Eine Braut für den Earl - Michelle Willingham - E-Book

Eine Braut für den Earl E-Book

Michelle Willingham

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Beschreibung

Eine unerwartete Begegnung, wachsende Gefühle und ein dunkles Geheimnis …
Der mitreißende Auftakt der romantischen Regency-Reihe

Lady Rose Thornton ist entsetzt und doch fasziniert, als sie plötzlich einen kaum bekleideten Mann in ihrem Garten vorfindet. Der gutaussehende Unbekannte behauptet, Iain Donovan, der Earl of Ashton zu sein, und angeblich ist er von Dieben ausgeraubt worden. Rose ist skeptisch. Sagt der vermeintliche Earl die Wahrheit oder ist er lediglich ein armer Fremder, der sie belügt? Doch als Rose erfährt, dass der junge irische Earl in einer Hungersnot alles verloren hat, stimmt sie zu, ihn bei der Suche nach einer heiratswilligen Dame zu unterstützen. Als Gegenleistung soll Iain ihr helfen, damit sie nach einer kräfteraubenden Krankheit wieder gehen lernt. Als es dann aber zwischen den beiden zu knistern beginnt, drohen Geheimnisse über Iains Geburtsrecht die aufkommenden Gefühle zwischen den beiden zu überschatten. Werden sie trotz der Widrigkeiten zueinander finden, oder steht ihnen die Vergangenheit dabei im Weg?

Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Eine Braut für den Earl.

Alle Bände der Der Earl und ich-Reihe sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

Erste Leser:innenstimmen
„Eine romantische Geschichte über zwei Seelen, die jeweils ihr eigenes Päckchen zu tragen haben.“
„Historische Liebesroman-Fans kommen hier voll auf ihre Kosten!“
„Eine fesselnde Regency Romance, die mich in eine andere Welt entführte.“
„Die Autorin schaffte es, mich an ihre Worte zu fesseln und ich liebe ihren Schreibstil!“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 564

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Über dieses E-Book

Lady Rose Thornton ist entsetzt und doch fasziniert, als sie plötzlich einen kaum bekleideten Mann in ihrem Garten vorfindet. Der gutaussehende Unbekannte behauptet, Iain Donovan, der Earl of Ashton zu sein, und angeblich ist er von Dieben ausgeraubt worden. Rose ist skeptisch. Sagt der vermeintliche Earl die Wahrheit oder ist er lediglich ein armer Fremder, der sie belügt? Doch als Rose erfährt, dass der junge irische Earl in einer Hungersnot alles verloren hat, stimmt sie zu, ihn bei der Suche nach einer heiratswilligen Dame zu unterstützen. Als Gegenleistung soll Iain ihr helfen, damit sie nach einer kräfteraubenden Krankheit wieder gehen lernt. Als es dann aber zwischen den beiden zu knistern beginnt, drohen Geheimnisse über Iains Geburtsrecht die aufkommenden Gefühle zwischen den beiden zu überschatten. Werden sie trotz der Widrigkeiten zueinander finden, oder steht ihnen die Vergangenheit dabei im Weg?

Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Eine Braut für den Earl.

Alle Bände der Der Earl und ich-Reihe sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

Impressum

Erstausgabe 2016 Überarbeitete Neuausgabe Juli 2023

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-401-9

Copyright © 2016, Michelle Willingham Titel des englischen Originals: Good Earls Don't Lie

Veröffentlicht in Übereinkunft mit Michelle Willingham Leonhard.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © 2019, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2019 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Eine Braut für den Earl. (ISBN: 978-3-96087-818-6).

Übersetzt von: Stefanie Schlatt Covergestaltung: Dream Design – Cover and Art unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © Farina6000, © Ivantsov shutterstock.com: © randy andy periodimages.com: © Mary Chronis, VJ Dunraven Productions Korrektorat: Katharina Pomorski

E-Book-Version 22.09.2023, 10:57:05.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Eine Braut für den Earl

Für James – dein fröhliches Wesen und dein Humor bringen mich immer zum Schmunzeln. Danke, dass du jeden Tag für Sonnenschein sorgst. Man kann wirklich sagen, dass du ein flottes irisches Mundwerk hast.

Vorwort

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Eine Braut für den Earl von Michelle Willingham.

Wir sind beständig bemüht, unseren Leser:innen ansprechende Produkte zu liefern. Hierfür werden Cover sowie Inhalt stets optimiert und zeitgemäß angepasst. Es freut uns, dass du dieses Buch gekauft hast. Denn es gibt nichts Schöneres für die Autor:innen und uns als zu sehen, dass ein beständiges Interesse an ästhetisch wertvollen Produkten besteht.

Wir hoffen, du hast genau so viel Spaß an dieser Neuauflage wie wir.

Dein dp-Team

Kapitel eins

Yorkshire

Mai 1846

Sein Kopf dröhnte. Es fühlte sich an, als wären hundert Pferde über seinen Schädel hinweg getrampelt, und in seinem Mund mischte sich der Geschmack von Blut und Dreck. Nach einer Weile kam Iain Donovan wieder zu sich und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

Er wusste nur noch, dass er zuletzt Richtung Gut Penford geritten war. Düster erinnerte er sich, dass er einen Hain passiert hatte, als er plötzlich vom Pferd gestoßen wurde. Ein fürchterlicher Schmerz hatte ihn gepackt, und er erinnerte sich vage an einen lautstarken Streit.

Doch nun war er allein.

Als Iain sich aufsetzen wollte, rauschte das Blut in seinem Kopf und ihm drohte ein erneuter Bewusstseinsverlust. Er tastete nach dem Siegelring seines Bruders und musste feststellen, dass er weg war. Erschrocken stieß er einen üblen Fluch aus.

Er war hier ein Fremder. Und auch ihm war dieses Land völlig unbekannt, denn er hatte Irland zuvor nie verlassen. Während seine Mutter mit seinem älteren Bruder Michael jeden Sommer zur Ballsaison nach London gereist war und ihm alle Fähigkeiten beigebracht hatte, die er als zukünftiger Earl of Ashton beherrschen musste, hatte sie Iain zu Hause gelassen und stets dafür gesorgt, dass er als Zweitgeborener ein belangloses Schattendasein fristete.

Doch inzwischen war das nicht mehr wichtig. Er war der einzige verbliebene Erbe und wollte sich in dieser Rolle als würdig erweisen. Er würde Ashton wiederaufbauen und seinen Leuten helfen – auch wenn er dafür die Irische See durchqueren musste, um sich mit Fremden zu treffen.

Der Wind jagte eine Gänsehaut über seinen Körper. Da stellte er fest, dass er kein Hemd mehr trug. Er fluchte erneut: Wer tat bloß so etwas? Die verfluchten Bastarde hatten ihm die Kleider vom Körper geraubt. Zum Teufel mit ihnen!

Die Räuber hatten ihm nicht nur den Ring und seinen kleinen Geldbesitz gestohlen, sondern auch sein Pferd, seinen Mantel, sein Wams und sein Hemd – selbst die Schuhe von seinen Füßen. Eine feine Begrüßung in England war das. Dabei hatte er geglaubt, dass hier alles besser werden würde, nachdem er den Albtraum in Irland hinter sich gelassen hatte.

Doch da hatte er sich wohl getäuscht.

Iain erhob sich und begutachtete das umgebende Land. Es war ein schöner Tag und die Sonne lachte über sanften Hügeln und Wiesen. Er vermutete, dass er die restliche Entfernung bis Gut Penford zu Fuß zurücklegen könnte, da es sich nur noch um ein paar Meilen handelte. Obwohl ihm die Vorstellung, in Hosen und Strümpfen loszulaufen, nicht sonderlich gefiel, blieb ihm doch nichts anderes übrig.

Missmutig folgte er der Straße Richtung Penford. Sein gesamtes Gepäck, das er aus Ashton mitgebracht hatte, war weg. Er würde sich Kleidung und Schuhe leihen müssen, und niemand würde ihm auch nur ansatzweise glauben, dass er der Earl of Ashton war. Ohne Kutsche, Diener, Kleidung oder einen Siegelring würde man ihn bestenfalls für einen Bettler halten.

Seine leichte Kopfverletzung schmerzte, doch noch schlimmer als der körperliche Schmerz war die aufkeimende Angst.

Beruhige dich, befahl er sich selbst. Man würde ihm sicherlich glauben, dass er einfach nur Pech gehabt hatte. Lady Wolcroft war vor einigen Jahren in Ashton zu Besuch gewesen und würde sich bestimmt an ihn erinnern. Schließlich hatte sie ihn ja auch zu sich eingeladen, nachdem sie von den schlimmen Auswüchsen der Hungersnot erfahren hatte. Seine Mutter Moira und Iris, Lady Wolcrofts Tochter, waren auf dem Internat gute Freundinnen gewesen. Moira hatte sämtliche Schulferien mit Iris verbracht und beinah schon zur Familie gehört.

Doch Freundschaft hin oder her: Er konnte nicht verhindern, dass ihn zunehmend ein mulmiges Gefühl beschlich. Außer Lady Wolcroft und seinen Pächtern wussten nur sehr wenige Außenstehende überhaupt, dass es neben dem rechtmäßigen Erben noch einen Zweitgeborenen gab. Die Verächtlichkeit seiner Mutter machte ihn wütend, doch er beherrschte sich.

Trotz dieser Situation mussten seine jüngeren Schwestern sich darauf verlassen, dass er ihr Gut rettete. Colleen und Sybil zuliebe durfte er unter keinen Umständen versagen. Seine bevorstehende Aufgabe war gewaltiger, als er sich jemals hätte vorstellen können, doch er war entschlossen, sich gegenüber seiner Mutter zu beweisen und Ashtons einstigen Wohlstand wiederherzustellen.

