Eine diskrete Affäre - Julia Justiss - E-Book
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Eine diskrete Affäre E-Book

Julia Justiss

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Beschreibung

England 1809: Herz ist Trumpf für Teagan Fitzwilliams, als er sich stürmisch in die schöne Lady Valeria verliebt. Doch ihre heimliche Liebe scheint zum Scheitern verurteilt: Teagan, dessen adlige Familie sich nie zu ihm bekannt hat, lebt eher schlecht als recht vom Kartenspiel. Valeria dagegen führt nach außen hin dass unbescholtene Dasein einer jungen Witwe. Doch kaum trennen sie sich schweren Herzens, weil ihre Welten zu verschieden sind, greift eine verzehrende Sehnsucht nach Teagan. Als er Lady Valeria in London wiederbegegnet, sieht er in ihren Augen dieselbe Hoffnung aufflackern. Aber plötzlich liegt die Erfüllung ihrer Liebe noch ferner: inzwischen hat Valeria reich geerbt und ist zu einer gefeierten Dame der Gesellschaft aufgestiegen, während Teagans Glückssträhne für immer erloschen scheint ...

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Seitenzahl: 404

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IMPRESSUM

Eine diskrete Affäre erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2002 by Janet Justiss Originaltitel: „My Lady’s Pleasure“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICALBand 195 - 2004 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Anita Magg

Umschlagsmotive: TommL/iStock, The Killion Group / Hot Damn Designs

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733775377

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Valeria Arnolds Entschluss stand fest: Wenn es zum Beischlaf kommen sollte, dann jedenfalls nicht auf ihrem Heuboden. Missbilligend beobachtete sie ihre Magd Sukey, wie diese die Verschnürung ihres Mieders lockerte, um noch mehr von ihrem üppigen Busen zu enthüllen. Als sie sich dann mit wiegenden Hüften zur Scheune begab, war Valeria klar, was ihre Magd beabsichtigte. Sie bereitete sich auf ein Stelldichein mit ihrem Liebsten vor.

Wie konnte sie, Valeria, dieses intime Treffen verhindern?

Sie war nach ihrem täglichen Morgenritt zum Tee zurückgekehrt und hatte dabei Sukey bemerkt. Das Mädchen hatte sich nach einem verstohlenen Blick, mit dem sie wohl sichergehen wollte, dass niemand sie sah, die Ärmel von den Schultern gezogen und war aus der Küchentür geeilt. Nachdem das Mädchen nun außer Sicht- und Rufweite war, musste Valeria ihm folgen, falls sie wirklich etwas unternehmen wollte.

Wenn man etwas Unangenehmes tun musste, sollte man es rasch hinter sich bringen.

Sie legte ihre Reitgerte beiseite, hob das Kinn und eilte zur Tür. Im letzten Augenblick blieb sie einen Moment stehen und nahm einen kräftigen Spazierstock aus dem Ständer neben dem Schrank. Falls auch ein strenges Auftreten nicht ausreichen sollte, den feurigen Burschen, der dort auf Sukey wartete, an seinem Vorhaben zu hindern, musste sie eben zu anderen Mitteln greifen.

Beinahe hätte sie der Mut verlassen, als sie die Scheune erreichte. Deutlich hörte sie Sukeys helles Kichern, das immer wieder von Rascheln und dem gedämpften Murmeln einer tiefen Männerstimme unterbrochen wurde. Valeria holte tief Luft und wischte sich nervös die Handflächen an dem Wollrock ihres Reitkostüms ab.

Das Beste war wohl, wenn sie einen Warnruf ausstieß. Sie konnte die beiden nicht einfach ohne Vorankündigung überraschen – womit auch immer sie beschäftigt sein mochten. Dieser Gedanke brachte ihre Wangen zum Glühen. Einen unbekleideten Mann zu sehen, der sich nicht im letzten Stadium einer tödlichen Krankheit befand, war eine Vorstellung, die sie aufwühlte.

Unsinn, ermahnte sie sich und legte ihre kühlen Hände auf die erhitzten Wangen. Eine ehrbare Witwe sollte sich nicht mit solchen Gedanken beschäftigen. Vor allem dann nicht, wenn es in diesem abgelegenen Winkel Yorkshires so wenig Gelegenheit gab, sie in die Tat umzusetzen …

Sie zog das Scheunentor einen Spaltbreit auf. „Sukey Mae? Die Köchin braucht dich sofort in der Küche!“

Als Valeria einen leisen Schrei des Entsetzens und ein wildes Rascheln vernahm, trat sie ein.

Sie sah Sukey, die eilig ihre entblößten Brüste zu bedecken versuchte, während ihre Röcke noch immer nach oben geschoben waren und so einen weißen Unterrock enthüllten. Dann wanderte Valerias Blick zu dem Mann, der neben Sukey stand, und sie hielt verblüfft inne.

Goldblondes Haar schimmerte in der frühen Morgensonne, und der Mann mit dem wohlgeformten Körper, der sich nun gemächlich zu seiner eindrucksvollen Größe erhob, war gewiss kein gewöhnlicher Bauernjunge, wie Valeria es erwartet hatte. Er musterte sie von Kopf bis Fuß mit einem Blick, der halb verärgert, halb belustigt wirkte. Jetzt verzogen sich die fein geschwungenen Lippen zu einem Lächeln.

„Eine ménage à trois? Ich hätte nicht geglaubt, ein solches Vergnügen in Yorkshires Einöde zu finden.“

Er formulierte sorgfältig, was auf eine Ausbildung in Oxford schließen ließ. Und sein zum Teil aufgeknöpftes Hemd aus feinstem Leinen, das seidene Halstuch, das ins Heu geworfen worden war, und die elegante Hose verrieten ihre Herkunft aus der Bond Street.

Das Lächeln des Fremden vertiefte sich, denn Valeria blickte ihn staunend an, was sie selbst erst nach einer Weile bemerkte. Ein solcher Mann war hier an einem derart abgelegenen Ort Englands und wirkte genauso fehl am Platz wie ein Außerirdischer. Wo, um alles in der Welt, war Sukey diesem Londoner Dandy zum ersten Mal begegnet?

Ehe Valeria sich wieder auf den eigentlichen Grund ihres Auftritts besann, gestand sie sich ein gewisses Verständnis für die anfällige Sukey ein. Mit seinen strahlenden Augen und dem verwegenen Grinsen konnte dieser Gentleman wahrscheinlich eine Heilige zu einer Liebelei verführen.

„Sukey Mae Gibson“, sagte Valeria und versuchte, einen strengen Tonfall anzuschlagen. „Du gehst jetzt sofort in die Küche. Wir werden uns später noch unterhalten müssen.“

Die Magd, die ihr Mieder endlich zugeschnürt hatte, warf ihr einen verdrossenen Blick zu. Als sie an dem keineswegs reuigen Schurken vorbeiging, besaß er doch tatsächlich die Unverfrorenheit, ihr zuzuzwinkern. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, bevor sie sich an Valeria wandte. „Aber, Herrin …“, protestierte sie.

„Keine Widerrede, Sukey“, unterbrach Valeria sie. „Ehe ich vergesse, dass Vergeben eine Christenpflicht ist.“

Sie hatte den Blick unnachgiebig auf Sukey gerichtet, bis die Magd mit langsamen Schritten widerstrebend die Scheune verlassen hatte. Dann wandte sich Valeria mit demselben strengen Blick an den ungeladenen Besucher.

„Und Sie, Sir, werden mir den Gefallen tun und auf der Stelle meinen Grund und Boden auf die gleiche Weise verlassen, wie Sie gekommen sind.“

Der Mann, der offensichtlich das Wort „Scham“ nicht kannte, musterte sie ein weiteres Mal neugierig von Kopf bis Fuß. „Werde ich das?“

Er sprach diese Worte in einem leichten Singsang, wie Valeria feststellen konnte. Sie dachte darüber nach, wie sie ihn wohl einordnen sollte, und bemerkte deshalb erst zu spät, dass der Schurke auf sie zukam. Noch bevor sie sich zu rühren vermochte, hatte er sie mit den geschmeidigen Bewegungen eines Panthers erreicht und eine Locke, die sich während des Ritts aus ihren hochgesteckten Haaren gelöst hatte, zwischen die Finger genommen.

