Ein Vermächtnis wird zum Appell - Ernst-August Bremicker - E-Book

Ein Vermächtnis wird zum Appell E-Book

Ernst August Bremicker

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Beschreibung

Letzten Worten schenken wir gewöhnlich besondere Aufmerksamkeit. Ähnlich wird es Timotheus gemacht haben, als er den Brief in Händen hielt, den der Apostel Paulus kurz vor seiner Hinrichtung in Rom geschrieben hat. Dieser Brief gleicht einem Vermächtnis. Dass der Apostel Paulus in seiner schwierigen Situation überhaupt noch seinem jungen Freund Timotheus schrieb, zeigt etwas von seiner Glaubensfestigkeit und seiner Liebe. Es war dem Apostel wichtig, dass Timotheus das "Bild gesunder Worte" festhielt und weitergab. Deshalb enthält der Brief viele zu Herzen gehende Appelle. Paulus warnt Timotheus vor gefährlichen Entwicklungen. Er macht ihm aber auch Mut, seinen Dienst unbeirrt fortzusetzen. Nicht zuletzt erinnert Paulus ihn immer wieder an die göttlichen Hilfsquellen, die zu allen Zeiten den Gläubigen zur Verfügung stehen. Der zweite Timotheusbrief ist hoch aktuell! Es lohnt sich, ihn zu studieren.

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Dieser Kommentar ist erschienen bei Christliche Schriftenverbreitung e.V.ISBN Printversion: 978-3-89287-230-6 ISBN E-Book: 978-3-89287-583-3 © 2021 Christliche Schriftenverbreitung e.V. und www.bibelkommentare.deDieser Kommentar ist im Internet veröffentlicht unter: www.bibelkommentare.de/ebooks/uid?cmt.490.epubKontakt: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Ermunterung zum Dienst

