Ein schlimmer Tag für Manuela - Patricia Vandenberg - E-Book

Ein schlimmer Tag für Manuela E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Der Notruf hatte Dr. Daniel Norden erreicht, als er seinen Arztkoffer zusammenpackte, um Krankenbesuche zu machen. Die Adresse kannte er, die Anruferin auch. Aber er konnte sich nicht erklären, was Frau Jäger, die erst heute Morgen in seiner Sprechstunde gewesen war, in solche Aufregung versetzen konnte, dass sich ihre Stimme überschlug. »Kommen Sie, kommen Sie«, hatte sie nur mehrmals wiederholt, und nun war er schon auf dem Wege zu der kleinen Siedlung, die am Ortsrand lag. Es waren schlichte Häuser, und manch gehässiger Mensch nannte sie ›Ausländerdorf‹. Es waren Flüchtlinge aus dem Osten gewesen, die diese Siedlung gebaut hatten, und manch einer von ihnen hatte sich später verbessert und an Ausländer vermietet. Auch Frau Jäger hatte nach dem Tode ihres Mannes die Mansardenwohnung an ein junges, ausländisches Ehepaar mit zwei Kindern vermietet, aber sie hatte nur Gutes von der jungen Frau zu berichten gewusst, und der Mann war selten da. Von den beiden Kindern konnte Frau Jäger nur schwärmen. Die Sonne ihres Alters nannte sie Nicola und Manuel. Sollte etwas mit den Kindern sein? Dr. Norden vernahm lautes, verzweifeltes Schreien, als er vor dem Hause hielt, aber es war nicht das Schreien von Kindern. Die Haustür stand offen, Frau Jäger stand händeringend im Flur. »Helfen Sie ihr, helfen Sie ihr doch, Herr Doktor, sie wird verrückt«, ächzte sie. Sie eilte ihm voraus ins obere Stockwerk. Dort sah es wüst aus. Eine junge Frau lag auf dem Boden und schlug mit Händen und Füßen um sich, sie schrie deutsch und italienisch durcheinander.

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Dr. Norden Aktuell – 4 –

Ein schlimmer Tag für Manuela

Patricia Vandenberg

Der Notruf hatte Dr. Daniel Norden erreicht, als er seinen Arztkoffer zusammenpackte, um Krankenbesuche zu machen. Die Adresse kannte er, die Anruferin auch. Aber er konnte sich nicht erklären, was Frau Jäger, die erst heute Morgen in seiner Sprechstunde gewesen war, in solche Aufregung versetzen konnte, dass sich ihre Stimme überschlug.

»Kommen Sie, kommen Sie«, hatte sie nur mehrmals wiederholt, und nun war er schon auf dem Wege zu der kleinen Siedlung, die am Ortsrand lag.

Es waren schlichte Häuser, und manch gehässiger Mensch nannte sie ›Ausländerdorf‹.

Es waren Flüchtlinge aus dem Osten gewesen, die diese Siedlung gebaut hatten, und manch einer von ihnen hatte sich später verbessert und an Ausländer vermietet. Auch Frau Jäger hatte nach dem Tode ihres Mannes die Mansardenwohnung an ein junges, ausländisches Ehepaar mit zwei Kindern vermietet, aber sie hatte nur Gutes von der jungen Frau zu berichten gewusst, und der Mann war selten da. Von den beiden Kindern konnte Frau Jäger nur schwärmen. Die Sonne ihres Alters nannte sie Nicola und Manuel.

Sollte etwas mit den Kindern sein? Dr. Norden vernahm lautes, verzweifeltes Schreien, als er vor dem Hause hielt, aber es war nicht das Schreien von Kindern.

Die Haustür stand offen, Frau Jäger stand händeringend im Flur.

»Helfen Sie ihr, helfen Sie ihr doch, Herr Doktor, sie wird verrückt«, ächzte sie.

Sie eilte ihm voraus ins obere Stockwerk. Dort sah es wüst aus. Eine junge Frau lag auf dem Boden und schlug mit Händen und Füßen um sich, sie schrie deutsch und italienisch durcheinander. »Nein, nein, das kann nicht sein. Ich kann nicht mehr. Ich will tot sein. Das kann er mir nicht angetan haben!«

Sie wehrte sich auch, als Dr. Norden nach ihrer Hand griff. Unbändige Kräfte entwickelte diese zarte junge Frau, aber mit Hilfe von Frau Jäger schaffte er es schließlich doch, ihr eine Spritze zu geben.

