Ein trügerischer Sommer - Marita Sonnenberg - E-Book

Ein trügerischer Sommer E-Book

Marita Sonnenberg

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Beschreibung

Wie weit darf eine Liebe gehen? Wieviel Leiden soll eine Liebende auf sich nehmen, um ihre Liebe zu retten, die in Wirklichkeit noch nicht begonnen hat? Die in der Region Düsseldorf lebende Journalistin und Autorin Marita Sonnenberg protokolliert minutiös den dramatischen Verlauf einer Internetbekanntschaft, das die Lesenden beinahe unweigerlich mitten ins Geschehen hineinzieht und sie voyeuristisch miterleben lässt. Ein ungewöhnliches und auch mutiges Format für ein Debüt, das sich gängigen Formaten verweigert. ‘Ein trügerischer Sommer‘ ist das Protokoll einer Internetbekanntschaft, die zweckgerichtet ist. Letztendlich missbräuchlich. Die Intensität des Austauschs von Nachrichten, von Gefühlen bekommt eine Eigendynamik, die jenseits des Alltags und der Realitäten stattfindet. Es entsteht eine Parallelwelt, ohne soziale Einbindung oder strukturelle Integration in das Leben des jeweils anderen. Es bindet in einem hohen Maße, macht süchtig, fordert mehr und ist doch absolut unverbindlich. Ein Rückzug scheint immer und zu jedem Zeitpunkt möglich. Zumindest für Viktor. Es wird zu einem grausamen Spiel bei größtmöglicher Isolation. Es entsteht eine Vertrautheit, die gegenüber dem engen sozialen Umfeld, Freunden und Familie verheimlicht wird. Florentina und Viktor lernen sich über eine Zeitungsannonce kennen. Viktor, ein erfolgreicher Unternehmer aus Wien sucht darin eine Frau, für die Seelenverwandtschaft kein Fremdwort ist und die frei für eine stimmige Liebe ist. So seine Profilanfrage. Florentina, Kreativdirektorin in München, bereit, sich auf eine solche Partnerschaft einzulassen, weist in ihrer Antwort darauf hin, dass sie zunächst kein Foto beilege, dies aber nach einer intensiveren Kommunikation gerne nachholen werde. Beide werden nie ein Bild des anderen erhalten. Zunächst kommunizieren sie vorsichtig und zurückhaltend per SMS. Darauf folgen einige, wenn auch regelmäßige Telefonate, bevor Viktor auf Bitten Florentinas einen E-Mail-Account einrichtet. Um möglichst schnell sehr viel über den anderen zu erfahren, schlägt Viktor ein Fragen-Antwort-Spiel vor, das schon sehr bald mit seiner enormen Sogkraft grenzüberschreitend auf Florentina wirkt. Die Emotionen überschlagen sich. Florentina und Viktor sind wie Getriebene in einem Rausch von Gefühlen. Viktor bestimmt die Regeln. Florentina lässt sich ein, obwohl ihre Skepsis wächst. Ein geplantes Treffen wird von Viktor immer wieder abgesagt und hinausgezögert. Bis zu dem Moment, in dem er Florentina mitt

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Marita Sonnenberg

Ein trügerischer Sommer

Ein trügerischer Sommer‘ ist das Protokoll einer Internetbekanntschaft, die zweckgerichtet ist. Letztendlich missbräuchlich. Die Intensität des Austauschs von Nachrichten, von Gefühlen bekommt eine Eigendynamik, die jenseits des Alltags und der Realitäten stattfindet.

Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

Prolog

Die Anzeige

Die Antwort

Die SMS

Antworten auf Fragen

Epilog

Die Autorin

Sparkys Edition

Zum Buch

Florentina und Viktor lernen sich über eine Kontaktanzeige kennen. Er ein erfolgreicher Unternehmer in Wien, sie Kreativdirektorin in München.

