Ein Weihnachtsgast. Erzählungen - Selma Lagerlöf - E-Book

Ein Weihnachtsgast. Erzählungen E-Book

Selma Lagerlöf

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Beschreibung

Die schönsten Weihnachtserzählungen der großen schwedischen Autorin Kaum ein Fest ist in Schweden so wichtig wie Weihnachten. Schon am 13. Dezember beginnt es mit dem Luziatag, vom dem Selma Lagerlöf in ihrer Legende erzählt, dann ziehen sich die Vorbereitungen bis zum Heiligabend. An diesem Tag klopft Ruster, ein aus der Bahn geworfener Musiker auf dem Gut von Liljekrona an und bittet um Arbeit. Dort ist man zunächst gar nicht erfreut über den ungebetenen Weihnachtsgast …

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Seitenzahl: 97

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Selma Lagerlöf

Ein Weihnachtsgast

Erzählungen

Übersetzt von Marie Franzos

Reclam

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist ausgeschlossen.

 

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962467

2025 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Coverabbildung: Theodor Severin Kittelsen, Dezember, 1890 – Photo © O. Vaering / Bridgeman Images

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2025

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962467-9

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014730-6

reclam.de | [email protected]

Inhalt

Ein Weihnachtsgast

Die Legende vom Luziatag

Die Legende von der Christrose

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

Nachbemerkung

Ein Weihnachtsgast

Einer von denen, die das Kavaliersleben auf Ekeby mitgelebt hatten, war der kleine Ruster, der Noten transponieren und Flöte spielen konnte. Er war von niedriger Herkunft und arm, ohne Heim und ohne Familie. Es brachen schwere Zeiten für ihn an, als die Schar der Kavaliere sich zerstreute.

Nun hatte er kein Pferd und keinen Wagen mehr, keinen Pelz und keine rotgestrichene Proviantkiste. Er musste zu Fuß von Gehöft zu Gehöft ziehen und trug seine Habseligkeiten in einem blaukarierten Taschentuch zusammengebunden. Den Rock knöpfte er bis zum Kinn hinauf zu, so dass niemand zu erfahren brauchte, wie es um das Hemd und die Weste bestellt war, und in dessen weiten Taschen verwahrte er seine kostbarsten Besitztümer: die auseinandergeschraubte Flöte, die flache Schnapsflasche und die Notenfeder.

Sein Beruf war, Noten abzuschreiben, und wenn alles gewesen wäre wie in alten Zeiten, so hätte es ihm nicht an Arbeit gefehlt. Aber mit jedem Jahr, das ging, wurde die Musik oben in Värmland weniger gepflegt. Die Gitarre mit ihrem morschen Seidenband und ihren gelockerten Schrauben und das bucklige Waldhorn mit den verblichenen Quasten und Schnüren wurden auf die Rumpelkammer geschafft, und der Staub legte sich fingerdick auf den langen, eisenbeschlagenen Geigenkasten. Doch, je weniger der kleine Ruster mit Flöte und Notenfeder zu tun bekam, desto mehr hantierte er mit der Schnapsflasche, und schließlich wurde er ganz versoffen. Es war schade um den kleinen Ruster.

Einstweilen wurde er noch als alter Freund auf den Herrenhöfen aufgenommen, aber es herrschte Jammer, wenn er kam, und Freude, wenn er ging. Er roch nach Branntwein und Unsauberkeit, und wie er nur ein paar Schnäpse oder einen Toddy bekommen hatte, wurde er wirr und erzählte unerquickliche Geschichten. Er war die Geißel der gastfreien Gutshöfe.

Einmal um die Weihnachtszeit kam er nach Löfdala, wo Liljecrona, der große Violinspieler, daheim war. Liljecrona war auch einer der Ekebykavaliere gewesen, aber nach dem Tod der Majorin zog er auf sein prächtiges Gut Löfdala und blieb dort. Nun kam Ruster in den Tagen vor dem Weihnachtsabend zu ihm, mitten in die Festvorbereitungen, und verlangte Arbeit. Liljecrona gab ihm einige Noten abzuschreiben, um ihn zu beschäftigen.

»Du hättest ihn lieber gleich fortschicken sollen«, sagte seine Frau, »jetzt wird er das so in die Länge ziehen, dass wir ihn über den heiligen Abend hierbehalten müssen.«

»Irgendwo muss er doch sein«, sagte Liljecrona. Und er bewirtete Ruster mit Toddy und Branntwein, leistete ihm Gesellschaft und lebte die ganze Ekebyer Zeit noch einmal mit ihm durch. Aber er war verstimmt und seiner überdrüssig, er, wie alle die andern, obwohl er es nicht merken lassen wollte, denn alte Freundschaft und Gastfreiheit waren ihm heilig.

