Ein rabenschwarzer Tag - Arnulf Meyer-Piening - E-Book

Ein rabenschwarzer Tag E-Book

Arnulf Meyer-Piening

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Großkaufman Schwarzer wird leblos in seinem Pool aufgefunden. Kommissar Degenhardt nimmt die Ermittlungen auf: Selbstmord oder Mord? Die Sopranistin erleidet während des Konzerts einen Herzinfarkt und stirbt an den Folgen einer Überdosis. Zwei getrennte Verbrechen führen zur selben Quelle. - Arnulf Meyer-Piening betrachtet die hanseatische Kaufmannswelt, die er aus eigener Erfahrung kennt, mit einfühlsamer und kritischer Distanz. Spannend bis zur letzten Zeile.

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Seitenzahl: 278

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Arnulf Meyer-Piening

Ein rabenschwarzer Tag

Roman

Imprint

Ein rabenschwarzer Tag Arnulf Meyer-Piening published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de Copyright: © 2015 Arnulf Meyer-Piening ISBN 978-3-7418-2764-8

Inhalt
Begegnung am Abend
Der Tote im Swimmingpool
Einbruch im Hotel
Der unheilvolle Konzertabend
Die Verstoßene im goldenen Käfig
Der Musenfreund
Die zwielichtige Sekretärin
Bewegende Trauerfeier
Blick in den Abgrund
Auf Spurensuche
Wertpapiere ohne Wert
Das Haus der Versprechungen
Dubiose Freunde
Das Wasser steht bis zum Hals
Der Drahtzieher
Der Deal
Prüfung und Beteiligung
Dubioser Zeuge
Presse-Rummel
Das alte Bauernhaus
Der dramatische Untergang

Begegnung am Abend

Wie eine Königin rauschte Frau Wohlgemuth in ihrem schwarzen Satinkleid die mit rotem Teppich belegten Stufen hinunter, ehrerbietig gegrüßt von vielen Konzertbesuchern, die ins Foyer des Konzertsaals drängten, um ihre Garderobe zu holen und noch eines der wenigen Taxis zu erwischen, denn es hatte zu regnen begonnen. Huldvoll erwiderte sie die Grüße mit freundlicher Gelassenheit, ohne dabei jedoch kalt oder gar abweisend zu sein. Vielmehr schien sie die Lobbezeugungen durchaus zu genießen.

Unten am Fuße der breit ausladenden Treppe wurde sie von einem Herrn im dunklen Anzug erwartet. Während er auf sie wartete hatte er sich überlegt, wie er das Gespräch eröffnen sollte: Meine Gnädigste, Sie waren wundervoll, oder hinreißend, oder grandios! Würde sie ihm die Hand zum Handkuss reichen, sollte er ihr einfach seine Hand zum Gruß reichen oder sollte er, wie es heute gang und gäbe ist, sie mit einem freundschaftlichen Kuss auf die Wange begrüßen? Die Sache schien nicht so einfach zu sein, weil er in der „Glocke“ kein Unbekannter war und als oberster Kriminalbeamter seiner Stadt auf seine Reputation achten musste. In der alten Hansestadt Bremen, vor allem in den konservativen Kreisen der Philharmonie, war er durchaus eine Respektsperson.

Sie aber war nicht von hier, hatte nur aushilfsweise die Sopran-Partie für die erkrankte Sopranistin übernommen. Unschlüssig wartete er auf ihre Begrüßung. Nichts dergleichen geschah, sie blickte ihn nur erstaunt an, als er ihr ein paar Stufen entgegenkam. Er war durchaus nicht der klassische Typ des germanischen Helden. Kein Regisseur hätte ihm die Rolle des Siegfried angeboten, ganz abgesehen von der Tatsache, dass er nicht singen konnte. Eher wäre er für die Rolle des belgischen Kommissars Hercule Poirot in Betracht gezogen worden, mit dem er sich in gewisser Weise zu identifizieren schien, denn er bewunderte den legendären Ermittler der Kriminalliteratur. Das ging so weit, dass er sich sogar einen Schnauzbart wachsen ließ.

Je näher sie kam, desto unsicherer fühlte er sich, denn sie hatte ziemlich üppige Formen, was ihm von seinem entfernten Sitzplatz auf einer der hinteren Reihen Rang-Mitte nicht so aufgefallen war. Jetzt aber empfand er das beachtliche Dekolletee für eine Sängerin in einem Requiem etwas unpassend, vielleicht einen Tick zu aufreizend. In einer anderen Rolle, beispielsweise als Walküre, hätte er es als angemessen gefunden. Dennoch musste er gestehen, dass das, was er nun aus der Nähe zu sehen bekam, ihm durchaus gefiel.

- Guten Abend, sagte sie ganz schlicht. Ich glaube, ich habe Sie kürzlich in der Abendschau gesehen.

- Schon möglich, sagte er und freute sich über diesen unkomplizierten Einstieg in das Gespräch.

- Ich erinnere mich an das Interview. Sie sind Chef der Kriminalpolizei. Habe ich etwas verbrochen?

- Nein, ganz im Gegenteil. Ich wollte Ihnen nur für diesen wundervollen Abend danken.

- Es freut mich, wenn es Ihnen gefallen hat.