Fragen hatte er noch nicht stellen können. Erst einmal erschlaffte der junge schlanke Körper. Geistesabwesend blickten ihn nachtdunkle Augen an, die in Tränen schwammen, dann sanken die roten Lider herab.

»Was ist geschehen, Frau Jäger?«, fragte Dr. Norden tief bestürzt.

»Die Kinder sind weg«, stammelte sie. »Er hat sie geholt. Ich wusste doch gar nicht, worum es ging. Er kam und sagte, dass er frei hätte und mit den Kindern spazieren gehen wollte. Aber dann kam Frau Lauretti und fand das da.« Sie deutete auf einen zusammengeknüllten Zettel, der am Boden lag.

Dr. Norden bückte sich, hob ihn auf und glättete ihn. In italienischer Sprache war etwas darauf geschrieben, das er mit seinen mäßigen Sprachkenntnissen nur schwer übersetzen konnte.

Sinngemäß hieß es: Ich nehme die Kinder mit. Wir kommen nicht wieder. Geh zu Deinem Amon.

Er konnte daraus nur entnehmen, dass ein Mann mit seinen Kindern auf und davon war, und eine völlig verzweifelte Frau jetzt dringend ärztliche Hilfe brauchte.

»Kennen Sie einen Amon?«, fragte er Frau Jäger.

Die schüttelte den Kopf. »Manuela war bei einem Dr. Achaz wegen ihrer dauernden Kopfschmerzen«, murmelte sie. »In der Nervenklinik«, fügte sie verschämt hinzu. »Ich habe gesagt, dass sie lieber mal zu Ihnen gehen soll.«

»Dr. Achaz?«, wiederholte Dr. Norden. »Gut, so wissen wir etwas. Vorerst wird sie Ruhe geben.«

Er führte ein Telefongespräch, von dem Frau Jäger nicht viel verstand, da fast nur Fachausdrücke fielen.

Dann kam ein Krankenwagen. Manuela Lauretti war noch immer bewusstlos. Ihr bleiches Gesicht war von tiefschwarzem Haar umflossen, und war jetzt, ohne Regung, ein schönes, ebenmäßiges Gesicht, das an eine griechische Göttin erinnerte.

Was kann einen Mann veranlassen, eine so bezaubernd schöne Frau zu verlassen und ihr die Kinder zu nehmen, fragte sich Dr. Norden, als er dem Krankenwagen nachfuhr. Dort erlebte er dann eine weitere Überraschung. Ein schlanker Mann im Arztkittel, schwarzhaarig wie Manuela Lauretti und mit einem ebenfalls klassisch schön geschnittenen Gesicht, blickte wie versteinert auf die junge Frau, dann sank er neben der Trage in die Knie. »Manulita, liebe Manulita«, flüsterte er.

Da scheine ich ja mal wieder in eine Tragödie hineingeraten zu sein, dachte Dr. Norden. Aber jetzt ging es vor allem darum, dass der Kranken geholfen wurde.

Der weißhaarige Chefarzt kam. Dr. Norden kannte ihn. Sein Name war Eberhard. Er erkannte Dr. Norden auch gleich und begrüßte ihn kollegial.

»Es ist eine schreckliche Geschichte«, sagte der leise. »Hoffentlich tut er den Kindern nichts an. Lauretti ist gefährlich. Er hat einen Gehirntumor. Die Schmerzen treiben ihn zum Wahnsinn. Er ist aus der Klinik entwichen.«

»Er war hier?«, fragte Daniel.

»Bis vorgestern. Er wurde in eine andere Anstalt überführt, aber er konnte fliehen. Frau Lauretti wusste das noch nicht. Sie war heute hier, um ihn zu besuchen, und nun das, damit war doch nicht zu rechnen. Ich mache mir Vorwürfe. Wir können uns darüber ein andermal unterhalten, Kollege. Man braucht mich.«

Es war nicht Dr. Nordens Fall, und dennoch interessierte er ihn. Er sollte auch bald durch Frau Jäger daran erinnert werden. Sie stand schon vor der Praxistür, als er zur Nachmittagssprechstunde kam.