Die anfängliche Zurückhaltung ihrer Kommunikation wird schon sehr bald zu einer manisch getriebenen mit einem gefährlichen Frage-und-Antwort-Spiel. Grenzen werden überschritten. Ein verhängnisvoller Kontrollverlust setzt ein. Beide spüren diese Gratwanderung, in der sie verfangen. Die eine ungeheure Sogkraft entwickelt, der sie sich nicht entziehen können, die überleben lässt und dennoch emotionslos vernichtend ist.

Marita Sonnenberg dokumentiert diesen fragilen und dennoch brutal fordernden Schriftwechsel in einer minutiösen Chronologie von E-Mails in Echtzeit. Hautnah und ungefiltert. Ein trügerischer Sommer lässt erahnen, welche Macht die Anziehungskraft im fiktiven Raum hat. Wie sie manipuliert, wie sie fordert, wie sie drängt und jeglichen Schutz untersagt.

Marita Sonnenberg

Ein trügerischer Sommer

Impressum

Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder Institu

tionen sind reiner Zufall.

Alle Rechte unterliegen dem Urheberrecht. Verwendung und Vervielfältigung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Andrea Arendt

Korrektorat: Dr. Andreas Berger

Umschlaggestaltung: Designwerk-Kussmaul,

Weilheim/Teck, www.designwerk-kussmaul.de

Grafische Umsetzung Titelmontage: Designwerk Kussmaul

© 2023 Sparkys Edition

Herstellung und Verlag: Sparkys Edition,

Zu den Schafhofäckern 134, 73230 Kirchheim/Teck

ISBN: 978-3-949768-19-4

Druck: WirMachenDruck, Waiblingen

Prolog

Eine Begegnung ist ebenso zufällig, wie sie anfällig ist. Sie ist unabdingbar interkulturell, selbst innerhalb ihres angestammten, sozialisierten Kulturkreises. Sie ist ein faszinierend verschwörerisches Phänomen. Bisweilen dämonisierend. Nicht immer persönlich, dafür isolierend. Nicht immer direkt. Bisweilen flüchtig.

Begegnungen bedienen sich des Vakuums vermeintlicher Schnittstellen zweier Individuen auf der Suche nach Glück, nach Gemeinsamkeit, nach Kohärenz.

Begegnung ist eine Illusion des Sich-im-anderen-Findens bei gleichzeitigem Sich-im-anderen-Verlieren.

Sie ist erschöpfend und Aus-sich-schöpfend. Sie erzwingt die Nacktheit und erhöht den Drang, sich bedecken zu wollen. Sie mündet in einer sich ergebenen Haltung des Fatalismus, der Gewohnheiten, der Schamhaftigkeit, des Verrats an sich und dem anderen.

Eine Begegnung bedingt die Dramaturgie superlativer Ignoranz.

Florentinas Begegnung mit Viktor ist die Chronik eines von Beginn an sehnsüchtigen und leidenschaftlichen Aufeinanderzugehens ohne Erreichbarkeit.

Getrieben von einer Intensität, welche die Gedärme sprengt, von Illusionen getränkt, von tiefem Schmerz malträtiert, die von einer in sich einstürzenden pathologischen Verletztheit zu einem Unterfangen von Wahn und Wahnsinn wird, das sich selbst ad absurdum führt. Das einer feigen Absicht zum Opfer fällt, der nie auch nur der Hauch eines Vorhabens vorausgegangen ist.

Es ist die Fragmentierung einer Chronologie, die sich ineinanderfügt, nie ein Ganzes wird und sich in der Verleugnung verliert, in der Verweigerung.

Florentinas Trauma. Viktors Überleben.

Die Anzeige

Die Kapitulation auf der Basis einer Seeleninsolvenz.

Die Nüchternheit eines Marktplatzes der Täuschungen, der Blendungen, der Lügen, des Abwägens, des Sortierens, des Retouchierens, des Sich-selbst-Überlistens und das des anderen. Es ist eine Offenbarung der Verzweiflung, der Einsamkeit. Das Versagen der im Ursprung gewachsenen natürlichen Zugewandtheit.