- Ja, sehr sogar. Es passiert mir als alten Fahrensmann nicht häufig, dass mich Musik so stark berührt. Ich würde gerne noch etwas mit Ihnen plaudern. Darf ich Sie zu einem Glas Wein im Ratskeller einladen oder Sie zu Ihrem Hotel begleiten?

- Sehr gerne. Ich bin ja nicht von hier wie Sie wissen, da nehme ich Ihr Angebot gerne an, zumal Sie Kriminalinspektor sind. Da befinde ich mich in guter Obhut.

Er half ihr in ihren Mantel, sie gingen zur Straße, verharrten noch etwas im Eingang, denn es hatte zu nieseln begonnen.

- Wo wohnen Sie?

- Ich wohne Radisson Blu Hotel in der Böttcherstraße.

- Das Hotel liegt nur ein paar Schritte entfernt von hier. Ich kann Sie begleiten, wenn Sie wollen.

- Sehr gerne, aber vielleicht trinken wir vorher noch ein Glas Wein miteinander. Nach dem Konzert habe ich immer eine trockene Kehle und das dringende Bedürfnis, ein Glas Wein zu trinken, ich stamme nämlich aus einer alten Winzerfamilie. Meine Eltern sind auch heute noch Weingärtner.

- Das trifft sich gut. Dann schlage ich vor, wir gehen in den Schütting. In den Kellerräumen des ehrwürdigen Hauses der Bremer Kaufmannschaft gibt es einen gediegenen Club, in dem ich seit vielen Jahren Mitglied bin. Dort werden Sie zu dieser späten Stunde noch ein paar Honoratioren der Stadt treffen, was für Sie eines Tages von Vorteil sein könnte. Ich weiß ja nicht, welche Zukunftspläne Sie haben, und ob Sie bei uns in Bremen bleiben wollen.

- Das hängt davon ab, ob ich hier weitere Engagements erhalte.

- Dann kann es ja nicht schaden, wenn Sie die Herren kennenlernen. Wer weiß, vielleicht können die etwas für Sie tun.

Er hatte den Schirm aufgespannt, denn der Regen hatte zugenommen. Sie hakte sich bei ihm ein. Es gefiel ihm, denn schon seit längerer Zeit hatte er das Gefühl der Nähe zu einer attraktiven Frau vermisst. Arm in Arm gingen sie die paar Schritte über den Marktplatz, grüßten den steinernen Roland vor dem alten Rathaus und überquerten den zu dieser späten Stunde fast menschenleeren Platz.

Die Domuhr schlug zehn, als sie den Schütting erreichten. Sie stiegen die paar Stufen hinunter und betraten die gediegenen Clubräume des „ Club zu Bremen“. Ein paar bequeme Sessel standen locker gruppiert um kleine Tische, jeweils beleuchtet von einer massiven Stehlampe aus Messing mit echtem Schweinslederschirm. Aber um diese Zeit saßen dort nur wenige Gäste und lasen Zeitung oder Magazine. Es herrschte gedämpfte Stille in dem Gewölbe, wo der Teppich jedes störende Geräusch verschluckte.

Kommissar Degenhardt und seine Begleiterin warfen nur einen flüchtigen Blick auf die Bilder an den Wänden und gingen in den Nebenraum mit Tischen zum Essen eingedeckt. Sie wurden vom Kellner begrüßt.

- Herr Kommissar, wo möchten Sie sitzen?

- Degenhardt wählte einen Platz in der Nähe der Skatrunde und erkundigte er sich bei seiner Begleiterin, ob ihr der Tisch recht sei.

- Ja, alles prima, sagte sie. Entscheiden Sie, denn Sie sind hier zuhause.

- Na, gut. Bevor wir uns setzen, würde ich Sie gerne mit den Herren der Skatrunde bekannt machen, vielleicht können Sie eines Tages den Rat unserer Honoratioren gebrauchen.

- Schaden kann’s ja nicht.

Sie gingen zu dem Tisch, an dem die Herren so in ihr Spiel vertieft waren, dass sie die neu angekommenen Gäste nicht wahrgenommen hatten.

- Der Kommissar grüßte: Guten Abend die Herren, nur ungern störe ich Ihr Spiel, aber ich möchte Sie mit Frau Wohlgemuth bekannt machen, die heute dankenswerter Weise die Sopranpartie im Deutschen Requiem übernommen hat.

Die Herren hatten ihr Spiel unterbrochen und sich von ihren Stühlen erhoben. Der Reihe nach reichte die Sängerin jedem die Hand zum Handkuss. Die Herren berührten sie kaum merklich und nur zart angedeutet mit den Lippen. Von alter Schule, eben.

- Sehr erfreut, sagte Herr Schwarzer. Waren Sie mit Ihrem Debut in unserer Hansestadt zufrieden?

- Ich habe die Atmosphäre in dem schönen Konzertsaal sehr genossen. Orchester und Dirigent harmonierten gut miteinander. Ein hervorragender Klangkörper. Das Publikum war sehr freundlich zu mir. Nach der Vorstellung wusste ich kaum wohin mit den vielen Blumen.

- Wenn ich als Zuhörer hier mal mit meinem unmaßgeblichen Urteil einspringen darf, sagte Degenhardt: Frau Wohlgemuth war einfach hinreißend. Hätte es sich nicht um ein Requiem gehandelt, dann hätten die Begeisterungsstürme sicher auch jetzt noch kein Ende gefunden.