»Warum sind Sie nicht hineingegangen?«, fragte Daniel.

»Ich hab mich nicht getraut. Was soll Frau Loni denken, und ich wusste auch gar nicht, was ich ihr sagen sollte.«

»Und was wollen Sie mir sagen, Frau Jäger?«, fragte er freundlich.

»Ich hab Angst«, flüsterte sie und schaute sich auch schon ganz verschreckt um.

»Kommen Sie herein. Der Betrieb geht erst in zehn Minuten los.«

Dankbar sah sie ihn an.

»Auf Sie kann man bauen, Herr Doktor«, murmelte sie.

Loni wunderte sich freilich, dass Frau Jäger schon wieder da war, aber da sie sofort mit dem Chef im Sprechzimmer verschwand, musste schon etwas Wichtiges vorliegen. Sie suchte jedenfalls gleich die Karteikarte heraus. Frau Jäger hatte eine chronische Hüftgelenkarthrose, und die verursachte schon oft heftige Schmerzen. Sie kam auch regelmäßig zur Behandlung.

Loni hatte keine Ahnung, dass es heute um etwas ganz anderes ging.

»Nun beruhigen Sie sich erst mal, Frau Jäger«, sagte Dr. Norden. »Sie zittern ja schon wieder.«

»Immer noch«, flüsterte sie, »und schuldig fühle ich mich auch. Hätte mir Frau Manuela nur etwas gesagt, dass der Mann die Kinder nicht holen darf.«

»Wie alt sind die Kinder?«, fragte Dr. Norden.

»Die Nicola ist vier und der Manuel zweieinhalb. Wie aus dem Bilderbuch, so hübsch, kann ich Ihnen sagen. Jeder hatte sie gern. Umgedreht haben sich die Leut’ nach ihnen, und die Manuela hat ja auch so hübsche Sachen genäht für die Kinder und auch für sich. Kann ich Ihnen denn alles erzählen, Herr Doktor?«

»Es interessiert mich«, erwiderte er. »Hatte sie öfter solche Nervenzusammenbrüche?«

»Nie, nein niemals, sie war eher still. Aber es hat ihr das Herz zerrissen, dass er die Kinder geholt hat. Wie kann ein Mann nur so was tun. Ich hätt’ ja was merken müssen, so starr wie er mich angeschaut hat. Aber das konnte ich doch nun wirklich nicht ahnen.«

»War er ein gebildeter Mann?«, fragte Dr. Norden.

»Ja, ich glaube schon, ein hübscher Mann war er auch, immer gut gekleidet, sprach gut Deutsch, und anscheinend hatte er auch eine gute Stellung. Aber eine reine Italienerin ist die Manuela nicht. Da ist auch so was Indisches drin, sie hat nämlich so ein Gewand, so ein ganz kostbares, wie man mal im Fernsehen sieht, das man so umschlingt. Aber getragen hat sie es nicht. Ja, wie kann man ihr nur helfen?«

»Das weiß ich im Augenblick auch nicht, aber es war gut, dass Sie mir das alles gesagt haben. Ich kann mich mit den behandelnden Ärzten in Verbindung setzen.«

»Da ist doch der Dr. Achatz«, sagte Frau Jäger. »Taugt der was? Er hat sie ja behandelt, und angerufen hat er auch. Gesprochen hat Manuela über ihn sonst nicht. Was wird nun mit ihr werden, wenn sie die Kinder nicht zurückbekommt?«

Darauf wusste Dr. Norden keine Antwort, aber nach der Schwere des Zusammenbruchs zu urteilen musste diese junge Mutter bis ins Innerste getroffen sein.

Er gab Frau Jäger Beruhigungstropfen. Mehr konnte er auch für sie nicht tun. Bei ihm ging die Sprechstunde weiter. Loni wunderte sich, dass sie auf Frau Jägers Karte keine Eintragung zu machen brauchte.

Daniel fuhr heim, und dort wurde er schon sehnsüchtig von seinem kleinen Sohn Danny erwartet. Natürlich auch von seiner Frau Fee, aber Danny musste sich immer erst beklagen, dass die Mami sehr viel Zeit mit dem Baby Felix vertun müsse.

