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Eine Farm im Outback E-Book

Alissa Callen

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Beschreibung

Manchmal muss man sich selbst erlauben, sich zu verlieben.

Ihr Bruder Seth ist alles, was Kree von ihrer Familie geblieben ist. Als er von einem abendlichen Lauf nicht zurückkehrt, ist ihre Sorge unendlich groß. Im Outback entscheiden Stunden über Leben und Tod. Seth wird jedoch gerade noch rechtzeitig gefunden. Um sich bei den Menschen in Glenalla zu revanchieren, beschließt Kree, ihren Aufenthalt in Australien zu verlängern. Wenig später hat sie sich in die eingeschworene Dorfgemeinschaft verliebt - und in Ewan, Seths Retter ...

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Seitenzahl: 492

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

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Über dieses Buch

Titel

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Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

Manchmal muss man sich selbst erlauben, sich zu verlieben.

Ihr Bruder Seth ist alles, was Kree von ihrer Familie geblieben ist. Als er von einem abendlichen Lauf nicht zurückkehrt, ist ihre Sorge unendlich groß. Im Outback entscheiden Stunden über Leben und Tod. Seth wird jedoch gerade noch rechtzeitig gefunden. Um sich bei den Menschen in Glenalla zu revanchieren, beschließt Kree, ihren Aufenthalt in Australien zu verlängern. Wenig später hat sie sich in die eingeschworene Dorfgemeinschaft verliebt – und in Ewan, Seths Retter …

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Alissa Callen

Eine Farmim Outback

Aus dem australischen Englischvon Irene Anders

1

Habe ihn gefunden. Lebend.

Ewan Mackenzie starrte auf die Textnachricht, die er von Travis bekommen hatte. Der Lärm und die Geschäftigkeit in der Kommandozentrale des Outback-Rettungsdienstes hinter ihm verebbten zu einem unbestimmten Murmeln. Drei schlichte Worte, und die Welt konnte wieder aufatmen. Sämtliche Polizeieinheiten, Notfallhelfer, Bauern und Bewohner von Glenalla, die nach dem vermissten amerikanischen Rucksacktouristen gesucht hatten, konnten jetzt ihr normales Leben wiederaufnehmen.

Erleichterung verdrängte Ewans Erschöpfung, und die Anspannung, die ihn fester als jeder Druckverband im Griff gehalten hatte, löste sich langsam. Der achtzehnjährige Urlauber, der sich nach der Schule ein Jahr Pause gönnte, war nicht der Weite und Einsamkeit des australischen Busches zum Opfer gefallen. Zum ersten Mal seit zwei Tagen spürte Ewan die Sonne, die ihm die Haut wärmte, und nahm das Knistern wahr, mit dem der Herbstwind durch die von Silber überzogenen Gummibäume in der Nähe fuhr.

Seine Hand zitterte, und vor seinen Augen verschwammen die Buchstaben auf dem kleinen Bildschirm. Er schob das Handy in die Tasche seiner Jeans und wischte sich die kalten Handflächen an dem verstaubten Denim-Stoff seiner Hose ab. Das Zittern in seinen Fingern setzte sich bis in seine Schultern fort.

Allem Anschein nach spielte es keine Rolle, wie oft er dem Rettungsdienst dabei half, einen Fall zu einem positiven Abschluss zu bringen, das Blut, das er an den Händen hatte, würde sich niemals abwischen lassen.

Von der Ladefläche des Ute, der direkt vor ihm stand, drang das Klopfen von Whiskeys Schwanz in Ewans Ohr. Der Kelpie sah ihn mit Nervosität im Blick an und begann zu winseln. Ewan unterdrückte seine Gedanken und schob seine Qual zurück in die tiefe Grube, in die sie gehörte. Whiskey spürte jede seiner Stimmungen, und der Hund sollte nicht seine Schuld mit sich herumtragen.

»Alles in Ordnung, Kumpel«, sagte er mit sanfter Stimme und kraulte dem Kelpie das dichte schwarz-braune Fell. »Alles ist gut. Unsere Arbeit ist erledigt. Sie haben Krees Bruder gefunden.«

Whiskey schmiegte sich enger an ihn, als wäre er noch nicht überzeugt. Ewan zwang sich, eine Leichtigkeit, die er nicht empfand, in seine Stimme zu legen. »Wir fahren nach Hause, Whisk. Im Kühlschrank im Schuppen ist kaltes Bier, und wenn du Glück hast, hat Midget den Knochen nicht gefunden, den du unter dem Orangenbaum vergraben hast.«

Noch einmal kraulte er Whiskey den Hals, und sein vierbeiniger Freund schloss die Augen. Aber Whiskeys Zufriedenheit löschte die Leere nicht aus, die sich jetzt langsam in Ewan ausbreitete. Jetzt, wo Seth Garrett gefunden worden war, würde dessen dunkelhaarige Schwester, die eine ganze Nacht lang hierher geflogen war, um bei der Suche nach ihm zu helfen, nach Hause zurückkehren.

Von dem Augenblick an, in dem Kree in die Blechhütte getreten war, in der die provisorische Kommandozentrale untergebracht war, hatte ihr trauriges, tapferes Lächeln seine Abwehrmechanismen ausgehebelt. Winterlich bleich und hübsch, wie sie war, hatte ihre stille Tapferkeit etwas in ihm berührt, von dem er geglaubt hatte, dass es längst gestorben sei.

Er wusste, wie viel Kraft es kostete, weiterzumachen, wenn die Welt um einen herum zusammenbrach. Doch trotz dieses Gefühls der Verbundenheit hatte sein Instinkt ihn gewarnt, sich von der attraktiven Amerikanerin fernzuhalten. Es war ihm gelungen, auf höfliche Weise Abstand zu halten, bis sie gestern nach dem Lunch zu ihm gekommen war, als er gerade die Karte studierte, die er auf dem Dach seines Ute ausgebreitet hatte.

»Ewan? Ewan Mackenzie?«, hatte sie in ihrem weich klingenden, schön modulierten Tonfall gefragt.

Ein Hauch von Vanilleduft war ihm in die Nase gestiegen, ehe er sich umgedreht und ihr in die blauen Augen gesehen hatte. Sein Herzschlag war ins Stolpern geraten. »Ja.«

»Der alte Harry sagt, Sie fliegen die nächste Erkundungstour in Travis’ Maschine?«

Mit trockener Kehle hatte Ewan genickt.

Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Vielen Dank.«

»Keine Ursache.« Er zögerte, dann jedoch akzeptierte er die allgemein anerkannte Geste der Dankbarkeit. »Wir tun alles, um Ihren Bruder zu finden.«

»Ich weiß.« Ihre Stimme war leiser geworden, und ihre feingliedrigen Finger hatten sich um seine geschlossen, als würden sie dorthin gehören. Mit geöffneten Lippen hatte sie ihn eine Sekunde lang voller Ernst angesehen, eine zweite verstrich, und erst dann hatte sie ihre Hand mit zitternden Fingern aus der seinen gelöst.

»Noch einmal vielen Dank.«

Lange nachdem sie in die Hütte zurückgekehrt war, konnte Ewan sein Herz noch immer schlagen hören. Nicht einmal der Kompass, der auf der Karte vor ihm nach Norden wies, hatte es geschafft, ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Nie zuvor hatte ihn ein flüchtiges Lächeln in den Augen einer Frau so sehr berührt.

Er hörte auf, Whiskey zu streicheln, und der Kelpie stieß ihm protestierend die große Vorderpfote gegen den Unterarm.

Ewan schüttelte den Kopf. »Wir müssen gehen, Whisk. Die Arbeit auf der Farm hat sich nicht von allein erledigt, während wir weg waren.«

Er griff nach dem zusammengerollten Schlafsack zu seinen Füßen. Es war nicht nötig, Kree zu suchen und ihr zu sagen, dass Seth in Sicherheit war. Travis hatte dem Leiter der Kommandozentrale sicherlich geschrieben, sodass sie die Nachricht umgehend erhalten hatte. Genauso unnötig war es, sie in ihrer Freude zu stören, um sich zu verabschieden. Es stand ihm nicht zu, ihre Erleichterung zu teilen oder Dank zu erwarten. Es war genug, dass er geholfen hatte, ein Leben zu retten. Besser, er fuhr nach Hause, nach Marellen. Er hatte ein flüssiges Frühstück in Form von zu heißem Kaffee zu sich genommen, und seine Ausrüstung war schon zusammengepackt, bereit für eine weitere Frühschicht als Erkundungsflieger in Travis’ leichter Cessna.

Er warf den Schlafsack und die Stofftasche, die danebenstand, auf den Ute. Hinter ihm verbreiteten sich die guten Nachrichten schneller als ein vom Wind getriebenes Buschfeuer. Er konnte hören, wie die Leute sich auf die Schultern schlugen, wie Witze gerissen wurden und lange nicht gehörtes Gelächter ertönte, in dem sich die Anspannung auflöste, die wie eine düstere Wolke über ihnen gehangen hatte. Er musste hier weg, bevor von ihm erwartet wurde, dass er sich der Jubelfeier anschloss. Er würde nachsehen, ob er das Aufladegerät seines Handys eingepackt hatte, und machen, dass er weg kam.