Und so hatte Iain beschlossen, übers Meer zu reisen, sein vertrautes Heimatland zu verlassen und in der Fremde zu leben – vor allem, um dort auf Brautschau zu gehen und eine wohlhabende Dame zu erobern.

Während den meisten Männern so etwas im Traum nicht einfallen würde, war er sich nicht zu schade dafür, seitdem es mit Gut Ashton stetig bergab ging. Sein Bruder war tot und seine Schwestern brauchten ihn. Er sollte verflucht sein, wenn er sie im Stich lassen und zwingen würde, fremde Männer zu heiraten. Nein. Es würde einen Weg aus dieser Misere geben, selbst wenn er dafür als Opferlamm herhalten müsste.

Mit jedem Schritt gewann Iain mehr Beherrschung über sich, bis er zuversichtlich war, dass man ihn trotz seines verwahrlosten Aussehens in Penford willkommen heißen würde.

Auf seinem Weg entlang der staubigen Straße in die Berge sah er Gerste und Roggen aus dem Boden sprießen. Wie ernüchternd war im Gegensatz dazu der Anblick der verrottenden Felder, die er in Ashton zurückgelassen hatte! Die Braunfäule hatte ihre Kartoffelpflanzen zerstört und ihnen bis auf ein zerfallendes Schloss und horrende Schulden alles genommen.

Seine Mutter und seine Schwestern waren zu ihrer Tante nach New York gezogen, während er die Angelegenheiten in Ashton regelte. Ihm lag es fern, das Gut oder die Menschen im Stich zu lassen, die dort schon ihr ganzes Leben lang zu Hause waren.

Denn die Leute hungerten. Zu viele von ihnen hatten mitansehen müssen, wie ihre Ernte in der Erde verrottete. Ihnen war nichts geblieben; kein Vieh, kein Geld – nichts, was sich gegen etwas Essbares eintauschen ließe. Hunderte waren fortgegangen, um anderswo Arbeit zu finden, doch irische Flüchtlinge waren nirgends willkommen.

Iain wusste, dass die Heirat mit einer reichen Erbin eine Mitgift versprach, mit der seine Pächter überleben könnten, bis die Ernte wieder besser ausfiele. Und obwohl er außer seinem irischen Charme und einem verfallenen Schloss wenig zu bieten hatte, musste er es doch zumindest versuchen.

Die Straße schlängelte sich über einen Hügel, auf dessen höchstem Punkt er im Tal Gut Penford erkennen konnte. An der Westseite des Geländes erblickte er einen See, der in der Morgensonne silbern und golden glitzerte. Einen Augenblick lang hielt er inne und genoss den Anblick. Das Anwesen lag zwar in der Nähe eines Dorfes, allerdings in einem entlegenen Teil von Yorkshire – und war damit nicht gerade der beste Ort für eine Brautschau.

Doch Lady Wolcroft hatte ihn nicht ohne Grund eingeladen … und er würde alles daran setzen, sich mit der Matrone zu verbünden. Sie könnte ihn in ihre Londoner Zirkel einführen und ihm mögliche Heiratskandidatinnen vorstellen – außerdem wusste er ganz genau, dass sie selbst unverheiratete Enkelinnen hatte. Diese jungen Damen würde er natürlich vor seiner Abreise nach London ebenso für seine Brautschau berücksichtigen.

Unter Schmerzen setzte er seinen Weg fort. Als er um die Ecke bog, erblickte er zwei junge Burschen auf einem Pferd. Auf seinem Pferd Darcy.

Verflixte Bengel!

Damit sie ihm nicht entwischten, vermied Iain es, nach ihnen zu rufen. Stattdessen fing er vorsichtig an zu laufen, um Vorsprung zu gewinnen, bevor sie ihn bemerkten. Das Laufen strengte ihn an, und in seine Fußsohlen bohrten sich schmerzhaft Steinchen, doch er biss die Zähne zusammen. Fast da …

„Das Pferd gehört mir“, beharrte einer der Burschen. „Ich habe es zuerst entdeckt.“

„Nein, er gehört mir!“, plärrte der andere Bub. „Ich werde meinem Vater erzählen, dass er mir nach Hause gefolgt ist.“

Iain vermutete, dass die beiden nicht älter als dreizehn waren. Die Halbwüchsigen hatten ihn wohl aus Spaß bestohlen, doch er würde sich gewiss jedes einzelne seiner Besitztümer zurückholen. Er rannte schneller, doch innerhalb weniger Sekunden wurde Darcy unruhig und scheute, sodass die Burschen auf ihn aufmerksam wurden.

Da rief Iain: „Halt, alle beide! Das da ist mein Pferd!“

„Ich habe dir doch gesagt, dass das eine blöde Idee war!“, brüllte einer der Buben und trieb Darcy an. „Marsch!“

Sein dummes Pferd befolgte das Kommando und peste los, sodass Iain die Burschen unmöglich noch einholen konnte. Er rannte so schnell er konnte und versuchte zu verfolgen, wohin sie ritten, doch sie waren bereits im Wald verschwunden.

Keuchend und wutschnaubend verwünschte Iain den Beginn dieses Tages. Ausgeraubt zu werden war schon schlimm genug, und dann auch noch von Buben … Doch es würde nicht lange dauern, sie bei den Behörden anzuzeigen.

Seine Strümpfe waren blutdurchtränkt und er schwitzte vom angestrengten Rennen. Einen feinen Anblick würde er in Penford bieten. Er musste vor der Ankunft unbedingt sein Erscheinungsbild in Ordnung bringen, sonst würden sie ihn hochkant wieder auf die Straße setzen.

Iain legte die restliche Distanz bis zum Gutshaus zu Fuß abseits der Schotterstraße zurück. Mehrere Pächter beäugten ihn skeptisch, als er vorbeikam, doch er schritt erhobenen Hauptes weiter, so als wäre es das Normalste auf der Welt, ein Anwesen nur in Hosen zu betreten.

Das Haus war von hohen Hecken umwuchert und von einem Garten umgeben, den man über einen schmalen Laubengang erreichte. Beschämt über seine spärliche Bekleidung eilte er darauf zu. Vielleicht würde er einen Lakai oder Gärtner antreffen, der ihm Kleidung beschaffen könnte. Doch als Iain sich dem Garten näherte, wurde ihm bewusst, dass er in ein Heckenlabyrinth geraten war. Von Neugierde übermannt begann er, durch die Buchsbaumgänge zu streifen.

An einem Ende erblickte er einen Steinbrunnen, um den Rosenbüsche gepflanzt waren. Im Inneren des Irrgartens entdeckte er ein Beet mit Schwertlilien, deren lilafarbene Blüten im Sonnenlicht erstrahlten. Und als er den hintersten Winkel erreichte, fand er dort Schattenblumen vor.

Einen Moment lang blieb er am Rande des Irrgartens stehen, wo dieser in einen grünen Rasen überging. Auf einer Bank saß eine reizende Frau mit einem Buch. Ihr Haar war rotbraun und unter einer Haube zu einem ordentlichen Dutt hochgesteckt. Sie schloss für einen Moment die Augen und wandte ihr Gesicht der Sonne zu–wie eine Blume.

Ihr Anblick machte ihn sprachlos, und Iain entschied, sein verschwundenes Pferd für einen Moment zu vergessen.

Wer war diese Frau? Eine von Lady Wolcrofts Enkelinnen? Ihr weißer Morgenrock, der mit blauen Stickereien durchsetzt war, ließ jedenfalls darauf schließen. Sie wirkte durch und durch wie eine Lady. Fasziniert trat Iain ein paar Schritte näher.

Die junge Frau krallte die Finger in die Steinbank und verzerrte angestrengt das Gesicht. Langsam rutschte sie an die Kante der Sitzfläche und krümmte den Rücken. Sie umklammerte die Bank so eisern, als ob jede Bewegung sie ungeheure Anstrengung kostete. Iain stutzte und versuchte zu begreifen, was ihr solche Schwierigkeiten bereitete. Im nächsten Augenblick begriff er, was sie da tat: Sie versuchte aufzustehen.

Die Frau stützte sich schwer auf die Bank und versuchte krampfhaft, ihre Beine zu belasten. Doch dann gaben ihre Knie nach und sie setzte sich niedergeschlagen wieder hin.

Iain atmete durch. Allmählich ergaben die Dinge Sinn: Vielleicht hatte Lady Wolcroft ihn hierher gebeten, damit er ihren Enkelinnen half. Wenn diese junge Frau nicht gehen konnte, würde sie niemals einen Mann finden.

Und doch bewunderte er sie für ihren Mut. Aus ihrem Blick sprach die ruhige Entschlossenheit einer Frau, die niemals aufgibt. Er konnte sie verstehen.

Nun wollte er wissen, wer sie war. Vorsichtig trat er hinter der Hecke hervor.

***

In ihrem Garten stand ein fremder Mann.

Lady Rose Thornton rieb sich die Augen. Ging etwa ihre Fantasie mit ihr durch? Er war ja auch noch halbnackt und lächelte sie an, so als wäre das alles völlig normal.