»Gab es etwas Besonderes?«, fragte Fee, als sie die Kinder zu Bett gebracht hatte. »Du schaust so ernst.«

»Eigentlich betrifft es mich nicht«, erwiderte er ausweichend.

»Du, stell dir vor, ich habe heute Nachmittag im Radio gehört, dass ein Italiener seine beiden Kinder entführt hat. Stell doch schnell mal das Fernsehen an, da wollten sie Suchbilder bringen.«

Gerade noch zur rechten Zeit kam das Bild. Eine Männerstimme erklärte, dass der Techniker Dino Lauretti seine beiden Kinder aus der elterlichen Wohnung entführt hätte und bisher jede Spur fehle. Die Bevölkerung wurde

um Mithilfe gebeten, da Lauretti ein schwerkranker Mann und in einem

akuten Schmerzzustand zu allem fähig sei.

»Entsetzlich«, sagte Fee, »so süße Kinder.«

Es war sinnlos, Fee zu verschweigen, dass er indirekt in den Fall verwickelt war. Er erzählte ihr, wie Frau Jäger ihn gerufen hatte in ihrer Angst.

*

»Monky, ich muss mit Ihnen sprechen«, sagte Dr. Eberhard zu Dr. Achatz. »Ich kann mir hier keinen Skandal leisten. Wir werden ohnehin noch was zu hören bekommen, dass Lauretti auf dem Transport entweichen konnte.«

»Er ist so verdammt schlau. Sein Verstand arbeitet noch normal, wenn nicht die Schmerzanfälle kommen«, erwiderte der andere.

Dr. Achatz wurde von seinem Chef Monky genannt. Dr. Eberhard hatte seine Anstellung befürwortet. Amon Achatz hatte einen indischen Vater und eine amerikanische Mutter, und diese war die Cousine von Dr. Eberhard. Das allerdings war in der Klinik nicht bekannt. Dr. Eberhard wusste, dass man Dr. Achatz gewisse Vorurteile entgegenbringen würde wegen seines exotischen Aussehens. Er selbst hatte mal zu seiner Cousine gesagt, dass ihr Sohn zu schön sei, doch mittlerweile hatte er ihn als einen ganz ausgezeichneten Arzt schätzen gelernt.

»Ich gehe sofort, wenn Manuela wieder gesund ist, wenn Sie es wollen«, sagte Dr. Achatz. »Ich will Sie nicht

in Schwierigkeiten bringen, aber für Manuela bin ich verantwortlich, und wenn ihren Kindern etwas angetan wird, wird sie mich noch nötiger brauchen.«

»Zum Teufel, Junge, du gehst nicht. Ich will jetzt nur die ganze Geschichte hören«, sagte Dr. Eberhard. Nun wurde er persönlich, aber Monkys Gesicht hellte sich trotzdem nicht auf.

»Du musst mir die ganze Geschichte erzählen, Monky, nur so kann ich euch helfen. Du liebst diese Frau doch.«

»Davon wird nicht gesprochen. Es ist tabu«, sagte der junge Arzt mit seiner dunklen Stimme. »Lauretti ist ein todkranker Mann. Wir haben alles versucht, ihn zu retten. Der Tumor ist inoperabel. Es ist schrecklich zu sagen, aber er ist zum Wahnsinn verdammt, wenn er nicht bald stirbt.«

»Das weiß ich so gut wie du und noch ein paar andere Ärzte. Aber es wäre schrecklich, wenn er sich dessen auch bewusst wäre und die Kinder mit in den Tod nehmen würde.«

»Nein, nein, nein«, stieß Monky hervor. »Das wäre auch Manuelas Ende. Sie liebt die Kinder über alles.«

»Dann erzähle mal die Geschichte«, sagte Dr. Eberhard. »Wann hast du sie kennen gelernt?«

»Erst hier, als sie ihren Mann besuchte. Ich schwöre es dir, Onkel Karl. Es ist nichts zwischen uns, nichts, was man als Ehebruch bezeichnen könnte. Man kann es ihr nicht anrechnen, dass ich sie liebe. Ich habe nie ein Wort zu ihr davon gesprochen. Ich wollte ihr die Lage nur erleichtern.«

»Aber jemand muss ihm etwas anderes erzählt haben. Er hat ihr einen Zettel hinterlassen. Geh zu deinem Amon.«

