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Alissa Callen

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Beschreibung

Seit Monaten hat es im Outback nicht geregnet, und Banora Downs steht vor dem Ruin. Paige würde alles tun, um die Farm ihrer Familie zu retten - sogar einen versnobten Städter als zahlenden Gast aufnehmen. Ihre Abneigung lässt Paige Tait dennoch deutlich spüren - bis sie merkt, dass er ihr längst eine große Hilfe ist und dass sie gerne in seiner Nähe ist. Als er jedoch anfängt, jede Menge Fragen zu stellen, wird Paige misstrauisch: Welches Geheimnis verbirgt Tait? Und warum ist er wirklich in Glenalla?

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Seitenzahl: 440

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

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Über dieses Buch

Titel

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Über die Autorin

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Impressum

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Über dieses Buch

Seit Monaten hat es im Outback nicht geregnet, und Banora Downs steht vor dem Ruin. Paige würde alles tun, um die Farm ihrer Familie zu retten – sogar einen versnobten Städter als zahlenden Gast aufnehmen. Ihre Abneigung lässt Paige Tait dennoch deutlich spüren – bis sie merkt, dass er ihr längst eine große Hilfe ist und dass sie gerne in seiner Nähe ist. Als er jedoch anfängt, jede Menge Fragen zu stellen, wird Paige misstrauisch: Welches Geheimnis verbirgt Tait? Und warum ist er wirklich in Glenalla?

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Alissa Callen

Eine Liebeim Outback

Aus dem australischen Englischvon Irene Anders

1

»Falls dieser Bursche aus der Stadt nicht zufällig mit den Regengöttern auf Du und Du ist, werde ich ihn auf keinen Fall auf Banora Downs herumführen.«

Paige Quinns ruhige, wohl erwogene Worte fielen wie der so dringend benötigte Regen in die Stille, die im Büro ihres Vaters herrschte.

»Ich weiß, wie hart du arbeitest, wie viel du zu tun hast, aber ich habe mein Wort gegeben, dass dieser Mann hier bei uns übernachten kann.« Zeichen der Anspannung zeigten sich auf Connor Quinns zerfurchten Zügen. Unter dem rot karierten Baumwollstoff seines besten Hemds wölbten sich seine kräftigen Schultern. »Possum … es tut mir leid.«

Sie knetete ihren Akubra-Hut mit festem Griff. Sie hatte die letzten zwei Wochen hungrige Rinder über die große Weidefläche getrieben. In Zeiten wie diesen kam es ihr vor, als wäre ihr Vater um ein Jahrzehnt gealtert.

»Ist schon gut, Dad. Du hast das Schicksal nicht in der Hand. Das Leben ist nicht fair.«

Ihrem liebevollen Tonfall gelang es nicht, etwas Farbe in die hohlen Wangen ihres Vaters zurückzubringen. Sie wussten beide, dass es nicht der endlose, glühend heiße Sommer war, von dem sie sprach.

»Wir können es schaffen. Wir können überleben.« Zuversicht hallte in ihren Worten wie das Geräusch ihrer Schritte auf den Bodendielen, als sie sich dem Schreibtisch ihres Vaters näherte. »So wie wir es immer getan haben. Nur wir beide.« Sie legte ihren Hut auf das abgeschabte Mahagoni. »Wir sind nicht auf das Geld von irgendeinem zahlenden Gast angewiesen.«

Sie hätte genauso gut zu einer der Gartenskulpturen sprechen können, die jetzt über das alte Werkzeug im Schuppen wachten, statt sich über üppig grünem Rasen und duftenden Blumenbeeten zu erheben. Das Einzige, was sich in der Miene ihres Vaters bewegte, war sein Blick, der von ihrem Gesicht hinunter auf ihren Filzhut wanderte. Sie trat von einem Fuß auf den anderen. Der von der Sonne ausgeblichene Hut musste geradezu tadellos wirken im Vergleich zu ihrer übrigen zerrauften Erscheinung. Ihr verblichenes smaragdgrünes Hemd strotzte vor ockerfarbenem Staub, und ihre Jeans waren so steif, dass sie von alleine in die Wäsche hätten laufen können.

Ihr Vater senkte seine Hände auf die beiden stählernen Radkränze an seinen Seiten. Die Sehnen seiner Unterarme zuckten, während er seinen Rollstuhl hinter dem Schreibtisch hervormanövrierte und vor ihr zum Halten brachte. »Doch, wir brauchen das Geld. Wir haben seit fünf Jahren keine Getreideernte mehr gehabt. Es sind nicht mehr viele Rinder übrig, die wir verkaufen können.«

Sie riss sich zusammen, damit sich auf ihrem Gesicht nicht abzeichnete, wie wenig sie in Wirklichkeit übrig hatten.

»Diese Trockenperiode hat uns schwer getroffen. Wir brauchen Geld, um zu essen … um zu leben.«

Sie schluckte ihren Hunger herunter. Die kümmerliche Scheibe Toast, die sie bei Sonnenaufgang an ihrem Lagerfeuer gegessen hatte, war nicht viel mehr als eine schwache Erinnerung.

»Wir werden uns schon durchschlagen. Du weißt doch, wie es mit dem letzten Wichtigtuer aus der Stadt gelaufen ist. Er hat dreimal am Tag geduscht und den gesamten Tank leer gemacht. Ganz zu schweigen von unserer Telefonrechnung, weil sein Handy keinen Empfang hatte. Oder der Tag, an dem er eine Wanderung machen wollte und wir einen verdammten Suchtrupp losschicken mussten …« Sie kniete nieder und nahm die Hände ihres Vaters in die ihren. »Dieser Mann wird genauso sein. Er wird uns nichts als Probleme bereiten. Wir haben kein Benzin, um ihn in die Stadt zu kutschieren. Und für seinen Hummer und seinen Kaviar haben wir kein Geld.«

»Falls das einen Unterschied macht«, ließ sich eine tiefe Stimme von der Tür in ihrem Rücken vernehmen. »Ich bin allergisch gegen Meeresfrüchte.«

Paige erstarrte. Nur der feste Griff ihres Vaters hinderte sie daran herumzufahren. »Paige«, murmelte ihr Vater, als wäre sie wieder sechs Jahre alt, »sei nett.« Ein Funken Humor blitzte in seinen Augen auf. »Wir wollen, dass unser Gast mit schönen Erinnerungen abreist, nicht mit einem Arm in Gips, okay?«

Sie zog eine Braue hoch. »Du erinnerst dich ja wohl noch daran, dass Cousin Charles ganz von selbst von dem Baum gefallen ist, oder etwa nicht?«

Ihr Vater zwinkerte ihr zu und lockerte den Griff seiner Hände. Sie richtete sich auf, fuhr auf den Absätzen herum und sah einen hochgewachsenen Mann in den Raum treten. Sie blickte in Augen, die so blau waren wie das Wasser, das sie in ihren Träumen verfolgte. Eine Nanosekunde lang versank sie in dieser kühlen, klaren Tiefe. Dann traf sie der Duft des Fremden. After Shave der obersten Preisklasse. Handgearbeitetes Leder. Geld. Drei Dinge, die ihrer Welt so fremd waren wie Staub, Wassermangel und Verzweiflung der seinen.

Es zählte nicht, dass das Geld, das es kostete, sein dichtes dunkles Haar großstädtisch kurz zu halten, sie mehrere Tage lang ernährt hätte. Es zählte nicht, dass die Muskeln, die unter dem feinen Gewebe seines blauen Batisthemds spielten, genau das waren, was sie zum Reparieren des kaputten Zauns gebraucht hätten. Dieser zahlende Gast war nicht willkommen. Das Outback war kein Ort für Menschen, die keine Erfahrung, dafür umso mehr Leichtsinn mitbrachten. Schon gar nicht, wenn es keinen Regen gab. Alles war durstig und kurz vor dem Explodieren. Das Vieh. Die Schlangen. Die Menschen. Unter keinen Umständen konnte dieser Mann über das Wochenende hierbleiben.

Er stand vor ihr und streckte ihr seine Hand hin. »Tait Cavanaugh.«

Sie hob den Arm, der sich anfühlte, als hinge ein schweres Gewicht daran. »Paige Quinn.«

Seine saubere, glatte Handfläche rieb über ihre schmalere, die von der Arbeit rau war. Ein Lächeln füllte seine Augen mit Lachen und Licht. Sie zog ihre Hand weg. Solange der Charme dieses Mannes nicht für Regen sorgte, war sein Hundert-Watt-Grinsen so nützlich wie Pfennigabsätze auf einer Rinderkoppel.

Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung Connor. »Ich nehme an, Sie haben mit meinem Vater, Connor Quinn, gesprochen?«

»Ja, ich hatte bereits am Telefon das Vergnügen.« Er streckte dem älteren Mann die Hand entgegen. »Sie haben genau richtig geschätzt. Der V12-Motor hat die Fahrt in knapp unter acht Stunden geschafft.«

Die Männer tauschten einen langen, kräftigen Handschlag. Paige knirschte mit den Zähnen. Bezeugungen männlicher Zuneigung passten ganz und gar nicht in ihren Plan für Taits Hinauswurf. Er würde nicht nur ihre Wasservorräte aufbrauchen, er würde auch ihre Zeit stehlen – Zeit, die sie benötigte, um die Wahrheit über den Zustand von Banora Downs vor ihrem Vater zu verbergen. Sie hatte ihrer Mutter versprochen, dass sie sich um ihn kümmern würde, und er hatte genug, mit dem er fertig werden musste, auch ohne die zusätzliche Bürde der Farm. Dass er seinen Gehstock gegen den Rollstuhl eingetauscht hatte, verriet ihr, wie sehr seine Beine ihm zu schaffen machten. V12-Motor hin oder her – dieser Mann, sein schickes Auto und sein lässiges Lächeln hatten zu verschwinden. Ganz egal, wie viel Geld er bezahlte. Und egal, wie sehr die Miene ihres Vaters sich in den letzten paar Minuten aufgehellt hatte.

Erschöpfung drückte ihr die Schultern nieder. »Mr. Cavanaugh, dass Sie allergisch gegen Meeresfrüchte sind, macht in der Tat einen Unterschied. Wir sind nicht versichert. Es ist also in unser beiderseitigem Interesse, wenn Sie sich eine andere Unterkunft suchen.« Sie zog ihre Lippen in eine Form, von der sie hoffte, dass sie als Lächeln durchgehen würde. »Ich werde mich persönlich um ein Quartier auf einer anderen Farm bemühen, die näher bei der Stadt gelegen ist.«

»Ich möchte Ihnen keinen Umstände machen.«

»Das macht keine Umstände. Glauben Sie mir.« Sie neigte den Kopf zum Telefon auf dem Bürotisch. Ihre Finger ballten sich zur Faust, so groß war der Drang, nach dem Hörer zu greifen. »Zufällig trifft es sich, dass ich die Nummer der Farm in der Schnellwahl eingegeben habe.«

»Aber sicher haben Sie das.« Sein Lachen verbarg nicht die Entschlossenheit, die seinen Tonfall scharf machte. »Aber Sie werden überhaupt keine Versicherung brauchen. Ich bin ein guter Pfadfinder und habe mir für Notfälle meinen Adrenalin-EpiPen mitgebracht.« Sein Mundwinkel verzog sich zu einem halben Grinsen. »Ich bin sicher, Sie hätten keine Schwierigkeiten, mich mit einer Nadel zu stechen.«

Sie zwang ihren Lippen ein steifes Lächeln ab. Gutaussehend. Clever. Daran gewöhnt, seinen Willen zu bekommen. Dieser hübsche Junge aus der Stadt würde nicht einmal einen einzigen Tag lang hierbleiben.

Tait Cavanaugh zweifelte nicht daran, dass Paige Quinn nichts lieber getan hätte, als ein spitzes Objekt in ihn hineinzustechen. Der Blick ihrer goldgesprenkelten braunen Augen fuhr ihm geradewegs in den linken Oberarm, als hätte sie darauf gezielt. Er hatte noch nie einen so schmutzigen und zugleich noch nie einen so schönen Menschen gesehen. Ihr kaffeefarbenes Haar mochte zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammengefasst sein. Ihren zartknochigen Zügen mochte jegliches Make-up fehlen. Ihre Kleider mochten an ihrem zierlichen Körper herunterhängen … aber ihr Geist strahlte so hell wie der Lack auf seinem Luxus-Auto. Beinahe hätte er die Stirn gerunzelt, aber er war nicht diesen ganzen Weg hier herausgefahren, um sich von einem hübschen Gesicht ablenken zu lassen. Er hatte eine Aufgabe zu erledigen. Geheimnisse zu bewahren. Er lockerte seine verspannten Schultern. Was er brauchte, waren ein Kaffee und eine warme Dusche, und zwar in exakt dieser Reihenfolge. Keinen Widerstand von jemandem, der ihm höchstens knapp bis ans Kinn reichte.

Er lächelte sein unwiderstehliches Lächeln. »Ich brauche Urlaub und bin bereit, dafür zu zahlen. Ich bin mir außerdem bewusst, dass in diesem Gebiet Dürre herrscht und Ihre Ressourcen knapp sein müssen. Ich bin nicht hier, weil ich Hummer oder Kaviar suche … nur Einsamkeit.«

Paiges Antwort kam schnell wie ein Lauffeuer. »Egal, welche Summe Sie mit meinem Vater vereinbart haben – zahlen Sie das Doppelte.«

Taits Kiefer verspannte sich. Da war sie also wieder. Die allumfassende Wahrheit dieser Welt. Sogar hier im Outback behielt sie ihre Gültigkeit. Was immer er auch anbot, es war einfach nicht genug. Eine betäubte Sekunde lang hatte er geglaubt, diese unbefangene Frau mit ihren ehrlichen Augen und dem Mund, der Klartext redete, würde sich als Ausnahme erweisen. Er hatte geglaubt, er könnte ihre Worte für bare Münze nehmen und keine verborgenen Kämpfe ausfechten, aber auch sie wollte mehr, als im Angebot war. Genau wie die anderen Frauen in seinem Leben. Seine Stiefmutter. Seine Stiefschwester. Das Gefühl der Schuld versetzte ihm einen Stoß. Bronte.

»Sind wir im Geschäft, Mr. Cavanaugh?«, fragte Paige scharf.

»Paige«, fuhr Connor ihr ins Wort, »das reicht jetzt.«

»Bitte nennen Sie mich Tait, Paige, und ja, wir sind im Geschäft.« Sie mochte aussehen, als könnte der heiße, trockene Wind sie davonblasen, aber an ihrer Haltung war keine Spur von Schwäche zu erkennen. Sie würde von ihrem Standpunkt nicht abweichen, und jede Sekunde, die er auf den Kampf mit ihr verschwendete, war eine weitere Sekunde ohne Koffein. In seinem Kopf hämmerte es bereits wie ein Presslufthammer auf der Baustelle vor seiner Wohnung an der Küste von Sydney.

»Connor, der Preis, den Sie mir genannt haben, dürfte die Kosten für meinen Aufenthalt nicht einmal annähernd decken. Die Forderung Ihrer Tochter ist also nur fair.«

Tait fischte sein Handy aus seiner Hemdtasche, prüfte den Empfang und wählte eine Nummer. »Hi, Cheryl. Ja, ich bin angekommen, ich habe die Fahrt überlebt. Was ich bisher für einen Eindruck habe? Nun ja … die Flora und Fauna waren ziemlich unterhaltsam.«

Unter der Staubschicht schoss Farbe in Paiges Wangen.

»Die Überweisung, die du heute früh über das Internet gemacht hast, könntest du die verdreifachen? Ja, verdreifachen. Danke. Ach, und Cheryl, könntest du mir noch einen EpiPen schicken? Wie es aussieht, kann sich das Outback als ein gefährlicher Ort erweisen.«

Paige biss sich so hart auf die Innenseite ihrer Lippen, dass sie Blut schmeckte. Tait Cavanaugh brauchte keinen weiteren EpiPen. Er brauchte verdammt nochmal einen Leibwächter. Mit seinen leuchtenden blauen Augen und seinem lässigen Lächeln war er hier hereingetanzt, hatte Connor innerhalb eines Herzschlags erobert und ihren Plan zunichtegemacht, ihn loszuwerden. Ihr blieb nichts anderes übrig, als anzuerkennen, dass Tait die erste Runde gewonnen hatte. Sein Geld mochte ihr nichts bedeuten, aber für Connor bedeutete es eine Menge. Sie hatte von Tait lediglich den doppelten Zimmerpreis verlangt, weil sie gehofft hatte, er würde sich weigern, so viel zu bezahlen, und abreisen.