„Verzeiht meine spärliche Bekleidung, a chara“, entschuldigte er sich. „Ich wurde auf meiner Reise hierher von einer verflixten Diebesbande ausgeraubt.“

Was sollte das denn heißen? Rose blinzelte einmal fest. Nein, er war immer noch da. Als sie tief Luft holte, um nach Leibeskräften zu schreien, beschwichtigte Iain sie: „Ich werde Euch nichts tun“, versicherte er ihr mit erhobenen Händen. „Allerdings wäre ich Euch zu großem Dank verpflichtet, wenn Ihr mir Kleidung geben könntet – freilich nicht Eure eigene.“ Er grinste sie schelmisch an.

Sie starrte ihn an. Noch immer wusste sie nicht, was sie von ihm halten sollte, aber sie musste sich eingestehen, dass er auf eine verwegene Art attraktiv war. Sein braunes Haar war kurz geschnitten und seine Wangen waren stoppelig, so als hätte er vergessen, sich zu rasieren. Sie versuchte, nicht seine nackte Brust anzuglotzen, während er sie mit schräg gelegtem Kopf abwartend ansah. Seine Brustmuskeln waren definiert und seine Haut war sonnengebräunt. Die markanten Linien auf seinem Bauch erregten ihre Aufmerksamkeit. Er musste ein Arbeiter sein, vielleicht ein Stallbursche oder Lakai. Gentlemen waren nicht so muskulös, besonders dann nicht, wenn sie ein Leben voller Müßiggang führten. Seine grünen Augen musterten sie amüsiert. Rose war sprachlos.

„Könnt Ihr nicht sprechen?“, fragte er, „oder hat Euch etwa meine Nacktheit die Sprache verschlagen?“

„I-Ihr seid nicht nackt“, platzte sie heraus. Vor lauter Aufregung begann sie drauflos zu plappern: „Ich meine, Ihr seid größtenteils bedeckt“, verbesserte sie sich mit hochrotem Kopf. „Die wichtigen Teile jedenfalls.“

Nicht nackt? Was war denn das für eine Bemerkung? Sie saß im Garten mit einem Fremden, der nur Hosen trug, und hatte noch nicht um Hilfe geschrien. Was war nur los mit ihr? Er könnte ein Eindringling sein, der jeden Moment über sie herfallen würde. Doch dann lachte er aus voller Kehle und in einem tiefen, beinah verruchten Ton los.

Rose fragte sich unweigerlich, warum um alles in der Welt ein nackter Lakai in ihrem Garten stand. „Bleibt, wo Ihr seid“, warnte sie, „sonst schreie ich.“

Iain hob die Hände. „Das ist nicht nötig. Wie gesagt liegt es mir fern, Euch zu schaden. Ich fürchte nur, Ihr habt mich in einer misslichen Lage angetroffen. Könntet Ihr mir helfen, falls es Euch nicht zu viele Umstände macht?“ Mit leicht hochgezogener Augenbraue fügte er hinzu: „Ich bin auf Einladung von Lady Wolcroft hier.“

Dies machte sie neugierig. Warum sollte ihre Großmutter einen Fremden nach Penford einladen? Mildred tat nichts lieber, als sich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen, doch im Augenblick war sie nicht einmal zugegen. Sie war erst einige Wochen zuvor nach Bath gereist.

Allerdings war es gut möglich, dass dieser Mann log.

„Wer seid Ihr überhaupt?“, fragte sie schließlich. „Und was tut Ihr hier?“

„Ich bin Iain Donovan, der Earl of Ashton“, antwortete er. „Zu Euren Diensten.“ Er verbeugte sich, wobei Rose sein schalkhaftes Grinsen nicht verborgen blieb. Seiner Ausdrucksweise nach zu urteilen musste er Ire sein. Aber ein Earl? Für wie hohlköpfig hielt er sie eigentlich?

Rose faltete die Hände im Schoß. „Ihr braucht nicht zu lügen, Sir“, sagte sie mit Nachdruck. „Ich weiß ganz genau, dass Ihr kein Earl seid.“

Er war perplex. Aber hatte er wirklich geglaubt, sie auf diese Art täuschen zu können? Sie war kein Bauernmädchen, das sich leicht auf den Arm nehmen ließ. „Ein Earl würde in einer Kutsche mit Dutzenden Dienern anreisen, niemals allein.“

Bevor er widersprechen konnte, fuhr sie fort: „Begebt Euch zum Dienstboteneingang. Unsere Haushälterin Mrs. Marlock kann Euch sicherlich mit ein paar alten Kleidern aushelfen, vielleicht auch mit etwas zu essen. Dann könnt Ihr euch wieder auf den Weg machen.“ Sie wusste zwar nicht, ob dieser Mann gefährlich war, sprach aber vorsichtshalber in sanftem Ton mit ihm. Schreien könnte sie falls nötig immer noch. Der Mann verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete sie. In ruhigem Ton sagte er: „Ich habe nicht gelogen, Miss.“

„Für Euch immer noch Lady Rose, Mr. Donovan“, verbesserte sie ihn. Im Gegensatz dazu hatte er aus ihrer Sicht keinen Titel verdient. „Ich würde Euch nun bitten zu gehen. Und zwar unverzüglich.“ Sie wurde unruhig, denn wenn dieser Mann es wagte sie zu bedrohen, hätte sie ihm nichts entgegenzusetzen. Besonders, da sie nicht davonlaufen konnte.

Selbst wenn sie nach ihrem Diener Calvert riefe, würde dieser sicher nicht schnell genug herbeieilen. Ihr Blick fiel auf einen Rechen in der Nähe und sie überlegte, ob sie ihn im Notfall greifen könnte.

„Ich habe keinen Grund, nicht die Wahrheit zu erzählen“, sagte er. „Wie ich Euch bereits sagte, wurde ich auf meinem Weg hierher ausgeraubt.“ Er hielt einen Moment inne, bevor er hinzufügte: „An unserer Kutsche brach eine Achse und meine Diener blieben vor Ort, um sie zu reparieren. Ich hielt es für klüger, meinen Weg zu Pferde fortzusetzen, um der Einladung von Lady Wolcroft zu folgen.“

„Eine unwahrscheinliche Geschichte“, konterte Rose. „Wenn Ihr wirklich ein Earl wärt, hättet Ihr ein größeres Gefolge.“

Er hob eine Augenbraue. „Wie viele Lakaien sollte ich denn Eurer Meinung nach haben?“ „Genügend, um einige davon mitzubringen. Ein Gentleman reist niemals allein.“

Das Gesicht des Mannes nahm einen wütenden Ausdruck an. „Doch, wenn er keine andere Wahl hat.“ Zuerst wirkte es, als wollte er weiter mit ihr streiten, doch dann sagte er schmallippig: „Lady Wolcrofts älteste Tochter war mit meiner Mutter befreundet. Ich bin hier, weil sie mich mit einer Engländerin verheiraten möchte.“

Sie glaubte ihm kein Wort. Nein, er musste ein Schuft sein, ein Mann, der nichts zu verlieren hatte und sich durch Lügen einen Vorteil verschaffen wollte. „Nun, Sir, Ihr seid ein feiner Märchenonkel. Ich hörte bereits, dass die Iren fabelhafte Geschichtenerfinder sind, aber erzählt das bitte alles der Haushälterin.“

„Ich erzähle keine Märchen, Lady Rose. Ich bin wirklich hier, um eine Braut zu finden.“ Die Verärgerung war ihm deutlich anzuhören.

Sie beugte sich so weit wie möglich vornüber und schaffte es, nach dem Rechen zu greifen. Mit dieser behelfsmäßigen Waffe fühlte sie sich wohler.

„Was habt Ihr denn mit diesem Rechen vor, a chara?“, fragte er und trat näher.

Rose umklammerte den Stiel mit beiden Händen und zog ihn näher an sich heran, um den Mann mit dem Werkzeug auf Abstand zu halten.

„Nichts, wenn Ihr nun fortgeht.“ Zugegebenermaßen wusste sie nicht genau, was sie mit dem Rechen anstellen würde. Er taugte nicht gerade dazu, jemanden zu erstechen. Sie konnte den Mann damit pieken, mehr aber auch nicht.

Jetzt rief sie wirklich nach ihrem Diener. „Calvert! Ich benötige deine Hilfe!“ Er sollte sie vor jeglichen Gefahren beschützen, und im Augenblick wollte sie, dass der fremde Mann aus ihrer Nähe verschwand – auch wenn er recht gutaussehend war. Und ein charmanter Lügner obendrein.

Der Ire verzog den Mund und verbeugte sich. „Wie Ihr wünscht, Lady Rose. Bis später, wenn ich besser gekleidet bin.“

Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, umklammerte jedoch weiterhin fest den Rechen. „Fort mit Euch!“ Sonst wird mein Lakai Euch Beine machen.

Doch als der Fremde im Labyrinth verschwand, bemerkte sie, dass ihr Herz nicht nur vor Angst wie wild klopfte. Sie hatte zwar schon ihren Bruder ohne Hemd gesehen, aber niemals zuvor einen Mann wie Iain Donovan. Sein dunkles Haar war leicht gelockt und diese grünen Augen faszinierten sie. Er hatte markante Wangenknochen und ein ebenmäßiges und definiertes Gesicht. Er sah aus wie ein Mann, der durch die Hölle gegangen und gestärkt daraus hervorgegangen war.

Er hatte überhaupt nichts Elegantes an sich. Sie wollte wetten, dass er in seinem ganzen Leben niemals Handschuhe getragen hatte.

Nein. Niemals war er ein Earl.

Und doch … war sie fasziniert von seiner Körperkraft und hätte gerne gewusst, ob seine Muskeln so fest waren wie es schien. Seine fein gemeißelte Statur glich der einer Marmorstatue. Als Calvert auf dem Pfad erschien, um sie ins Haus zurückzubringen, spähte sie noch einmal zurück in den Irrgarten. Sobald sie drinnen in Sicherheit war, trug sie ihrem Diener auf, Mr. Donovan zu folgen und den wahren Grund für seinen Besuch in Erfahrung zu bringen.