Das Apostelamt des Paulus

Die Berufung zum Apostelamt

Die Grundlage des Apostelamts

Der Charakter des Apostelamts

Ein besonderes Verhältnis

Gnade, Barmherzigkeit und Friede

Von Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Herrn

Gebet

Tränen

Freude

Das reine Gewissen des Paulus

Ungeheuchelter Glaube

Die Familie des Timotheus

Die Gnadengabe des Timotheus

Die Gnadengabe anfachen

Der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit

Schäme dich nicht

Leide Trübsal

Ein Einschub

Errettet und berufen

Nicht aus Werken

Die Erscheinung unseres Heilandes Jesus Christus und ihre Folgen

Ans Licht gebracht durch das Evangelium

Ein besonderer Auftrag

Die Glaubenszuversicht des Paulus

Die Glaubensüberzeugung des Paulus

An jenem Tag

Das Bild gesunder Worte

In Glauben und Liebe

Ein schönes und anvertrautes Gut

Durch den Heiligen Geist bewahren

Alle, die in Asien sind

Das Haus des Onesiphorus

Barmherzigkeit

Das große Haus

Du nun

Mein Kind

Stark sein

Die Quelle unserer Kraft

Von Paulus gelernt

Das Glaubensgut weitergeben

Keine apostolische Nachfolge

Drei Bilder

Erstes Bild: Der Soldat

Unser Kampf

Trübsale

Streiter Christi Jesu

Aktive Soldaten

Konzentration auf das Wesentliche

Dem gefallen, der uns angeworben hat

Zweites Bild: Der Sportler

Voraussetzungen

Die Art und Weise ist wichtig

Drittes Bild: Der Ackerbauer

Saat und Ernte

Ohne Fleiß kein Preis

Bedenken

Verständnis in allen Dingen

Im Gedächtnis halten

Jesus Christus

Nach meinem Evangelium

Trübsal leiden

Das Wort Gottes ist nicht gebunden

Ermunterung in Trübsalen

Auserwählung und Errettung

Ewige Herrlichkeit

Eine zuverlässige Aussage

Mitsterben und Mitleben

Ausharren und Mitherrschen

Wir verleugnen – Er verleugnet

Wir sind untreu – Er bleibt treu

In Erinnerung bringen

Bezeugen

Vor dem Herrn

Kein Wortstreit

Befleißige dich

Gott bewährt

Das Wort der Wahrheit recht teilen

Keine Scham

Ungöttliches und leeres Geschwätz

Das Fortschreiten des Bösen

Hymenäus und Philetus

Von der Wahrheit abirren

Die Wahrheit der Auferstehung

Den Glauben zerstören

Der feste Grund Gottes und sein Siegel

Die Seite Gottes: Der Herr kennt, die sein sind

Die Seite unserer Verantwortung: Abstehen von der Ungerechtigkeit

Ein großes Haus

Das Material der Gefäße

Die Brauchbarkeit der Gefäße

Eine persönliche Ansprache

Sackgassen

Der Weg Gottes: Trennung vom Bösen

Ein Gefäß zur Ehre

Fliehen

Streben

Keine Isolation

Törichte und ungereimte Streifragen

Knechte des Herrn streiten nicht

Sanftmütige Zurechtweisung

Das Ziel der Zurechtweisung

Letzte Tage und schwere Zeiten

Letzte Tage – schwere Zeiten

Menschen

Eine äußere Form ohne Kraft

Wegwenden

Aus diesen

Lernen ohne Ergebnis

Jannes und Jambres

Verdorben und unbewährt

Gott legt die Grenze fest

Das Beispiel des Paulus

Verfolgungen und Leiden

Die Rettung des Herrn

Gottselig leben und leiden

Böse Menschen und Betrüger

Du aber

Bleiben

Was und von wem du gelernt hast

Von Kind auf

Die heiligen Schriften

Die Errettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist

Alle Schrift von Gott eingegeben

Alle Schrift ist nützlich

Der Mensch Gottes

Vollkommen

Zu jedem guten Werk völlig geschickt

Ein geistliches Vermächtnis

Ein ernstliches Zeugnis

Drei Beweggründe für den Dienst

Predige das Wort

Halte darauf

Zu gelegener und ungelegener Zeit

Überführen, zurechtweisen und ermahnen

Eine ernste Zeit

Die Ohren von der Wahrheit abkehren

Zu den Fabeln hingewandt werden

Eine vierfache Aufforderung

Die Zeit des Abscheidens

Ein geistliches Trankopfer

Ein Rückblick

Den guten Kampf gekämpft

Den Lauf vollendet

Den Glauben bewahrt

Die Krone der Gerechtigkeit

An jenem Tag

Ein gerechter Richter

Seine Erscheinung lieben

Ein Wunsch von Paulus an Timotheus

Demas hat mich verlassen

Kreszens und Titus

Lukas – nicht allein gelassen

Markus – kein hoffnungsloser Fall

Tychikus – ein geliebter und treuer Bruder

Irdische Bedürfnisse

Widerstand

Vor dem Kaiser in Rom

Der Herr stand mir bei

Gerettet aus dem Rachen des Löwen

Gerettet und bewahrt

Gute Freunde

Erastus und Trophimus

Vor dem Winter

Unbekannt und doch genannt

Schlussworte

Einleitung

Ein besonderer Brief

Der zweite Brief des Paulus an sein geistliches Kind Timotheus nimmt unter den Briefen des Apostels Paulus einen besonderen Platz ein. Zwei Merkmale unterscheiden ihn von seinen übrigen Briefen:

Es ist der letzte Brief, den Paulus – vom Heiligen Geist inspiriert – überhaupt geschrieben hat. Man nimmt an, dass er ca. im Jahr 66 kurz vor seiner Hinrichtung in Rom verfasst wurde. Insofern haben wir mit diesem Brief ein besonderes Vermächtnis vor uns. Letzte Worte großer Männer Gottes waren häufig bedeutsame Worte. Wir denken etwa an die letzten Worte Jakobs, Moses, Josuas oder Davids, von denen das Alte Testament berichtet. Wir denken besonders an die letzten Worte unseres Herrn in Johannes 13–17, die Er vor seinem Tod an seine Jünger richtete.Hier nun wird das Vermächtnis des Paulus zu einem Appell an sein geistliches Kind Timotheus. Es ist ein besonderes Dokument im Blick auf die Empfindungen von Paulus am Ende seines Lebens. Er befand sich in schwierigen Umständen und litt im Gefängnis in Rom. Er war seinen Leiden gegenüber sicher nicht gleichgültig. Dennoch lag ihm etwas anderes mehr am Herzen: Er wollte Timotheus ermuntern. Er wollte Timotheus warnen. Timotheus sollte im Dienst für seinen Herrn nicht nachlassen, trotz – oder gerade wegen – der schwierigen Umstände, in denen er sich befand.Dieser Brief wird damit zu einer Herausforderung für jeden, der ihn liest, dem Herrn folgt und Ihm dienen möchte. Die Zeit, in der wir leben, ist eine schwierige Zeit. Die Warnungen dieses Briefes haben bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren. Das gilt ebenso für die Ermunterungen, die Paulus anspricht. Der Herr möchte jeden von uns im Dienst für Ihn benutzen. Dazu will uns dieser Brief motivieren.

Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit der einzige Brief, den der Apostel Paulus aus seiner zweiten Gefangenschaft in Rom geschrieben hat. Wir wissen, dass Paulus zweimal in Rom inhaftiert wurde. In der ersten Gefangenschaft ging es ihm relativ erträglich. Er hatte – zumindest eingeschränkt – die Möglichkeit, für seinen Herrn zu arbeiten. Er befand sich zeitweise in einem eigenen Haus (Apg 28,30) und stand unter Arrest. Dort konnte er Besuch empfangen. Aus dieser ersten Gefangenschaft ist uns eine Reihe von schriftlichen Dokumenten erhalten geblieben. Dazu zählen die Briefe an die Epheser, Kolosser und Philipper. Nach der ersten Gefangenschaft muss Paulus noch einmal auf freiem Fuß gewesen sein, denn er erwähnt, dass er in Troas seinen Mantel und in Milet Trophimus krank zurückließ (Kap. 4,13.20). Offensichtlich hatte er seine Reisetätigkeit erneut aufnehmen können.Bis zu diesem Zeitpunkt galt das Christentum bei den römischen Behörden im Wesentlichen als eine Absplitterung vom Judentum. Man maß ihm keine allzu große Bedeutung bei. Weil sich die Vorwürfe der Juden gegen Paulus als nicht haltbar erwiesen, kam er frei. Ab dem Jahr 64 n. Chr. wurden dann – besonders unter Kaiser Nero, der von 54–68 n. Chr. regierte – die Christen allgemein verfolgt. Paulus wurde erneut inhaftiert. Diesmal war seine Haft mit den unangenehmsten Begleitumständen verbunden: Er saß in einer dunklen Todeszelle irgendwo in den Katakomben von Rom, den sicheren Tod vor Augen. Als römischer Staatsbürger musste er zwar nicht damit rechnen, den Löwen zum Fraß vorgeworfen oder gekreuzigt zu werden. Die Aussicht, enthauptet zu werden, war allerdings ebenfalls alles andere als angenehm.Vor diesem dunklen Hintergrund müssen wir diesen Brief lesen und verstehen. Hinzu kam noch: Nicht nur die äußeren Umstände waren von großem Elend und von Not gekennzeichnet. Paulus erwähnt in Kapitel 1,15 den Umstand, dass die Gläubigen in Kleinasien sich von ihm abgewandt hatten. Sie distanzierten sich von diesem Gefangenen in Rom. Die genauen Gründe dafür können wir nur erahnen. Diese Abwendung empfand Paulus tief. Sie tat ihm sehr weh. Gerade da, wo er mit großem Segen gearbeitet hatte, wollte man ihn nicht mehr haben. Es schien als sei die Frucht seiner Arbeit verloren gegangen.Paulus war diesen Umständen gegenüber keineswegs gleichgültig. Der Brief, den er an Timotheus schreibt, zeugt deutlich davon. Seine Zeilen lassen uns einen Blick in die Empfindungen des Herzens dieses großen Gottesmannes am Ende seines Lebens tun. Trotz seiner widrigen Umstände verfällt Paulus nicht in Resignation oder Depression. Er lehnt sich nicht gegen sein Schicksal auf. Nein, er vertraut seinem Herrn. Er weiß alles, was er erarbeitet hat, in der mächtigen Hand seines Herrn (Kap. 1,12). Dort würde nichts verloren gehen. Er spricht davon, dass er den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet und den Glauben bewahrt hatte. Er spricht von der Krone der Gerechtigkeit, die für ihn bereitlag (Kap. 4,7.8).Dennoch ist Paulus in diesem Brief weniger mit sich als vielmehr mit seinem Freund und Bruder Timotheus beschäftigt. Er will ihn erstens vor der Entwicklung

warnen

, die das christliche Zeugnis auf dieser Erde nehmen würde. Zweitens will er ihm

Mut

machen

, seine Aufgabe zum Dienst ernst zu nehmen (Kap. 1,6) und darin konsequent zu sein. Drittens erinnert er ihn immer wieder an die