„Da Sie auf so unfreundliche Weise meine morgendlichen Pläne durchkreuzt haben, sollte ich doch eigentlich stattdessen Sie nehmen, oder etwa nicht?“

Der Ausdruck seiner Augen hatte eine fast hypnotisierende Wirkung. Einen Moment vergaß Valeria sogar zu atmen. Dann roch sie Brandy und den Duft von Zigarrenrauch. Anstatt früh aufgestanden zu sein, war er vermutlich noch gar nicht zu Bett gegangen. Wieder überlegte sie sich, woher, um alles in der Welt, er wohl kommen mochte. Doch sie vermochte nicht mehr klar zu denken, als sie seine Körperwärme spürte und seinen männlichen Geruch immer deutlicher wahrnahm.

„Das werden Sie nicht tun“, entgegnete sie scharf und wich zurück.

„Und warum nicht, wenn ich fragen darf? Sehen Sie nur, er ist bereit, Sie zu küssen.“

Da ihr Blick tatsächlich auf seinen Mund gerichtet gewesen war, erschien es Valeria vernünftiger, diese Bemerkung zu ignorieren. „Sie haben das Aussehen eines Gentleman, Sir, und würden niemals eine unwillige Dame verführen“, erwiderte sie.

Zu ihrer Überraschung warf der Mann den Kopf zurück und lachte aus vollem Hals. „Leider irren Sie sich in jeder Hinsicht. Soll ich es Ihnen beweisen?“ Rasch fasste er nach ihrem Kinn und hob es an.

Valeria blickte ihm tief in die Augen. Ihr Griff um den Spazierstock wurde fester. Der hölzerne Stab wäre wohl kaum eine geeignete Waffe gewesen, wenn er tatsächlich zudringlich würde. Doch trotz seiner Drohung verspürte sie keine Furcht.

„Ich würde es vorziehen, wenn Sie es mir nicht bewiesen. Außerdem wäre es mir lieber, wenn Sie aufhören würden, meiner Magd nachzustellen.“

Er ließ ihr Kinn los und sah sie mitleidig an. „In dieser Hinsicht verschwenden Sie nur Ihre Zeit. Das Mädchen ist so leicht zu erobern, wie man sich es nur vorstellen kann. Wenn ich es nicht bin, wird es ein anderer Bursche sein, für den sie die Röcke hebt.“

Valeria unterdrückte einen Seufzer. „Aber nicht in meiner Scheune.“

Mit einer geschmeidigen Bewegung hob der Fremde seine abgelegte Jacke vom Boden auf. „Da wäre ich mir nicht so sicher.“

Sie war es sich leider auch nicht. Aber sie hatte nicht vor, mit ihm darüber zu sprechen. „Ich vermute, Sie kennen den Ausgang. Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag, Sir.“

Gerade wollte sie sich umdrehen, als der Mann sie an der Schulter packte. Überrascht blickte sie ihn an.

„Wissen Sie ganz bestimmt, dass Sie nicht willens sind?“

Hitzewellen durchliefen ihren Körper, als sie den Druck seiner Hand spürte. Eine tiefe Sehnsucht in ihr, die sie lange erfolgreich verdrängt hatte, keimte in ihr auf.

Sei keine Närrin. Sie riss sich los und trat einen Schritt zurück. „Ja“, erwiderte sie kurz angebunden und entfernte sich rasch von ihm.

Sein leises Lachen folgte ihr. Ehe sie das Scheunentor hinter sich schloss, hörte sie noch, wie er ihr nachrief: „Lügnerin.“

Wäre sie doch nicht ganz abgeneigt? Valeria dachte darüber nach, während sie entschlossen dem Haus zustrebte und dabei der Versuchung widerstand, einen Blick zurückzuwerfen.

Natürlich würde sie es niemals in Betracht ziehen, mit einem völlig Fremden das Bett zu teilen – und bestimmt nicht mit einem, der gerade ein Stelldichein mit ihrer Magd gehabt hatte! Gleichzeitig konnte Valeria nicht leugnen, dass die umwerfende Männlichkeit des Fremden ein lange unterdrücktes Verlangen in ihr geweckt hatte. In der Ehe wäre sie bereit gewesen, sich dieser Sehnsucht hinzugeben, doch das Versprechen war niemals eingelöst worden.

Wie immer breitete sich bei diesem Gedanken ein schmerzliches Gefühl in ihr aus, das mit der Zeit ein wenig nachgelassen hatte. Sie musste an Hugh denken – hoch gewachsen, breitschultrig, schwarze Locken über einem golddurchwirkten Uniformkragen, dunkle Augen, die vor Lebensfreude und Ehrgeiz funkelten. Hugh, ihres Bruders bester Freund, der Held ihrer jugendlichen Fantasien, war nur für kurze Zeit ihr Ehemann gewesen.

Er hätte gewollt, dass sie sich seiner auf diese Weise erinnerte, und nicht so, wie er im vergangenen Sommer ausgesehen hatte – ausgemergelt, vom Fieber geschwächt, mit tief liegenden Augen in einem Gesicht, das im herannahenden Tod immer gelblicher wirkte. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, und sie schob das Bild beiseite. Am besten verbarg sie es tief in sich, zusammen mit der Erinnerung an die entsetzliche Hochzeitsnacht.

Ungeduldig schüttelte Valeria den Anflug eines Schuldgefühls ab. Es war nur natürlich, dass sie, die so wenig von den Freuden der Liebe wusste, von einem Fremden in Versuchung geführt werden konnte, dessen Lippen und Hände von der Geschicklichkeit eines erfahrenen Verführers zeugten.

Zweifellos verfügte er über mehr Kunstfertigkeit, als sie ihr einstiger Verehrer je gehabt hatte. Die Vorstellung, den schwerfälligen Arthur Hardesty mit dieser Personifizierung männlicher Erotik zu vergleichen, war so absonderlich, dass sie laut auflachen musste.

Aber auch die Tatsache, dass sie sich zu diesem Fremden hingezogen fühlte, war lächerlich. Sollte sie ihm jemals in seiner wahren Umgebung – einem Londoner Salon – begegnen, würde er sie genauso wenig attraktiv finden wie ihre Magd in einer solchen Welt.

Wenn sie sich allerdings die Langeweile ihres öden Daseins mit Bildern eines leidenschaftlichen Intermezzos versüßen wollte, war das eine harmlose Ablenkung. Woher auch immer dieser Fremde stammen mochte, er war jedenfalls nicht aus der Gegend. Wahrscheinlich war er einfach auf der Durchreise, und Sukey hatte ihn im Postgasthof getroffen, als sie zum Einkaufen in die Stadt gegangen war.

Nein, es gab wirklich keinen Grund, sich für solche Träumereien zu tadeln. Schließlich würde Valeria diesen Schurken sowieso nie mehr zu Gesicht bekommen.

Leise lachend und voller Bewunderung, schaute Teagan Michael Shane Fitzwilliams der Dame in Schwarz nach. Mit ihren entzückenden, wenn auch nicht so üppigen Rundungen wie die ihrer Magd war die geheimnisvolle Dame wesentlich faszinierender als die von ihr gerügte Sukey.

Teagan hatte sich in seiner euphorischen Stimmung – er hatte letzte Nacht genug gewonnen, um sich die nächsten Monate sauberes Leinen und akzeptables Essen leisten zu können – entschlossen, einen morgendlichen Spazierritt zu machen. Er wollte den Rauch und den Alkoholgeruch nach einer langen Spielnacht aus seiner Kleidung bekommen. Wenn er kein gesellschaftlicher Außenseiter gewesen wäre, hätte er sich niemals dazu entschlossen, der kecken Magd zu folgen, die er im Postgasthof kennen gelernt hatte.