Whiskeys Ohren zuckten, und sein Schwanz schlug mit solcher Wucht auf die Ladefläche des Ute, dass Ewan zu hören glaubte, wie die Stoßdämpfer einen Fluch ausstießen. Er hielt mitten im Schließen des Reißverschlusses der Stofftasche inne. Es gab nur einen Menschen in der Kommandozentrale, der Whiskey dazu bringen konnte, sich wie ein hyperaktiver Welpe zu benehmen.

Kree Garrett.

Ewan drehte sich langsam um, und mit jedem Grad der Drehung gewann er ein Stück seiner Selbstbeherrschung zurück. Er hatte bereits zugelassen, dass Erschöpfung und Gefühle ihn schwächten. Er war nicht mehr so wachsam gewesen und hatte Kree an sich herangelassen. Mehr Risse in seiner Rüstung konnte er sich nicht erlauben. Er durfte nicht mehr daran denken, wie perfekt ihr Körper zu seinem gepasst hatte, als er sie kurz in den Armen gehalten hatte, um sie zu trösten, nachdem sich eine Sichtung von Seth als falscher Alarm herausgestellt hatte. Und er durfte auch nicht noch mehr Sehnsucht nach Dingen zulassen, die zu besitzen er niemals wieder ein Recht haben würde.

Aus dem Augenwinkel nahm er einen schwarz-braunen Blitz wahr, als Whiskey von dem Ute herunter auf den Boden sprang. Ewan zog sich den Akubra-Hut vom Kopf und fuhr sich mit der Hand durch sein verstrubbeltes Haar. Na wunderbar! Whiskeys Begeisterung für die Amerikanerin mit der sanften Stimme würde es ihm unmöglich machen, sich unauffällig davonzustehlen. Ewan hielt sich den Hut vors Gesicht, um seinen Gesichtsausdruck zu verbergen, ehe er ihn sich wieder auf den Kopf setzte und die Krempe tief in die Stirn zog. Kree war noch nicht einmal zwei Tage lang auf australischem Boden, aber sein Selbstschutz hatte angesichts ihres feines Gespürs gleich Alarm geschlagen. Sie hatte so eine Art, in seinem Gesicht nach dem zu suchen, was er ihr nicht erzählte, die gefährlich war, so gefährlich wie eine in die Enge getriebene Braunschlange.

Kree beugte sich hinunter, um Whiskey den Bauch zu kraulen. Der Hund warf sich hingerissen zu Boden und war nur noch ein Bündel im roten Sand zu ihren Füßen. Eins seiner Hinterbeine zuckte, als sie ihn an seiner Lieblingsstelle kitzelte. Sie lachte ein melodiöses, weiches Lachen und klang vor Erleichterung ganz gelöst.

Ewan verschränkte die Arme und sah an dem Mädchen und dem Hund vorbei nach der breiten, von Bäumen gesäumten Schotterstraße, die ihn nach Hause bringen würde. Es spielte keine Rolle, dass er Kree nun endlich lachen gehört hatte oder dass dieses Lachen sein Herz, in dem schon so lange eine eisige Kälte herrschte, an den Rändern gewärmt hatte. Sie würde schon bald zurück in die Vereinigten Staaten fliegen.

Kree richtete sich auf, fuhr aber fort, Whiskeys Bauch mit der Spitze ihres Schnürstiefels zu streicheln. Mit einem Grinsen sagt sie zu dem Hund: »Von wegen du bist ein harter Brocken, Whiskey, du bist nichts weiter als ein großes Baby.«

Unter seinen verschränkten Armen ballte Ewan die Hände zu Fäusten. Aschfahl und mit dem achtlos gebundenen Pferdeschwanz, zu dem sie ihr braunes Haar zusammenfasst hatte, war sie hübsch gewesen. Jetzt aber, wo Farbe ihre Wangen überzog und Glück in ihren Augen leuchtete, war sie, nun ja, atemberaubend.

Whiskey gab einen Laut von sich, der wie ein Seufzen klang, als sie aufhörte, ihm den Bauch zu kraulen.

»Ich kann nicht fassen, dass Travis Seth gefunden hat.« Sie sah ihm in die Augen, und ihr Lächeln wurde breiter. »Ich kann nicht fassen, dass es ihm gut geht und dass das alles jetzt wirklich vorbei ist. Danke für alles, was Sie getan haben.« Sie öffnete die Arme und trat auf ihn zu.

Ewans Magen zog sich vor Anspannung zusammen, als ihm klar wurde, dass sie ihn umarmen wollte. Er konnte nicht riskieren, Kree noch einmal zu berühren, nicht einmal in einer flüchtigen Umarmung – er hatte auch so schon Mühe, seine Selbstbeherrschung zu wahren. Er unterbrach den Augenkontakt mit ihr und tat so, als müsse er die langen Ärmel seines Arbeitshemds aufkrempeln. »Ist gern geschehen, und Dank ist nicht notwendig«, sagte er, als hätte er nicht bemerkt, was sie vorhatte. Er schlug sich die Manschette über das Handgelenk und hoffte, dass seine Finger nicht zittern würden. »Ich bin froh, dass alles gut ausgegangen ist.«

Als Kree keine Antwort gab, wagte er es, ihr einen schnellen Blick zuzuwerfen. Ihre Augen waren schmal geworden, und sie stemmte die Hände in die Hüften, die in Jeans steckten.

»Dank ist sehr wohl notwendig. Allein mit den Pferden, Motorrädern und anderen Fahrzeugen hätten wir auf keinen Fall ein so großes Gebiet absuchen können, wie Sie und Travis es auf dem Luftweg geschafft haben.« Sie machte eine Pause, und er wünschte, er könnte sein Gesicht wieder hinter einem Hut verbergen. Sie hatte eine Art, ihn direkt anzusehen, die ihm Angst machte, sie könne all seine Geheimnisse durchschauen. »Außerdem war es Ihr Vorschlag, die Suche in Richtung Norden auszudehnen. Niemand sonst hat geglaubt, Seth könne so weit gelaufen sein.«

»Sie waren es, die darauf hingewiesen hat, dass Seth fit genug ist, um lange Strecken zurückzulegen. Und Sie haben auch vermutet, er könne in Richtung Pike’s Ridge gelaufen sein, weil er das Laufen in rauem Gelände gewohnt ist. Ich war nur der Botenjunge, der die Nachricht weitergegeben hat.« Er schob sich die hochgekrempelten Ärmel über die Ellenbogen. Er musste sich auf den Weg machen. Er musste allein auf der Veranda sitzen, weit weg von Jubelfeiern und Kameradschaft, und sich ins Gedächtnis rufen, dass Frauen wie Kree Garrett für Männer wie ihn nicht gedacht waren. »Wirklich, Dank ist nicht notwendig.«

»Doch, das ist er.« Sie drehte sich um und betrachtete die Ansammlung von Fahrzeugen und die Trauben von Freiwilligen des staatlichen Rettungsdienstes, die die üblichen Hosen und Jacken in leuchtendem Orange trugen. »Ich muss mich bei allen bedanken, dass sie mitgeholfen haben, meinen Bruder zu finden – bei Ihnen, bei Travis, bei sämtlichen Freiwilligen, bei der Gemeinde von Glenalla.«

Ein paar Männer, die neben einem schlammbedeckten Quad standen, hoben die Hände in ihre Richtung, und sie lächelte und winkte zurück. Sogar der eigensinnige alte Harry, der für gewöhnlich seine Farm nur bei Feuer, einer Flut oder wenn Hunger ihn quälte, verließ, nickte ihr zu. Kree mochte zwar als Fremde hier angekommen sein, aber sie hatte sich in Windeseile den Respekt der Einheimischen verdient. Obwohl sie unter dem Jetlag litt und ihre Augen vor Müdigkeit schwer waren, hatte sie sich nach ihrem Langstreckenflug aus Denver sofort an der Such- und Rettungsaktion beteiligt. Immer war sie im Nu mit einem lobenden Wort oder einer Tasse Tee für einen erschöpften Freiwilligen zur Stelle gewesen und hatte unermüdlich gearbeitet, bis Ewan bemerkt hatte, dass sie vor Erschöpfung kaum mehr auf ihren Füßen stehen konnte. Ohne auf ihren Protest zu achten, hatte er sie in seinen Ute geladen und sie in den Ort gefahren, damit sie sich in Mrs. Butlers Gästezimmer ausschlafen konnte. Kree hatte die Beine unter ihren Körper gezogen, ihren Kopf auf ihren Arm gelegt und sich auf dem Beifahrersitz zusammengerollt, noch ehe er die Hauptstraße erreicht hatte.

Sie drehte sich um, um ihn wieder anzusehen, und hob ihr Kinn. Ehe er begriff, was sie vorhatte, hatte sie den Abstand zwischen ihnen verringert und ihn auf die unrasierte Wange geküsst. Er nahm den Duft von Vanille wahr, spürte die Zartheit ihres Mundes, und als sie sich von ihm löste, empfand er den Verlust wie einen Stich.