Hilfsquellen

, die ihm zur Verfügung standen. Der Herr bleibt unveränderlich derselbe. Ihn sollte Timotheus nicht aus den Augen verlieren. Daneben wird das Wort Gottes – die unveränderliche Wahrheit – immer wieder erwähnt.

Ein persönlicher Brief

Der Brief an Timotheus ist kein Brief an eine örtliche Versammlung. Er ist an eine Einzelperson gerichtet. Der Ältere, Paulus, schreibt an den Jüngeren, Timotheus. Die beiden waren freundschaftlich miteinander verbunden, besonders im Dienst für den Herrn. Man zählt diesen Brief zu den sogenannten „Pastoral- oder Hirtenbriefen“ (Hirte heißt auf Lateinisch Pastor). Das sind die Briefe, die Paulus an seine engen Mitarbeiter Timotheus und Titus geschrieben hat. Dieser Umstand gibt diesen drei Briefen einen eigenen Charakter. Timotheus und Titus waren persönliche Mitarbeiter von Paulus, die eine spezielle Aufgabe zu erfüllen hatten. Es gibt einzelne Aussagen in diesen Briefen, die wir nur unter diesem Aspekt richtig verstehen können.

Die drei Pastoralbriefe – so unterschiedlich sie in sich sind – haben ein gemeinsames übergeordnetes Thema: Es geht um das Verhalten im Haus Gottes. Gemeint ist damit nicht in erster Linie die innere Ordnung in der örtlichen Versammlung und in den Zusammenkünften. Diese Belehrungen finden wir beispielsweise im ersten Korintherbrief. Das Thema der Ordnung und des Verhaltens ist weiter gefasst und geht über die innere Ordnung hinaus. Es geht in den Pastoralbriefen nicht vordergründig darum, dass wir das Haus Gottes bilden oder dass wir daran bauen (was an und für sich natürlich wahr ist). Es geht vielmehr darum, dass der Christ sich im Haus Gottes befindet und sich deshalb entsprechend zu verhalten hat (1. Tim 3,15). Unser Verhalten, d. h., unsere ganze Lebensführung, soll erstens zum Wohlgefallen dessen sein, dem das Haus gehört – Gott. Er möchte in unserem Verhalten gesehen und geehrt werden. Zweitens soll unser Verhalten ein Zeugnis für die uns umgebende Welt sein. Das Haus Gottes – die Versammlung als seine Wohnstätte – ist bis heute Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit.

In seinem ersten Brief spricht Paulus von diesem Haus Gottes. Es gab Einzelne, die bezüglich ihres Glaubens Schiffbruch erlitten hatten (Kap. 1,19). Ein großer Teil der Gläubigen ging allerdings den Weg mit dem Herrn. Dennoch warnt Paulus davor, dass falsche Lehrer kommen würden, um den Gläubigen zu schaden. Darüber spricht er ausführlicher in seinem zweiten Brief, der etwa drei Jahre nach dem ersten Brief geschrieben worden ist. Dieser Brief erwähnt nicht mehr das „Haus Gottes“ (das natürlich immer noch existiert), sondern spricht von einem „großen Haus“ (Kap. 2,20). Das Thema im zweiten Brief ist Verfall und Niedergang. Viele, die sich zu Christus bekennen, sind kaum noch als echte Christen zu erkennen. Es sind nur Wenige, die dem Herrn in Treue folgen und Ihm dienen. Doch bleiben beide Seiten wahr: Die Versammlung ist immer noch das „Haus Gottes“ und „Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit“ (1. Tim 3,15), d. h., die Wahrheit ist nur in der Versammlung zu finden. Gleichzeitig gibt es Verfall und Niedergang.[1]

Der Hintergrund des zweiten Briefes an Timotheus ist insofern eher trauriger Natur. Das, was unter dem Segen des Herrn durch die Arbeit von Paulus gewachsen war, befand sich bereits im Verfall. Wir denken daran, wie Paulus gerade in Ephesus eine offene Tür gefunden hatte. Sein Brief an die Epheser zeugt davon, dass sich die Gläubigen dort in einem guten Zustand befunden hatten. Umso bemerkenswerter ist es, dass Paulus seine Briefe an Timotheus gerade an diesen Ort schicken musste, wo er drei Jahre lang segensreich gearbeitet hatte. Die Gläubigen in Asien hatten sich von Paulus abgewandt. Die Herzen waren nicht mehr brennend für den Herrn (vgl. Off 2,4). Zusätzlich ließ man es zu, dass falsche Lehren und Praktiken eingeführt wurden. Paulus hatte diese Untreue deutlich vor Augen. Gleichzeitig war es für ihn ein Trost, dass der Herr treu bleiben würde (Kap. 2,13).

Verantwortung und Hilfsquellen

Paulus hatte den Märtyrertod vor Augen. Trotzdem war er in seinen Gedanken bei Timotheus. Er wollte ihn auf diese Entwicklung vorbereiten. Sie sollte Timotheus nicht überraschen. Sie sollte nicht dazu führen, dass er im Dienst nachlassen würde. Er machte ihm Mut, seinen Dienst in Treue und Hingabe zu tun. Gleichzeitig wies er ihn auf die Hilfsquellen hin, die er in seinem Herrn hatte. Das alles spricht uns genauso an. Wir leben in der Zeit, die Paulus „letzte Tage“ und „schwere Zeiten“ nennt (Kap. 3,1). Dieser Brief spricht also direkt in unsere Zeit hinein. Zwei Seiten wollen wir besonders betonen:

Die Verantwortung des Dieners: Sie wird durch die persönliche Ansprache des Briefes unterstrichen. Dreimal lesen wir das Wort „du aber“ (Kap. 3,10; 3,14; 4,5). In Tagen von Niedergang und Rückschritt kommt es mehr denn je auf den Einzelnen an. Ein Schlüsselvers des Briefes ist die Aussage in Kapitel 2,15: „

Befleißige dich, dich selbst Gott als bewährt darzustellen, als einen Arbeiter, der sich nicht zu schämen hat, der das Wort der Wahrheit recht teilt.