Viktor war sich dieses seines höchst eigenen Desasters bewusst. Seine Kontaktanzeige war ein Hilferuf, dem noch viele weitere folgen sollten. Es war die Tragik seines Lebens. Eines Lebens, das sich zerfetzte zwischen den Welten, die ihm oktroyiert wurden, seinen Talenten, seiner Empfindsamkeit, seinem Kalkül, seiner Betroffenheit, seinem Getroffensein. Dabei hielt er nur an einer Welt fest: seiner eigenen, die sich ihm in zunehmendem Maße verweigerte. Sich ihm immer mehr entzog.

Sie verwandelte sich in ein Abziehbild, dessen einzelne Überlagerungen Schicht für Schicht abgetragen werden sollten.

Für Viktor war dies eine Häutung bei lebendigem Leib. Er verzieh weder sich noch den anderen.

War es die ihm eigene Ethik, die ihn hielt? Oder doch die moralische Ästhetik, die er sich disziplinarisch auferlegt hatte? Worin bestand der Unterschied? Woran sollte er dies festmachen? Für Viktor und die anderen in diesem Spiel des Lebens bedeutete dieses Sich-aufeinander-Einlassen ein Treiben auf offenem Meer. Sein eigener Strudel hielt ihn gefangen. Riss ihn in nur zu gut gekannte Tiefen. Es war ein wiederholter Absturz sehenden Auges. Um diesen zu verhindern, brauchte es ein Gegenüber der Fügsamkeit, der absoluten Loyalität.

Seinen Albtraum umgab er mit der Strahlkraft einer alles umblendenden Illuminierung. Die bewusst herbeigeführte Illusion erstickte alle aufkommenden Zweifel seiner Botschaft im Keim. Es war geradezu fahrlässig, auf ein derartiges Angebot nicht zu reagieren.

So erschien es Florentina.

Viktor wusste um die Dramatik dieser Kontaktanzeige. Sie allein und die damit verbundene Hoffnung auf Ablenkung, auf ein Sichöffnen ermöglichten ihm seine unverwundbare Rückkehr aus New York. Man würde die Antworten für ihn sammeln, bündeln, wie er Florentina später erzählte.

Seine Rückkehr hatte eine Perspektive. Unter der Last dieser Zuversicht bestieg er den Flieger nach New York, um sich dem Gigantismus dieser Stadt hinzugeben, in das Treiben einzutauchen, um ihm nach wenigen Wochen wieder zu entfliehen und sich der weiteren Askese seines Lebens zu unterwerfen.

Es würde jemand da sein, auf ihn warten, wenn auch zunächst in Form der mit hoffenden, malträtierten Herzen geschriebenen Briefe, so hatte er kalkuliert. Dessen war er sich gewiss. Allein diese Gewissheit hatte ihn bewogen, diese Reise zu unternehmen. Aus der Nähe heraus erschien es ihm unmöglich, all dies abwarten zu können. Er wollte für den Einzelfall nicht verfügbar sein. Das Prinzip des Bündelns übte eine Faszination aus, die weder rational noch emotional begründet war. Somit würde es Alternativen geben, Optionen, aus denen er wählen konnte. Es war die Anonymität der Erwartungen, auf die er sich einlassen würde. Seine eigenen würden auf diese Weise nur bedingt und limitiert erfüllt. Seine Seele nicht in Mitleidenschaft gezogen. Sie war nicht verhandelbar.

Viktor schaffte bereits Distanz, bevor er sich überhaupt auf eine noch nicht definierte und vorstellbare Form der Nähe eingelassen hatte.

