie hören konnte.

„Es ist der Immogiardino AG ein wichtiges Anliegen, ihre Mieter zufriedenzustellen. Ich werde die zuständige Haustechnik informieren. Die Kurer GmbH wird sich bei Ihnen melden und mit Ihnen einen Termin für die Behebung des Problems vereinbaren. Wenn sonst nichts ist, wünsche ich Ihnen einen schönen Tag.“

Sie führte ihre Begleitung über die Planken zu einem der sechs Wohnblöcke mit lauter leerstehenden Wohnungen. Als Zuständige für die Vermietung oder den Verkauf der Einheiten hatte sie einen schweren Stand. Noch sah die Umgebung alles andere als wohnlich aus. Hohe Hügel aus ausgehobener Erde warteten darauf, zwischen den Mehrfamilienhäusern verteilt zu werden. Der Gesellschaft, die die Überbauung geplant und gebaut hatte, war es noch nicht gelungen, einen Gartenbauer für die Umgebungsgestaltung zu beauftragen. Keiner fand sich bereit, zu den angebotenen Konditionen tätig zu werden.

Luigi und Denise Nardo hatten eine neue Wohnung in der Nähe von Luigis Arbeitsstelle gesucht. In wenigen Wochen erwarteten sie ihr erstes Kind. Zwar fanden sie die Lage der neuen Siedlung nicht optimal, das Angebot, während der ersten drei Monate mietfrei wohnen zu können, hatte ihrer Entscheidung jedoch nachgeholfen.

Frau Böhm, deren Büro in einem Container neben der Zufahrt zur Tiefgarage untergebracht war, langweilte sich täglich. Nur wenige Leute zeigten Interesse an der unattraktiv erscheinenden Siedlung. Der Landwirt, dem das Grundstück daneben gehörte, hatte dem Immobilienunternehmen nicht erlaubt, auf seinem Grund und Boden eine überdimensionale Werbetafel für die Wohnungen aufzustellen. „Ihr habt mein Land vor dem Bau nicht kaufen wollen und nun soll ich euch bei der Vermarktung des Schandortes unterstützen“, hatte er Herrn Langenegger, dem CEO der Immogiardino, ins Gesicht geschrien. Selbst die zwei Tausender, die dieser ihm angeboten hatte, hatten ihn nicht von seiner Haltung abbringen können.

Die Wohnblöcke mit jeweils zwölf Wohnungen bildeten für das kleine Dorf Biswil ein neues Quartier. Belustigt von dem fantasielosen Namen Im Paradies, mit dem die Marketingabteilung die Überbauung bewarb, spotteten die Einheimischen über den Fremdkörper in ihrem ländlichen Ort. Am Stammtisch im Sternen hatten die regelmäßig einkehrenden Gäste darüber debattiert. Zwischen Bahnlinie und Kantonsstraße eingeklemmt, erinnerte das Grundstück keineswegs an paradiesische Zustände. Am Ende des Tages war es der alte, mitten auf dem Gelände stehende, halb dürre Apfelbaum, den man mit etwas Fantasie mit dem Paradies in Verbindung hätte bringen können. Der zweiundachtzigjährige ehemalige Gemeindeammann Gottfried, der nichts vom allgemeinen Rauchverbot hielt und nie von seinen Villiger Stumpen lassen konnte, lachte verschmitzt und meinte, mit einem Apfel von diesem Baum hätte sich Adam wohl kaum verführen lassen.

Anlässlich der Übergabe der Wohnung forderte Frau Böhm die Nardos auf, von ihnen festgestellte Baumängel umgehend zu melden. Es sei ihr ein besonderes Anliegen, rasch über versteckte Mängel informiert zu werden, um diese umgehend beheben zu können. Denise blieb beim Rundgang durch die Wohnung hinter ihr und bewunderte ihre langen, schlanken Beine und die Schuhe mit den hohen Bleistiftabsätzen. Im Kinderzimmer wies Frau Böhm auf den Boden und wandte sich an die werdende Mutter. „Der ist mit Korkplatten belegt. Ein Naturstoff, warm und weich, empfindlich gegen spitze Gegenstände.“

„Sie meinen zum Beispiel Schuhe mit Bleistiftabsätzen?“, erkundigte sich Denise.

„Genau, doch mit solchen werden Sie wohl kaum ins Kinderzimmer gehen.“

„Nein, ich nicht.“

Doch Frau Böhm überhörte es.