Die Hände ihres Vaters tasteten nach ihren, und ihr Herz wurde warm. Er war alles, was sie hatte. Sie war alles, was er hatte. Sie würde freundlich sein und Zeit von ihrem bereits völlig überladenen Tagesplan abzweigen, damit dieser privilegierte Bursche aus der Stadt seinen »Urlaub« haben konnte.

Was hätte sie nicht für einen Urlaub gegeben!

Was brachte sie auf solche Gedanken? Ihr Vater und Banora Downs waren ihr Leben. Sie bereute kein einziges Opfer, das sie für die beiden gebracht hatte, aber es wurde zunehmend schwieriger, sich an der Hoffnung festzuhalten, dass sie es durch die Dürreperiode schaffen würden. Sie musste stark bleiben, auch wenn an manchen Tagen jeder ihrer Muskeln um eine Pause bettelte. An Tagen wie heute.

Sie ließ die Hand ihres Vaters los und furchte die Stirn. Hatte etwa Mitleid das Blau in Taits Augen verdunkelt? Unmöglich. Ein Mann, der über unbegrenzte Mittel verfügte, würde nicht begreifen, wie es sich anfühlte, selbst um das Lebensnotwendigste kämpfen zu müssen. Ein Mann, der seinen Charme benutzte, um sich durchs Leben zu navigieren, konnte nicht darüber hinaus auch noch ein Herz besitzen. Sie wusste aus erster Hand, dass glattzüngige Worte nicht gleichbedeutend mit Gefühlen waren, sondern lediglich leere Versprechungen.

Sie hob das Kinn. »Ein Geschäft ist ein Geschäft, Mr. Cavanaugh. Willkommen auf Banora Downs.«

»Vielen Dank. Und nun, wo wir die Formalitäten hinter uns gebracht haben, könnten Sie mir vielleicht mein Zimmer zeigen?«

»Selbstverständlich. Aber ich warne Sie, Banora Downs ist ein Farmbetrieb, kein Luxushotel mit Rundum-Service. Sie werden sich Ihr Bett selbst machen müssen.«

»Kein Problem. Ich bin ja schließlich hergekommen, um ein echtes Outback-Abenteuer zu erleben.« Seine Lippen zuckten, ob in einer Grimasse oder in einem Lächeln, vermochte sie nicht zu entscheiden. »Aber bevor ich irgendetwas in Angriff nehme, brauche ich einen Kaffee.«

»Ich könnte auch einen gebrauchen«, sagte ihr Vater. »Gehen Sie Ihr Gepäck holen, und Paige wird Sie herumführen. Den Kaffee mache ich.«

Ihr Vater steuerte im Rollstuhl hinaus in den Flur, und Paige starrte auf seinen Rücken. Seit wann war sie hier als Touristenführerin beschäftigt? Er war doch der Gesellige von ihnen. Er liebte dieses weitläufige, im viktorianischen Stil eingerichtete Haus und füllte jeden Raum durch seine Geschichten mit Leben. Ihr unerwarteter Gast würde nun von Glück sagen können, wenn er eine Führung durch die Staubwolke bekam, in die sich ihr Vorgarten verwandelt hatte. Eine Führung durchs Haus konnte er vergessen. Sie würde zusehen, dass er in seinem Zimmer unterkam. Und damit Schluss.

Connor Quinn brachte seinen Rollstuhl in der Küchentür zum Stehen und atmete tief aus. Anspannung ließ seine Finger zittern, und er umfasste die Seiten des Stuhls, um sie zu beruhigen. Nie hatte er sich davor gedrückt, Paige die Wahrheit zu sagen. Nicht, als ihre Mutter krank wurde, und auch nicht, als er nach seinem Unfall mit dem Traktor begriffen hatte, dass er nie wieder der Mann werden würde, den sie kannte.

Gerade eben aber hatte er es getan.

Draußen schlug die Tür von Taits Auto zu. Connor umfasste den Stahl des Rollstuhls noch fester. Und es war nicht allein seine Tochter, vor der er die Wahrheit verbergen musste.

Tait kam auf sie zu, trug sein Gepäck, als wäre es mit nichts als warmer Luft gefüllt. Sie betrachtete die Designer-Taschen, die aussahen, als wären sie außerhalb der Kabine eines Charter-Flugzeugs noch nie gereist. Zwei Taschen? Wie viel Zeug konnte so ein hübscher City Boy für ein einziges Wochenende brauchen?

Er blieb vor ihr stehen, stellte die Taschen auf dem Boden ab und nahm sich die Sonnenbrille von den Augen. Sein Lächeln strahlte. »Sie gehen voran!«

Mit einem Gefühl des Schwindels griff sie nach dem Pfosten der Veranda. Sie musste hungriger sein, als sie gedacht hatte. Mangel an Nahrung hatte für gewöhnlich nicht eine solche Wirkung auf sie, und die Tage, in denen das Lächeln eines Mannes sie noch aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, waren lange vorüber. Sie ließ den Pfosten los. »Ich würde Ihnen die Taschen tragen, aber wie es aussieht, haben Sie alles unter Kontrolle.«

Er musterte ihre Arme, von denen sie wusste, dass sie unter ihrem zu großen Hemd kaum kräftiger als Zweige wirken würden. »Sicher würden Sie das. Aber Sie haben ganz recht. Ich habe alles unter Kontrolle.«

Sie biss sich auf die Lippe, um sich eine Erwiderung zu verkneifen. Auch sie hatte alles unter Kontrolle, aber eine nicht endende Trockenperiode und jetzt ein unwillkommener Gast, der sie zur Weißglut reizte, hätten die Geduld eines jeden auf die Probe gestellt. Wäre sie körperlich dazu in der Lage gewesen, wäre sie von der Veranda gestiegen und hätte ihm seine lächerlichen Taschen die Treppe hinaufgetragen. Sie wandte sich zur Vordertür. »Folgen Sie mir.«

Sie stieß die Tür aus Zedernholz auf, trat in die willkommene Kühle der Eingangshalle und atmete den vertrauten Duft nach Holz und gealtertem Leder ein. Ihr Vater war nicht der Einzige, der dieses zeitlose, historische Farmhaus liebte. Vorbei an der Galerie der Schwarz-Weiß-Fotos, die das Haus in seinen glorreichen Tagen der Kolonialzeit zeigte, ging sie auf die gewundene Treppe zu. Dicht hinter sich vernahm sie Taits Schritte auf den italienischen Mosaikfliesen. Auf der Treppe beschleunigte sie ihren Schritt, um dann auf dem Absatz stehenzubleiben. Die Dielenbretter knirschten, als Tait neben ihr ebenfalls stehenblieb. Sie nahm den Duft seines Aftershaves wahr.

Wo sollte sie ihn unterbringen? Im unteren Stockwerk war die Domäne ihres Vaters, hier oben die ihre. Unter der Staubschicht prickelte ihr die Haut. Sie war es nicht gewohnt, in nächster Nähe mit jemandem zusammenzuwohnen, schon gar nicht mit jemandem, der so aufreizend war wie Tait Cavanaugh. Oder so attraktiv … Aus dem Augenwinkel nahm sie die markante Form seiner Lippen wahr.

Sie konnte ihn unmöglich in das Zimmer auf dem Dachboden stecken, das die Größe eines Schuhkartons hatte, über keine Klimaanlage verfügte und eine Tageswanderung vom Badezimmer entfernt lag. Er bezahlte den dreifachen Preis. Außerdem hatte sie ihrem Vater ihr Wort gegeben, dass ihr Gast mit glücklichen Erinnerungen abreisen würde.

Sie seufzte. »Kommen Sie hier entlang. Ihre Suite liegt zwar hinter der letzten Tür am Ende des Gangs, aber sie hat den besten Ausblick auf den Sonnenuntergang.« Er würde ihr Heiligtum nur für zwei Nächte in Anspruch nehmen. Sie würde ihm einen eigenen Flügel geben. Ihre Pfade würden sich nicht kreuzen.

Als er keine Antwort gab und keine Anstalten machte, ihr zu folgen, drehte sie sich um.

Er nickte. Oder war es ein Zucken? Sein leichtherziger Charme und sein Lachen waren einer grimmigen Härte gewichen. Hoffnung regte sich in ihr. Kamen ihm jetzt vielleicht doch Zweifel an seinem Vorhaben, so weit weg von der Zivilisation zu übernachten? So extravagant das Farmhaus einst auch gewesen war, es konnte mit dem modernen Luxus der Städte nicht mithalten. Sie würde ihn loswerden. Sie ging schneller.