„Na, ob ich dir das glauben kann, Bursche?“ Mrs. Marlock stemmte die Hände in ihre dicken Hüften. „Kein Wort hat Lady Wolcroft von nem Gast aus Irland gesagt. Aber wenn ich mich täusche, steh ich schön blöd da, wenn ich dich rauswerf. Du hast ja nich mal was zum Anziehn.“

„Ganz richtig.“ Iain war sich seiner ärmlichen Erscheinung wohl bewusst, doch er konnte nichts dagegen tun. „Wenn ich mit Lady Wolcroft sprechen dürfte, wird sie sicherlich alles regeln.“

Mrs. Marlock legte den Kopf schief, als würde sie über seine Geschichte nachdenken. Ihr graues Haar war zusammengebunden und unter einer Haube hochgesteckt. Sie erinnerte ihn an einen Soldaten, nur dass sie anstelle eines Schwerts einen Schlüsselbund an ihrem feisten Körper trug. „Lady Wolcroft ist nicht hier, und ich weiß nich, wann sie aus Bath zurückkehrt.“

Bath? Wieso war sie dorthin gereist, wenn sie ihn doch eingeladen hatte? Ein schönes Schlamassel war das. Er hatte keine Kleider, kein Geld und keinen Siegelring und niemand konnte ihn in Penford empfangen. Die Haushälterin fuhr fort. „Kannste sonst irgendwie beweisen, wer du bist?“

Nein, er stand mit leeren Händen da. Die verflixten Diebe hatten ihm alles geraubt. Iains Verbitterung wuchs, doch er zwang sich, sie zu unterdrücken. Keinesfalls wollte er die Haushälterin verschrecken.

Er überlegte sich eine glaubwürdige Lüge. „Meine Diener werden heute mit meinen Habseligkeiten hierher kommen, sobald die Kutsche repariert ist“, sagte er geschickt. „Das sollte zum Beweis genügen.“ Er sprach ruhig und beherrscht, um Mrs. Marlock nicht einzuschüchtern. Wenn er ihr Misstrauen schürte, würde sie ihn hochkant hinauswerfen.

Ihm lief die Zeit davon und er hatte keine Möglichkeit, seine Identität zu beweisen. Wäre Lady Wolcroft hier, würde sie ihn mit etwas Glück wohl erkennen. Aber außer ihr niemand sonst.

Die Haushälterin wirkte nicht überzeugt. „Du kommst aus Irland, nich?“

„Ich bin aus Ashton“, antwortete er. „Im County Mayo.“ Einen Moment lang wartete er ab, ob sie weitere Fragen hätte. Als sie nichts erwiderte, fügte er hinzu: „Ich vermute, Lady Wolcroft hat von meiner Mutter Moira erzählt? Oder von meinem seligen Bruder Michael?“

Mrs. Marlock verschränkte die Arme vor der Brust und runzelte die Stirn. „Nee, hat sie nich.“ Sie beäugte ihn und schien zu überlegen. Schließlich sagte sie: „Nun, vielleicht sagst du die Wahrheit, aber ich kann keinen Fremden ins Haus lassen, bevor Lady Wolcroft zurückkommt. Du kannst in ein paar Tagen wiederkommen. Dann isse vielleicht wieder da.“

Ihre Ablehnung überraschte ihn keineswegs. Dennoch wollte er nicht mitten in Yorkshire ohne Unterkunft, Geld und Essen vor die Tür gesetzt werden. Schnell überlegte er sich eine Alternative. „Ich schwöre Ihnen, dass ich wirklich der Earl of Ashton bin. Wenn Sie mir erlauben, über Nacht zu bleiben, werde ich Sie fürstlich für sämtliche Unannehmlichkeiten entschädigen, sobald meine Diener in Penford eingetroffen sind.“ Er war sich nicht sicher, wie er das anstellen sollte, aber er würde schon einen Weg finden.

Die Haushälterin grinste nur. „Ja ja, und dann kommt die Queen und alle werden sehen, dass ich ihre lange verschollene Tochter bin.“ Kopfschüttelnd fügte sie hinzu: „Nee, mein Junge, du gehst jetzt besser. Sicher find’ste jemanden im Dorf, bei dem du dich lang machen kannst.“

In Anbetracht seiner spärlichen Bekleidung bezweifelte Iain das stark. Nein, es wäre viel besser, Mrs. Marlock zu überreden, dass er in Penford bleiben durfte. „Und was, wenn ich … ich meine–“ Zögernd überlegte er, ob es seinem Anliegen schaden würde, sich noch mehr zu erniedrigen. Was bleibt mir anderes übrig?, dachte er. Niemand kennt dich.

Schließlich überwand er seinen Stolz und fragte: „Was, wenn ich Ihnen inzwischen ein wenig im Gutsbetrieb helfe? Zumindest, bis meine Diener beweisen können, wer ich bin.“ Das war der beste Kompromiss, den er anbieten konnte. Er hatte auf Ashton genügend geschuftet, nachdem die meisten Pächter fortgegangen oder gestorben waren. Es war unvermeidlich gewesen. Auch jetzt würde er sich für nichts zu schade sein, wenn das bedeutete, dass er eine Bleibe für die Nacht haben konnte.

Mrs. Marlock musterte ihn skeptisch mit verschränkten Armen. „Ich hab dir schon gesagt, dass du gehen sollst, mein Junge. Keiner kennt dich, und obwohl du dich gut ausdrücken kannst, biste n Fremder hier. Hier gibt’s keinen Platz für dich.“

Iain richtete sich auf und blickte sie todernst an. „Mrs. Marlock, was wird Lady Wolcroft wohl davon halten, dass Sie ihren Gast fortgeschickt haben?“

Die alte Frau zögerte. Ihre Verunsicherung ermunterte ihn, beharrlich zu bleiben. „Ich bitte Sie nur um Unterkunft für einen einzigen Tag. Und es muss nicht im Haupthaus sein, wenn Ihnen das nicht behagt.“

Sie kniff argwöhnisch die Augen zusammen. „Ich kenn dich nicht, und du musst sowieso mit unserem Butler Mr. Fulton reden. Ich kann dir in diesem Haus keinen Schlafplatz anbieten. Geht nich.“

„Wenigstens für ein paar Stunden“, feilschte er, „nur bis meine Diener eintreffen.“

Er hatte zwar nicht die geringste Lust, im Freien zu schlafen, doch ihm würde wohl nichts anderes übrigbleiben, wenn er es nicht schaffte, Mrs. Marlock oder Fulton davon zu überzeugen, dass er wirklich der Earl of Ashton war. Und obwohl er im Grunde ein abenteuerlustiger Kerl war, gefiel ihm die Vorstellung, nachts bibbernd im kalten Moor zu hocken, überhaupt nicht.

Er schenkte Mrs. Marlock ein herzliches Lächeln und fügte hinzu: „Sie scheinen mir eine gütige Frau zu sein, Mrs. Marlock. Ich weiß, dass Sie es nicht übers Herz bringen würden, einen Gast im eiskalten Regen auszusetzen, wenn Sie ihm eine Bleibe für die Nacht anbieten können.“

„Es regnet aber gar nich, Freundchen“, sagte sie. „Und du wirst wie gesagt irgendwo im Dorf unterkommen. Aber wenn du wirklich ein Earl bist, helf ich dir gern.“ Ihr Tonfall verriet, dass sie ihm kein bisschen glaubte. Doch zum Beweis ihrer Güte reichte sie ihm einen großen Brocken Brot. Iain riss ein Stück davon ab und schlang das Essen herunter, so als hätte er seit Stunden nichts mehr gegessen.

Er würde weiter hartnäckig bleiben, um sich einen Schlafplatz zu sichern, denn er war überzeugt, spätestens bis zum Abend beweisen zu können, wer er war. Er musste nur den Siegelring finden, der ihm gestohlen worden war. Als er das Brot aufgegessen hatte, fragte er: „Hätten Sie denn auch Kleider für mich?“ Er streckte die Arme aus und bot sich der Haushälterin in voller Blöße dar. „Ich kann nicht herumlaufen, ohne etwas anzuhaben.“

Sie errötete leicht, bevor sie schließlich seufzte: „Das stimmt wohl. Mal sehen, welche Lumpen ich dir geben kann, bevor du ins Dorf gehst.“

„Das weiß ich wirklich zu schätzen. Und danke für das Essen.“ Er nickte höflich, woraufhin sie ihn ratlos ansah. Schließlich machte auch sie einen Knicks.

„Hattie!“, rief sie. Eine Magd, ein cailín von etwa sechzehn Jahren, kam hereingehuscht. Das Mädchen schaute ihn neugierig an, bevor ihr Blick in unverhohlener Bewunderung über seinen nackten Oberkörper glitt. Obwohl er sich vielmehr wie eine Festtagsgans auf dem Präsentierteller fühlte, sagte Iain nichts, falls die Magd sich als eine unverhoffte Verbündete entpuppen würde. Mrs. Marlock herrschte sie an: „Glotz nich so, Hattie, und hol dem Mann was zum Anzieh’n.“

Die Magd errötete und lächelte beschämt, bevor sie davoneilte. Obwohl Iain keine Miene verzog, pflanzte sich Mrs. Marlock vor ihm auf und funkelte ihn wütend an. „Wenn du angezogen bist, sieh gefälligst zu, dass du aus Penford verschwindest. Solltest du wirklich ein Gast der Herrin sein, werde ich mich später tausendmal entschuldigen.“ Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie an seiner Rückkehr zweifelte.

