Ein mörderischer Plan - Amelie Blomberg - E-Book

Ein mörderischer Plan E-Book

Amelie Blomberg

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Beschreibung

Commander Hemmings ermittelt Ein London Krimi London 1935. Durch das Verbot des privaten Goldbesitzes in den USA steigt London zum Zentrum des weltweiten Goldhandels auf und lockt mit sagenumwobenen Profiten. Ein toter und ein vermisster Banker, dazu der Absturz des Aktienkurses des Bankhauses A&M haben die britischen Geheimdienste auf den Plan gerufen. Und Commander Hemmings ist ihr bester Agent. Der verbringt seinen wohlverdienten Urlaub in Brighton, als ihn ein Telegramm in die Metropole des MI 6 und MI 5 nach London holt. Commander Hemmings hat aber auch noch eine brisante Vorliebe zu SM-Sex. In einem Roman von Amelie und Hendrik Blomberg darf dieses Detail natürlich nicht fehlen. Ist der vermisste Banker der Drahtzieher bei den stürzenden Börsenkursen? Ist er der Täter? Was treibt einen Banker ins sündige Londoner Nachtleben? Sind ausländische Kräfte im Spiel? Nach und nach kristallisiert sich Ein mörderischer Plan heraus.

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Ein mörderischer Plan

Commander Hemmings ermittelt

Ein London Krimi

Amelie und Hendrik Blomberg

Prolog

Der Himmel hing grau über London und Daniel beeilte sich, endlich nach dem langen Arbeitstag in der Bank, nach Hause zu kommen.

Er liebte seine Arbeit und er liebte seine Bank, die seit Jahrzehnten zu den nobelsten Privatbanken im Londoner Bankenviertel gehörte. Auf seinem Weg hatte er noch fürstlich eingekauft. Dieses Wochenende konnte seine Verlobte zwar nicht kommen, aber er wollte sich etwas Gutes gönnen und hatte sich eine Entenkeule, die er in den Backofen schieben wollte, und einen französischen Weißwein gekauft.

Mit Schwung öffnete er die schwere Eingangstüre zum Haus, die sich knarzend öffnete. Schnell eilte er die Treppen zu seiner kleinen Wohnung hinauf, öffnete die Wohnungstür und knipste das Licht an. Er freute sich darauf, sein Abendessen zuzubereiten und ein Glas Wein zu genießen, denn er wollte seinen Entschluss feiern. Er bereute es, das schnelle Geld machen zu wollen. Er deponierte die Flasche auf den Tisch, ein Erbstück seiner Großmutter, und erstarrte.

Auf seinem bequemen Lehnstuhl in der dunklen Ecke saß regungslos ein schwarz gekleideter Mann, der seine Füße auf seinem wertvollen Tisch abgelegt hatte. Dass er dort saß, hatte nichts mit Daniels Erstarrung zu tun, sondern mehr die große Pistole mit dem ungewöhnlich langen Lauf, die auf seine Brust gerichtet war.

«Was wollen Sie?»

Der Mann schwieg und taxierte sein Opfer. Endlose Minuten verstrichen. Es war unglaublich still, nur die Wanduhr ließ ein leises stetes Ticken hören.

«Um Himmels Willen, was wollen Sie von mir?» Daniel war einer Ohnmacht nahe und merkte, dass er hysterisch wurde. 'Ruhig bleiben, es wird sich alles aufklären! Tief durchatmen! Ruhig bleiben!', sagte er sich.

Mit diesen Gedanken versuchte sich Daniel zu entspannen. Er atmete tief ein und unternahm noch einen Versuch, seinen mysteriösen Besucher zum Reden zu bewegen.

«Bitte sagen Sie mir, warum Sie hier in meiner Wohnung sitzen und mich mit einer Pistole bedrohen? Wie sind Sie überhaupt hier rein gekommen?»

Der Mann schwieg.

«Wenn Sie Geld wollen, dann finden wir eine Lösung. Ich arbeite bei einer Bank.»

«Kein Geld!» Kam es lapidar von dem Mann, dessen Gesicht kaum zu erkennen war.

Daniel wurde es unheimlich.

«Was wollen Sie dann?»

Wieder verstrichen Sekunden, in denen es in Daniels Kopf ratterte. 'Was habe ich getan, um den Zorn eines Menschen auf sich mich ziehen, der wohl bereit war, mich zu töten? Ist er geschickt worden? War das ein Auftragskiller? Hatte es etwas mit meiner Entscheidung zu tun? Aber wie konnten «die» das denn jetzt schon wissen?'

Zu Niemandem hatte er auch nur ein Wort gesagt. Zu ungeheuerlich waren die Pläne seines Chefs und an dem Unglück anderer Menschen wollte er nicht beteiligt werden, auch wenn es um viel Geld, sehr viel Geld, ging. Die kleineren Aktiendeals mit den geklauten Aktien hatte er ohne schlechtes Gewissen getätigt, ein Gefühl als wäre er Robin Hood. Er nahm das Geld eines Reichen und verschenkte es an die Armen. Damit fühlte er sich großartig und die Menschen hatten ihm fast die Füße geküsst. Aber mit dem «Ganz großen Geschäft» bekam er kalte Füße und wollte aussteigen. Als er bemerkt hatte, dass im Hintergrund noch andere, unbekannte und undurchsichtige Männer mitmischten, bekam er Angst. Wollte er doch ein ganz normales Leben führen. Er hatte es seinem Chef vorsichtig angedeutet, dass es vielleicht besser sei, wenn er ihn nicht damit hineinzöge.

«Sind Sie geschickt worden, mich zum Schweigen zu bringen? Ich verspreche: Ich werde zu niemandem ein Wort sagen!»

Angstschweiß brach ihm aus allen Poren und eine kalte Schicht legte sich auf seine Stirn. Mit einem Mal wurde ihm klar, 'Sie lassen nicht mit sich spaßen und wollen mich mundtot machen'. Er dachte an den Brief, den er heute an seine Verlobte abgeschickt hatte. Vielleicht seine Rückversicherung? 'Soll ich andeuten, dass ich eine Information an jemanden geschickt habe? Könnte das meine Rettung sein?'

Der Gedanke machte ihn mutig.

«Haben Sie nicht Lust mit mir zu essen und wir trinken ein Glas Wein miteinander? Und dann reden wir über alles? Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen.»

Der Mann auf dem Sessel regte sich immer noch nicht und Daniel wusste nicht mehr, was er machen sollte.

Er hörte noch ein leises Plopp, bevor er schlagartig das Bewusstsein verlor und auf den Boden geschleudert wurde.

Der Mann stand auf, schlug seinen Mantelkragen hoch und zog den Hut tief ins Gesicht. Er nahm die Aktentasche in die Hand, in die er, als er noch allein gewesen war, alle Unterlagen des kleinen Schreibtisches geworfen hatte und ging an der Leiche vorbei zur Türe. Vorsichtig öffnete er sie einen spaltbreit, schaute, ob er das Treppenhaus für sich hatte und ging dann zügig hinunter.

A&M Bank London Lord John Ashton

John Fitzgerald Ashton, Generaldirektor und Mehrheitsaktionär des Bankhauses Ashton & Mortimer saß an seinem Schreibtisch im vierten Stock seines Bankhauses und starrte auf ein leeres Blatt Papier.

Eine original Bankerlampe mit dem typischen grünen Lampenschirm und dem schweren, verzierten Messingfuß leuchtete auf das Blatt. Es war draußen wieder einer der typischen dunklen, wolkenverhangenen Tage in London.

Der längliche Lampenschirm kam aus einer namhaften Glashütte in Leeds und war noch in alter Tradition in Originalformen mundgeblasen. Zum Ein- und Ausschalten diente ein Zugkettchen aus Messingperlen und die Leuchte war mit dem klassischen Textilkabel versehen.

Sein Schreibtisch aus Mahagoni-Massivholz war mit wunderschönen, geschnitzten Verzierungen ausgestattet, georgianische Epoche und ihm gegenüber hing an der holzvertäfelten Wand das Gemälde einer Seeschlacht zwischen britischen und französischen Segelschiffen.

Ashton hatte sich vorgenommen, heute einen Entwurf für den Geschäftsbericht zur Aktionärsversammlung aufzusetzen. Er wollte es nicht seiner Sekretärin diktieren, da er sicher war, dass er etliche Passagen immer wieder ändern oder umstellen würde.