- Sie übertreiben, Herr Kommissar, sagte sie mit bezauberndem Lächeln, so dass die Herren glaubten, die Sonne sei aufgegangen. Insgeheim fragten sie sich, welche Beziehung zwischen dem Kommissar und der strahlenden Schönheit an seiner Seite bestünde, obwohl niemand behaupten konnte, dass er ein typischer Frauenheld war. Wie dem auch sei, in jedem Fall empfanden sie die Nähe dieser Frau durchaus als angenehm, zumal sie die einzige Frau in dem Raum war.

- Dann freuen wir uns umso mehr auf den morgigen Abend, da werden Sie uns unter Ihren Verehrern finden, sagte Herr Schwarzer, der offenbar der Wortführer in der Gruppe war.

- Dann werde ich mir noch mehr Mühe geben, um sie zufriedenzustellen, aber jetzt will ich Sie nicht länger von ihrem Spiel abhalten.

Damit zogen sie sich zurück, nahmen an ihrem Tisch Platz und bestellten eine Flasche Graacher Himmelreich.

- Diesen Wein trinke ich besonders gern, sagte sie, der stammt nämlich aus meiner Heimat.

- Ach, Sie stammen von der Mosel? Schon der Name des Weines passt zu Ihnen, beeilte sich Degenhardt zu sagen, und war froh, dass er zufällig den richtigen Wein gewählt hatte.

Der Kellner Johann brachte den Wein, entkorkte die Flasche, roch vorsichtig an dem Korken, goss einen kleinen Schluck in das Römerglas und ließ den Kommissar probieren. Dieser ließ den Wein nach Kennerart leicht im Glas kreisen, roch daran, nickte: In Ordnung!

- Möchten Sie etwas essen?

- Nein, vielen Dank. Wir möchten nur den Abend mit einem Glas Wein ausklingen lassen.

- Sehr wohl. Wünsche einen angenehmen Abend.

Die beiden Gäste blickten sich in die Augen, ließen die Gläser klingen und fühlten sich wohl.

- Ich hoffe, Sie sind mit der Wahl dieses Raumes einverstanden. Ich bin hier im Club schon seit vielen Jahren Mitglied.

- Es ist hier sehr gemütlich, sagte sie.

- Wenn Sie wollen, werde ich Ihnen die Herren am Skattisch vorstellen.

- Gern.

- Ich weiß nicht, wie weit Sie mit den Regeln des Skatspiels vertraut sind.

- Eigentlich kenne ich das Spiel nur vom Hörensagen. In meiner Familie wurden keine Karten gespielt.

- Ich habe nicht die Absicht, Sie in die Feinheiten des Skatspiels einzuweihen. Es ist ein geselliges Spiel, das eigentlich nur von der Atmosphäre lebt, aber es fordert Konzentration und Kombinationsvermögen. Und es macht großen Spaß. Sie sollten es selbst mal probieren, nur aus den eigenen Fehlern kann man lernen, und dann braucht man schon ein paar Jahre, um es richtig zu beherrschen.

- Dazu wird es wohl nie kommen, denn mein Beruf lässt mir wenig Zeit für privates Vergnügen, aber ich schaue gern zu.

- Also fangen wir mal mit dem Herrn an, der eben die Karten gegeben hat und sich nun entspannt zurücklehnt. Der ist bei dieser Runde der sogenannte Kiebitz, der bei diesem Spiel nur zuschaut (und gelegentlich den anderen in die Karten schaut), denn es gibt bei jedem Spiel nur drei Spieler. Wenn sie aber zu viert sind, dann spielt einer nicht mit und gibt die Karten. Beim nächsten Spiel folgt der nächste und so fort reihum.

- Das geht immer so weiter?

- Ja bis zum Ende des Skatabends, der sich über mehrere Stunden erstrecken kann. Also der Reihe nach im Uhrzeigersinn:

Hermann Schwarzer, Getreide Großhandel

Klaus Nienhoff, Vorstand der Neptun-Werft

Hinrich Roggmann, Teilhaber der Blume-Bank

Anton Schulze, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater.

- Ich weiß nicht, ob ich mir alle Namen so schnell merken kann. Die Herren sind ziemlich einheitlich gekleidet mit Anzug, weißem Hemd und Schlips. Sehr konservativ. Fast alle rauchen Zigarren, nur einer Zigaretten, fast alle trinken Wein, nur einer trinkt Bier. Kein großer Unterschied zwischen ihnen. Keine auffälligen Merkmale, die ich mir merken könnte. Nur der Herr mit dem dichten schwarzen Haar, der jetzt nicht mitspielt, überragt alle um einen Kopf.

- Das ist Herr Schwarzer. Die anderen Herren nenne ich Ihnen später, wenn Sie wollen.

- Diesen Namen werde ich mir wegen seiner schwarzen Haare leicht merken können, denn ich baue mir gerne eine Eselsbrücke. Aber ich werde die Herren morgen wahrscheinlich nicht mit Namen ansprechen können, wenn ich sie im Konzert treffe. Es ist mir immer so peinlich, wenn mich die Menschen mit meinem vollen Namen ansprechen und ich ihre Namen nicht weiß.