Auf meiner Traumreise …

bin ich dir begegnet. Einer positiven, dem Leben zugewandten bewusst lebenden Frau, sensibel auch für die leisen Töne, warmherzig. Für die „Seelenverwandtschaft“ kein Fremdwort ist und die liebevoll unterstützend den Mut für einen gemeinsamen Lebensweg findet. Ich bin 58, Skorpion, erfolgreicher Unternehmer und bereit und frei für eine Liebe, die stimmig ist, auf Humor und Tiefe basiert. Arbeite und lebe in Wien.

(Bild-)Zuschriften unter: DIE ZEIT 2873 65 Die Zeit, 20079 Hamburg

Die Antwort

Ein Bewerbungsschreiben aus dem Inneren. Gelagert zwischen den Polen intimster Wünsche, geschuldet der Illusion der Auserwählten und dem Wissen um konkurrierende Bedürftigkeit, Kalkuliertheit und existenzielle Absichten.

Florentina war geübt darin, sich auf Wörter einzulassen. Es war ihre Welt. Die Form der Buchstaben zu betrachten, ihre stilistische Perfektion – wenn sie denn gewählt war – hatte etwas Erhabenes, das beim Lesen als aufwertender Begleiter des Inhaltes mitschwang.

Dies alles geschah an jenem Abend im Juli, als sie auf Viktors Anzeige stieß. Sie würde antworten.

Alles war nur eine Frage der Form, des Anspruchs, der Wahl der Worte. Florentina war in Festtagsstimmung. Sie triumphierte in siegessicherer Gewissheit.

Florentinas Briefe entstanden aus einem Diskurs zwischen Intellekt, Ideologie und Intuition, auf die sie sich verlassen konnte. Dessen war sie sich sicher.

Sie machte sich die Wörter zu eigen. Sie manipulierte sie. Sie missbrauchte sie. Es entstanden neue Wortschöpfungen. Sie verstümmelte Sätze. Verkürzte.

Im Gegenzug setzte sie Punkte erst nach langen in sich verschlungenen Reihen.

Ihre Abschnitte waren brutal. Sie verlor Zusammenhänge und diese sich. Allein zu dem Zweck, diese und sich wieder einzufangen. Sie ließ Sätze abbrechen. Dafür setzte sie Zeichen. Für sie waren es akrobatische Instrumente. Ihre Briefe hatten etwas Architektonisches. Selten blieb sie im Fluss. Sie forderte ihren Adressaten. Und schrieb doch nur an sich. Sie war Absender und Adressat zugleich. Ihre Virtuosität entpuppte sich als Deckmantel einer Botschaft an sich selbst mit einem Höchstmaß an Zufriedenheit. Ihr Schreiben war ein Schreiben aus dem Inneren.

Viktor sollte dieses zunächst nicht bemerken. Erst sehr viel später kritisierte er eine vermeintliche Projektion, die jedoch anders gelagert war, als er hätte vermuten können. Florentina verweigerte jedwede Aufklärung. Davor schützten ihn ihre vorausgegangene Betroffenheit und das daraus entstandene Schweigen.

Lieber Traumreisender,

als Hypothese würde ich dies zunächst gerne so stehen lassen. …

Ob diese einem Vergleich standhält und sich bewahrheitet, wäre zu beweisen.

Wahr ist, dass mich die Sensibilität in der Vorstellung eines gemeinsamen Lebenswegs berührt hat. Getragen von Achtsamkeit und Empathie für den anderen, der Aufmerksamkeit für die leisen Töne und einem liebevollen Umgang miteinander. Der Wunsch nach Stimmigkeit und damit einer möglichen Seelenverwandtschaft.

Ich hoffe, es ist nicht anmaßend, wenn ich hier versuche, die ‚Anforderungen‘ vorsichtig zu interpretieren und mich damit auch meinen Wunsch- und Wertevorstellungen zu nähern.

Ich bin 52, ebenfalls Skorpion.

Auch ich habe den Wunsch und die Freiheit, mich auf eine Partnerschaft einlassen zu wollen und zu können.