Er begann zu schreiben:

Zweiundfünfzigster Geschäftsbericht des Bankhauses

Ashton & Mortimer

London

für das Geschäftsjahr 1934

Zweiundfünfzigste ordentliche Generalversammlung der Aktionäre

am Montag, 28nd. Mai 1935

Er strich das Datum wieder durch. Den Termin musste er erst noch genauer absprechen.

Tagesordnung:

1. Geschäftsbericht des Direktoriums, sowie Vorlegung der Bilanz nebst Gewinn- und Verlust-Rechnung.2. Bericht des Supervisory Board über die Prüfung der Bilanz, der Gewinn- und Verlust-Rechnung3. Beschlussfassung über die Genehmigung der Bilanz und die Entlastung des Direktoriums und des Supervisory Boards, sowie über die Verteilung des Reingewinns.4. Wahlen der Aufsichtsratsmitglieder in den Supervisory Board

Direktorium:

• Mr John Ashton, General Director.• Jacob Jack Jefferson, Vice-Direktor, Gold-Trading, • Jules Rosenberger, Vice-Director, A&M Aquiring and Merges, • Charles Sobernheim, Vive-Director, Stock Market and Shares.

Board of Supervisors:

• Lionel Nathan de Rothschild• Amandus de la Roy, Société Générale S.A• Harry Gordon Selfridge• Marcus Samuel, M. Samuels• William Brown, Brown Bros. & Co.• Julius Baer, Bankhaus J.Baer & Co.

Das war die Einleitung und John war damit schon Mal zufrieden. Er strich sich über seine grauen Haare und massierte mit der Hand seinen Nacken. Voller Energie hatte er diese neue Woche mit dem Willen begonnen, diese sich alljährlich wiederholende mehr oder weniger langweilig lästige Arbeit anzugehen. Trotzdem freute er sich auf das Zusammentreffen mit den Aufsichtsräten und der Versammlungstag wurde immer mit einem Festakt in seinem Haus beendet, der damit der eigentliche Höhepunkt des Tages war.

Aber der Bericht ist nun mal Pflicht, sagte er sich und konnte weiterschreiben.

Unter der kraftvollen Wirtschaftsführung der Regierung seiner Majestät, des Königs George V. und der zielbewussten Aufbauarbeit, hat die britische Wirtschaft eine weitere starke Belebung erfahren. Während sich die Maßnahmen im Jahre 1933 zum Teil noch darauf beschränken mussten, die Schäden der Vergangenheit zu heilen, brachte das Jahr 1934 eine Festigung des neu Geschaffenen und dessen planvollem Ausbau. Getragen vom allgemeinen Vertrauen in die Stabilität der Verhältnisse, konnte die im Berichtsjahr vorbereitete Zinssenkung der festverzinslichen Werte im neuen Jahre mit beispiellosem Erfolge durchgeführt werden. Der Aufschwung der Wirtschaft findet in dem weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit, der starken Belebung der Gütererzeugung und der Wiederherstellung der Rentabilität vieler Unternehmungen sichtbaren Ausdruck. Die Zahl der Arbeitslosen, die bereits im Jahre 1933 eine Senkung um etwa ein Drittel erfahren hatte, ging weiter auf zwei Komma sechs Millionen und damit auf etwa 45 Prozent des Standes vom Jahresbeginn 1933 zurück. Der Index der gewerblichen Gütererzeugung, der im Jahre 1932 noch 61,2 betragen hatte, stieg von 69 auf 85,8; er ist damit von der Grundzahl 100 des Jahres 1928 vor dem großen Banken Crash nicht mehr allzu weit entfernt. Die große Depression scheint überwunden zu sein.

Das unter dem fünften Dezember verabschiedete Gesetz der Regierung ihrer Majestät über das Kreditwesen ist für alle Banken von besonderer Bedeutung. Es bestätigt dem Bankgewerbe den Fortbestand der privaten Initiative als der zweckmäßigsten Form für den Aufbau des Bankwesens unter Hervorkehrung der persönlichen Verantwortung der Bankleiter.

Wie das gesamte Bankgewerbe hat Ashton & Mortimer es als seine oberste Pflicht betrachtet, die Anstrengungen der Regierung nach besten Kräften zu unterstützen und den berechtigten Kreditwünschen aller Wirtschaftskreise Rechnung zu tragen.

Ashton war guter Stimmung und seine Formulierungen gefielen ihm.

Trotz der angespannten wirtschaftlichen Situation gelang es der Bank, ihre Bilanz bis 1934 auf 382 Millionen Britische Pfund zu erhöhen. Sie hat jetzt 289 Angestellte. Unser Family Office, das Anlagevermögen ab 5000 Pfund betreut, hat die Zahl der Bankkunden 1934 im Vergleich zum Vorjahr von 1.807 auf 2.183 gesteigert.

Der Bestand an eigenen Wertpapieren ist um etwa 19 Millionen Britische Pfund gestiegen, davon entfallen rund sechs Millionen Pfund auf die Übernahme von Schuldverschreibungen der Regierung. Der Rest des Zuwachses setzt sich aus erstklassigen Wertpapieren zum Zwecke vorübergehender Geldanlage zusammen. Der Bestand an eigenen Aktien beträgt am Bilanzstichtag nominell 12.891.730 Pfund, die mit 68,80 Prozent zu Buche stehen.

In der Gewinn- und Verlust-Rechnung weisen die Erträge des Zinsen-, Devisen-, Wertpapier- und Sortenkontos eine Mehreinnahme von 1,8 Millionen Pfund, die Erträge aus Provisionen und sonstigem eine Steigerung von 550.000 Britischen Pfund.

Die Gewinn- und Verlust-Rechnung schließt mit einem Betriebsgewinn von 14 390 090,79 Pfund ab. Davon haben wir 6.000.000 Pfund zur Stärkung der Rückstellungen, während 8.390.090,79 Pfund verbleiben, die wir zur Auszahlung an unsere Aktionäre vorschlagen. Dies entspricht einer Rendite von zwölf Prozent pro Aktie.

Mehrmals strich John einzelne Passagen und schrieb sie neu.

John ergriff den Hörer seines neuen Telefons auf seinen Schreibtisch und wählte mit der Drehscheibe die Nummer 0. Er war von diesem neuen Gerät begeistert, den Typ Post Office TelephoneNo. 162. Noch letztes Jahr musste er immer mit einem von der Drehscheibe getrennten Mikrofon das Switch Board rufen und die Dame in der Operationszentrale bitten, ihn mit einer externen Nummer zu verbinden.

Seine Sekretärin meldete sich: «Ja, Sir?»

«Barbara. Bringen Sie mir bitte einen Tee.»

«Sofort, Sir. Verzeihung, Mr. Selfridge bittet um einen Rückruf.»

«Ach, der? Was will der denn?»

«Es war seine Sekretärin, Sir.»

«Nun. Jetzt nicht. Ich schreibe gerade am Bericht für die Aktionärsversammlung. Ich möchte nicht gestört werden.»

«Ja. Sir.»

«Ach, Barbara. Sagen Sie Elisabeth, ich benötige für den Bericht noch die Daten von Jeffersons Goldhandel der Trading Abteilung.»

«Sehr wohl, Sir.»

Es dauerte einige Minuten, bis Johns Sekretärin die dampfende, frisch aufgegossene Tasse Tee mit einem kleinen Schuss Milch brachte. John, ganz in Gedanken bei seinem Bericht, wurde mit dem ersten vollmundigen Schluck des würzigen gehaltvollen Aromas in die Welt des Tees zurückgeholt und genoss es. Dieser schwarze Ceylon Blackwood Tee, den er wöchentlich von Fortnum & Mason beziehen ließ, stammte aus Bogowantalwa Valley in der Dimbulla Region im Westen Ceylons. Allein das gleichmäßige, dunkle bis rostbraune Blatt von kurzer, drahtiger Länge ergab die kupferfarbene Tasse, die John so liebte.

Gestärkt wandte er sich wieder seinem Berichtsentwurf zu. Jetzt wurde es einfacher, da er mit nüchternen Zahlen berichten konnte.

Im Geschäftsjahr 1934 wirkte die Bank bei folgenden Geschäften mit:

a) Anleihen:

• Emittieren von vier Britischen Staatsanleihen, • zwei Schatzanweisungen der Bank of England, • Schatzanweisungen der Britischen Admiralität zur Fusion der Reedereien Cunard und WhiteStar, • Schatzanweisungen der Bank of South Africa, Capetown.