- Das kann ich gut verstehen. Manchmal geht es mir auch so. Aber wenn Ihnen in der Runde jemand besonders auffällt und interessant vorkommt, dann fragen Sie mich. Aber vielleicht schauen Sie erst mal dem Spiel zu. Lassen Sie die Atmosphäre auf sich wirken. Sie werden merken, das Spiel wird sehr ernst genommen, und doch frotzeln sich die Herren gegenseitig. In dieser Runde nimmt keiner jemandem etwas übel. Sie kennen sich seit vielen Jahren.

Die Herren hatten ihr Spiel wieder aufgenommen.

- Klaus, du gibst, sagte Anton und reichte ihm die Karten.

Klaus mischte lang und sorgfältig, denn er wollte, dass das Kartenglück nicht beeinträchtigt wird oder ihn jemand der Manipulation bezichtigte.

- Neulich in Köln soll sich mal einer tot gemischt haben, sagte Anton.

- Hab ich auch gehört.

Mit großer Entschlossenheit knallte er die Karten vor seinem rechten Nachbarn auf den Tisch. Vorschriftsmäßig hob dieser die obersten paar Karten ab. Klaus verteilte sie auf die Spieler: Drei, vier drei und zum Schluss der Skat.

Nach reiflicher Prüfung hatte jeder Spieler seine Karten nach Farben geordnet und auf ihren Spielwert geprüft.

- Ich höre, sagte Anton und blickte seinen Mitspieler in die Augen, als ob nun das Unerhörte zur Sprache käme.

- 18, 20, 2, 3, 4, 7, 30, sagte er.

- Weg sagte Hinrich.

- Wer bietet mehr?

- Passe!

Die Herren sogen noch einmal genüsslich an ihren Zigarren und bliesen den Rauch zur Decke. Herrmann beobachtete seine Mitspieler aufmerksam, als wolle er ihre Gedanken lesen, aber sie blickten ohne sichtbare Regung auf ihr Spiel. Er nahm noch einen Schluck Wein, um seine Sinne zu beflügeln oder sich zu entspannen und den Abend unter Freunden zu genießen.

Klaus gewann sein Spiel haushoch.

- Das Spiel hätte meine Oma auch gewonnen, sagte Hinrich.

- Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln.

- Und das musst gerade du sagen.

Hermann notierte das Ergebnis.

Beim nächsten Spiel war er mit von der Partie und erhielt das Spiel bei 23.

- Wie heißt denn dein schlechtes Spiel?, fragte Hinrich.

- Null, sagte er mit Überzeugung. Die Schauspielkunst war ihm nicht fremd.

- Contra, sagte Anton in der Annahme, dass Hermann sein Spiel verlieren würde, und die Minus-Punkte doppelt zählten, was auch geschah.

- Ein kluger Bauherr baut zuerst den Keller, sagte er mit gleichmütigem Gesichtsausdruck. Gut Spiel kommt wieder!

Weitere Spiele folgten in kurzer Zeit. Schließlich verlor Hermann noch weitere Spiele und addierte Gewinne und Verluste für jeden Spieler, machte einen dicken Strich unter die Rechnung, wobei er theatralisch sein überdimensionales Lineal bemühte. Zum Schluss stellte er den Spielstand zusammen und erhob sich.

- Meine Freunde, für heute muss ich mich leider von euch verabschieden, denn ich habe noch eine Verabredung, bei der ich nicht zu spät kommen darf. Johann soll alles auf meine Rechnung setzen. Damit verließ den Raum durch den Hintereingang.

Als die Skat-Brüder unter sich waren, begannen sie mit etwas gedämpfter Stimme das Resümee des Abends zu ziehen. Was sie allerdings nicht wussten oder beachteten, war, dass man am Nebentisch über eine Schallbrücke im Gewölbe fast jedes Wort mithören konnte.

- Was Hermann wohl so eilig nach Hause drängt?, erkundigte sich Klaus. Seine Frau kann’s wohl nicht sein, die soll ihn nämlich vor einiger Zeit verlassen haben. Sie wohnt jetzt allein in seinem Sommerhaus in Worpswede.

- Ach, deshalb habe ich sie schon so lange nicht mehr im Konzert gesehen.

- Er scheint jetzt mit seiner Sekretärin enger verbandelt zu sein. Sie ist oft an seiner Seite zu sehen.

- Das kann man ja auch verstehen, sie ist wirklich sehr attraktiv und seine Alte ist ein rechter Besen. Ich wundere mich, dass er sie so lange ertragen hat. Ich hätte sie schon viel früher verlassen. Es ist ja nicht nur, dass sie in den letzten Jahren so unmäßig auseinander gegangen ist, es ist viel mehr, dass sie so indiskret ist. Oft ist es mir richtig peinlich, wenn man hört, was sie so alles an Interna aus seinem beruflichen Umfeld ausplaudert.

- Ich glaube, auch wir sollten jetzt gehen, sagte Frau Wohlgemuth, die alles mitgehört hatte. Kommissar Degenhardt bat um die Rechnung, zahlte und sie verließen das Lokal, ebenfalls durch den Hintereingang, denn der vordere Eingang war zu dieser späten Stunde bereits geschlossen.

- Es ist jetzt kurz nach elf, sagte er. Ich bringe Sie noch die paar Schritte zu Ihrem Hotel, das hier gleich um die Ecke liegt. Sie hakte sich vertraulich bei ihm unter und sie gingen durch die Böttcherstraße. Am Hotel-Empfang verabschiedete er sich von ihr und wünschte ihr für den morgigen Konzertabend viel Erfolg.

- Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.

- Das würde mich freuen. Wie wäre es wenn wir uns Samstag zu einem Stadtbummel träfen?

- Sehr gern.

- Wenn Sie Lust haben, dann rufen Sie mich an. Hier ist meine Karte mit Telefonnummer im Büro und privat.

- Vielen Dank für den anregenden Abend, Herr Kommissar.

- Lassen Sie doch bitte diese förmliche Anrede und nennen sie mich einfach Martin.

- Gern, dann bin ich Silke und hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Backe. Bis morgen, ich freue mich.

- Gute Nacht.

Er ging die Böttcherstraße hinunter zur Martinistraße, überquerte die Weser über die große Weserbrücke und wandte sich nach rechts zur Herrlichkeit zwischen den beiden Weserarmen. Unwillkürlich musste er bei diesen Namen an die Frau denken, die die letzten Stunden seine Begleiterin war. Das war wirklich ein herrliches Weib, bestimmt hätte Richard Wagner ihr zu Füßen gelegen und eine Arie extra für sie komponiert. Und er?

Er hätte sie gern in den Arm genommen, aber das wäre für einen Kriminalkommissar in seiner Heimatstadt unpassend gewesen, vielleicht ein andermal, wenn sie sich besser kennengelernt hätten, so ging er die paar Schritte zu seinem Apartmenthaus, nahm den Fahrstuhl in den dritten Stock und streichelte seine Katze, die ihn kläglich miauend begrüßte. Nachdem er ihr etwas zum Fressen gegeben hatte, schnurrte sie behaglich auf seinem Schoß. Sie war die einzige, die auf ihn wartete, seitdem ihn seine Frau vor ein paar Jahren verlassen hatte. Vielleicht hätte er Silke fragen sollen, ob sie nicht am Wochenende zu ihm kommen wollte. Nein, das wäre zu aufdringlich gewesen. Außerdem würde er sie am nächsten Tag im Konzert sehen, dann könnte er sie ja immer noch fragen.

Er nahm behutsam seine Katze und setzte sich auf den Balkon, denn es hatte aufgehört zu regnen. Sein Blick fiel auf die Altstadt, die von den Domtürmen sicher bewacht wurde. Er liebte diesen Blick auf seine Stadt, denn von hier aus hatte er alles im Griff, bildete er sich wenigstens ein. In der Stadt schien ihm alles still und wohlgeordnet zu sein. Kein Lärm, kein Streit, nur wenige Menschen auf der Straße, kein Hasten und Jagen. Nur von den Domtürmen hörte er zwölf Glockenschläge, die den neuen Tag einläuteten. Alles lag im tiefen Schlaf. Aber das täuschte. Einige Straßenbahnen fuhren über die GroßeWeserbrücke, vereinzelte Fußgänger schlenderten am gegenüberliegenden Tieferufer.

Schließlich löste er sich von dem Anblick, ließ die Rollladen herunter und fiel todmüde ins Bett. Ein letzter Gedanke: Ob Silke jetzt auch an ihn dachte? Er wollte es gern glauben und schlief in dieser Zuversicht ein.

Aber er hatte einen schrecklichen Traum, in dem jemand, den er nicht kannte, ermordet wurde. Er war erschossen worden. Man hatte seine Leiche in der Weser direkt vor seiner Wohnung gefunden. Er sprang aus dem Bett, blickte angestrengt aus dem Fenster, aber alles war in tiefer Ruhe gehüllt. Der Nieselregen hatte wieder eingesetzt. Die Uhr zeigte auf viertel nach sechs. Zu dieser Jahreszeit war es noch dunkel. So kehrte er wieder ins Bett zurück. Am liebsten wäre er den ganzen Tag im Haus geblieben und hätte die Sportschau gesehen. Das langweilige Zeug im Büro könnte auf ihn warten, wenn es nicht bis dahin ein anderer für ihn erledigt hätte.

Der Tote im Swimmingpool

Wie gewohnt, ging er pünktlich um neun Uhr in sein Büro im ersten Stock des historischen Polizeigebäudes, das einer trutzigen Festung glich. Gleichsam zur Abschreckung für Missetäter, aber das war ein fundamentaler Irrtum, denn das Böse ist immer und überall. Er erledigte die üblichen Routinearbeiten, soweit sie nicht zu kompliziert waren und weitere Recherchen erforderten. Lustlos blätterte er die alten Akten der unerledigten Fälle durch. Nichts Dringendes, was nicht bis Montag warten könnte.

Er hatte noch nicht gefrühstückt, denn er hatte verschlafen, was ihm sonst nie passiert war. Der Traum ging ihm noch immer durch den Kopf. Vielleicht aber auch die Sängerin, die bei ihm einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte. Er fühlte sich müde und erschöpft. Er bat seine Assistentin, Diana Michaelis, ihm einen Kaffee zu bringen, sie aber erwiderte, die Espresso-Maschine sei kaputt und außerdem gäbe es keinen Kaffee mehr. Sie müsse erst welchen besorgen, wenn genügend Geld in der Kaffeekasse sei. Also beschloss er, sich schräg gegenüber im Bäckerladen einen Kaffee zu bestellen und ein Croissant, das er besonders liebte, wenn es ein kleines Stück weit in den Kaffee getaucht worden war. Das Wasser lief ihm schon im Munde zusammen, als er nur daran dachte.