Am Ende des Gangs drehte sie den Türknauf aus Messing um und stieß die schwere Holztür auf. Ihre Hand schnitt durch die Luft, als würde sie den Preis in einer Spielshow präsentieren. »Da wären wir. Ihr Zimmer. Genießen Sie die Aussicht.«

Er würde das Zimmer betreten und bleiben. Oder sich auf dem Absatz umdrehen und abreisen. So oder so hatte sie ihre Pflicht getan. Innerhalb von fünf Minuten würde sie sich den Staub aus den Haaren und das Bild seiner lächelnden blauen Augen aus dem Gedächtnis fegen.

Er blieb im Gang stehen. »Vielen Dank … aber …« Er unterbrach sich, um seinen Blick durch das geräumige Zimmer schweifen zu lassen.

Vorfreude drängte ihre Nervosität beiseite. Er würde nicht bleiben.

»… aber ein Zimmer mit Aussicht hat für mich nicht gerade Priorität. Das Einzige, was ich mir normalerweise anschaue, sind mein Laptop und mein Telefon.«

Überrascht hielt sie inne. Eine unmissverständliche Bitterkeit schwang in seinen Worten, und tiefe Erschöpfung zeichnete sich in scharfen, gefurchten Linien auf seinem Gesicht ab. Es war, als würde sie ihr eigenes Spiegelbild in dem schwindenden Wasser der Rindertränke betrachten.

Tait Cavanaugh mochte sie wütend machen, aber sie erkannte emotionale Erschöpfung, wenn sie ihr begegnete. Eine Erschöpfung, die tiefer ging als körperliche Entkräftung. Er hatte nicht gelogen, als er gesagt hatte, dass er einen Urlaub nötig hatte. Und sie hätte das letzte Stück ihres Notvorrats an Schokolade darauf verwettet, dass der Grund dafür mit einer Frau zu tun hatte. Warum sonst würde ein Mann wie er den Lichterglanz der Großstadt hinter sich lassen?

Ohne nachzudenken, betrat sie das Zimmer und schaltete die Klimaanlage an der Wand ein. Sie erwachte mit einem Brummton zum Leben. Paige wusste, wie es sich anfühlte, wenn man eine Zuflucht benötigte, weit entfernt von Erinnerungen und Schmerzen. Es spielte keine Rolle, dass Tait nichts als Probleme mit sich bringen würde. Einen flüchtigen Augenblick lang teilten sie eine Gemeinsamkeit: Sie hatten beide keine Kraftreserven mehr.

»Nun«, sagte sie, »hier werden Sie Gelegenheit haben, sowohl den Sonnenuntergang als auch den Sonnenaufgang zu genießen. Sie sind hier am stillsten Ort diesseits der Berge gelandet.«

Er folgte ihr in die Suite. »Wenn ich bedenke, dass ich zwischen hier und der letzten Stadt, Glenalla, lediglich an zwei Autos vorbeigekommen bin, glaube ich Ihnen das gerne.« Sein raues Lachen überrollte sie und übte eine merkwürdige Wirkung auf die Geschwindigkeit ihres Pulsschlags aus. Mitten im Zimmer blieb er stehen und sah sich um. »Sehr schön.«

»Danke. Meine Großmutter hat hier geschlafen, nachdem mein Großvater gestorben war.«

Paige blickte sich in der feminin eingerichteten Suite um, als betrachte sie sie mit den Augen eines Neuankömmlings. Das Himmelbett aus Mahagoni, das Wandfries mit Blumenmuster, der zierliche Kronleuchter aus Kristall, der Kamin aus Marmor, die Farbe, die abbröckelte, das Betttuch aus verblichenem grünen Brokat …

Trauer überfiel sie. Einst war der Raum königlich gewesen und erfüllt von Leben und Lachen. Eines Tages würde er es wieder sein.

»Ihre Großmutter mochte Blumen?«

Paiges Traurigkeit verflog, sobald sie die Wärme der unschätzbaren Erinnerungen spürte. »Ja, das tat sie.« Sie schenkte dem Gemälde mit den rosafarbenen Rosen, das über dem Kamin hing, ein Lächeln. »Rosen waren ihre Lieblingsblumen.«

Sie warf einen Blick hinüber zu Tait, der nicht das Gemälde, sondern sie betrachtete. »Sauber ist das Zimmer, aber es ist eine Weile lang nicht benutzt worden. Falls Sie irgendwo Spinnenweben entdecken, betrachten Sie sie als Teil Ihres echten Outback-Abenteuers.«

Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, das die Schatten in seinen Augen verscheuchte. »Solange der Kaffee heiß und stark ist, kann ich mein Zimmer gern mit ein paar ungeladenen Gästen teilen.«

Sie nickte und zwang sich zu einem Lächeln. Keine Flut von glatten Worten würde sie erobern. Sie hatte sich ein Mal erlaubt, sich von Charme blenden zu lassen, und sie würde es nie wieder tun.

»Wir haben schon lange keine Gäste mehr aufgenommen«, sagte sie. »Wie sind Sie auf uns gekommen? Ich dachte, wir hätten sämtliche Anzeigen aus dem Internet entfernt.«

»Meine Sekretärin hat Ihre Adresse gefunden. Ich habe keine Ahnung, wie und wo.« Er stellte sein Gepäck auf dem Boden ab. »Nun lassen Sie uns diese vielzitierte Aussicht begutachten.«

Er trat vor das Fenster, dessen Vorhänge zugezogen waren, ehe sie in seiner Miene lesen konnte. Abwehr hatte in seiner Stimme gelegen. Genau dieselbe Note, die den Tonfall ihres Vaters veränderte, wenn er ihr versicherte, dass er keine Schmerzen habe. Sie erkannte einen abrupten Themenwechsel, wenn sie einen zu hören bekam. Sobald sie das nächste Mal nach Glenalla kam, würde sie den Internetzugang in der Bibliothek benutzen, um festzustellen, ob sie im Web überhaupt noch präsent waren.

Sie trat ebenfalls ans Fenster und wischte sich die Hände an ihrer Jeans ab, ehe sie an der Schnur der Vorhänge zog. Der schwere goldene Samt glitt zur Seite. Sie starrte hinaus und verlor sich in der Einsamkeit, die sich vor ihr ausbreitete.

Vor einem halben Leben hatte sie das Fenster für ihre Großmutter geöffnet, damit der Duft des Rosengartens das Zimmer erfüllte. Jetzt gab es keinen Rosengarten mehr. Die einzige Oase aus Grün im Meer aus verbranntem Braun war ein Topf mit welken Kräutern, der an der Hintertür der Küche auf der Veranda stand. Schmiedeeiserne Bögen, die einst von weißen Kletterrosen überwuchert gewesen waren, standen jetzt leer da wie Skelette. Verwitterte Bänke hielten resolut die Stellung und warteten, hofften darauf, dass ein lebendiger Garten sie eines Tages von Neuem umgeben würde.

Was tat sie hier? Warum vergeudete sie ihre Zeit mit einem Fremden, dessen Willensstärke garantiert dafür sorgen würde, dass sie Probleme bekam? Sie hatte einen Lieferwagen zu entladen und Kleider zu waschen.

Sie wandte sich vom Fenster ab. »Bei Tag sieht es nach nicht viel aus, aber in der Nacht ist der ganze Himmel von Licht überflutet. Hier drinnen«, sie berührte einen antiken Kleiderschrank, »finden Sie Bettzeug und Handtücher. Durch die Tür dort geht es ins Badezimmer, und da drüben liegt das Ankleidezimmer.« Sie legte eine Pause ein. »Sie haben gesagt, Sie sind darüber informiert, dass wir eine Dürreperiode durchmachen, also achten Sie bitte darauf, wie viel Wasser Sie benutzen.«

»Keine Sorge, ich werde Ihre Gastfreundschaft nicht missbrauchen.« Seine Mundwinkel kräuselten sich. »Und auch nicht dreimal am Tag duschen.«

Sie blinzelte, um die Kraft seines Lächelns abzuschwächen und um das Bild von seinem Körper, über den Wasserströme rannen, auszuradieren. »Danke.« Um ihn herum ging sie zu Tür. »Dad hat sicher inzwischen den Kaffee fertig. Packen Sie aus. Entspannen Sie sich. Ehe Sie sich’s versehen, wird es Zeit sein, wieder nach Hause zu fahren.«

»So bequem mein Auto auch ist, nach acht Stunden Fahrt habe ich es nicht eilig, wieder abzureisen.«

In der Tür drehte sie sich um. »Dann ist es ja gut, dass Sie den ganzen Tag morgen Zeit haben, um sich auszuruhen, bevor Sie am Sonntag heimkehren.«

Er stellte seine Taschen auf das Bett, und sein Grinsen wurde breiter.