Einige Tage nach der Begegnung mit der Verwalterin meldete sich der Disponent der Kurer GmbH und vereinbarte mit Luigi, am folgenden Freitagnachmittag einen Monteur vorbeizuschicken. Luigi wollte zu Hause sein, wenn der Handwerker in seiner Wohnung hantierte, und nahm an seiner Arbeitsstelle frei.

„Tatsächlich, da stimmt etwas nicht, ist Ihnen etwas in den Ablauf gefallen? Ein Waschlappen, eine Seife oder sonst was?“, fragte der junge Installateur.

„Wie kommen Sie auf so was, das Ablaufgitter ist derart engmaschig, da würde unmöglich etwas durchpassen, das groß genug wäre, um den Ablauf zu blockieren.“

Mit einem spachtelartigen Werkzeug zog der Handwerker das Feingitter heraus. Öffnete nochmals den Wasserhahn und musste feststellen, dass weiterhin nur wenig Wasser abfloss. „In Parterrewohnungen liegt der Siphon tiefer als in den darüberliegenden Wohnungen“, erinnerte er sich. „Ich muss ein wenig improvisieren, um in der Tiefe stochern zu können.“

Aus seinem Firmenwagen holte er ein Stück Draht, den er zu einem langen Haken zurechtbog.

„Da ist was Weiches, ich spüre es.“ Er stocherte mit dem improvisierten Werkzeug und versuchte das Ding, das sich verklemmt hatte, hochzuziehen. Ein Strahlen in seinem Gesicht signalisierte, dass er Erfolg zu haben glaubte. Langsam drückte er gegen das unbekannte Objekt und zog gleichzeitig mit einer Drehbewegung am Draht. Plötzlich ein Flutschen, das Wasser floss ab und das Ende des Hakens knallte ihm ins Gesicht.

Wie elektrisiert, warf er das klebrige, stinkende Etwas auf den Boden der Duschkabine. Fast gleichzeitig mit der Erkenntnis, was er da aus dem Ablauf gefischt hatte, rebellierte sein Magen. Es gelang ihm, den Deckel der Toilette anzuheben, und er übergab sich heftig.

Luigi, der während der Prozedur zugeschaut hatte, betrachtete das schlabbrige Ding näher. Ein menschliches Ohr, zweifellos. Dem Gestank nach, der davon ausströmte, musste es aus Fleisch und Blut sein. Keines aus Plastik oder Gummi aus einem Geschäft für Gruselartikel. Das Ohr eines Menschen, das Ohr einer erwachsenen Person.

„Das muss ich melden“, stotterte der nun bleichgesichtige, sich am Rand des Waschtisches haltende junge Mann. Sein Gesicht hatte er nach dem Erbrechen mit warmem Wasser gewaschen und mit einem von Luigi gereichten Handtuch getrocknet.

Inzwischen war Denise hinzugetreten und hatte die verstörten Männer vorgefunden. Dass es sich bei dem Fundstück um ein menschliches Ohr handelte, konnte sie bestätigen. Als Pflegeassistentin in der Notaufnahme des Bezirksspitals erschrak sie wegen eines abgetrennten Körperteils nicht so leicht.

„Woher kommt das Ohr?“, stellte sie als Erste die entscheidende Frage.

„Ich weiß nur eines, das aber sicher: Es wird Scherereien geben“, murmelte Luigi. „Es muss von jemandem entsorgt worden sein, der vor unserem Einzug Zugang zu dieser Wohnung hatte.“

Der Monteur gab in seiner Firma Bescheid. Erzählte, was er entdeckt hatte. Den Anordnungen seines Chefs folgend, rief er die 117 an und berichtete von seinem Fund. Denise zog ihren Mann in die Küche. „Kannst du dir vorstellen, was nun geschehen wird? Fremde Leute werden unsere Wohnung betreten, sie werden uns in die Zange nehmen, alles wird durchsucht werden. Wir können froh sein, wenn wir die Wohnung nicht verlassen müssen.“

Doch Luigi schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht, dass es so kommen wird. Es ist doch offensichtlich, dass wir damit nichts zu tun haben. Die nehmen das Ohr und untersuchen es in einem Labor.“

Von draußen hörte man die Sirene eines Streifenwagens. Zwei Beamte läuteten an der Wohnungstür und verlangten Zutritt.

„Kübler, mein Kollege Sandmeier, haben Sie Meldung erstattet?“

„Ich war es“, rief der Handwerker aus dem Bad.