“ Wenn die große Masse von der Wahrheit abweicht, soll der Einzelne doch treu zu seinem Herrn stehen. Trotz aller persönlichen Verantwortung bleibt dennoch wahr, dass der Herr uns immer Glaubensgeschwister zur Seite stellt, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen (Kap. 2,22).

Die Hilfsquellen, die wir in unserem Herrn haben: Siebenmal lesen wir davon, dass wir etwas „in Christus Jesus“ haben. Die Gnade des verherrlichten Herrn (Christus), der einst in Niedrigkeit auf dieser Erde lebte (Jesus), steht jederzeit zur Verfügung. Von ihr können wir jeden Tag Gebrauch machen:1. Kapitel 1,1: Die Quelle und der Sitz des ewigen Lebens sind in Christus Jesus. Das ewige Leben steht hier als Ziel vor uns, das ganz sicher ist.2. Kapitel 1,9: Jesus Christus ist der Mittler der Gnade Gottes zum Heil. Diese Gnade Gottes ist in der Zeit (d. h. vor fast 2.000 Jahren) in der Person seines Sohnes erschienen. Sie ist uns bereits in der Ewigkeit vor der Zeit („vor ewigen Zeiten“) gegeben.3. Kapitel 1,13: Das Fundament des Glaubens und der Liebe ist ebenfalls in Christus Jesus zu finden. Nur so sind wir in der Lage, das Bild gesunder Worte wirklich festzuhalten.4. Kapitel 2,1: Zum Dienst benötigen wir Kraft. Diese Kraft finden wir in der Gnade, die in Christus Jesus ist.5. Kapitel 2,10: Paulus litt, doch er wusste warum. Er wünschte, dass die Auserwählten, ebenso wie er, das Heil erlangen würden, das in Christus Jesus ist. Wenn es einen Garanten – einen Bürgen – dafür gibt, dann Christus Jesus.6. Kapitel 3,12: Ein Leben echter Gottseligkeit und wahrer Frömmigkeit – also ein Leben zur Ehre des Herrn – ist nur in Christus Jesus möglich. Es findet in Ihm seine Grundlage.7. Kapitel 3,15: Erneut geht es um das ewig sichere Heil. Paulus weist auf den Weg hin, dieses Heil zu erlangen. Es ist der Glaube, der wiederum in Christus Jesus ist.Schließlich endet der Brief mit dem Hinweis darauf, dass der Herr Jesus Christus mit unserem Geist sein wird.

Eine Ansprache für jeden

Der zweite Brief an Timotheus enthält nicht nur eine direkte Ansprache für Timotheus, an den dieser Brief damals geschrieben wurde. Er hat zugleich eine aktuelle Botschaft für die Zeit, in der wir heute leben. Es ist eine Zeit, in der deutliche Verfallserscheinungen innerhalb des christlichen Bekenntnisses sichtbar werden. Die letzten Tage sind gefahrvolle Zeiten. Was vollkommen aus der Hand Gottes hervorgegangen ist, wird unter der Verantwortung von uns Menschen zerstört. Diese bedrohlichen Zeiten erleben wir heute hautnah.

Es ist immer noch wahr, dass die Versammlung die Wohnstätte Gottes im Geist ist. Nach dem Ratschluss Gottes besteht die Versammlung aus lebendigen Steinen. Christus baut diese Versammlung, „und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen“ (Mt 16,18). Diese Sichtweise Gottes finden wir im Neuen Testament mehrfach vorgestellt. Es ist gut, wenn wir diese Sichtweise unbedingt für uns im Auge behalten. Allerdings ist es ebenso wahr, dass Gott uns zugleich wiederholt die Seite unserer Verantwortung vor Augen führt. Wir waren nicht wachsam genug. Wir haben es an Hingabe und Eifer für unseren Herrn fehlen lassen. Deshalb ist – unter dem Blickwinkel der Verantwortung von uns Menschen – vieles in dieses Haus hineingekommen, was nicht hineingehört. Wir haben – um im Bild von 1. Korinther 3 zu sprechen – nicht nur mit Gold, Silber und kostbaren Steinen gebaut, sondern genauso mit Holz, Heu und Stroh. Das Haus Gottes wird mit einem großen Haus verglichen. Darin gibt es wiedergeborene Menschen, aber leider ebenso Menschen, die zwar ein Bekenntnis haben, jedoch kein Leben aus Gott. Das ist der Zustand der Christenheit, wie wir ihn heute vorfinden.

Der Herr Jesus hatte das schon vorausgesagt, als Er seinen Jüngern die Gleichnisse vom Reich Gottes gab. Durch mangelnde Wachsamkeit kam der Feind und säte Unkraut unter den Weizen (Mt 13,25). Auf die Frage seiner Jünger sagte der Herr ihnen, dass sie das Unkraut nicht ausreißen sollten. Das Reich Gottes ist heute – unter dem Blickwinkel der menschlichen Verantwortung gesehen – eine gemischte Sache. Es ist nichts anderes als die Christenheit. Die Menschen, die sich in diesem (Be-)Reich aufhalten, haben ein Bekenntnis: Sie nennen sich Christen. Leider ist dieses Bekenntnis bei vielen nicht echt. Es sind Menschen, die eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft jedoch verleugnen (Kap. 3,5).