Im vergangenen Oktober beteiligten wir uns unter Führung der Chase National Bank bei der Emittierung einer Anleihe über 30 Millionen Dollar mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Sie ist bis jetzt zu 80 Prozent gezeichnet. Dadurch erhält die Bank neue Mittel für Kredite an ihre Kundschaft aus der mittleren Industrie.

b) Börseneinführungen:

Die dem Bankgewerbe obliegenden vielseitigen Aufgaben stellten an die Arbeitsleistung unserer Gefolgschaft große Anforderungen. Wir dürfen mit Genugtuung feststellen, dass sie diesen in vollem Umfange gerecht geworden ist und allein die Aktien der Sussex Electric Company, der Langton Maschine Tools Company, der Reederei Morrison Steamship Company, Newcastle mit einem Gesamtvolumen von 55 Millionen Pfund am Markt platzieren konnte. Daneben wurden sechs weitere kleine mittelständische Companies von uns auf dem Weg an die Börse im Gesamtwert von zehn Millionen Pfund begleitet.

c) Kreditvergabe

Wir führen insgesamt 4 975 Kreditkonten. Diese Kredite haben wir im Rahmen unserer Möglichkeiten allen Provinzteilen und Wirtschaftsschichten, insbesondere auch dem Mittelgewerbe und Reedereien, zugute kommen lassen, von dem Bestreben geleitet, den örtlichen Bedürfnissen unserer einzelnen Arbeitsgebiete und den Interessen aller zu dienen. Wir waren dabei bemüht, die traditionelle Verbundenheit unseres Bankhauses mit ihrer Kundschaft durch geeignete organisatorische Maßnahmen und Einrichtungen zu pflegen. Fast die Hälfte der vergebenen Kreditbeträge lag zwischen 2000 und 100 000 Pfund.

d) Beteiligungen

Unsere Beteiligungen bei anderen Banken und Bankfirmen werden mit sechs Komma eins Millionen Britische Pfund gegen fünf Komma sechs Millionen Pfund im Vorjahr ausgewiesen. Sie verteilen sich im wesentlichen wie folgt:

• The London Merchant Bank Ltd., London, fünf Prozent Dividende; • die N. V. Hugo Kaufmann Bank, Amsterdam, weist befriedigende Ergebnisse aus, welche die Verteilung einer Dividende von acht Prozent ermöglichen. • The London and Hanseatic Bank, Ltd., brachte sechs Prozent Dividende

Von Beteiligungen an anderen Gesellschaften, die teilweise unter Konsortialbeteiligungen, teilweise unter eigenen Wertpapieren ausgewiesen sind, nennen wir:

• Schweizer-Bank-Verein, Zürich• Bank Julius Baer, Zürich• Royal Mail Line (RML), London• Royal P&O Nedlloyd Court Line / Haldin & Philipps, London• Bolton Steam Shipping Co Ltd, London• Reederei Hunting & Son, Newcastle• Reederei Britain Steamship Company• Watts, Watts & Co, die jetzt mit 20 Frachtschiffen im Atlantikdienst auf dem Stand von vor dem Weltkrieg sind• Die Cunard Steamship Company, Ltd , die durch das britische Schatzamt mit einem Projekt von vier Komma fünf Millionen Pfund Sterling gestützt wurde, unter der Bedingung, dass Cunard und White Star fusionieren. 1935 soll die Fusion vollzogen sein und Cunard-White Star, Oceanic Steam Navigation Company entstehen

e) Eigene Investitionen

Für unser zentrales Bankgebäude Lombard Street wurde letztes Jahr eine neue modernste Telefonanlage für 12 000 Pfund der Siemens Brothers & Co, Ltd London, in Auftrag gegeben, deren Installation nahezu abgeschlossen ist. Die Bank verfügt damit über eines der schnellsten Kommunikationsmittel in London, die auch direkte Dienste zum Kontinent und nach Amerika ermöglicht.

Elisabeth Barron erschien in Johns Büro.

«Guten Morgen, John. Hier hast du die Daten von Jefferson. Aber es ist nicht vollständig. Ich wollte Daniel Williams fragen, aber da sagte man mir, er ist heute den zweiten Tag abwesend. Sie wissen nicht, was los ist.»

«Ärgerlich. Jetzt habe ich gerade mal Zeit, mich dem Bericht für die Aktionärsversammlung zu widmen. Hab schon viel zu Papier gebracht. Ich würde es gerne fertigstellen, damit Barbara es tippen kann. Wir müssen es auch drucken lassen. Schick meinen Fahrer Gates zu ihm nach Hause. Er soll nachsehen, ob er krank ist und vielleicht doch kommen kann.»

«Gut. John.»

John schüttelte den Kopf und fluchte, als Elli sein Büro verließ. 'Dauernd neue Schwierigkeiten. Kann man nicht mal einen Bericht in Ruhe schreiben?'

Er nahm sich die Papiere vor, die Elisabeth gebracht hatte und las sie genau durch. Dann schrieb er weiter:

f) Gold Handel

Die tragende Säule unseres Bankhauses ist der Goldhandel.

Nachdem das Vereinigte Königreich im September 1931 den Gold Standard verlassen hatte, ist das Britische Pfund 1934 auf den höchsten Wert seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 gestiegen, mit dem Wert von einem Pfund zu 3,69 US$.

Am fünften April 1933 unterzeichnete US-Präsident Franklin D. Roosevelt die Executive Order 6102, wonach der private Goldbesitz ab dem ersten Mai 1933 in den USA verboten wurde. Im Zuge des Gold Reserve Act vom 31. Januar 1934 wurde der Exchange Stabilization Fund (ESF) gegründet und der Goldpreis auf 35,00 US-Dollar pro Unze angehoben.

Der Preis für die Unze Gold kletterte am London Markt von Pfund 6.24, 1933, auf Pfund 6.88, 1934. Aktuell steht er bei 6,99.

So stiegen die Kurse der amerikanischen Homestake Mining Company zwischen 1929 und 1933 an der New York Stock-Exchange um 537 Prozent. Außerdem zahlte die Gesellschaft in diesem Zeitraum Dividenden in Höhe von 171 Dollar, was mehr als doppelt so hoch war, wie der Aktienkurs von 1929. Die Aktien der kanadischen Dome Mines Limited gewannen 721 Prozent an Wert. Die Aktien der südafrikanischen Randfontein Estates Gold Mining Company Transvaal, an der A & M über die Rothschild Bank mit fünf Prozent beteiligt ist, gewannen 591Prozent.

Das Verbot des privaten Goldbesitzes in den USA bescherte uns im vergangenen Jahr eine Rekord Nachfrage nach physischem Gold, das amerikanische Kunden in unseren Tresorräumen, die vor zwei Jahren vergrößert wurden, kostengünstig lagern können.

A & M bietet erfolgreich Privatanlegern «Good-Delivery-Barren» Standardgoldbarren mit 995‰ Feingehalt von nominell 400 Feinunzen. Des Weiteren bieten wir in Zusammenarbeit mit der London Royal Mint Refinery (RMR) am RoseOlivia Lane Tower Hill durch Umschmelzen 100, 10, und 1 Unzen Barren an. Die Feinheit, die Marke des Herstellers und die Barrennummer sind auf den Barren eingestanzt. Die Barrennummer dient zur Identifikation jedes Barrens und wird von der Raffinerie und von uns in einem Verzeichnis eingetragen. Unsere Barren mit Good-Delivery-Status werden weltweit akzeptiert und gehandelt. Das internationale Gütesiegel «Good-Delivery» garantiert die aufgeprägten oder eingestanzten Merkmale wie Feinheit und Gewicht sowie die ständige, ununterbrochene Aufbewahrung in unseren vor zwei Jahren neu gebauten und auf den neuesten Stand der Sicherheit gebrachten und besonders bewachten Lagerräumen.

A & M ist Mitglied des London Bullion Market, LBMA, der London Bullion Market Association. Der gesamte Goldhandel wird von dem London Bullion Market, koordiniert. Dies ist der wichtigste Handelsplatz für Gold und Silber des global bedeutenden Rohstoffhandelsplatz in der City of London. Hier wird seit 1919 der Weltmarktpreis für Gold und seit 1897 der Weltmarktpreis für Silber festgestellt.