Und dieses möglichst auf eine Partnerschaft mit gegenseitigem Respekt. Eine Partnerschaft, die sich nicht in Oberflächlichkeiten verliert, die aufrichtig und authentisch ist. Welche auf ebenso großem Humor wie auf Tiefgang basiert, die eindeutig und klar ist und auf überflüssige Spielchen verzichtet. Eine Partnerschaft, in der sich eine tiefe Liebe entwickeln kann, in der auch gemeinsame Träume Zeit und Raum haben.

Ich arbeite als Kreativdirektorin in München. In Wien besuche ich immer wieder liebe Freunde. Ich mag die Atmosphäre dieser Stadt, die imposante Architektur. Und erlebe das Miteinander von Tradition und Moderne als sehr inspirierend.

Ich bitte um Nachsicht, dass ich zunächst kein Foto beilege, würde dies aber nach einem vertrauensvollen Kontakt gerne nachholen. Den Hinweis auf innere und äußere Schönheit habe ich sehr wohl verstanden. … Da bin ich reflektiert und selbstkritisch genug.

Es wäre schön, auf dieser Basis aufeinander zugehen zu können.

In einem Gespräch 0178. 4876898 oder per E-Mail. ([email protected]).

Einen herzlichen Gruß

Florentina

München, 20. Juli 2021

Die SMS

Es war einer jener Briefe aus einer Parallelwelt, die folgenlos in Vergessenheit gerieten. Auch des Vergessenwollens. Nicht zuletzt auch, da er so angelegt war. Es war eine Angelegenheit mit einem hohen Verfallsdatum, immer verbunden mit der Möglichkeit, dass sich das Geschriebene selbst zerlegte und auflöste in eine vermeintlich zu vermeidende Niederlage. Diese Möglichkeit in Betracht ziehend, war die Trutzburg des Selbstschutzes existenziell. Dennoch forderte er seinen Tribut.

Noch gab es kein Gegenüber, keine Sprachkultur, keinen Blickkontakt, keine Berührung. Keine Verbindlichkeiten, keine Ethik, keine Moral, keinerlei Verpflichtungen. Das Unbekannte einer brutalen Anonymität beherrschte die Szenerie.

So setzte bei Florentina schon nach einigen Tagen des Schweigens und der Ungewissheit, je eine Antwort auf ihre Antwort zu bekommen, ihre Vermeidungstaktik ein, die sie glaubte zu beherrschen.

Sie vergaß, bemühte das Schicksal und änderte nichts. Ein Nachfragen war ihr fremd, schien ihr unangemessen. Noch ahnte sie nichts von Viktors Flucht und seinem überlebensstrategischen Bündelprinzip.

Was nach dieser Zeit des Vergessens und des Ignorierens folgte, war die minimalisierte Form des Kontaktes auf der Überholspur. Flüchtig, sich selbst genügend und doch anrührend fragil.

Zugleich auch eine Genugtuung.

Da war sie wieder: die Überzeugungs- und Wirkungskraft des Geschriebenen. Es war nicht das einzelne Wort – es war das Gesamtbild, das zu einer derartigen Nachricht veranlasste. Sie hatte ihm keine Wahl gelassen. Ihre Worte hatten triumphiert, erhaben über alle Zweifel. Es würde ihr nicht schwerfallen, dem weiter zu genügen und damit eine beiderseitige Anspruchshaltung aufrecht zu halten. Das war ihr an jenem Sonntagmorgen klar, als sie Viktors Nachricht las, die sich auf ihrem Handy angekündigt und deren Ankündigung sie aufgeweckt hatte.

Es sollte der Start zu einem Spiel mit hohem Risiko und noch höherem Einsatz werden.