In dieser Situation stellt sich für jeden, der seinem Herrn in Treue folgen möchte, die Frage, wie er sich persönlich verhalten soll. Was ist der Wille und der Weg des Herrn für uns? Bei der Beantwortung dieser Frage hilft uns dieser Brief. Wir lernen, wie wir uns als „Menschen Gottes“ in dieser schweren Zeit richtig verhalten können. Dazu gehört, dass wir die Wahrheit kennen, sie schätzen und sie festhalten. Festhalten schließt Praktizieren ein. Wir müssen die Wahrheit hochhalten und gleichzeitig das Evangelium weiter verbreiten. Wir erkennen beim Lesen des ganzen Briefes, wie dem Apostel Paulus gerade diese beiden Seiten besonders am Herzen lagen. Wiederholt wird Timotheus dazu aufgefordert.

Gliederung

Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, den Text zu gliedern. Der Kapiteleinteilung folgend, wollen wir die vier Kapitel nun Vers für Vers unter folgenden Überschriften ein wenig näher besehen:

Kapitel 1: Ermunterung zum DienstKapitel 2: Das große Haus Kapitel 3: Letzte Tage und schwere Zeiten Kapitel 4: Ein geistliches Vermächtnis

Hinweis

Beim Schreiben dieses Buches habe ich auf gute Literatur von bibeltreuen Auslegern zurückgegriffen, die der Herr zum Segen benutzt hat. Erklärungen von Ausdrücken in der griechischen Sprache basieren im Wesentlichen auf der Erläuterung von W.E. Vine (Expository Dictionary of New Testament Words), Chr. Briem (NT sprachliche Erklärungen, Wörterbuch und Grammatik) sowie der Strong's Exhaustive Concordance of the Bible.

Fußnoten

[1] So gesehen kann man nicht sagen, dass aus dem „Haus Gottes“ im ersten Brief ein „großes Haus“ im zweiten Brief geworden ist.

Ermunterung zum Dienst

Das erste Kapitel bildet eine Einführung in den Brief. Nach den Grußworten kommt Paulus unmittelbar auf eines der zentralen Anliegen des Briefes zu sprechen: Er erinnert Timotheus daran, dass er die von Gott gegebene Gnadengabe anfachen soll. Damit appelliert er an ihn, seine Aufgabe zum Dienst nicht zu vernachlässigen, sondern im Gegenteil seine Bemühungen in der Arbeit für den Herrn zu intensivieren. Dabei verweist er auf sein eigenes Beispiel. Paulus hatte im Dienst nicht resigniert und Timotheus sollte es genauso wenig tun.

Neben dem Appell zum Dienst spricht Paulus von der Wichtigkeit, die von Gott gegebene Wahrheit nicht aufzugeben, sondern daran festzuhalten. Das Glaubensgut, das Timotheus bewahren sollte, war ein schönes und anvertrautes Gut. Gerade weil es Menschen gab, die in Gefahr standen, dieses Glaubensgut aufzugeben, sollte Timotheus seinerseits unter allen Umständen daran festhalten.

Das Kapitel lässt sich nicht ganz einfach strukturieren. Folgende Einteilung ist jedoch möglich:

Verse 1–5: Grußworte an Timotheus

Die Grußworte sind sehr persönlich gehalten. Paulus erinnert sich dankbar an Timotheus. Er spricht von seinen eigenen Eltern sowie von der Mutter und Großmutter des Timotheus. Es wird klar, wie eng diese beiden Diener des Herrn miteinander verbunden waren.

Verse 6–14: Ein Appell an Timotheus

Paulus fordert Timotheus auf, seine Gnadengabe nicht zu vernachlässigen und sich des Zeugnisses nicht zu schämen. Er soll an der Wahrheit festhalten und das Glaubensgut nicht aufgeben. Paulus untermauert seine Appelle mit der Erinnerung an die große Errettung, die Gott uns geschenkt hat. Gleichzeitig stellt er sein eigenes Beispiel vor. Paulus hatte einen besonderen Auftrag von Gott bekommen. Er war ein Herold, ein Apostel und ein Lehrer. In diesem Dienst hatte er bis zum Ende nicht aufgegeben.

Verse 15–18: Leid und Freude für Paulus

Paulus hatte im Dienst manche Enttäuschung erlebt. Alle, die in Asien waren, hatten ihn verlassen. Das schmerzte ihn. Deshalb gab Gott ihm eine besondere Ermunterung durch das Verhalten von Onesiphorus.Die Einzelheiten sind lehrreich und nützlich für uns. Wir lernen sowohl von den Appellen an Timotheus als auch von dem Beispiel des Paulus.

Das Apostelamt des Paulus

Vers 1: Paulus, Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, nach Verheißung des Lebens, das in Christus Jesus ist.

Der Verfasser des Briefes ist uns gut bekannt. Dennoch stellt er sich hier in einer besonderen Weise vor, die wir an anderen Stellen so nicht finden. Paulus macht deutlich, wer ihn zum Apostel berufen hatte, was ihm die Autorität zu seinem Apostelamt gab und welchen Charakter sein besonderer Dienst hatte. Er tat das nicht etwa, weil Timotheus daran irgendeinen Zweifel hegte. Die Gründe sind vielmehr darin zu sehen, dass er erstens seinem jüngeren Mitbruder Mut machen wollte, nicht zu verzagen und aufzugeben. Zweitens wird allen, die diesen ernsten Brief heute lesen, klar dokumentiert, dass er eine verbindliche Botschaft hat. Es ist eine Botschaft, der wir nicht ohne Folgen ausweichen können.

Die Berufung zum Apostelamt

Der besondere Auftrag und Dienst von Paulus wurde dadurch gekennzeichnet, dass er der einzige Apostel war, der durch den verherrlichten Herrn vom Himmel her berufen wurde. Die entscheidende Begegnung fand vor den Toren von Damaskus statt. In Damaskus bekam er dann seinen Auftrag. Damit unterschied sich Paulus‘ Dienst von dem aller anderen Apostel. Die übrigen Apostel waren von einem auf der Erde lebenden Herrn berufen worden. Sie hatten Ihn hier gesehen und erlebt. Paulus hingegen hatte den verherrlichten Herrn im Himmel gesehen. Deshalb war ihm besonders das „Evangelium der Herrlichkeit“ (1. Tim 1,11) anvertraut worden. Der Inhalt dieses Evangeliums war bis zu diesem Zeitpunkt ein Geheimnis. Die Tatsache, dass er von der himmlischen Herrlichkeit aus berufen wurde, ist der Grund, warum es hier heißt: „Apostel Christi Jesu“ – und nicht „Apostel Jesu Christi“.