„Sie werden schon sehen“, antwortete er, „heute Abend werde ich an Ihrem Tisch speisen.“ Wenn er erst einmal seine gestohlenen Habseligkeiten wiedergefunden hätte, würden sie ihn sicher bei sich aufnehmen.

Mrs. Marlock konnte darauf nur ein entrüstetes Schnauben erwidern.

Ein paar Minuten später brachte Hattie ihm ein zerrissenes Hemd und einen ebenso schäbigen Mantel sowie ein Paar Schuhe. In Anbetracht ihres jungen Alters und ihres Gewands, das ein wenig besser war als das einer Küchenmagd, hielt er sie für eine Kammerdienerin. Und obwohl er bezweifelte, dass ihm eines der Teile passen würde, war dies allemal besser, als weiterhin halbnackt und barfuß herumzulaufen. Iain dankte ihr für die Kleider.

Leider würde er wohl die nächsten Stunden in lumpige Dienstbotenkleidung gehüllt im Freien verbringen müssen. Das könnte ja heiter werden.

Du hast nie erwartet, dass es einfach werden würde, mahnte er sich selbst. Warum sollte man dir ohne jeglichen Beweis glauben, dass du ein Earl bist?

Um in Ruhe sein weiteres Vorgehen planen zu können, ließ er sich Zeit, während er sich das schlecht sitzende Hemd, den Mantel und die Schuhe anzog. Obwohl er gehofft hatte, dass seine Männer ihm hierher folgen würden, glaubte er inzwischen, dass sie ihn im Stich gelassen hatten. Und ohne Diener, die sich für ihn verbürgen würden, steckte er nun wirklich in der Klemme.

Doch Aufgeben kam nicht infrage. Zu viele Menschen waren von ihm abhängig.

Als er fertig angezogen war, folgte er Hattie den Dienstbotengang entlang. Sie wandte sich zu ihm um und wünschte ihm mit einem hoffnungsvollen Lächeln alles Gute. Dann deutete sie auf die Tür am Ende des Ganges. „Dort geht es hinaus.“

Er blickte zur Tür und schaute dann der Magd in die Augen. „Glaubst du mir, dass ich der Earl of Ashton bin, auch wenn ich aussehe, als hätte man mich hinter einem Karren hergeschleift?“

Hattie schien sich unbehaglich zu fühlen und senkte den Blick. „Ich– das kann ich nicht beurteilen, Sir.“ Mit diesen Worten ging sie weiter mit ihm Richtung Hinterausgang.

Er wollte nicht weiter nachbohren, da sie schließlich nur Befehle befolgte. Im Kopf malte er sich bereits aus, wo er die Nacht verbringen würde. Vielleicht im Stall oder an einem überdachten Ort. Da er keinen Penny bei sich hatte, würde ihn niemand im Dorf bei sich aufnehmen.

Iain war erst ein paar Schritte weit gekommen, als er plötzlich eine Frau schreien hörte. Es gellte, als ob sie gerade angegriffen würde. Ohne eine Sekunde zu zögern eilte er die Treppe hinauf in den Flur. Dort fand er eine Frau mittleren Alters mit wallendem, zerzaustem Haar vor, die auf die Haustür zu rannte. Sie trug ein langärmeliges blaues Twillkleid und hatte wilde Augen. Ihrem noch jungen Alter nach zu urteilen konnte sie nicht Lady Wolcroft sein, aber vielleicht war sie ihre Tochter.

„Lady Penford!“, rief Hattie und eilte ihr zu Hilfe. „Bitte … gestattet mir, Euch zu helfen.“ Iain blickte sich um, um herauszufinden, wovor die Frau floh, aber es war weit und breit nichts zu sehen. Das Gesicht der Frau war totenbleich und ihre Hände zitterten stark. Als Hattie die Hand ausstreckte, griff Lady Penford fest zu. „So helft mir doch! Die– die Wölfe! Ich hörte sie heulen, sie sind hinter mir her!“

Die Magd warf Iain einen Blick zu und schüttelte mahnend den Kopf. Iain war sich zwar nicht sicher, was hier vor sich ging, doch Lady Penford litt offenbar an Wahnvorstellungen. Die Frau wollte wieder losrennen, doch Hattie hielt sie auf, indem sie sie um die Taille packte. „Nein, Gnädigste, Ihr dürft das Haus nicht verlassen.“

Die Krankheit, die Lady Penfords Geist plagte, würde am Ende noch dazu führen, dass sie sich verletzte, wenn man ihr die Flucht gestattete. Und obwohl es ihn eigentlich nichts anging, stellte Iain sich vor den Ausgang, damit sie nicht entkommen konnte.

„Lass mich raus!“, forderte Lady Penford und entwand sich dem Griff der Magd. Doch als sie die Haustür erreichte, blieb Iain eisern stehen, um ihr den Weg zu versperren. Er spürte, dass diese Frau in ihrer eigenen Fantasiewelt gefangen war, in der die Realität wenig Sinn ergab.

„Wo sind die Wölfe?“, fragte er in sachtem Ton. Er sprach leise, wie um ein verwundetes Tier zu beruhigen.

Seine Frage schien Lady Penford für einen Moment aus ihrer Hysterie zu reißen. Sie stockte. „Sie– sie haben mich gejagt.“ Ihr Gesichtsausdruck war verwirrt und sie schien gar nicht zu bemerken, dass er ein Fremder war.

„Würdet Ihr Euch in Eurem Gemach sicherer fühlen?“, fragte er. „Hattie kann Euch bestimmt dorthin bringen.“

„Nein“, keuchte sie. „Dahin kann ich nicht zurück. Die Wölfe werden mich finden.“ Sie presste die Hände zusammen und machte noch einen Schritt auf die Tür zu. „Ruft meine Kutsche.“

Er blickte Hattie an, die sich daraufhin Lady Penford näherte. Iain trat noch einen Schritt zurück, damit sie die Tür nicht erreichen konnte.

Ein leises Geräusch am oberen Treppenabsatz erregte seine Aufmerksamkeit, und er erblickte Lady Rose, die von einem Lakai getragen wurde. „Mutter, bitte warte einen Augenblick.“ Beim Anblick der Hausherrin wurde sie blass und befahl Calvert, sie nach unten zu tragen.

Es machte Iain betroffen, dass Lady Rose darauf angewiesen war, von anderen überallhin getragen zu werden. Das musste sehr hart für sie sein. In ihrem Zustand konnte sie ja nicht einmal ihrer Mutter helfen.

Als sie Iain an der Tür erblickte, klappte ihr die Kinnlade herunter. Die Röte schoss ihr ins Gesicht, als ob es ihr unangenehm wäre, dass er den Anfall ihrer Mutter mitbekommen hatte. Hattie stellte einen Stuhl in Lady Penfords Nähe und der Diener setzte Lady Rose darauf ab, bevor er sich diskret entfernte.

„Geht es dir gut?“, fragte die junge Frau. In ihrer Stimme lag ein sanfter, mitfühlender Ton – kein Tadel für den Irrsinn. Sie streckte die Hand aus, doch Lady Penford beachtete sie nicht.

Aus der Nähe bemerkte Iain, dass die Augenfarbe von Lady Rose einen warmen Sherry-Ton hatte. Einige rotbraune Haarsträhnen umrahmten ihr Gesicht. Er verspürte den Wunsch, sie zu entlasten.

„Hast du mich verstanden, Mutter?“

Lady Penford antwortete nicht, sondern starrte nur ihre zitternden Hände an.

„Ich habe gerade mit Lady Penford über die Wölfe gesprochen“, sagte Iain, so als wäre alles in bester Ordnung. Er fixierte die junge Frau in der Hoffnung auf ihre Mithilfe, denn die Alte schien in ihrem Wahn gefangen zu sein.

Doch Lady Rose beachtete ihn gar nicht. „Jetzt ist doch alles gut, Mutter. Ich bin ja hier.“ Sie streckte erneut die Hand aus, doch die Frau reagierte weiterhin nicht darauf.

„Ich habe Angst“, gab ihre Mutter zu. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie rang die Hände. „Ganz große Angst.“

Iain spähte zu Lady Rose hinüber und bemerkte ihre erröteten Wangen. Die Magd und der Diener schauten sich an, bevor sie den Blick senkten. Offenbar war der Wahnsinn der Mutter nichts Neues für sie.

„Kann ich irgendetwas tun, um zu helfen?“, fragte Iain.

Die Alte wandte sich wieder ihm zu, und plötzlich schlug ihre Stimmung um. „Ich habe Euch noch nie gesehen. Kennt Ihr meinen Sohn James? Seid Ihr deswegen hier? Ist er aus Indien zurück?“ Ihre Stimme bebte vor Erregung, und er vermutete, dass Kummer und Sorge sie in diesen aufgebrachten Zustand versetzt hatten.

Iain riskierte einen Blick zu Rose, die den Kopf schüttelte. Es war nicht klar, ob ihr Bruder tot oder verschollen war, doch er beschloss, die Frau nicht mehr als nötig zu beunruhigen. Es war leicht genug, die Täuschung aufrechtzuerhalten. „Möglicherweise habe ich ihn gesehen. Könntet Ihr mir bitte noch einmal ins Gedächtnis rufen, wie er aussieht?“

Plötzlich huschte ein lichter Moment über das Gesicht der Frau, bevor sich Besorgnis darauf ausbreitete. „James ist schon lange weg. Ich bete für seine Rückkehr, aber er hat meine Briefe nie beantwortet. Er muss wiederkommen, denn er ist doch der neue Earl of Penford.“ Sie senkte die Stimme zu einem leisen Flüstern. „Nun, da mein Ehemann … fort ist, gibt es viel zu tun. So viele Entscheidungen müssen getroffen werden, und ich … ich kann das einfach nicht.“ Lady Penford schlug die Hände vor den Mund, während ihr Gesicht einen panischen Ausdruck annahm.