In ihren schweren Stiefeln schritten sie durch den Flur, an dessen Ende sich das Bad befand.

„Name.“

„Michel Schober von der Sanitärfirma Kurer GmbH.“

„Berichten Sie möglichst ausführlich und präzise, was hier vorgefallen ist.“

Schober, der sich von seinem Schreck erholt hatte, wurde sich seiner Rolle als Finder des makabren Teils bewusst und verstand sich fortan als der Entdecker eines mysteriösen Geschehnisses.

„Mein Chef, Herr Kurer, hat mich beauftragt, herauszufinden, weshalb in der Dusche das Wasser nicht wie üblich abläuft. Dass irgendein Gegenstand im Siphon die Ursache war, war mir klar. Mit einem aus Draht hergestellten Werkzeug gelang es mir, das Ding aus dem Abfluss zu ziehen. Sie sehen ja, um was es sich handelt.“

Kübler beugte sich vor und betrachtete das in der Duschwanne liegende Objekt, dann wandte er sich an Luigi.

„Tatsächlich, ein abgetrenntes, menschliches Ohr, so etwas habe ich noch nie gesehen. Herr Nardo, haben Sie dafür eine Erklärung?“

„Nein, mir ist lediglich aufgefallen, dass das Wasser langsam ablief, seit wir die Wohnung bezogen hatten.“

Kübler, der sich inzwischen wiederaufgerichtet hatte, rief Sandmeier zu sich. „Wir lassen das Ohr, wo es liegt, keine Berührung, wir könnten Spuren vernichten. Du rufst Heierle an und erstattest ihm Bericht. Er soll sich um diese Angelegenheit kümmern und entscheiden, wie wir weiter vorzugehen haben.“

„Genau so was habe ich erwartet“, schnauzte Wachtmeister Heierle seinen Untergebenen durch das Funkgerät an. „Es ist Freitag, gegen Abend. In der Trattoria habe ich auf sieben Uhr einen Tisch für zwei Personen reserviert. Wegen dieses Scheißberufs musste meine Frau schon auf vieles verzichten. Aber dass es ausgerechnet ihr Geburtstagsessen sein muss. Ein abgeschnittenes Ohr verdirbt mir den Appetit und bringt mich um den verdienten Feierabend. Wie heißt der Mieter, bei dem das Objekt gefunden wurde?“

„Luigi Nardo, wohnt seit etwa einem Monat als erster Mieter in der Überbauung.“

Heierle stutzte. „Moment, ein abgeschnittenes Ohr bei einem Italiener, das könnte etwas Ernstes sein. Ich biete das ganze Rösslispiel auf. Lasst den Italiener nicht laufen. Ende.“

Dann rief er seine Kollegin: „Dolores, wir müssen raus, auch dein Feierabend wird verschoben.“

Mit Blaulicht rasten sie ins Wynental. Während Dolores sich im dichten Feierabendverkehr voll auf die Straße konzentrierte, kam Heierle zur Sache.

„Folgendes ist vorgefallen, im Abfluss der Dusche des Mieters Luigi Nardo wurde ein menschliches Ohr gefunden. Ich kombiniere: Ohren abschneiden ist eine Strafe und für den, der das Ding erhält, eine Warnung vonseiten der Mafia. Der Name Nardo weist auf Italiener hin. Diese Sachlage lässt bei mir den erheblichen Verdacht aufkommen, dass wir es hier mit einem Verbrechen zu tun haben, in das eine kriminelle Organisation involviert ist.“

Erstaunt fragte Dolores: „Weshalb fahren wir wegen eines Fundstücks, das nicht wegrennen kann, mit voller Musik durchs Tal? Und nur weil jemand einen südländischen Namen trägt, ist er noch lange kein Mafioso. Es könnte eine ganz andere Erklärung dafür geben, wie das Ohr in den Ablauf gekommen ist. Es ist ja noch nicht einmal geklärt, ob es sich bei dem gefundenen Objekt tatsächlich um eines aus Fleisch und Blut handelt.“

„Deine Vorbehalte gegen meine kriminalistische Begabung, zu kombinieren, wenn andere noch nach der Stecknadel im Heuhaufen suchen, ist mir bekannt“, entgegnete Heierle. „Es gibt Kriminalisten, die haben diese Talente, andere nicht. Und erfahrene Männer sind euch jungen Frauen in gewissen Dingen voraus, etwas, woran sich wohl nie etwas ändern wird. Oder gönnst du mir den Knüller in der Presse nicht?“