Obgleich sein Körper noch immer gegen die plötzliche Unterbrechung seiner Lieblingserholung protestierte, zeigte sich sein Verstand doch mehr als willig, ein rasches Tête-à-tête gegen die Möglichkeit einer anspruchsvolleren Gespielin einzutauschen.

Die Magd hatte sie „Herrin“ genannt. Die Dame musste also die Besitzerin des kleinen Guts sein, dessen Steinmauern er hinter Bäumen gerade noch erkennen konnte, als er die Scheune verließ. Eine Witwe in ihrer düsteren schwarzen Kleidung? Oder vielleicht eine Frau, deren Mann ihr nicht viel bedeutete. Keine Frau, die ihre ehelichen Pflichten genoss, würde es riskieren, ein leichtfertiges Mädchen wie Sukey bei sich einzustellen.

Jedenfalls hatte er in ihren Augen gelesen, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Er hatte auch Sehnsucht darin entdeckt. Genau die richtige Mischung, die eine Liebelei für beide Seiten höchst vergnüglich machen konnte.

Das Reitkostüm der geheimnisvollen Dame nahm sich zwar unverwüstlich aus, entsprach aber so gar nicht den Vorstellungen eines Londoner Schneiders, wie Teagans scharfer Blick sogleich hatte feststellen können. Aber er war den Treibhauspflänzchen der Metropole, die man endlos lang mit Komplimenten und Klatsch zu bedienen hatte, in letzter Zeit sowieso recht überdrüssig geworden.

Sollten sich doch die anderen Männer den Dirnen widmen, die Rafe Crandall mitgebracht hatte, um seinen Gästen zwischen Jagd und Kartenspiel eine sinnliche Abwechslung zu bieten. Er wollte seinen Gastgeber aufsuchen und sich diskret nach der geheimnisvollen Dame erkundigen, die seine Neugier geweckt hatte.

Eine Frau, zu der er sich sofort hingezogen gefühlt hatte. Es war schon eine Weile her, seitdem er das Geschäftliche mit Vergnüglichem hatte verbinden können.

Plötzlich fiel ihm noch etwas anderes ein. Das schwarze Reitkostüm war nicht nur altmodisch gewesen, sondern hatte auch abgetragen ausgesehen.

Teagan versuchte, nicht gleich das Schlimmste zu vermuten. Vielleicht sparte sich die Dame ja ihre neuesten Kleider für ihre Besuche in London auf, um dort die Gesellschaft zu beeindrucken. Falls das jedoch nicht der Fall war, bedeutete es allerdings, dass seine hübsche Witwe nicht allzu wohlhabend war.

Nicht einmal der Anblick seines geliebten Araberhengstes Ailainn ließ ihn diese verwirrende Schlussfolgerung vergessen. Die Gesellschaft mochte Teagan vielleicht als verantwortungslos verdammen – eine Eigenschaft, die er vor allem zum großen Ärger der englischen Verwandten seiner Mutter pflegte –, aber er hatte schon früh lernen müssen, dass ein knurrender Magen und ein leerer Geldbeutel sehr schwer zu ertragen waren. Ein Mann, der sich nur durch seinen Verstand über Wasser hielt, konnte es sich nicht leisten, sein Spiel zu vernachlässigen und einer Frau bloß aus reinem Vergnügen den Hof zu machen.

Die einzig richtige Entscheidung war es also, sich die geheimnisvolle Dame aus dem Kopf zu schlagen. Teagan schwang sich auf sein Pferd und nahm die Zügel in die Hand.

Nachdem der Hengst eine Weile den Pfad zu Rafes Jagdhaus getrabt war, drängte Teagan ihn zu einem flotteren Galopp. Das schöne, kraftvolle Tier und der Wind, der ihm ins Gesicht blies, ließen ihn schon bald seine Enttäuschung vergessen.

Er brachte Ailainn auf einem Hügel zum Stehen, warf den Kopf zurück und lachte aus vollem Hals. Plötzlich fühlte er sich wieder glücklich, solch einen herrlichen Morgen erleben zu dürfen.

Vielleicht war es derselbe Eigensinn, der seine Mutter dazu gebracht hatte, ihrer Familie den Rücken zuzukehren und ihrem Herzen und somit einem schmeichlerischen Schurken zu folgen, der sie schließlich allein in einer Dubliner Hütte hatte sterben lassen. Einen Mann, dem Teagan, wie ihm seine tadelsüchtigen Verwandten immer wieder sagten, aufs Haar glich.

Was auch immer ihn veranlasst haben mochte – er entschloss sich jedenfalls, seiner Abenteurernatur nachzugeben und die geheimnisvolle Dame kennen zu lernen, mochte sie nun reich sein oder nicht.

2. KAPITEL

Valeria stand im Salon, betrachtete die Scherben ihrer Lieblingsvase und versuchte, sich zu beruhigen. Da es keinen Sinn gehabt hätte, die bereits schluchzende Sukey weiterzutadeln, hatte sie das Mädchen aus dem Zimmer geschickt.

Sie hob die größte Scherbe auf, ein Stück feines Porzellan, auf das in Blau und Weiß Vögel und Blumen gemalt waren. Die Vase war das letzte Geschenk ihres Bruders Elliot gewesen, bevor er bei Talavera fiel. Sie holte tief Atem und kämpfte gegen die Tränen an.

Erinnerungen riefen erneut die Trauer wach, und sie hatte wahrlich schon genug gelitten. Also zwang sie sich dazu, nur an die augenblickliche Arbeit zu denken, nämlich die Scherben aufzuheben.

Ihre gestrige Strafrede hatte bei der niedergeschlagenen Sukey wahre Wunder bewirkt. Das Mädchen hatte sich wohl ausgemalt, was es bedeuten könnte, von ihrer Herrin auf die Straße gesetzt zu werden, und hatte sie unter Tränen um Verzeihung angefleht. Doch anscheinend hatte ihr dieser „Charmeur aus London“ – wie ihn die Magd bezeichnete – so sehr den Kopf verdreht, dass sie heute Morgen als Erstes das Brot verbrannt, dann Valerias bestes Tischtuch angekohlt und schließlich die letzte greifbare Verbindung zu ihrem Bruder zerbrochen hatte.

Um sich von diesem schmerzlichen Gedanken abzulenken, stellte sich Valeria den schönen Fremden vor, der, wie sie zugeben musste, auch sie ein wenig aus dem inneren Gleichgewicht gebracht hatte. Sie kniete deshalb noch immer lächelnd am Boden und stellte sich sein markantes Gesicht mit dem wissenden Ausdruck in den Augen vor, als Mercy, ihre frühere Kinderfrau und jetzige Zofe, den Kopf in den Salon steckte.

„Da sind Sie ja, Mylady! Es tut mir leid, aber Sir Arthur und Lady Hardesty sind da. Ich habe versucht, sie abzuweisen, aber sie ließen sich nicht beirren.“

Valeria stöhnte. Ihre Köchin schimpfte in der Küche über das Brot, ihr alter Butler empörte sich über das ruinierte Tischtuch, und die Haushaltsbücher lagen noch immer ungeöffnet auf dem Tisch. Sie hatte wirklich keine Zeit, sich gerade jetzt mit diesen ungebetenen Gästen abgeben zu müssen.

Sie legte die Scherben auf ihr Taschentuch. „Hast du ihnen die Tür geöffnet?“, fragte sie über die Schulter.