Gerade in dem Augenblick, als er sich zum Gehen wandte und seinen Mantel übergezogen hatte, klingelte sein Telefon.

- Hallo Martin, hier ist Silke.

- Wie nett, das du anrufst, ich wollte gerade zum Bäcker gehen und einen Kaffee trinken.

- Das kannst du doch hier bei mir im Hotel tun.

- Hast du noch nicht gefrühstückt?

- Nein, ich habe schlecht geschlafen und bin spät aufgestanden. Jetzt bin ich noch im Frühstücksraum. Wenn du gleich kommst, dann warte ich auf dich.

Also machte er sich auf den Weg und ging die paar Schritte in die Böttcherstraße. Er fand die Sängerin im Frühstücksraum am Fenster sitzend, wo sie auf ihn gewartet hatte.

Kurze Begrüßung, dann setzte er sich zu ihr an den kleinen Tisch am Fenster und bestellte sich eine Tasse Kaffee und ein Croissant.

Sie erwähnte nur kurz den Abend mit den honorigen Skatspielern, versuchte die Namen zu rekapitulieren, was ihr nur annähernd gelang. Insbesondere Herrn Schwarzer hatte sie in lebhafter Erinnerung. Ich glaube, er hatte schlechte Laune, weil er verloren hatte, sagte sie. Da ist er lieber nach Hause gefahren, damit ihn seine Frau auf andere Gedanken bringt.

Dann wandte sich ihr Gespräch auf den bevorstehenden Abend in der Glocke. Sie fragte ihn, ob er auch zum Konzert kommen werde. Er sagte, er werde versuchen, noch eine Eintrittskarte an der Abendkasse zu bekommen. Sie bot ihm eine Gästekarte an, die sie noch nicht anderweitig vergeben hatte Er nahm sie mit großer Freude an.

In diesem Augenblick läutete sein Handy. Seine Assistentin informierte ihn, dass es einen Mordfall gegeben hätte, und er solle sofort ins Polizeirevier kommen. Warum immer ich? Das können doch andere für mich erledigen, murmelte er vor sich hin, denn ihm stand wirklich nicht der Sinn nach Aufklärung irgendeines x-beliebigen Mordfalls. Dennoch verabschiedete er sich pflichtbewusst wie er war, und wünschte Silke viel Erfolg beim Konzert.

Wenige Minuten später war er in seinem Büro. Seine Assistentin erwartete ihn in heller Aufregung.

- Gut, dass Sie da sind. Wir warten schon lange auf Sie.

- Wo brennt es denn?, erkundigte er sich gelangweilt.

- Wir haben vor einigen Minuten einen Anruf von einer Frau Reinhold erhalten. Sie gab sich als Sekretärin von Herrn Schwarzer aus und sagte, dass ihr Chef tot im Swimmingpool seines Hauses läge. Sie reichte ihm einen Zettel mit der Anschrift des Hauses in Oberneuland.

- So ein Mist, sagte er schlecht gelaunt und bestellte seinem Wagen aus der Fahrbereitschaft.

Wenige Minuten später war er auf dem Weg nach Oberneuland, fuhr die Schwachhauser Heerstraße entlang. Sein Navi zeigte ihm den Weg. Eine knappe halbe Stunde später hielt er vor dem Haus. Er läutete an dem Gartentor, es wurde sofort geöffnet. Offenbar wurde er erwartet. Er parkte seinen Wagen auf dem Vorplatz des gepflegten Anwesens.

Eine gut gekleidete Frau - offensichtlich keine Putzfrau - öffnete ihm die Haustür und bat ihn einzutreten.

- Ich bin Susanne Reinhold, Privatsekretärin von Herrn Schwarzer, oder zu mindestens war ich es noch bis gestern.

Sie gingen auf die Terrasse und blickten auf den bis zum Rand mit Wasser gefüllten Pool, in dem ein Toter mit dem Gesicht nach unten an der Oberfläche trieb. Offensichtlich handelte es sich um den Hausherrn, weil er wie an dem Abend im Club gekleidet war. Schrecklicher Anblick. Eie Blutlache war auf dem Beckenrand zu sehen. Sie wandten sich ab und gingen ins Haus, denn es fröstelte sie bei dem Nieselregen und dem verstörenden Anblick.

- Wir können jetzt hier nichts tun, wir müssen auf die "Spusi" warten, sagte Degenhardt.

- Mir ist noch ganz schlecht von dem Anblick. Wenn ich bedenke, dass er gestern noch gelebt hat und mir Briefe diktiert hat. Und jetzt dies! Sie bedeckte ihre Augen mit beiden Händen und begann zu schluchzen.

- Also: Erzählen Sie bitte in allen Einzelheiten, wo und wann Sie ihn gefunden haben, sagte er, um sie zu beruhigen.

- Er liegt jetzt noch immer so im Wasser, wie ich ihn gefunden habe, als ich heute Morgen kam.

- Wann sind Sie gekommen?

- So etwa gegen neun Uhr.

- Was wollten Sie im Haus Ihres Chefs?