Aber in Liljecronas Haus hatten sie sich nun drei Wochen lang für das Weihnachtsfest gerüstet. Sie hatten in Unbehagen und Hast gelebt, sich die Augen bei Talglichtern und Kienspänen rotgewacht, im Schuppen beim Fleischeinsalzen und im Bräuhaus beim Bierbrauen gefroren. Doch sowohl die Hausfrau wie auch die Dienstleute hatten sich all dem ohne Murren unterzogen.

Wenn alle Verrichtungen beendet waren und der heilige Abend anbrach, dann würde ein süßer Zauber sie gefangen nehmen. Das Weihnachtsfest würde bewirken, dass Scherz und Spaß, Reim und Fröhlichkeit ihnen ohne alle Mühe auf die Lippen kamen. Aller Füße würden Lust bekommen, sich im Tanz zu drehen, und aus den dunklen Winkeln der Erinnerung würden die Worte und Melodien der Tanzspiele auftauchen, obwohl man gar nicht glauben konnte, dass sie noch immer da waren. Und dann würden sie alle so gut sein, so gut!

Aber als nun Ruster kam, fand der ganze Haushalt von Löfdala, dass Weihnachten verdorben war. Die Hausfrau und die älteren Kinder und treuen Diener waren alle derselben Meinung. Ruster rief bei ihnen eine erstickende Angst hervor. Sie fürchteten außerdem, dass, wenn er und Liljecrona anfingen, sich in den alten Erinnerungen zu tummeln, das Künstlerblut in dem großen Violinspieler aufflammen würde und sein Heim ihn verlieren musste. Einst hatte es ihn nie lange daheim ausgehalten.

Es lässt sich nicht beschreiben, wie sie jetzt auf dem Hof den Hausherrn liebten, seit sie ihn ein paar Jahre hatten bei sich behalten dürfen. Und was hatte er zu geben! Wie war er doch viel für sein Heim, besonders zu Weihnachten! Er hatte seinen Platz nicht auf irgendeinem Sofa oder Schaukelstuhl, sondern auf einer hohen, schmalen, glattgescheuerten Holzbank in der Kaminecke. Wenn er dort hinaufgekommen war, dann ritt er auf Abenteuer aus. Er fuhr rings um die Erde, er stieg zu den Sternen und noch höher empor. Er spielte und sprach abwechselnd, und alle Hausleute versammelten sich um ihn und hörten zu. Das ganze Leben wurde stolz und schön, wenn der Reichtum dieser einzigen Seele es überstrahlte.

Darum liebten sie ihn, so wie sie das Weihnachtsfest, die Freude, die Frühlingssonne liebten. Und als nun der kleine Ruster kam, war ihr Weihnachtsfriede zerstört. Sie hatten vergeblich gearbeitet, wenn nun dieser kam und den Herrn des Hauses fortlockte. Es war ungerecht, dass dieser Säufer am Weihnachtstisch eines frommen Hauses sitzen und alle Weihnachtsfreude stören sollte.

Am Vormittag des Weihnachtsabends hatte der kleine Ruster seine Noten fertiggeschrieben, und da ließ er ein paar Worte von Fortgehen fallen, obgleich es natürlich seine Absicht war, zu bleiben.

Liljecrona war von der allgemeinen Verstimmung angesteckt und sagte darum ganz lahm und matt, dass es wohl das Beste wäre, wenn Ruster über Weihnachten da bliebe, wo er war.

Der kleine Ruster war stolz und leicht entflammt. Er drehte seinen Schnurrbart auf und schüttelte die schwarze Künstlermähne, die gleich einer dunklen Wolke um seinen Kopf stand. Was meinte Liljecrona eigentlich? Er sollte bleiben, weil er nirgends andershin fahren konnte? Ah, man denke nur, wie sie in den großen Eisenwerken im Broer Kirchspiel standen und auf ihn warteten! Die Gaststube war bereit, der Willkommensbecher gefüllt. Er hatte solche Eile. Er wusste nur nicht, zu wem er zuerst fahren sollte.

»Gott bewahre«, sagte Liljecrona, »so fahre doch.«

Nach dem Mittagessen lieh sich der kleine Ruster Pferd und Schlitten, Pelz und Decken. Der Knecht von Löfdala sollte ihn zu irgendeinem Gutshof in Bro kutschieren und dann rasch heimfahren, denn es sah nach einem Schneesturm aus.

Niemand glaubte, dass er erwartet wurde, oder dass es ein einziges Haus in der Umgegend gab, wo er willkommen gewesen wäre. Aber sie wollten ihn so gerne loswerden, dass sie sich dies verhehlten und ihn ziehen ließen. »Er hat es selbst gewollt«, sagten sie. Und nun, dachten sie, wollten sie fröhlich sein.