Petrus nennt sich in den einleitenden Worten seiner beiden Briefe jeweils „Apostel Jesu Christi“. Der Unterschied in der Reihenfolge der Namen bei Petrus und Paulus scheint nicht ganz ohne Bedeutung zu sein. Paulus wurde durch den erhöhten und verherrlichten Sohn des Menschen berufen. Dieser hatte einst in Niedrigkeit auf dieser Erde gelebt und war jetzt von Gott zum „Herrn und Christus“ gemacht worden. Petrus hingegen weist uns in seinem Dienst besonders auf den hin, dessen Weg durch Leiden (Jesus) zur Herrlichkeit (Christus) ging. Deshalb die andere Reihenfolge[1]. Paulus wusste nicht nur, wem er geglaubt hatte, sondern er wusste ebenso, wer ihn berufen hatte. Es war „Christus Jesus“, der verherrlichte Herr im Himmel, der ihm auf dem Weg nach Damaskus begegnet war.

Die Grundlage des Apostelamts

Paulus war sich darüber hinaus bewusst, auf welches Fundament sich sein Apostelamt und sein Dienst abstützten: „durch Gottes Willen“. Er wusste, was ihm die notwendige Autorität gab. Die ersten Verse des Galaterbriefes machen das sehr deutlich. Dort musste Paulus seine Autorität besonders betonen, weil die Galater in großer Gefahr standen und er sie ernstlich zurechtweisen musste. Der Wille Gottes steht hier im Gegensatz zu dem Willen der Menschen. Paulus hatte sein Apostelamt nicht von einem Menschen bekommen, sondern von Gott selbst. „Durch Gottes Willen“ bedeutet „aufgrund von Gottes Willen“. Das gab Paulus einerseits die notwendige Autorität und andererseits den Mut, seinen Dienst auszuüben. Später erinnert er Timotheus daran, dass seine Gnadengabe ebenfalls eine von Gott gegebene Gabe war. Allerdings bestand der Unterschied zu Paulus darin, dass es im Fall von Timotheus spezielle Weissagungen über seine Gabe gab (1. Tim 1,18; 4,14). Seine Gnadengabe – obwohl sie natürlich ebenso ihren Ursprung in Gott hatte – wurde durch Paulus vermittelt und die Ältesten machten sich durch Auflegen der Hände damit eins. Das war bei Paulus anders. Bei ihm war kein anderer Mensch irgendwie daran beteiligt.

Der Charakter des Apostelamts

Paulus formuliert den Charakter seines Apostelamts hier so: „... nach Verheißung des Lebens, das in Christus Jesus ist“. Es handelt sich dabei nicht um eine irdische, sondern um eine ewige Verheißung. Sie steht mit dem Himmel in Verbindung. Es ist eine Verheißung des Vaters an den Sohn. Gemeint ist das ewige Leben, das „Gott, der nicht lügen kann, verheißen hat vor ewigen Zeiten“ (Tit 1,2). Dieses ewige Leben ist in niemand anderem als in Christus Jesus. In Titus 1,2 spricht Paulus von der „Hoffnung des ewigen Lebens“. Das bedeutet nicht, dass es im Blick auf das ewige Leben irgendeine Unsicherheit geben könnte. Ganz im Gegenteil: Die Tatsache, dass es „in Christus Jesus“ ist, macht die Verheißung völlig sicher. „Und dies ist das Zeugnis: dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn“ (1. Joh 5,11). Das ewige Leben ist bei Paulus – im Unterschied zu den Schriften von Johannes – in den meisten Fällen etwas, das noch vor uns liegt. Wir besitzen es grundsätzlich heute schon, werden es in seiner ganzen Fülle allerdings erst dann genießen können, wenn wir in der Heimat dieses ewigen Lebens – das ist das Vaterhaus – sind. Das Wörtchen „nach“ meint „im Hinblick auf“ und deutet eben dieses Ziel an. Paulus hatte den sicheren Tod vor Augen. Timotheus befand sich in schwierigen Umständen. Der Verfall hatte eingesetzt. Da war die Erinnerung an das Ziel ein echter Trost. Timotheus sollte daran denken, dass der Dienst von Paulus auf dieses Leben hin orientiert war.

F. B. Hole schreibt dazu: „In der Natur ist das Leben eine ungeheure Kraft, aber das Leben Christi Jesu ist unbesiegbar. Das natürliche Leben in all seinen Formen, das Leben Adams – also das menschliche Leben – eingeschlossen, unterliegt letztendlich im Wettkampf und wird vom Tod besiegt. Das Leben in Christus ist außerhalb der Reichweite des Todes, denn als Gestorbener und Auferstandener wurde Er zur Quelle des Lebens für andere. Dieses Leben war vor der Entstehung der Welt verheißen (Tit 1,2) und ist durch das Evangelium ans Licht gebracht worden (V. 10). Seine Frucht wird in zukünftigen Zeiten zu sehen sein. Deshalb wird hier von dem Leben als von einer Verheißung gesprochen.“[2]

Ein besonderes Verhältnis

Vers 2: Timotheus, meinem geliebten Kind: Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Herrn!

Das Verhältnis von Paulus und Timotheus war durch ein besonderes Band der Liebe gekennzeichnet. Er nennt ihn sein „geliebtes“ Kind. Er wusste nicht nur, dass Timotheus von Gott geliebt war, sondern er selbst hatte Timotheus von Herzen lieb. Ganz sicher hat er mit großer Freude an ihn gedacht.

Paulus war der Ältere, Timotheus der Jüngere. Gemeinsam hatten sie dem Herrn gedient. Kaum jemand hatte so viel von dem Apostel Paulus gelernt wie gerade Timotheus. Der Ausdruck „Kind“ lässt uns einerseits an Abstammung und andererseits an Beziehung denken. In diesem Sinn spricht Paulus zum Beispiel von seinem Kind Onesimus, den er in den Fesseln, d. h. im Gefängnis, gezeugt hatte (Phlm 1,10). Die neue Geburt ist natürlich immer ein Werk Gottes, Paulus war dabei sozusagen „Geburtshelfer“ geworden.