Unter seiner bräunlichen Haut wurde Dr. Achatz fahl. »Das ist unmöglich, wer könnte so etwas sagen, was nicht stimmt. Einem Kranken sagen?«

»Es gibt eine ganze Menge Frauen, die hinter dir her sind, mein Lieber. Kein Wunder. Sie himmeln dich an, Ärztinnen, Schwestern und Patientinnen. Aber das will ich beiseite lassen. Was weißt du von dieser Ehe?«

»Manuela stammt aus einer sehr guten Familie, die mit dieser Heirat nicht einverstanden war. Auch Laurettis Familie ist nicht unvermögend. Sie haben großen Landbesitz, aber irgendwie muss sich die Krankheit bei ihm schon früher bemerkbar gemacht haben. Er kam in der Schule nicht vorwärts und mit dem Studium nicht zurecht. Handwerklich war er talentiert. Seine Familie forcierte die Heirat, die Manuelas war dagegen. Seine Familie hat sie auch immer unterstützt.

Eine Zeit schien es gut zu gehen. Er bekam hier eine Stellung. Manuelas Familie ließ es zum Bruch kommen, darunter litt sie, und ihn machte es wütend. Er fühlte sich tief gedemütigt, dass Manuelas Eltern ihn auch dann noch nicht anerkannten, als die Kinder geboren waren.

Dann allerdings muss es auch in seiner Familie Vorgänge gegeben haben, die eine Lockerung der Bindung brachten. Er verlor seine Stellung, er kam von Klinik zu Klinik, aber niemand glaubte, dass er ernsthaft krank sein könnte, da er noch immer so gut aussah. Er wurde als arbeitsscheu betrachtet.

Sie gaben ihre große Wohnung auf und zogen zu der Frau Jäger, die sehr freundlich zu Manuela war. Doch von da an war Dino ständig in Kliniken, und Manuela wollte das niemandem sagen. Ich schwöre dir, Onkel Karl, sie wollte alles tun, damit er geheilt wird, und ich habe es zuerst nicht fertig gebracht, ihr zu sagen, dass eine Heilung nicht möglich ist.«

»Ich auch nicht. Siehst du, das sind die Zwangssituationen, in denen man meist das Verkehrte tut. Sie dachte also, dass er nur deprimiert wäre, weil ihm nichts mehr gelang?«

»Er war manchmal ja ganz normal«, sagte Monky. »Ich habe mich oft mit ihm unterhalten. Eine zweigespaltene Persönlichkeit, aber das kann nur ein Arzt verstehen, der den Grund kennt. Ich hatte sogar das Gefühl, dass er mich als Freund betrachtete, bis vor einer Woche. Da griff er mich sogar an und sagte, dass ich ihm die Frau wegnehmen wolle.«

»Du hast es mir verschwiegen«, sagte Dr. Eberhard.

»Für mich war er nur ein Kranker, dem man alles verzeihen musste.«

»Und wie war er zu seiner Frau, wenn sie ihn besuchte?«

»Wie immer.«

»Was heißt, wie immer?«

»Er sagte ihr, dass sie bei ihrer vornehmen Clique hätte bleiben sollen, aber nun wären sie durch das Band der Ehe für alle Zeit verbunden bis ans Ende.«

»Verrückt«, sagte Dr. Eberhard.

»Er ist krank. Der Tumor frisst ihn auf, Millimeter für Millimeter. Und man ist so hilflos.«

Dr. Eberhard presste die Hände vor die Augen. »Wäre er zu retten, würdest du dann auf die Frau verzichten?«

»Ich habe sie nie besessen. Sie ist seine Frau, und zu retten ist er nicht. Es geht um die Kinder, darum, ob sie zu retten sind.«

»Wir sind in einer teuflischen Situation«, sagte Dr. Eberhard. »Irgendjemand muss ihm gesagt haben, du hättest etwas mit seiner Frau, aber wer? Wir müssen dahinterkommen.«

*

Dr. Senta Orloff blickte überrascht auf, als Dr. Achatz das Ärztezimmer betrat. »Ist Ihr Dienst immer noch nicht zu Ende?«, fragte sie.

»Ich mache Nachtdienst«, erwiderte er.

»Dafür war doch eigentlich ich eingeteilt.«

»Wir werden allerlei zu erwarten haben«, sagte er.