Unser Erfolg als Privatbankhaus beruht auf dem Vertrauen unserer Kunden. Insbesondere beim Goldhandel. Das macht das Thema Werte zum Grundkapital, auf dem unser gesamtes Fortkommen fußt. Integrität, Loyalität, Individualität, Beständigkeit und Leistung – diese fünf Werte haben wir als Eckpfeiler unseres Selbstverständnisses identifiziert. Unter ihnen ist ein Grund, der die anderen vier festhält: die Beständigkeit – und auch deshalb hat Ashton & Mortimer seit über fünfzig Jahren den Status als eines der zwölf Mitglieder des ehrwürdigen Accepting Houses.

Dies war John ein wichtiges Anliegen zu erwähnen, war es doch nach Außen ein Zeichen der Seriosität. Er machte eine Pause und schaute auf.

Das Accepting Houses war die exklusive britische Institution, die sich auf die Annahme und die Garantie von Wechseln spezialisierte und dadurch die Kreditvergabe erleichterte. Mitglieder waren so honorige Banken, wie die Hambros Bank, Hill Samuel, Morgan Grenfell, Rothschild, J. Henry Schroder Wagg, Arbuthnot Latham, Seligman Brothers and S. G. Warburg.

Darüber hinaus hatte das Accepting Houses in der Londoner City eine Vertretung in Westminster, das Accepting Houses Committee, das die politische Koordination zwischen ihnen, dem britischen Finanzministerium und der Bank of England sicherstellte. Von Mitgliedern des Ausschusses gebilligte Rechnungen waren für einen Rediskont bei der Bank von England zugelassen.

John schaute auf die Uhr. Es war kurz vor Mittag und er entschied, eine Pause zu machen und Selfridge anzurufen.

Er zog sich das Telefon heran und lehnte sich entspannt in die Lehne zurück.

Selfridge war es vor Jahren gelungen, vom General Post Office das Privileg zu erhalten, die Nummer 1 als seine eigene Telefonnummer zu haben. Ihm gehörte das größte und bekannteste Londoner Kaufhaus, mit über 1000 Angestellten. John wunderte sich noch jetzt darüber und wählte die Eins.

Die freundliche Stimmer einer Frau meldete sich und John sagte: « Hier John Ashton, Mr. Selfridge erwartet meinen Rückruf.»

Während er verbunden wurde, dachte er über Harry Gordon Selfridge nach, der in der Londoner Oxford Street sein jetzt weltbekanntes Kaufhaus aufgebaut hatte und mit dem er eng befreundet war.

Nach dem Tod seiner Frau begann Sefridge, Geld mit vollen Händen auszugeben, lebte ausschweifend, spielte, hatte diverse Liebesbeziehungen, unter anderem mit den Dolly Sisters, und erwarb neben seinem Haus am Berkeley Square in London ein Anwesen in Hampshire, Highcliffe Castle. John schüttelte den Kopf, als er daran dachte. Schon 1930 wurde Selfridges Privatbankrott gerade noch mit seiner Hilfe abgewehrt, und die folgenden Jahre der Rezession gingen auch an Selfridge nicht spurlos vorbei. Er tat sich schwer, den eingeräumten Kredit auf das im letzten Jahr vereinbarte Limit zurückzuführen.

«Hallo John», meldete sich Selfrigde. «Danke, dass du zurückrufst. Wie geht’s?»

«Gut. Wie geht es dir, Harry?»

«Nicht schlecht. Es geht wieder aufwärts. Ich glaube, die schweren Jahre sind vorbei.»

«Ja, das hoffen wir alle. Was willst du?»

«Ach, John. Nicht Wichtiges. Ich wollte Jefferson sprechen und nur hören, wie weit die Sache mit der Goldmine fortgeschritten ist. Dabei habe ich jetzt gehört, dass er auf dem Kontinent ist.»

«Ja, er ist auf Dienstreise. Aber er hält alles am Laufen. Er wird Ende der Woche wieder zurück erwartet, dann kann er berichten.»

«Prima, John. Ich danke dir. Ich melde mich nächste Woche.»

«Gut, Harry. See you!»

John kratzte sich am Kopf. 'Was war das denn?', fragte er sich. Jeffersons Sache mit der Goldmine? Was hat Jefferson denn da gesagt? Hatte Warburg gestern, als er von mir angerufen wurde, nicht auch nach dem Stand von Jeffersons Goldanleihe gefragt? Und ich Warburg keine Antwort geben konnte, sondern ihn nur ausweichend beschwichtigt hatte?

John wurde von einer inneren Unruhe erfasst, griff zum Telefonhörer und wählte die interne Nummer von Elisabeth.

Elli, wie er sie nannte, war seine Cousine zweiten Grades und die Leiterin der Revisionsabteilung. Als sie sich meldete, sagte er ihr nur: «Elli, bring mir bitte alle Unterlagen bezüglich Selfridge und Warburg, alle, die du hast, auch die von Jefferson. Ich brauche sie, dringend.»

John studierte aufmerksam die Unterlagen, die Elisabeth, die vor seinem Schreibtisch saß, ihm gereicht hatte.

«Was ist das?», fragte er, die Stirne runzelnd.

«Ich habe es eben erst gesehen, John. Ich weiß auch nicht, was Jefferson da gemacht.»

«Selfridge hat ein Kreditlimit von 400000. Stimmst?»

«Ja. Bis letzte Woche hatte er es heruntergeführt auf 300000. In den vergangenen Monaten kamen regelmäßige Zahlungen.»

«Es war vereinbart worden, dass er den Kredit Stück für Stück auf 200000 zurückfährt.»

«Jefferson muss den Kredit wieder auf 400000 hochgesetzt haben, als er ihn mit 100000 neu belastet hat.»

«Was ist mit dem Geld geschehen?»

«Es ist, wie ich sehen kann, bar ausgezahlt worden.»

«Was? Bar? An wen?»

«An Jefferson! Das kann ich mir auch nicht erklären, John.»

«Seltsam. Eine solche Summer bar? Hatte er einen Goldankauf von Rothschild vor?»

«Nein, John. Darüber kann ich nichts finden.»

«Seltsam. Und was gibt es bei Warburg?»

«Wie du sehen kannst, nichts Außergewöhnliches. Normale Transaktionen für kleinere Abwicklungen.»

«Dumm, dass Daniel nicht da ist.»

«Ich habe Gates geschickt. Ich habe ihm gesagt, er soll ihn in jeden Fall holen.»

«Danke, Elli.»

*

Eine halbe Stunde später stand Johns Fahrer in Begleitung eines fremden Mannes in der Türe zu seinem Büro.

«Aha, Gates. Was ist mit Daniel los?»

«Äh. Sir», Gates war blass. «Darf ich vorstellen? Das ist Detective Chief Inspector Jack Caffrey von Scotland Yard.»

«Von Scotland Yard?» John war aufgestanden und mit seiner imposanten Körpergröße von sechs Zoll und zwei Inch überragte er den Inspektor um eine Kopflänge und reichte ihm die Hand.

«Guten Tag, Mr. Caffrey.»

«Sir, ich danke Ihnen, dass ich Sie so schnell sprechen kann. Daniel Williams ist ein Mitarbeiter Ihrer Bank?»

«Ja. Er ist Assistent in der Abteilung Gold-Trading. Was ist los mit ihm?»

«Sir», begann der Inspector. «Daniel Williams ist ermordet worden. Wir haben gestern spät Abends seine Leiche in seiner Wohnung gefunden.»

«Was?» John umrundete seinen Schreibtisch und ließ sich in seinen Sessel fallen.

«Sir. Es war gut, dass Sie Ihren Fahrer zum Nachsehen geschickt hatten. Er hat die Leiche eindeutig identifiziert und uns die Information gegeben, dass dieser Williams Angestellter in Ihrer Bank ist.»

«Was ist da passiert? Schrecklich.»

«Sir. Die Vermieterin von Williams hatte gestern Abend einen Constable gerufen, weil sie ihn seit zwei Tagen nicht gesehen hatte, beziehungsweise, er nicht aus seinem Zimmer herausgekommen war.»

«Ja», antwortete John. «Er ist seit zwei Tagen nicht zur Arbeit erschienen. Bitte, Inspektor, nehmen Sie doch Platz.»