Bei Timotheus sind uns die Umstände, wie er zum Glauben kam, nicht bekannt. Man kann also nicht zwingend annehmen, dass Paulus das Werkzeug zu seiner Bekehrung war. Timotheus wird zum ersten Mal in Apostelgeschichte 16,1 erwähnt, als Paulus nach Derbe und Lystra kam. Der Bericht lässt keinen Zweifel, dass Timotheus zu diesem Zeitpunkt bereits ein Gläubiger war.

Dennoch war Paulus in einem anderen Sinn der geistliche Vater von Timotheus. Er hatte dazu beigetragen, dass dieser geistlich gewachsen war und gute Fortschritte gemacht hatte. Paulus nennt ihn an anderer Stelle sein „geliebtes und treues Kind im Herrn“ (1. Kor 4,17). In Philipper 2,22 spricht er von seiner Bewährung, „dass er, wie ein Kind dem Vater, mit mir gedient hat an dem Evangelium“. Für Paulus war das keine leere Redensart. Der Ausdruck zeugt vielmehr von seiner inneren Zuneigung zu diesem jüngeren Bruder. Auf diese Weise konnten der Zuspruch des Paulus und seine Warnungen auf fruchtbaren Boden fallen. Davon können wir in unseren geschwisterlichen Beziehungen – besonders zwischen Älteren und Jüngeren – lernen.

Gnade, Barmherzigkeit und Friede

Nun folgen die Grüße, die in der damaligen Zeit nicht am Ende, sondern zu Beginn eines Briefes formuliert wurden. Wir sind häufig geneigt, diese Grüße zügig zu überlesen. Ihr Studium ist allerdings der Mühe wert. Gerade in den Unterschieden zwischen den einzelnen Briefen werden wir interessante Hinweise finden.

Hier nennt Paulus – wie an anderen Stellen – Gnade, Barmherzigkeit und Friede. Die drei Begriffe gehören eng zusammen. Der Sünder hat sie nötig, um vor Gott bestehen zu können. Jemand hat es einmal in etwa so formuliert: Gnade ist für Wertlose. Barmherzigkeit ist für Hilflose. Friede ist für Ruhelose. Solche waren wir von Natur aus alle. Deshalb die Notwendigkeit von Gnade, Barmherzigkeit und Frieden. Indes schreibt Paulus hier an Timotheus und damit an jemand, der längst errettet war; es geht hier also um Gläubige. Timotheus lebte täglich aus der Gnade, er brauchte Barmherzigkeit und sollte den Frieden im Herzen tragen. Kein Christ kann ohne Gnade, Barmherzigkeit und Frieden glücklich leben. Auf Gläubige angewandt ist mit Recht gesagt worden: Gnade benötigen wir für den Dienst, Barmherzigkeit für unser Versagen. Frieden haben wir für unsere Umstände nötig.

Gnade

ist unverdiente Zuwendung Gottes an uns. Sie steht zu Recht immer am Anfang solcher Aufzählungen. Gnade entspringt dem Herzen Gottes. Er ist der „Gott aller Gnade“ (1. Pet 5,10). Das gilt für unsere Vergangenheit, für die Gegenwart und für die Zukunft. Hier geht es um Gnade, die wir an jedem Tag unseres Lebens nötig haben. Gnade ist nicht nur eine Anfangserfahrung junger Christen. Sie ist vielmehr ein beständiger Strom, den wir im ganzen Leben nicht ausschöpfen können. Römer 5,2 sagt uns, dass wir in der Gnade Gottes stehen. Petrus schreibt von der wahren Gnade Gottes, in der wir stehen (1. Pet 5,12). Sie begleitet uns täglich. Sie gibt uns Fundament und Festigkeit für unser Glaubensleben. Wir benötigen – gerade in Zeiten von Rückgang und Niedergang – ein deutlicheres Empfinden dafür, mit welchen Gedanken Gott an uns denkt – mit Gedanken der Güte und der Liebe. Gott sieht in Gnade auf uns. „Gnade“ kann man auch mit „Gunst“ oder „Wohlgefallen“ übersetzen. Das zeigt, mit welchen Empfindungen Gott in dem Herrn Jesus auf uns blickt. Die Bibel endet nicht ohne Grund mit den Worten: „Die Gnade des Herrn Jesus Christus sei mit allen Heiligen“ (Off 22,21). Wir alle haben dieses tiefe Empfinden nötig, dass die Gnade Gottes uns jeden Tag trägt.

Barmherzigkeit

ist das Mitempfinden Gottes in elenden Umständen. Gnade und Barmherzigkeit liegen in ihrer Bedeutung nahe beieinander. Beides ist nur in Gott zu finden. Beides ist völlig unverdient. Barmherzigkeit hat – wie Gnade – mit unserer Vergangenheit, mit der Gegenwart und mit der Zukunft zu tun. Dennoch besteht ein Unterschied. Barmherzigkeit setzt – im Unterschied zu der Gnade – unbedingt einen bemitleidenswerten und elenden Zustand voraus. Barmherzigkeit kann nur geübt werden, wenn jemand da ist, der sich in Not befindet. Was die Barmherzigkeit tut, wird vortrefflich in Lukas 10 in dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter vorgestellt. Gott ist der Gott aller Gnade – und zwar unabhängig davon, ob die Gnade einen Gegenstand findet oder nicht. Barmherzigkeit hingegen sucht notwendigerweise einen Gegenstand, an dem sie sich erweisen kann. Deshalb wird Gott nicht der „Gott aller Barmherzigkeit“ genannt. Allerdings lesen wir, dass Er „

reich

ist an Barmherzigkeit wegen seiner vielen Liebe“ (Eph 2,4). Dieser Gedanke macht uns glücklich. Der Reichtum seiner Barmherzigkeit hat uns gerettet. Der Reichtum seiner Barmherzigkeit steht uns jetzt an jedem Tag unseres Lebens zur Verfügung. Unsere Lebensumstände mögen sehr unterschiedlich sein. Dennoch lebt jeder von uns täglich von der Barmherzigkeit Gottes. Wir denken an die Zeitverhältnisse, in denen wir leben. Wir denken an unser persönliches und gemeinschaftliches Fehlverhalten im Blick auf das Haus Gottes. Wir denken an den Verfall um uns herum und bei uns selbst. Wo wären wir ohne die Barmherzigkeit? Der Schreiber des Hebräerbriefes gibt folgende Ermunterung: „Lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe“ (Heb 4,16).