So. 08. Aug. 01.27 Uhr

Liebe Florentina,

gerade von einer längeren Reise nach New York zurückgekehrt, habe ich Ihren bezaubernden Brief vorgefunden, der so schöne und wichtige Gedanken enthält. Am liebsten hätte ich Sie bei Vollmond und trotz vorgerückter Stunde angerufen. Und es wäre ein tolles Gespräch geworden. Aber das geht ja nicht.

Bitte, liebe Florentina, teilen Sie mir kurz mit, wann ich Sie anrufen darf.

Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.

Mit herzlichen Grüßen

Viktor Berggrün

So. 08. Aug. 09.06 Uhr

Guten Morgen, lieber Viktor,

herzlichen Dank für die sympathische Nachricht zu nächtlicher Zeit. Ich bin mir nicht sicher, ob ich da ein guter Gesprächspartner gewesen wäre. … Bin jetzt auf dem Weg, liebe Freunde aus Berlin zu treffen.

Wenn es bei Ihnen passt, ich bin am späten Nachmittag zurück. Freue mich auf Ihren Anruf.

Ihnen einen schönen Sonntag.

Herzlichen Gruß

Florentina

Viktors Stimme besaß jenen Klang, den sie so liebte. Klar, geschult. Sehr präzise mit leichtem Schmäh, der ihr ein Lächeln aufs Gesicht zeichnete und sie in ihrem Sessel tiefer rutschen ließ. Mit dem Wohlklang war ein Wohlgefühl verbunden, das sich in ihrem Körper ausbreitete. Sie wagte nicht, ihn zu unterbrechen. Dennoch vernahm sie eine gewisse Unsicherheit, eine leichte Hektik, die zur Eile drängte, das Gespräch bald zu beenden.

Von einem ersten Treffen war die Rede, von einem kurzfristig anberaumten Termin in ihrer Stadt. Da waren sie, die ersten Berührungen. Getrieben – mutig, neugierig, unabdingbar. Es wäre zu vermessen, dies alles an jenem Sonntagabend schon einordnen zu können.

Erst sehr viel später wurde Florentina klar, welch enormes Risiko diese vermeintlich einschätzbare Risikobereitschaft beinhaltet hatte. Eine Auflösung dieses Vorhabens erfolgte erst sehr viel später. Zu spät, wie sich herausstellen sollte. Nicht im zeitlichen Verlauf. Eher die Intensität der Emotionalität betreffend.

So nahmen sie beide unter den unterschiedlichsten Voraussetzungen mögliche Verluste in Kauf, ohne auch nur im Ansatz den Einsatz zu kennen. Einer Einschätzung verweigerten sie sich.

Es entstand eine Eigendynamik, die niemand von ihnen zunächst zu stoppen wagte.

Selbst dann nicht, als Viktor unter sich selbsterklärenden Vorwänden ein leichtes Zögern erkennen ließ.

Mo. 09. Aug. 17.00 Uhr

Liebe Florentina,

leider klappt es nächste Woche nicht. Ich melde mich wegen eines neuen Vorschlags.

Mit herzlichen Grüßen

Viktor

Mo. 09. Aug. 17.15 Uhr

Schade, ich hatte mich auf die Begegnung und ein erstes Kennenlernen gefreut.

Bis dahin eine gute Zeit.

Herzlichen Gruß

Florentina

Mo. 09. Aug. 23.46 Uhr

Liebe Florentina,

ich konnte heute Abend bei meinen Gesprächspartnern erreichen, dass der Donnerstagtermin wieder steht. So bleibt es bei unserem Plan, worüber ich mich sehr freue. Ich übernachte im Bayerischen Hof. Da gibt es ein ordentliches Lokal, aber sicher haben Sie viel bessere Empfehlungen. Nennen Sie doch Ihr Lieblingslokal, dann kann ich eine Reservierung machen.

Schön, dass wir uns jetzt doch bald sehen!!