Ihre alte Kinderfrau beugte sich zu ihr herab, um ihr zu helfen. „Ja. Ich bringe die Scherben für Sie in die Küche.“

„Verflixt! Jetzt werde ich bestimmt ertragen müssen, wie Lady Hardesty über mein ‚Unglück‘ jammert, dass ich einen Butler behalten muss, der bereits zu alt ist, um noch seinen Pflichten nachzukommen.“ Seufzend stand sie auf und reichte Mercy das Taschentuch. „Schick sie herein, wenn es denn schon sein muss.“

Kurz darauf eilte Lady Hardesty in den Salon, wobei ihr eindrucksvoller Busen auf und ab wogte. „Meine liebe Valeria! Wie schön, dass Sie uns so unangekündigt empfangen können. Ich hoffe, der arme Masters ist nicht krank. Ihre Zofe hat uns hereingelassen.“

Valeria bemühte sich, ihre Verärgerung nicht zu zeigen. „Es geht ihm gut – danke der Nachfrage. Da er um diese Zeit keine Besucher erwartet, geht er seinen anderen Pflichten nach.“

„Ach ja, es ist wirklich tragisch, dass es Ihnen Ihre Mittel nicht erlauben, einen zweiten Butler oder einen Lakaien einzustellen, der ihm behilflich ist.“

„Möchten Sie Tee?“, fragte Valeria, entschlossen, auf diese Bemerkung nicht einzugehen.

„Gern. Tee wird meinen angegriffenen Nerven helfen, sich wieder zu beruhigen. Allein das Wissen, dass ich es dem armen Hugh schuldig bin, hat mich veranlasst, heute überhaupt auszufahren.“

„Setz dich, Mutter, und mach es dir bequem. Lady Arnold, ich hoffe, es geht Ihnen gut?“ Sir Arthur, der hinter seiner Mutter wortlos ins Zimmer getreten war, führte die plötzlich geschwächt wirkende Lady Hardesty zum Sofa und verbeugte sich dann vor Valeria.

„Ja, danke. Und Ihnen, Sir Arthur?“ Valeria machte sich nicht die Mühe, sich zu erkundigen, welch schreckliche Neuigkeiten ihre Nachbarin dazu veranlasst hatten, sich aus ihrem Frühstückszimmer zu entfernen. Sie würde es ihr sowieso gleich erzählen, ob sie es hören wollte oder nicht.

Sir Arthur wandte sich mit einem Lächeln seiner Gastgeberin zu. „Sie sehen heute besonders entzückend aus.“

Valeria trug an diesem Tag ein auffallend fadenscheiniges Kleid, während ihr Haar nach dem morgendlichen Ritt völlig zerzaust war. Peinlich berührt murmelte sie etwas Unverständliches.

Sir Arthurs Lächeln war wirklich reizend. Wenn seine Freundlichkeit nicht mit einer gewissen Tölpelhaftigkeit gekoppelt gewesen wäre und er keine so herrschsüchtige Mutter gehabt hätte, hätte sie sich vielleicht ernsthaft überlegt, ob er nicht der Richtige wäre, ihr bei ihrer kaum Gewinn bringenden Farm zu helfen.

„Eine schreckliche Gefahr!“ Lady Hardesty legte Valeria die Hand auf den Arm, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Eine Gefahr für jede anständige Frau in der Umgebung!“

„Mutter meint“, warf Sir Arthur ein, „dass Rafe Crandall, Viscount Crandalls jüngster Sohn, einige äußerst verrufene Gäste in sein Jagdhaus eingeladen hat.“

„Sein Grundstück grenzt unmittelbar an Ihres, meine Gute!“

„Siebeneinhalb Morgen im Westen“, warf ihr Sohn ein. „Das größere Stück, also einhundertsechsunddreißig Morgen, grenzt an Hardesty Castle.“

Sir Arthur kennt natürlich die Besitzverhältnisse ganz genau, dachte Valeria. Wie sie vermutete, schätzte ihr Verehrer sie eher wegen der Größe ihrer Felder, die an seinen Besitz grenzten, als wegen ihrer Schönheit oder ihres Charmes.

„Und welche Leute dieser wilde Mann mitgebracht hat!“, fuhr Lady Hardesty fort. „Ich bin überzeugt, dass Hugh gewollt hätte, dass ich Sie warne. Sie sollten Ihr Haus nicht mehr verlassen, solange diese Schurken hier sind.“

„Mutter, so schlimm ist es nun auch wieder nicht“, beruhigte ihr Sohn sie. „Solange Lady Arnold auf ihrem Anwesen bleibt, sollte ihr nichts passieren. Da die Männer jedoch auf die Jagd gehen werden und das wahrscheinlich nicht im Zustand völliger Nüchternheit, wäre es ratsam, nicht auszureiten.“

„Da gibt es größere Gefahren als eine betrunkene Jagdgesellschaft. Arthur, hast du mir nicht erzählt, dass du gestern selbst diesen Mann im ‚Creel and Wicket‘ gesehen hast?“ Lady Hardesty schüttelte sich. „Er soll mit seinen gelbbraunen Katzenaugen jede unvorsichtige Frau hypnotisieren können.“

Valeria hatte wieder nicht richtig zugehört, doch bei diesen Worten horchte sie auf. „Katzenaugen?“

„Unsinn“, meinte Sir Arthur. „Die Damen haben Teagan schon immer anziehend gefunden, aber vom Hypnotisieren höre ich zum ersten Mal.“

„Wer weiß, wozu das irische Gesindel fähig ist“, erwiderte seine Mutter hochnäsig.

„Er ist nur zur Hälfte irisch. Seine Mutter stammte aus einer angesehenen englischen Familie – die Tochter des Earl of Montford, wenn Sie sich erinnern. Wie wäre Teagan sonst nach Eton und Oxford gekommen?“

„Einer der Gäste ist ein Schurke und der Sohn der Tochter eines Earl?“, fragte Valeria, deren Herz bei der Erinnerung an das Bild des Fremden mit den faszinierenden Augen und den sinnlichen Lippen, die den ihren so nahe gewesen waren, schneller schlug.

„Nein, sie hat den Iren sogar geheiratet – den Stallknecht ihres Vaters!“, erklärte Lady Hardesty empört.

Irisch, dachte Valeria. Das erklärte den Singsang in seiner Stimme.

„Sie hat bekommen, was sie verdient hat“, fuhr ihre Nachbarin mit angewiderter Miene fort, „als der Halunke sie und das Kind ohne einen Penny verlassen hat. Man munkelt sogar, dass der Junge auf der Straße gelebt hat, bis irgendein Pfarrer ihn aufgelesen und zu ihrer Familie gebracht hat. Zu diesem Zeitpunkt war er allerdings schon ein geschickter Dieb geworden.“

„Du übertreibst, Mutter. Teagan muss damals erst sechs gewesen sein, denn als ich ihn in Eton kennen lernte, war er noch nicht einmal sieben.“ Sir Arthur wandte sich an Valeria. „Wir sprechen von Teagan Fitzwilliams, Lady Arnold. Ich befürchte, sein Ruf ist sehr schlecht. Aber der junge Mann, den ich kannte, war nicht böse, sondern nur ungebärdig.“

„Ungebärdig genug, um sich schon früh allen Lastern hinzugeben. Hast du mir nicht gesagt, dass sie ihn in der Schule ‚Betrüger‘ genannt haben?“

„Nein, sie haben ihn ‚Schalk‘ genannt, weil er so viele Kartenkniffe kannte.“

„Wie auch immer er als Junge gewesen sein mag – du kannst jedenfalls nicht leugnen, dass er jetzt ein Spieler und herzloser Wüstling ist.“

„Ich verurteile ihn nicht, nur weil er sein Auskommen an den Spieltischen verdient, Mutter. Was sollte er denn sonst tun, nachdem ihn seine Verwandten nach dem Studium in Oxford mehr oder weniger sich selbst überlassen haben? Und die Geschichten über die vielen Frauen, die er angeblich verführt hat, halte ich für maßlos übertrieben.“

„Natürlich haben sie sich von ihm abgewandt. Was blieb ihnen denn auch anderes übrig, nachdem er mit der Frau des Universitätsdekans eine Affäre hatte?“

„Es war die Schwiegertochter seines Lehrers, Mutter!“

„Aber die ganze Gesellschaft war in höchstem Aufruhr über die Geschichte mit der jungen Gattin des alten Lord Uxtabridge. Du magst vielleicht wieder behaupten, dass ich übertreibe, aber Maria Edgeworth schickt mir seit Jahren die ganzen Londoner Neuigkeiten. Ich weiß in dieser Hinsicht also bestimmt besser Bescheid als du.“

Nachdem sie so wirkungsvoll ihren Sohn zum Schweigen gebracht hatte, wandte sie sich wieder voller Eifer Valeria zu. „Nach Lady Uxtabridge gab es Lady Shelton und …“

„Mutter, du bringst Lady Arnold zum Erröten“, bemerkte Sir Arthur und betrachtete besorgt Valeria.