«Der Constable hat dann auf Weisung der Vermieterin die Türe eingedrückt. Dort haben sie dann die Leiche mit einem Loch in der Stirn auf dem Boden liegend vorgefunden und wir wurden zum Tatort gerufen. Nach ersten Ermittlungen ist Daniel Williams aus nächster Nähe erschossen worden.»

Ungläubig schüttelte John den Kopf.

«Sir», wandte sich der Inspector an John. «Ich habe da ein paar Fragen.»

«Ja, natürlich.»

«Ist Ihnen in letzter Zeit etwas aufgefallen in Bezug auf Daniel Williams?»

«Nein. Wissen Sie, ich sehe ihn auch nicht jeden Tag. Er arbeitet in der Abteilung unseres Vice-Directors Jefferson.»

«Könnte ich den Vice-Direktor sprechen?»

«Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen sagen, dass Mr. Jefferson zurzeit auf Dienstreise in Paris ist. Wir werden versuchen ihn zu erreichen. Aber, es gibt eine andere Person, die vielleicht etwas weiß. Gates, bitte holen Sie Elisabeth! Mrs. Elisabeth Barron leitet die Revisionsabteilung und hat täglich mit Jefferson und Williams zu tun.»

«Danke, Sir. Wie wir von der Vermieterin erfahren haben, war Daniel Williams sehr eng mit einer gewissen Shirley Farlane befreundet. Sie sollen sogar Heiratsabsichten gehabt haben. Wissen Sie etwas davon?»

«Nein. Vielleicht Elisabeth. Da kommt sie! Darf ich vorstellen, Mrs. Elisabeth Barron. Elli, das ist Inspector Caffrey von Scotland Yard. Daniel Williams ist ermordet worden.»

Elisabeth wurde aschfahl im Gesicht.

«Gates!», rief John. «Holen Sie einen Stuhl. Elli, setz dich zum Inspector.»

«Mein Gott», stöhnte Elisabeth, als sie sich setzte. «Daniel! Das kann ich nicht verstehen. Ermordet?»

«Mrs. Barron, ja, es tut mir leid, das zu sagen. Haben Sie in letzter Zeit irgendetwas Ungewöhnliches an Daniel Williams bemerkt?»

«Nein, Inspector. Überhaupt nicht. Ich habe noch letzten Donnerstag mit ihm an einer Geschäftssache gearbeitet.»

«Sagt Ihnen der Name Shirley Farlane etwas?»

«Shirley. Ja. Vor etwa einem Monat hat er mir im Pub gestanden, dass er sie in einem halben Jahr heiraten möchte.»

«Wissen Sie etwas über diese Frau?»

«Nein. Er hatte mir nur gesagt, dass er sehr verliebt und sie eine wundervolle Frau sei.»

«Diese Mrs. Farlane wohnt und arbeitet als Gouvernante in einem Haushalt in Chelsea. Wir haben die Adresse von der Vermieterin. Ich habe zwei Beamte hingeschickt, die sie zu einer Befragung holen sollen. Tja, Lord Ashton, Mrs. Barron. Ich danke Ihnen für Ihre Kooperation. Ich werde Sie kontaktieren, wenn wir mehr wissen oder weitere Fragen haben.»

John nickte mit dem Kopf. «Bitte. Lassen Sie uns alles wissen. Wir danken Ihnen für Ihre Mühen.»

*

Nachdem der Inspector sich verabschiedet hatte, meinte John zu Elisabeth: «Sag mal, Elli. Jefferson wollte doch als Erstes nach Paris. Zur Société Générale, nicht wahr?»

«Ja, das habe ich auch in Erinnerung.»

John ging zur Türe und rief laut: «Barbara, verbinden Sie mich mit Amandus de la Roy, von der Société Générale. Dringend!»

Nach wenigen Minuten war die Verbindung nach Paris hergestellt und er hatte Amandus am Apparat. Das Gespräch war schnell beendet, als Amandus erklärte, dass er nichts von einem Termin mit Jefferson wisse und ihn auch nicht gesehen habe.

John ließ Barbara danach das Grand Hotel an der Pariser Oper anrufen. Dort kannte der Manager Jefferson, da Jefferson die letzten Jahre immer im Grand Hotel logierte, wenn er in Paris weilte. Aber zu seinem Bedauern teilte der Manager mit, das Mr. Jefferson nicht im Hotel eingecheckt hätte, obwohl eine Reservierung vorgelegen hatte.

John schaute Elisabeth fragend an und die schüttelte ungläubig den Kopf. Er ließ Barbara bei der N. V. Hugo Kaufmann Bank in Amsterdam anrufen, mit denen A&M gute Geschäftsverbindungen unterhielt.

Barbara schaute zur Bürotüre herein. «Sir. Bei Kaufmann Amsterdam ist Jefferson bis jetzt nicht aufgetaucht und man hätte auch keinen Termin vereinbart. Aber man warte auf weitere Informationen von Jefferson, die er versprochen hätte.»

«Was für Versprechungen?»

«Das wollte mir Mr. Van der Mooren nicht sagen. Jefferson wüsste Bescheid.»

«Seltsam. Mehr als seltsam!»

*

Nach der Mittagspause rief er Jules Rosenberger, Charles Sobernheim und Elisabeth zu einer außerordentlichen Vorstandssitzung zusammen. Als sie im getäfelten Konferenzzimmer zusammen saßen, fasste John noch einmal zusammen, was sich zugetragen hatte und informierte die Anwesenden, dass Jefferson irgendetwas mit einer Goldmine geplant haben muss, aber leider nicht auffindbar sei.

Da erschien Johns Sekretärin: «Mr. Ashton, Max Warburg aus Hamburg ist am Telefon.

John ließ sich verbinden. «Hallo Max? Was kann ich tun?»

«John, was ist bei euch los? Wir haben eben erfahren, dass hier in Hamburg, aber auch in Frankfurt an der Börse einige Analysten eure Aktien auf sofortige Verkaufsempfehlung gestuft haben!»

«Was sagst du da? Das kann ich nicht verstehen. Charles Sobernheim sitzt gerade bei mir. Charles, was tut sich an der Börse in Bezug auf unsere Aktien?»

«Nicht Besonderes. Heute Vormittag gab es eine große Kauforder von der National Chase Manhatten über 200.000 Pfund. Der Kurs war stabil.»

«Hast du gehört? Max?»

«John. Sobernheim soll sich mal umhören. Wie wir gehört haben, sollen Gerüchte aus Frankreich der Grund sein.»

«Danke, Max. Wir werden uns darum kümmern. Ich ruf dich zurück.»

«Mach's gut, John.»

«Was ist das denn für ein Tag heute?» Er wandte sich an Sobernheim, der die Abteilung Stock Market and Shares leitete, und damit für die Börse zuständig war. «Charles, lass deine Verbindungen spielen. Hör dich um und gib mir Bescheid. Jetzt, sofort!»

Als Sobernheim den Raum verlassen hatte, meinte John: «Da ist irgend etwas Großes im Gang. Ich habe ein ganz ungutes Gefühl. Elisabeth, Jules, ihr beiden setzt euch in Jefferson's Büro und versucht herauszufinden, an was er gearbeitet hat. Lasst alle andere Arbeit liegen. Das ist wichtiger.»

*

Sekretärin Barbara meldete John eine Stunde später, dass Inspector Caffrey ihn sprechen möchte.

«Lassen Sie ihn herein! Bringen Sie zwei Tassen Tee.»

Caffrey klopfte an der Tür, als er eintrat.

«Danke, Lord Ashton, dass Sie mich direkt empfangen.»

«Mr. Caffrey, das ist doch selbstverständlich. Haben Sie noch Fragen? Wenn wir helfen können, dann tun wir das.»

«Danke, Sir. Aber das ist nicht das, worum es geht. Ich muss Ihnen etwas zeigen. Lassen Sie mich zuvor erklären. Wir hatten heute Morgen Mrs. Farlane, die Freundin des Ermordeten in den Yard kommen lassen. Sie ist, als wir ihr die Tatsache eröffneten, zusammengebrochen. Es hat gedauert, bis wir sie mit ärztlicher Hilfe stabilisieren konnten. Dann hat sie uns bereitwillig erzählt, dass ihr Freund ihr zum letzten Wochenende einen Brief zugeschickt hat, mit der Bitte, dass sie, falls ihm etwas zustoßen sollte, damit zur Bank gehen sollte. Sie habe gedacht, dass sich darin irgendetwas befindet, das sie finanziell absichern sollte. Jedenfalls hat sie es so aufgefasst. Sie hatte den Brief dabei und wir haben ihn mit ihrem Einverständnis geöffnet. Aber er enthält etwas Seltsames, was wir nicht verstehen. Hier, bitte, sehen Sie sich das an.»