Aber als sie sich gegen fünf Uhr im Speisesaal versammelten, um Tee zu trinken und um den Christbaum zu tanzen, war Liljecrona stumm und verstimmt. Er setzte sich nicht auf die Märchenbank, er berührte weder Tee noch Punsch, er erinnerte sich an keine Polka, die Violine war verstimmt. Wer spielen und tanzen konnte, mochte es ohne ihn tun.

Da wurde die Gattin unruhig, da wurden die Kinder missvergnügt, alles im ganzen Haus ging verkehrt. Es wurde der allertrübseligste Weihnachtsabend.

Die Grütze brannte an, die Lichter flackerten, das Holz rauchte, der Wind blies bittere Kälte in die Stuben. Der Knecht, der Ruster kutschiert hatte, kam nicht heim. Die Haushälterin weinte, die Mägde zankten.

Plötzlich erinnerte sich Liljecrona, dass man den Spatzen keine Garbe hinausgehängt hatte, und er beklagte sich laut über alle Frauen rings um ihn, die alte Sitte außer Acht ließen und neumodisch und herzlos waren. Aber sie begriffen wohl, dass das, was ihn quälte, die Gewissensbisse waren, dass er den kleinen Ruster am heiligen Weihnachtsabend aus seinem Haus hatte fortgehen lassen.

Und ehe man sich’s versah, ging er in sein Zimmer, versperrte die Tür und begann zu spielen, wie er nicht gespielt hatte, seit er zu wandern aufgehört hatte. Es war Hass und Hohn, es war Sehnsucht und Sturm. Ihr dachtet mich zu binden, aber ihr müsst eure Fesseln umschmieden. Ihr dachtet, mich kleingeistig zu machen, wie ihr selbst seid. Aber ich ziehe hinaus ins Große, ins Freie. Alltagsmenschen, Haussklaven, fangt mich, wenn es in eurer Macht steht!

Als die Gattin diese Töne hörte, sagte sie: »Morgen ist er fort, wenn Gott nicht in dieser Nacht ein Wunder tut. Jetzt hat unsre Ungastfreundlichkeit gerade das hervorgerufen, was wir vermeiden zu können glaubten.«

Währenddessen fuhr der kleine Ruster in dem Schneetreiben herum. Er fuhr von einem Haus zum andern und fragte, ob es Arbeit für ihn gäbe, aber nirgends wurde er aufgenommen. Sie forderten ihn nicht einmal auf, aus dem Schlitten zu steigen. Einige hatten das Haus voll Besuch, andere wollten am Weihnachtstag aufs Land fahren. »Versuche es beim nächsten Nachbar«, sagten sie alle.

Er mochte immerhin kommen und das Behagen von ein paar Werktagen stören, nicht aber das des Weihnachtsabends. Das Jahr hatte nur einen Weihnachtsabend, und auf den hatten sich die Kinder den ganzen Herbst gefreut. Man konnte doch diesen Menschen nicht an einen Weihnachtstisch setzen, wo es Kinder gab. Früher hatten sie ihn gern aufgenommen, aber nicht jetzt, wo er dem Alkohol ergeben war. Was sollte man auch mit dem Menschen anfangen? Die Gesindestube war zu schlecht und das Gastzimmer zu fein.

So musste der kleine Ruster von Hof zu Hof ziehen, in dem peitschenden Schneesturm. Der nasse Schnurrbart hing schlaff über den Mund, die Augen waren blutgesprengt und verschleiert, aber der Branntwein verflüchtigte sich aus seinem Hirn. Ruster begann zu grübeln und zu staunen. War es möglich, war es möglich, dass niemand ihn aufnehmen wollte?

Da sah er mit einem Mal sich selbst. Er sah, wie jämmerlich und verkommen er war, und er begriff, dass er den Menschen verhasst sein musste. Mit mir ist es aus, dachte er. Es ist aus mit dem Notenschreiben, es ist aus mit der Flöte. Niemand auf Erden braucht mich, niemand hat Barmherzigkeit mit mir.

Der Schneesturm schnurrte und spielte, er riss die Schneehaufen auf und türmte sie wieder zusammen, er nahm eine Schneesäule in die Arme und tanzte damit übers Feld, er hob eine Flocke himmelhoch und stürzte eine andre in eine Grube. »So ist es, so ist es«, sagte der kleine Ruster, »solange man fährt und tanzt, ist es ein fröhliches Spiel, doch wenn man hinab in die Erde soll, dort eingebettet und verwahrt werden, dann ist es Kummer und Herzeleid.« Doch hinab mussten alle, und jetzt war er an der Reihe. Man denke, dass er nun zum Ende gekommen war.

Er fragte nicht mehr danach, wohin der Knecht ihn führte. Es schien ihn, dass er in das Reich des Todes fuhr.