Froh darüber, dass ihr ahnungsloser Verehrer ihre vor Aufregung geröteten Wangen als ein Zeichen von Scham auslegte, wartete Valeria zum ersten Mal in ihrem Leben ungeduldig darauf, welchen Klatsch Lady Hardesty noch vor ihr ausbreiten würde. „Ich danke Ihnen für Ihre Besorgnis, Sir Arthur“, sagte sie. „Aber ich glaube, dass Ihre Mutter recht hat. Ich sollte wirklich die ganze Geschichte hören.“

„Wie wahr.“ Ihre Ladyschaft warf ihrem Sohn einen triumphierenden Blick zu. „Die Herren der Schöpfung sind stets bemüht, die schlechte Seite ihrer Natur zu leugnen. Aber wir Damen dürfen das keinesfalls, wenn wir uns davor zu schützen gedenken. Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn ich Hughs reizende Witwe, die keinerlei Vorstellung davon hat, wie teuflisch ein Mann sein kann, nicht hinreichend gewappnet hätte.“

Valeria fühlte sich bei Lady Hardestys Worten ein wenig schuldig. „Ich danke Ihnen“, murmelte sie sittsam.

Ihre Nachbarin tätschelte ihr die Hand. „Sie wissen, dass ich Sie fast wie eine Tochter betrachte, meine Liebe. Deshalb muss ich Sie auch warnen. Maria hat mir berichtet, dass dieser Fitzwilliams keine Flasche ungetrunken zurücklässt und nie eine Gelegenheit verpasst, die Ehefrau eines sorglosen Mannes zu verführen.“

„Als Witwe sollte ich mich also in Sicherheit befinden.“

„Ich möchte behaupten, dass keine Frau vor diesem Schurken sicher ist. Deshalb halte ich es auch für meine Pflicht dem lieben Hugh gegenüber, darauf zu bestehen, dass Sie zu uns nach Hardesty Castle kommen, wo Sie bleiben sollten, bis Crandalls Freunde und vor allem dieser Mann unsere Gegend wieder verlassen haben.“

Valeria hielt für einen Augenblick erschrocken die Luft an. Das würde bedeuten, dass sie diesen Filou bestimmt niemals wiedersehen würde und außerdem weder Sir Arthurs schwerfälligem Werben noch Lady Hardestys Machenschaften entkommen konnte.

„Sie sind wirklich sehr liebenswürdig, Lady Hardesty“, erwiderte sie rasch. „Aber ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten, wenn Ihre Nerven in einem so angespannten Zustand sind. Außerdem steht hier die Schur bevor. Ich will die wichtigen Vorbereitungen auf keinen Fall meinen Untergebenen überlassen.“ Sie hoffte inbrünstig auf Lady Hardestys allgemein bekannte Geringschätzung den niederen Ständen gegenüber.

„Sie besitzen ein bewundernswertes Gefühl der Pflichterfüllung, Lady Arnold“, sagte Sir Arthur. „Vielleicht könnte ich Ihnen behilflich sein …“

„Oh nein, Sir! Bei der großen Verantwortung, die Sie für Ihr ausgedehntes Anwesen tragen, könnte ich Sie niemals bitten, sich auch noch mit dem meinen zu belasten.“

„Meine liebe Dame, Ihnen zu Diensten zu sein, ist für mich keine Belastung.“

Oh ja, er würde bestimmt nichts lieber tun, als die sechshundert Morgen verwalten, die Hugh mir hinterlassen hat, dachte Valeria spöttisch und beobachtete, wie Sir Arthur seiner Mutter einen bedeutsamen Blick zuwarf.

Lady Hardesty erhob sich. „Meine Liebe, nun hätte ich es beinahe vergessen. Ich habe meine Anleitung mitgebracht, wie man Spitze wieder weiß bekommt. Wie ich an den Vorhängen im Entree bemerkt habe, kann Ihr Dienstmagd so etwas dringend gebrauchen. Wenn Sie mich für einen Augenblick entschuldigen würden – ich bringe sie ihr.“

Valeria stand ebenfalls auf. Sie war entschlossen, diesem offensichtlichen Versuch, sie mit Sir Arthur allein zu lassen, zuvorzukommen. „Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber vielleicht ein andermal. Wissen Sie, Sukey Mae liegt augenblicklich krank zu Bett. Es ist nichts Besorgnis erregendes – bloß ein Husten. Ich wollte ihr gerade einen Kräutertee bereiten, aber da kamen Sie. Fast befürchte ich“, fügte sie mit einem Hüsteln hinzu, „dass ich ebenfalls krank werde.“

Während Sir Arthur vom Sofa hochschnellte, presste sich seine Mutter eilig ein Taschentuch vor den Mund. „Lady Arnold, Sie hätten uns sogleich warnen sollen, dass Sie sich nicht wohl fühlen. Sie haben doch wohl nicht die Anfälligkeit meiner Lunge vergessen! Komm, Arthur, wir wollen nicht länger verweilen.“ Mit einem vorwurfsvollen Blick auf Valeria verließ sie fluchtartig den Salon.

Langsam folgte Valeria den beiden. Trotz der Lobreden der Nachbarin auf ihre Pflegekünste hegte sie eine solche Furcht vor Krankheiten, dass sie die ganzen Monate, in denen der „liebe Hugh“ fiebernd im Bett gelegen hatte, kein einziges Mal zu Besuch gekommen war – wie sich Valeria bitter erinnerte.

Dieser Gedanke ließ sie erneut husten, diesmal stärker. Lady Hardesty beschleunigte ihre Schritte.

„Ich bin mir sicher, dass es mir morgen schon wieder besser geht. Danke, dass Sie sich die Mühe gemacht haben vorbeizukommen“, rief sie ihren davoneilenden Gästen nach. Dann stand sie, höchst zufrieden, dass ihre List geglückt war, vor dem Salon und lauschte dem Geräusch der zufallenden Haustür.

Ein irischer Halunke also, dachte sie. Ihre Lippen verzogen sich zu einem belustigten Schmunzeln, als sie ins Zimmer zurückkehrte. Ein irischer Halunke mit einem betörenden Lächeln und einem Blick, der jede Frau faszinierte.

Einen Betrüger und Lügner hatte Lady Hardesty ihn genannt. Valeria wusste, dass die schlimmsten Gerüchte den besten Klatsch abgaben. Deshalb war sie eher dazu geneigt, Sir Arthurs Schilderung eines Waisenjungen Glauben zu schenken, der von der Familie seiner Mutter kaum geduldet worden war.

Valeria erinnerte sich deutlich an die Klugheit, die aus seinen Augen blitzte. Sie konnte sich – selbst ein Waisenkind in jungen Jahren – gut vorstellen, was es für einen sechsjährigen Knaben bedeutet haben musste, auf der Straße zu überleben. Ein Junge, der plötzlich seine vertraute Umgebung verlassen musste und Verwandten übergeben wurde, die ihn wahrscheinlich niemals vergessen ließen, dass sein Vater ein Tunichtgut, seine Mutter eine Närrin und er selbst ein irischer Betteljunge war, der von ihrer Gnade abhing.

Kein Wunder, dass er zu einem Draufgänger geworden war.

Aber er war bestimmt kein herzloser Frauenheld – dessen war sie sich sicher.

Trotz seiner Behauptung des Gegenteils hatte sich Mr Fitzwilliams wie ein Gentleman benommen. Schließlich war sie allein und praktisch wehrlos gewesen und hätte wenig Hoffnung gehabt, ihm seiner gerechten Strafe zuzuführen, wenn er ihre hilflose Lage ausgenutzt hätte.