»Danke«, sagte sie mit ernstem Blick. »Für alles.«

»Jederzeit wieder«, war alles, was er hervorbrachte, und er hoffte, dass sein gedehnter australischer Tonfall seine Heiserkeit kaschiert hatte.

Sie verzog den Mund. »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber ich hoffe, es wird nicht wieder nötig sein. Wenn ich meinen kleinen Bruder erst wieder zurückhabe, kann er froh sein, wenn ich ihm noch erlaube, zum Eckladen zu gehen und Milch zu holen.«

»Seien Sie nicht zu streng mit Seth. Er ist jung. Und Unfälle passieren nun einmal.« Ewan wandte den Kopf zu dem Campingbett, das auf dem Ute lag, und griff nach dem Tragriemen. Kree mochte gekommen sein, um ihm für seine Bemühungen bei der Suchaktion zu danken, doch in Wirklichkeit sagte sie ihm auf Wiedersehen. Es gab keinen Eckladen in Glenalla, es gab dort überhaupt nur ein einziges Geschäft. Ihre Abreise stand unvermeidlich bevor und war das Beste, was ihm passieren konnte – warum erfüllte ihn also eine solche Unruhe?

Kree stützte die Arme auf die Seitenwand des Ute und sah zu, wie er den Schlafsack neben der Stofftasche zurechtlegte. Whiskey sprang auf die Ladefläche und schob seinen Kopf unter Krees Hände, um sich noch einmal streicheln zu lassen.

»Ja, Unfälle passieren nun einmal, aber im Fall von Seth passieren sie ziemlich regelmäßig.« Sie senkte die Stimme. »Ich hoffe, diese Erfahrung wird ihn lehren, weniger impulsiv zu handeln. Ich wünschte, er hätte Maureen und Don gesagt, in welche Richtung er zum Joggen gehen wollte. Aber alles, was er gesagt hat, war, er würde laufen gehen und zum Abendessen zurück sein.«

»Jetzt, nach zwei Tagen im Busch, wird er Ihnen sicher sagen, dass er sich dasselbe wünscht.« Ewan klopfte die Stofftasche ab, um das harte Viereck seines Aufladegerätes zu ertasten.

»Bill hat gesagt, sie bringen ihn zur ärztlichen Untersuchung hierher, und anschließend kann ich mit ihm zum Dubbo Hospital fahren.«

»Das ist richtig.« Ewan entging der besorgte Unterton nicht. Kree mochte all ihre Ängste unterdrückt und sich darauf konzentriert haben, positiv zu denken und daran zu glauben, dass ihr Bruder gefunden werden würde, aber ihre stoische Haltung würde noch ihren Preis fordern. Er selbst wusste besser als jeder andere, dass Gefühle sich höchstens eine Zeitlang leugnen ließen. Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Sie sollten demnächst hier sein. Der Rettungshubschrauber hat Travis’ Fundstelle inzwischen sicher erreicht.«

Als Kree keine Antwort gab, sah Ewan zu ihr hinüber. Sie hatte aufgehört, Whiskey zu streicheln, und hatte ihr Gesicht abgewandt. Ihr Blick war auf die Hügel gerichtet, die sich hinter dem Patchwork aus umgepflügtem braunen Land und frischen grünen Koppeln erhoben.

Es mochte fünf Jahre gedauert haben, bis Mutter Natur die große Trockenheit endlich beendet hatte, aber seither hatte sie den Glenalla-Distrikt mit regelmäßigen Regenfällen verwöhnt.

Er hatte so lange kein Gras mehr gesehen, dass er vergessen hatte, dass es Grün auch in anderen Schattierungen als dem trüben Oliv der Bäume gab, die in Trockenheit überleben konnten. Schon bald würde das Wintergetreide zu üppigem Leben aufsprießen, und hier würde wieder zufriedenes Vieh mit glänzendem Fell grasen.

»Nicht lange, dann wird das hier nicht mehr sein als eine schlimme Erinnerung«, sagte Ewan ruhig, während Kree weiter auf die von Sträuchern bedeckten Hügel starrte.

Die Antwort war eine bedrückende Stille.

»Kree?« Halbherzig streckte er die Hand nach ihr aus.

Sie wandte sich ihm zu, ihre Augen glänzten. »Entschuldigung. Was haben Sie gesagt?«

»Nicht lange, dann wird das hier nicht mehr sein als eine schlimme Erinnerung.«

Ewan griff nach seiner Stofftasche, bevor er noch eine Dummheit beging und die Hand nach Kree ausstreckte. Die Traurigkeit, die sich um ihre vollen Lippen abzeichnete, zerrte an ihm, auch wenn sein Kopf ihm befahl, seine Füße in den Stiefeln fest auf dem von Reifenspuren durchzogenen Boden zu lassen. Er hatte das Recht, sich zu jemandem hingezogen zu fühlen, lange verloren. Je eher Kree Garrett den Distrikt verließ, desto schneller konnte er weiter in seiner Einsamkeit Buße leisten.

»Vielleicht«, sagte Kree. Zu Whiskeys Freude kraulte sie ihm von Neuem das Fell. »Ich hatte immer vor, nach Australien zu kommen, solange Seth hier ist. Zwar sollte der Frühling dem Datum nach bereits in den Rocky Mountains angekommen sein, aber bei uns daheim ist es noch immer eiskalt. Also bleibe ich noch, um die Sonne noch ein bisschen länger genießen zu können.«

Zum zweiten Mal an diesem Morgen hielten Ewans Finger am Reißverschluss der Stofftasche inne. Er blickte nicht auf, während er sprach. »Sie … Sie bleiben noch hier?«

*

Kree Garrett betrachtete Ewans Profil. Er sah völlig ungerührt aus. Sie wünschte sich, diese Filzhüte, die die Australier trugen, hätten nicht solch breite Krempen. Alles, was sie von seinen sonnengebräunten Zügen zu sehen bekam, war die von Bartstoppeln weicher gezeichnete Linie seines Kinns. Als Künstlerin versuchte sie, hinter die Fassade zu blicken, um das wahre Wesen eines Menschen zu erfassen. Aber Ewan Mackenzie war wie ein verschlossenes Buch, es gelang ihr nicht, ihn zu lesen. Er mochte eine beruhigende Konstante in der furchtbaren Zeit gewesen sein, die auf Dons Anruf mit der Meldung, dass Seth vermisst wurde, gefolgt war, aber Kree war dem Ziel, den wirklichen Ewan hinter den ruhigen grauen Augen kennenzulernen, kein bisschen näher gekommen. Das Leben verlangte von ihr, dass sie stets die Kontrolle behielt.

»Ja, das habe ich vor«, sagte sie und machte eine Pause, um das Spiel der Muskeln unter seinem smaragdgrünen Hemd, das aus der Hose gerutscht war, zu verfolgen, während er in seiner Tasche wühlte. Nicht einmal sein breiter Rücken gab ihr den kleinsten Hinweis auf seine Gedanken. Irgendwie musste sie ihn erreichen und sich richtig bei ihm bedanken. Körperkontakt war nicht der geeignete Weg. Zwar hatte sie die halbe Kommandozentrale umarmt, um Danke zu sagen, aber als sie sich angeschickt hatte, ihn in die Arme zu nehmen, war er so steif geworden wie das Eis auf einer Canyon-Straße in Colorado. Und was den Kuss betraf, nun ja, die schlichte Geste hatte zwar in ihr ein warmes, butterweiches Gefühl hinterlassen, aber der düstere Ausdruck in seinen Augen gab ihr zu verstehen, dass er sie eher als Frosch denn als Prinzessin betrachtete.

»Maureen und Don haben alles stehen und liegen lassen, um nach Seth zu suchen«, fuhr sie fort. »Also ist es das Mindeste, was ich tun kann, wenn ich Seths Job übernehme und mich um Berridale kümmere, während sie unterwegs sind. Wie ich meinen Bruder kenne, wird es ihn nach den Tagen alleine in die glitzernde Lichterwelt von Sydney ziehen. Sally, eine Freundin unserer Familie, hat ihn eingeladen, bei ihr zu wohnen.«

Ewan warf einen kurzen Blick über die Schulter und sah sie an. »Ich kann verstehen, dass er jetzt unter Menschen sein möchte, aber ich sehe keinen Grund, warum Sie nicht auch nach Sydney fahren sollten. Nach allem, was geschehen ist, würden die Tylers das verstehen und sicher nicht verlangen, dass Sie Seths Vertrag erfüllen.«

Kree unterdrückte mit Mühe ein Stirnrunzeln. Wollte Ewan nicht, dass sie blieb? Es sollte für sie eigentlich keinen Unterschied machen, aber ein Teil von ihr – der unter Schlafentzug leidende, emotionale Teil, der befürchtet hatte, dass sie ihren Bruder verloren hätte – wollte, dass er sich darüber freute, sie länger hier zu haben. Sie war noch nicht bereit, zuzugeben, dass die Verbindung zwischen ihnen, die sie wahrgenommen hatte, eine Illusion und schlicht und einfach der Verzweiflung entsprungen war.