„Gräme dich nicht“, beschwichtigte Rose sie. „Lily und ich werden zurechtkommen. Jetzt solltest du in den Salon gehen und eine Tasse Tee trinken. Mrs. Marlock hat vielleicht auch noch Scones mit Clotted Cream. Hast du darauf Lust?“ Durch die Erwähnung der Speise gelang es, die Aufmerksamkeit der älteren Dame abzulenken. „Ich– ja, das wäre wundervoll.“

„Hattie wird dich in den Salon bringen und wir kommen dann nach.“ Rose gab der Magd ein Zeichen, woraufhin Hattie Lady Penford den Flur entlang geleitete.

Als ihre Mutter fort war, wandte Rose sich wieder Iain zu. Sie blickte traurig drein.

„Danke, dass Ihr sie von der Flucht abgehalten habt. Sie trauert, seit mein Vater gestorben ist.“

Er nickte. „Sie wirkte sehr aufgebracht.“ Und nicht ganz richtig im Kopf, dachte er, ohne es auszusprechen.

„Wird sie sich erholen?“

Rose seufzte und reckte sich auf ihrem Stuhl. „Das weiß niemand. Es gibt gute und schlechte Tage.“

Mit einem Blick hinüber zu ihrem Lakai fragte er: „Benötigt Ihr Hilfe? Ich meine, falls Ihr euch zu ihr gesellen möchtet, könnte ich–“ Doch er bremste sich sogleich ein, als ihm klar wurde, dass es völlig unangebracht wäre, sie zu tragen.

Lady Rose schien allerdings keinen Anstoß an dem Vorschlag zu nehmen, sondern antwortete schlicht: „Calvert wird mich dorthin bringen.“

Dann musterte sie skeptisch Iains schäbige Kleider. „Behauptet Ihr immer noch, ein irischer Earl zu sein, Sir?“ In ihren Worten schwang Sarkasmus mit, und der Ausdruck in ihren Augen verriet, dass sie ihm keinen Deut glaubte.

Iains Mund verzog sich zu einem Grinsen. „Für Euch bitte ‚Lord Ashton’, a chara. Wartet nur ab.“

Kapitel zwei

Rose wusste nicht, was sie von diesem Gentleman halten sollte, der sich als Earl ausgab. Er verhielt sich nicht unterwürfig wie ein Diener, besonders als er den hysterischen Anfall ihrer Mutter in den Griff bekommen und sie beruhigt hatte. Trotz seines Lumpengewands wirkte er auf gewisse Art erhaben. Allerdings waren seine Ausdrucksweise und seine mangelnde Etikette alles andere als fein. Sie konnte einfach nicht glauben, dass er ein Edelmann sein sollte – nicht, bevor sie seine Kutsche und seine Diener gesehen hätte.

Als Lord Ashton hatte er sich vorgestellt, nicht wahr? „Lord Asche“ erschien ihr passender.

Und doch faszinierte er sie trotz seiner äußerlichen Erscheinung. Auf eine verwegene Art und Weise war er ja wirklich recht gutaussehend. Seine Art sie anzulächeln war verrucht und verhieß dunkle Ecken und geheime Liebschaften. Sein dunkles Haar hatte einen Schnitt nötig und auf seinen Wangen standen Bartstoppeln, die sie gern einmal angefasst hätte.

Sie war schon beinahe so durcheinander wie ihre Mutter. Warum war er wirklich hier? Und wer war er überhaupt? Calvert brachte sie in den Salon, wo sich ihre Schwester Lily kurze Zeit später hinzugesellte. Rose erwiderte ihren fragenden Blick und schüttelte leicht den Kopf, um ihr anzudeuten, dass ihre Mutter heute keinen guten Tag hatte. Pass auf, was du sagst, Lily.

„Mutter, möchtest du Tee?“, fragte ihre Schwester fröhlich mit der silbernen Teekanne in der Hand. Iris sah abwesend aus, und Lily musste ihre Frage zweimal wiederholen, bevor ihre Mutter schließlich reagierte und sich ihnen zuwandte. „Was sagtest du? Ach ja, Tee. Mit Milch und Zucker, bitte.“

Lily bereitete den Tee zu und setzte sich dann neben ihre Mutter, um ihr die Tasse zu reichen. Inzwischen wirkte Iris ruhiger, und weder Rose noch Lily wollte riskieren, mit einer unbedachten Bemerkung erneut ihre furchtbaren Wahnvorstellungen auszulösen.

„Geht es dir heute gut, Mutter?“ Lily schenkte auch Rose eine Tasse ein und stellte sie vor ihr ab. „Ja, jetzt fühle ich mich viel besser. Aber wer war dieser neue Gentleman, den ich soeben kennenlernte?“

Verflixt, Rose hatte gehofft, dass Mutter „Lord Asche“ bereits ganz vergessen hätte. Ihre Schwester schaute sie neugierig an, denn sie wusste nichts von dem Fremden, der nach Penford gekommen war. Rose wollte ihr lieber nichts von ihm erzählen.

„Das spielt keine Rolle, Mutter. Denk nicht mehr darüber nach.“ Sie wollte vermeiden, dass ihre Mutter auf die Anwesenheit eines Fremden aufgewühlt oder verängstigt reagierte.

„Welcher neue Gentleman?“, insistierte Lily.

Lass das, warnte Rose sie wortlos mit strengem Blick. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen. Doch Iris wandte sich ihr mit einem mysteriösen Lächeln zu. „Er war wirklich ausgesprochen schneidig. Ich bin nicht blind, meine Liebe. War er hier, um dir einen Besuch abzustatten?“ Bevor sie dies abstreiten und das Thema wechseln konnte, fuhr Lady Penford fort: „Schließlich brauchst du dringend einen Ehemann, Rose.“

Sie war augenblicklich peinlich berührt. „Im Augenblick nicht, Mutter. Die Zeit ist noch nicht reif.“ Zum Glück griff Lily ein und lenkte ihre Mutter mit einem Keks ab, bevor sie das Gesprächsthema wechselte und von einem neuen Kleid erzählte, das sie anfertigen lassen wollte. Danke, Lily.

Ihre Mutter mochte recht haben, doch es schmerzte Rose, dass sie so unüberlegt daherredete, wo sie doch bereits einen Verehrer hatte. Sie kämpfte mit den Tränen.

Bloß nicht weinen. Aber schon allein der Gedanke an Lord Burkham wühlte sie auf, da sie ihn schrecklich vermisste. Er war kurz davor gewesen, um ihre Hand anzuhalten, bevor sie in Yorkshire erkrankt war. Das fürchterliche Leiden hatte sie gezwungen, um ihr Leben zu kämpfen, und sie so sehr geschwächt, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Thomas hatte ihr in den vergangenen Monaten Briefe mit Genesungswünschen geschickt. Sie war zuversichtlich, dass er ihr einen Heiratsantrag machen würde, wenn sie wieder ohne fremde Hilfe laufen könnte.

Rose wollte sich keinesfalls damit abfinden, den Rest ihres Lebens wie ein Kind herumgetragen zu werden. Egal wie lange es dauern würde, sie wollte nicht nach London zurückkehren, bis sie wieder laufen konnte. Es mochte pure Eitelkeit sein, doch Thomas sollte sie in ihrem gebrechlichen Zustand nicht zu Gesicht bekommen.

„Du solltest wirklich zur Ballsaison nach London zurückkehren“, fuhr Iris fort. „Du bist eine überaus reizende junge Dame. Welcher Gentleman hätte nicht gern eine so liebenswerte Frau wie dich an seiner Seite?“

Rose rang sich ein Lächeln ab, doch ihr wurde schwer ums Herz. Iris schien ihre Gehbehinderung völlig vergessen zu haben. „Ich muss noch einige Monate warten, bis ich wieder teilnehmen kann. Aber vielleicht ist Lily ja interessiert.“

„Nein, ich– ich möchte auch lieber nicht hinfahren“, stammelte Lily, bevor sie sich hastig setzte und ein großes Stück Gebäck in den Mund stopfte, um weiteren Gesprächen zu entgehen. Sie stapelte noch zwei weitere Teilchen auf ihren Teller, um zu zeigen, dass sie einfach weiteressen würde, um sich nicht unterhalten zu müssen. Rose blickte kopfschüttelnd den Essensberg an, worauf Lily nur ein gequältes Lächeln erwiderte. Tatsächlich teilten beide dasselbe Dilemma. Sie hatten ihre zukünftigen Ehemänner bereits ausgewählt; bloß hatte ihnen dann das Schicksal einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Lily vermied das Thema Heirat, seitdem Matthew Larkspur, der Earl of Arnsbury, verschwunden war. Rose war überzeugt, dass ihre Schwester die Rückkehr des Gentleman abwartete … aber ob er jemals wiederkäme? Ihre Schwester liebte Lord Arnsbury heiß und innig und schien sich von der Gesellschaft abschotten zu wollen, um keinen anderen Ehemann auswählen zu müssen.