Erstaunt nahm John den großen Briefumschlag entgegen und fischte ein gefaltetes Papier heraus.

«Das ist ja unglaublich!», stieß er aus, als er es auffaltete. «Barbara!», schrie er. «Holen Sie sofort Elisabeth!»

«Sie wissen, was das ist? Sir?», fragte der Inspector.

«Ich kann es nicht glauben. Das ist eine blanko Expertise. Mit der Unterschrift von mir und Elisabeth. Ich habe in meinem Leben noch nie ein Blanko-Zertifikat unterschrieben!»

«Sie meinen, die Unterschriften sind gefälscht?»

«Anders ist es nicht erklärbar.»

«Ist das was wert?»

«Allein nichts. Diese Expertisen erstellen wir als Prüf-Zertifizierung für eine Anleihe, um sie an unsere Kunden weiterzugeben. In Verbindung mit einem Anleihezertifikat, wenn die Anleihe eingetragen wird, bestätigen sie den Wert der Anleihe. Unter Umständen kann das sehr viel wert sein.»

«Sir! Ich möchte Sie auch auf die abgeknickte Rückseite hinweisen. Da steht etwas mit Bleistift handschriftlich geschrieben. Mrs. Farlane meinte, es könne Williams Schrift sein.»

Elisabeth trat ein. «Elli! Schau dir das an! Blanko, mit unser beider Unterschriften. Hast du das schon mal gesehen?»

Als sie es ansah, rief sie erstaunt aus. «Großer Gott! Deine und meine Unterschrift! Nein, noch nie!»

«Mr. Caffrey. Elisabeth erarbeitet die Expertisen und Beurkundungen zu einer Anleihe, dann stellt sie das Zertifikat aus und legt es zur Unterschrift vor, die wir dann beide gemeinsam vollziehen.»

«Sir. Kann jeder an diese Urkunden heran?»

«Nein», antwortete Elisabeth. «Die Urkunden befinden sich im Tresorraum und ich hole mir Exemplare, wenn ich sie benötige. Sie werden dann von mir direkt bearbeitet.»

Erst jetzt las John die Bleistiftkritzelei laut vor: «Whitewater Minen Projekt, Randfontein. Hast du das schon mal gehört? Elli?»

«Nein! Randfontein in Südafrika?»

«Hmm. Danke. Mr. Caffrey, wir werden dem nachgehen und Sie umgehend informieren. Sagen Sie. Wo befindet sich die Freundin jetzt?»

«Sie sitzt unten im geparkten Wagen. Ich wollte sie zurückbringen und mich nochmal mit ihr unterhalten.»

«Elli, gehen Sie mit dem Inspector hinunter und sagen Sie Mrs. Farlane, dass wir ihr helfen werden und die Kosten für das Wiederherstellen oder die Auflösung der Wohnung übernehmen. Und, Elli! Bringen Sie in Erfahrung, wo die Eltern von Williams wohnen.»

*

Schweigend saß John eine ganze Weile am Schreibtisch. Dann griff er zum Telefon.

«Hallo, Rachel. Hier spricht John Ashton. Kann ich Lionel sprechen?»

«Sir. Hallo. Ich werde sehen, ob es möglich ist. Er ist gerade in einer Konferenz.»

Lionel Nathan de Rothschild war mit seinem Bruder Anthony Mitglied des Vorstandes des Bankhauses N-M. Rothschild & Sons. Seit Jahren waren John und Lionel nicht nur geschäftlich, sondern auch privat eng befreundet. Als 32-jähriger hatte John 1912 die damals 22-jährige Charlotte Thérèse de Rothschild, Nachkomme des französischen Zweigs der Rothschild Familie, in Frankreich kennengelernt und geheiratet. Tochter Olivia-Thérèse kam im selben Jahr zur Welt. Seine Frau, war vor zwei Jahren mit 42 durch eine Influenza verstorben, was ihn schwer getroffen hatte.

John kannte Rachel, die Sekretärin, gut, da er ihr fast jeden Tag beim Goldfixing begegnete.

Das sogenannte Goldfixing war ein institutionalisiertes Ritual der Mitglieder des London Bullion Market, das jeden Vormittag um zehn Uhr dreißig im Konferenzraum der Rothschild Bank stattfand, die dort in Gemeinsamkeit den Goldpreis für den Tag fixierten und anschließend bekannt gaben. Abwechselnd nahmen John, Sobernheim oder Jefferson als Vertreter des Bankhauses A&M teil.

«Sir?», meldete sich die Sekretärin. «Mr. Rothschild lässt sich entschuldigen. Es geht gerade wirklich nicht. Aber er sagte, er sei wie jeden Mittwoch im Club um 18 Uhr.»

«Danke, Rachel. Sagen Sie ihm, ich werde da sein. Es ist wichtig.»

Das Londoner Bankhaus N-M. Rothschild & Sons war allein letztes Jahr an der Emittierung von 14 verschiedenen Staatspapieren beteiligt. Das Nominalvolumen der aufgelegten Wertpapiere entsprach 43 Millionen britischen Pfund und damit mehr als fünfzig Prozent aller Wertpapiere, die in London aufgelegt wurden. Britische Staatspapiere spielten dabei eine große Rolle. Aber auch die Regierungen von Frankreich, Deutschland, Österreich, Italien, Belgien und Brasilien nahmen die Dienste des Bankhauses in Anspruch. In der Regel kauften die Rothschilds die gesamte Tranche von einer Regierung auf. Sie trugen allerdings das Vermarktungsrisiko nicht, denn die Regierung, die die Anleihe herausgab, erhielt den Kaufbetrag nur dann in vollständiger Höhe, wenn das Papier vollständig platziert werden konnte. Die Rothschilds waren aufgrund ihres engmaschigen Netzwerkes in der Lage, die Papiere in ganz Europa abzusetzen. Im Unterschied zu einer großen Anzahl ihrer Konkurrenten konnte das Bankhaus Rothschild regelmäßig durchsetzen, dass der Nominalbetrag des Papiers auf britischen Pfund basierte. Der Papierinhaber konnte seine Forderung nicht nur in London einlösen, sondern erhielt Zinszahlungen auch in anderen Ländern, in denen die Rothschilds Niederlassungen unterhielten. Durch die gute Zusammenarbeit, erhielt A&M von Rothschild die Möglichkeit, immer einen kleinen Teil der Staatspapiere selbst an private Anleger zu verkaufen. Dabei konnten Zertifikate zu einem Nominalwert zwischen 10.000 und 100.000 Pfund erworben werden. Darüber hinaus waren beide Bankhäuser über den Goldhandel eng miteinander verbunden. A&M stückelte Rothschilds Goldanleihen südafrikanischer Minen in handliche Anleihenanteile und verkaufte sie erfolgreich ebenfalls an Privatanleger und über den London Bullion Market kauften sie koordiniert physisches Gold.

'Lionel muss informiert werden. Vielleicht hat er eine Ahnung, was Jefferson vorhat und kann mir einen Rat geben', dachte John. ‚Schlimm genug, dass ich nicht weiß, was in meiner Bank vor sich geht. Ich muss mit Jefferson ein ernstes Wort reden.'

*

Der Turf Club war London's typischster Gentlemen's Club. Gegründet 1861, war er wahrscheinlich der höchst exklusive Club in London, zu dem ausschließlich adlige Männer oder hochrangige Diplomaten und Militärs als Mitglieder Zutritt erhielten. Schon Johns Vater war Mitglied in diesem Club gewesen, der ein imposantes Gebäude an der Ecke Piccadilly und Clarges Street, besaß.

Neben einem eleganten Restaurant mit ausgezeichneter Küche, gab es verschiedene Salons. Einen Lese-Salon mit überwältigender Bibliothek, einen Scotch-Salon als Hausbar mit Bartresen und einen Zigarren-Salon mit begehbarem Humidor. Überall dunkle Holztäfelung, warme Lichter, klassische Gemälde mit verzierten goldenen Rahmen, und feinste Kristall-Kronleuchter, die Geschichten erzählten, mondän und mit maskulinem Charme. Britische Bibliothekslampen, opulente Ohrensessel und Chesterfield-Möbel aus hochwertigem geknöpften Leder-Polsterungen rundeten das Bild des vornehmen Clubs ab.