„Chef, ich will dich nur vor voreiligen Schlüssen und einem Rohrkrepierer schützen. Nur weil jemand einen ausländischen Namen trägt, ist er für dich gleich verdächtig. Auf die Gefahr hin, dass du die nächsten Tage einen Groll gegen mich hegst, erinnere ich dich daran, dass auch dein Name auf ausländische Wurzeln hinweist.“

„Das stimmt sogar, mein Großvater kam als Zuckerbäcker aus dem Badischen in die Schweiz. Die von dort sind Alemannen, genau wie die Deutschschweizer. Und Alemannen sind arbeitsam, ehrlich und rechtschaffen, anders als die Einwanderer aus Südeuropa. Hast du das begriffen?“

Dolores biss sich auf die Lippe und fragte sich, ob sie Ihm in Erinnerung rufen sollte, dass auch sie ein Kind spanischer Einwanderer war. Doch sie entschied sich dagegen. Hätte sie zugegeben, wie sie über ihn dachte, hätte sie ein Disziplinarverfahren wegen Beleidigung eines Vorgesetzten am Hals gehabt.

Sie parkten neben dem Wagen der Kollegen und folgten Sandmeier, der dem Lärm der Sirene entgegengegangen war, durch den Hauseingang in die Wohnung.

In der Küche saß Denise auf einem Hocker am Tisch und schaute kurz auf, als Dolores hinter dem korpulenten Heierle eintrat. Kübler deutete ein Strammstehen an und begann die Situation zu erläutern. Stellte den Mieter Nardo vor.

„Verstehen Sie Deutsch, Herr Nardo?“, sprach Heierle den verdutzten Luigi an.

„Ich wüsste nicht, in welcher Sprache Sie mich sonst anreden sollten.“

„Ihr Name klingt italienisch.“

„Ja, mein verstorbener Großvater kam aus Italien, er heiratete, genau wie später mein Vater, eine von hier und wurde Schweizer, ich selbst spreche nur ein paar Brocken Italienisch.“

„Wie kommt es, dass Sie ein Ohr in Ihrer Dusche versteckt hatten?“

„Was soll die Frage, wir haben diese Wohnung gemietet und stellten nach dem Einzug fest, dass in der Dusche das Wasser nur langsam ablief. Der Vermieter schickte einen Monteur, der sich um die Sache kümmern sollte. Er fand das Ohr.“

Damit war Heierle nicht zufrieden. „Ihr Bericht scheint mir unvollständig und recht dürftig. Wir nehmen das Ohr mit ins Labor. Die Spurensicherung wird Ihr Badezimmer auf weitere Erklärungen hin untersuchen. Sie halten sich zu unserer Verfügung. Bis auf Weiteres keine Reisen ins Ausland.“

„He, was kann ich dafür, wenn in meiner Mietwohnung so etwas gefunden wird? Etwas, mit dem weder ich noch meine Frau auch nur das Geringste zu tun haben. Ich protestiere gegen diese Behandlung. Suchen Sie denjenigen, der mir das Ei gelegt hat. Ein Spaß ist es sicher nicht.“

„Es bleibt dabei, meine Kollegin wird nun Ihre Personalien aufnehmen. Solange der Spurendienst Ihre Wohnung nicht wieder freigegeben hat, wird nichts verändert.“

Schober durfte mit der Auflage nach Hause, sich am Montagmorgen auf dem Hauptposten in Aarau zu melden.

„Endlich!“, rief Heierle den beiden Frauen der Spurensicherung entgegen, als sie, eine halbe Stunde, nachdem sie benachrichtigt worden waren, in die Wohnung eintraten.

„Nur mit der Ruhe“, entgegnete eine der SpuSi-Frauen, „die Leiche wird wohl nicht wegrennen. Wonach haben wir zu suchen?“

„Bis jetzt gibt es nur ein Ohr, es ist an euch, rauszufinden, wie es in den Ablauf der Dusche gekommen ist. Unsere Aufgabe ist es, den Rest der Leiche zu finden. Hier haben wir genug gesehen. Wir fahren zurück und machen Feierabend.“

Den beiden Streifenbeamten bläute er ein, dass nichts von dem Fund nach außen dringen dürfe, solange dessen Herkunft nicht bekannt sei.