Iris schlürfte ihren Tee und lächelte Rose plötzlich freundlich an. „Alles wird gut, meine Lieblinge. Sowohl du als auch deine Schwester werdet eines Tages den Mann eurer Träume heiraten, da bin ich mir sicher.“

Ihre Mutter war wie ausgewechselt. Anstelle der Frau, die gerade noch vor imaginären Wölfen geflohen war, offenbarte sich in dem lichten Moment nun eine Mutter, die ihre Töchter wieder glücklich sehen wollte.

Rose bemühte sich verzweifelt, das Gesprächsthema zu wechseln: „Glaubt ihr, dass es heute regnen wird?“

„Nein, lenk nicht vom Thema ab“, schalt Iris. „Du bist meine älteste Tochter, und es ist höchste Zeit, dass du heiratest. Wie alt bist du inzwischen? Zwanzig?“

„Dreiundzwanzig“, murmelte sie.

Ihre Mutter blickte skeptisch. „Nein, das kann nicht wahr sein.“ Während Iris ihr einzureden versuchte, dass sie erst zwanzig sei, setzte Rose ein Lächeln auf und schweifte in Gedanken ab. Sie wollte nicht über die unleugbare Tatsache nachdenken, dass sie wahrscheinlich eine alte Jungfer bleiben würde, sofern sie nicht wieder Laufen lernte.

Sie hatte keineswegs aufgegeben. Jeden Tag übte sie Stehen, und obwohl ihre Beine ihr Gewicht noch nicht trugen, wollte sie die Hoffnung nicht aufgeben. Sie musste nur wieder Kraft aufbauen, denn an der nötigen Willenskraft mangelte es ihr nicht, um die Beine bald wieder richtig bewegen zu können.

„Es ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich“, hatte der Arzt gesagt. Seitdem klammerte Rose sich an dieses Fünkchen Hoffnung, denn was blieb ihr auch anderes übrig?

Da bemerkte sie, dass sich draußen etwas regte. Beim genaueren Hinsehen erkannte sie, dass es dieser Ire, Mr. Donovan, war, der scheinbar Richtung Stall unterwegs war.

Was hatte er da zu suchen? Sie brannte vor Neugier und hätte in diesem Moment nichts lieber getan, als ihm zu folgen.

Doch aufgrund ihrer Unfähigkeit, sich allein fortzubewegen, war immer jemand um sie herum. Ohne fremde Hilfe kam sie nirgendwohin, und sie wollte gegenüber ihrem Lakai keinesfalls den Eindruck erwecken, dass sie diesem selbsternannten Earl verfallen war. Nein, sie war lediglich von seiner Geschichte fasziniert. Sonst nichts.

„Rose, was meinst du?“, riss Lily sie aus ihren Gedanken. Schlagartig wandte Rose ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Mutter und Schwester zu.

„Ich– ich meine, mach das, was du für am besten hältst.“

„Wunderbar.“ Iris strahlte sie an. „Das wird prima.“

Wozu hatte sie da soeben ihr Einverständnis gegeben? Als sie einen Blick zu Lily riskierte, schüttelte ihre Schwester fassungslos den Kopf. Oje.

Rose räusperte sich und wartete auf eine Erklärung ihrer Mutter. Iris trank ihren Tee aus und sah dabei eindeutig zu glücklich aus. „Na wunderbar. Dann fahrt ihr beide nach London, sobald eure Großmutter zurückgekehrt ist. Und wenn der Sommer vorbei ist, wird mindestens eine von euch einen Ehemann haben.“

London? Auf keinen Fall. Lieber wollte sie sich von den zuvor erwähnten Wölfen fressen lassen.

Iris erhob sich und schmiedete bereits Pläne für die anstehende Ballsaison. „Ich werde Mrs. Marlock beauftragen, für euch beide neue Kleider anfertigen zu lassen. Und dann … muss ich mir keine allzu großen Gedanken mehr machen.“ Sie ging bereits aus dem Zimmer und redete dabei weiter vor sich hin, bis ihre Stimme allmählich verklang.

Kaum war ihre Mutter fort, stöhnte Lily auf. „London? Rose, was hast du dir dabei gedacht?“

„Ich habe nicht zugehört“, gestand sie. „Ich war abgelenkt.“

„Das merke ich.“ Ihre Schwester stand auf und begann, auf und ab zu gehen. „Wir müssen ihr weismachen, dass sie sich das nur eingebildet hat. Es kommt nicht infrage, dass wir nach London fahren, um dort verheiratet zu werden. Vor allem ich nicht.“

„Wegen Lord Arnsbury?“, fragte Rose vorsichtig.

Lily errötete und blickte auf einmal sehr traurig drein. „Er kommt doch vielleicht wieder. Und dann …“ Aus diesem Wunsch sprach jahrelange Hoffnung, denn ihre Schwester liebte den Earl abgöttisch. Allerdings waren seit seinem Verschwinden bereits beinahe zwei Jahre vergangen, und seine Rückkehr wurde immer unwahrscheinlicher. Rose wagte jedoch nicht, Lily zu fragen, was sie vorhatte, falls er nie wiederkommen würde.

„Es spielt keine Rolle, ob er zurückkommt. Wir stecken in der Klemme.“

Rose versuchte, vom Stuhl aufzustehen, indem sie sich mit beiden Armen fest hochstemmte. „Lily, hilf mir hoch.“

Ihre Schwester umfasste ihre Taille, um sie zu stützen, und Rose bemerkte ihren mitfühlenden Blick. „Bist du sicher, dass du stehen kannst?“

„Meine Arme werden kräftiger.“ Irgendwie würde sie es schaffen.

Doch ihre Schwester trat einen Schritt zurück. „Solltest du nicht lieber Calvert fragen? Er ist stärker als ich und kann verhindern, dass du hinfällst.“

Widerwillig ließ Rose sich zurück auf den Stuhl sinken. „Nein, schon in Ordnung.“ Obwohl sie nachvollziehen konnte, dass ihre Schwester nicht glaubte, dass sie stehen könnte, fühlte sie sich entmutigt. Sie spürte einen Kloß im Hals und atmete tief durch. „Was sollen wir nun mit Mutter anstellen?“

„Ich finde, wir sollten uns so verhalten, als wüssten wir von nichts. Wir tun einfach so, als hätte sie nie etwas in dieser Richtung erwähnt. Genauso wie mit den Wölfen. Morgen wird sie sich schon nicht mehr daran erinnern.“

„Das glaube ich auch.“ Rose riskierte einen erneuten Blick aus dem Fenster und bedauerte, Mr. Donovan aus den Augen verloren zu haben. Wo war er inzwischen? Sie reckte den Hals, konnte ihn jedoch nirgends entdecken.

„Was gibt es denn da draußen zu sehen, Rose?“ Lily spähte aus dem Fenster und wandte sich dann wieder an ihre Schwester. „Das ist dieser Gentleman, von dem du erzählt hast, richtig?“

Sie seufzte. „Ja, richtig. Mr. Donovan behauptet, ein Earl zu sein, aber ich glaube ihm nicht.“

Lily rümpfte die Nase. „Ein Earl? Warum sollte jemand so etwas behaupten?“

„Ich weiß es nicht. Aber ich frage mich, was er hier wirklich will.“ Die logische Erklärung war, dass er versuchte, sich in ruchloser Absicht bei ihnen einzuschleichen. Doch eigentlich konnte sie das nicht glauben.

Ihre Schwester presste die Knöchel fest ans Fenster und schüttelte den Kopf. „Oje.“

„Was ist?“ Auf ihrem Posten bekam Rose überhaupt nichts mit.

„Mir scheint, du liegst richtig, was Mr. Donovan betrifft. Nie und nimmer ist der ein Earl.“

Weil es Rose verrückt machte, nichts sehen zu können, stemmte sie sich unter Aufbietung all ihrer Kräfte von ihrem Stuhl hoch. „Warum sagst du so etwas, Lily?“

Lily drehte sich mit einem rechtfertigenden Blick zu ihr um. „Weil er uns gerade ein Pferd stiehlt.“

Iain trieb den Wallach zu scharfem Galopp an, um zu der Stelle zu reiten, wo er ausgeraubt worden war. Hinter ihm hörte er einige Männer „Haltet den Dieb!“ rufen.

Das war nun wirklich absurd. Schließlich war es sein eigenes Pferd, auch wenn ihm das keiner glauben würde. Er hatte seinen Augen nicht getraut, als er Darcy in dem Stall vorfand, wo er sich über Nacht verstecken wollte. Jemand hatte den Wallach dort in einen Verschlag gestellt. Das hieß, die Burschen mussten in der Nähe sein. Iain nahm sich vor, sie diesmal zur Rede zu stellen und sich den Rest seines verlorenen Hab und Guts zurückzuholen.

Am wichtigsten war der Siegelring oder zumindest Lady Wolcrofts Brief mit der Einladung nach Penford.

Er war überzeugt, dass der Raub ein Streich der beiden Halbstarken gewesen war. Sie hatten ihn irgendwie vom Pferd gestürzt – vermutlich mithilfe eines Seils, das zwischen zwei Bäumen gespannt war – und sich dann einen Spaß daraus gemacht, ihm alles wegzunehmen.

Iain fand das alles jedoch gar nicht lustig. Ihr Schabernack hatte ihn seine Identität gekostet, und er würde die Burschen so lange verfolgen, bis er seinen gesamten Besitz wiederhatte.

Er lehnte sich weit nach vorne, um die Umgebung nach ihnen abzusuchen. Obwohl die Nachmittagssonne ihn blendete, fand er relativ schnell den Weg zum See. Die Straße verengte sich, und schließlich erspähte er einen der Jungen, der allein unterwegs war. Er sah aus, als wäre er etwa dreizehn Jahre alt, und trug Iains Mantel. Als er Iain von hinten herannahen hörte, begann er zu rennen – allerdings nicht schnell genug.