Sie verschränkte die Arme. Sie war hungrig, müde und brauchte eine Dusche. Was fand er so komisch? Hatte sie etwas nicht mitbekommen?

»Ich garantiere Ihnen, dass ich vollkommen ausgeruht sein werde, wenn ich am Sonntag abreise«, sagte er. »Am Sonntag in zwei Wochen.«

2

Taits Miene verfinsterte sich beim Anblick der geraden Straße, die sich vor seinen Augen am Horizont in einem schillernden Trugbild auflöste. Er hatte kaum Zeit, die Nachrichten abzuarbeiten, die sich auf seiner Voicemail angesammelt hatten, geschweige denn anderthalb Stunden lang nach Glenalla zu fahren, um Lebensmittel einzukaufen. Obwohl er sich auf Banora Downs für zwei Wochen eingemietet hatte, hatte er keineswegs vor, länger als eine Woche zu bleiben.

Er warf einen Blick zur Seite, wo Paige zusammengerollt auf dem Beifahrersitz seines Wagens schlief. Nicht dass er plante, seiner streitbaren Gastgeberin die Nachricht über seine vorzeitige Abreise bereits jetzt zu eröffnen. Der Schock, der sich gestern Nachmittag auf ihrem Gesicht abgezeichnet hatte, als sie begriff, dass er länger als nur ein Wochenende bleiben würde, war unbezahlbar gewesen. Er nahm an, dass man sie nicht gerade häufig sprachlos erlebte. Aber genau das war sie gewesen. Ganze zehn Sekunden lang.

Er konnte sich ihre Reaktion ausmalen, wenn sie herausfinden würde, dass er nicht allein um der Einsamkeit willen in den Westen hinausgekommen war. Connor hatte ihn zudem beauftragt, einen Geschäftsplan für die Farm aufzustellen. Als Vorstand der Beratungsfirma AgriViz fuhr Tait normalerweise nicht auf Farmen, aber Connors Anfrage war genau zum richtigen Zeitpunkt eingetroffen. Banora Downs war so weit von der Stadt und ihren Komplikationen entfernt, wie Tait es sich nur wünschen konnte. Also hatte er sich darauf eingerichtet, einen Plan zu erstellen, und als Connor ihn eingeladen hatte, auf der Farm zu übernachten, hatte er das Angebot angenommen, aber nur wenn er als zahlender Gast kommen könnte. Er hatte außerdem Connors Wunsch akzeptiert, dass seine Tochter nicht erfahren sollte, warum er hier war. Jetzt, da er die selbstgenügsame Paige kennengelernt hatte, hegte er keine Zweifel mehr daran, dass sie jeden Versuch, ihr die Last zu erleichtern, von sich weisen würde, selbst wenn er von ihrem eigenen Vater käme.

Tait spannte die Schultern unter einem Gewicht an, das abzuschütteln er nie imstande zu sein schien. Aber der Geschäftsplan, von dem Paige nichts wissen durfte, war nicht das einzige Geheimnis, das er zu verbergen hatte. Es gab einen weit tieferen, viel persönlicheren Grund, der ihn nach Banora Downs gezogen hatte.

Sein ohnehin fester Griff um das Steuerrad des Wagens verstärkte sich noch. Da Paige den Grund nicht kennen sollte, aus dem er hier war, musste er sich die Informationen für den Geschäftsplan auf kreativere Weise beschaffen. Und die erste Information, die er benötigte, war die Antwort auf die Frage, ob Connors Angabe, Paige sei mit Banora Downs praktisch verheiratet, den Tatsachen entsprach. War sie so entschlossen, an der Zukunft der Farm teilzuhaben, wie ihr Vater sagte?

Er ließ den Blick über die Landschaft schweifen, die sie umgab, und sah wenig mehr als roten Staub, verblichenes Gras und sich hartnäckig haltende Bäume. Man mochte ihn einen Realisten oder einen Zyniker nennen, aber Paiges unbedingte Treue zu ihrer Heimat konnte unmöglich echt sein. Sah sie hier wirklich eine Zukunft für sich? Welche schöne, ledige Frau von Mitte zwanzig würde sich freiwillig mitten im Nirgendwo begraben lassen? Sie musste einen Plan haben, mit verborgenen Absichten arbeiten. Mit der Verdoppelung seines Zimmerpreises war sie schnell bei der Hand gewesen. Und doch …

Wieder wandte er ihr sein Gesicht zu. Die nackten Konturen ihrer Lippen wirkten ohne die Schicht Lippenstift, die in der Stadt üblich war, seltsam verwundbar. Weiche Locken entschlüpften ihrem schlichten Pferdeschwanz. In Momenten wie diesem erhaschte er unter all dem Staub einen Eindruck von seltenem Anstand, eine ungewohnte Aufrichtigkeit, die ihn verwirrte. Er war es nicht gewohnt, mit Frauen umzugehen, die meinten, was sie sagten.

Sein Fuß hob sich ein wenig vom Gaspedal, als das Auto am Ortsschild von Glenalla vorbeifuhr. Die Straße führte über einen Schutzdamm, der die Stadt umgab wie eine mittelalterliche Festung. Es war schwer, sich vorzustellen, dass es in dieser ausgetrockneten Landschaft jemals zu viel Wasser gäbe. Er parkte vor einem Laden, von dem er annahm, dass es sich um ein Lebensmittelgeschäft handelte, und ließ seinen Motor auslaufen, ehe er ihn ausschaltete.

Stille erfüllte das Auto. Er wandte sich seiner Beifahrerin zu, die noch immer schlief. »Paige?«

Sie rührte sich nicht.

»Paige, wir sind da.«

Er unterdrückte ein Seufzen. Genauso gut hätte er mit sich selbst sprechen können. Sein Blick ruhte auf ihr. Abgesehen von ein paar verstreuten Sommersprossen um ihre Nase war ihre Haut makellos. Wie konnte sie so frisch wirken, wo sie unter einer Sonne arbeitete, die genug Kraft besaß, ein Spiegelei zu braten? Ihr Akubra, der seine besten Tage hinter sich hatte und auf dem glänzenden Leder seines Rücksitzes fehl am Platz wirkte, war nicht einfach nur Ausdruck ihres Modegeschmacks. Sie brauchte wirklich einen neuen.

»Paige. Zeit zum Aufwachen.«

Keine Antwort.

Er packte ihre schmale Schulter und schüttelte sie sanft.

»Nein. Lass mich schlafen.« Ihr Kopf flog von einer Seite zur andern. »Es kann doch nicht schon Morgen sein …«

»Das ist es aber. Sie haben jedes schlafende Dornröschen in den Schatten gestellt. Es ist schon fast Mittag.«

»Mittag … aber ich habe Dad noch nicht sein Frühstück gebracht.« Sie stemmte sich in die Höhe und wehrte sich gegen Taits Griff. »Wo ist Dad? Was ist passiert?« Sie fuhr zu ihm herum.

Taits freie Hand blieb auf ihrer Schulter, um sie zu beruhigen. »Wir sind in Glenalla, um Vorräte einzukaufen.« Ohne nachzudenken, streifte er mit den Daumen ihre zarten Schlüsselbeine. »Connor ist zu Hause. Es geht ihm gut.«

Einen Moment lang schien es ihm, als hätte sie ihn nicht gehört. Dann verebbte der Schrecken auf ihrem Gesicht, und die Anspannung wich aus ihrem Körper. »Ach ja, richtig. Wir wollten einkaufen.«

Wieder versteifte sie sich, ehe sie sich von ihm losmachte und nach dem Türgriff langte. Seine Hände fielen auf seine Schenkel nieder und fühlten sich ohne ihre Wärme seltsam leer an.