Sie streichelte Whiskey ein letztes Mal und löste sich von der Seitenwand des Ute. »Ja, sie verstehen es, aber obwohl Don nichts gesagt hat, merke ich doch, dass er sich Sorgen macht, weil sie nächste Woche abreisen wollen und niemanden haben, der sich um die Farm kümmert. Er spricht viel über die Schafe, die er während der Dürrezeit mit der Hand gefüttert hat und die jetzt bald Lämmer haben werden. Wie es aussieht, hat es eine Weile gedauert, um Seth als Aufpasser für die Farm zu finden, und jetzt ist es vielleicht nicht mehr möglich, beizeiten einen Ersatz zu bekommen.«

Der Reißverschluss schnarrte, als Ewan seine Tasche schloss. Mit dem Ladegerät in der Linken wandte er sich ihr zu. »Die Schafe sind die letzten, die ihm von seiner Zuchtherde geblieben sind. Würde nicht sein eigener Sohn in Griechenland Hochzeit feiern, würde er die Reise absagen.«

»Nun, ich würde liebend gern aushelfen, also werde ich mit den beiden sprechen, sobald sich die Gelegenheit ergibt.«

»Haben Sie denn keinen Job oder … jemanden, der Sie in diesen sechs Wochen vermissen würde?«

»Nein. Beides habe ich nicht. Ich schließe meine Galerie im Winter, weil so wenig Touristen unterwegs sind, und meine Nachbarn haben ein Auge auf meine Berghütte. Und was denjenigen betrifft, der mich vermissen könnte, nun, lassen Sie es uns einfach so sagen: Er hat dazu kein Recht mehr.«

In seinen Augen lag ein unbestimmbarer Ausdruck. »Ich verstehe.«

»Gut. Sobald also Seth in Sydney gut untergebracht ist, bin ich völlig frei und kann den Tylers helfen. Mrs. Butler hat mir erzählt, sie hätten eine ganz entzückende Jungziege, die der Meinung ist, sie sei ein Hund.«

»Das ist richtig. Die Ziege heißt Fudge, aber vielleicht werden Sie diese Ansicht bald noch einmal überdenken.« Ein seltenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Sie haben auch einen Cattle-Dog-Welpen namens Freckle, und zusammen stellen die beiden jede Menge Unsinn an. Kein Wunder, dass Seth Lust hatte, joggen zu gehen. Wenn ich auf die beiden aufpassen müsste, hätte ich das auch nötig.«

Kree brauchte einen Augenblick, ehe sie antworten konnte. Ewans blitzend weißes Lächeln erwies sich als ebenso ablenkend wie die von Wolken umhüllten Hügel, die sie an die Zeit erinnerten, als ihre Welt noch vollständig gewesen war. »Merkwürdig. Seth hat überhaupt keine Tiere erwähnt. Ich habe ihn immer nur von V8 Utes, Motorrädern und Frontschutzbügeln reden hören.«

»Nun ja, das sind eben die wichtigen Sachen«, sagte Ewan und nickte in Richtung seines glänzenden, silbernen Ute, von dem sie aus eigener Anschauung wusste, dass er auch innen makellos sauber war.

Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Ob in Australien oder in Amerika, Jungen lieben nun einmal ihr Spielzeug.«

Sein Lächeln wurde breiter. »Und ob sie das tun.«

»Und damit verabschiede ich mich.« Sie trat von dem Ute weg, ohne ihren Blick von seinem zu lösen. »Ewan, tun Sie nicht so, als würden wir uns nicht kennen, und kommen Sie mich besuchen. Sie wissen, wo ich die nächste Zeit verbringen werde. Bitte sagen Sie auch Travis Bescheid. Ich bin Ihnen beiden zum Dank ein Abendessen schuldig. Und ich mache einen mordsguten Pot Roast, wenn ich mich selbst einmal loben darf.«

Er legte den dunklen Kopf zurück. »Ich verspreche, ich richte Travis aus, dass er bei Ihnen zum Dinner eingeladen ist.«

Während sie davonschlenderte und den wolkenlosen Himmel nach dem Rettungshubschrauber absuchte, wurde ihr klar, dass die Chancen dafür, dass Ewan sie in absehbarer Zeit besuchen würde, nicht gut standen. Zwar hatte er zu ihrer Essenseinladung genickt, aber seine zu einem Strich zusammengepressten Lippen hatten deutlich gemacht, dass er es nur aus Höflichkeit getan hatte.

Sie widerstand dem Drang, sich umzudrehen und nachzusehen, ob er ihr hinterherschaute oder ob er schon in seinem Ute saß und an alles Mögliche, aber nicht an sie dachte. Wäre sie nicht zu ihm gegangen, hätte er die Kommandozentrale verlassen, ohne sich von ihr zu verabschieden. Da war sie sich sicher.

Sie verspürte einen schmerzlichen Stich und musste schlucken. Vermutlich machten sich jetzt der Stress und die Sorge, die Seths Verschwinden ausgelöst hatte, bemerkbar. Warum sonst sollte sie die Aussicht, Ewan nicht wiederzusehen, mit einem Gefühl der Leere und der Verlorenheit zurücklassen?

Sie beschleunigte ihren Schritt und ging zu dem provisorischen Hubschrauberlandeplatz, der auf den Sandtennisplätzen hinter der Blechhütte eingerichtet worden war. Sie hatten Seth gefunden. Lebendig. Er war nicht von einer Schlange gebissen worden und nicht dem Angriff eines wilden Schweins oder Hundes zum Opfer gefallen. Darauf allein kam es an. Nicht auf ihre Gefühle.

Sie durfte nicht zulassen, dass ihre Gefühle ihren Blick trübten oder sie daran hinderten, das Versprechen zu erfüllen, das sie vor sieben Jahren am Grab ihrer Eltern gegeben hatte. Das Leben hatte seine Methoden, es zu ahnden, wenn man nachlässig wurde und die Kontrolle verlor. Seth hatte sich dieses Jahr eine Pause zwischen Schule und Studium gewünscht, um zu beweisen, dass er für sich selbst sorgen konnte, aber sie hatte dummerweise nicht darauf bestanden, dass er sich regelmäßig meldete. Hätte sie mit ihm mehr als die vier kurzen Telefongespräche geführt, seit er bei den Tylers wohnte, hätte sie vermutlich gewusst, wohin er gern zum Joggen ging.

An dem weit gespannten blauen Himmel sah sie plötzlich Metall im Sonnenlicht blitzen. Sie blieb stehen und schirmte ihre Augen ab, um zu überprüfen, ob ihr nicht nur der dringende Wunsch, ihren kleinen Bruder wiederzusehen, etwas vorgaukelte. Wieder blitzte Metall auf. Lange unterdrückte Tränen quollen ihr in den Augen und drohten die eiserne Selbstkontrolle zunichtezumachen, an der sie so hart gearbeitet hatte. Sie schlang die Arme um ihre Brust, um das Zittern zu beruhigen, das ihren Körper schüttelte.

Sie würde ihre Eltern nicht noch einmal enttäuschen, sondern besser auf Seth aufpassen. Ihre Verantwortung für ihn war wichtiger als der Verlobte, der sie vor sechs Monaten gezwungen hatte, zwischen ihm und ihrem Bruder zu wählen. Und jetzt war die Pflicht ihrer Familie gegenüber wichtiger als dieser australische Naturbursche mit seinem zögernden Lächeln, der sie festgehalten und ihr für eine allzu kurze Zeit das Gefühl gegeben hatte, nicht allein zu sein.

*

Leticia Mackenzie lehnte ihren Kopf gegen den weiß gestrichenen Holzpfosten der Veranda des Wohnhauses von Marellen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihr Schwager nach Hause kommen würde. Ewan hatte angerufen, um sie wissen zu lassen, dass Travis den vermissten Amerikaner gefunden hatte.

Sie blickte die lange Zufahrt hinunter und wünschte sich eine Wolke aus ockerfarbenem Staub herbei. Ewan war zwei endlose Tage lang fort gewesen, und die Zwillinge vermissten ihn sehr. Heute Abend würde sie Darby nicht in den Armen halten müssen, bis er einschlief. Heute Nachmittag würde sie nicht dem Zorn von Hahn Lancelot ins Auge sehen müssen, während sie im Hühnergehege mit Braye Eier sammelte. Ewan mochte zwar nur der Onkel der fünf Jahre alten Jungen sein, aber er war mehr ein Vater für sie, als ihr eigener es je gewesen war. Und ihr selbst war er der Bruder, den sie nie gehabt hatte. Seine Freundschaft und seine Unterstützung hatten ihr den Mut zum Überleben gegeben, lange bevor sie Witwe geworden war.

Sie schloss die Augen, um das Bild des kleinen Hauses am Ende des Gartens zu verdrängen, in dem sie ihr Eheleben mit Fergus begonnen hatte. Der üppige Duft der Rosen wehte zu ihr herüber, und sie schlug die Augen wieder auf, um sich auf die Schönheit der rosafarbenen Rosen zu konzentrieren, die den Sandsteinpfad vor ihr säumten. Ihre schweren Blütenköpfe waren die letzte Pracht, die der Herbst hervorgebracht hatte. Während der Trockenperiode hatte sie darum gekämpft, die zehn Rosen am Leben zu erhalten. Sie hatte das Badewasser der Jungen und das graue Wasser aus der Waschmaschine zwischen den Rosen und ihrem kostbaren Gemüsegarten aufgeteilt, und irgendwie hatten die Pflanzen überlebt. Nie wieder würde sie Wasser als etwas Selbstverständliches betrachten.