Mit herzlichen Grüßen

Viktor

Weder Viktor noch Florentina schienen bereit, sich zu schützen. Ihr beider Schutzmechanismus wäre für den Moment ein resignierendes Unterfangen gewesen, das ihrer beider Angelegenheiten nicht gerecht werden konnte. Florentinas Unbehagen unterlag der Euphorie. All dies war schon jetzt Viktors Geheimnis. Noch war es zu früh, dies preiszugeben. Florentinas Unwissenheit eröffnete ihm ungeahnte Möglichkeiten, mit immer wieder neuen Spielbällen zu jonglieren.

Mo. 09. Aug. 23.52 Uhr

Lieber Viktor,

vielen lieben Dank für die Nachricht. Auch ich freue mich darüber. Das ist sicherlich eine gute Option. Über eine Alternative denke ich nach. Vielleicht können wir dazu noch einmal sprechen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.

Lieben Gruß

Florentina

Di. 10. Aug. 00.02 Uhr

Auch ich wünsche Ihnen natürlich eine gute Nacht. Wir können sehr fein essen gehen oder eben Erbsensuppe. Oder wir kombinieren beides. Hier haben Sie alle Spielräume. …

Dabei war es Viktor, der sich seine Spielräume nahm. Bei Florentina machte sich eine erste Skepsis breit. Die sie jedoch bereitwillig ignorierte. Sie war entschlossen, Viktor zu begegnen. Bei aller in ihr wachsenden Unstimmigkeit.

Di. 10. Aug. 09.24 Uhr

Guten Morgen, lieber Viktor,

ich würde gerne Ihren Vorschlag annehmen und mich mit Ihnen im Hotel zum Essen treffen. Für ein ruhiges Gespräch ist dies sicherlich das ideale Ambiente. Schließlich möchte ich schon noch erfahren, worüber Sie mit mir Sonntagnacht hätten sprechen wollen. Ich hoffe, der Impuls dazu hält an. …

Lieben Gruß

Florentina

Di. 10. Aug. 14.26 Uhr

Liebe Florentina,

wollen wir uns am 19.8. um 19.30 im Bayerischen Hof treffen? Wir werden uns schon irgendwie erkennen! Ich wollte mit Ihnen zu später Stunde nicht über ein bestimmtes Thema reden. Ich war beflügelt von Ihrem schönen Brief und wollte Ihre Stimme hören.

Liebe Grüße

Viktor

Di. 10. Aug. 17.27 Uhr

Ja, gerne. Mit dem ‚anhaltenden Impuls‘ war dies auch so verstanden und gemeint, … eben die Spontaneität und Emotionalität. Ich freue mich auf unsere Begegnung, wenn auch mit ein bisschen Anspannung. Aber die gehört wohl dazu.

Lieben Gruß

Florentina

Di. 10. Aug. 21.40 Uhr

Der Zen-Buddhismus lehrt das Verhältnis von Anspannung und Entspannung. Jede Anspannung muss aus tiefster Entspannung kommen. Vor jedem Kongress, jedem Konzert in meinem Leben war ich aufgeregt. Nur im Zustand der Aufregung/Erregung agiert man optimal. Aber die Atmung und die Hände waren immer ruhig. In der Ruhe liegt die Kraft. Das kann man auf das ganze Leben übertragen. Nur Ruhe allein jedoch ist tot, die Impulse sind das Wertvolle. Denken Sie nicht an Anspannung, sondern an Ihren Impuls. Dem muss man freien Raum geben. Dann entspannen Sie in Freude und Leichtigkeit.

Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht!

Liebe Grüße

Viktor

Damit hatte Viktor jene Sphäre erreicht, die Florentinas Gemüt ins Mark traf. Ihrer anhaltenden Ambivalenz gegenüber esoterischen Zwischenwelten war damit einmal mehr Einhalt geboten. Umgeben mit dem Flair des Intellektuellen, erhielt sie ihre anhaltende zugespitzte Berechtigung und die notwendige Unterstützung, sich diesem weiten Feld der Zwischenwelten im Diskurs zu öffnen. Wie fatal diese Freizügigkeit für sie werden sollte, hätte sie schon jetzt erspüren können.