»Wir gehen besser rein«, warf sie ihm über ihre Schulter zu und war schon halb aus dem Auto gestiegen. Sie zog die hintere Tür auf und beugte sich hinein, um ihren Hut vom Sitz zu fischen.

Er drehte sich im Sitz um, um sie anzusehen.

»Schnell, schnell«, sagte sie harsch. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Der Lebensmittelladen sieht ziemlich voll aus.«

Er stieg aus und folgte ihr auf den Parkplatz. Aus der Sicherheit hinter seiner polarisierten Sonnenbrille sah er drei Autos, die auf dem betonierten Platz vor dem Geschäft geparkt waren. Ziemlich voll? Wenn das hier Glenalla zur Stoßzeit war, wollte er die Stadt lieber nicht an einem ruhigen Tag sehen.

Sie war in jeder Hinsicht eine Idiotin. Paige marschierte in den klimatisierten Lebensmittelladen. Eine kühle Brise spielte ihr über das Gesicht, brachte es jedoch nicht fertig, die Hitze der Selbstverachtung aus ihren Wangen zu vertreiben. Ihr erster Fehler war es gewesen, in Taits Auto einzuschlafen. Sie hätte die Fahrt nutzen sollen, um klarzustellen, wie sich seine zwei cappuccinofreien Wochen gestalten würden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er die Annehmlichkeiten der Stadt so sehr vermissen würde, dass keine Outback-Einsamkeit ihn länger hierhalten würde.

Ihr zweiter Fehler hatte darin bestanden, dass sie vergessen hatte, wo und mit wem sie zusammen war. Eine unverzeihliche Sekunde lang hatte sie der Kraft und Sanftheit der Hände, die sich um ihre Schultern geschlossen hatten, gestattet, ihr vorzugaukeln, dass alles in Ordnung wäre. Dass Connor nicht länger körperliche Schmerzen litte und dass Banora Downs die Dürreperiode überleben würde. Dann hatte sie begriffen, dass die männlichen Hände, die sie hielten, nicht Teil irgendeines Wunschtraums waren. Sie gehörten vielmehr zu ihrem Albtraum – zu dem Schönling aus der Stadt!

Sie beschleunigte ihre Schritte. Sie mochte zwar keine Ahnung haben, wann es endlich regnen würde, aber sie wusste, dass sie sich nicht noch einmal erlauben würde, Tait gegenüber nicht auf der Hut zu sein.

Sie griff im selben Augenblick nach dem Einkaufswagen wie Tait. Ihre Hände trafen sich auf dem Griff.

»Danke«, sagte sie. »Ich habe ihn.«

»Ich schiebe den Wagen«, sagte er und schob seine Designer-Sonnenbrille hoch.

»Nein, ich habe ihn.«

Taits Hand rührte sich nicht von der Stelle. »Ich bestehe darauf.«

Kunden wandten neugierig die Köpfe in ihre Richtung. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war ein Machtkampf mit Tait um diesen Einkaufswagen. Sie hatte vorgehabt, so schnell wie möglich in die Stadt hineinzufahren und genauso schnell wieder heraus. Mit seinem Filmstar-Aussehen und seinem schicken Auto würde Tait von Glück sagen können, wenn er morgen nicht auf der Titelseite des Glenalla Advocate landete.

Sie nahm die Hand vom Griff des Einkaufswagens. »Er gehört Ihnen.«

»Danke.«

»Nicht der Rede wert.« Sie schnappte sich einen zweiten Wagen und schenkte ihm ein süßes Lächeln. »Ich schiebe den hier.«

Ohne seine Reaktion abzuwarten, strebte sie dem nächstgelegenen Gang entgegen. Von Zeit zu Zeit blieb sie stehen, um etwas in ihren Einkaufswagen zu werfen. Am Rand ihres Sichtfelds konnte sie erkennen, wie Tait Waren in den seinen warf. Sein fortgesetztes Lächeln erweckte beinahe den Eindruck, als amüsiere er sich. Er wählte ein Paket Tim-Tam-Kekse und fügte dann zwei weitere dem Inhalt seines Wagens hinzu. Ohne Zweifel hatte er eine Haushälterin oder eine Freundin, die für gewöhnlich den Einkauf für ihn erledigte.

Sie steuerte auf den Gang mit den Süßigkeiten zu, und vor den Reihen mit Schokolade verlangsamte sich ihr Gang. Sie versuchte, den Trotzanfall ihrer Geschmacksnerven zu ignorieren. Trotz der enormen Summe, die Tait für seinen Aufenthalt bezahlte, hatte sie für Luxusartikel kein Geld.

Sie bog um die Ecke in die Abteilung mit den Körperpflegeartikeln. Ihre Füße wurden schwer, als sie an den Reihen mit parfümierter Seife entlangging. Die in rosa Papier gehüllten Seifen, die in Augenhöhe lagen, würden wie Seide über ihre Haut gleiten, ganz anders als die grobkörnige, billige Sorte, die sie sich leisten konnte. Sie blieb stehen und hob einen Karton mit Waschpulver in ihren Wagen, dann begab sie sich auf den Weg zur Kasse. Sie lächelte das junge Mädchen an und lud ihre Waren auf das Laufband.

»Hallo, Sarah. Seit dem Schlussverkauf habe ich dich nicht mehr gesehen. Wie läuft es denn jetzt, wo ihr in der Stadt wohnt?«

»Gut, danke. Mum lässt dir ausrichten, dass es Dad viel besser geht. Er ist immer noch wütend auf die Bank und die Zwangsvollstreckung, aber er verlässt jetzt das Haus. Du hattest recht: Anne brauchte wirklich jemanden, der ihr die Regale in der Bibliothek einbaut. Ich glaube, nächste Woche fängt er mit dem Schuppen für den Garten an.«

»Gut. Ich wusste, Anne würde seine Hilfe wirklich zu schätzen wissen.« Sie versuchte, in Sarahs scheuem Gesicht zu lesen. »Und wie sieht es bei dir selbst und mit der neuen Schule aus? Wie ist das gelaufen?«

Sarah grinste, während sie Paiges Waren scannte. »Am Anfang hat es sich komisch angefühlt. Ich war ja nicht daran gewöhnt, mit echten anderen Jugendlichen zu reden oder einen Lehrer aus Fleisch und Blut vor mir zu haben. Im Fernunterricht habe ich normalerweise alles nur über Satellit zu sehen bekommen! Aber jetzt habe ich mich daran gewöhnt, in einem Klassenzimmer zu sitzen, und es gefällt mir richtig gut.«

Paige lächelte. »Diese Lewisham-Jungs haben nicht zufällig etwas damit zu tun, dass dir die Schule gefällt, oder?«

»Vielleicht.« Sarah errötete. »Aber nur der ältere.«

Taits Aftershave warnte Paige, dass er näher kam, noch ehe sie die Räder seines Einkaufswagens rattern hörte. Ihre Finger verkrampften sich um das Glas, das sie festhielt, bis der Metalldeckel in ihre Haut schnitt.

Er schenkte Sarah ein tödliches Grinsen. Das arme Mädchen war dermaßen überwältigt, dass es aufhörte, die Packung Zucker zu scannen, mit der es gerade beschäftigt war.

Paige legte die letzten Lebensmittel auf das Laufband. Es war nur gut, dass sie sich von einem schnellen Auto oder einem geübten Lächeln nicht den Kopf verdrehen ließ. Chris und die kurze Zeit, die sie in der Stadt gelebt hatte, hatten ihr gezeigt, was für eine wenig beeindruckende Realität unter einer glänzenden Lackschicht liegen konnte. Sie trennte ihre Waren von denen von Tait durch einen Warentrenner.

Er nahm den Trenner weg. »Das geht auf mich.«

»Danke. Aber nein danke.« Sie stellte den Teiler zurück an seinen Platz.

Er nahm den Teiler wieder weg und reichte ihn Sarah. »Bitte sorgen Sie dafür, dass dies alles auf eine Rechnung geht. Ich bezahle.«

Sarah signalisierte lächelnd ihre Zustimmung. Ihre Augen leuchteten.

Paige unterdrückte ein Knurren. Verdammt. Nochmal. Großartig. Diese Lewisham-Jungs sollten sich besser auf etwas gefasst machen. Innerhalb von zwanzig Minuten würde die Nachricht, dass ein heißer neuer Traummann sich in der Stadt befand, das Handy und den Computer jedes einzelnen Teenagers in Glenalla erreicht haben.