Liebe auch nicht.

Ein Gedanke bahnte sich ungebeten seinen Weg aus ihrem Unterbewusstsein.

Sie straffte den Rücken. Heute war kein Tag für trübsinnige Gedanken, sondern ein Tag der Freude, einer, um zu feiern, dass ein Leben gerettet worden war. Sorgfältig darauf bedacht, keinen Blick auf das Gartenhaus zu werfen, ging sie die Verandastufen hinunter. Sie blickte in den Himmel und betrachtet die leuchtend blaue Fläche. Sie fühlte eine Wärme in sich aufsteigen, die nicht von der Mittagssonne stammte. Auf dem Weg zu seinem eigenen Haus, das weiter südlich lag, würde Travis über Marellen fliegen. Würde er einen Blick auf das breite Dach des Hauses und den Pool mit seinen vier Bahnen werfen?

Würde er nach ihr Ausschau halten?

Sie unterdrückte ihre Traurigkeit. Keine Chance. Sie war nicht länger ein Fang, auf den irgendein Mann scharf war.

Sie betrachtete ihre Hände, die einst die einer Städterin gewesen waren, weich und gepflegt, die jetzt jedoch aufgesprungen und schwielig waren. Ihre Mutter hätte beim Anblick ihrer stumpfen Nägel einen Herzinfarkt bekommen, ganz zu schweigen von dem, was sie zu ihrem blonden Haar ohne Highlights, das sie sich neuerdings sogar selbst schnitt, gesagt haben würde. Sie war nicht mehr die im Designer-Stil gekleidete Leticia MacTavish-West, der umschwärmte Liebling Sydneys östlicher Vorstädte. Sie war Tish Mackenzie. Witwe. Kleine Füße in Stiefeln trampelten über die Dielenbretter der hinteren Veranda. Mutter. Und das war genug. Sie war nicht mutig genug, das Leben um eine zweite Chance zu bitten.

Mit einem letzten langen Blick in den Himmel ging sie die Stufen wieder hinauf, um die Zwillinge in Empfang zu nehmen. Braye schoss um die Ecke. Sein dunkles Haar war zerzaust, an seinen Shorts und Knien klebte Schlamm, und die Füße hatte er ohne Socken in alte, braune Stiefel gesteckt. Midget, die Jack-Russell-Terrier-Dame, folgte ihm auf den Fersen, wobei ihr Hundegrinsen breit und blödsinnig glücklich wirkte. Sekunden verstrichen, ehe sich auch Darby blicken ließ. Äußerlich glich er Braye aufs Haar, doch es gab subtile Unterschiede, die bereits auf sein ruhigeres Wesen hinwiesen. Seine marineblauen Shorts und sein rotes T-Shirt waren sauber, und aus seinen geputzten Stiefeln lugten passende Socken hervor.

»Wann kommt denn Onkel Ewy?«, fragte Braye mit atemloser Stimme.

Tish zauste ihm das Haar und sah Sand auf den Boden rieseln. In einem Versuch, die Jungen abzulenken, hatte sie sie zum Spielen in den Sandkasten geschickt, den Ewan ihnen letztes Weihnachten gebaut hatte. Sie musste daran denken, ihre Stiefel auszuschütten, ehe sie nach drinnen entschlüpften, sich die Socken auszogen und das Haus in ihren Privatstrand verwandelten.

»Er wird gleich hier sein, Opossum«, sagte sie zu Braye, lächelte aber Darby an, weil sie spürte, dass er ebenfalls besorgt und aufgeregt war. Stets war es Braye, der für beide Jungen sprach.

»Wenn Ewan hier ankommt, wird er müde sein«, fügte sie hinzu. »Er wird duschen und etwas essen und dann hinten auf der Veranda in seinem Lieblingsstuhl sitzen wollen.«

Braye furchte die Stirn. »Und einen Ringkampf … Er wird einen Ringkampf machen wollen.«

Von drinnen stieg ihr der schwache Duft nach gebratenem Hühnchen in die Nase. Sie musste den Herd ausstellen, oder Ewan würde eine weitere Mahlzeit vorgesetzt bekommen, die zu lange im Ofen gewesen und trocken wie Leder war. Die exquisiten Kurse in französischer Küche, die sie in der Stadt belegt hatte, halfen ihr wenig bei der Zubereitung familientauglicher Gerichte, die beim Kochen auch ohne ständige Aufmerksamkeit auskamen.

»Hinterher will er das bestimmt.« Sie gab Braye einen Kuss auf den Kopf, nahm Darbys Hand und ging mit ihm in die Küche. Auf halbem Weg hielt sie inne und drehte sich nach Braye um. »Und ich meine hinterher. Wenn ich dich dabei erwische, dass du ihn belästigst, bevor er so weit ist, kannst du nach oben gehen und sämtliche Handtücher zusammenlegen, die du benutzt hast, um dein Zimmer in ein Fort zu verwandeln – und zwar alleine.«

Braye zog die Nase kraus, doch als Darby neben ihr nickte, wusste sie, dass Ewan für den Augenblick in Sicherheit war. Der einfühlsame Darby würde dafür sorgen, dass der impulsive Braye Ewan mindestens eine Stunde Zeit ließ, ehe dann zwei vor Freude quietschende Jungen auf ihm herumklettern würden.

Durch das Fenster in der Küchentür warf sie noch einmal einen Blick auf die Auffahrt und entdeckte dabei einen Streifen aufgewirbelten Staub.

»Ratet mal, wen ich sehe!« Sie zeigte in Richtung des Weidezauns, wo in der Ferne ein Fahrzeug erkennbar war.

Midget jagte die Verandastufen hinunter, um an der Zufahrt zu warten. Sie vermisste die Vogeljagden mit Whiskey im Garten genauso, wie die Jungen die Fußballspiele mit ihrem Onkel vermissten. Dennoch hatte der Terrier den Knochen, den Whiskey im Obstgarten vergraben hatte, innerhalb von fünf Minuten, nachdem er verschwunden war, ausgebuddelt.

Der Glanz der Sonne auf dem Blechdach des Gartenhauses sprang Tish ins Auge. Ihr Lächeln erlosch. Für gewöhnlich setzten die Erinnerungen an ihre kurze Ehe ihr nicht dermaßen zu. Das Schicksal des vermissten Backpackers und die schwindende Hoffnung, ihn lebend zu finden, hatten schwer auf ihr gelastet. Einmal mehr war ihr das Gespenst des Todes greifbar nah erschienen.

Midget bellte laut und fröhlich. Ewans silberner Ute war nun kein vager Schatten mehr, sondern ein deutlich erkennbares Rechteck. Gleich würde er das Ende des langen Zufahrtswegs erreichen und durch das Seitentor auf die Farm einbiegen. Darby ließ ihre Hand los und rannte den Pfad zwischen den Rosen entlang, um sich Braye und Midget anzuschließen, die einen Freudentanz aufführten.

Tish konnte erkennen, dass Ewan grimmig dreinblickte, als er am Weidezaun vorbeifuhr. Ihr Herz zog sich zusammen. Egal, wie oft er auf die Hupe des Ute drückte und mit seinem Hut aus dem Fenster winkte, um die Jungen, die jetzt vor Freude hüpften, zu begrüßen, sie kannte die Wahrheit.

Sie war nicht die Einzige, deren Narben nie verheilt waren.

2

»Schwesterherz, hörst du jetzt mal auf, mich wie eine Glucke zu bemuttern?«

Kree klopfte Seths Krankenhauskissen auf und stopfte es ihm in den Rücken. Sie setzte sich neben ihm auf das Bett, wobei sie Acht gab, nicht an seinen bandagierten Arm zu stoßen.

»Bist du sicher, dass dir nichts fehlt?«

»Mir geht’s prima.« Seth lächelte, aber sein Versuch, sie zu beruhigen, wurde von den scharfen Linien in seinem Gesicht konterkariert. »Ehrlich, das kannst du mir glauben.«

Kree runzelte die Stirn und griff nach seiner knochigen rechten Hand. Seine Teenagerzeit hatte sie gelehrt, dass er ein Meister der geknurrten Ein-Wort-Aussagen und Untertreibungen war. Das Wort »prima« konnte genauso gut bedeuten: »Ich falle gleich in Ohnmacht.«

»Ich habe dich schon in besserem Zustand gesehen.«

Sie betrachtete seine erschöpften Züge. Trotz der zehn Jahre, die zwischen ihnen lagen, waren sie unverkennbar Geschwister. Beide hatten das braune Haar ihres Vaters und die mitternachtsblauen Augen ihrer Mutter geerbt, aber damit endeten ihre Ähnlichkeiten auch schon. Kree hatte keine Ahnung, von welchem entfernten Vorfahren Seth seine Impulsivität und seinen starken Willen geerbt hatte. Ihre sanftmütigen, geduldigen Eltern waren zufrieden gewesen, wenn sie stundenlang stillsitzen und malen konnten. Aber dieselben Eigenschaften, die dazu geführt hatten, dass Seth sich verirrt hatte, hatten auch zu seiner Rettung beigetragen. Stur hatte er sich an der Hoffnung festgehalten, dass man ihn finden würde.