Iain griff nach unten, packte den Burschen und zerrte ihn aufs Pferd. Der Kerl war dürr, und obwohl er sich vehement wehrte, hielt Iain ihn eisern fest. „Du kommst mir nicht aus. Nicht, bis du mir alles zurückgegeben hast, was du mir gestohlen hast.“

„Ich habe nichts gestohlen. Ich wollte alles zurückbringen“, protestierte der Junge.

„So wie die Kleider, die du trägst? Und was hast du mit meinem Siegelring gemacht?“ Iain hatte kein Mitgefühl für ihn. Der Kerl würde seine Fragen schon noch beantworten. „Ich glaube, wir sollten mit deinem Vater über diese Sache sprechen.“

Der Bub grinste ihn vorwitzig an. „Der ist nicht zu Hause.“ Der hämische Ausdruck auf seinem Gesicht verriet jedoch eindeutig, dass er überhaupt nichts dagegen hatte, von Iain heimgebracht zu werden.

Vielleicht war es klüger, eine andere Taktik auszuprobieren. „Dann kommst du mit mir, es sei denn, du möchtest mir vielleicht doch erst den Ring zurückgeben.“

Er wusste nicht so recht, was genau er mit dem Jungen anstellen würde, aber das Kerlchen durfte ihm nicht entkommen – nicht, bis alles geklärt war.

„Den habe ich nicht.“ Zum Nachweis zeigte der Bub seine leeren Hände.

„Dann sag mir gefälligst, wo er ist“, forderte Iain. Der Junge reagierte darauf nur mit einem Schulterzucken. Sein Gesichtsausdruck blieb trotzig, so als beabsichtigte er, weiter zu schweigen.

Iain griff in die Manteltaschen. Nicht nur der Ring fehlte, sondern auch der Brief von Lady Wolcroft. Verdammt nochmal, dieses Beweisstück brauchte er doch so dringend. Doch zu seiner Verärgerung blickte ihn der Fratz nur höhnisch an.

Mit dieser Verhörstrategie würde er nicht weiterkommen. Der Junge würde ihm sicherlich nichts verraten. Iain beschloss, eine andere Taktik auszuprobieren. Er hielt den Jungen im Sattel fest und wendete Darcy zurück Richtung Penford. Vielleicht kannten ihn die Bediensteten dort und hatten einen Rat, was man mit ihm anstellen sollte. Außerdem konnte Iain falls nötig den Vater des Jungen bitten, dorthin zu kommen.

Als sie ihren Ritt fortsetzten, fragte das Bürschchen: „Wird das etwa eine Entführung?“ Fast klang es, als käme ihm das gerade recht.

Iain beschloss, darauf keine Antwort zu geben, da er inzwischen wusste, dass der Junge ohnehin völlig unerschrocken war. Drohungen würden überhaupt nichts nützen, und bis Iain herausgefunden hätte, womit der Junge sich erweichen ließe, würde er keine seiner Habseligkeiten zurückbekommen. Er setzte den Weg nach Penford fort und fragte: „Warum hast du mich mit deinem Kameraden bestohlen?“

„Ich habe nichts gestohlen. Das Pferd ist mir gefolgt, also habe ich ihn nach Penford gebracht. Da kommt er vermutlich her.“

Iain glaubte ihm keine Sekunde. „Und was ist mit meiner Kleidung? Die hast du zufällig gefunden und mir aus einer Laune heraus weggenommen, nicht wahr?“

„Es war wirklich Zufall. Sie lag in der Nähe des Bachs herum, wo ich das Pferd entdeckt habe.“

Die Geschichte des Jungen war überaus lückenhaft. Jemand hatte ihn vom Pferd gestoßen und ihn ausgeraubt. Und der Knabe wollte Iains Pferd und seinen Mantel tatsächlich zufällig gefunden haben? Nein, an dieser Geschichte stimmte kein Wort.

„Du lügst, Freundchen.“

Der Junge ließ die Schultern sinken und seufzte theatralisch. Dann verdrehte er die Augen und sagte: „Ihr habt ja recht: Ich habe Euch vom Pferd gezerrt und dieses dann zusammen mit Eurer Kleidung gestohlen, um die Sachen gegen Nahrungsmittel für meine Familie einzutauschen.“

„Diese Version glaube ich dir schon eher – allerdings nicht, dass du etwas zu essen gebraucht hast.“ Iain drehte die Handfläche des Jungen nach oben. Dieser Knabe hatte wohl noch keinen einzigen Tag in seinem Leben gearbeitet. Seine Fingernägel waren sauber geschnitten und unter den Rändern war kein Schmutz zu sehen. Abgesehen davon konnte er sich piekfein ausdrücken. „Du hast in deinem Leben nie gehungert.“

„Woher wollt Ihr das denn wissen?“

Durch den Spott des Jungen erwachten plötzlich die düsteren Erinnerungen wieder zum Leben. Iain hatte mehr Leute verhungern sehen, als ihm lieb war – und dieser Albtraum würde ihn für immer verfolgen. Zu viele seiner Freunde waren vor die Hunde gegangen. Obwohl Ashton nicht so schlimm gelitten hatte wie andere Regionen, hatte die Nahrungsmittelknappheit die Pächter zugrundegerichtet. Iain würde niemals das Kreischen der Kinder oder das Wehklagen ihrer Mütter vergessen, als wieder ein Kleinkind der Unterernährung erlegen war.

„Ich habe schon gesehen, wie Leute verhungert sind. Und du bist davon weit entfernt.“

Der Junge schien Iains veränderte Stimmung bemerkt zu haben und widersprach nicht. Er hörte außerdem auf, sich in seinen Armen zu winden.

„Wie heißt du überhaupt?“, fragte Iain den Jungen. „Sag mir besser die Wahrheit, denn Lady Penfords Angestellte werden sowieso wissen, wer du bist.“

Der Junge zögerte, verriet schließlich jedoch seinen Namen: „Ich heiße Beau.“ Mehr gab er nicht preis, doch Iain vermutete, dass er der Sohn eines Edelmanns war. Alles an diesem Jungen – von seiner Ausdrucksweise bis hin zu seiner Aufmüpfigkeit – ließ auf ein vornehmes Elternhaus schließen.

Auf dem Land kannte jeder jeden. Wenn Iain für Unruhe sorgte oder Gerechtigkeit forderte, würden sich die Leute sicherlich für ihresgleichen einsetzen. Schließlich war er hier der Außenseiter. Allerdings schien der Knabe kaum Konsequenzen zu befürchten, denn er hatte wahrscheinlich früher bereits ähnliche Streiche gespielt.

Kurze Zeit später erreichten sie das Gut, wo sie bereits vom Kutscher erwartet wurden. Der Mann war vor Wut puterrot im Gesicht und es hatten sich bereits andere Untergebene um ihn geschart.

„Was geht hier vor, zum Teufel?“, plärrte der Kutscher. „Erst reißte mit einem unserer–“ Er machte eine kurze Pause und musterte den Wallach. Auf einmal wirkte er nicht mehr wütend. „Das ist ja gar keins von unseren Pferden.“

„Stimmt. Darcy gehört mir“, erwiderte Iain. „Und ich bringe ihn jetzt in den Stall zurück.“ Er stieg ab und zerrte Beau am Arm aus dem Sattel. „Dieser Knabe hat ihn mir gestohlen, zusammen mit meiner Kleidung.“

Mit diesen Worten zog er dem Jungen den Mantel aus. Der Stoff war am Saum eingerissen und schmutzig. Iain stopfte sich den Mantel unter den Arm und funkelte Beau wütend an. „Er und sein Freund fanden es sehr ulkig, mich zu beklauen.“ Plötzlich kam ihm eine Idee, die wunderbar zum Vergehen des Jungen passte. „Und weil er mein Pferd gestohlen hat, wird er nun zur Strafe den ganzen Tag lang Ihren Stall ausmisten, hoffe ich.“

Dem Kutscher schien diese Aussicht nicht geheuer zu sein. „Nun, ich weiß nicht recht. Stimmt das denn, Master Beauregard?“

Der Junge hob den Kopf. „Ich habe nichts gestohlen. Ich habe die Sachen gefunden.“

„Ich bin sicher, deine Eltern würden gerne wissen, welchen Schabernack du treibst“, bemerkte Iain. „Du und dein Freund.“

„Wie ich bereits sagte, ist mein Vater nicht zu Hause.“ Es klang triumphierend, so als könnte ihm sowieso niemand etwas anhaben.

„Sir Lester wird in ein oder zwei Tagen zurückkehren“, kommentierte der Kutscher.

Iain wurde bewusst, dass er richtig eingeschätzt hatte, aus welchem Elternhaus der Junge stammte. Beau war entweder der Sohn eines Ritters oder eines Baronets.

Doch als der Name seines Vaters fiel, reagierte der Junge abwehrend. „Er würde keinem von euch glauben. Und wenn ich herausfinde, dass ihm jemand etwas erzählt hat, werdet ihr alle hochkant entlassen.“ Er reckte sich und schaute wütend in die Runde, bevor sein Blick auf Iain zu ruhen kam.

„Ich kann nicht entlassen werden, stimmt’s?“, fragte Iain den Kutscher.

Der Mund des älteren Mannes zuckte. Offensichtlich ärgerte ihn die Drohung des Jungen. „Stimmt.“ Iain stand schließlich nicht im Dienste des Hauses.