»Nein, das werden Sie nicht tun.« Paiges Blick fixierte Tait, während Sarah von Neuem damit begann, die Lebensmittel einzuscannen.

»Doch, das werde ich. Es ist das Mindeste, das ich tun kann, da das ja alles für mich ist.«

Sie griff nach einer Schachtel Pralinen in Übergröße, vor der selbst der süchtigste Schokoholiker die Waffen gestreckt hätte. »Das soll alles für Sie sein?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe eben eine Schwäche für Süßes.«

Sie stellte die Schachtel zurück und hob ein unverwechselbares Päckchen in pinkes Papier verpackter Seife auf. »Und das ist auch für Sie?«

»Aber sicher doch. Es ist schließlich nichts dagegen zu sagen, dass auch ein Mann den Wunsch hegt …«, er las den Werbeslogan auf der Verpackung der Seife, »… eine Haut so weich wie eine Rose zu haben.«

Sarah kicherte. Sogar Paige hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. Aber sie war nicht bereit, seinem gedankenlosen Charme zu verfallen. Sie war kein romantischer Teenager. Und sie würde ihm auch nicht erlauben, die Lebensmittelrechnung zu begleichen. Er hatte bereits den dreifachen Preis für seinen Aufenthalt bezahlt. Bevor sie aber ein Wort herausbrachte, hatte Tait sich zu ihr niedergebeugt. Wärme, die mit der Sommerhitze wenig zu tun hatte, stahl sich in ihre Wangen. Er war ihr allzu nahe, und er roch zu sauber, zu gut.

»Ich bezahle«, flüsterte er ihr ins Ohr. Sein Atem glitt wie eine körperliche Berührung über ihre Haut. »Noch ein Widerspruch von Ihnen und – sehen Sie die Dame, die uns nicht aus den Augen lässt, seit sie den Laden betreten hat?«

Paige blickte auf und wäre am liebsten tausend Tode gestorben. Es war Mrs. Jessop, die Bienenkönigin des gesellschaftlichen Lebens von Glenalla. Sie brauchte keine Handynachrichten und auch keinen Blog, um Klatsch zu verbreiten. Ihre Waffe war die gute alte Telefonleitung. Das letzte Mal, als sie Paige aus dem Lieferwagen eines Nachbarn hatte steigen sehen, hatte sie sie noch vor Weihnachten heiraten und Zwillinge erwarten lassen.

Paige schluckte. Mrs. Jessop konnte nicht wissen, dass sie zahlende Gäste aufnahmen. Paige hatte sich alle Mühe gegeben, den Schein aufrechtzuerhalten und so zu tun, als würden sie und ihr Vater die Trockenheit gut überstehen, als ginge auf Banora Downs alles seinen gewohnten Gang.

Wieder machte sich Taits Stimme an ihrem Ohr bemerkbar. »Sie scheint sehr interessiert an Ihnen … und mir.«

Noch während er sprach, schob Mrs. Jessop ihren Einkaufswagen auf sie zu, und auf ihrem pflaumenfarbenen Mund zeigte sich ein neugieriges Lächeln, während sie betrachtete, wie Paige Hüfte an Hüfte mit einem attraktiven Fremden stand.

Paige entfernte sich einen Schritt von Tait. Sie musste wählen, welche Schlachten sie schlagen konnte, und in diesem Moment blieb ihr nur der strategische Rückzug. »In Ordnung, Sie können dieses Mal die Lebensmittel bezahlen. Aber wenn irgendetwas dabei ist, das Sie nicht persönlich benutzt haben, bis Sie abreisen«, sie warf einen Blick auf die pinke Seife, die Sarah in die Tüte schob, »dann werde ich Ihnen das Geld zurückgeben.«

»Einverstanden.«

Paige hörte Taits Antwort kaum, sondern beschäftigte sich damit, die Einkaufstüten zusammenzusammeln. »Alles Gute, Sarah, und bestell deinen Eltern Grüße von mir. Sag deinem Vater, wenn diese Dürrezeit endlich ein Ende nimmt, werde ich nicht vergessen, ihn anzurufen und um seine Hilfe zu bitten.«

Mit vollen Armen machte sie sich auf den Weg zur Automatiktür. Paige setzte ein höfliches Lächeln auf, als sie an Mrs. Jessop vorbeikam. »Sorry, Myra, ich habe heute leider keine Zeit. Dad braucht mich zu Hause.« Dann stürmte sie durch die Tür, ohne Mrs. Jessop auch nur die Chance zu geben, Protest einzulegen.

Die Hitze umfing sie. Zikaden in den nahestehenden Bäumen zirpten ohrenbetäubend. Das Gewicht der Tüten zerrte ihr an den Händen, doch sie verlangsamte ihr Tempo nicht. Was war schon dabei, wenn Mrs. Jessop glaubte, Paige sei aus dem Turm ihrer Jungfräulichkeit heruntergestiegen? Sollten die Leute doch glauben, was sie wollten. Jedes Gerücht über ihr Liebesleben war besser, als die Leute wissen zu lassen, dass es ihr und Connor schlecht ging und dass sie zahlende Gäste aufnehmen mussten.

Die Familie ihrer Mutter, die Reillys, und einst auch die Sinclairs, waren die ältesten, angesehensten Familien der Gegend. Seit Generationen hatten sie sich durch Überschwemmungen, Dürreperioden, Heuschreckenplagen und schwankende Marktbedingungen gekämpft und doch alles überstanden. Sie waren der lebende Beweis für die Widerstandsfähigkeit des Outback-Geistes. Wenn allgemein bekannt würde, dass sie zu kämpfen hätten, würde das die Überzeugung der übrigen Farmer zunichtemachen, dass auch sie es schaffen könnten. Paige blickte in Richtung des Stadtfriedhofs, der fünf Minuten vom Lebensmittelladen entfernt lag. Sie und Connor hatten schon zu viele Begräbnisse von Farmern und Farmerssöhnen besuchen müssen, die in den Händen Schusswaffen und in den Herzen keine Hoffnung mehr gehabt hatten.

Taits Schritte hallten auf dem Betonbelag des Parkplatzes wider. Er passte seinen Gang dem ihren an, nahm seine Tüten in die linke Hand und streckte die rechte aus. »Geben Sie mir die schweren Sachen.«

Sie ignorierte die schmerzenden Muskeln ihrer Arme und den fragenden Ausdruck in seinen Augen. »Ich bin es gewohnt, schwer zu tragen. Außerdem ist Ihr Auto ja gleich da vorn.«

Sie stellte die Tüten auf dem Boden ab und sorgte dafür, dass die Krempe des Akubra ihren Gesichtsausdruck verbarg. Sie wusste, wenn sie sich umdrehen würde, würde sie das Gesicht von Mrs. Jessop an die Schaufensterscheibe des Geschäfts gepresst finden. Je schneller die Lebensmittel eingeladen waren, desto eher konnte sie ihren schlagzeilentauglichen Gast zurück in die Sicherheit von Banora Downs befördern.

Das schlüsselfreie Öffnungssystem des Autos piepte, und sie öffnete den Kofferraum, um den blauen Kühlbehälter herauszunehmen.

»Wie gut, dass Sie den für all die Sachen mitgenommen haben, die gekühlt werden müssen«, sagte Tait und gab ihr eine Flasche Milch, damit sie sie in den Kühler stellte. »Jetzt haben wir Zeit für einen Kaffee.«

»Sie machen wohl Witze.« Sie straffte den Rücken. »Sie haben doch erst zum Frühstück einen Becher getrunken.«

»Das Frühstück ist Stunden her. Anders als Sie funktioniere ich nicht allein mit frischer Luft.« Er legte eine Packung Butter in den Kühler.

»Wir haben keine Zeit. Ich muss nach Hause zu Dad.«

»Wenn ich mich recht erinnere«, erwiderte er in lässigem Ton, »dann lauteten die Abschiedsworte Ihres Vaters: ›Lasst euch so viel Zeit, wie ihr braucht.‹«

»Nein, so lauteten sie nicht.« Ihre Antwort klang wie ein Angriff. »Er hat gesagt: ›Wir sehen uns dann zum Mittagessen.‹ Und Mittagszeit ist jetzt.«

Tait schloss den Deckel der Kühlbox. »Genau. Ein Grund mehr, warum ich unbedingt einen Kaffee brauche.«

Er stellte den Kühler in den Kofferraum, verstaute die übrigen Lebensmittel auf dem verbleibenden Platz und knallte die Heckklappe zu. »Was würden Sie empfehlen?«

»Ich trinke keinen Kaffee.«

Er drehte sich um und blickte die Hauptstraße hinunter, die bis auf ein paar staubige Lieferwagen mit Frontschutzbügeln und schlafenden Hunden auf der Ladefläche verlassen wirkte. Er brauchte keine Handy-App, um den nächsten Caffè Latte ausfindig zu machen. »Sehen Sie, da zwischen der Drogerie und dem Zeitungsladen ist ein Café.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, überquerte er die Straße.