- Ich hatte auf ihn vor meiner Wohnung erwartet, aber er kam nicht. Da habe ich ihn angerufen, aber er antwortete nicht. Da bin ich zu ihm gefahren.

- Und dann haben Sie ihn dort im Wasser gefunden.

- Ja. Vielleicht an etwas anderer Stelle, denn die Strömung der Umwälzpumpe hat ihn wohl etwas vertrieben. Ich habe mich nicht getraut, irgendetwas anzurühren, bis die Polizei eingetroffen ist. Niemand hat hier irgendetwas verändert.

- Das haben Sie gut gemacht, sagte er.

Der Kommissar telefonierte mit seinem Büro und orderte die Spurensicherung.

Sie ließen die Leiche im Wasser treiben, gingen ins Haus und setzten sich in den Salon.

- Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?

- Vielen Dank, ich hatte gerade einen Becher getrunken, bevor ich zu Ihnen gefahren bin. Lieber wäre mir eine Tasse Tee, mein Magen verträgt nicht so viel Kaffee.

Sie verließ den Raum. Er hörte sie in der Küche hantieren und blickte sich um: Schwere Sessel, antikes Mobiliar, ein Schreibsekretär, edle Teppiche mit exotischen Blumenmotiven. Landschaftsbilder im schweren goldenen Rahmen an den Wänden.

Nach ein paar Minuten kehrte sie mit einem Silbertablett, einer Teekanne mit Rechaud aus Porzellan und zwei hauchdünnen Porzellantassen zurück.

- Wie trinken Sie den Tee, mit Milch und Zucker?

- Danke nur mit Zucker.

Sie schlürften den Tee, weil er noch ziemlich heiß war.

- Aufmerksam blickte der Kommissar sie an: Dann erzählen Sie bitte in allen Einzelheiten, wie und wann Sie den Toten gefunden haben.

- Also, es war so: Normalerweise holt mich mein Chef um halb neun Uhr mit seinem Wagen vor meinem Haus in Horn ab, denn sein Weg zum Büro führt in der Nähe meiner Wohnung vorbei. Ich erwartete ihn wie üblich vor meiner Haustür. Er war immer sehr pünktlich. Nur heute Morgen nicht, da habe ich noch ein paar Minuten gewartet, bin wieder in meine Wohnung gegangen und habe ihn Zuhause angerufen. Er antwortete nicht. Dann habe ich es auf seinem Handy versucht, auch dort kam keine Antwort. Ich war sehr beunruhigt. Da habe ich mir ein Taxi bestellt und bin zu seinem Haus gefahren. Die Haustür war verschlossen, es brannte nirgends Licht. Ich bin dann ins Haus gegangen, aber es war niemand da.

- Woher hatten Sie den Haustürschlüssel?

- Er liegt immer unter der Blumenvase rechts vor der Haustür.

- Woher wussten Sie das?

- Ich war oft bei ihm, vor allem seitdem er von seiner Frau getrennt lebte.

- Wann war das?

- Vor etwa einem Jahr.

- Waren Sie seine Geliebte oder Lebensabschnittsgefährtin, wie man das heute so nennt?

- Ich war seine Sekretärin.

- Sonst nichts?

- Wir waren inoffiziell verlobt.

- Wann wollten Sie heiraten?

- Er hatte mir versprochen, mich zu heiraten, sobald seine Ehe geschieden sei.

- Und das ist sie bisher noch nicht, wie ich vermute.

- Ja, das stimmt.

In diesem Augenblick hielt ein Polizeiwagen vor dem Grundstück. Ein paar Herren läuteten an dem Gartentor. Frau Reinhold öffnete das Tor, der Wagen fuhr die mit weißem Kies belegte Auffahrt bis vor die Haustür.

- Ich kenne die Herren, sagte der Kommissar, es sind Beamte von der Spurensicherung.

- Kurze Begrüßung: Meine Herren, treten Sie ein. Frau Reinhold wies ihnen den Weg zur Terrasse.

- Ich denke, wir lassen die Herren ihre Arbeit machen, es sind Profis ihres Faches, sagte der Kommissar. Wir können ihnen nicht helfen, wahrscheinlich würden wir sie nur bei ihrer Arbeit stören. So setzten sie sich wieder in den Salon.

- Erzählen Sie mal etwas von sich, woher Sie Herrn Schwarzer kennen und von Ihrer Arbeit. Was genau waren Ihre Aufgaben?

- Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen. Ich habe Herrn Schwarzer vor etwa zwei Jahren in Hamburg kennengelernt, wo ich in einem Kabarett als Tänzerin arbeitete. Degenhardt zog die Augenbrauen hoch, was nicht unbemerkt blieb. Nein, nicht so, wie Sie vielleicht denken. Es war ein seriöses Lokal. Der Alsterpavillon. Nach der Vorstellung nahm ich mit meinen Kolleginnen noch einen Drink, wie wir es oft tun. Ich dachte, der große Herr mit den schwarzen Haaren würde auf mich warten, was er aber nicht tat.

- Da waren Sie enttäuscht?

- Ja, ein bisschen.

- Und dann, wie ging es weiter?

- Eines Tages sah ich den Herrn mit den schwarzen Haaren erneut unter den Zuschauern, er nickte mir wohlwollend zu. Das freute mich. Ich gab mir bei der Vorstellung große Mühe. Als ich die Bühne verließ, klatschte er besonders heftig. Das gefiel mir, denn schließlich sind wir Künstler auf den Applaus der Gäste angewiesen.