»Ich weiß, ich sage das nicht zum ersten Mal«, murmelte Seth mit leiser Stimme. »Aber es tut mir wirklich leid. Ich habe nicht nachgedacht. Ich bin einfach joggen gegangen, ohne irgendwem zu sagen, wohin ich will.«

»Ist schon gut. Du lebst, und das ist, was zählt.« Kree hob seine Hand, die in ihrer lag, und küsste sie. »Ich weiß, du willst in Sydney am »City2Surf«-Lauf teilnehmen, also ist es nur verständlich, dass du dich fit halten willst. Wenigstens warst du so vernünftig, Wasser und etwas zu essen mitzunehmen, als du losgelaufen bist.«

Er machte ein zerknirschtes Gesicht. »Das war eher Faulheit – ich hatte meinen Rucksack nicht leergeräumt.« Behutsam befreite er seine Hand aus ihrer. Er griff nach einem Zipfel des weißen Bettlakens und zog nervös daran. »Ich bin der Erste, der zugibt, dass ich Don oder Maureen hätte sagen sollen, wo ich hinwollte. Ich hätte auch nicht so dumm sein sollen, über diesen umgestürzten Baum zu springen, als sei ich Superman.«

»Stimmt. Ich erinnere mich dunkel an einen Vorfall, bei dem du in der Einkaufsstraße von Denver einen Bocksprung über einen Pfosten gemacht hast, woraus du nicht gerade als strahlender Sieger hervorgegangen bist. Ich dachte, ich würde nie im Leben Nichten oder Neffen bekommen.«

Seth verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Mann, das hat wehgetan. Aber zu meiner Verteidigung muss ich anführen, dass ich erst vierzehn war und dachte, meine Beine wären lang genug, um den Sprung zu schaffen.«

Kree musste schlucken, weil Seths ausgehöhlte Wangen ihr ins Gedächtnis riefen, wie nah sie diesmal daran gewesen war, ihn zu verlieren. Seths Sprung über den umgestürzten Baum hatte dazu geführt, dass die Steine am Flussufer ins Rutschen geraten waren. Als der Boden nachgegeben hatte, war Seth samt Baum in das ausgetrocknete Flussbett hinuntergeglitten und unter dem Schotter begraben worden. Es war ihm gelungen, seine Beine zu befreien, aber sein linker Arm blieb eingeklemmt. Lediglich das helle Aufblitzen des roten Rucksacks, den er an einen Zweig gehängt hatte, hatte Travis auf ihn aufmerksam gemacht. Gott sei Dank hatten die beiden Wasserflaschen dafür gesorgt, dass er nicht dehydriert war, und dank des zerdrückten Apfels und der halben Packung Müsliriegel hatte er auch etwas zu essen gehabt.

Sie schob sich ein wenig näher zu ihm, bis ihr Arm den seinen berührte. Die Wärme seiner Haut brachte die Überreste der eisigen Furcht, ihn nicht wiederzusehen, zum Schmelzen.

»So, Superman«, neckte sie ihn und versetzte ihm einen sanften Stoß mit der Schulter. »Wenn du dann mal aufhörst, über hohe Gebäude oder umgefallene Bäume zu springen, überlebst du mit Sicherheit auch deine Auszeit.«

»Aber wird die auch mich überleben?«

»Aber sicher doch. Ende gut, alles gut. Um die Farm der Tylers kümmere ich mich.«

Seth reckte das Kinn. »Ich habe dieses Chaos angerichtet. Ich muss bleiben und es wieder in Ordnung bringen.«

»Normalerweise würde ich dir zustimmen, aber dieses Mal ist es okay. Ich habe zu Hause nichts, was dringend auf mich wartet. Maureen hat mir alles erklärt, was ich wissen muss, und versprochen, Notizzettel zu hinterlegen. Ich habe meinen Skizzenblock mitgebracht und freue mich auf die Entspannung, von der du immer gesagt hast, ich hätte sie dringend nötig.«

Seths Kinn blieb gereckt.

»Und die freie Zeit gibt mir außerdem die Chance, mir etwas Besonderes auszudenken, um mich bei den Leuten aus Glenalla zu bedanken.« Kree griff wieder nach seiner Hand. »Du fährst nach Sydney, ruhst dich aus und lässt deinen Arm ausheilen. Sally kann es kaum noch erwarten, dich herumzuführen. Sie hat auch eine Landschaftsgärtnerei erwähnt, die eine Aushilfe brauchen könnte, wenn du so weit bist. Und ich kümmere mich um die Dinge hier. Fahr los, und genieß dein freies Jahr.«

Er lehnte sich kurz an ihre Schulter. »Danke.«

Als kleiner Junge hatte er sich an sie geklammert, als ihre Welt in Stücke gebrochen war, nicht nur einmal, sondern zweimal. Zuerst, als ein plötzlicher Herzstillstand ihnen die Mutter geraubt hatte. Und zum zweiten Mal, als ein Auto, das auf einer vereisten Straße ins Schlingern geraten war, ihnen den Vater genommen hatte.

Sie drückte seine Finger, ehe sie seine Hand losließ. »Aber gewöhn dich nicht daran, dass ich hinter dir aufräume. Das hier ist eine einmalige Sache, verstanden?«

»Voll und ganz.« Er hob eine seiner dunklen Brauen. »Bedeutet das, dass Bungee-Jumping in Neuseeland noch nicht vom Tisch ist?«

Kree öffnete den Mund, sagte aber nichts. Der Kontrollfreak in ihr mochte eine Abneigung gegen jegliches Risiko hegen, aber Seth musste sich dem Leben, das er fast verloren hatte, wieder stellen. Sein Jahr Auszeit war seine Chance, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, herauszufinden, wer er war, und seine ruhelosen Flügel auszubreiten. Selbst wenn das bedeutete, dass er sich an etwas band, das nicht mehr als ein dickes Gummiband war, und dann von einer Brücke sprang.

»Sicher doch. Aber hinterher erzählst du mir davon.«

Sein vertraut freches Grinsen verscheuchte die Reste der Furcht aus ihrem Herzen.

Er griff nach dem Hochglanzmagazin, das hinter ihm lag. »Hat deine Absicht, länger in Australien zu bleiben, etwas mit Rays Versuchen zu tun, dich zurückzugewinnen?«

»Nicht im Geringsten. Ich habe mehr als deutlich gemacht, dass ich mit ihm fertig bin. Unsere Beziehung war lange zu Ende, bevor sie offiziell beendet wurde.«

»Ich habe ihn nie leiden können.«

Kree unterdrückte ein Lächeln. Der zugeknöpfte Ray hatte zu ihrem energiegeladenen Freigeist von kleinem Bruder nie einen Zugang gefunden. »Wer hätte das gedacht? Ich glaube nicht, dass Ray sich je davon erholt hat, dass du ihm einen Pfeil in seine Aktentasche aus italienischem Leder gefeuert hast.«

»Das war keine Absicht.«

»Natürlich nicht, aber deine Zielscheibe so nah am Haus aufzubauen war nicht gerade die beste Idee, die du je hattest. Du hättest auch ein Fenster treffen können.«

»Ich habe doch gar nicht aufs Haus gezielt …«

»Seth Garrett!«

Er grinste. »Ich mache nur Spaß. Ich wusste nicht, dass Ray seine Aktentasche auf dem Tisch auf der Veranda liegen gelassen hatte, auch wenn sie natürlich ein perfektes Ziel abgab. Großes Ehrenwort.«

Kree stand auf. »Nun ja, wenigstens brauchst du dir jetzt keine Sorgen mehr darum zu machen, dass Ray dir Vorträge über den Fünf-Jahres-Plan hält, den du machen solltest. Eine wertvolle Lektion hat er mir allerdings erteilt: In meinem Leben ist nur Platz für einen Mann.« Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. »Für dich.«

Er verzog das Gesicht, aber der Ernst in seinen Augen signalisierte ihr, dass er gegen ihre Zuneigung nicht wirklich etwas einzuwenden hatte.

Der Essenswagen ratterte draußen über den Gang. Kree stopfte ihr weißes T-Shirt zurück in den Bund ihrer Jeans und fischte ihren Rucksack hinter dem Stuhl hervor, der neben dem Bett stand. Die Handtasche, die sie für gewöhnlich benutzte, stand noch auf der Küchenbank in ihrer Berghütte, daheim in Elk Falls. Als sie aufgebrochen war, hatte sie nur rasch das Nötigste zusammengerafft.