Frieden

hat mit der Ruhe in Gott und mit der Ruhe in den Umständen zu tun. Der Gläubige hat grundsätzlich Frieden mit Gott (Röm 5,1). Was unsere Stellung betrifft, gibt es nichts, was zwischen uns und einem heiligen Gott steht. Doch Gott will uns mehr schenken. Philipper 4,7 spricht von dem Frieden Gottes, der allen Verstand übersteigt. Dieser Friede Gottes kann durch nichts erschüttert und gestört werden. Kolosser 3,15 erwähnt den Frieden des Christus, der in unseren Herzen regieren und entscheiden soll. Als der Herr Jesus auf dieser Erde war, sagte Er den Jüngern: „Frieden lasse ich euch,

meinen

Frieden gebe ich euch“ (Joh 14,27). Dieser Friede, den Er uns gibt, ist der Friede des Christus. Damit sind wir – selbst in schwierigen Umständen – völlig ruhig. Paulus genoss diesen Frieden selbst im Kerker in Rom. Er wünschte seinem Kind Timotheus – und damit uns – diesen Frieden. In dem Frieden Gottes zu leben, ist der beste Schutzwall gegen alle Angriffe des Teufels. Frieden ist im Übrigen das

Ergebnis

von Gnade und Barmherzigkeit. Deshalb wird Friede immer nach Gnade bzw. nach Barmherzigkeit genannt – nie vorher. Nur wer im tiefen Bewusstsein der Gnade und der Barmherzigkeit lebt, kann den Frieden Gottes wirklich genießen. Wer den „Gott aller Gnade“ nicht kennt, weiß wenig oder nichts von „dem Gott des Friedens“.

Von Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Herrn

Gnade, Barmherzigkeit und Friede sprudeln aus einer Quelle hervor. Diese Quelle ist Gott, der Vater. „Vater“ hat im Neuen Testament mindestens eine dreifache Bedeutung: An einigen Stellen spricht es von Unterscheidung, an anderen Stellen von Beziehung und wieder an anderen Stellen von Ursprung. Im Sinn von Unterscheidung finden wir den Begriff zum Beispiel in Matthäus 28,19. Dort werden die Jünger aufgefordert, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen. Die Bedeutung der Beziehung finden wir zum Beispiel an den Stellen, wo uns gezeigt wird, dass der große Gott in dem Herrn Jesus jetzt unser Vater ist, der uns liebt. Besonders Johannes stellt uns in seinen Schriften diese Seite vor. Der Gedanke an Ursprung kommt zum Beispiel in Epheser 1,17 vor. Dort ist die Rede von dem „Vater der Herrlichkeit“. Damit ist gemeint, dass Gott der Ursprung der Herrlichkeit ist.

Der Gedanke an Beziehung steht in unserem Vers sicherlich im Vordergrund. Paulus erinnert Timotheus daran, dass Gott in dem Herrn Jesus jetzt unser Vater geworden ist. Das ist eine unermessliche Segnung. Die Tatsache, dass hier eigentlich „Gott Vater“ steht, lässt dabei parallel den Gedanken an Ursprung zu. Gnade, Barmherzigkeit und Friede finden eben ihre Quelle in Ihm.

„... und Christus Jesus, unserem Herrn“. Es gibt keine Abstufung zwischen Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Herrn. Jesus Christus, der Sohn Gottes, ist genauso Gott wie der Vater. Beide Personen stehen hier nebeneinander. Dennoch werden beide unterschieden. Vielleicht können wir sagen, dass der Gedanke an Christus Jesus, unseren Herrn, uns an den einzigen Weg (oder das „Mittel“) erinnert, auf dem Gnade, Barmherzigkeit und Friede zu uns gelangen. Hätte derjenige, der jetzt zur Rechten Gottes verherrlicht ist, nicht einst als Mensch in Niedrigkeit auf dieser Erde gelebt – wir hätten nichts davon erfahren.

Paulus war ein Gefangener Roms. Die politischen Autoritäten konnten scheinbar willkürlich mit ihm verfahren. Sie hatten die Verfügungsgewalt. Dennoch hatte Paulus ein tiefes Empfinden dafür, dass dieser Christus Jesus der Herr und damit die höchste Instanz ist. Deshalb sah er sich als seinen Gefangenen. Das sollte Timotheus nicht vergessen. Wir benötigen ebenfalls das tiefe Empfinden, dass unserem Herrn im Himmel alle Gewalt gegeben ist. Er ist nicht nur unser Heiland, sondern Er ist der Herr unseres Lebens. Was immer geschehen mag, Er hat zu allem das letzte Wort zu sagen. Ihm läuft gar nichts aus der Hand.

Gebet

Verse 3.4: Ich danke Gott, dem ich von meinen Voreltern her mit reinem Gewissen diene, wie unablässig ich deiner gedenke in meinen Gebeten Nacht und Tag, voll Verlangen, dich zu sehen, indem ich mich an deine Tränen erinnere, damit ich mit Freude erfüllt sein möge.

Nach den einleitenden Worten beginnt Paulus nun mit einem Dankgebet. Paulus hatte ein sehr reichhaltiges Gebetsleben. Es bestand nicht nur aus Bitten, sondern daneben vor allem aus Danksagung. Dabei geht der Dank häufig der Bitte voraus. Wenn Paulus seinem Gott dankte – und das wird Timotheus gewusst haben –, war das keine „Pflichtübung“ oder reine Gewohnheit, sondern ein tief im Herzen empfundener Dank. Wir können davon lernen.

Das Wort „Dank“ unterscheidet sich an dieser Stelle von dem, was wir zu Beginn anderer Briefe finden. Es ist ein zusammengesetztes Wort, das man anders mit „Gnade haben“ übersetzen könnte. In 1. Timotheus 1,12 wird der gleiche Ausdruck benutzt. Paulus empfand es offenbar als eine besondere Gnade, an Timotheus im Gebet zu denken. Das ist ein Beweis des besonderen Verhältnisses dieser beiden Diener Gottes, das uns als Vorbild dient.