»Verdammte City Boys«, murmelte Paige unhörbar und folgte ihm. Er hatte sich nicht einmal nach dem Verkehr umgesehen, ehe er die Straße betreten hatte, als gehöre sie ihm. Woher wollte er wissen, dass es in Glenalla keine vormittägliche Stoßzeit gab? An Schultagen war der Verkehr morgens und auch an den Nachmittagen dafür berüchtigt, dass die Autos sich Stoßstange an Stoßstange um einen gesamten Block stauten. Hinter ihrer Stirn pochte es. Ihre Füße waren schwer. Der Tag konnte unmöglich noch schlimmer werden.

Trink das, Paige. Du weißt, du willst es.

Tait zwang sich, seinen Blick von dem Becher heiße Schokolade abzuwenden, der unberührt vor ihr stand. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee und wartete darauf, dass das Koffein sich in seinen Venen ausbreitete. Paige war ohne Zweifel einzigartig. Nie war ihm solche maultierartige Dickköpfigkeit begegnet und genauso wenig ein derart ausdrucksvolles Gesicht. Während er ihr durch den Lebensmittelladen gefolgt war, war es ihm nicht schwergefallen, genau die Dinge ausfindig zu machen, die in ihrem Leben fehlten. Im Gang mit der Schokolade hatte sie sich die Lippen geleckt. Als sie die Seifen betrachtete, flatterten ihr die Augenlider. Sie flatterten auch, als die Kellnerin einen Geflügelsalat vor sie hin stellte. Aber den ereilte nun dasselbe Schicksal wie die heiße Schokolade. Er stellte seinen Becher auf den Tisch und zählte bis zehn.

»Wie wollen Sie denn der netten Kellnerin, die ja eine Freundin von Ihnen zu sein scheint, erklären, dass Sie nicht einen einzigen Happen gegessen haben?«

Paige sah ihn kühl an. »Ich bin nicht hungrig.«

»Oh doch, das sind Sie. Sie haben eine kleine Scheibe Toast zum Frühstück gegessen, und im zweiten Gang mit Lebensmitteln hat Ihr Magen zu knurren begonnen.«

Ihre Finger würgten die Gabel und legten sie dann zur Seite. »Ich. Bin. Nicht. Hungrig.«

Er trank seinen Kaffeebecher leer. Glühende Hitze fuhr ihm die Speiseröhre hinunter, aber das war nichts im Vergleich zu der Frustration, die seinen Blutdruck in die Höhe trieb. Ihr Starrsinn war einfach atemberaubend.

»Machen Sie, was Sie wollen. Aber die Mahlzeit ist bezahlt, ich hab schon gegessen, und wie Sie gesagt haben, sollten wir uns auf den Rückweg machen.« Er stand auf. »Ich gehe auf einen Sprung ins Geschäft nebenan, während Ihr Kopf seinen Kampf mit Ihrem Magen fortsetzt.«

Kaum hatte er das Café verlassen, verlangsamte Tait seinen Schritt ausreichend, um zu sehen, wie Paige die Gabel erneut aufnahm und der Kellnerin zulächelte, die sich auf den Platz gleiten ließ, den er gerade verlassen hatte. Kurze Zeit später folgte ihm Paige ins Geschäft nebenan und nickte ihm zu, ehe sie auf das andere Ende des Ladens zustrebte. Von Zeit zu Zeit berührten ihre Finger ein Kleidungsstück. Das Deckenlicht betonte die kastanienbraunen Strähnen in dem langen braunen Pferdeschwanz, der unter ihrem Akubra hervorschaute.

Er nahm eine Weste aus Ölhaut von einem Bügel und probierte sie an. Wenn sie schon in so einem kleinen Raum eines schmalen Gebäudes so weit von ihm entfernt stand wie möglich, würde sie es nach ihrer Rückkehr auf Banora Downs genauso machen, daran hegte er keinen Zweifel. Aber damit, ihn zu schneiden, würde sie nicht davonkommen. Er musste einen Weg finden, sie in den Griff zu bekommen. Er musste herausfinden, was für ein Mensch sich wirklich unter dem zerknautschten Akubra und hinter all dem Widerspruchsgeist befand. Er schüttelte die Weste ab und hängte sie sich über den Arm.

Paige änderte die Richtung und machte vor dem Ladentisch halt. Sie lächelte den älteren Ladenbesitzer an, der damit beschäftigt war, Kleidungsstücke in eine große Kiste zu legen. »Brauchen Sie Hilfe, Steve?«

»Nein, danke, meine Liebe.« Die Falten in seinem Gesicht verschwanden, als er ihr Lächeln erwiderte. »Sie haben bei mir genug Regale gefüllt, wann immer Sie aus dem Internat nach Hause kamen.« Seine Stimme wurde weicher. »Wie geht es Ihnen? Und was macht Ihr Vater?«

Ihr Kopf neigte sich, als sie ein Paar Arbeitshandschuhe aus der Kiste zog und sie betrachtete. Tait gelang es nicht, den Gesichtsausdruck unter der Krempe des Hutes zu lesen. Er ging zu einem Stapel gefalteter dunkelblauer Arbeitshemden auf einem Regal in der Nähe, um ihre Antwort aufzuschnappen.

»Es geht uns gut, danke. Dad sendet Grüße.«

Der Ladenbesitzer nickte mit seinem grauhaarigen Kopf. »Wenn es etwas gibt, das Sie brauchen …«

Sie hob den Kopf und legte die Handschuhe wieder in die Kiste zurück. Dann nahm sie die Hand des alten Mannes. Ihr süßes Lächeln war strahlender als eine der silbernen Gürtelschnallen in dem Kabinett, das Tait nun zu studieren vorgab.

»Danke. Es wird schon wieder regnen. Irgendwann. Und in der Zwischenzeit kommen wir zurecht. Wie sieht es bei Ihnen aus? Ich weiß, die Geschäfte gehen schleppend.«

Steves schmale Schultern hoben sich mit einem Seufzen. »Das tun sie, und allzu bald werden sie wohl auch kaum in Fahrt kommen. Aber was soll ich Ihnen sagen …« Er lächelte von Neuem. »Heute ist mein Glückstag.«

»Ihr Glückstag?«

»Ja.« Er klopfte auf den Stapel Kleidungsstücke in der Kiste. »Sehen Sie sich das mal an: fünf Paar Handschuhe. Fünf Paar Jeans. Shirts. Akubra. Arbeitsstiefel. Stiefel für den Abend. Das habe ich alles verkauft.«

»Verkauft? Aber an wen denn?«

Auf leisen Sohlen näherte sich Tait. »An mich.«

Sie fuhr herum, als hätte er ihr eine der Nadeln an seinem EpiPen in die Schulter gejagt.

»Das ist Arbeitskleidung«, zischte sie zwischen den Zähnen hervor. »Um sich schmutzig zu machen. Wozu um alles in der Welt brauchen denn Sie …?« Ihre bernsteinfarbenen Augen weiteten sich, ehe sie den Mund schloss.

»Das ist richtig. Ich brauche mehr als Spinnenweben, um das echte Outback-Leben kennenzulernen.« Er fügte die Weste den Sachen in der Kiste hinzu und grinste. »Was soll ich denn sonst anziehen, wenn ich mit Ihnen auf den Koppeln arbeite?«

3

Der schmale Lichtschein, der sich durch die Jalousie vor seinem Schlafzimmerfenster stahl, verriet Connor, dass die Sonne bald aufgehen würde. Er rieb sich über den scharfen Schmerz in seinem Bein, der so sehr ein Teil von ihm geworden war wie die Narben auf seinem rechten Oberschenkel. Aber es war nicht der Schmerz, der ihn um den Schlaf brachte, es war der Zweifel. Ein Zweifel, der so hartnäckig, so rebellisch war, dass er sich weigerte, ihn anzuhören.