»Ich lasse dich in Ruhe essen und fahre in der Zwischenzeit ins Motel und checke dich online ein. Es sind nur noch gut vierundzwanzig Stunden bis zu deinem Flug nach Sydney.« Sie zögerte. »Ich weiß, Sally holt dich vom Flughafen ab, aber bist du wirklich sicher, dass ich nicht mit dir fliegen soll?«

»Danke, aber du bist gerade um die halbe Welt geflogen, und ich weiß, wie schlecht dir vom Fliegen wird. Außerdem hat Ewan gesagt, dass die Fluggesellschaft jetzt größere Flugzeuge einsetzt und der Flug nur noch vierzig Minuten dauert.«

»Ewan?« Ohne dass sie es bemerkte, glitt ihr der Riemen ihres Rucksacks von der Schulter. Sie schaffte es gerade noch, ihn aufzufangen, ehe er auf den Boden prallte. »Hat er dich angerufen?«

Seth blätterte durch seine Autozeitschrift. »Nein, er und Travis haben mich gestern besucht, nachdem diese Zeitungsreporter weg waren. Du warst schon gegangen, um Sally anzurufen.« Seth hielt das Magazin in die Höhe. »Ewan hat mir das hier mitgebracht.«

Kree schluckte, doch bevor sie es verhindern konnte, war ihr die Frage bereits entschlüpft: »Hat … Hat Ewan etwas davon gesagt, dass er und Travis bei mir zum Abendessen eingeladen sind?

Seth schüttelte den Kopf. Seine Aufmerksamkeit richtete sich voll und ganz auf das Bild eines schlammbedeckten Ute. »Wir haben uns über Autos unterhalten, über Frontschutzbügel und das Ersatzteil für den Airseeder. Um das abzuholen, sind sie nämlich nach Dubbo gekommen.«

Sie versuchte, den Stich zu ignorieren, den ihr die Enttäuschung versetzte. Es war gut, dass Ewan sich nicht für sie interessierte. Jetzt wusste sie, dass das Band, von dem sie geglaubt hatte, dass es zwischen ihnen bestünde, nur der gemeinsamen Suche zuzuschreiben war. Dieses Band existierte im normalen Leben einfach nicht. Sie warf sich den Rucksack über die Schulter und wandte sich zur Tür. Nun konnte sie sich wieder der Realität zuwenden und sich um ihren Bruder kümmern.

»Moment mal …«, rief Seth ihr hinterher. »Er hat mich gefragt, ob du kochen kannst!«

3

Ewan lehnte sich an den Türrahmen im Zimmer der Zwillinge. Er war von den Koppeln zurückgekommen, hatte sich rasch unter die Dusche gestellt und half nun Tish, die Jungen ins Bett zu bringen.

Braye winkte ihm mit beiden Armen und zog das Gesicht, mit dem er ihn normalerweise dazu aufforderte, mit ihm zu ringen. Ewan unterdrückte ein Grinsen und schüttelte den Kopf. Beim geringsten Hinweis auf Spaß würde Braye wie ein Bumerang wieder aus dem Bett schnellen, und das, nachdem Tish zehn Minuten gebraucht hatte, um ihn hineinzubekommen. Wenn es kein letztes Glas Wasser war, das der Fünfjährige brauchte, dann waren es sein Lieblingsbär oder der Spielzeugtraktor, den er unten vergessen hatte. Im Gegensatz dazu lag Darby schon im Bett, hatte sich die Decken ordentlich bis ans Kinn hochgezogen und hielt seinen Bären in der Beuge seines kleinen Arms.

Tish beugte sich hinunter, um die handgefertigte Überdecke um Braye herum festzustopfen, und Ewan nutzte den Moment der Ablenkung aus, um Darby zuzuzwinkern, der ihm mit ihrem speziellen Zwinkern antwortete. Darby mochte zwar zögerlich mit Worten umgehen, aber mit nonverbaler Kommunikation hatte er keinerlei Probleme.

Unter seinen verschränkten Armen spürte Ewan den beschleunigten Schlag seines Herzens. Wie er diese Jungen liebte! Ihre Energie, ihr Übermut und ihre festen Umarmungen waren während der Turbulenzen der letzten drei Jahre sein Rettungsanker gewesen. Zu müde, um etwas zu empfinden, zu beschäftigt, um nachzudenken, hatte er sein Leben der Fürsorge für die Kinder seines Bruders gewidmet, und im Gegenzug hatten sie ihm einen Grund gegeben, weiterzuleben.

Nachdem sie Darby auf die Wange geküsst hatte, richtete Tish sich auf und blickte hinüber zu Braye, der nun still dalag. Dann ging sie zur Tür, um das Licht auszuschalten. Der goldene Schein aus dem Flur fiel in das Zimmer, dessen Wände mit grünen und roten Traktoren verziert waren. Tish schlüpfte rasch hinaus, und Ewan beendete das abendliche Ritual.

Er stieß sich vom Türrahmen ab, breitete die Arme aus und ging zu Brayes Bett. Sosehr er sich auch dagegen sträubte, Braye war stets der Erste, der einschlief. Bei der Menge an Energie, die er tagsüber verbrauchte, war das kein Wunder. Ewan drückte Braye einen Kuss auf die glatte Stirn und bekam ein gemurmeltes »Hab dich lieb« zur Antwort.

Dann ging Ewan hinüber zu Darby, wobei er aufpasste, nicht über die Autos zu stolpern, die in Reihen auf dem mit Straßen bedruckten Spielteppich zwischen den Betten geparkt waren. Darby sah ihn durch die Dunkelheit mit großen Augen an, ohne mit der Wimper zu zucken. Ewan zögerte. Seine Gefühle rissen und zerrten an ihm wie die Strömung der Tiefsee. Er zwang sich, weiterzugehen. Es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Darby, Braye und Tish ein Zuhause hatten. Er hatte auch finanziell für sie Vorsorge zu treffen und wollte ihnen ein Erbe hinterlassen, das nicht von Schulden belastet war. Die Größe von Marellen mochte ihn zu einem Mann machen, der reich an Besitz war, doch die Trockenheit hatte dafür gesorgt, dass er arm an flüssigem Kapital war. Er musste einen Weg finden, um das von Problemen geplagte historische Anwesen wieder rentabel zu machen.

Ewan küsste Darby auf die warme Stirn. Tish musste ihm das Haar gewaschen haben, denn er duftete nach grünen Äpfeln.

»Hab dich lieb.«

»Hab dich auch lieb, Darbster«, sagte er mit rauer Stimme.

Langsam richtete er sich auf und nutzte das gedämpfte Licht, um sich kurz zu sammeln. Vor Tish durfte er sich seine Sorge nicht anmerken lassen. Sie machte sich selbst viel zu viele Sorgen. Ihre finanziellen Schwierigkeiten waren weder ihr Problem noch ihre Verantwortung, und auch ihre wohlhabende Familie gingen sie nichts an. Ewan folgte ihr in den Flur und drehte sich um, um einen letzten Blick auf die Jungen zu werfen.

Tish lachte leise. »Kommt es mir nur so vor, oder ist Braye mittlerweile schlauer als ich? Er hat einfach auf alles eine Antwort.«

Ewan bedeutete ihr, ihm in die Küche voranzugehen. »Ich sehe eine brillante Laufbahn als Jurist vor ihm.«

»Na wunderbar«, warf ihm Tish über die Schulter zu. »Meiner Mutter sage ich das aber besser nicht, sonst schreibt sie ihn umgehend auf der juristischen Fakultät ein. Sie wünscht sich verzweifelt jemanden, der die Familientradition fortsetzt.«

Das schrille Kreischen des Rauchalarms in der Küche gellte durch die Stille der Nacht.

»Das darf ja wohl nicht wahr sein!«, rief Tish und fuhr sich mit den Händen durch ihr feines, hellblondes Haar. »Und das, nachdem bis jetzt alles so gut gelaufen ist!«

Sie spurtete durch den Flur, wobei das marineblaue Männerhemd, das sie zur Gartenarbeit trug, hinter ihr herwehte.

Ewan ließ sich Zeit, da er wusste, dass er kein Feuer vorfinden würde – nur ein verkohltes Abendessen. Als Tish mit ihren zwei Jahre alten Zwillingen ins Haupthaus umgezogen war, hatte sie darauf bestanden, das Kochen zu übernehmen. Aber wenn sie mit der Versorgung der Kinder oder mit Gartenarbeit beschäftigt war, ließ sie häufig einen Topf zu lange auf dem Herd stehen oder öffnete den schäumenden Geschirrspüler zu früh. Die Sirene des Rauchalarms war dadurch bald ein so vertrautes Geräusch geworden, dass die beiden Jungen sich davon nicht einmal mehr in ihrem Schlaf stören ließen.

Das durchdringende Schrillen brach abrupt ab, und der bittere Gestank nach verbrannter Milch wallte ihm entgegen. Ewan ignorierte das Knurren seines Magens. Wenn das Abendessen ruiniert war, würde er eben ein paar Rühreier für sie beide braten. Es spielte keine Rolle, was sie aßen, das Gespräch, das er lieber vermieden hätte, würde so oder so stattfinden.

Als er gestern aus Dubbo nach Hause gekommen war, hatte er das Bohrloch auf der hinteren Koppel überprüft. Heute hatte er sich vom Haus ferngehalten und den kaputten Zaun an der westlichen Grenze der Farm repariert. Die unausgesprochenen Fragen und die Neugier in Tishs Augen waren trotzdem nicht verloschen. Sie würde alles über die Fahrt nach Dubbo und vor allem über die mysteriöse Amerikanerin wissen wollen. Aber auch wenn er seine Schwägerin wie eine Schwester liebte, war er nicht bereit, mit ihr über Kree zu sprechen.