Raum für Raum durchstöberten nun die beiden Spezialistinnen die Wohnung, kehrten jeden Wäschestapel in den Schränken um. Suchten in der Zuckerdose nach weißem Pulver, in Kästen nach verborgenen Schubladen. Nach einer halben Stunde hatten sie gesehen, was es zu sehen gab. Nichts lieferte in irgendeiner Weise einen Hinweis auf die Herkunft des Ohrs. In einer Plastiktüte trugen sie das bisschen Restmensch und ihre Gerätschaften aus dem Haus und verabschiedeten sich mit der Erklärung, dass es keine Einschränkungen zur Nutzung der Räume gebe.

Der Espresso, den Denise ihrem Mann vorsetzte, hob seine Stimmung etwas. Er hatte sich über Heierles Fragen zu seiner Herkunft aufgeregt und ließ sich erst allmählich von seiner Frau beruhigen.

Anders im Sternen. Die mit Blaulicht und Sirene anfahrende Polizei hatte die Aufmerksamkeit und die Neugier geweckt. Drei Polizeifahrzeuge, eines davon ein Kleinbus, da musste etwas geschehen sein, das schwerer als ein Fahrraddiebstahl wog. Einem am Stammtisch war auch das Servicefahrzeug von Sanitär Kurer aufgefallen.

„Dann müsste es der junge Schober gewesen sein, der dort vor Ort war, der wird meist dann eingesetzt, wenn es gilt, den Pfusch seiner Kollegen auszumerzen!“, rief einer laut ins Durcheinander der Diskussion.

Ein anderer nahm den geworfenen Ball auf: „Ich kenne den Schober vom Fußball, seine Handynummer habe ich gespeichert, ich ruf ihn an.“

Nach der kurzen Begrüßung überfiel der Anrufer Schober mit der Frage, was er über den Polizeieinsatz vom späten Nachmittag wisse. „Ja, ja, so weit haben wir es in Biswil gebracht“, setzte er hinzu, „kaum zugezogen, schon muss die Polizei eine Wohnung durchsuchen. Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass die im Paradies vorfahren müssen.“

„Tu nicht so wichtig!“, schrie einer über den Tisch. „Sag, was war.“

„Die haben im Abflussrohr in der Dusche einer Mietwohnung ein abgeschnittenes Ohr gefunden.“ Augenblicklich kehrte Ruhe am Stammtisch ein.

Dem alten Gemeindeamman fiel beinahe der schon lange ausgekühlte Stumpen aus dem Mund. „Ein richtiges Menschenohr, gruselig. Und so was in unserem sauberen Biswil.“

Nun ging es los, jeder hatte etwas zu sagen und sagte es auch. Was geredet wurde, war unwichtig, keiner verstand den andern. Immerhin empfand man es als Genugtuung, etwas zum Fall beigetragen zu haben. Beinahe ging es zu wie bei einer Debatte im Bundesparlament, je inhaltloser die Reden der Parlamentarier, umso lauter brüllen sie.

Gäste an anderen Tischen wollten wissen, um was hier so laut gestritten werde. Es gehe darum, wie ein menschliches Ohr in den Abfluss einer Dusche kommen könne, gab der am nächsten Sitzende zur Antwort. Da habe eben jeder seine eigene Vorstellung.

Noch vor dem Abendessen wusste jeder im Dorf, was im Paradies gefunden worden war.

Heierle rang mit sich, ob er den Fund der Bundespolizei melden sollte. Immerhin sagte ihm sein Bauchgefühl, dass es sich hier um ein Delikt im Umfeld des organisierten Verbrechens handeln könnte. Mit Fakten erhärten konnte er diese Vermutung allerdings nicht. Daher schien es ihm richtig, bis Montag zu warten, vor allem aber wollte er seine Frau nicht enttäuschen. Mit den Worten: „Der Rapport und alle weiteren Maßnahmen haben Zeit bis Montag“, entließ er Dolores ins Wochenende.

Nach diesem erlebnisreichen Tag legte sich Schober nach der Nacht-Tagesschau ins Bett. Kaum war er eingeschlafen, rissen ihn die schrillen Töne der Hausglocke aus den Federn. Im Pyjama stieg er die Treppe hinunter. Sachte öffnete er die Haustür und sah sich einer blitzenden Kamera gegenüber. „Wie fühlt man sich, wenn einem ein richtiges Ohr um die Ohren fliegt?“

„Was soll das, wer sind Sie?“, fragte er, geblendet von den Blitzen aus der Dunkelheit.