- Keine Frage, und was geschah dann?

- Nach der Vorstellung wartete er vor dem Lokal in einem Taxi mit einem kleinen Blumenstrauß in der Hand. Er fragte mich, ob er mich zu einem Drink einladen könne. Es schmeichelte mir, zumal er wirklich gut aussah, eine stattliche Erscheinung, wie man wohl sagt.

- Ja, so sagt man. Und dann?

- Er bat mich einzusteigen und fuhr zum Hotel Atlantik, wo er wohnte.

- Wir haben in der Bar ein paar Glas Wein in getrunken. Dort war ich noch nie gewesen, hatte aber immer davon geträumt, in so einem feinen Schuppen mal aufzutreten oder vielleicht sogar zu übernachten. Aber das war damals vollkommen außerhalb meiner Möglichkeiten.

- Dann haben Sie die Nacht bei ihm verbracht und mit ihm geschlafen?

- Nicht die erste Nacht. Er hatte zu viel getrunken und schlief sofort ein.

- Am nächsten Morgen haben wir reichlich gefrühstückt, und er lud mich nach Bremen ein. Er wollte mir seine Heimatstadt zeigen. Er meinte, er könne mir vielleicht ein Engagement im Astoria vermitteln. Das reizte mich.

- Und, haben Sie das Engagement bekommen?

- Nein. Sie hätten zu der Zeit keine freie Stelle, wurde mir gesagt. Ich war natürlich sehr enttäuscht und habe geweint. Er nahm mich in den Arm, tröstete mich und schlug mir vor, seine Sekretärin zu werden, dann bräuchte ich nie mehr in halbseidenen Lokalen als Tänzerin aufzutreten.

- Das Angebot haben Sie angenommen?

- Natürlich, wer hätte das in meiner Situation nicht getan? Ich brauchte das Geld zum Leben und hatte nicht viel gespart. Er mietete ein Zimmer für mich in einer kleinen Pension und hat mir dann eine Wohnung in Horn besorgt, sie lag in seiner Nähe.

- Er hat Sie oft besucht?

- Ja, wir haben uns sehr nahegestanden. Manchmal hat er bei mir übernachtet wenn er offiziell auf Reisen war. Gelegentlich hat er mich auch auf eine seiner vielen Geschäftsreisen mitgenommen. Er brauchte mich als seine rechte Hand. Ich führte seinen Terminkalender undwar für die Planung seiner Termine verantwortlich. Er hatte neben dem Job als Inhaber seiner Firma viele ehrenamtliche Aufgaben, die alle zeitlich koordiniert werden mussten.

- Dafür waren Sie zuständig?

- Ja, er vertraute mir in allen persönlichen Angelegenheiten.

In diesem Augenblick kamen die Herren von der Spusi herein und baten, sich verabschieden zu dürfen. Hier sei für sie nichts mehr zu tun. Sie hätten eine Pistole und zwei Patronenhülsen im Wasser gefunden. Den Leichnam hätten sie aus dem Wasser gezogen und in einen Metallsarg gelegt, um ihn im forensischen Institut untersuchen zu lassen. Ebenso wie die Pistole und die Patronenhülsen.

- In Ordnung. Wir sprechen uns später. Haben Sie sonst im Garten irgendwelche Fußspuren gefunden oder sonst noch etwas Auffälliges bemerkt?

- Nein, nichts.

Als die Herren das Grundstück verlassen hatten, tranken die beiden noch den restlichen Tee.

- Hat Frau Schwarzer eigentlich nie etwas von Ihrer Beziehung zu ihrem Mann bemerkt?

- Ich weiß es nicht genau. Vielleicht, kann sein kann oder auch nicht sein. Sie ist ziemlich naiv. Man könnte sie auch als dumm bezeichnen. Ich habe selbst nie mit ihr irgendein persönliches Wort gewechselt. Dazu war auch keine Gelegenheit. Sie ging mir immer aus dem Weg. Man könnte sagen, sie hat mich geschnitten. Und ich legte auch keinen gesteigerten Wert auf ihre Bekanntschaft.

- Wie war das Verhältnis zwischen den Eheleuten?

- Distanziert. Er hat sie zu offiziellen gesellschaftlichen Anlässen nie mitgenommen, jedenfalls nicht zu meiner Zeit. Früher soll das anders gewesen sein, da hat er sie angeblich sehr hofiert und alles für sie getan, sie gleichsam auf Händen getragen. Einige seiner Freunde fanden das etwas aufgesetzt oder übertrieben, denn er soll ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen haben, wenn sie mal einen Ausflug mit Freunden unternahmen. Dann legte er jede Stunde eine Pause ein, weil sie etwas essen wollte. Mal war es ein Stück Kuchen oder ein belegtes Brötchen, manchmal auch eine Bratwurst. Er war sehr besorgt um sie und fütterte sie wie ein Kind. Alle wunderten sich, weil sie immer dicker wurde. Aber es hat ihn offenbar nicht gestört, jedenfalls hat er es sich nicht anmerken lassen. Manchmal hatte ich den Eindruck, als ob die beiden Theater spielten.

- Aber dann hat er sich doch von ihr getrennt?