Nein, er hatte sich nicht als Wüstling gezeigt, und seine Spötteleien hatten sie eher bezaubert als verängstigt.

Nachdem Lady Hardesty es verlangt und Sir Arthur es empfohlen hatte, konnte sie nun natürlich auf keinen Fall zu Hause bleiben. Sie wollte morgens weiterhin ausreiten, wie sie das immer tat.

Und wenn sie dem faszinierenden Mr Fitzwilliams begegnete?

Ihr Herz schlug rascher. Hitze breitete sich auf ihren Wangen aus.

Ja, sie begehrte diesen Mann – wie das anscheinend schon viele Frauen vor ihr getan hatten und es vermutlich auch nach ihr tun würden. Dennoch hielt sie dieser Gedanke nicht davon ab, sich auszumalen, wie es sich anfühlen würde, seine Lippen auf den ihren, seine langgliedrigen Finger auf ihrer Haut und seine verborgene Männlichkeit zu spüren. Ein heftiges Verlangen bemächtigte sich ihrer und ließ sie erbeben.

Während sie sich in der ländlichen Einöde über Wasser zu halten versuchte und sich darum bemühte, genügend Kapital zusammenzubekommen, um dem Leben hier zu entfliehen, schien sich die Sehnsucht ihrer Mädchenjahre noch verstärkt zu haben. Sie war kaum verheiratet gewesen, als sie bereits Witwe wurde, sodass die heimliche Leidenschaft in ihr keinen Ausdruck hatte finden können. Wie sehr verzehrte sie sich nach diesem Gefühl, das seit Jahrhunderten von Dichtern besungen wurde! Nach den sinnlichen Freuden der Liebe, die sie wahrscheinlich – wenn sie nicht doch noch Sir Arthur heiraten sollte – niemals erleben würde.

Valeria kniete sich wieder auf den Boden und hob einige kleine Scherben auf, die ihrem Blick vorher entgangen waren. Da kam ihr plötzlich eine Idee.

Teagan Fitzwilliams, so hatte Lady Hardesty behauptet, war ein Meister der Verführung. Valeria hatte sich mit eigenen Augen überzeugen können, dass der hoch gewachsene, betörende Gentleman all das zu besitzen schien, was sich eine Frau bei einem Liebhaber wünschte. Er war in der Lage, selbst einer zurückgezogen lebenden Witwe wie Valeria das Gefühl zu geben, begehrenswert zu sein.

Er hielt sich nur noch wenige Tage in der Nachbarschaft von Eastwoods auf. Wenn er sie während dieser Zeit in die Geheimnisse der Liebe einführen könnte, müsste das niemals an die Öffentlichkeit dringen. Selbst wenn er sie zurückweisen sollte, würde keiner von ihrer Demütigung erfahren. Falls sie sich jedoch näher kämen, wäre er bereits nach wenigen Tagen wieder verschwunden und würde ihr auf diese Weise die Peinlichkeit ersparen, ihm wieder gegenübertreten zu müssen.

Aber in ihrem Herzen und in ihrem Körper würde das Wunder der Leidenschaft für immer lebendig bleiben.

Zitternd legte sie eine Hand vor den Mund. Sie musste den Verstand verloren haben. Dieser Gedanke war irrsinnig!

Doch die Vorstellung ließ sie, einmal gedacht, nicht mehr los. Ihre Sinne waren erwacht, und eine innere Stimme flüsterte ihr zu: „Tu es.“

Wenn sie etwas so Unbedachtes, so Liederliches, so – Undamenhaftes tat, würde sie vermutlich Schlimmeres als bloße Peinlichkeit erleiden. Männer mochten ihren Leidenschaften sorglos nachgehen können, aber sie bekamen auch keine Kinder. War sie wirklich verantwortungslos genug, diese Gefahr in Kauf zu nehmen?

Ihre Regel, die stets sehr pünktlich kam, sollte in einigen Tagen einsetzen. Mercy hatte ihr vor drei Jahren anvertraut, dass sie noch niemals von einer Frau gehört hatte, die so nahe vor ihrer monatlichen Zeit empfangen hätte.

Es würde also kein Kind geben. Dafür aber Genuss – einen Genuss, wie sie ihn noch nie erlebt hatte und den sie wahrscheinlich auch nie mehr erleben würde.

Valeria versuchte, sich zu beruhigen. Innerlich aufgewühlt, stand sie auf, um die restlichen Scherben wegzuwerfen.

Ihr ganzer Körper bebte. Wie würde es sich anfühlen, wenn seine Lippen ihre Hand berührten … ihren Mund … ihren Bauch?

Wieder durchlief sie eine so große Hitzewelle, dass ihr schwindelte. Sie eilte in die Küche, wo sie von der Köchin überrascht wurde, als sie sich über das Ausgussbecken beugte und kaltes Wasser auf die heißen Wangen spritzte.

Sie durfte nicht länger darüber nachdenken. Sollte das Schicksal entscheiden!

Morgen wollte sie wie immer ausreiten. Wenn sie dann Teagan Fitzwilliams traf, mochte geschehen, was geschehen sollte.

Am späten Nachmittag – nach einem ausgiebigen Bad und angenehmen Träumen von einer dunkelhaarigen Dame in einem schwarzen Reitkostüm – machte sich Teagan auf die Suche nach seinem Gastgeber. Er entdeckte ihn in einem Salon, wo er mit einigen Herren Billard spielte. Eine Weile schaute Teagan zu, um die Stimmung und den Grad der Nüchternheit der Männer abzuschätzen, während er sich überlegte, was wohl die beste Vorgehensweise war.

Rafe hatte wie immer ein Glas Brandy in der Hand. Markham und Westerley, die zügellosen, jüngeren Söhne eines Earl beziehungsweise eines Marquess, sahen ebenfalls bereits ziemlich angeheitert aus. Nur das vierte Mitglied der kleinen Runde, ein schlicht gekleideter älterer Gentleman, schien noch völlig nüchtern zu sein.

Lord Riverton, der ein sehr sittenstrenger Regierungsbeamter war, passte eigentlich gar nicht zu Rafes trinkfesten, draufgängerischen Kumpanen. Doch da der Mann am Abend zuvor eine große Summe Geld an Teagan verloren hatte, ohne dabei seine gute Laune einzubüßen, hatte Teagan nichts gegen ihn einzuwenden.

„Meine Herren“, begrüßte Teagan die Runde.

„Ah, Schalk.“ Sein Gastgeber wandte sich mit den glitzernden Augen eines Betrunkenen zu ihm. „Hattest eine gute Nacht, was? Riverton sind einige Pfund abhanden gekommen, während Markham dir genügend gegeben haben sollte, um deinen Schneider zu bezahlen.“

Teagan biss die Zähne zusammen. Er zwang sich dazu, den Zorn zu unterdrücken, der selbst nach zehn Jahren noch immer bei solchem Gespött seiner wohlhabenden Freunde in ihm aufstieg. „Ja, und heute Abend will ich ihm ein Paar der besten Stiefel abnehmen, die London zu bieten hat.“

„Hört, hört!“, rief Westerley, und Rafe schlug Markham fröhlich auf den Rücken.

„Doch vorher will ich noch etwas ausreiten. Ich wollte wissen …“

„Versuch es doch lieber bei der rothaarigen Hure“, unterbrach Rafe ihn.

Als die anderen Männer johlten, fügte Markham hinzu: „Die blonde Stute hat auch einen hübschen engen Sattel.“

Teagan wartete, bis das Gegröle vorbei war. Er bemerkte, dass ihm Lord Riverton einen neugierigen Blick zuwarf. „Ich bin Ihnen für Ihre Empfehlungen dankbar, meine Herren. Aber ich wollte eigentlich auf einem richtigen Pferd reiten. Mein Schwarzer braucht Auslauf.“

„Warum verkaufen Sie mir nicht endlich diese Schönheit?“, erkundigte sich Markham. „Ich weiß nicht, wie Sie sich das Tier überhaupt leisten können.“

„Nun, indem ich so entgegenkommenden Herren wie Ihnen beim Spiel das Geld abknöpfe“, erwiderte Teagan.