Die Sorge, dass er Kree im Krankenhaus über den Weg laufen würde, wenn er Seth besuchte, hatte sich als unbegründet erwiesen. Seit sie sich in der Kommandozentrale voneinander verabschiedet hatten, redete er sich ein, dass er in sein normales Leben zurückkehren könne. Das Letzte, worüber er sich Gedanken machen sollte, war sie. Aber es machte keinen Unterschied, wie hart er körperlich arbeitete oder wie lange er aufblieb, er konnte die Erinnerung an ihr süßes Lächeln oder den fröhlichen Klang ihres Lachens einfach nicht verdrängen. Er musste der Anziehung widerstehen, die sie auf ihn ausübte. Es spielte keine Rolle, wie lange sie noch in Australien oder sogar im benachbarten Berridale bleiben würde, er hatte eine Frau wie sie nicht verdient – nicht nach dem, was er getan hatte.

Tish tauchte in der Küchentür auf. Ihre Wangen waren gerötet, und sie lächelte ihn schuldbewusst an. »Du kannst jetzt reinkommen, es besteht keine Gefahr mehr. Ich hatte die weiße Sauce für die Lasagne auf der Herdplatte gelassen. Ich wünschte, diese Platten würden sich nach einer Weile von selbst ausschalten, so wie dieses Bügeleisen, das du mir gekauft hast.«

Ewan legte den Arm um ihre schmalen Schultern und drückte sie kurz an sich. »Ärger dich nicht, wir essen ein andermal Lasagne. Das Fleisch schmeckt auch auf Toast gut. Und ansonsten kann ich uns auch Rühreier machen.«

»Wir hatten doch erst gestern Rühreier.«

»Dann essen wir eben noch mal welche. Ich habe so einen Hunger, ich würde sogar deine verbrannte weiße Sauce essen.«

Tish kicherte und ging vor ihm in die Küche, die das Herz des Hauses bildete. Wenn sie nicht gerade mit Rauch gefüllt war, duftete der großzügig geschnittene Raum nach frischem Brot, Honig und Zitronen. Tish liebte ihren Gemüsegarten und den Obstgarten. Der Kühlschrank war stets mit selbst angebauten Produkten gefüllt, und die Obstschale quoll über vor frischen Früchten. Die Zwillinge mussten die letzten Orangen gepflückt haben, denn er hatte eine verformte Orange, die Braye als Fußball benutzt hatte, auf dem Rasen gefunden.

Gemeinsam machten Ewan und Tish sich daran, die Rühreier und den Toast zuzubereiten. In friedlichem Schweigen aßen sie, bis Tish ihre Gabel auf halbem Weg zum Mund stoppte und ihm über den Tisch hinweg einen Blick zuwarf. »Ich wollte dich noch fragen, wie es mit Travis in Dubbo war. Du freust dich sicher, ihn wieder um dich zu haben.«

»Ja, es hat zwar lange genug gedauert, aber jetzt ist er endlich zur Vernunft gekommen und hat eingesehen, dass es auf der Welt nicht noch einmal einen Ort wie New South Wales gibt. Und was die Tatsache betrifft, dass er die Farm gekauft hat, auf der ich aufgewachsen bin, könnte mich nichts glücklicher machen.« Ewan machte eine Pause. »Und die Fahrt nach Dubbo ist gut gelaufen. Das Ersatzteil, das ich brauchte, um die Hydraulikpumpe des Airseeders zu reparieren, ist geliefert worden, und wir haben Seth im Krankenhaus besucht.«

»Ich hoffe, es geht ihm gut.«

»Das tut es. Er ist dünn, und sein Arm ist arg mitgenommen, aber wenn man bedenkt, dass er fast zwei Tage lang unter einem Baum eingeklemmt war, kann er von Glück sagen, dass er noch unter uns ist.«

Tish schauderte. »Ich kann mir kaum vorstellen, was er und seine Schwester durchgemacht haben. Ich bin schon fix und fertig, wenn Braye beim Versteckspielen ein bisschen länger versteckt bleibt.«

»Sie muss völlig verzweifelt gewesen sein, aber ich denke, es hat ihr geholfen, etwas tun zu können.«

»Travis hat erzählt, dass sie die Kommandozentrale kaum verlassen hat.«

»Und wenn, dann hat sie es nur getan, um sich bei Amanda Butler schnell zwei Stunden aufs Ohr zu legen.«

Tishs grüne Augen trafen die seinen. »Amanda hat mich heute wegen der Mohnsauce angerufen, die ich für sie machen soll. Sie hat mir erzählt, dass die Schwester umwerfend aussieht und einige gebrochene Herzen hinterlassen wird.«

Ewan legte seine Gabel zur Seite und ließ sich mit der Antwort Zeit. Kree gehörte ihm nicht, und sie würde ihm nie gehören, aber trotzdem spürte er einen Stich der Eifersucht bei dem Gedanken, dass sie irgendwann unvermeidlich zu irgendwem anders gehören würde. »Umwerfend aussehen tut sie vielleicht, aber sie reist bald ab. Und selbst wenn sie das nicht täte – sie spielt nicht in derselben Liga wie wir Jungen vom Land.«

Gilt das auch für Travis? Tish brauchte ihre Frage nicht laut auszusprechen. Ihre Sorge, Travis könnte sein schüchternes Herz an die schöne Fremde verloren haben, stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.

»Oder besser: Manche von uns spielen nicht in derselben Liga wie sie«, fuhr Ewan mit einem beruhigenden Lächeln fort. »Travis könnte jede haben, die er will, aber er ist mit seiner neuen Farm verheiratet. Wenn du ihn fragen würdest, welche Haarfarbe sie hat, er hätte keinen Schimmer.«

Tishs Züge entspannten sich. Sie war sichtlich erleichtert, aber sie aß nicht weiter. »Und was ist mit dir?«, fragte sie ruhig. »Ist dir ihre Haarfarbe aufgefallen?«

Ewan kämpfte gegen die aufsteigende Hitze, von der er wusste, dass sie sich als dunkle Röte in seinem Gesicht zeigen würde, und bemühte sich um Gleichmut. »Wenn du mich so fragst, ja, sie ist mir aufgefallen. Sie hat braunes Haar, genau wie ihr Bruder.« Er spielte mit seiner Gabel. »Aber sie spielt definitiv in einer anderen Liga als ich, und außerdem bin auch ich mit meiner Farm verheiratet.«

Tish ließ ihren Blick auf seinem Gesicht ruhen, bevor sie endlich wieder zu essen begann. »Du und Travis, ihr seid hoffnungslose Fälle. Es gibt im Leben doch noch mehr als Rinder und Maschinen.« Ihre Augen funkelten. »Eines Tages mache ich meine Drohung wahr und melde dich bei einer Partnervermittlung im Internet an. Maddy Palin hat sich inzwischen mit dem Typen verlobt, den sie bei ›Ländliche Herzen‹ kennengelernt hat.«

Ewan prustete. »Die Welt ist einfach noch nicht bereit für zwei ländliche Romeos namens Travis Sinclair und Ewan Mackenzie.«

Sie stimmte in sein Lachen ein, aber Ewan hatte den wehmütigen Ausdruck, der vorher über ihr Gesicht gehuscht war, trotzdem bemerkt. Niemand war glücklicher gewesen als Tish, als Travis zurückgekehrt war. Ewan musste einfach alles tun, um für eine Gelegenheit zu sorgen, bei der die alten Freunde zusammenkommen und mehr als zwei Worte miteinander wechseln konnten. Krees kleine Dinnerparty würde dafür die ideale Umgebung bieten, und er wäre ein Idiot, wenn er diese Chance nicht nutzen würde. Auf seinen Selbstschutz konnte er dabei leider keine Rücksicht nehmen.

»Nur um zu beweisen, dass wir doch keine völlig hoffnungslosen Fälle sind – Travis und ich haben tatsächlich eine Einladung zum Dinner bekommen.«

Tish hörte auf zu kauen: »Einladung zum Dinner?«

»Ja, Kree hat uns einen Pot Roast versprochen, um sich dafür zu bedanken, dass wir geholfen haben, Seth zu finden.«

»Das ist nett. Ich weiß, wie unermüdlich ihr beide nach ihm gesucht habt. Werdet ihr hingehen?«

Ewan strich sich mit der Hand übers Kinn. »Um ehrlich zu sein, ich hatte es nicht vor, aber als ich die Einladung gestern auf dem Heimweg erwähnt habe, meinte Travis aus irgendeinem Grund, das sei doch eine tolle Idee. Ich habe aber bisher noch nicht zugesagt.«

Tish legte ihr Messer und ihre Gabel nebeneinander auf ihren Teller und signalisierte damit, dass sie mit dem Essen fertig war, obwohl ihr Teller noch nicht leer war. »Ich finde auch, dass es eine tolle Idee ist. Ihr habt sicherlich einen fabelhaften Abend.«

Sie stand auf.

»Tish«, sagte er in das plötzliche Schweigen hinein. »Ich habe Travis gesagt, dass ich nur hingehe, wenn du auch mitkommst.«