John fühlte sich hier seit dem Tod seiner Frau wie in einem zweiten Zuhause. Jeden Mittwoch und Freitagabend war er hier zu finden und nahm das Dinner mit Freunden im Restaurant.

John sah Lionel Rothschild an der Bar stehen.

«Hallo, Lionel.»

«Hoh, John. Fein, dich zu sehen. Wie geht es?»

«Ich habe ein Problem und deshalb möchte ich dich sprechen. Komm, lass uns da hinten zu der Sitzecke gehen.»

«Möchtest du einen Scotch?»

«Ja, den brauch ich. Nimm du dir einen neuen. Den brauchst du auch, wenn du hörst, was ich dir erzähle.»

Ausführlich berichtete John Lionel über die Ereignisse des heutigen Tages in seiner Bank.

«Mein Gott. Da brauche ich wirklich einen Drink», meine Lionel, als John geendet hatte.

«Zum Wohl. Bloody Dei Todei», ahmte John den australischen Slang nach.

«Und du meinst wirklich, da versucht jemand den Kurs zu manipulieren?»

«Es sieht so aus. In Paris sind wir vor Börsenschluss angeblich um fünf Prozent abgesackt. Das wahre Ausmaß wird sich morgen zeigen.»

«Meinst du, das hängt mit dem Mord an Daniel und dem Verschwinden von Jefferson zusammen?»

«Lionel. Ich habe da so ein unbestimmtes Gefühl. Außerdem, die Sache mit der Goldmine, das ist obskur. Ich weiß nicht, was Jefferson dazu getrieben hat. Mir gegenüber hat er nichts erwähnt. Ich wäre auch sofort misstrauisch geworden.»

«Hmm. Ich kenne keine Whitewater Mine. Von Minengesellschaften in Südafrika gibt es im Moment keine neuen Anleihen. Obskur ist der richtige Ausdruck. Sollte es möglich sein, dass Jefferson da nebenbei selbstständig handelt? Da musst du was unternehmen! John!»

«Ja, aber was?»

Rothschild überlegte lange, dann sagte er: «Komm mit! Wir gehen rüber in den Rauch-Salon. Ich glaube, wir beide müssen aktiv werden. Ich habe vielleicht eine Lösung.»

John schaute ihn ungläubig an, stand aber auf und folgte ihm.

Lionel steuerte auf einen Mann in einer dunkelblauen Uniform zu, der Zigarre rauchend mit anderen Männern zusammensaß.

Er beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte: «Hugh. Können wir dich sprechen? Ich glaube, es ist wichtig.»

Der Uniformierte stand auf und folgte ihnen zu einer entfernten Sitzgruppe.

«Hugh, das ist Lord Ashton, Inhaber des Bankhauses Ashton & Mortimer. Hör dir bitte an, was er zu erzählen hat.»

John wunderte sich zwar, dass ihm der Mann nicht vorgestellt wurde, aber an den Rangabzeichen mutmaßte er, dass es sich um einen hohen Offizier handelte.

«John, erzähl ihm, was du mir eben erzählt hast.»

Neben dem Offizier sitzend, erzählte John nochmals die Abläufe des heutigen Tages, die, wie er sehen konnte, den Offizier sehr nachdenklich machten.

Als John endete, stellte sich der Mann, der wortlos zugehört hatte, vor und reichte John die Hand.

«Mein Name ist Hugh Sinclair. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen.»

Er kam sofort zur Sache. «Wer gab Ihnen die Informationen über die Aktienkurse?»

«Max Warburg. Ihm gehört die Warburgbank in Hamburg. Wir sind seit Jahren befreundet und unsere Bankhäuser arbeiten eng zusammen. Er ist absolut vertrauenswürdig.»

«Mit wem arbeiten Sie in Frankreich?»

«Mit der Société Générale. Amandus de la Roy ist einer der Direktoren, mit dem ich auch schon seit Jahren befreundet bin. Von ihm kann das nicht kommen. Das kann ich mir nicht vorstellen.»

«War die Presse in der Fleet Street von dem Mord informiert worden?»

«Das weiß ich nicht, Mr. Sinclair. Wie gesagt, Scotland Yard ermittelt. Ob die etwas an die Presse geben, entzieht sich meiner Kenntnis.»

«Ist das ungewöhnlich, dass sich ihr Direktor nicht meldet?»

«Absolut. Unverständlich ist vor allen Dingen, dass es keinen Hinweis auf seinen Verbleib gibt. Das Hotel in Paris, in dem er eigentlich immer logiert, hat mir heute mitgeteilt, dass zwar eine Reservierung ab letzten Freitag für Jefferson vorlag, er aber nicht erschienen ist und die Buchung auch nicht storniert hatte.»

«Sie wissen, wer ich bin?»

«Nein, Sir», rutschte es John heraus. «Verzeihen Sie. Aber ich kenne mich mit militärischen Rangabzeichen nicht aus.»

Der Mann lachte. «Ich bin Admiral der Navy. Ich bin Chef des Special Intelligence Service. Sagt Ihnen das was?»

«Nein, Admiral.»

«Nennen Sie mich Hugh», erwiderte er geistesabwesend.

Nach einer langen Pause fragte der Admiral: «Sagt Ihnen das Wort 'Kamarow' etwas?»

«Nein. In welchen Zusammenhang?»

«Nun, sagen wir, wenn es um Geld geht.»

«Nein. Nie gehört!»

«Auch nie gelesen?»

John wurde die Fragerei unbehaglich. «Nein, auch nie gelesen. Ganz sicher.»

«Gut. Vergessen Sie dieses Wort und erwähnen Sie es in Zukunft niemanden gegenüber. Geht das?»

«Natürlich. Admiral.»

Der Admiral nahm ein Streichholz, zündete seine Zigarre wieder an und lehnte sich zurück.

Nach langen Minuten des Schweigens fragte Rothschild: «Was hältst du davon?»

Der Admiral paffte an seiner Zigarre, bevor er antwortete: «Interessant. Sehr interessant.» Und nach weiteren Zügen: «Ich denke nach. Ich habe so etwas erwartet.»

Er legte seine Zigarre schließlich in den Aschenbecher. «John Ashton, hören Sie mir genau zu. Ich werde jetzt mit Ihnen besprechen, was wir tun können. Kein Wort nach draußen. Zu niemandem. Das Gespräch hier hat nie stattgefunden.»

John war über die Erläuterungen des Admirals erstaunt und überrascht. Er fühlte sich plötzlich in geborgenen Händen und nickte mehrmals zustimmend mit dem Kopf.

«Machen wir das so?», fragte Sinclair und hielt ihm die Hand hin.

«Admiral! Das machen wir. Sie können sich auf mich verlassen.»

Zum ersten Mal am heutigen Tag entspannte sich John, als er sich zufrieden zu seinem Fahrer Gates in den Wagen setzte und sich vom Club nach Hause fahren ließ.

Alan Hemmings

Das Küstenstädtchen Brighton hatte die Geschichte der britischen Badekultur von Anfang an geprägt. Im 18. Jahrhundert hatten Ärzte, Baden im Meer als gesund empfohlen; davor waren nur Seeleute und Fischer mit dem Wasser in Kontakt gekommen, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Aber nun strömten plötzlich die Mitglieder der feinen Londoner Gesellschaft – nur sie konnten sich Urlaub leisten – Richtung Küste. Selbst Prinzregent George, der jetzige König George IV., der sich weder mit seinen Eltern noch mit seiner Ehefrau vertrug, zog sich gern nach Brighton zurück. Er baute dort ein Ferienhaus der Superlative: den 'Royal Pavilion' im indischen Stil, das spektakulärste Gebäude der Stadt und jetzt die Hauptattraktion.