„Ich würde Ihnen für den Araber mehr als genug zahlen, sodass Sie sich Brandy und Dirnen für ein ganzes Jahr leisen könnten.“

„Wahrlich eine große Versuchung. Aber ich glaube, Ailainn würde mir niemals vergeben, wenn ich ihn einem Reiter wie Ihnen überlassen würde.“

Während die Herren lachten, wandte sich Teagan an Rafe. „Kann ich in jede Richtung reiten, oder gibt es irgendwo einen eifersüchtigen Ehemann, der mich erschießt, wenn ich aus Versehen seinen Boden betrete?“

Rafe grinste. „Eifersüchtige Ehemänner sind doch deine Spezialität. In Richtung Westen gibt es nicht viel zu sehen, aber die Wälder im Osten sind hübsch – vor allem wenn die verwitwete Lady Arnold gerade unterwegs sein sollte.“

„Eine Witwe, sagst du?“, mischte sich Westerley ein. „Klingt ganz nach unserem Schalk! Ist sie wohlhabend?“

„Nein, tut mir leid, Schalk. Sie ist beinahe genauso mittellos wie du“, erwiderte Rafe. „Als ihr Mann, der in der Armee war, starb, fielen das Baronat und das dazugehörige Land an einen Vetter. Ihr blieb nur die kleine Schafsfarm, die, wie ich vermute, nicht mehr als fünfhundert Pfund im Jahr abwirft.“

„Dann ist sie bestimmt nichts für unseren Schalk“, meinte Westerley. „Er bevorzugt Damen, die reich und dankbar sind.“

Teagan zog unverbindlich die Augenbrauen hoch. Nach außen hin folgte er der Unterhaltung, insgeheim jedoch verarbeitete er die soeben gehörten Informationen. Sie war also „Lady Arnold“. Bis er ihren Vornamen erfahren würde, wollte er sie weiterhin in Gedanken die geheimnisvolle Dame nennen. Es behagte ihm nicht, sie mit dem Namen eines anderen Mannes zu bezeichnen.

„Eine hübsche Witwe, sagst du, Rafe?“, fragte Markham. „Vielleicht ist es meine Pflicht als Gentleman, ihr die Einsamkeit zu versüßen.“

Diese Bemerkung riss Teagan aus seinen Träumen. Die Vorstellung, dass der beleibte Markham seine schweißnassen Hände auf den schlanken Körper von Teagans geheimnisvoller Dame presste, weckte die Wut, die stets hinter seinem ruhigen Äußeren lauerte, von neuem.

„Wenn die Dame wirklich so anmutig ist, wie Rafe behauptet“, warf er ein, „dann nehme ich an, dass sie ihre Schafe Ihnen vorziehen würde.“

Markham warf ihm einen finsteren Blick zu, während die anderen wieder in Gelächter ausbrachen. Schließlich meinte der Gastgeber: „Selbst wenn Markham das Aussehen unseres Schalks hätte, glaube ich nicht, dass ihn die Witwe haben wollte. Sie war ihrem armen Hugh völlig ergeben. Im Krieg hatte er eine schreckliche Verletzung erlitten, und sie hat ihn Monate lang gepflegt. Angeblich ist er in ihren Armen gestorben.“

„Hör auf, oder ich breche in Tränen aus“, höhnte Westerley. „Vielleicht muss ich ihr einen Kondolenzbesuch abstatten, wenn sie wirklich so hübsch ist, wie du sagst.“

Jetzt reicht es, dachte Teagan. Die geheimnisvolle Dame gehörte ihm. „Wenn du wirklich lieber stundenlang in ihrem Salon sitzen und dir überlegen willst, wie sie zu betören ist, solltest du das tun. Du könntest dich stattdessen natürlich auch den Schönheiten widmen, die unser großzügiger Gastgeber für uns herbestellt hat …“ Betont gleichgültig zuckte er mit den Schultern. „Die Rothaarige ist also nicht übel?“

Markhams Gesicht hellte sich auf. „Das ist sie wirklich nicht. Ich glaube, ich werde mir das Kätzchen mal näher betrachten.“

„Dann geben Sie mir Ihren Billardstock“, sagte Teagan. „Westerley, gehst du jetzt zu dieser Witwe, oder kann ich meine Taschen wieder mit deinem Gold füllen?“

Er hielt gespannt den Atem an, während der Mann überlegte. „Ich bin mit von der Partie“, erwiderte er schließlich. „Keine Frau ist es wert, um ihretwillen nüchtern zu werden. Heb mir die Blonde auf“, sagte er zu Markham und legte seinen Billardstock an.

Erleichtert schaute Teagan hoch und bemerkte, dass Riverton ihn aufmerksam beobachtete. Seine Lordschaft hatte sich nicht an der Unterhaltung beteiligt, sondern hatte sein Spiel scheinbar gleichgültig fortgesetzt. Als er jetzt jedoch Teagan ansah, zeigte sich auf seinem Gesicht ein leichtes Schmunzeln.

Teagan hatte einen Moment das seltsame Gefühl, dass Lord Riverton genau wusste, was er mit seiner Taktik beabsichtigt hatte.

Unsinn, dachte er. Er legte den Billardstock an, holte tief Luft und stieß gegen die Kugel. Wenn Fortuna ihm weiterhin günstig gesonnen war, würden seine Taschen beim nächsten Ausritt noch voller sein. Dann konnte er sich ohne schlechtes Gewissen seinem Vergnügen widmen – seinem und dem einer gewissen dunkelhaarigen Dame.

3. KAPITEL

Oben auf der Anhöhe brachte Valeria das Pferd zum Stehen und schaute über die Wiesen zum steinernen Dach von Eastwoods und bemühte sich darum, ihre Enttäuschung zu bezwingen. Sie hatte beinahe ihre tägliche Wegstrecke hinter sich gebracht – wobei sie sogar getrödelt hatte –, ohne auch nur einen Blick auf den Filou mit den Katzenaugen zu erhaschen. Entweder war er an diesem Morgen nicht ausgeritten, oder er hatte Acht gegeben, keinen strengen Witwen mehr zu begegnen.

Das Ausmaß ihrer Enttäuschung ärgerte sie fast genauso sehr wie der bemitleidenswert nervöse Zustand, in dem sie ihren Ritt begonnen hatte. Specter, ihre graue Stute, war Valeria ausgewichen, als sie auf sie stieg, und hatte eine Zeit lang bei jeder Ecke, um die sie biegen wollte, gescheut. Die unruhige Reiterin hatte auch das Pferd nervös gestimmt.

Allmählich ließ der Ärger nach und machte einer tiefen Traurigkeit Platz. Es gab keinen Ritter auf einem weißen Ross, der sie aus ihrem eintönigen Leben befreien und zu einem glorreichen Gipfel der Sinnesfreuden entführen würde.

Nein, dachte sie, während sie die Stute den steilen Weg zu der gemähten Wiese hinabsteigen ließ. Heute würde es ein Tag wie jeder andere seit Hughs Tod werden, mit nichts Aufregenderem als unbezahlten Rechnungen, einem Zeitplan für das Scheren der Schafe und jammernden Bediensteten.

Unten angekommen war, straffte sie die Zügel. Genug der Klagen! Valeria Winters Arnold, Tochter eines Soldaten, musste das Beste aus dem machen, was das Leben ihr bot, was für diesen Augenblick hieß, das Pferd über die Wiese zum Obstgarten galoppieren zu lassen.

Specter spürte ihre Stimmung und wieherte voller Vorfreude. Nachdem Valeria die Stute zum Galopp angespornt hatte, genoss sie das Gefühl des Winds, der ihr ins Gesicht peitschte und ihr Haar zerzauste. Sie erinnerte sich an ihr erstes Pony und daran, wie sie mit ihrem Vater und Elliot über die Weiden galoppiert war. Damals brachte noch jeder Tag neue Abenteuer mit sich, und das Leben schien voller Möglichkeiten zu sein.