»Kann möglich sein«, sagte sie gleichmütig, das blonde Haar aus der hohen Stirn streichend. »Für zwei Schwestern musste ich jedenfalls schon Ersatz beschaffen. Ruth ist krank, und Gerlinde hat angerufen, dass sie ein paar Tage Urlaub nehmen muss, weil ihre Mutter schwer erkrankt ist. Das sollten wir Ärzte uns mal erlauben.«

»Darf ich einmal sehen, wer in der letzten Woche Dienst auf Station drei gemacht hat?«, fragte er beiläufig.

»Wieso ist das von Interesse?«, fragte sie.

Er zwang sich zur Ruhe. »Sie haben gehört, dass Herr Lauretti auf dem Transport entwichen ist und …«

»Nein, keine Ahnung«, fiel sie ihm ins Wort. »Wieso entwichen? Ich bin doch gerade vom Wochenendurlaub zurück. Ist er gar nicht hier?«

»Nein, er sollte in eine geschlossene Anstalt gebracht werden, aber es gelang ihm zu fliehen, und er hat seine Kinder mitgenommen.«

»Merkwürdig. Wieso hat seine Frau das zugelassen?«

»Sie war hier, um ihn zu besuchen. Sie wusste nichts von der Verlegung. In ihrer Abwesenheit holte er die Kinder. Es kam durch den Rundfunk und auch im Fernsehen.«

»Davon weiß ich gar nichts. Das ist ja entsetzlich«, sagte sie.

»Sie wissen auch nicht, dass Frau Lauretti hier mit einem schweren Nervenzusammenbruch eingeliefert wurde?«

»Guter Gott, mich hat niemand informiert. Ich hatte damit zu tun, Ersatz für Ruth und Gerlinde zu beschaffen. Dr. Schäffer hatte es mal wieder eilig, zu einem Rendezvous zu kommen, und den Chef habe ich gar nicht mehr gesehen. Das sind ja Neuigkeiten! Liebe Güte, kaum ist man mal ein paar Tage weg, geht hier alles drunter und drüber.«

Er betrachtete sie unter halb geschlossenen Lidern. Sie war eine ganz attraktive Erscheinung für einen, der kühle Blonde mochte. Sie war Mitte dreißig und überaus korrekt. Nein, Dr. Senta Orloff traute er nicht zu, durch Intrigen eine solche Katastrophe heraufzubeschwören. Aber immerhin blieb das fatale Gefühl zurück, nun jedem misstrauen zu müssen, der etwas mit Dino Lauretti zu tun gehabt hatte.

»Ich werde mich um Frau Lauretti kümmern«, sagte er. »Vielleicht legt Schwester Ursula mir die Liste heraus, wer letzte Woche Dienst auf Station drei gemacht hat. Ich will Sie nicht belästigen.«

»Es ist durchaus keine Belästigung. Ich suche die Liste heraus, sobald ich Zeit habe. Kümmern Sie sich um die bedauernswerte Frau.«

Ihrem Mienenspiel war nichts zu entnehmen. Er durfte nicht ungerecht werden. Sie war nicht anders als sonst. Sie war diejenige, die den Angehörigen immer die schlimmsten Nachrichten überbringen musste. Man bewunderte sie, weil sie es fertigbrachte. Man sagte ihr aber auch nach, dass sie überhaupt kein Gefühl hätte.

Sie war diejenige, die ihm am wenigsten entgegengekommen war und sich auch manchmal sehr aggressiv über die Überflutung durch ausländisches Klinikpersonal äußerte, wo doch Ärzte und Krankenschwestern in den Entwicklungsländern viel nötiger gebraucht würden. Es war einfach unvorstellbar, dass gerade Dr. Senta Orloff mehr Zeit an Dino Lauretti verschwendet haben sollte als jeder andere.

Immerhin bestand das Team aus vierzehn Ärzten und vier Ärztinnen, und dann kamen auch noch die Krankenschwestern hinzu. Junge und ältere, hübsche und weniger hübsche. Auch einige Orientalinnen und zwei Italienerinnen.

Während Dr. Achatz nun Manuelas Hand hielt, überlegte er, ob Dinos krankes Hirn sich nicht selbst etwas ausgedacht hatte.