Ein weiteres Wahrzeichen war der bekannte West Pier, ein gewaltiges auf hölzernen Bohlen ins Meer getriebene Pier mit zwei riesigen Pavillons. Ein idealer Ort, um in dem Café, einen französischen Cognac zu einem Kaffee zu trinken. Das galt für diejenigen, die sich nicht der traditionellen britischen Teatime in gesellschaftlich vorgeschriebener Kleidung unterwerfen wollten, die im großen hinteren Pavillon zelebriert wurde. Alan bevorzugte, neben dem Café, das Restaurant, das höchste französische Küche bot. Aber nicht das allein war ein Grund für Alan, dort gerne zu verweilen. Insbesondere junge selbstbewusste Frauen wohlhabender Familien aus London kamen nach Brighton zum Urlaub, auch um alkoholische Getränke und Zigaretten zu genießen. Der neue Ausdruck der modernen Zeit. Die Zeit des Swing und der neuen Boleros - kurze, vorn rundgeschnittene Jäckchen, die von den modebewussten jungen Damen zu einer weiten Hose oder einem Rock getragen wurden, hatte begonnen.

Die Androgynität der Nachkriegsjahre wurde abgelegt und Mädchenhaftigkeit lag wieder im Trend. Dabei war das Schönheitsideal jedoch noch immer rank und schlank - und vor allem groß. Fließende Stoffe betonten die Weiblichkeit dezent und die geschnürte Taille vermittelte endlos lange Beine.

Alan genoss es, dort Bekanntschaften zu machen. Am Abend wurde es im vorderen Bereich der Damen etwas legerer, man zeigte Dekolletés. Ein enganliegender Ärmel zeichnete den schlanken Oberarm nach und bestimmte den Gesamteindruck einer figurbetonten Mode. Der Bubikopf war «in», die Augenbrauen rasiert und anschließend nachgezeichnet. Schulterpolster zogen in die Mode der Damenwelt ein und schafften somit Ecken und Kanten. Das alles hatte Alan die Jahre in Ägypten vermisst und er hatte sich vorgenommen, diese Zeit nachzuholen. Heute Nachmittag würde er sich wieder auf den Weg zum Pier machen, um vielleicht eine neue aufregende junge Dame kennenzulernen.

Mit diesen Gedanken im Kopf begann er mit der Heckenschere die lange westliche Fuchsbaumhecke zu stutzen, die bei den Winterstürmen guten Schutz für den Garten bot, der bis an das steil abfallende Ufer zur See lag.

Das Hemmings Cottage lag an einer einsamen Uferstraße oberhalb des Cliffs im östlichen Ende des Stadtteils Seaford mit fünf Häusern an der Esplanade Road, nicht weit von der Innenstadt Brightons. Ein kleines Cottage, eineinhalbgeschossig, Reetdach, ein Esszimmer, eine große Küche und ein Wohnzimmer mit einem wunderbaren Kachelofen mit grünen Kacheln und dem Ausblick auf das Meer durch ein übergroßes Fenster im Erdgeschoss. Zwei Schlafzimmer, ein Bad und ein schmaler Arbeitsraum im Obergeschoss mit schrägen Holzdecken. Alan hatte es geerbt, als sein Vater vor drei Jahren verstorben war und er es zutiefst bereute, dass er von Ägypten nicht zur Beerdigung kommen konnte.

Alan hörte eine Klingel. Die Fahrradklingel des Postboten.

«Ich bin hier!», rief er laut in Richtung des Hauses.

«Wie geht es, Alan?», rief der Bote ihm entgegen, als er um das Haus herum kam. «Ich habe ein Telegramm für dich!»

«Was! Ein Telegramm? Wie geht’s, George? Wer schickt mir denn ein Telegramm?»

Alan öffnete das Kuvert und las: 'Banker, Stop, Sofort kommen, Stop, C.'

«Großer Gott!»

«Schlechte Nachrichten?», fragte der Postbote teilnahmsvoll.

«Schon gut, George. Danke. Nein, nichts Schlimmes!»

«Na gut. Wir sehen uns!»

Stirnrunzelnd war Alan ins Haus gegangen und murmelte «C», C persönlich schickt mir ein Telegramm. Unfassbar. Was mag denn da los sein?'

Er las es nochmals. 'Banker! Das war sein Codename beim Circus. Das bedeutet, ich muss sofort los. Sofort nach London.'

Der schnellste Dampfzug von Brighton, die Brighton Limited Line, benötigte 55 Minuten bis London Victoria Station, aber wann fuhr er? Alan hatte keine Lust in der zugigen Bahnhofshalle zu warten. Also das Auto!

Wie automatisch gesteuert ging er hoch ins Schlafzimmer und packte ein paar Sachen in seinen Seesack. Rasierzeug, Seife, Handtücher, Wäsche, zwei Hemden, eine Armee-Hose, die doppelt verstärkte schwere lederne Pilotenjacke der Royal Air Force, hohe Strümpfe, feste Stiefel. Aus einem unteren Fach des Kleiderschranks holte er seine lederne Einsatztasche und prüfte kurz den Inhalt. Sein Sonderausweis als Banker im Circus, sein Ausweis als Mitglied des diplomatischen Corps seiner Majestät des Königs, seine metallene Identitätsplakette, Sturmmütze und Sturmhaube, Lederkoppel, Taschenlampe, Ambulanzset und die Browing neun Millimeter in der Pistolentasche.

Er nahm die Waffe, drückte den Knopf zum Auswurf des Magazins, prüfte, ob alle zwölf Patronen darin waren, zog den Lauf einmal durch, um den Hahn zu spannen und drückte ab.

Klick!

Zufrieden führte er das Magazin wieder ein.

«Auf geht’s. Wer weiß wohin!», sprach er zu sich selbst. Dann zog er einen weißen Navy Rollkragenpullover an, seine dunkelblaue Marine-Uniform und betrachtet sich im Spiegel. Lieutenant Commander LtCdr, Royal Navy. Alan nickte mit dem Kopf und lachte. 'Mal sehen, wer was an meiner Kleidung zu meckern hat. C hat nicht geschrieben, dass ich in Schlips und Kragen erscheinen soll.'

Nachdem er seine Sachen in seinem Wagen geworfen hatte, ging er die hundert Yard die Straße entlang zu seiner Nachbarin, die ihm zugleich als Aufwartefrau diente und klopfte an ihrer Türe.

«Oh, Mister Hemmings!»

«Mrs. Hampton, ich fahre für ein paar Tage nach London. Hier sind die Schlüssel. Passen Sie gut auf!»

«Sir! Sie können sich auf mich verlassen.»

«Ach ja. Liebste Mrs. Hampton! Ich musste mich sehr plötzlich aufmachen und hatte keine Zeit, aufzuräumen.»

«Sir! Das ist doch selbstverständlich. Ich werde mich darum kümmern.»

«Danke. Ich melde mich, wenn ich zurück bin.»

«Alles Gute, Mr. Hemmings!»

Alan saß in seinem Ford Tudor Sedan, Baujahr 1930, den er vor vier Wochen für sage und schreibe nur 210 Pfund kaufen konnte. Ein luxuriöser Viertürer, das sogenannte «Town Car», das neu 570 Pfund gekostet hätte.

Seit einer halben Stunde befand er sich auf der neuen Straße durch das hügelige Gelände des South Sussex und brachte seinen Wagen ab und zu auf 38 Meilen pro Stunde. Während er dann durch die enge London Road die Clayton Hills hoch, durch das Dorf Clayton bis Hassocks fuhr, waren seine Gedanken bei dem Telegramm.

'C! Die 54 Meilen bis London könnte ich gut in drei Stunden schaffen. Was C wohl will? Persönlich von ihm, unterschrieben einfach mit C. Unglaublich. Der große und höchste Boss des Circus. Ein Telegramm von ihm. Alle zittern, wenn sie den Buchstaben C hören oder sehen. Komisch. Ich zittere gar nicht.'

Alan erinnerte sich daran, was er mal gehört hatte. Mansfield Cumming, der Gründer und Leiter des Circus nach dem Krieg hinterließ ein Vermächtnis, das heute noch existierte. Er nannte Geheimberichte "CX-Berichte" – ein Name, der immer noch vom Dienst verwendet wurde. Er etablierte den Circus als einen wirklich weltweiten Service. Er soll seine Briefe schon damals nach dem Krieg in grüner Tinte geschrieben haben - eine Praxis, die bis heute andauerte. Und seitdem unterschreibt und heißt der neue Chef des Circus C, vielleicht am bemerkenswertesten, er war nur bekannt als "C", es war ein Titel, der seitdem jedem Chef verliehen wurde.