Ihre Augen wurden feucht, was nicht nur vom beißenden Wind herrührte.

Erst als sie unter den Ästen eines Apfelbaums das Pferd zum Stehen brachte, hörte sie das Donnern von Hufen hinter sich. Überrascht drehte sie sich im Sattel um.

Teagan Fitzwilliams, dessen goldblondes Haar im Sonnenlicht glänzte, sprengte auf einem prachtvollen, schwarzen Hengst auf sie zu.

Valerias Hände wurden eiskalt, und ihr Verstand setzte aus. Als er lachend neben ihr anhielt, wusste sie nicht, was sie sagen sollte.

„Es ist ein wunderbarer Morgen zum Reiten, Madam, und Sie haben eine wirklich hübsche Stute.“

Seine ungewöhnlichen Augen schienen jeden Sonnenstrahl einzufangen, sodass sie noch weitaus strahlender als in der Scheune wirkten. „Ihr … Ihr Hengst ist noch viel schöner“, brachte sie stammelnd hervor und wusste nicht weiter.

Lady Hardesty hat recht, dachte sie benommen. Seine Augen hatten etwas Hypnotisierendes.

Ehe sie den Blick von Mr Fitzwilliams abwandte, bewunderte sie noch die Vollkommenheit seines Gesichts – die gerade Nase, die hohen Wangenknochen, den sinnlichen Mund, das goldblonde Haar, das förmlich nach der streichelnden Hand einer Frau zu verlangen schien. Selbst seine gebräunte Haut mit einigen Sommersprossen war makellos.

Gütiger Himmel, wie konnte die unauffällige Valeria Arnold annehmen, dass ihr solch ein göttliches Wesen auch nur einen zweiten Blick schenken würde?

Mit zitternden Fingern lockerte sie die Zügel, bereit, Specter anzutreiben und davonzureiten, ehe sie sich noch mehr bloßstellte. Doch als Mr Fitzwilliams wieder sprach, zwang sie die Höflichkeit noch eine Weile zu bleiben.

„Welche Belohnung wollen wir für einen so großartigen Galopp vergeben?“

Küsse waren das Einzige, was Valeria sogleich in den Sinn kam. Da sie das wohl kaum vorschlagen konnte, erwiderte sie nichts.

„Haben Sie denn keine kleine Aufmerksamkeit mitgebracht? Vielleicht kann Ihre Stute ja warten, aber mein Hengst muss jetzt unbedingt seinen Lohn bekommen.“

Durch die Zweideutigkeiten verwirrt, schreckte Valeria zusammen, als er die Hand ausstreckte – und einen Apfel aus der Rocktasche holte.

Er hatte tatsächlich nur die Pferde gemeint. Röte stieg ihr in die Wangen.

Beschämt senkte sie den Kopf. Sie konnte es nicht tun. Wahrscheinlich war sie einfach nicht dazu geschaffen.

Nach einer Weile schaute sie hoch, da sie noch einen letzten sehnsüchtigen Blick in das Gesicht, das für sie mit verbotenen Sinnesfreuden verbunden war, werfen wollte.

Reglos sah Teagan Fitzwilliams Valeria an, während sie ihn einfach nur betrachtete und benommen das Blitzen seiner Augen beobachtete.

Ehe sie den Willen aufbringen konnte, ihrem Pferd die Sporen zu geben, sprang er vom Sattel und kam zu ihr, um ihre behandschuhte Hand zu ergreifen.

„Gehen Sie nicht, süße Dame“, flüsterte er.

Eine Erregung bemächtigte sich ihrer, die ihr den Atem raubte. Sie musste sich abwenden, musste fliehen, bevor er das brennende Verlangen in ihren Augen zu lesen vermochte.

Dann lächelte er. „Steigen Sie ab, wenn Sie möchten. Ich habe genug für uns beide.“

Sie brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass er den Apfel meinte. Er brach ihn entzwei, streckte ihr eine Hälfte entgegen und wartete.

Valeria stieg vom Pferd. Nachdem sie die Frucht genommen hatte, drehte Mr Fitzwilliams sich um und fütterte mit seinem Stück seinen Hengst.

„D…danke“, brachte sie schließlich mühsam hervor und gab ihre Apfelhälfte ihrer Stute.

„Hatten Sie angenommen, dass ich zurückkommen würde?“, fragte er und drehte sich wieder zu ihr um.

Sie befeuchtete sich die Lippen. „Nein.“

„Wie hätte ich fortbleiben sollen? Zwischen uns ist noch nicht alles geklärt, Lady Arnold.“

„Was ist … Oh! Sie kennen meinen Namen.“

„Ich wollte ihn unbedingt erfahren.“

Furcht breitete sich in ihr aus, und sie warf ängstlich einen Blick zum Haus. „Aber ich darf nicht gesehen werden …“

„Beruhigen Sie sich. Keiner weiß, dass ich gekommen bin.“

„Ist ein Draufgänger denn diskret?“

Er zog die Augenbrauen hoch, und sein Lächeln verschwand. „Ich verstehe. Man hat Sie also gewarnt. Ich sollte mich wohl geschmeichelt fühlen, dass mein Auftauchen in der ganzen Nachbarschaft eine solche Aufregung ausgelöst hat.“

Zu ihrer Überraschung nahm sie deutlich die Bitterkeit hinter den leicht dahingesagten Worten wahr.

„Ich bin ein Dieb und ein Schurke. Habe ich recht?“

„Das hat man mir so erzählt“, gab Valeria zu.

„Und was denken Sie, meine Dame?“

Ohne zu überlegen, erklärte sie: „Ich möchte, dass Sie mich küssen.“

Entsetzt über ihre eigene Tollkühnheit bereitete sie sich innerlich auf Mr Fitzwilliams’ Gelächter vor.

Doch stattdessen verschwand der zynische Zug aus seinem Gesicht, und er lächelte sie sanft an. „Wie meine Dame wünscht.“

Nachdem er die Zügel um eine seiner Hände gewickelt hatte, trat er auf sie zu und hob ihr Kinn.

Valerias Magen verkrampfte sich, und sie konnte nicht einmal mehr ihre Fingerspitzen spüren. Sie nahm nur noch ihre Lippen wahr, die sich nach den seinen sehnten.

Langsam schloss sie die Augen, als sie Teagans warmen Atem spürte und gleich darauf die sanfte Berührung seines Mundes. Als er diese Liebkosung noch einmal wiederholte, ließ er seine Zungenspitze über ihren Mund gleiten.

Der Hengst bewegte sich und zog an den Zügeln, da löste sich Teagan von Valeria. „So süß“, glaubte sie ihn mit heiserer Stimme murmeln zu hören. Doch sie war sich nicht sicher.

Er durfte jetzt nicht davonreiten.

Als sie sprach, klang ihre Stimme seltsam atemlos, wie gehetzt. „Mr Fitzwilliams! Ihr … Ihr Pferd. Da ist Heu. In … in der Scheune.“ Mit einer fahrigen Bewegung zeigte sie zum Gut.

Zu ihrer Erleichterung, doch auch zu ihrem Entsetzen nickte er. Dann half er ihr, wieder aufzusteigen, und sie ritten gemeinsam los.

Sie hatte auf ihn gewartet. Ein freudiges Lächeln breitete sich auf Teagans Gesicht aus, während er hinter Lady Arnold herritt, die anmutig im Sattel saß.

Das schwarze Reitkostüm war abgenutzter, als er es vom letzten Mal in Erinnerung hatte. Doch der dünne Stoff schmiegte sich noch enger an ihre üppigen Brüste, ihre Schultern und die schmale Taille. Kurven, die so bezaubernd waren, wie er es in Erinnerung gehabt hatte.

Er hatte sich ausgemalt, was er mit dieser bezaubernden Frau alles machen würde. Und das hatte sein Verlangen nach der geheimnisvollen Dame nur noch gesteigert. Er begehrte sie auf eine Weise, wie er das seit langer Zeit bei keiner Frau mehr gespürt hatte.