Di. 10. Aug. 22.05 Uhr

Ich weiß um diese Momente aus Yoga und Meditation, die zu Wachheit und Achtsamkeit führen. Ebenso um die Intuition, die dem Kognitiven vorausgeht und einen ersten Impuls setzt. Auch um die Erfahrung, sich dem zu nähern und das zusammenzubringen. Scheint, als hätten wir Gesprächsstoff für mehr als einen Abend, denn das ist mehr als nur eine Geschichte.

Schlafen Sie gut.

Lieben Gruß

Florentina

Di. 10. Aug. 22.23 Uhr

Ich habe noch 2 Fragen:

Welchen Ursprung hat Ihr wunderschöner Name?

Wenn denn schon nicht nach Mitternacht, was ich verstehe, was ist für Sie der ideale Gesprächszeitpunkt, vorausgesetzt, es ist ein idealer Gesprächspartner?

Lieben Gutenachtgruß

V.

Di. 10. Aug. 22.31 Uhr

Zu Frage 1.

Es ist ein urkatholischer Name. Kommt aber ursprünglich aus dem Portugiesischen und bedeutet Blütezeit, was aber meinen Eltern sicherlich nicht bewusst war.

Zu Frage 2.

Jede Zeit ist recht, wenn es der richtige Gesprächspartner ist. Auch wenn wir uns noch nicht begegnet sind, würde ich mich über einen weiteren Anruf zu jeder Zeit freuen.

Di. 10. Aug. 22.39 Uhr

Ihre letzte Aussage gibt mir Mut. Ich bin an sich ein Briefeschreiber. Das Tel. ist ein schwieriges Medium, wenn man sich nicht wirklich kennt. Die Augen, die alles sagen, fehlen. Ab dem Bayerischen Hof ist auch Tel. kein Problem mehr. Ich pflege ein Brieftagebuch, einen DIN-A5-Leuchtturm. Jede Partei schreibt einen Brief in Tagebuchform und schickt das Buch an den anderen, der ebenfalls in Briefform antwortet. Und dann geht es mit der Post wieder retour.

Zur Vorbereitung unserer Begegnung im Bayerischen Hof sollte jeder von uns nachdenken, ob es minimalistische Erkennungszeichen gibt, die ein Erkennender komplex im Bruchteil von Sekunden zusammenfügt, ohne dass wir auf lästige Weise den Portier fragen müssen.

Also jetzt rufe ich Sie, liebe Florentina, nicht mehr an, das verbietet ja schon die altrömische Provenienz Ihres Namens. Ich denke, morgen, nach der 1. Messe. Ich selbst bin Protestant, gehe aber nur in katholische Kirchen, meistens wenn sie leer sind oder dort konzertiert wird.

Di. 10. Aug. 22.46 Uhr

Liebe Florentina,

ich wünsche Ihnen nochmals eine gottgesegnete Nachtruhe. Jetzt müssten Sie eigentlich schon tief schlafen.

Viele liebe Grüße

V.

Viktor erhöhte den Druck, um seinem eigenen zu entkommen, der gegen Abend anstieg. Florentina spürte diese Intensität zu genau, als dass sie sich damit beschäftigen wollte. Sie nahm den von Viktor ausgeübten Druck auf und gab sich ihm hin.

Sie gab ihn, für Viktor nicht zu vernehmen, zurück. Sie gestattete sich weder Zeit noch Raum. Geboren aus ihrer beider Not und Bedürftigkeit. Von denen der jeweils andere nichts wusste, nur ahnte. Diese gewollte Unkenntnis war die eigentliche Tragik. Die rote Linie war längst überschritten.

Es wurde zu einer brutalen Annäherung nach dem Vermeidungsprinzip eines Absturzes – auf beiden Seiten.

---ENDE DER LESEPROBE---