„Von der Zeitung, ein Leserreporter hat uns von Ihrem Erlebnis heute Nachmittag in der Neubausiedlung berichtet. So etwas enthält alle Ingredienzien für die Titelgeschichte am Sonntag.“

„Ja, ich habe etwas, das wie ein Ohr aussieht, aus dem Abfluss einer Dusche gezogen. Ob es ein echtes menschliches Ohr war oder eines aus Kunststoff oder Gummi, wie es sie als Scherzartikel gibt, kann ich nicht sagen. Der Geruch war jedenfalls scheußlich. Die Polizei hat es zur Untersuchung mitgenommen.“

„Sie meinen damit, dass auch die Polizei noch im Dunkeln tappt, was die Herkunft des Teils angeht.“

„Davon gehe ich aus. Wann die Ergebnisse aus dem Labor vorliegen, das müssen Sie dort erfragen.“

„Wir werden uns morgen nochmals melden und dann ein Foto bei Tag von Ihnen machen.“

„Ich möchte nicht, dass von mir ein Bild in irgendeiner Zeitung erscheint. Bitte akzeptieren Sie meinen Willen, gute Nacht“, erwiderte Schober und schloss die Tür, ohne sich zu verabschieden.

In der einzigen bewohnten Parterrewohnung im Paradies öffnete niemand auf das heftige Läuten. An allen Fenstern waren die Lamellenstoren geschlossen, nur wenn man ganz nahe herantrat, konnte man einen Lichtschimmer aus dem Wohnzimmer erkennen. Auf dem Namensschild am Hauseingang stand der Name des Mieters.

Am Stammtisch im Sternen fanden die Zeitungsleute nur noch einen einsamen, mit glasigen Augen vor sich hin starrenden Gast. Obwohl er von Bier und Schnaps zugedröhnt war, erklärten die beiden Reporter ihn zum aufgeregtesten Bürger des Dorfes. Als einen derjenigen, die sich ängstigten und um ihre eigene Sicherheit fürchteten. Das Foto von ihm an seinem Lieblingsplatz sollte das Titelblatt der morgigen Ausgabe zieren.

Auf der Fahrt in die Redaktion analysierten die beiden Männer alle ihnen soweit bekannten Sachverhalte. Was Fakt, Gerücht und Vermutung war, schien ihnen noch unklar. Sie teilten sich die Aufgaben, denen sie am Samstagmorgen nachzugehen hatten. Ein Meeting mit dem Chefredakteur sollte klären, ob und auf welcher Seite der Zeitung am Sonntag der Bericht erscheinen sollte.

Samstag

Der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung, dem bislang ein Aufhänger für sein Sonntagsblatt fehlte, ergänzte das Team im Fall des Ohrs im Abflussrohr um zwei erfahrene Mitarbeiterinnen. Gründliche Analysen und Recherchen in allen Richtungen sollten einen Überblick über das Geschehen ermöglichen. Weitere Personen in Biswil wurden befragt. Auch brachte ein erneuter Versuch, mit Schober zu reden, Erfolg. Die zweihundert Franken als Aufwandsentschädigung halfen seinen Erinnerungen an den Freitagnachmittag auf die Sprünge. Geduscht und adrett gekämmt, in neuen Jeans und buntem Hemd ließ er ein Foto vor dem Servicefahrzeug der Kurer Sanitär GmbH von sich machen, das seiner Eitelkeit genügte.

Ein Anruf bei Nardos Chef, Bruno Frei, der sich in seinem Wochenendhaus im Tessin befand und noch nicht vom Fund in Nardos Wohnung wusste, brachte keine neuen Erkenntnisse zur Person Nardo. Er sei ein zuverlässiger und treuer Vorarbeiter in seiner Schreinerei, untadelig und allen ein kollegialer Mitarbeiter. Frei weigerte sich, die Namen von Luigis Arbeitskollegen preiszugeben.

Luigi und Denise waren unerreichbar. Im Hinblick auf das zu erwartende Durcheinander waren sie schon am frühen Morgen zu Denise Schwester in die Ostschweiz gefahren.

Sonntag

Die großen Lettern und der nach Antworten schreiende Titel „Wem gehört das Ohr im Ablaufrohr?“ brachten der am Sonntag erscheinenden Zeitung die erhoffte Aufmerksamkeit.